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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 84 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
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Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 13.554

03.08.2015 16:09
#76 RE: Die Dicke singt nicht Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #75
der Future Shock von Alvin Toffler, der schon Mitte der 60er soziologisch den Boden bereitet hat.


Stimmt. Toffler hat das von der Schiene her aufgezogen; allerdings ziemlich zeitgleich mit dem Club of Rome: 1970. Die Keimzelle war ein kleiner Aufsatz, den er Ende 1965 im Magazin "Holiday" veröffentlicht hat (das hört sich kraus an, weil das, wie der Name sagt, eher auf Hoteltips an der Côte geeicht war; aber die hatten auch so etwas wie eine Feuilletonecke & der Redakteur war ein gelegentlicher SF-Autor, Alfred Bester; von daher die Peilung ins Morgige); für den hat er dann einen Buchvertrag an Land gezogen. Toffler steht da am Schwanzende einer US-soziologischen Tradition, die diese "Einsamkeit im Betondschungel" in den Fokus nimmt & die ganze Malaise der Moderne von daher ableitet. Das fängt so etwa bei Talcott Parsons an. Lewis Mumford hat ganze Bücher lang in dieser Tonart musiziert:

Zitat von The Culture of Cities (1938)
"This metropolitan world, then, is a world where flesh and blood is less real than paper and ink and celluloid. It is a world where the great masses of people, unable to have direct contact with more satisfying means of living, take life vicariously, as readers, spectators, passive observers: a world where people watch shadow-heroes and heroines in order to forget their own clumsiness or coldness in love, where they behold brutal men crushing out life in a strike riot, a wrestling ring or a military assault, while they lack the nerve even to resist the petty tyranny of their immediate boss: where they hysterically cheer the flag of their political state, and in their neighborhood, their trades union, their church, fail to perform the most elementary duties of citizenship.

Living thus, year in and year out, at second hand, remote from the nature that is outside them and no less remote from the nature within, handicapped as lovers and as parents by the routine of the metropolis and by the constant specter of insecurity and death that hovers over its bold towers and shadowed streets - living thus the mass of inhabitants remain in a state bordering on the pathological. They become victims of phantasms, fears, obsessions, which bind them to ancestral patterns of behavior.”



(Jetzt wissen wir endlich, wer die verschollenen Expressionisten mit ihrem "o Mensch"-Pathos beerbt hat.) Der locus classicus in der Soziologie ist David Reismans "The Lonely Crowd" von 1950. Für die Beat-Generation, Ginsbergs Gehäul oder Ferlinghettis "Coney Island of the Mind" ist das die Grundierung. Und für manche Cineasterixe der Zeit, die damit rechtfertigen konnten, warum sie alle die finstren Krimis des film noir reinzogen. Über Horkheimer & Marcuse hat das dann die Frankfurter Schule eingefärbt. Die klassische Bildfindung für diese Befindlichkeit ist übrigens nicht Hoppers "Nighthawks", sondern George Tookers "Subway".

Von "Future Shock" gibts übrigens eine Fernsehumsetzung von 1972, mit Orson Welles als anchorman (in doppeltem Sinn ), ziemlich zum Piepen & für Archäologen von futuristischem Tingeltangel eine hübsche Entschuldigung zum Fremdschämen.



Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 13.554

03.08.2015 21:11
#77 RE: Die Dicke singt nicht Antworten

Völlig OT. RE: Kulturschock. (Fällt irgendwie ganz von fern unter "Kulturpessimismus"...)

Vor 2 Stunden am Münsterschen Prinzipalmarkt, in Rufweite des Rathauses.
Ein weiträumig überdachtes Holzpodium, als sollte ein Square Dance abgehalten werden. Darauf ein Mensch mit übersteuertem Mikrophon, im 1:1 immer-denselben-Ton Merkelscher Diktion:
"brummelrausch...Widerstand...rhabarber...Polizisten...rumpel...und trotz all dem sind wir davon überzeugt, daß das Ziel eine internationale Revolution ist."

Frage an die Experten: steht das jetzt als bedrohte Art auf einer roten Liste oder fällt das unter Landplage? Hängt wahrscheinlich vom Ort ab.



Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

30.11.2015 14:57
#78 RE: Die Dicke singt nicht Antworten

Den ganzen Beitrag hätte ich auch gleich auf das Zitat von Dàvila reduzieren können:
“Die wirklichen Probleme haben keine Lösung, sondern Geschichte.”

http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/d...hon_immer_ernst

nachdenken_schmerzt_nicht Offline




Beiträge: 1.994

30.11.2015 15:11
#79 RE: Die Dicke singt nicht Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #78
Den ganzen Beitrag hätte ich auch gleich auf das Zitat von Dàvila reduzieren können:
“Die wirklichen Probleme haben keine Lösung, sondern Geschichte.”

http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/d...hon_immer_ernst

Lieber R.A.,

bei der Lektüre dieses Artikels heute Mittag habe ich oft an Ihren guten "Gesangsunterricht" von damals gedacht und schon überlegt, ob ich ihn hier verlinken soll. Nun waren Sie schneller.

"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 13.554

30.11.2015 16:32
#80 RE: Die Dicke singt nicht Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #78
das Zitat von Dàvila


Gómez Dávila, por favor ("La obra de Gómez Dávila consta de dos libros en prosa discursiva..."). Bei hispanischen Mehrstufennamen muss man sich immer vergewissern, wo der Vorname nun aufhört. NDG ist als Aphoristiker ein diffiziler Fall, weil man bei ihm so viele Sentenzen findet, die punktgenau sind ("Der Determinismus ist Ideologie, die Freiheit ist Erlebnis"), aber ebensooft bleibt man mit Kopfschütteln zurück ("Wer nicht an Mythen glaubt, glaubt an Lügen"). Da schlägt oft scheints eine gewollte Neigung zum sinnfreien Paradox durch, was er mit Katholizismus velwechsert. Das hat er mit Chesterton gemein ("It is possible that God says every morning, “Do it again” to the sun; and every evening, “Do it again” to the moon") und Nietzschken; und das unterscheidet ihm von den alten Moralistes von Schlage eines Rochefoucauld.



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Kallias Offline




Beiträge: 2.300

30.11.2015 16:58
#81 RE: Die Dicke singt nicht Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #80
und Nietzschken
Nanu:

Zitat von Tucholsky, a.a.O.
Es gibt Namen, die werden durch Hinzufügung eines einzigen Buchstabens komisch. Es ist wie die Möglichkeit einer magischen Rache; mit dem Namen Goethe kann man dergleichen nicht machen.

Nicht?
Groethe
Goezthe
Goetche
Goethle
Goether
- oder -
Wenn hinten, weit, in der Goethei, Die Verse aufeinander schlagen.

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 13.554

30.11.2015 17:08
#82 RE: Die Dicke singt nicht Antworten

Zitat von Kallias im Beitrag #81
Wenn hinten, weit, in der Goethei, Die Verse aufeinander schlagen.


Damit hat es sich ja schon Herder, 1775 beim Anmarsch G.s auf die Schwyz, beinahe endgültig mit Göthen verdorben.

Zitat von An Goethe
Wenn des Brutus Briefe Dir sind in Cicero's Briefen,
Dir, den die Tröster der Schulen von wohlgehobelten Brettern,
Prachtgerüstete, trösten, doch mehr von außen als innen,
Der von Göttern Du stammst, von Gothen oder vom Kothe,
Goethe, sende sie mir!



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R.A. Offline



Beiträge: 8.171

30.11.2015 17:34
#83 RE: Die Dicke singt nicht Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #80
Gómez Dávila, por favor

Danke für die Korrektur.
0,8 Sekunden Nachdenken hätten mir klar machen können, daß "Gómez" als Vorname eher ungebräuchlich ist. Ich bringe zur zugegeben schwachen Verteidigung vor, daß meine Spanisch-Lektionen gute 30 Jahre zurück liegen ...

Andererseits ist das ja ein Autor, der immer wieder gerne zitiert wird.

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 13.554

30.11.2015 19:21
#84 RE: Die Dicke singt nicht Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #78
“Die wirklichen Probleme haben keine Lösung, sondern Geschichte.”

http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/d...hon_immer_ernst



Der Satz stimmt zwar - wenn er auch die entscheidende Hälfte weglässt: die heisst nämlich: sie werden umgebaut zu produktiver Synergie, wenn möglich. Ist älter als alle Geschichte, nämlich 700 Millionen Jahre alt, als a) alle Zellorganellen & -innenstrukturen durch Anbordnahme (statt Verdauung) anderer 1-Zeller eukaryotische Zellen & im Gefolge mehrzellige Organismen ermöglichten & b) die schlimmste Umweltkatastrophe durch die Selbstgiftung mit dem Supergift Oxygen zur effizientesten Energiequelle umgebaut wurde: durch die Biosphäre selbst erzeugt (also 1A nachhaltig), extern gelagert & der Gehalt des Speichers durch kräftige negative Rückkopplungen zementiert. Wo's nicht geht, wird er entweder extra muros (Sozialismus id USA) verbannt oder auf eine händelbare Stufe reduziert: Klassenkampf zu Tarifstreit, Blutfehden zu Aktenmetern, Inquisitoren zu Sektenbeauftragten.

Die Beispiele sind wmg. auch nicht die glücklichsten.

Zitat von AchGut
Die Nachkommen der damaligen “Boat People” – vor allem in den USA, Frankreich, Australien, aber auch in Deutschland lebend – sind inzwischen samt und sonders solide Mittelklasse. Derweilen öffnet sich ihr ehemaliges Heimatland nun zumindest wirtschaftlich dem Westen.



Die Öffnung Vietnams wird seit gut 1992 exakt alle 3 Jahre durch irgendwelche Sommerlöcher gereicht (stereotyp als "vorsichtig" bestempelt) & wohnt dort in guter Gemeinschaft mit "xxx-Tigerstaaten", "Ende der Burmesischen Generäle", "Modernisierung Nepals/Bhutans", "Brasilien Land der Zukunft", "kommerzielle Erschließung der Nordwestpassage", "the Pacific Rim" sowie Bigfoot & Yeti. "Ende des Öls" ist inzwischen in die Ewigen Jagdgründe umgezogen; zum Beweis, daß manche Probleme eben doch nachhaltig entsorgt werden.



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Dennis the Menace Offline




Beiträge: 459

30.11.2015 19:44
#85 RE: Die Dicke singt nicht Antworten

Macht nach dieser Theorie womöglich Frau Merkel alles richtig, oder wie, oder was ?


Aber ungeachtet dessen ist Gómez Dávila schon 'n bissle überschätzt, scheint mir:

Zitat von GD - gemäß achgut, muss ja nicht stimmen
Die Geschichte wäre wesentlich friedlicher, wenn es darin nur Ökonomie und Sex gäbe



Mal abgesehen von der klärungsbedürftigen Frage, ob die implizite Vermutung zutrifft, es gäbe überhaupt wesentlich mehr auf Erden als die genannten Angelegenheiten, hat beides jedenfalls wesentlich mit Knappheiten zu tun und dass dergleichen pazifizierend wirkt kann nu wirklich keiner ernsthaft behaupten.

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