Wenn etwas in den letzten Jahren geschwankt hat, dann war es der Stahlpreis.
Die von Llarian angesetzten 430 € für eine Tonne Warmband lagen auch schon mal bei mehr als 800 €, als die weltweite Konjunktur noch stärker brummte und die chinesischen Kapazitäten noch nicht ganz so hoch lagen wie heute (soweit ich weiß, kommt pro Jahr mehr Kapazität in China hinzu, als wir überhaupt haben, also in der Größenordnung von 50 Mio t), und Indien baut auch aus.
Was Stahl angeht, sind wir inzwischen ein echter Anbieterzwerg, wenn auch Qualitätsführer (aber die Werke von Arcelor-Mittal sollen nicht viel schlechter sein, hört man).
Wenn also die Konjunktur weiter Richtung Bach-runter geht, dann wird auch der Preis weiter sinken, weil immer von irgendwem zu Grenzkosten verkauft wird, und notfalls Konstrukteure dann auch einen etwas schlechteren Stahl einsetzen als unser teures (wenn auch unbestritten hervorragendes) Zeug.
Dann muß man mal wieder auf "Durststrecke" umschalten und versuchen, die Kapazitäten und Arbeitsplätze in die sicherlich wiederkommende Phase erneut steigender Nachfrage zu retten, wie man es ja schon oft gemacht hat. Oder man legt weiter Kapazität zusammen, wie zu Zeiten der "Stahlmoderation" (Herrhausen) geplant, wenn man nicht daran glaubt, daß die Rezession in absehbarer Zeit wieder aufhört.
Geht es dann aber wieder aufwärts, steigt der Stahlpreis als erstes (in der Vergangenheit häufig explosionsartig). Und dann verdient man auch wieder richtig Geld, in der Spitze einige hundert € pro Tonne.
Vor diesem Hintergrund muß man dann von Seiten der Politik beurteilen, ob zusätzliche Kosten für die Stahlindustrie vertretbar sind oder nicht, ob also die Verbraucher ein wenig von den Kostenfolgen des EEG entlastet werden können, denn bei einem Nullsummenspiel ist nun mal des einen Uhl des anderen Nachtigall. Man kann einerseits pro Entlastung der Industrie argumentieren, woanders gäbe es diese Belastungen auch nicht, und da die Stahlwerke in einem intensiven internationalen Wettbewerb stünden, wären zusätzliche nationale Belastungen wettbewerbsverzerrend.
Das gilt aber andererseits nun für jegliche heimische Industrie, die sich dafür ja auch der guten Infrastruktur Deutschlands erfreut. Und immer schon wurde zusätzliche Kosten durch bessere Infrastruktur durch Drohungen aus der Industrie beantwortet, dann entweder woandershin oder pleite zu gehen. Wieviele Unternehmen sind nicht in den letzten Jahrzehnten nach China, Vietnam oder sonstwohin ausgewandert und reuig zurückgekommen? Durch die Herausnahme der Stahlindustrie aus den Kosten des EEG hat die Politik ja bereits die herausragend wichtige Rolle der Stahlindustrie für den Standort Deutschland anerkannt.
Ich vermute mal, zur Zeit würde man die Frage, ob man denn die Stahlindustrie weiterhin entlasten muß, zähneknirschend mit "Ja" beantworten.
Thyssen, unser wichtigster Stahlhersteller, hat sich mit dem Versuch, vor dem EEG und CO2-Zertifikaten nach Brasilien und den USA auszuweichen, derart in Schräglage manöveriert, daß er am Rande des Abgrunds steht. Hauptstadtflughafen, Elbphilharmonie UND Stuttgart 21 sind zusammengenommen nicht eine halb so große Katastrophe, wie sie von den Nieten in Nadelstreifen bei Thyssen angerichtet wurde.
Ein Thyssen in Hochform würde sich zweifelsohne nicht so sehr über 10 oder 20 € zusätzliche Kosten die Tonne (man würde ja wohl eher schrittweise von den Entlastungen Abstand nehmen) aufregen wie Thyssen jetzt, halb knocked out, wie sie sind.
Auf den Punkt gebracht: die Stahlindustrie hat sich bei dem Versuch, dem EEG oder Co2-Zertifikaten zu entgehen, derart verzockt, daß sie weiterhin vor dem EEG in Schutz genommen werden muß.
Interessante Gegenrede, aber in einem Punkt ignorieren sie das - eigentlich mehrfach betonte - Hauptproblem:
Zitat von schattenparker im Beitrag #127 Das gilt aber andererseits nun für jegliche heimische Industrie, die sich dafür ja auch der guten Infrastruktur Deutschlands erfreut. Und immer schon wurde zusätzliche Kosten durch bessere Infrastruktur durch Drohungen aus der Industrie beantwortet, dann entweder woandershin oder pleite zu gehen. Wieviele Unternehmen sind nicht in den letzten Jahrzehnten nach China, Vietnam oder sonstwohin ausgewandert und reuig zurückgekommen?
Die Stahlindustrie kann nicht einfach zurückkommen und ich dachte, dies wäre aus der bisherigen Diskussion und dem ursprünglichen Artikel mehr als klar geworden (und auch glaubwürdig untermauert). Es handelt sich um Mulitmilliardeninvestitionen, die sich dann erst einmal zwei oder mehr Jahrzehnte rentieren müssen. Eine Investition die Morgen wo anders getätigt wird, während ein deutsches Stahlwerk stillgelegt wird, die kommt nicht übermorgen reumütig wieder zurück, selbst wenn die potentiellen Kunden es wollten, da ihnen inzwischen der Mehrwert den höheren Preis wert ist, denn dann ist es zu spät für den Investor, der solche Investitionen nicht auf kurze Zeiträume tätigen kann, aber auch eine aktuelle Nachfrage nach günstigem Stahl bedienen muss und daher auch nicht warten kann, bis seine potentiellen Kunden ein Einsehen haben.
Frühstens könnte sie überübermorgen wieder zurück kehren, eher aber später und dann auch nur, wenn sich der Investor ausreichend sicher ist, dass die Deutschen nicht kurze Zeit später wieder eine ihrer unberechenbaren manisch-depressiven Launen haben. Daran hätte ich jetzt den Glauben verloren.
Nachtrag: Auch muss Deutschland dann noch wirtschaftlich attraktiv sein. Ist der Investitionsmagnet durch den wirtschaftlich-technologischen Vorsprung erst einmal weg, der gerade auch durch diese Investitionen aufrecht erhalten wird, dann kann man sich nicht mehr in grünen Luftschlössern auf dem Vorsprung ausruhen. Ist die technische Kompetenz erst einmal eingebrochen, dann ist sie weg, da sie ja nicht mehr erhalten und weitergegeben wird, insbesondere nach Jahrzehnten und somit 1 oder 2 Generationen. Sie müsste ganz von Anfang an neu aufgebaut werden, aber das kann natürlich auch jedes andere (entwickelte) Land grundsätzlich genauso gut. Einen Vorsprung zu erzielen ist ein Glücksfall, den man erhalten muss und mit Geschick auch kann. Hat man ihn erst einmal erreicht, dann weiß man aus Erfahrung, wie man Geschick zeigt und am Ball bleibt (hoffentlich), aber wenn er Weg ist und man wieder aus dem Nichts einen Vorsprung aufbauen will, dann braucht man wieder die richtigen Voraussetzungen (ob man die hat ist Glück).
Zitat Durch die Herausnahme der Stahlindustrie aus den Kosten des EEG hat die Politik ja bereits die herausragend wichtige Rolle der Stahlindustrie für den Standort Deutschland anerkannt.
Schwarz-Gelb hat es anerkannt, die SPD (*) erkennt es an, die Grünen nicht. Und ihre verbündeten in den Medien auch nicht.
Nachtrag zu *: Nicht einmal die Ganze SPD, sondern nur die aufrechten Sozialdemokraten, die nicht vergrünt sind.
es geht ja nicht darum, ob die Stahlindustrie zurückkommen kann oder nicht, sondern darum, daß diese Argumentationsstruktur und ggf. Verhaltensweisen schon viele Male durchgespielt wurden - mit sehr unterschiedlichem Ausgang.
Manche sind gegangen und weggeblieben, viele sind aber auch wiedergekommen - die Stahlindustrie kann so leicht nicht wiederkommen, das will ich gar nicht bezweifeln, aber dann sollte sie ihrerseits sehr vorsichtig sein mit Abwanderungsdrohungen oder Horrorszenarien a lá - an ein paar zehn Euro mehr Kosten pro Tonne gehen wir kaputt.
Neben Soli, Hartz X für Griechenland und andere Pleitestaaten, allfälliger Bankenrettung, horrenden Beiträgen für die EU und vielen internationalen Verpflichtungsschauplätzen, leisten wir uns umfangreiche Unterstützung für die Agrarindustrie und die Kohlebergwerke. Soll sich der Steuerzahler jetzt auch noch die Stahlwerke um den Hals hängen? Können wir - auch ganz ohne EEG-Umlage - zusehen, wie die Chinesen den Preis für die Tonne Warmband unter 400 € drücken, womit die Wettbewerbsfähigkeit von Thyssen Stahl endgültig ruiniert wird?
Wenn die Stahlindustrie eine solch strategisch (was für ein schönes Wort - sofort ist alles doppelt so wichtig) bedeutsame Industrie ist, können wir sie nicht gegen die chinesische Mauer rennen lassen, unabhängig vom EEG. Dann müßte der Steuerzahler halt ein bißchen in die Tasche packen (sprich, Ministerien müßten dafür sorgen, daß über ein paar Projekte die Stahlnachfrage angeheizt wird, man will ja nun keine direkten Subventionen !!).
Oder aber, die Stahlindustrie ist eben doch sowas wie die Kohleindustrie, wichtig zwar, aber nicht unverzichtbar. Wobei dann die Frage gestattet sein muß, inwieweit es ordnungspolitisch haltbar ist, der einen Industrie die EEG-Umlage aufzubürden, der anderen aber nicht.
Zitat von schattenparker im Beitrag #129 Neben Soli, Hartz X für Griechenland und andere Pleitestatten, allfälliger Bankenrettung, horrenden Beiträgen für die EU und vielen internationalen Verpflichtungsschauplätzen, leisten wir uns umfangreiche Unterstützung für die Agrarindustrie und die Kohlebergwerke. Soll sich der Steuerzahler jetzt auch noch die Stahlwerke um den Hals hängen?
Wie kommen Sie darauf? Es geht nicht darum Stahlwerke durch den Steuerzahler zu subventionieren, sondern ihn von einer überflüssigen, auf einem ideologischen Spleen beruhenden, unnützen, Sonderlast (über die EEG-Umlage, mit Steuern hat das gar nichts zu tun) zu bewahren, die andere Länder im internationalen Wettbewerb nicht haben. Die Steuerzahler sollen nicht für die Stahlwerke in Deutschland bluten, sondern die deutschen Stahlwerke sollen lediglich nicht mit grünen Extrabelastungen im Vergleich zu ihrer ausländischen Konkurrenz belegt werden.
Die Belastung deutscher Haushalte mit der EEG-Umlage ist ja auch nicht Alternativlos. Die ganzen deutschen Klimarettungsmaßnahmen bringen gar nichts. Sie reduzieren die Erderwärmung - und zwar nach dem aktuellen Stand der IPCC-Wissenschaft - nicht nennenswert, sind aber dafür Sauteuer. Aber wenn die Deutschen überwiegend ein paar Milliarden für symbolischen Aktionismus raushauen wollen, dann sollten sie dabei wenigstens nicht ihre eigenen Arbeitsplätze gefährden. Im Übrigen: Nicht die Stahlhersteller haben die Energiewende bestellt und sie haben auch keinen Vorteil davon. Warum sollen die dafür bezahlen?
Zitat
Können wir - auch ganz ohne EEG-Umlage - zusehen, wie die Chinesen den Preis für die Tonne Warmband unter 400 € drücken, womit die Wettbewerbsfähigkeit von Thyssen Stahl endgültig ruiniert wird?
Wenn der Preis für deutschen Stahl wenigstens nicht steigt, dann wäre schon einiges getan.
Zitat Oder aber, die Stahlindustrie ist eben doch sowas wie die Kohleindustrie, wichtig zwar, aber nicht unverzichtbar. Wobei dann die Frage gestattet sein muß, inwieweit es ordnungspolitisch haltbar ist, der einen Industrie die EEG-Umlage aufzubürden, der anderen aber nicht.
Weil es für die einen eine nennenswerte Sonderbelastung im internationalen Wettbewerb ist, für die nicht befreiten Unternehmen nicht (außer der ÖPNV, aber ist auch ein Lieblingskind der Grünen).
In der Tat eine schöne Gegenrede, lieber Schattenparker, leider stimmt es da, wo es an die Fakten geht, an vielen Ecken nicht:
Zitat von schattenparker im Beitrag #127Wenn etwas in den letzten Jahren geschwankt hat, dann war es der Stahlpreis. Die von Llarian angesetzten 430 € für eine Tonne Warmband lagen auch schon mal bei mehr als 800 €, als die weltweite Konjunktur noch stärker brummte und die chinesischen Kapazitäten noch nicht ganz so hoch lagen wie heute
Richtig daran ist: Sie lagen schon einmal (Betonung liegt auf einmal) in der Größenordnung. Und zwar Mitte 2008 und diese Periode dauerte wenige Monate. Da wurde Geld verdient (wenn auch weit weniger wie weiter unten beschrieben). Leider ist das eine ziemlich einmalige "Delle". Das ist im Wesentlichen ein Ausreisser und keinesfalls geeignet um eine langfristige Investition zu rechtfertigen. Des weiteren habe ich die 430 Euro nicht angesetzt, sondern dem aktuellen Preis entnommen.
Zitat (soweit ich weiß, kommt pro Jahr mehr Kapazität in China hinzu, als wir überhaupt haben, also in der Größenordnung von 50 Mio t), und Indien baut auch aus.
Indien baut auf jeden Fall aus, das ist aber international noch nicht so bedeutend, da es den erstmal den eigenen Markt füllt. China konsolidiert selber, wobei man ganz klar Überkapazitäten zunächst zu exportieren versucht, bevor man Werke schliesst.
Zitat Was Stahl angeht, sind wir inzwischen ein echter Anbieterzwerg, wenn auch Qualitätsführer (aber die Werke von Arcelor-Mittal sollen nicht viel schlechter sein, hört man).
Der Nachsatz spricht für eine gewisse Unkenntnis der Stahlindustrie. Arcelor-Mittal ist nicht nur "nicht viel schlechter" sondern durchaus auf Höhe. Was trivialerweise daran liegt, dass es sich eben nicht, wie ich herauszuhören meine, um irgendeinen ausländischen (oder asiatischen) Stahlanbieter handelt. Mittal ist nicht nur der weltweit grösste Anbieter, er ist ebenso weltweit aufgestellt. So produziert Mittal durchaus in Deutschland (in Ruhrort um genau zu sein). Oder auch in Frankreich (beispielsweise Florange). Sehr viel auch in Belgien (Gent). Und keine Sorge, die stehen "uns" nicht nach. Ich würde das Thema nicht an Firmen festmachen, denn viele Firmen, Mittal als Paradebeispiel, haben Standorte wo sie hohe Qualitäten produzieren und solche wo die Qualitäten weniger Anforderungen haben. Die meiste Qualität ist schon in den führenden Nationen (beispielsweise Deutschland oder auch Japan), aber an Firmen kann man das nicht festmachen.
Zitat Wenn also die Konjunktur weiter Richtung Bach-runter geht, dann wird auch der Preis weiter sinken, weil immer von irgendwem zu Grenzkosten verkauft wird, und notfalls Konstrukteure dann auch einen etwas schlechteren Stahl einsetzen als unser teures (wenn auch unbestritten hervorragendes) Zeug.
Hier haben Sie etwas wichtiges übersehen: Der chinesiche Anbieter muss gar nicht zu Grenzkosten produzieren, der ist auch so billiger. Das ist ja die Crux. Wenn ich Belastungen wie EEG oder Carbonabgaben nicht habe, dann brauche ich gar nicht auf Grenzkosten zu gehen, um zu konkurrieren, ich kann noch Gewinn kalkulieren und bin trotzdem billiger.
Zitat Dann muß man mal wieder auf "Durststrecke" umschalten und versuchen, die Kapazitäten und Arbeitsplätze in die sicherlich wiederkommende Phase erneut steigender Nachfrage zu retten, wie man es ja schon oft gemacht hat.
Frommer Wunsch, das klappt nur nicht. Ich lade Sie gerne dazu ein sich die Geschäftsberichte von Salzgitter, Thyssen oder Mittal mal genau an zu sehen. Mittal zum Beispiel wartet nicht länger, da stehen Werksschliessungen an (bisher glücklicherweise nicht in Deutschland). Outokumpu hat bereits für Bochum Kurzarbeit angemeldet und mit dem EEG begründet. Die Schliessung steht noch nicht an, aber ewig dauert sowas nicht. In vergangenen Stahlkrisen ging es im Wesentlichen darum ob neues Wirtschaftswachstum entsteht oder ob der Markt sich konsolidieren muss. Da lohnt sich abwarten in der Regel. Heute geht es darum, ob man morgen in Deutschland noch wettbewerbsfähig ist. Das Problem kann man nicht mit Abwarten lösen.
Zitat Und dann verdient man auch wieder richtig Geld, in der Spitze einige hundert € pro Tonne.
Solch kühne Behauptungen bedürfen des Beleges. Das ist schlicht illusorisch, ist schon mit der Erz- und Schrottpreis nicht vereinbar.
Zitat Das gilt aber andererseits nun für jegliche heimische Industrie, die sich dafür ja auch der guten Infrastruktur Deutschlands erfreut.
Ja, die ist toll. NUR: Die gibts inzwischen auch woanders. Und was an Infrastruktur noch so doll sein wird, wenn wir wirklich mal satte Stromausfälle bekommen, das wird sich dann noch zeigen. Die deutsche Infrastruktur ist heute schlechter als vor 20 Jahren. Und die chinesische ist weit besser als vor 20 Jahren. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich zu überlegen wozu das irgendwann führt. Es gab letztes Jahr einen schönen Artikel dazu in Stahl-Eisen. Da ging es um Brücken, die ja nun unbestreitbar zur Infrastruktur gehören. So muss ein grosser deutscher Anlagenbauer aus dem Siegerland heute Zeiten von bis zu einer Woche hinnehmen, um seine Großteile (beispielsweise Walzenständer) zu einem entsprechenden Hafen transportieren zu lassen. Weil hunderte von Brücken nicht mehr in der Form gewartet werden, dass sie das Gewicht noch tragen dürfen. Transporte die früher an einem Tag gingen brauchen heute die siebenfache Zeit. Aber ein Hoch auf die Infrastruktur. Die halt auch irgendwann verfällt. Weil es in Deutschland wichtiger ist, Radwege anzulegen als eine Brücke instandzusetzen. Verzeihen Sie mir, lieber Schattenparker, aber ich ärgere mich einfach über solche Pauschalaussagen wie die von der Infrastruktur. Da steckt viel deutsche Arroganz drin, die ignoriert das unser Sraßenzustand beileibe nicht mehr der beste ist. Die ignoriert, dass wir Nachwuchsprobleme haben und die Industrie Probleme hat qualifizierten Nachwuchs zu finden. Die ignoriert dass unsere Stromversorgung zunehmend riskanter wird. Die ignoriert, dass unsere Investitionssicherheit deutlich schlechter ist als vor 20 Jahren (beispielsweise Vermögensdiskussion). Ich will nicht bestreiten, dass die Infrastruktur noch gut funktioniert, aber das Ausblick ist schlecht. Und für Investition ist die zukünftige Einschätzung wichtiger als die gegenwärtige Lage.
Zitat Wieviele Unternehmen sind nicht in den letzten Jahrzehnten nach China, Vietnam oder sonstwohin ausgewandert und reuig zurückgekommen?
Ein spannende Frage. Wieviele sind es eigentlich ? Ich kenne nahezu keine grosse Firma, die nicht irgendwo in China oder zumindest in Asien produziert. Die Aussage hört man öfter, ich halte sie erstmal für billig dahingesagt, denn wer hat denn wirklich in China mal ein Werk gebaut und wieder geschlossen ? Es haben sich jede Menge Firmen die Schnauze verbrannt, das will ich nicht bestreiten, aber trotzdem wird in den Werken produziert, oftmals nicht ganz so, wie der Investor das mal geplant hatte. Aber die Tendenz ist recht eindeutig. Und hier haben wir auch das selbe wie schon bei der Infrastruktur: Wenn bei VOX (oder irgendwo sonst) wieder was über Auswanderer kommt ("Die Auswanderer"), dann kann der deutsche Michel sich das Maul zerreissen und sich ein Loch in die Backe freuen, wenn Auswanderer scheitern und nach Deutschland zurückkehren. Das ist die Episode, die er nie vergisst und in zehn Jahren noch zitieren wird. Die 99 dagegen, die still gegangen sind, die keinen Wind gemacht haben, die hat er längst wieder vergessen. Das ist bei der Industrie nicht ein bischen anders.
Zitat Ich vermute mal, zur Zeit würde man die Frage, ob man denn die Stahlindustrie weiterhin entlasten muß, zähneknirschend mit "Ja" beantworten.
Zunächst mal sollte man eins sagen: Es geht weniger um Entlastung als um das Vermeiden von künstlichen Belastungen. Aber seis drum. Die Zähne sind hier das Problem. Neue Investitionen leben von Investitionssicherheit. Und ein Land, dass nur zähneknirschend eine Zukunft zulässt, ist nicht attraktiv. Klar, die machen dann vielleicht nicht morgen alle zu. Aber investieren tut man erstmal nix mehr. Und das ist langfristig die selbe Wirkung.
Zitat Thyssen, unser wichtigster Stahlhersteller, hat sich mit dem Versuch, vor dem EEG und CO2-Zertifikaten nach Brasilien und den USA auszuweichen, derart in Schräglage manöveriert, daß er am Rande des Abgrunds steht.
Der letzte Satz stimmt. Die Motive weniger. Der Hauptgrund für die Thyssen Americas war der Zugang zu südamerikanischen Rohstoffen und die Hoffnung hochqualitative Bleche für die Autoindustrie in den Staaten zu produzieren. Zum Zeitpunkt der Investition war der Moloch EEG nicht abzusehen und die Carbonabgaben waren sehr, sehr niedrig. Idiotien wie Backloading waren unbekannt.
Zitat Hauptstadtflughafen, Elbphilharmonie UND Stuttgart 21 sind zusammengenommen nicht eine halb so große Katastrophe, wie sie von den Nieten in Nadelstreifen bei Thyssen angerichtet wurde.
Zunächst mal: Das ist falsch. Die Katastrophen sind eher ähnlich gross. Beim Hauptstadtflughafen sind etwas 2 Milliarden vernichtet, bei Stuttgart 21 sieht es ähnlich aus. Und in Brasilien ist man auch in dieser Ordnung, wobei das davon abhängen wird, ob man noch einen Käufer finden wird oder nicht. Für die Wirtschaftskrise kann auch die Führung von Thyssen nix. Aber ich wollte was zu den Nieten in Nadelstreifen sagen. Managerbashing ist ja in Deutschland inzwischen beliebter geworden als Hobbyfußballtrainern (und das will was heissen). Ist aber auch reichlich billig: In diesem Fall ist der Name der "Niete" Ekkehard Schulz. Er war maßgeblich für die Fehlplanung verantwortlich und hat damit eine Summe zwischen 2 und 4 Milliarden mit in den Sand gesetzt. Eine echte Niete, nicht wahr ? Das die selbe Niete in ihrer Zeit als Firmenchef in den Jahren 2002 bis 2005 den Gewinn von TKS von 700 Millionen auf 2,5 Milliarden gehoben hat, das traut man so einer "Niete" gar nicht zu. Das die selbe Niete in dieser Zeit die Schulden von Thyssen von 4,2 Milliarden Euro auf null reduzierte, ja, das ist auch nicht so nietentypisch, oder ? Ich will sicher nicht das Fiasko Brasilien schönreden, da ist mehr falsch gemacht worden, als man hier schreiben könnte, aber so monokausal auf "Nieten in Nadelstreifen" zu polemisieren wird den Personen nicht im Ansatz gerecht. Man kann sich nicht hinstellen und meinen wo Erfolg sein soll, gäbe es nicht auch das Scheitern. Und Erfolg hatte Thyssen bis dahin eine ganze Menge. Ohne die Niete wäre Thyssen vielleicht schon vor zehn Jahren pleite gewesen. Und noch gibts es TKS.
Zitat Ein Thyssen in Hochform würde sich zweifelsohne nicht so sehr über 10 oder 20 € zusätzliche Kosten die Tonne (man würde ja wohl eher schrittweise von den Entlastungen Abstand nehmen) aufregen wie Thyssen jetzt, halb knocked out, wie sie sind.
Aufregen schon, aber man könnte es verkraften. Und wenn Sie den Manager finden, der nur immer Erfolg hat und nie einen Mißerfolg, dann zeigen Sie mir den. Ich bin sicher er wäre Milliarden wert. Obwohl: Nicht in Deutschland. Da muss das ja verboten werden. Ist also auch nix für Thyssen. :(
Zitat Auf den Punkt gebracht: die Stahlindustrie hat sich bei dem Versuch, dem EEG oder Co2-Zertifikaten zu entgehen, derart verzockt, daß sie weiterhin vor dem EEG in Schutz genommen werden muß.
Auf den Punkt gebracht: Nichts davon ist richtig. Zum ersten, TKS ist nicht die deutsche Stahlindustrie. Was die anderen verzockt haben sollen wird vermutlich ihr Geheimnis bleiben, die schreiben genauso miese (das ist eine verklausulierte Aufforderung bitte die Fehler der anderen konkret zu benennen !). Zum zweiten: Es ist sicher nicht Aufgabe irgendeiner Industrie möglichst viel Kohle zu machen, damit sie alle möglichen staatlichen Zwangssegnungen finanzieren kann. Und drittens: Niemand müsste vor irgendwas in Schutz genommen werden, wenn es den EEG Irrsinn nicht gäbe.
Bringe ichs mal auf den Punkt: Unterm Strich steht in ihrer Gegenrede die Industrie sei selber schuld und wenn man nur fest genug dran glaubt, wird es irgendwann besser werden. Ich gebe dieser Gegenrede in einem Punkt recht: Die Industrie ist selber schuld. Nämlich in Deutschland noch investiert zu haben, obwohl sich die grüne Welle ja nun fast 30 Jahre am Horizont zeigt. War halt für einige eine Fehlentscheidung. Aber ich bin sicher, die werden den Fehler nicht wiederholen.
vielen Dank für den tiefen Einblick, den sie uns nicht nur in ihrem Artikel, sondern auch hier in der Diskussion gewähren. Ich denke nicht, dass sich die langfristige Sicherheit für Investitionen in Deutschland bessern wird, erst wird der Karren wieder an die Wand gefahren. Irgendwann werden auch wieder die Fragen der folgenden Generationen kommen. Warum habt ihr nichts gemacht? Ihr wusstet doch was passieren wird... Wer weiß Herzlich Brutha
Zitat von schattenparker im Beitrag #127Vor diesem Hintergrund muß man dann von Seiten der Politik beurteilen, ob zusätzliche Kosten für die Stahlindustrie vertretbar sind oder nicht, ob also die Verbraucher ein wenig von den Kostenfolgen des EEG entlastet werden können, denn bei einem Nullsummenspiel ist nun mal des einen Uhl des anderen Nachtigall.Vor diesem Hintergrund muß man dann von Seiten der Politik beurteilen, ob zusätzliche Kosten für die Stahlindustrie vertretbar sind oder nicht, ob also die Verbraucher ein wenig von den Kostenfolgen des EEG entlastet werden können,.
Die beste Möglichkeit, die Bürger vor den Kosten des EEG zu bewahren, ist es abzuschaffen.
Und weil man anderen als der Stahlindustrie (unnütze) Kosten aufbürdet, soll hier die Stahlindustrie subventioniert werden? Die Perversität dieses Denkens mal demonstriert: Angenommen, in einer Straße stehen zehn Häuser und ein Einbrecher klaut in neun Häusern jeweils 1000 Euro, das zehnte Haus verschont er. Nach linksgrüner Logik hat der Einbrecher jetzt nicht 9000 Euro geklaut, sondern die Bewohner des zehnten Hauses mit 1000 Euro subventioniert, weil er ihnen ja nichts weggenommen hat.
vielen Dank für die freundlichen Worte, es ist gut, wenn die Mühe, die man sich bei solchen Artikeln macht, nicht umsonst gewesen ist, denn auch wenn ich ein bischen was von der Branche verstehe (das dürfte wohl rübergekommen sein), breche ich mir trotzdem die eine oder andere Stunde ab, um sowas zusammenzufassen. Und manche Zahl muss ich auch selber nachschlagen.
Zitat von Brutha im Beitrag #132 Ich denke nicht, dass sich die langfristige Sicherheit für Investitionen in Deutschland bessern wird, erst wird der Karren wieder an die Wand gefahren. Irgendwann werden auch wieder die Fragen der folgenden Generationen kommen. Warum habt ihr nichts gemacht? Ihr wusstet doch was passieren wird...
Ihrer ersten Aussage stimme ich, deprimierterweise, zu. Ich glaube auch nicht, dass es besser wird, zu sehr hat sich der grüne Zeitgeist der Überheblichkeit eingegraben, der sich gar nicht mehr vorstellen kann, wie es sein könnte, wenn keine funktionierende Industrie die Gelder für die ganzen Weltverbesserungen mehr ausspucken wird. Ich halte den grünen Zeitgeist inzwischen für schlicht "zu dumm", um zu erkennen wie fragil die Wirtschaftsüberlegenheit ist, mit der es Deutschland nun schon jahrezehntelang gut geht. Dem Rest allerdings so nicht. Ich glaube nicht das der Karren mit lautem Knall an eine Wand fährt, ich sehe eher einen jahrelangen, eher jahrzehntelange, Siechprozess. Und das Niveau ist ja, bei aller Jammerei, sehr, sehr hoch. Es wird immer noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, bis die verheerende Wirkung der derzeitigen Industriepolitik zum Tragen kommt. Und dann wird kaum mehr jemand da sein, den man fragen kann. Anders als 1945 wird es zu keinem knallenden Ende kommen. Ich glaube auch nicht, dass der Lebensstandard nennenswert sinken wird, auch mit weniger Geld lässt sich mit fortschreitender Technik eine Menge umsetzen. Nur wird Deutschland nicht mehr an der Position stehen, an der es heute steht. Im grünen Zeitgeist, der im morgen ohnehin nur eine Energiesparvariante der Gegenwart sieht, ist das ja auch gut so. Real wird Deutschland dann irgendwann weltweit so bedeutend sein wie heute meinetwegen Spanien. Nominal wirds aber nicht weniger sein als heute. Allerdings glaube ich, dass die Welt schon ein bischen lächeln wird wie dämlich ein ganzes Volk gewesen ist, um sich von einer der führenden Industrienationen zum hinteren Mittelfeld zu kasteien, weil es ein paar Sozialarbeitern nachgelaufen ist, die nichtmal in der Lage waren ein Hochschulstudium zu beenden.
...ich sehe eher einen jahrelangen, eher jahrzehntelange, Siechprozess. Und das Niveau ist ja, bei aller Jammerei, sehr, sehr hoch. Es wird immer noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, bis die verheerende Wirkung der derzeitigen Industriepolitik zum Tragen kommt.
Dazu kommt ein meiner Meinung nach unterschätzter Effekt: die Vermögenskonzentration in der Mittelschicht. Da die Deutschen kollektiv beschlossen haben, auszusterben, gibt es immer weniger Erben. Ein Erbe, dass früher durch 7 geteilt wurde, geht heute geschlossen an den einen verbliebenen Erben über - und oft genug sogar geht das Erbe von mehreren Geschwistern an einen einzelnen Neffen über. Das führt dazu, dass unsere Meinungsführer selbst von dem Niedergang nichts merken - denn unsere Journalisten, Künstler, Möchte-Gern-Gutmenschen stammen sehr oft aus einem bürgerlichen Umfeld und können von dem Erbe der Vorgänger sehr gut leben. Genau so merken diese Meinungsführer nichts von der Infrastrukturalterung. Ob ein LKW noch über eine Brücke kommt, ist denen mal grad egal - so lange der eigene PKW noch fahren darf. Dito mit der Reduktion der Versorgungssicherheit bei Strom: das stört die meisten nicht. Wenn der Strom nur schnell genug wieder da ist, dass das Tiefkühlfach nicht abtaut.
Ich weiß nicht, wie Deutschland in 30 Jahren aussieht. Aber ich weiß, dass der deutsche Wähler so krampfhaft die Augen vor der Realität verschließt, dass es weh tut. Welt online hat mal die sieben Tabuthemen zusammengefasst: http://www.welt.de/politik/deutschland/a...swahl-2013.html
In diesem Artikel wird das Problem der Infrastrukturüberalterung und Verschlechterung der Versorgungssicherheit nicht mal erwähnt.
Zitat Es gab letztes Jahr einen schönen Artikel dazu in Stahl-Eisen. Da ging es um Brücken, die ja nun unbestreitbar zur Infrastruktur gehören. So muss ein grosser deutscher Anlagenbauer aus dem Siegerland heute Zeiten von bis zu einer Woche hinnehmen, um seine Großteile (beispielsweise Walzenständer) zu einem entsprechenden Hafen transportieren zu lassen.
Warum sitzt der Anlagenbauer überhaupt irgendwo in der Pampa, und nicht direkt an einer Wasserstraße?
...ich sehe eher einen jahrelangen, eher jahrzehntelange, Siechprozess. Und das Niveau ist ja, bei aller Jammerei, sehr, sehr hoch. Es wird immer noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, bis die verheerende Wirkung der derzeitigen Industriepolitik zum Tragen kommt.
Dazu kommt ein meiner Meinung nach unterschätzter Effekt: die Vermögenskonzentration in der Mittelschicht. Da die Deutschen kollektiv beschlossen haben, auszusterben, gibt es immer weniger Erben. Ein Erbe, dass früher durch 7 geteilt wurde, geht heute geschlossen an den einen verbliebenen Erben über - und oft genug sogar geht das Erbe von mehreren Geschwistern an einen einzelnen Neffen über. Das führt dazu, dass unsere Meinungsführer selbst von dem Niedergang nichts merken - denn unsere Journalisten, Künstler, Möchte-Gern-Gutmenschen stammen sehr oft aus einem bürgerlichen Umfeld und können von dem Erbe der Vorgänger sehr gut leben. Genau so merken diese Meinungsführer nichts von der Infrastrukturalterung. Ob ein LKW noch über eine Brücke kommt, ist denen mal grad egal - so lange der eigene PKW noch fahren darf. Dito mit der Reduktion der Versorgungssicherheit bei Strom: das stört die meisten nicht. Wenn der Strom nur schnell genug wieder da ist, dass das Tiefkühlfach nicht abtaut.
Ich verstehe jetzt, warum Sie die Erbschaftssteuer so sehr befürworten.
Zitat von Frank2000 im Beitrag #135Dazu kommt ein meiner Meinung nach unterschätzter Effekt: die Vermögenskonzentration in der Mittelschicht.
OK, aber worauf der WELT-Artikel zur Recht hinweist: Für viele jetzt in den besten Jahren befindliche Büger wird das Erbe einen integralen Bestandteil der Altersversorgung darstellen, zumal die EZB ja gerade Sparkonten, Lebens- und private Rentenversicherungen kalt enteignet. Deshalb wäre wohl über eine Anhebung des Freibetrages bei der Erbschaftsteuer nachzudenken.
M.E. wäre auch zu erwägen, ob man nicht die Besteuerung von Schenkungen unter Lebenden liberalisieren sollte, jedenfalls wenn sie zwischen Nichtverwandten erfolgen. Das würde vielleicht zu mehr Solidarität zwischen den Bürgern führen - was aber evtl. nicht gewollt ist, weil dann die Politik nicht den volkstribunenhaften Gestus des Umfairteilers einnehmen kann.
Zitat Es gab letztes Jahr einen schönen Artikel dazu in Stahl-Eisen. Da ging es um Brücken, die ja nun unbestreitbar zur Infrastruktur gehören. So muss ein grosser deutscher Anlagenbauer aus dem Siegerland heute Zeiten von bis zu einer Woche hinnehmen, um seine Großteile (beispielsweise Walzenständer) zu einem entsprechenden Hafen transportieren zu lassen.
Warum sitzt der Anlagenbauer überhaupt irgendwo in der Pampa, und nicht direkt an einer Wasserstraße?
Die Frage erinnert so ein bissel an den Witz von dem amerikanischen Touristen der fragt, warum die Queen auch so doof ist ihren Palast in die Einflugschneise vom Flughafen zu setzen.... Die Antwort ist simpel: Weil es sich bei dem Anlagenbauer um ein fast 150 Jahre altes Traditionsunternehmen handelt, dass Wert auf seine Herkunft und seine Heimat legt.
Dazu kommt ein meiner Meinung nach unterschätzter Effekt: die Vermögenskonzentration in der Mittelschicht. (...)
Ich verstehe jetzt, warum Sie die Erbschaftssteuer so sehr befürworten.
Es gibt hier nach meiner Erfahrung tatsächlich einen etwas problematischen Effekt.
Einerseits ist privates Eigentum natürlich förderlich für die wirtschaftliche Entwicklung: Wenn der Ertrag meiner Arbeit und meines unternehmerischen Schaffens mir selbst gehört, strenge ich mich mehr an. Und wenn ich diesen Ertrag auch an meine Kinder weitergeben kann, denke und investiere ich langfristiger.
Aus diesem Grund haben hohe Steuern und Erbschafts- und Vermögenssteuern einen wirtschaftlich retardierenden Effekt.
Allerdings kann auch wirtschaftliche Unabhängigkeit einen retardierenden Effekt haben. Habe ich selbst schon einige Male persönlich erlebt. Da lassen wohlhabende Erben eine innerstädtische Immobilie verwahrlosen (und mindern damit auch die Attraktivität der Nachbarschaft), weil es ihnen einfach zu mühsam ist, sich darum zu kümmern. Da sind Gewerbeflächenentwicklungen nicht möglich, weil eine wohlhabende Erbin halt einfach ihr Teilgrundstück nicht verkaufen will aber sich auch nicht an der Entwicklung beteiligen will - was keinerlei kaufmännische Logik hat, aber einer solche muss die Dame aufgrund des ohnehin vorhandenen Wohlstands auch nicht folgen. etc. etc.
Wenn man so etwas erlebt, ist man ehrlich frustriert. Der auf seinen eigenen Vorteil beachte Unternehmer ist als Verhandlungspartner ja wenigstens planbare Größe. Was er will ist rational. Aber wie verhandelt man mit jemandem der sich irrationale Wertvernichtung leisten kann, weil er dann immer noch genug hat und der kaufmännischen Argumenten völlig gleichgültig gegenübersteht?
Will sagen: Eine Volkswirtschaft kann auch dadurch behindert werden, dass viel Vermögen in den Händen von Erben konzentriert ist, denen es persönlich einfach so gut geht, dass Ihnen eine Entwicklung oder eine positive Rendite auf dieses Vermögen nicht sehr wichtig ist.
Dazu kommt ein meiner Meinung nach unterschätzter Effekt: die Vermögenskonzentration in der Mittelschicht. (...)
Ich verstehe jetzt, warum Sie die Erbschaftssteuer so sehr befürworten.
Es gibt hier nach meiner Erfahrung tatsächlich einen etwas problematischen Effekt.
Einerseits ist privates Eigentum natürlich förderlich für die wirtschaftliche Entwicklung: Wenn der Ertrag meiner Arbeit und meines unternehmerischen Schaffens mir selbst gehört, strenge ich mich mehr an. Und wenn ich diesen Ertrag auch an meine Kinder weitergeben kann, denke und investiere ich langfristiger.
Aus diesem Grund haben hohe Steuern und Erbschafts- und Vermögenssteuern einen wirtschaftlich retardierenden Effekt.
Allerdings kann auch wirtschaftliche Unabhängigkeit einen retardierenden Effekt haben. Habe ich selbst schon einige Male persönlich erlebt. Da lassen wohlhabende Erben eine innerstädtische Immobilie verwahrlosen (und mindern damit auch die Attraktivität der Nachbarschaft), weil es ihnen einfach zu mühsam ist, sich darum zu kümmern. Da sind Gewerbeflächenentwicklungen nicht möglich, weil eine wohlhabende Erbin halt einfach ihr Teilgrundstück nicht verkaufen will aber sich auch nicht an der Entwicklung beteiligen will - was keinerlei kaufmännische Logik hat, aber einer solche muss die Dame aufgrund des ohnehin vorhandenen Wohlstands auch nicht folgen. etc. etc.
Wenn man so etwas erlebt, ist man ehrlich frustriert. Der auf seinen eigenen Vorteil beachte Unternehmer ist als Verhandlungspartner ja wenigstens planbare Größe. Was er will ist rational. Aber wie verhandelt man mit jemandem der sich irrationale Wertvernichtung leisten kann, weil er dann immer noch genug hat und der kaufmännischen Argumenten völlig gleichgültig gegenübersteht?
Will sagen: Eine Volkswirtschaft kann auch dadurch behindert werden, dass viel Vermögen in den Händen von Erben konzentriert ist, denen es persönlich einfach so gut geht, dass Ihnen eine Entwicklung oder eine positive Rendite auf dieses Vermögen nicht sehr wichtig ist.
Eine sehr hohe oder hohe Erbschaftssteuer, die tatsächlich zur Teilenteignung führen würde (vielleicht deutlich mehr als 10%?) ist natürlich absolut unsinnig, da dann früher oder später keine echten Familienunternehmen etc. mehr konkurrenzfähig blieben bzw. existierten. Eine moderate Erbschaftssteuer von (deutlich?) weniger als 10% allerdings könnte einen durchaus positiven Effekt haben - und dürfte auch tatsächlich eine Steueraufkommenserhöhung geben. Ein relativ kleiner Kredit auf der Firma ist akzeptabel, insbesondere da ja bestehende Kredite oder Beteiligungen den Vermögenswert der Firma reduzieren. Dazu noch ein gut gesetzter Freibetrag und ich sehe wenig Probleme dabei - immerhin ist Erben auch ein wenig ein Einkommen, wenn auch etwas absolut nicht regelmäßiges.
Die Vermögenssteuer allerdings ist meiner Ansicht nach absoluter Unsinn, egal in welcher Höhe (auch wenn ich selbst wohl nie größere Beträge deswegen zahlen dürfte), weil sie tatsächlich von der Substanz zehrt und jeglicher Vermögensgewinn ja auch besteuert wird (Ertragssteuern). Mir konnte auch noch keiner erklären, wo hier der Vorteil liegt - Nachteile haben mir aber schon viele Menschen aufgezählt.
Ich verlasse mich da aber lieber auf andere, da ich selbst eben kein Finanzfachmann bin.
Zitat von Florian im Beitrag #140Will sagen: Eine Volkswirtschaft kann auch dadurch behindert werden, dass viel Vermögen in den Händen von Erben konzentriert ist, denen es persönlich einfach so gut geht, dass Ihnen eine Entwicklung oder eine positive Rendite auf dieses Vermögen nicht sehr wichtig ist.
Trifft das nicht auch dann zu, wenn jemand sich genau wie von Ihnen beschrieben verhält, nachdem er sich sein Vermögen erarbeitet hat?
Ich sehe keinen Grund, einen Erben anders als denjenigen zu behandeln, der den Besitz ursprünglich erwirtschaftet hat. Jedenfalls keinen, den ich liberal nennen würde.
Zitat Es gab letztes Jahr einen schönen Artikel dazu in Stahl-Eisen. Da ging es um Brücken, die ja nun unbestreitbar zur Infrastruktur gehören. So muss ein grosser deutscher Anlagenbauer aus dem Siegerland heute Zeiten von bis zu einer Woche hinnehmen, um seine Großteile (beispielsweise Walzenständer) zu einem entsprechenden Hafen transportieren zu lassen.
Warum sitzt der Anlagenbauer überhaupt irgendwo in der Pampa, und nicht direkt an einer Wasserstraße?
Die Frage erinnert so ein bissel an den Witz von dem amerikanischen Touristen der fragt, warum die Queen auch so doof ist ihren Palast in die Einflugschneise vom Flughafen zu setzen.... Die Antwort ist simpel: Weil es sich bei dem Anlagenbauer um ein fast 150 Jahre altes Traditionsunternehmen handelt, dass Wert auf seine Herkunft und seine Heimat legt.
London war vor 150 Jahren auch ohne Flugzeuge laut, die Luftqualität sogar deutlich schlechter.
Das Traditionsunternehmen hat vor 150 Jahren als kleiner Handwerksbetrieb angefangen, ansonsten hätte es nicht im Kaff Öd im Winkel angefangen, damals war es deutlich schwieriger als heute sperrige und schwere Güter von A nach B zu transportieren.
Zitat von Florian im Beitrag #140Will sagen: Eine Volkswirtschaft kann auch dadurch behindert werden, dass viel Vermögen in den Händen von Erben konzentriert ist, denen es persönlich einfach so gut geht, dass Ihnen eine Entwicklung oder eine positive Rendite auf dieses Vermögen nicht sehr wichtig ist.
Trifft das nicht auch dann zu, wenn jemand sich genau wie von Ihnen beschrieben verhält, nachdem er sich sein Vermögen erarbeitet hat?
Ich sehe keinen Grund, einen Erben anders als denjenigen zu behandeln, der den Besitz ursprünglich erwirtschaftet hat. Jedenfalls keinen, den ich liberal nennen würde.
Ja, natürlich.
Und nur zur Klarstellung: Auch ich will aus offensichtlichen Gründen keine Vermögenssteuer oder höhere Erbschaftsteuer.
Vielleicht aber noch einmal neu und klarer:
Es gibt m.E. zwei starke Argumente gegen Substanz- und Erbschaftssteuern: a) das liberale Argument (sozusagen vom Individuum aus argumentiert): Steuern sind da immer problematisch. Und Substanzsteuern ganz besonders. b) das volkswirtschaftliche Argument: Steuern haben eben immer auch einen Lenkungseffekt. Und der Lenkungseffekt einer hohen Erbschaftsteuer führt dazu, dass Menschen weniger langfristig denken und investieren. (in etwa so: "Warum soll ich als 55-jähriger noch Geld und viel Arbeitskraft in meine Firma investieren? In 10 Jahren höre ich ohnehin auf, mein Sohn wird die Firma aufgrund der Steuerlast kaum übernehmen können und die Investition wird sich daher nie so recht amortisieren. Also genieße ich doch lieber jetzt das Leben").
Beide Argumente sind valide. Allerdings gibt es für (b) eben auch ein Gegenargument, dass man schon im Hinterkopf haben sollte: Ein großes Privatvermögen führt dazu, dass man wirtschaftlichen Zwängen nicht mehr unterworfen ist. Im Sinne von (a) ist das ja sogar ein Pluspunkt: das freie, nicht von anderen abhängige Individuum ist ja ein absolut positives liberales Bild. Im Sinne von (b) ist es aber nicht ganz unproblematisch. Denn volkswirtschaftlich hat man dann eine weniger vollständige Ausnutzung der vorhandenen Ressourcen. Einerseits der Ressource Arbeitskraft, wenn ein Vermögensbesitzer es sich einfach gut gehen lässt. Andererseits aber auch des Kapitalstocks, weil der Vermögensbesitzer eine möglichst effiziente Nutzung seines Kapitals gar nicht mehr nötig hat, wenn sein Vermögen nur ausreichend groß ist. Und zu guter Letzt auch eine Verlagerung der politischen Präferenzen weg von wirtschaftlichen Überlegungen. (Gut zu beobachten z.B. bei einigen der Gemeinden am Starnberger See: Projekte für die wirtschaftliche Zukunft - etwa neue Gewerbegebiete, neue Straßen, etc. - werden dort mit Inbrunst blockiert. Und zwar von den häufig sehr wohlhabenden "bürgerlichen" Einwohnern, denen es einfach so gut geht, dass ihnen ihr persönliches Idyll wichtiger ist als die wirtschaftliche Entwicklung der Gemeinde. Natürlich ist so eine Prioritätensetzung zulässig. Aber es ist halt ein Beispiel dafür, dass die Tatsache, dass es jemandem wirtschaftlich sehr gut geht dazu führen kann, dass er eine weitere positive wirtschaftliche Entwicklung des Gemeinwesens nicht für wichtig hält).
Nach meinem subjektiven Eindruck gibt es solche volkswirtschaftlich retardierenden Effekte übrigens tatsächlich eher nicht in der "Aufbau-Generation". Jemand der selbst unernehmerisch tätig ist, hat i.d.R. schon ein Gespür dafür, welchen Faktoren für seinen Erfolg wichtig waren und ist i.d.R. auch bereit, diese Faktoren für die Gesellschaft als Ganzes zu erhalten. Bei der Erben-Generation ist dieses Verständnis (nach meinem subjektiven Eindruck) schon deutlich weniger ausgeprägt. Ähnlich ggf. auch bei den Ehepartnern. Der Klassiker ist ja der FDP- oder Union-wählende Unternehmer mit einer Grün-wählenden Ehefrau. Natürlich ist ihr Wahlverhalten (und auch ihre Einstellung zu z.B. Energiewende, Infrastruktur-Investitionen, etc.) entgegen ihrer eigentlichen wirtschaftlichen Interessen. Aber es geht ihr eben gut genug, sich eine gewisse Schädigung dieser Interessen leisten zu können.
Die Lösung für dieses Problem sollte nun in der Tat NICHT sein, die Erbschaftsteuern zu erhöhen. Denn die dahinter liegende Pathologie wird bei einer 10%-igen oder 20%-igen Erbschaftssteuer ja nicht gemindert, eher sogar im Gegenteil. (Sie erhöht ja sogar die Gefahr, dass der Erbe das Unternehmen einfach liquidiert. Was eine volkswirtschaftlich progressive Denkweise ja auch nicht gerade befeuert).
Wenn man eine Lösung will, dann liegt sie eher bei den betroffenen Personen selbst, die schon ein Bewusstsein dafür haben sollten, dass ihr Vermögen auch Verantwortung bedeutet. (Und zwar nicht in diesem platten sozialistischen Sinn, nachdem das Vermögen z.T. für die Allgemeinheit konfisziert werden sollte. Sondern in dem Sinn, dass ein wirtschaftlich effizienter Einsatz dieses Vermögens auch der Volkswirtschaft als ganzes zu Gute kommt).
Zitat von xanopos im Beitrag #143 Das Traditionsunternehmen hat vor 150 Jahren als kleiner Handwerksbetrieb angefangen, ansonsten hätte es nicht im Kaff Öd im Winkel angefangen, damals war es deutlich schwieriger als heute sperrige und schwere Güter von A nach B zu transportieren.
Das ist zwar richtig, ändert aber nix an der eigentlichen Aussage: Der Grund warum das Unternehmen immernoch im Siegerland ist, ist seine Tradition und sein Bekenntnis zum heimischen Standort. Und der Standort ist ja nicht ungeeignet, die Produktionsgebäude sind dort, die qualifizierten Mitarbeiter sind dort. Und vor gar nicht so vielen Jahren war der Transport kein Problem. Nur lässt man eben in den letzten Jahren zunehmend die Brückenwartung unter den Tisch fallen und das wird zum Problem. Oder simpel gesagt: Die Infrastruktur, die ja hier so gelobt wurde, verfällt. Und als Folge verschlechtern sich die Produktionsbedingungen.
Zitat von Llarian im Beitrag #40Sowohl bei Aluminium wie auch bei Kupfer ist pro Tonne noch deutlich mehr Energie notwendig, denn beide werden entweder elektrolytisch gewonnen oder gereingt. Deswegen gab es früher Aluminiumhütten eigentlich auch nur in direkter Nachbarschaft zu Kraftwerken ...
... wie z.B. in Grevenbroich, direkt neben den Braunkohlekraftwerken des Tagebaus Garzweiler.
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