Zitat von Fluminist im Beitrag #77
Sonst geht, wenn z.B. Poroschenko die Lage irgendwann einmal zu heiß wird und er sich nach dem Vorbild seines Vorgängers ins Ausland absetzt, das Improvisieren wieder von vorne los?
Die kontinuierliche Geltung der Verfassung, gerade in einer Krisensituation, darf doch nicht vom guten Willen und verantwortungsbewußten Charakter des Präsidenten abhängen.
Stimmt, viele Verfassungen hoffen aber trotzdem darauf. Wenn es kracht werden die Verfassungen aber häufig auch nicht geändert. Das hat mehrere Gründe:
a) In solche Situationen ist häufig die politische Landschaft gespalten. Nicht die beste Vorrausetzung für eine formelle Verfassungsänderung in grundlegenden Dingen.
Teilweise kommt es aber zu Verfassungsänderungen, nur ausgerechnet in dem ungeklärten Punkt nicht, der zur Verfassungskrise führte.
Der Grund hierfür ist vermutlich
b) eine Verfassungpräzisierung könnte propagandistisch ausgeschlachtet werden, um zu behaupten die Verfassungsänderer sähen ihre vorherigen Handlungen selber als Verfassungsbruch, sonst bräuchten sie die Verfassung ja nicht zu ändern. Auf jeden Fall wäre es tatsächlich ein politisch ausschlachtbares Eingeständnis, dass die Lage vorher zumindest nicht klar war und man mehrere Positionen glaubwürdig begründen kann.
Ich denke b) erklärt einiges.
Es erklärt warum hier keine entsprechende Fluchtklausel eingeführt wurde (zum Beispiel in der Art, das bei Verlassen des Landes oder nicht Erscheinens vor dem Palament trotz Vorladung und obwohl kein amtärtztlich bestätigte Krankheit vorliegt, das Präsidentenamt verlustig geht).
Anderes Beispiel, mit etwas anderer Ausgangslage, denn eigentlich war das Verfassungrecht hier sogar klar, wenn man sich logisch an allgemeine Prinzipien orientiert hätte, die gelten, bis sie nicht von einer explizit abweichenden Regel überschrieben werden (
lex specialis derogat legi generali):
Punkt b) erklärt auch, warum in die honduranische Verfassung noch immer kein formelles Amtsenthebungsverfahren eingefügt wurde. Man belässt es dort immer noch dabei, dass der Präsident unter bestimmten Umständen kraft Verfassung sein Amt verliert. Doch wer entscheidet ob diese Umstände eingetreten sind? Explizit steht das nicht in der honduranischen Verfassung. Gut, eigentlich ist es klar, es handelt sich um eine (verfassungs)rechtliche Feststellung und Rechtauslegung, also die rechtssprechende Gewalt und abschließend der oberste Gerichtshof von Honduras. Dies gilt zumindest solange, wie die Verfassung nicht ausdrücklich etwas anderes sagt, denn der rechtssprechenden Gewalt wurde nun einmal die Auslegung der Gesetze und die Schlichtung von Rechtsstreitigkeiten anvertraut. Aber wie man sah, konnte selbst das medianwirksam von einer ausreichend einflussreichen politischen Gruppe (den Sozialisten des 21. Jahrhunderts) effektiv in der öffentlichen Meinung der Welt streitig gemacht werden. Einfach weil es nicht noch einmal explizit betont wurde. Man kann sich offensichtlich in politischen Streitigkeiten nicht darauf verlassen, dass sich Logik durchsetzen möge oder in einer öffentlichen Propagandaschlacht die Multiplikatoren in neuen und alten Medien sich für Logik interessieren würden. Man muss es schon in unmissverständlichen (Verfassungs-)Worten unter die Nase reiben können.
Edit: Spezifizierung.