Zitat von Doeding im Beitrag #25Die ganze Puschel des Internationalismus (one world usw.) ist für mich ein Ausfluß bzw. Wiedergänger des Sozialismus/Kommunismus (die bekanntlich keinen Deut weniger bzw. deutlich stärker kriegerisch und brutal waren). Nur diese Ideologien waren/sind international orientiert (und das bildet den einzigen wesentlichen Unterschied zum Nationalsozialismus, der eben einen nationalen Sozialismus wollte. Ansonsten derselbe Etatismus, Verstaatlichungen und planwirtschaftliche Strukturen spätestens mit Kriegsbeginn. Imperialistisch waren sie alle, und das Gegenmittel ist mMn ein starker (und liberaler, rechtsstaatlich organisierter) Nationalstaat. Hier ist mMn Llarian im Beitrag #16 absolut zuzustimmen.
Ich glaube, hier muss man zwischen theoretischem und Realsozialismus unterscheiden. Der Realsozialismus war praktisch seit der Revolution, spätestens aber mit der Ermordung Trotzkis eine nationalistische Veranstaltung. Was als internationale Verbrüderung nur notdürftig maskiert wurde, war de facto der Führungsanspruch der sowjetrussischen Nation innerhalb der sozialistischen Welt und der Moskaus innerhalb der Sowjetunion. Putin baut nahtlos darauf auf.
Auch diejenigen, die sich Moskau entzogen haben (Rumänien, Jugoslawien, Albanien) waren nationalistisch unterwegs.
Die einzigen, die danach noch an das internationale Proletariat geglaubt haben, waren die theoretischen Sozialisten in den westlichen Ländern, die nie in die Verlegenheit einer Regierungsverantwortung gekommen sind.
Zitat von Doeding im Beitrag #25Der heutige linke Internationalismus hat z. B. die Idee der europäischen Einigung längst gekapert. Eurobonds, Verantwortungsdiffusion und zentralistische Gängelung aus Brüssel dokumentieren das eindrucksvoll. Eine erweiterte Freihandelszone (wie sie den Engländern, glaube ich, immer vorgeschwebt hat), hätte vermutlich sehr viel besser funktioniert.
Ich glaube, dass das, was heute in Europa passiert, eher ein Postnationalismus als ein Internationalismus sozialistischer Prägung ist. Denn die Tendenzen, die Du beschreibst, gehen ja nicht nur von Sozialisten aus, sondern von Politikern jeglicher Couleur, die die Geschicke Europas am besten in den Händen einer überstaatlichen Funktionärselite verortet sehen.
Und mit einer Feststellung, die das ganze Elend deutscher Demokratie offenbart:
Zitat Denn es verbreitet sich ja in der Tat so etwas wie ein Lagerkoller – eine Gesprächskultur, in der man nicht mehr nach der Wahrheit eines Satzes fragt, sondern vor allem danach, in welches Lager dieser Satz den Autor bringt.
-- Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau, verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau. (Reinhard Mey)
Peter Schneider ist (ebenso wie Monika Maron, die ihn laut Text begleitet hat) ein kluger Kopf, der sich wohl auch noch daran erinnert, dass er zu seinen 68er-Zeiten vergleichsweise viel extremeres Zeug gebrüllt hat, und trotzdem nicht viel passiert ist.
Zitat von Werwohlf im Beitrag #28Und mit einer Feststellung, die das ganze Elend deutscher Demokratie offenbart:
Zitat Denn es verbreitet sich ja in der Tat so etwas wie ein Lagerkoller – eine Gesprächskultur, in der man nicht mehr nach der Wahrheit eines Satzes fragt, sondern vor allem danach, in welches Lager dieser Satz den Autor bringt.
Das ist in der Tat sehr treffend. Wir haben ja neben der drei Gewalten Executive, Judicative und Legislative noch eine vierte Gewalt, die Adjektive. "Dumpf", "neoliberal", "nationalistisch", "rassistisch" usw. Diese Adjektive werden als Begründungen benutzt, sagen in Wahrheit aber gerade nicht, was nun an einem inkriminierten Satz dumpf, rassistisch oder sonstwas ist.
Und mit einer Feststellung, die das ganze Elend deutscher Demokratie offenbart:
Zitat Denn es verbreitet sich ja in der Tat so etwas wie ein Lagerkoller – eine Gesprächskultur, in der man nicht mehr nach der Wahrheit eines Satzes fragt, sondern vor allem danach, in welches Lager dieser Satz den Autor bringt.
q.e.d.:
Zitat von AugsteinMonika Maron hilft der @welt, bei PEGIDA und AfD Leser zu werben. Viel Glück damit! Jeder, wo er hingehört … http://bit.ly/1fAyrF4
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Ich glaube, ein ganz banaler Faktor wurde noch nicht gebührend gewürdigt, nämlich der Eigennutz und die Bequemlichkeit.
Es gibt gewiss linke Politiker, die jede Art von Einwanderung schon aus ideologischen Gründen wollen. Verkürzt würde ich sagen, sie wollen ein anderes Land, egal wie. Das sind aber vermutlich nicht die meisten, jedenfalls nicht in der CDU. Die meisten Politiker wollen ganz einfach überhaupt nicht über Einwanderung als Problem reden. Die ziemlich anmaßende Aussage, Einwanderung sei „kein Thema für den Wahlkampf“ habe ich schon in den 90er Jahren mehrfach gehört.
Es scheint mir logisch, das dies an der gewachsenen Bedeutung von Wählern mit Migrationshintergrund liegt, von denen ein wesentlicher Teil türkische und muslimische Wurzel hat.
Die Bundestagswahl 2002 wäre z.B. anders ausgegangen, wenn die „Deutsch-Türken“ so gewählt hätte wie der Rest der Bevölkerung. Da sie aber überproportional rot und grün wählten, blieb Schröder Kanzler. Das war ja auch ihr gutes Recht. Es wäre nur naiv zu glauben, dass Politikprofis daraus keine Konsequenzen ziehen.
Ich bin kein Sozialforscher und kenne auch keinen, aber mein Eindruck ist, dass die deutsche Demokratie einen Punkt erreicht hat, an dem Wählerverhalten kaum noch mit Faktoren wie Bildung oder Einkommen zu erklären ist. Die Wählerschaft ist in den letzten 30 Jahren heterogener, zersplitterter und somit als Zielgruppe schwerer greifbar geworden. Wenn in dieser Phase plötzlich eine demographisch identifizierbare Gruppe von Wählern als mehr oder weniger monolithischer Block gesehen wird, ist es nur natürlich, dass auf diesen Block weit überproportional Rücksicht genommen wird.
Bei einer ernsthaften Einwanderungsdiskussion könnte das Land gewinnen, aber für die Politik ist es ein Minenfeld. Eine vernünftige Einwanderungspolitik wäre nicht nur liberal sondern vor allem selektiv. Ein unbequemes Thema. Wer hier klare Positionen bezieht, kann sich nur schaden, was so ganz gegen Merkels wichtigste Grundüberzeugung verstösst: dass sie Kanzlerin bleiben muss. Da ist es vergleichsweise einfach, über die Motive von Demonstranten herzuziehen. In diesem Licht sind die Tiraden gegen Pegida ein Versuch das Thema zu wechseln, nach dem Motto "Wir sind nicht das Problem, Ihr seid das Problem." Hat schon auf dem Pausenhof funktioniert.
Demnach wäre eine Folge einer verfehlten Einwanderungspolitik - wenn sie diesen Namen überhaupt verdient - dass man nicht mehr über die Steuerung von Einwanderung reden kann. Selbst die Durchsetzung von bestehenden Gesetzen wird zur Kontroverse. In den USA scheint es hinsichtlich der Bevölkerung lateinamerikanischer Herkunft eine ähnliche Situation zu geben.
Ich sehe auch die Überreaktion auf Sarrazin in diesem Licht. Merkels Aussage, das Buch sei „nicht hilfreich“ nehme ich ganz wörtlich. Sarrazin war schlecht fürs Geschäft. Etwa wie ein Topmanager, der öffentlich über die Gefährlichkeit der eigenen Produkte redet. In der Branche sieht man so jemanden eben nicht als tapferen Whistleblower, sondern als Verräter. Wenn er recht hat - umso schlimmer.
Zitat von Meister Petz im Beitrag #29 Peter Schneider ist (ebenso wie Monika Maron, die ihn laut Text begleitet hat) ein kluger Kopf, der sich wohl auch noch daran erinnert, dass er zu seinen 68er-Zeiten vergleichsweise viel extremeres Zeug gebrüllt hat, und trotzdem nicht viel passiert ist.
Gruß Petz
Wie bitte? Nicht viel passiert? Die 68er und deren Geist regieren uns, was u.a zu "Zettels kleines Zimmer" und Pegida als (AP)Opposition zu geführt hat.
Und mit einer Feststellung, die das ganze Elend deutscher Demokratie offenbart:
Zitat Denn es verbreitet sich ja in der Tat so etwas wie ein Lagerkoller eine Gesprächskultur, in der man nicht mehr nach der Wahrheit eines Satzes fragt, sondern vor allem danach, in welches Lager dieser Satz den Autor bringt.
q.e.d.:
Zitat von AugsteinMonika Maron hilft der @welt, bei PEGIDA und AfD Leser zu werben. Viel Glück damit! Jeder, wo er hingehört http://bit.ly/1fAyrF4
Zitat von WFI im Beitrag #33Wer hier klare Positionen bezieht, kann sich nur schaden, was so ganz gegen Merkels wichtigste Grundüberzeugung verstösst: dass sie Kanzlerin bleiben muss.
Ganz klar das ist Merkels Motivation. Aber die erklärt nicht den Antrieb der Mitbürger von links.
-- Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau, verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau. (Reinhard Mey)
Zitat von HR im Beitrag #34Die 68er und deren Geist regieren uns, was u.a zu "Zettels kleines Zimmer" und Pegida als (AP)Opposition zu geführt hat.
Nein, lieber HR, die 68er regieren uns nicht. Wenn Sie sich mal überlegen, was die 68er damals gefordert haben, was ist denn davon eingetreten? Zettel hat das schön beschrieben: http://zettelsraum.blogspot.de/2009/02/s...tschke-und.html . Überhaupt die ganze Serie ist lesenswert.
Zitat von HR im Beitrag #34Die 68er und deren Geist regieren uns, was u.a zu "Zettels kleines Zimmer" und Pegida als (AP)Opposition zu geführt hat.
Nein, lieber HR, die 68er regieren uns nicht. Wenn Sie sich mal überlegen, was die 68er damals gefordert haben, was ist denn davon eingetreten? Zettel hat das schön beschrieben: http://zettelsraum.blogspot.de/2009/02/s...tschke-und.html . Überhaupt die ganze Serie ist lesenswert.
Zumindest der Geist der 68er regiert uns, lieber Meister Petz.Die Serie von Zettel habe ich gelesen und ich meine, sie bestätigt mich.Das Kapern des Begriffs Atomtod durch die 68er und der daraus hervorgegangenen Öko-Sozialismusbewegung hat leider ziemlich gut funktioniert, finden Sie nicht? Der Wunsch, das deutsche "Latent-Nazi-Volk(Lobo auf Spiegel) zu verdünnen steht ziemlich weit oben auf der Agenda der Grünen und spiegelt astreine 68er Motivation. Uns und die Medien regiert der Geist der 68er und ihrer Abkömmlinge derart, daß keine vernünftigen Überlegungen zur Zu-/Einwanderung öffentlich mehr möglich sind.
Zitat von Doeding im Beitrag #25Ich bin der Meinung, daß sich das Konzept des Nationalstaates alles in allem bewährt hat (ja, trotz Kriege, Kolonialismus usw.).
Oh Grusel. Der Nationalstaat (in moderner Prägung à la französische Revolution) ist für mich eine katastrophale Erfindung gewesen, die zu den gemischten nationalen Verhältnissen gerade in Europa gepaßt hat wie der Vorschlaghammer zum Katzenstreicheln. Diese ideologische Mißgeburt hat unglaubliches Leid hervorgebracht und steht damit fast auf ähnlicher Stufe wie das ebenfalls kollektivistische Konzept "Sozialismus".
Zitat Die ganze Puschel des Internationalismus (one world usw.) ist ...
... ist realitätsferner Unsinn, spielt aber auch keine große Rolle. Der Internationalismus ist auch nicht die wesentliche Gegenposition zum Nationalstaat.
Ja, sehr erholsam, lieber Kallias. Danke für die Lnks.
Ein paar einfache Fragen zum Thema stellt auch Gideon Böss
Die gaaaaanz einfachen Fragen, um nicht zu sagen Kinderfragen, sind halt immer die besten, wenngleich nicht immer leicht zu beantworten, wie Eltern wissen.
Aber vielleicht ist es auch angezeigt, mal nachzugucken, welche therapeutischen Maßnahmen sich bei Hyperventilation empfehlen.
Bei Wikipedia heißt es dazu:
Zitat Im Vordergrund der Behandlung einer akuten Hyperventilation steht eine Beruhigung des Betroffenen mit der Anleitung zu bewusst langsamer und verminderter Atmung. Wenn dies aufgrund von Angst und Erregung nicht möglich ist, ist eine Rückatmung (in eine Plastik- oder Papiertüte bzw. eine Hyperventilationsmaske oder Sauerstoffmaske bei ausgeschaltetem Sauerstoffzufluss) angezeigt.
Irgend so was müsste sich doch machen lassen, wobei mir Pegidaphobie momentan das akutere Symptom zu sein scheint, was womöglich wiederum die Philie anstachelt, das kennt man. Um jedenfalls so einen Aufregerstatus zu generieren müssen andere teuer Geld für Politikberatung, -marketing, Materialschlachten à la Waschmittelwerbung, Talkshowtraining und, und, und ausgeben und erreichen (im wahrsten Sinne des Wortes) dennoch weniger als die Pegidafritzen für lau. Schon erstaunlich, aber das erklärt womöglich auch die Schnappatmung bei so manch einem.
Zitat von Doeding im Beitrag #25Ich bin der Meinung, daß sich das Konzept des Nationalstaates alles in allem bewährt hat (ja, trotz Kriege, Kolonialismus usw.).
Oh Grusel. Der Nationalstaat (in moderner Prägung à la französische Revolution) ist für mich eine katastrophale Erfindung gewesen, die zu den gemischten nationalen Verhältnissen gerade in Europa gepaßt hat wie der Vorschlaghammer zum Katzenstreicheln. Diese ideologische Mißgeburt hat unglaubliches Leid hervorgebracht und steht damit fast auf ähnlicher Stufe wie das ebenfalls kollektivistische Konzept "Sozialismus".
Dein Ernst? Ich verbinde mit der französischen Revolution zunächst einmal die Grundlage für eine politische Emanzipation des Bürgertums, die wiederum Grundlage für eine wirtschaftliche Emanzipation des Bürgertums (Industrialisierung) gewesen ist. Beides vollzog sich im Kontext relativ stabiler nationalstaatlicher Strukturen und erscheint mir in dem zuvor vorhandenen angreifbaren Flickenteppich Mitteleuropa, zur Zeit des dreissigjährigen Krieges etwa, undenkbar. Und beides führte zu bürgerlichen Freiheitsrechten und letztlich zu beispiellosen Wohlstand. Das hat sich doch nicht trotz nationalstaatlicher Strukturen entwickelt; vielmehr rahmten sie diese Entwicklungen ein. Das Auftauchen eines Bonaparte oder auch eines Hitler markiert für mich eher das Versagen, etwa der Wehrhaftigkeit, von Staaten. Imperialistische Eroberungen gab es jedenfalls schon immer und nicht erst seit es entwickelte Nationalstaaten gibt.
Welche Alternative zum Nationalstaat hat sich denn Deiner Meinung noch schonmal historisch bewährt, ich meine nicht nur in der Theorie? Leicht zu erobernde Kleinstaaten? Eroberte Großreiche vom Typ Alexanders des Großen? Supranational-zentralistische Gebilde wie die Brüsseler EU?
Zitat von Doeding im Beitrag #41Ich verbinde mit der französischen Revolution zunächst einmal die Grundlage für eine politische Emanzipation des Bürgertums, die wiederum Grundlage für eine wirtschaftliche Emanzipation des Bürgertums (Industrialisierung) gewesen ist. Beides vollzog sich im Kontext relativ stabiler nationalstaatlicher Strukturen und erscheint mir in dem zuvor vorhandenen angreifbaren Flickenteppich Mitteleuropa, zur Zeit des dreissigjährigen Krieges etwa, undenkbar. Und beides führte zu bürgerlichen Freiheitsrechten und letztlich zu beispiellosen Wohlstand. Das hat sich doch nicht trotz nationalstaatlicher Strukturen entwickelt; vielmehr rahmten sie diese Entwicklungen ein.
Das Aufkommen von Demokratie lief ja nicht von ungefähr mit der Bildung der Nationalstaaten parallel. Wenn Menschen staatliche Kollektive bilden, tun sie das nun mal eben am liebsten mit Leuten, mit denen sie sich besonders verbunden fühlen - damit sinkt auch das Risiko, dass aus ihrer Sicht absurdeste Regelungen eingeführt werden. Und es gibt im größeren Rahmen kaum etwas Einigenderes als Sprache.
Gut, da gibt es noch die Schweiz als markanteste Ausnahme (allerdings in vielem). Aber schon in den USA, die auch eine andere Geschichte haben, wird ja nicht zuletzt deshalb so sehr mit nationaler Symbolik um sich geworfen, um dieses einigende Band trotz unterschiedlicher Biografien der Bürger herzustellen.
Ich sehe zur Zeit nichts, das an die Stelle von Nationalstaaten treten könnte, so lange die Menschen in ihnen selbst entscheiden dürfen.
-- Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau, verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau. (Reinhard Mey)
Zitat von Werwohlf im Beitrag #42Das Aufkommen von Demokratie lief ja nicht von ungefähr mit der Bildung der Nationalstaaten parallel.
Nein, Athen war kein Nationalstaat.
Zitat von Werwohlf im Beitrag #42Wenn Menschen staatliche Kollektive bilden, tun sie das nun mal eben am liebsten mit Leuten, mit denen sie sich besonders verbunden fühlen - damit sinkt auch das Risiko, dass aus ihrer Sicht absurdeste Regelungen eingeführt werden.
Das ist richtig, aber daraus folgt eben auch, daß ein Nationalstaat schon zu groß und zu inhomogen ist. Wo Zusammenschlüsse auf individueller Ebene initiiert wurden, waren diese Entitäten kleiner als das, was durch gemeinsame Sprache und Kultur möglich wäre. Nationenumfassende Staaten sind historisch eher durch Gewalt entstanden als durch etwas, was mit freiem Entschluß des Volkes gleichgesetzt werden könnte.
Zitat von Werwohlf im Beitrag #42Das Aufkommen von Demokratie lief ja nicht von ungefähr mit der Bildung der Nationalstaaten parallel.
Nein, Athen war kein Nationalstaat.
Der Ausgangspunkt waren ja die Risiken & Nebenwirkungen, die mit dem Nationalstaat verbunden sind. Und da muß sich Athen in keiner Weise hinter den "richtigen" Nationen verstecken. So etwas wie ein zwar nicht "National-" aber identitätspolitisches Gefühl gab es bei den Griechen ja auch: sie selbst zählten zur "Griechheit", der Rest war Barbaren. Da kam dann hinzu, daß Wertschätzung & Reschpekt nur über den Kriegseinsatz zu haben war (weswegen alle Friedensverträge zwischen den poleis grundsätzlich zeitlich befristet waren). Es gibt sogar die These, das die schlechteste mögliche Art, eine offene Feldschlacht ohne Distanzwaffen zu führen, die Phalanx, von den Griechen bewußt über Jahrhunderte festgezurrt worden ist: mit grausigen Verlustraten für die tatsächlichen Kombattanten, aber dafür war die Sache meist nach einem einzigen Treffen eindeutig entschieden & zog sich nicht durch jahrelange Kriegskosten & Aushebungen bis zum Bankrott hin. (Im Peloponnesischen Krieg ist das dann ja eingetreten.) Und zu den aus unserer Perspektive pfuisten Aspekten gehört ja das "Draußenhalten & Ausgrenzen". Da waren die Athener ja ganz groß. Sogar ein bestohlener griechischer Händler, der das Pech hatte, nicht Athener Vollbürger zu sein, konnte vor dem Rat der 500 nur Klage einlegen, wenn das ein Bürge stellvertretend für ihn tat. Und natürlich hat die Beschränkung auf den Stadtstaatstatus Athen nicht gehindert, desaströse Macht- & Kriegspolitik zu führen (dasselbe gilt ja, 1600+ Jahre später, für Venedig, Florenz & Co.).
Jacob Burckhardt, Weltgeschichtliche BetrachtungenDie Zeit des Perikles in Athen war vollends ein Zustand, dessen Mitleben sich jeder ruhige und besonnene Bürger unserer Tage verbitten würde, in welchem er sich todesunglücklich fühlen müßte, selbst wenn er nicht zu der Mehrzahl der Sklaven und nicht zu den Bürgern einer Stadt der attischen Hegemonie, sondern zu den Freien und zu den athenischen Vollbürgern gehörte. Enorme Brandschatzung des Einzelnen durch den Staat und beständige Inquisition in betreff der Erfüllung der Pflichten gegen denselben durch Demagogen und Sykophanten waren an der Tagesordnung.
Plus ça change... Vielleicht läßt sich festhalten, daß demokratische Ansätze, wo sie historisch aufkommen, als Abwehrmaßnahmen gegen autokratisches Durchregieren des Großen Zampanos gedacht sind: in England als Schutz des Adels gegen die Krone; in Island gegen Herrschaft überhaupt.
Welche Alternative zum Nationalstaat hat sich denn Deiner Meinung noch schonmal historisch bewährt, ich meine nicht nur in der Theorie? Leicht zu erobernde Kleinstaaten? Eroberte Großreiche vom Typ Alexanders des Großen? Supranational-zentralistische Gebilde wie die Brüsseler EU?
Der Artikel lohnt sich wirklich. Zum einen inhaltlich. Aber auch, weil er sehr gut geschrieben ist. (Und wann wurde schon einmal Monthy Python und der Apostel Paulus in einem Artikel für das gleiche Argument zitiert?)
Man muss dem Artikel nicht zustimmen. Aber zumindest beantwortet er Ihre Frage nach einer historisch bewährten Alternative zum Nationalstaat.
Zitat von Emulgator im Beitrag #43Nein, Athen war kein Nationalstaat.
Ob man dort von einer "Demokratie" in unserem Sinn sprechen kann, ist allerdings fraglich. Doch nicht fraglich ist, dass Athen wohl kaum für "Aufkommen von Demokratie" stehen kann, denn die waren damals ja wohl ein Solitär.
Zitat von Emulgator im Beitrag #43Das ist richtig, aber daraus folgt eben auch, daß ein Nationalstaat schon zu groß und zu inhomogen ist. Wo Zusammenschlüsse auf individueller Ebene initiiert wurden, waren diese Entitäten kleiner als das, was durch gemeinsame Sprache und Kultur möglich wäre. Nationenumfassende Staaten sind historisch eher durch Gewalt entstanden als durch etwas, was mit freiem Entschluß des Volkes gleichgesetzt werden könnte.
"Zu groß und zu inhomogen" durch wessen objektiven Beschluss? Das Empfinden der Bevölkerungen trifft es wohl eher nicht. Und nicht nur Nationalstaaten, auch andere Staaten pflegten sich in der Regel mit Hilfe von Gewalt zu gründen - einfach, weil da meist schon vorher ein Staat war, der nicht von der Bühne abtreten wollte. Selbst die nicht-deutschsprachigen Gebiete der Schweiz sind ja praktisch Eroberungen.
Das ist heute allerdings kaum noch in Mode, und wenn, dann eher bei Imperien, die sich auf andere als rein nationale Legitimation stützen und deren Demokratiegrad eher nicht so doll abschneidet. Stehen wir heute also vor der Frage, wie sinnvoll Nationalstaaten sind, so wäre die sofort zu stellende Gegenfrage, wo denn jemand überhaupt etwas anderes will. Und da, wo dies klar ist, geht es eher in Richtung "noch größer" und "noch inhomogener".
-- Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau, verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau. (Reinhard Mey)
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #44Plus ça change... Vielleicht läßt sich festhalten, daß demokratische Ansätze, wo sie historisch aufkommen, als Abwehrmaßnahmen gegen autokratisches Durchregieren des Großen Zampanos gedacht sind: in England als Schutz des Adels gegen die Krone; in Island gegen Herrschaft überhaupt.
Ich würde sogar soweit gehen, dass ich die Römische Republik (Gott habe sie selig) in diese Reihe aufnähme: zuerst eine Oligarchie, die sich aus Abwehrmaßnahme gegen den König/Rex entwickelte, hat sich in Rom sehr schnell eine der Zeit entsprechende Demokratie entwickelt - als Abwehrmaßnahme gegen das "Durchregieren" der Oligarchen des Senats. In keiner Weise mit der von uns gewohnten repräsentativen, parlamentarischen Demokratie vergleichbar - aber nichts desto trotz eine Demokratie - und sogar mit Inklusionsmaßnahmen (Freigelassene waren Römer, und ihre Kinder hatten volles römisches Bürgerrecht). Unter Sulla/Marius (Bürgerrecht für italische Verbündete Städte) wurde die Demokratie erweitert und unter CIC (Caius Iulius Caesar) wurde sogar eine noch größere Reform versucht, die noch mehr Inklusionsmaßnahmen (nämlich Bürgerrechte für halb Gallien) - an der die Demokratie in Rom leider letztlich durch den Widerstand konservativer Kreise nach 2 Bürgerkriegen zerbrochen wurde, da Cn Pompeius Magnus als von diesen favorisierter Champion gegen die kampfgestählten Legionen des Iuliers nicht ankam und nach der Ermordung des Dictators auf Lebenszeit (ein Amt, welches die Republik in Ausnahmefällen vorsah, quasi ein Consul ohne Kollegen) auch wieder auf die falschen gesetzt wurde - erst Brutus und nach der Niederschlagung dann der Ziehsohn des Iuliers, Caius Octavianus Augustus, ein charismatisches Genie, welches die Senatoren mit klangvollem Namen "Restitutio rei publica" eine 'Große Transformation' in die Monarchie verkaufte.
Zitat von Werwohlf im Beitrag #46 Das ist heute allerdings kaum noch in Mode, und wenn, dann eher bei Imperien, die sich auf andere als rein nationale Legitimation stützen und deren Demokratiegrad eher nicht so doll abschneidet. Stehen wir heute also vor der Frage, wie sinnvoll Nationalstaaten sind, so wäre die sofort zu stellende Gegenfrage, wo denn jemand überhaupt etwas anderes will. Und da, wo dies klar ist, geht es eher in Richtung "noch größer" und "noch inhomogener".
Jap, sehe ich genauso. Wenn man sich irgendwelche Unabhängigkeitsbewegungen irgendwo in der Welt anschaut, dann streben die letztlich immer einen Nationalstaat an und nicht etwa, teilautonomer Satellit eines Hegemons zu werden. Dennoch benennen Sie natürlich ein Dilemma, auf das R.A. (nach einigem nachdenken meinerseits) nicht zu Unrecht hinweist und auf den der verlinkte Text von Florian oben (danke dafür!) ebenfalls hinweist: Staatsgründungen sind oft gewaltsame Subsumierungen eher heterogener Gruppen. Das kann dann am Ende gelingen (Sie, lieber Werwohlf, erwähnten die Schweiz) oder auch nicht so richtig (z. B. Spanien/Baskenland) oder gar nicht (Jugoslawien). Dieses Dilemma ist vermutlich nicht wirklich auflösbar. Dennoch bleibt m.E. die Frage nach einer realistischen (und von den Menschen mehrheitlich gewünschten) Alternative zum (rechtsstaatlich organisierten) Nationalstaat unbeantwortet. Ich sehe momentan keine.
Alan Posener (Link in #45 von Florian) spricht vom Wir-Gefühl auch über ethnische oder religiöse oder geographische Befindlichkeiten hinweg. Das scheint mir ein wichtiger Punkt zu sein. So was drückt sich auch in Empathie aus. Wenn ein Boot mit Flüchtlingen im Mittelmeer absäuft, bewegt uns das, ist es ein Kreuzfahrschiff im selben Meer, füllt das monatelang die Schlagzeilen, inklusive Liveschaltungen aller TV-Sender. Geht in Boston bei einer Veranstaltung eine Bombe hoch, wird das »mitgefühlt«, eine andere Bombe irgendwo in Afrika ruft ebenfalls Bedauern hervor, ist aber nach kurzer Zeit nicht mehr so wichtig.
Menschen assoziieren und dissozieren sich, nach den verschiedensten Kriterien. Landsmannschaften, Religion, Beruf, bis hin zu Familie oder Sippe. Die Frage ist doch, wo ist die Grenze der Akzeptanz von Ordnungen und die Solidarität zueinander. Beides gehört zusammen und kann auch nicht durch irgendwelche theoretische Werte, wie etwa ein internationaler Liberalismus, ersetzt werden. So etwas kann nur ein Teilbereich bleiben, ein Wert von vielen, auf dem aber keine Gemeinschaft aufgebaut werden kann.
Der Nationalstaat ist, meines Erachtens, das größte Gebilde in dem gleichzeitig Ordnung und Solidarität zu- und miteinander hergestellt werden kann. Das bedeutet natürlich nicht, dass nicht einzelne Punkte an internationale Institutionen abgetreten werden können. Freihandel, Internationaler Gerichtshof etc.
Zitat Ich verbinde mit der französischen Revolution zunächst einmal die Grundlage für eine politische Emanzipation des Bürgertums, die wiederum Grundlage für eine wirtschaftliche Emanzipation des Bürgertums (Industrialisierung) gewesen ist.
Das gilt eingeschränkt für Frankreich selber, weil der Feudalismus dort besonders antiquiert war. Und natürlich gab es einige Reformpunkte, die per "Code Napoleon" o.ä. auch in Nachbarstaaten gewirkt haben - aber nicht umbedingt sehr entscheidend. Es ist aber falsch für die allgemeine Entwicklung: In den Niederlanden und in GB gab es diese Emanzipation schon vor der Revolution, auch die Industrialisierung war dort ja schon im Gange. Die Engländer haben die Revolution auch deshalb so erbittert bekämpft, weil sie das bessere und modernere Modell schon im Lande hatten.
Zitat Beides vollzog sich im Kontext relativ stabiler nationalstaatlicher Strukturen
Überhaupt nicht. Die Etablierung dieser nationalstaatlicher Strukturen war ein langer und blutiger Prozeß (die halbe französische Revolution bestand aus heftigen innerfranzösischen Bürgerkriegen), gelang auch nur teilweise und hat die übrige Entwicklung eher behindert.
Zitat und erscheint mir in dem zuvor vorhandenen angreifbaren Flickenteppich Mitteleuropa
So schlimm war der "Flickenteppich" nicht. Hinderlich für die Entwicklung waren im wesentlichen nur die Binnenzölle - ansonsten gab es ja ein gemeinsames Rechtssystem, für die gebildeten Schichten auch weitgehende Freizügigkeit und gerade durch die politische Vielgestalt eine Art Wettbewerb mit positiven Folgen.
Zitat Das hat sich doch nicht trotz nationalstaatlicher Strukturen entwickelt
Doch! Ohne die gleichzeitige gewaltsame Durchsetzung des Nationalstaatsprinzips wäre die übrige Entwicklung deutlich leichter gefallen.
Zitat Imperialistische Eroberungen gab es jedenfalls schon immer und nicht erst seit es entwickelte Nationalstaaten gibt.
Richtig. Aber die Wirkung einer solchen Eroberung war meist mäßig belastend. Während die Gleichschaltung neu eroberter Gebiete im Zeichen des Nationalstaats heftige Folgen für die Eroberten hatten.
Zitat Welche Alternative zum Nationalstaat hat sich denn Deiner Meinung noch schonmal historisch bewährt ...
Ganz einfach: Der "normale" Staat ohne die Nationalidee. D.h. eine historisch gewachsene regionale Struktur (oft als Folge dynastischer Politik, aber nicht immer). Sehr oft mit einem sprachlich dominierenden Volk, aber ohne die fixe Idee, daß es keine Minderheiten mehr geben dürfe. Das kann ein Imperium sein, wie im von Florian verlinkten Posener-Beitrag beschrieben, kann aber auch ein kleines Königreich oder eine Republik sein.
Das Prinzip des "Nationalstaats" besagt ja, daß jedes Volk seinen eigenen Staat haben solle, daß dann alle Angehörigen dieses Volks in diesem Staat leben sollten und umgekehrt keine Angehörige fremder Völker mehr in diesem Staat leben dürfen. Eine angesichts der normalen Siedlungsstruktur gerade in Europa völlig aberwitzige und realitätsfremde Idee - der geistige Vorläufer sozialistischer Gleichschaltung.
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