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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 80 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
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nachdenken_schmerzt_nicht Offline




Beiträge: 2.007

11.05.2016 12:42
Die AFD – Kristallisationspunkt eines Konfliktes zweier Epochen Antworten

Ein Versuch, den Erfolg der AfD zu verstehen.

"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

11.05.2016 13:56
#2 RE: Die AFD – Kristallisationspunkt eines Konfliktes zweier Epochen Antworten

Gute Beschreibung.

Drei Aspekte fallen mir dabei auf:

- Obwohl alle genannten Themen bei entsprechenden Teilen der Bevölkerung schon lange für Frust sorgen, hat sich das nicht unbedingt politisch niedergeschlagen. Die AfD hat mit einem Thema ("Euro-Rettung") die erste Erfolgswelle geschafft, anschließend kam eine Tiefphase die fast zum Ende geführt hätte, und dann bescherte Merkel ihr unerwartet ein anderes Erfolgsthema ("Flüchtlinge") als Basis für eine zweite Welle Wahlerfolge. Das Weitere bleibt abzuwarten - aber mich würde nicht überraschen, wenn nach Abebben des Flüchtlingsthemas auch die AfD wieder in der Versenkung verschwinden würde. Auch wenn alle anderen Themen wie Atom, Gender etc. weiter auf der Tagesordnung stehen.

- Es ist klar und auch legitim, daß die vorhandene politische Konkurrenz die AfD auf einige Punkte reduzieren möchte um sie bequem zu bekämpfen (daß Medien das auch machen, ist es weniger legitim). Mich würde wirklich interessieren, wieviele der politischen Spitzenfiguren insbesondere bei SPD/CDU ihre eigene Propaganda auch glauben oder ob intern in den Zentralen auch mal realistische Analysen diskutiert werden.

- Mir ist nicht klar, wie neu das dahinter stehende Phänomen ist. Denn das die politischen Parteien nicht alle Positionen widerspiegeln, die es in der Bevölkerung gibt, dürfte normal sein. Es gab z. B. nie eine Partei, die den bei einem großen Teil der Bevölkerung vorhandenen Wunsch nach der Todesstrafe im Parlament vertreten wollte. Auch die NATO-Mitgliedschaft war lange Zeit völliger Konsens der Parteien. Weitere Beispiele finden sich genügend, "Politikverdrossenheit" ist ja auch ein uraltes Thema. Trotzdem hat sich das nie wirklich politisch niedergeschlagen.

Reisender ( gelöscht )
Beiträge:

11.05.2016 14:14
#3 RE: Die AFD – Kristallisationspunkt eines Konfliktes zweier Epochen Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #2


- Mir ist nicht klar, wie neu das dahinter stehende Phänomen ist. Denn das die politischen Parteien nicht alle Positionen widerspiegeln, die es in der Bevölkerung gibt, dürfte normal sein.



Aber: "Wer im Öffentlichen Dienst ist, wird sich dreimal überlegen, den Anordnungen und Vorgaben seiner Vorgesetzten nicht zu gehorchen. Schließlich war doch die soziale Sicherheit einer, wenn nicht der maßgebende Grund für die Berufswahl. Wer den Beruf Politik ergreift, oft, wenn inzwischen nicht regelmäßig mit der Tätigkeit im Büro eines Abgeordneten im Wahlkreis als Eingangsstufe, wird der Parteiräson folgen, um selbst Parlamentarier zu werden, und dann der Fraktionsführung gehorchen, um Abegordneter zu bleiben. Mit diesem allerhöchsten Dienst gewöhnen die Parteien jedem, der mal dachte, Politik sei politische Gestaltung, diese Illusion ab. Partei- und andere -Funktionäre, die in den Öffentlichen Dienst geschoben werden, rauben den Laufbahnbeamten wichtige Aufstiegsmöglichkeiten mit entsprechend negativen Auswirkungen auf ihre Motivation. Leistung lohnt in solchen Teilen des Öffentlichen Dienstes nicht. Das ist ungerecht und unfair gegen alle, die in der Sache engagiert diese Laufbahn ergreifen."

http://www.rolandtichy.de/kolumnen/goerg...echster-dienst/

...wie ich finde, eine gute Ergänzung zum Thema und auch, warum Fr. Merkel so ungestört wirtschaften kann.

Zitat
Obwohl alle genannten Themen bei entsprechenden Teilen der Bevölkerung schon lange für Frust sorgen, hat sich das nicht unbedingt politisch niedergeschlagen. Die AfD hat mit einem Thema ("Euro-Rettung") die erste Erfolgswelle geschafft,



Nach fest kommt ab. Außerdem: eine Mitursache für den Islamismus ist die Korruption in ihren eigenen Ländern, welche ständige Unzufriedenheit produziert. Ähnlich ist es mit unserem Politikbetrieb, der wie der öffentliche Dienst schon wie ein Selbstbedienungsladen funktioniert. Die Asylbewerber sind die einzigen, gegen die man vorgehen kann, zumal die meisten Deutschen nicht in Afrika oder der Türkei leben wollen, sondern hier - sonst wären sie ja schon ausgewandert.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

11.05.2016 14:52
#4 RE: Die AFD – Kristallisationspunkt eines Konfliktes zweier Epochen Antworten

Zitat von Reisender im Beitrag #3
... eine gute Ergänzung zum Thema ...

Finde ich nicht.
Was Goergen da, teilweise zu Recht, beklagt, war in der Bundesrepublik eigentlich nie anders. Gehört wahrscheinlich zur lästigen Begleiterscheinung, seit es Staat und Politik gibt.
Einen besonderen Bezug zur aktuellen Situation sehe ich nicht.

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

11.05.2016 15:11
#5 RE: Die AFD – Kristallisationspunkt eines Konfliktes zweier Epochen Antworten

Zu diesem Thema (aus CDU-Sicht) gibt es nun auch ein Dokument einer kleinen Palastrevolution, in dem einige der konservativ Denkenden unangenehm aufstoßenden Alternativlosigkeiten ähnlich zur Sprache gebracht werden. Aber ein bißchen von dem fundamentalen Unverständnis blitzt auch hier durch, z.B. im Satz

Zitat
Wenn im Trend Union und SPD zukünftig nicht einmal gemeinsam über eine Mehrheit verfügen, gefährdet dies die Stabilität unserer Demokratie.


Das verkennt doch, wie sehr die Stabilität der Demokratie schon jetzt, bei einer riesengroßen Koalition ohne funktionsfähige Opposition (weil die Regierung im wesentlichen deren Programm umsetzt), gefährdet ist.

nachdenken_schmerzt_nicht Offline




Beiträge: 2.007

11.05.2016 15:24
#6 RE: Die AFD – Kristallisationspunkt eines Konfliktes zweier Epochen Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #2
mich würde nicht überraschen, wenn nach Abebben des Flüchtlingsthemas auch die AfD wieder in der Versenkung verschwinden würde. Auch wenn alle anderen Themen wie Atom, Gender etc. weiter auf der Tagesordnung stehen.
Schwer zu sagen, lieber R.A..

Ich bin in der Beurteilung dieser Frage selbst etwas indifferent. Ich glaube dabei zwar auch, dass die Erfolge der AfD sich relativieren werden, sobald man schaffen sollte die Migrationskrise zu entschärfen aber dass sie wieder verschwindet, glaube ich eher nicht. Das ganze hängt natürlich auch wesentlich davon ab, inwiefern die AfD in ihrem bevorstehenden Entwicklungsprozess schaffen wird, sich von Extrempositionen und Extrem-Personalien zu trennen, die in einer bürgerlichen Mitte nicht besonders gut aufgehoben sind

Wenn man den Sachverhalt anders allerdings herum formuliert als du es getan hast, erscheint mir der Zusammenhang mit all diesen Themen viel evidenter. Glaubst du die AfD hätte den aktuellen Wählerzuspruch, wenn es außer der Migrationskrise nichts gäbe? Ich kann mir das nicht vorstellen. Um in einem Bild zu sprechen: Mir erscheint es, als hätte die Migrationskrise, ähnlich wie bei einer Kernspaltung, die kritische Masse gebildet und so begann die Reaktion. Wie sie weiter verläuft, ist schwer vorherzusagen.

Zitat von R.A. im Beitrag #2
wieviele der politischen Spitzenfiguren insbesondere bei SPD/CDU ihre eigene Propaganda auch glauben
Das würde mich auch interessieren. Ich denke, viele glauben sie nicht. Ich denke aber (und darauf wollte ich mit meinem Text hinaus), dass die wenigsten erkennen, dass es viele Menschen gibt, die mit dem Gesellschaftsentwurf, der alle etablierten Parteien derzeit im Kern verbindet, nichts anfangen können.


Zitat von R.A. im Beitrag #2
… das die politischen Parteien nicht alle Positionen widerspiegeln, die es in der Bevölkerung gibt, dürfte normal sein. […] "Politikverdrossenheit" ist ja auch ein uraltes Thema. Trotzdem hat sich das nie wirklich politisch niedergeschlagen.
Da stimme ich dir definitiv zu.

Im aktuellen Fall haben wir aber in meinen Augen mehr, als dass einfach ein oder mehrere politische Positionen nicht vertreten werden, die man sich wünscht. Es stehen sich zwei grundsätzlich verschiedene Gesellschaftsentwürfe gegenüber, die sich nicht „grün“ sind. Das ist das, was ich versuchte mit dem Begriff "Kristallisationspunkt eines Epochenkonflikts" zu fassen. Auf der einen Seite Menschen, die sich vielleicht sowas wie "eine modernisierte aber traditionelle Bonner Republik" wünschen und auf der anderen Seite Menschen, die von sowas wie einem "ökologischen, weltoffenen Utopia" träumen.

Die Politik, in Form der etablierten Parteien, hat sich da vollständig auf die Seite des "ökologischen, weltoffenen Utopias" geschlagen und die durch sie in den letzten Jahren vertretenen, alternativlosen, politischen Positionen sind nichts anderes, als der politische Zwang, den Weg zu diesem Utopia mitzugehen.

Ich bin persönlich ziemlich sicher, dass du in der AfD Wähler aller fünf anderen Parteien finden wirst, von FDP bis Linke. Diese Wähler finden sich nicht deshalb in einer neuen Partei wieder, weil sie grundsätzlich mit ihren politischen Überzeugungen gebrochen haben, sondern weil sie den Weg ins verordnete Utopia nicht mitgehen wollen. Nun ist praktisch sicherlich nicht möglich, dass sich von jeder Partei entsprechend Teile abspalten, daher gärt sich dies in einer neuen Partei aus. In diesem Sinne könnte man den Erfolg der AfD durchaus als den Nachweis eines funktionierenden, demokratischen Systems begreifen, in dem sich der Widerstand gegen ein oktroyiertes Gesellschaftsverständnis formiert, ausgärt und seinen Einfluß sucht.

Ich sehe dies sehr ähnlich zum Entstehen der Grünen, das zwar zunächst aus politischen Positionen heraus motiviert war, aber in seiner Gesamtheit sicher eher als ein Gegenentwurf zum gesellschaftlichen Selbstverständnis der Adenauer Republik verstanden werden kann. Und heute erzielen die Grünen dort ihr mit Abstand bestes Wahlergebnis, wo sich ihr Spitzenkandidat zumindest in Gestus und Auftritt, einem „Staatsmann der alten Adenauer Republik“ wieder etwas annähert.

Herzlich


nachdenken_schmerzt_nicht

"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu

nachdenken_schmerzt_nicht Offline




Beiträge: 2.007

11.05.2016 15:35
#7 RE: Die AFD – Kristallisationspunkt eines Konfliktes zweier Epochen Antworten

Diese kleine persönliche Ergänzung noch, liber R.A.

Du hattest mich nach Bonn ja schon fast so weit, dass ich der FDP 2017 wieder meine Stimme geben wollte. Nachdem ich jetzt aber mit ansehen muß, was die FDP im Rheinland Pfälzischen Koalitionsvertrag mitzutragen gewillt ist, bin ich wieder mehr als nur desillusioniert. Ich würde erwarten: Mit sowas wie in Rheinland Pfalz verspielt sie ihre firsch hinzugewonnen Wähler wieder.

"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu

Llarian Offline



Beiträge: 7.124

11.05.2016 15:54
#8 RE: Die AFD – Kristallisationspunkt eines Konfliktes zweier Epochen Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #2
- Obwohl alle genannten Themen bei entsprechenden Teilen der Bevölkerung schon lange für Frust sorgen, hat sich das nicht unbedingt politisch niedergeschlagen. Die AfD hat mit einem Thema ("Euro-Rettung") die erste Erfolgswelle geschafft, anschließend kam eine Tiefphase die fast zum Ende geführt hätte, und dann bescherte Merkel ihr unerwartet ein anderes Erfolgsthema ("Flüchtlinge") als Basis für eine zweite Welle Wahlerfolge. Das Weitere bleibt abzuwarten - aber mich würde nicht überraschen, wenn nach Abebben des Flüchtlingsthemas auch die AfD wieder in der Versenkung verschwinden würde. Auch wenn alle anderen Themen wie Atom, Gender etc. weiter auf der Tagesordnung stehen.

Ich denke das ist eine Frage des Leidensdrucks. Der "gemeine, deutsche Wähler" will keine Extremisten wählen, er hat vor sich einen moralischen Anspruch staatstragend zu sein, er mag hier und da Akzente setzen (wie die Bindesstrichsozialisten, die dann FDP wählen oder die Öko-Sozialen, die dann eben Grün wählen), aber im Großen und Ganzen will er vor sich selbst verantworten keine Extremisten zu stützen. Das sieht man auch vortrefftlich im unterschiedlichen Wahlverhalten Ost und West, denn im Osten ist man dem deutlich weniger verwurzelt.
Anders gesagt: Wegen der paar hundert Euro, die beispielsweise der Energiequatsch den normalen Wähler kostet, ist der nicht bereit vier Jahre schlechtes Gewissen zu ertragen. Er schimpft, er motzt, er droht und schäumt, aber er wählt am Ende dann doch die CDU. Weil "einer ja den Laden zusammenhalten" muss.
Der Leidensdruck hat sich erst dann qualitativ geändert als durch die Flüchtlingskrise eine wirklich existentielle Krise beschworen wurde. Selbst die Eurorettung, die schon viele verbittert hat, hat noch nicht gereicht. Das Flüchtlingsthema allerdings, was übersetzt eine wirklich reale (!) Gefahr für die Zukunft von ihm und seinen Kindern ist, erhöht den Leidensdruck derart massiv, dass er auch bereit ist sein schlechtes Gewissen zu ertragen und sein Kreuz bei einer Partei zu machen die einen Höcke in ihren Reihen hat. Er ist deswegen nicht überzeugt, aber er sieht keine Alternative.

Und aus zwei Gründen glaube ich nicht, dass sich die AfD wieder in Wohlgefallen auflöst: Zum einen ist jede Stimme ein Dammbruch. Einmal schlechtes Gewissen, immer schlechtes Gewissen. Die Schwelle, eine Partei zu wählen, die als extremistisch bezeichnet wird, wird mit jeder Wahl kleiner. "Ich bin nicht alleine", "wir können nicht alle Extremisten sein", "die sind ja gar nicht so schlimm". Es normalisiert sich ein Wahlverhalten, dass vorher eher pfui gewesen ist. Oder anders: Rein politisch hätten viele schon vorher AfD gewählt, aber die Hemmschwelle war zu gross. Wird die kleiner, etabliert sich eine Partei auch bei denen, die ohnehin am besten zu ihr passen. Zum zweiten: Wer glaubt denn das die Flüchtlingskrise gelöst wird ? Und wie sollte eine solche Lösung aussehen ? Die damalige BRD hat 40 Jahre mit der ungeplanten Einwanderung von einer Million Türken gehadert. Und tut es heute noch. Und diese Leute waren dem westlichen Lebensbild deutlich näher als die, die heute kommen. Und wir sind inzwischen bei weit mehr als einer Million. Wie sollte das zu lösen sein ? Wir dürfen uns eher die Frage stellen, was passiert, wenn sich Köln wiederholt ? Oder Paris passiert. Man muss sich darüber klar sein, dass die AfD bereit heute bei 15% ist, und es ist bis jetzt noch erstaunlich wenig passiert.

Ich wage mal eine ganz dreiste Prognose: Wenn sich Köln noch einmal wiederholt (wo auch immer) und wir zwei oder drei Anschläge sehen, dann wird die AfD die kümmerlichen Reste der SPD als zweite politische Kraft verdrängen. Bei aller noch so gewitzten politischen Analyse, wir haben eine existentielle Bedrohung vor der Tür (oder schon in der Tür) und so lange die "Etablierten" keine Antwort darauf finden, die ein bisschen cleverer ist als "wir schaffen das" wird die AfD eher wachsen. Ganz blöd: Was jucken mich ein paar Windräder, ein griechischer Olivenbaum oder die Frage ob es an den Unis ein paar Spinnerte gibt, die nicht wissen ob sie Männlein oder Weiblein sind, wenn ich nicht sicher bin, ob ich in einigen Jahren noch unbeschadet durch die Stadt gehen kann ?

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

11.05.2016 16:39
#9 RE: Die AFD – Kristallisationspunkt eines Konfliktes zweier Epochen Antworten

Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #6
Das ganze hängt natürlich auch wesentlich davon ab, inwiefern die AfD in ihrem bevorstehenden Entwicklungsprozess schaffen wird, sich von Extrempositionen und Extrem-Personalien zu trennen, die in einer bürgerlichen Mitte nicht besonders gut aufgehoben sind

Nachdem sich gerade diese Extrem im letzten Sommer durchgesetzt und viele Gemäßigte die Partei mit Lucke verlassen haben, sehe ich da wenig Aussichten auf einen Entwicklungsprozeß.

Zitat
Glaubst du die AfD hätte den aktuellen Wählerzuspruch, wenn es außer der Migrationskrise nichts gäbe?


Schon richtig, das "Grundrauschen" trägt natürlich auch dazu bei. Die Migrationskrise alleine hätten manche Wähler (aber eben nur manche) Merkel vielleicht noch nachgesehen.

Zitat
Mir erscheint es, als hätte die Migrationskrise, ähnlich wie bei einer Kernspaltung, die kritische Masse gebildet und so begann die Reaktion.


Plausibel, aber eigentlich durch die Entwicklung vorher widerlegt. Denn die Eurokrise war ja durchaus in ähnlicher Weise ein Zündfunke auf bereits bestehende Unzufriedenheit. Und als die aus den Schlagzeilen war (das hat schon gereicht!), begann schon wieder der Sinkflug der AfD.

Zitat
Es stehen sich zwei grundsätzlich verschiedene Gesellschaftsentwürfe gegenüber, ...


So einfach sehe ich das nicht. Du schreibst ja selber in Deinem Beitrag, daß die AfD sehr unterschiedliche "Dagegen"-Positionen anbietet. Die ergeben eigentlich überhaupt keinen kohärenten Gesellschaftsentwurf. Wie ja auch umgekehrt die Unterschiede zwischen den diversen Nicht-AfD-Positionen noch da sind.

Zitat
Ich bin persönlich ziemlich sicher, dass du in der AfD Wähler aller fünf anderen Parteien finden wirst, von FDP bis Linke.


Ja, aber aus sehr unterschiedlichen Motiven. Und als Gemeinsamkeit sehe ich fast am wenigsten Widerwillen gegen ein "verordnetes Utopia". Die meisten AfD-Wähler hätten sehr gerne eine solche Verordnung, wenn sie denn ihren Vorstellungen folgen würde.

Zitat
Ich sehe dies sehr ähnlich zum Entstehen der Grünen, das zwar zunächst aus politischen Positionen heraus motiviert war, aber in seiner Gesamtheit sicher eher als ein Gegenentwurf zum gesellschaftlichen Selbstverständnis der Adenauer Republik verstanden werden kann.


Aber überhaupt nicht!
Ich habe diese Gründungszeit ja selber sehr hautnah miterlebt. Von Adenauer war da schon lange keine Rede mehr, die Grünen waren schon von Anfang an eine Mischung aus kommunistisch und reaktionär. Insbesondere waren sie immer (hier durchaus eine AfD-Parallele) dafür, daß der Staat die Leute mit Vorgaben gängelt. Nur die Art der Vorgaben war natürlich eine andere ...


Was übrigens Rheinland-Pfalz betrifft: Ich habe mich noch nicht mit dem Koalitionsvertrag beschäftigt und weiß nicht, was an dem eigentlich problematisch sein soll. Bei internen Diskussionen mit diversen Parteifreunden kommt als Kritik im wesentlichen, daß man überhaupt mit rot/grün zusammenarbeitet. Das finde ich eher kindisch.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

11.05.2016 17:02
#10 RE: Die AFD – Kristallisationspunkt eines Konfliktes zweier Epochen Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #8
Ich denke das ist eine Frage des Leidensdrucks.

Das sehe ich auch so. Und es ist nun mal so, daß sowohl die Grünen wie die GroKo zwar viele ärgerliche oder lästige Sachen propagieren - aber der wirklich Einfluß aufs tägliche Leben ist doch nicht so groß. Daher reicht das Leiden normalerweise nur fürs Motzen, nicht für echten Protest.

Zitat
Wegen der paar hundert Euro, die beispielsweise der Energiequatsch den normalen Wähler kostet, ist der nicht bereit vier Jahre schlechtes Gewissen zu ertragen.


Das schlechte Gewissen ist m. E. kein sehr wichtiger Faktor. Sieht ja keiner in der Wahlkabine, wenn man Unkeusches ankreuzt.
Relevanter ist wohl das "den Laden zusammenhalten". Den "normalen Politikern" wird halt zugetraut, so halbwegs normal zu regieren ohne größeren Unsinn anzustellen.
Bei merkwürdigen schrillen Neulingen wie der AfD ist das nicht so. Selbst vielen AfD-Wählern würde es wohl gruseln, wenn die AfD wirklich regieren würde. Die wählt man, wenn der Leidensdruck doch groß genug wird und man der "eigentlichen Regierung" vors Schienbein treten möchte.

Zitat
Der Leidensdruck hat sich erst dann qualitativ geändert als durch die Flüchtlingskrise eine wirklich existentielle Krise beschworen wurde.


Richtig.

Zitat
Selbst die Eurorettung, die schon viele verbittert hat, hat noch nicht gereicht.


Sicher hat die gereicht, das war der erste AfD-Höhenflug.

Zitat
Und aus zwei Gründen glaube ich nicht, dass sich die AfD wieder in Wohlgefallen auflöst: Zum einen ist jede Stimme ein Dammbruch. Einmal schlechtes Gewissen, immer schlechtes Gewissen.


Wie gesagt, ich halte das schlechte Gewissen für keinen relevanten Faktor. Die Nachteile der AfD sind ihren Wählern durchaus bewußt und die werden durch Gewöhnung nicht kleiner. Im Gegenteil - die praktische "Arbeit" der AfDler in den Parlamenten schreckt eher zusätzlich ab.

Zitat
Zum zweiten: Wer glaubt denn das die Flüchtlingskrise gelöst wird ?


Sie ist gelöst. Nicht durch Merkel, sondern durch die Balkanstaaten. Die eigentliche Panik hatten die meisten Wähler m. E. weniger wegen der Million, die schon gekommen sind, sondern wegen den Millionen, die noch zusätzlich zu kommen drohten.

Natürlich bleiben uns noch eine Menge Folgeprobleme am Hals - aber die sind nicht größer als die immer noch bestehende Griechenland-Kredit-Krise. Und die ist aus den Schlagzeilen verschwunden, und spielt für die Wahlentscheidung der Leute nur noch eine nachgeordnete Rolle.

Zitat
Man muss sich darüber klar sein, dass die AfD bereit heute bei 15% ist, ...


Sie war bei 15%, als die Grenzen noch offen waren. Es ist völlig unklar, wie sie bei den Wahlen im Herbst abschneiden wird. Die aktuellen Umfragen sind da ziemlich wertlos.
Und ich glaube noch nicht einmal, daß irgendwelche Anschläge da einen große Auswirkung hätten. Denn es gibt nicht viele AfD-Wähler, die über die normale Abschiebung hinaus ein generelles "Ausländer raus" gegenüber den Flüchtlingen des letzten Jahres wollen.
Es geht also "nur" noch um normale Polizeiarbeit, um die Lage unter Kontrolle zu halten. Und da wird der erfahrenen CDU immer noch mehr zugetraut als den Chaoten von der AfD.
Wie schon gesagt: Der Knackpunkt war Merkels Grenzöffnung und der nachfolgende Kontrollverlust. Das haben ihr die Leute auch nicht verziehen. Aber mit der Grenzschließung auf dem Balkan ist die wesentliche Gefahr gebannt.

Emulgator Offline



Beiträge: 2.875

12.05.2016 14:27
#11 RE: Die AFD – Kristallisationspunkt eines Konfliktes zweier Epochen Antworten

Zitat
Es steht außer Frage, daß ein Teil der AfD und ihrer Wähler von Fremdenfeindlichkeit getragen wird.

Man ist jemanden feindlich gesonnen, wenn man auf dessen Vernichtung sinnt. Fremdenfeindlichkeit bedeutet also, daß man bereit zu Mordanschlägen gegen Fremde ist. Bemerkenswerterweise haben in der heißen Phase der Merkel'schen Facebookparty die einheimischen Brandstifter an Flüchtlingsunterkünften peinlich genau darauf geachtet, daß diese noch nicht bezogen waren. Bewohnte Flüchtlingsheime wurden fast nur von Flüchtlingen selber angezündet. Wir können uns also auf Fremdenangst verständigen, nicht aber Fremdenfeindlichkeit.

Ich bin hier so beckmesserisch, weil die Bedeutungsverdrehung von Begriffen, der Gebrauch von Euphemismen und Pejorativen uns selber ganz leicht einfängt. Insofern ist Ihr Wortgebrauch der Fremdenfeindlichkeit in Ihrem Artikel vielleicht eine ungewollter(?) Beleg seiner eigenen Richtigkeit.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

12.05.2016 15:02
#12 RE: Die AFD – Kristallisationspunkt eines Konfliktes zweier Epochen Antworten

Zitat von Emulgator im Beitrag #11
Man ist jemanden feindlich gesonnen, wenn man auf dessen Vernichtung sinnt.

Das halte ich nun für sehr überzogen. Man kann jemandem feindlich gesonnen sein, und ihm trotzdem nichts Böses wünschen (ist natürlich selten). Aber wenn man ihm (die Regel ...) etwas Böses wünscht, dann wird das häufig deutlich harmloser sein als die Vernichtung.

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

12.05.2016 15:13
#13 RE: Die AFD – Kristallisationspunkt eines Konfliktes zweier Epochen Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #12
Zitat von Emulgator im Beitrag #11
Man ist jemanden feindlich gesonnen, wenn man auf dessen Vernichtung sinnt.

Das halte ich nun für sehr überzogen. Man kann jemandem feindlich gesonnen sein, und ihm trotzdem nichts Böses wünschen (ist natürlich selten). Aber wenn man ihm (die Regel ...) etwas Böses wünscht, dann wird das häufig deutlich harmloser sein als die Vernichtung.



Ich glaube, ersteres ist gar nicht so selten. Ich finde mit dieser Aktion, die man nur als hochgradig bescheuert bezeichnen kann, machen die AfD-Parlamentarier, neben schlechtem Benehmen, durchaus auch eine feindselige Haltung deutlich (außer Meuthen, der völlig angemessen reagiert und kommentiert hat). Ich würde jedoch nicht automatisch unterstellen, daß die AfD-Fraktionsmitglieder der Frau persönlich Unbilden oder gar schlimmeres wünschen; und natürlich höchstwahrscheinlich auch nicht ihre Vernichtung.

Edit: wobei Emulgator wahrscheinlich recht hat, wenn man es genau nimmt; der Begriff der Feindseligkeit ist, wenn ich das richtig weiß, eine Vokabel aus der Kriegsführung, und da stimmt das mit dem Vernichtungswillen natürlich; man müßte vermutlich eher von "strikter Ablehnung" sprechen. Jedoch hat der Begriff "Feindschaft" wohl auch einen "Wandel durch Gebrauch" in den vergangenen Jahrzehnten erfahren.

Herzliche Grüße,
Andreas

"Man kann einen gesellschaftlichen Diskurs darüber haben, was Meinungsfreiheit darf. Oder man hat Meinungsfreiheit." (Christian Zulliger)

Martin Offline



Beiträge: 4.129

12.05.2016 15:27
#14 RE: Die AFD – Kristallisationspunkt eines Konfliktes zweier Epochen Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #12
Zitat von Emulgator im Beitrag #11
Man ist jemanden feindlich gesonnen, wenn man auf dessen Vernichtung sinnt.

Das halte ich nun für sehr überzogen. Man kann jemandem feindlich gesonnen sein, und ihm trotzdem nichts Böses wünschen (ist natürlich selten). Aber wenn man ihm (die Regel ...) etwas Böses wünscht, dann wird das häufig deutlich harmloser sein als die Vernichtung.



Trotzdem muss man festhalten, dass 'nicht gastfreundlich' gleichbedeutend mit 'fremdenfeindlich' ist. Das Adjektiv 'fremdenfeindlich' passt schlichtweg nicht und ist eher AfD-feindlich angedichtet. Sonst könnte man alle Zuwanderungsgesetze als fremdenfeindlich titulieren, die USA als eines der fremdenfeindlichsten Länder bezeichnen.

Gruß, Martin

Martin Offline



Beiträge: 4.129

12.05.2016 15:42
#15 RE: Die AFD – Kristallisationspunkt eines Konfliktes zweier Epochen Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #13

Ich glaube, ersteres ist gar nicht so selten. Ich finde mit dieser Aktion, die man nur als hochgradig bescheuert bezeichnen kann, machen die AfD-Parlamentarier, neben schlechtem Benehmen, durchaus auch eine feindselige Haltung deutlich (außer Meuthen, der völlig angemessen reagiert und kommentiert hat). Ich würde jedoch nicht automatisch unterstellen, daß die AfD-Fraktionsmitglieder der Frau persönlich Unbilden oder gar schlimmeres wünschen; und natürlich höchstwahrscheinlich auch nicht ihre Vernichtung.



Vielleicht wurde der Applaus auch nur verweigert, weil man der AfD die Vizepräsidentschaft verweigerte. Es wäre also interessant, ob der Applaus auch bei der nicht türkisch-stämmigen Vize verweigert wurde.

Gruß, Martin

nachdenken_schmerzt_nicht Offline




Beiträge: 2.007

12.05.2016 16:46
#16 RE: Die AFD – Kristallisationspunkt eines Konfliktes zweier Epochen Antworten

Zitat von Emulgator im Beitrag #11
Fremdenfeindlichkeit bedeutet also, daß man bereit zu Mordanschlägen gegen Fremde ist.
Ich hätte, möglicherweise unreflektiert, in "Fremdenfeindlichkeit" eine grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber „Fremden“ verstanden, die dem Attribut „fremd“, bei der Beurteilung eines Menschen, alle anderen Attribute unterordnet, ohne das damit eine Aussage über die zu treffenden Konsequenzen gemacht wird.

Ob ich da einer Bedeutungsverdrehung aufgesessen bin, hängt wohl auch vor allem von der Bedeutung ab, die das Wort „Fremdenfeindlichkeit“ für die Mehrheit (der Gruppe die es verwendet) hat. Das ist mir, ohne dass ich darüber vorher nachgedacht hätte, allerdings in der Tat unklar. Mit einem "Vernichtungswunsch" habe ich es persönlich aber noch nicht assoziiert.


Zitat von Emulgator im Beitrag #11
Insofern ist Ihr Wortgebrauch der Fremdenfeindlichkeit in Ihrem Artikel vielleicht eine ungewollter(?) Beleg seiner eigenen Richtigkeit.
Ich habe das jetzt zwar mehrmals gelesen, verstehe aber immer noch nicht die Aussage dahinter!? Können Sie diese erläutern? War es der Gedanke, dass ich über die Feststellung, dass es "Fremdheit" gibt, selbst schon abgewertet habe?

Was ich inhaltlich mit dem von Ihnen zitierten Satz sagen wollte war, dass es sich bei diesem Teil um Menschen handelt, die andere Menschen (fast) ausschließlich über ein Attribut bewerten: Das was sie als "fremd" empfinden. Das "fremd" dabei negativ konnotiert ist, auch für mich, liegt auf der Hand. Auch ich fühle mich wohler in einem vertrauten Umfeld. Der springende Punkt ist, ob man dem Gegenüber (als Individuum) auch noch andere Attribute zugesteht, die diese Bewertung zu relativieren (oder revidieren) erlauben oder eben nicht.

Herzlich


nachdenken_schmerzt_nicht

"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

12.05.2016 16:58
#17 RE: Die AFD – Kristallisationspunkt eines Konfliktes zweier Epochen Antworten

Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #16
Was ich inhaltlich mit dem von Ihnen zitierten Satz sagen wollte war, dass es sich bei diesem Teil um Menschen handelt, die andere Menschen (fast) ausschließlich über ein Attribut bewerten: Das was sie als "fremd" empfinden. Das "fremd" dabei negativ konnotiert ist, auch für mich, liegt auf der Hand. Auch ich fühle mich wohler in einem vertrauten Umfeld. Der springende Punkt ist, ob man dem Gegenüber (als Individuum) auch noch andere Attribute zugesteht, die diese Bewertung zu relativieren (oder revidieren) erlauben oder eben nicht.

Ich muß zugeben, daß ich beim Lesen zunächst auch über das Wort "Fremdenfeindlichkeit" gestolpert bin, wohl nicht so sehr, weil es im Zusammenhang verkehrt wäre, sondern weil es ein Kampfbegriff und Wieselwort ist, unter dem recht viel Verschiedenes zusammengefaßt wird und das auch gern als Ausgrenzungs- und Diskussionsabwürgewort verwendet wird.

Stereotypes Denken, das das Individuum nur als Repräsentant einer (positiv oder meistens negativ konnotierten) Klasse wahrnimmt und gelten läßt, ist das Problem. Da gebe ich Ihnen vollkommen recht. Aber wird nicht heute auch schon mal die Bezeichnung als Fremdenfeind ebenso stereotyp eingesetzt, z.B. wenn jemand, der seinem persönlichen Unbehagen über (für sein Empfinden) allzu rasch ablaufende Wandlungsprozesse in seinem sozialen Umfeld Ausdruck zu verleihen versucht, mit diesem Etikett ruckzuck rhetorisch aus der höflichen Gesellschaft ausgebürgert wird?

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

12.05.2016 17:09
#18 RE: Die AFD – Kristallisationspunkt eines Konfliktes zweier Epochen Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #13
Ich finde mit dieser Aktion, die man nur als hochgradig bescheuert bezeichnen kann, machen die AfD-Parlamentarier, neben schlechtem Benehmen, durchaus auch eine feindselige Haltung deutlich

Das sehe ich nicht so.
Die Sache hat ja eine Vorgeschichte. Üblicherweise hätte die AfD einen Sitz im Landtagspräsidium bekommen - der wurde ihr mit einer GO-Änderung verweigert. DAS ist ein feindseliger Akt und m. E. gegen die parlamentarische Etikette.
Und die neue Präsidentin hat natürlich an dieser Sache mitgewirkt und damit kann sie nicht damit rechnen, von der AfD auch noch gefeiert zu werden.

Denn zum höflichen Benehmen gehören zwar Sachen wie z. B. der Handschlag bei der Begrüßung - aber kein Anrecht auf Applaus. Man darf aufs Applaudieren verzichten, wenn man einen Vorgang eben nicht lobenswert findet. Das ist noch lange nicht feindselig.


Nebenbei: Die neue Parlamentspräsidentin ist überhaupt keine Muslima, sondern Alevitin. Das ist ein sehr relevanter Unterschied, den man als Journalist kennen sollte.

nachdenken_schmerzt_nicht Offline




Beiträge: 2.007

12.05.2016 17:34
#19 RE: Die AFD – Kristallisationspunkt eines Konfliktes zweier Epochen Antworten

Zitat von Fluminist im Beitrag #17
Aber wird nicht heute auch schon mal die Bezeichnung als Fremdenfeind ebenso stereotyp eingesetzt...
Ich gebe in der Tat zu, dass ich mich bei einem Thema wie der AfD emotional nicht frei machen kann und eine Formulierung, wie die von mir zitierte, möglicherweise ein unbewußter Abgrenzungsversuch ist, um nicht angreifbar zu werden, für mögliche Angriffe welche man vermutet.

Mich erinnert das an eine Diskussion, bei der mich der Emulgator einmal über die Wirkungen der "Zuschreibung von Homosexulaität" aufklärte. Durch die Nennung der Zuschreibung, egal durch welche Absicht, beginnt Wertung und Diskriminierung. - Alleine weil man glaubt diese Zuschreibung zu benötigen oder sie einfach nur benutzt.

Ähnliches empfinde ich bei der AfD: Man scheint über diese Partei nicht neutral diskutieren zu können. Alleine die AfD diskutieren zu wollen, enthält notwendiger Weise ein Wertung. Bei meinem krampfhaften Versuch auf diesem Grat nicht abzustürzen, bin ich möglicher Weise in einige Fettnäpfchen getreten. Niemanden verärgern oder verletzen zu wollen, mag auch eine starke Motivitation für unbewußte Stereotype sein zu können. Das wird mir gerade wieder einmal klar.

Herzlich


nachdenken_schermzt_nicht

"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu

Doeding Offline




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12.05.2016 17:35
#20 RE: Die AFD – Kristallisationspunkt eines Konfliktes zweier Epochen Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #18
Zitat von Doeding im Beitrag #13
Ich finde mit dieser Aktion, die man nur als hochgradig bescheuert bezeichnen kann, machen die AfD-Parlamentarier, neben schlechtem Benehmen, durchaus auch eine feindselige Haltung deutlich

Das sehe ich nicht so.
Die Sache hat ja eine Vorgeschichte. Üblicherweise hätte die AfD einen Sitz im Landtagspräsidium bekommen - der wurde ihr mit einer GO-Änderung verweigert. DAS ist ein feindseliger Akt und m. E. gegen die parlamentarische Etikette.
Und die neue Präsidentin hat natürlich an dieser Sache mitgewirkt und damit kann sie nicht damit rechnen, von der AfD auch noch gefeiert zu werden.

Denn zum höflichen Benehmen gehören zwar Sachen wie z. B. der Handschlag bei der Begrüßung - aber kein Anrecht auf Applaus. Man darf aufs Applaudieren verzichten, wenn man einen Vorgang eben nicht lobenswert findet. Das ist noch lange nicht feindselig.


Wenn das tatsächlich der Hintergrund gewesen ist, gebe ich Dir (und Martin im Beitrag #14) recht. In dem verlinkten Artikel wird Meuthen aber so zitiert bzw. wiedergegeben, daß er der Deutung, daß der ausbleibende Applaus mit der (offenbar nur zugeschriebenen) Religion der neuen Präsidentin zu tun hatte, gar nicht widersprochen hat. Natürlich kann auch das von n-tv verdreht wiedergegeben worden sein, aber das wäre selbst für deutsche Medienverhältnisse ein starkes Stück.

Zitat
Nebenbei: Die neue Parlamentspräsidentin ist überhaupt keine Muslima, sondern Alevitin. Das ist ein sehr relevanter Unterschied, den man als Journalist kennen sollte.



Was ja zumindest auch eine islamische Religion ist. Ist es so, daß der Begriff Moslem ausschließlich für Schiiten und Sunniten zutreffend ist?

Herzliche Grüße,
Andreas

"Man kann einen gesellschaftlichen Diskurs darüber haben, was Meinungsfreiheit darf. Oder man hat Meinungsfreiheit." (Christian Zulliger)

Fluminist Offline




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12.05.2016 17:44
#21 RE: Die AFD – Kristallisationspunkt eines Konfliktes zweier Epochen Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #20
Natürlich kann auch das von n-tv verdreht wiedergegeben worden sein, aber das wäre selbst für deutsche Medienverhältnisse ein starkes Stück.

Würde mich bei Leuten, die offenbar auch zwischen "Leuten" und "Läuten" nicht unterscheiden können, nicht einmal wundern.
Zitat von Doeding im Beitrag #20

Zitat
Nebenbei: Die neue Parlamentspräsidentin ist überhaupt keine Muslima, sondern Alevitin. Das ist ein sehr relevanter Unterschied, den man als Journalist kennen sollte.

Was ja zumindest auch eine islamische Religion ist. Ist es so, daß der Begriff Moslem ausschließlich für Schiiten und Sunniten zutreffend ist?


Das ist jetzt, glaube ich, so ähnlich wie die Frage, ob Zeugen Jehovas oder Mormonen als Christen apostrophiert werden können oder nicht.

Ulrich Elkmann Offline




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12.05.2016 17:46
#22 RE: Die AFD – Kristallisationspunkt eines Konfliktes zweier Epochen Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #20
Was ja zumindest auch eine islamische Religion ist. Ist es so, daß der Begriff Moslem ausschließlich für Schiiten und Sunniten zutreffend ist?


Aus schiitischer (& verstärkt noch aus sunnitischer) Sicht werden sie zumeist als Abtrünnige, "im Grund" also keine "richtigen" Moslems angesehen. Gilt auch für die Ahmadijjas. Ist übrigens der Grund, warum die Grabinschrift für Abdus Salam auf heftigen Widerstand stieß.

Zitat
“Even after he was buried, local administration asked the Ahmadi community to remove the word ‘Muslim’ from the inscription on the grave which said ‘the first Muslim Nobel laureate’,” said Shah.

The word has been painted over, leaving just: “the first Nobel laureate.”



http://www.dawn.com/news/738366/amidst-r...eate-fades-away



Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

12.05.2016 17:48
#23 RE: Die AFD – Kristallisationspunkt eines Konfliktes zweier Epochen Antworten

Zitat von Fluminist im Beitrag #17
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #16
Was ich inhaltlich mit dem von Ihnen zitierten Satz sagen wollte war, dass es sich bei diesem Teil um Menschen handelt, die andere Menschen (fast) ausschließlich über ein Attribut bewerten: Das was sie als "fremd" empfinden. Das "fremd" dabei negativ konnotiert ist, auch für mich, liegt auf der Hand. Auch ich fühle mich wohler in einem vertrauten Umfeld. Der springende Punkt ist, ob man dem Gegenüber (als Individuum) auch noch andere Attribute zugesteht, die diese Bewertung zu relativieren (oder revidieren) erlauben oder eben nicht.

Ich muß zugeben, daß ich beim Lesen zunächst auch über das Wort "Fremdenfeindlichkeit" gestolpert bin, wohl nicht so sehr, weil es im Zusammenhang verkehrt wäre, sondern weil es ein Kampfbegriff und Wieselwort ist, unter dem recht viel Verschiedenes zusammengefaßt wird und das auch gern als Ausgrenzungs- und Diskussionsabwürgewort verwendet wird.

Stereotypes Denken, das das Individuum nur als Repräsentant einer (positiv oder meistens negativ konnotierten) Klasse wahrnimmt und gelten läßt, ist das Problem. Da gebe ich Ihnen vollkommen recht. Aber wird nicht heute auch schon mal die Bezeichnung als Fremdenfeind ebenso stereotyp eingesetzt, z.B. wenn jemand, der seinem persönlichen Unbehagen über (für sein Empfinden) allzu rasch ablaufende Wandlungsprozesse in seinem sozialen Umfeld Ausdruck zu verleihen versucht, mit diesem Etikett ruckzuck rhetorisch aus der höflichen Gesellschaft ausgebürgert wird?


Einerseits sehe ich das auch so. Andererseits kommt man kaum aus der Zuschreibungsnummer raus, meine ich. Ich glaube, man träte kaum einem Linken zu nahe, wenn man ihn als "AfD-Feind" titulierte, obwohl der gemeine Linke sonst dazu neigt, die Dinge zu Tode zu differenzieren. Vermutlich geht es vielen AfDlern, wenn man sie als "Islamfeinde" bezeichnet, auch so. Wie soll man sie auch sonst nennen? Islamkritiker? Da fällt mir sogleich der nur mühsam kaschierte Antisemitismus vieler "Israelkritiker" ein.

Umgekehrt wird auch in einem Forum wie diesem (natürlich auch von mir) munter zugeschrieben und oft auch pauschalisiert, wenn es um Grüne, Linke oder Etatisten geht. Dieses sozialpsychologische Phänomen ist zwar bei Individuen (wenn sie als Individuen agieren) recht unterschiedlich ausgeprägt, sobald es aber um Gruppenkontexte geht, kann man sich dem kaum entziehen. Und auch liberalkonservative, ja selbst Libertäre stellen ja eine Gruppe dar; sie suchen die Nähe zueinander, betonen ihre Ähnlichkeit untereinander und die Unterschiede zu anderen.

Nachtrag: jetzt war ich mal wieder auf dem falschen Dampfer, sorry. Es ging um Fremdenfeindlichkeit, nicht um Islamfeindlichkeit, und für den Begriff gebe ich Ihnen vollkommen recht; das ist ein reiner Kampfbegriff, wenn man ihn gegenüber der AfD anführt.

Herzliche Grüße,
Andreas

"Man kann einen gesellschaftlichen Diskurs darüber haben, was Meinungsfreiheit darf. Oder man hat Meinungsfreiheit." (Christian Zulliger)

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

12.05.2016 18:08
#24 RE: Die AFD – Kristallisationspunkt eines Konfliktes zweier Epochen Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #23
... sobald es aber um Gruppenkontexte geht, kann man sich dem kaum entziehen.

Wenn es um den Gruppenkontext geht, ist es ja auch gar kein Problem, auf die ganze Gruppe bezügliche Adjektive zu verwenden. Man muß sich eben davor hüten, aus der Gruppenzuordnung Rückschlüsse auf das Individuum zu ziehen; das ist aber aus geistiger Faulheit/Ökonomie oft allzu verlockend.
Bei zu häufigem oder ausschließlichem Hantieren mit Kollektivbegriffen verliert man auch leicht aus den Augen, daß diese Kollektive aus Einzelpersonen bestehen, die durch die gedankliche Kollektivierung in ein unangemessen eindimensionales Schema gepreßt werden; das findet man bei Links (fern von "zu Tode differenzieren") auch nicht selten: ein Marxist*, der in einem Unternehmer nur den Klassenfeind sieht; eine Feministin*, die in einem Mann nur den Sexualunterdrücker sieht usw.

Der gedankliche Konflikt zwischen der Individual- und der Kollektivebene steckt im Kern der ganzen Diskussion. Wer nur das Kollektiv sieht, wird leicht zum soziopathischen Massenmörder; aber wer konsequent nur das Individuum sehen will, wie die "refugees welcome"-Teddybärenverteilerinnen (wobei hier "refugee" ja auch schon wieder eine Klassifikation ist), verschließt seine Augen vor dem Problem, das eine sehr große Zahl von Individuen in Form eines Kollektivs mit überindividuellen Eigenschaften auch wieder stellt.

Irgendwie ist hier eine Art Doppeldenk vonnöten.

* Nachtrag: Das sind jetzt auch wieder eindimensionale Kollektivnamen, hier aber nicht einmal falsch, denn die Betreffenden sehen sich selbst im Zusammenhang ebenso stereotyp.

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

12.05.2016 20:10
#25 RE: Die AFD – Kristallisationspunkt eines Konfliktes zweier Epochen Antworten

Zitat von Fluminist im Beitrag #24


(...)

Irgendwie ist hier eine Art Doppeldenk vonnöten.


Völlige Zustimmung. Darüber hinaus sollte man, finde ich, versuchen, seine eigenen Begriffe und Konzepte im Zeitalter der political correctness trennscharf zu halten. Ich habe eine einigermaßen konkrete Vorstellung von dem, was unter Rassismus zu verstehen sei. Und die Tatsache, daß dieser Begriff seit Jahren als Kampfbegriff verwendet, semantisch überdehnt und inflationär gebraucht wird, sollte nicht soweit führen, ihn als diskreditiert zu betrachten und deshalb insgesamt zu meiden. Analog Sexismus usw.

Herzliche Grüße,
Andreas

"Man kann einen gesellschaftlichen Diskurs darüber haben, was Meinungsfreiheit darf. Oder man hat Meinungsfreiheit." (Christian Zulliger)

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