Den Bogen von der Wahl in Österreich zum Zeit-Artikel habe ich ehrlich gesagt nicht ganz nachvollziehen können. OK, Sanders setzt sehr stark auf diese "Victim"-Gruppen in den USA. Und Hofer/Trump machen die übliche rechte Opfer-Selbstinzsenierung.
Aber Clinton ist ja nun das personifizierte System, und Bellen würde ich eigentlich ähnlich verorten. Die passen also irgendwie nicht so zum Hauptthema.
Zitat von R.A. im Beitrag #25nur über obskure Uni-Grüppchen reden.
Du meinst solche obskuren Uni-Grüppchen, die einen Nobelpreisträger, wie Tim Hunt, über Nacht den Job kosten, weil er einen Witz machte, über den sie nicht lachen konnten?
Entschuldigung, aber ich halten den Begriff "obskure Uni-Grüppchen" für eine Bagetellsierung des Problems. Diese "Grüppchen" scheinen ganz reale gesellschaftliche Macht zu haben. Woher auch immer sie kommt.
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Zitat von Doeding im Beitrag #10Le Pen habe ich bereits wörtlich zitiert, dass sie sich einer staatlichen Defamationskampagne ausgesetzt sieht. Trump sieht jetzt schon eine Wahlbetrug voraus für den Fall, dass er nicht gewinnt: http://www.politico.com/story/2016/08/do...election-226588 ...
Ja. Und wird das jetzt Konsens? An den Hochschulen? Bei den Journalisten in ihrer Mehrheit? Bei der Antifa? Bei Kleber und Slomka? Der Vergleich hinkt nicht nur, er hat ein abbes Bein.
Wo spricht Petz denn von Konsens?[/quote]
Ich sprach von Konsens, nicht Petz. Um deutlich zu machen, daß dies eben nicht gilt:
Zitat Und so ist dieser Mainstream gleichzeitig sozialistisch, grün, neoliberal und reaktionär - kommt eben darauf an, wen man fragt
Und zwar entlang von Gesetzen, Durchführungsverordnungen und Erlassen. Da kann Augstein hundertmal quaken, wir lebten in einem neoliberalen Moloch. Es ist auch ziemlich wurscht, was große Teile der Bevölkerung oder auch eine AfD meinen.
Es gibt so etwas wie eine meinungsbildende Elite. Der Begriff ist etwas abgewirtschaftet, gleichwohl zutreffend. Diese besteht aus großen Teilen der pol. Klasse/der etablierten Parteien, den, insbesondere Berliner, Journalisten, großen Teilen des Hochschulbetriebes, privaten (Forschungs)instituten, aus denen sich massenhaft "Experten fordern" rekrutieren und NGOs. Diese bilden eine gemeinsame Filterblase und befruchten sich gegenseitig. Mal ganz abgesehen von den Finanzierungs-Verwobenheiten, die ein eigenes Thema wären. Hier entsteht eine Art Meta-Gruppendenken, bei denen es den Beteiligten völlig wumpe zu sein scheint, ob man damit indirekt Wahlkampfhilfe für die AfD macht. Jetzt soll ja das Gleichstellungsgesetz erheblich verschärft werden, um in Führungspositionen eine Migrantenquote durchsetzen zu können und Klagerecht für Organisationen (und nicht nur für Privatpersonen) in dieser Sache zulassen zu können. Hast Du irgendwelche Zweifel, daß dies, trotz obligatorischer Proteste der Mittelstandsvereinigung und der Handwerkskammern genauso kommen wird? Hier ist die Opferkultur Maxime der realen Gesetzgebung, die für alle Menschen in Deutschland gilt. Und das ist etwas völlig anderes als die Selbstmitleidsanfälle irgendwelcher AfDler. Es ist nicht die gleiche Baustelle. Es ist nichtmal das gleiche verdammte Handwerk.
Herzliche Grüße, Andreas
"Man kann einen gesellschaftlichen Diskurs darüber haben, was Meinungsfreiheit darf. Oder man hat Meinungsfreiheit." (Christian Zulliger)
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #27Du meinst solche obskuren Uni-Grüppchen, die einen Nobelpreisträger, wie Tim Hunt, über Nacht den Job kosten, weil er einen Witz machte, über den sie nicht lachen konnten?
Es waren nicht die Uni-Grüppchen, die Hunt gefeuert haben. Und bei der zuständigen Uni-Leitung bliebe erst einmal zu untersuchen, ob sie wirklich wegen des Vorfalls selber aktiv wurden oder ob sie nicht die Gelegenheit genutzt haben, ihn endlich loszuwerden. Das ist doch bei "Skandalen" aller Art immer der Knackpunkt: Es geht eigentlich nicht um den Anlaß, sondern entscheidend für den Ausgang der Sache ist der politische Rückhalt.
Ansonsten ist schon klar, daß diese stalinistischen pressure groups in angelsächsischen Unis zu viel Einfluß bekommen haben. Trotzdem ein Riesenunterschied zu großen politischen Bewegungen, die auch außerhalb der Unis wirken.
Zitat von Doeding im Beitrag #12Noricus hat ja durch die ausnehmend ansehnliche Blume seiner Schreibe eine krachende Kritik am (liberalen) Bürgertum abgelassen, gerichtet also an Dich und mich.
In diesem Zusammenhang sei auf einen der vielen ausgezeichneten Artikel meines Lieblingsautors auf Tichys Einblick, Dushan Wegner, verwiesen:
In diesem Text analysiert er das von Noricus benannte und im Zeitartikel beschriebene Phänomen sehr präzise als "Regelverletzungen" bzw. "Regeluterminierungen" und kommt zu dem Schluß:
Zitat von "Es gibt keine Freiheit ohne gute Regeln"Es liegt an uns, den Bürgern, (wieder) die Einhaltung von Regeln einzufordern. Wir müssen es benennen, kritisieren, blockieren und letzten Endes unmöglich machen, dass uns schlechte oder mangelhaft legitimierte Regeln aufgedrückt werden.
Die komplette Reihe des Autors mit dem Titel "Metaethics" sei an dieser Stelle ebenfalls zur Lektüre anempfohlen. Sie enthält viele erhellende Gedanken. Vor allem auch der Beitrag "Die Freiheit nehme ich mir" verdient meines Ermessens, im Zusammenhang mit dem hier besprochenen, Beachtung. Wegner beschreibt den Unterschied zwischen den Aussagen "Das ist wichtig." und "Das ist mir wichtig." und wie mit der Überführung dieser Aussagen in Äquivalente erfolgreich Politik gemacht wird.
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
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Zitat von Doeding im Beitrag #28Ich sprach von Konsens, nicht Petz.
Aber warum führst Du diesen Begriff ein? In keiner der angesprochenen Beispiele gibt es irgendeinen "Konsens". Die Opfer-Mythen der "victim"-groups wie auch der AfD oder aller möglichen anderen Gruppen haben nie einen Konsens hinter sich. Ginge ja schon von der Logik nicht, weil die armen unterdrückten Minderheitengruppen gar nicht mehr als solche funktionieren könnten, wenn es einen Konsens mit der pösen Mehrheit gäbe.
Zitat Und zwar entlang von Gesetzen, Durchführungsverordnungen und Erlassen. Da kann Augstein hundertmal quaken, wir lebten in einem neoliberalen Moloch. Es ist auch ziemlich wurscht, was große Teile der Bevölkerung oder auch eine AfD meinen.
??? Was sollen die Gesetze hier? Weder Augstein noch die AfD haben recht mit ihren Behauptungen. Finden aber trotzdem Anhänger mit ihren Opfer-Behauptungen.
Zitat Es gibt so etwas wie eine meinungsbildende Elite.
Na ja - gibt es noch etwas, ist aber schon ziemlich abgebröckelt. Und schon zu Kohl-Zeiten war diese "Elite" zwar lautstark (und die CDUler fühlten sich vom sozialistischen Mainstream unterdrückt), aber nicht durchsetzungsfähig (deswegen fühlte sie sich von der CDU-Regierung und ihren kapitalistischen Hilfskräften unterdrückt).
Zitat Diese bilden eine gemeinsame Filterblase und befruchten sich gegenseitig.
Richtig. Ganz typisch für politische Milieus.
Zitat Hier entsteht eine Art Meta-Gruppendenken, bei denen es den Beteiligten völlig wumpe zu sein scheint, ob man damit indirekt Wahlkampfhilfe für die AfD macht.
Es ist ihnen überhaupt nicht wumpe, sie kapieren es nur nicht. Sie können sich gar nicht vorstellen, daß sie mit ihren wohlmeinenden Maßnahmen Leute in Richtung AfD treiben könnten. Sondern glauben ja irrigerweise im Gegenteil, daß noch mehr wohlmeinende Politik die Wähler von der pösen AfD fernhalte könnte.
Zitat Hast Du irgendwelche Zweifel, daß dies, ... genauso kommen wird?
Da habe ich erhebliche Zweifel. Selbst hierzulande reicht Gutmenschentum alleine nicht, um solche Maßnahmen durchzusetzen. Und ich sehe keine Lobbies, die hier ihr Gewicht in die Waagschale werfen würden.
Zitat Hier ist die Opferkultur Maxime der realen Gesetzgebung, die für alle Menschen in Deutschland gilt. Und das ist etwas völlig anderes als die Selbstmitleidsanfälle irgendwelcher AfDler.
Die Einen sind (derzeit) in der Regierung, die Anderen in der Opposition. Die Opferkultur ist ziemlich ähnlich. Und wäre die AfD in der Regierung, würde sie selbstverständlich ähnliche Gesetze, aber eben in ihrer Richtung durchsetzen.
Zitat Es ist nicht die gleiche Baustelle. Es ist nichtmal das gleiche verdammte Handwerk.
Oh doch, es ist die gleiche politische Baustelle. Es geht darum, die deutsche Gesellschaft mit politischen Maßnahmen zu verändern. Nur die Richtung ist natürlich unterschiedlich.
Zitat von R.A. im Beitrag #29Und bei der zuständigen Uni-Leitung bliebe erst einmal zu untersuchen, ob sie wirklich wegen des Vorfalls selber aktiv wurden oder ob sie nicht die Gelegenheit genutzt haben, ihn endlich loszuwerden.
Ganz prinzipielll richtig. Aber glaubst du ernsthaft, die Uni hat einen wissenschaftlich sehr renommierten Nobelpreisträger, Mitglied der Royal Society, Inhaber der Royal Medal, mit Ritterschlag aus wissenschaftlichen "Renommee Überlegungen" heraus gefeuert? Kann sein, halte ich aber für äußerst unwahrscheinlich.
Zitat von R.A. im Beitrag #29sondern entscheidend für den Ausgang der Sache ist der politische Rückhalt
Eben drum. Genau das. Diese "obskuren Uni Grüppchen" scheinen ihn derzeit zu haben.
Zitat von R.A. im Beitrag #29Trotzdem ein Riesenunterschied zu großen politischen Bewegungen, die auch außerhalb der Unis wirken.
Im Gegensatz zu den Zuständen, ausgehend von US Unis, sind mir keine vergleichbaren Fälle umgekehrter Polarisierung bekannt. Kennst du Beispiele, wo ein Mann wie Tim Hunt seinen Job verlor, weil er einen Witz über Männer, Katholiken, Waffenlobbyisten oder sonst etwas in der Richtung machte?
Mein Punkt ist eben genau der, dass diese "obskuren Unigrüppchen" derzeit mehr politischen Rückhalt zu haben scheinen, wie viele andere politische Strömungen. Möglicherweise, weil ihnen das "neutrale Bürgertum" nicht genügend stark widerspricht. Genau so gewinnt das totalitäre Element Einfluß.
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
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Zitat von Doeding im Beitrag #28Ich sprach von Konsens, nicht Petz.
Aber warum führst Du diesen Begriff ein? In keiner der angesprochenen Beispiele gibt es irgendeinen "Konsens". Die Opfer-Mythen der "victim"-groups wie auch der AfD oder aller möglichen anderen Gruppen haben nie einen Konsens hinter sich. Ginge ja schon von der Logik nicht, weil die armen unterdrückten Minderheitengruppen gar nicht mehr als solche funktionieren könnten, wenn es einen Konsens mit der pösen Mehrheit gäbe.
Zitat Und zwar entlang von Gesetzen, Durchführungsverordnungen und Erlassen. Da kann Augstein hundertmal quaken, wir lebten in einem neoliberalen Moloch. Es ist auch ziemlich wurscht, was große Teile der Bevölkerung oder auch eine AfD meinen.
??? Was sollen die Gesetze hier? Weder Augstein noch die AfD haben recht mit ihren Behauptungen. Finden aber trotzdem Anhänger mit ihren Opfer-Behauptungen.
Mich deucht, wir reden aneinander vorbei. Ich versuche nochmal, mich präzis auszudrücken.
Es gibt den Opferstatus als Mittel der politischen Auseinandersetzung. Kann die AfD ganz gut, können andere (die Linke z. B.) auch ganz gut. Was ich meine ist etwas anderes, nämlich der mehr als starke Eindruck, daß es einen Konsens gibt, daß vordringliches Ziel von Politik als solcher zu sein habe, Minderheiten zu definieren, sich zu ihrem paternalistischen Beschützer aufzuschwingen und durch Gesetze diese "Ungerechtigkeiten" zu beseitigen. Das ist Gegenstand von Politik und Gegenstand der Gesetzgebung. Und nicht Gegenstand der Selbstdefinition der pol. Klasse abseits der Parteien am Rand des Spektrums. Dergleichen muß man bei der Afd nicht fürchten; bei der Afd müßte man fürchten, daß sie die Mehrheitsgesellschaft wieder derart in den Vordergrund stellen würde, daß man sich sorgen müßte, ob die nicht am Ende §175 wieder einführten und Minderheiten auf diese Weise tatsächlich wieder Opfer staatlicher Diskriminierung würden. Das ist aber ein anderes Problem, und momentan wirklich nicht das relevante. Die immer kleinteiligere Definition von Opfergruppen und deren politische Vertretung ist nicht das Ziel von AfD, Le Pen usw., aber es ist weitgehender Konsens im pol. Verständnis der von mir oben beschriebenen Filterblase
Herzliche Grüße, Andreas
"Man kann einen gesellschaftlichen Diskurs darüber haben, was Meinungsfreiheit darf. Oder man hat Meinungsfreiheit." (Christian Zulliger)
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #32Aber glaubst du ernsthaft, die Uni hat einen wissenschaftlich sehr renommierten Nobelpreisträger, Mitglied der Royal Society, Inhaber der Royal Medal, mit Ritterschlag aus wissenschaftlichen "Renommee Überlegungen" heraus gefeuert?
Nicht unbedingt aus "wissenschaftlichen Renommee Überlegungen". Aber vielleicht, weil der "Dinosaurier" (Tim Hunt über sich selbst) im praktischen Uni-Alltag lästig geworden ist (vor allem für einen Präsidenten, der gerade frisch ins Amt gekommen ist und wahrscheinlich einiges ändern wollte). Weiß man natürlich nicht, aber Du hast mich ja gefragt, was ich hier glaube. Und meine Lebenserfahrung läßt mich schließen, daß hier ein nichtiger Anlaß dankbar aufgenommen wurde.
Zitat Diese "obskuren Uni Grüppchen" scheinen ihn derzeit zu haben.
An manchen Unis in den USA haben sie wohl Einfluß, bei der Hunt-Affäre war es wohl eher so, daß Hunt zu wenige Freunde im Kollegium hatte.
Zitat Kennst du Beispiele, wo ein Mann wie Tim Hunt seinen Job verlor, weil er einen Witz über Männer, Katholiken, Waffenlobbyisten oder sonst etwas in der Richtung machte?
Inzwischen nicht mehr (früher konnte man selbstverständlich mit Witzen über Katholiken oder Unternehmer ein Amt verlieren). Klassischerweise hängen sich Linke bei moralischen Vorhaltungen eher an Humor auf, Rechte eher an Sex.
Zitat Mein Punkt ist eben genau der, dass diese "obskuren Unigrüppchen" derzeit mehr politischen Rückhalt zu haben scheinen,...
Innerhalb der Unis war linke Sektierer schon immer stärker als im Rest der Gesellschaft, das ist halt ihr spezielles Biotop. Das ist kein Indiz dafür, daß das Bürgertum ihre Positionen übernehmen würde.
Zitat von Doeding im Beitrag #33Es gibt den Opferstatus als Mittel der politischen Auseinandersetzung. Kann die AfD ganz gut, können andere (die Linke z. B.) auch ganz gut.
So weit sind wir uns einig.
Zitat ... daß es einen Konsens gibt, daß vordringliches Ziel von Politik als solcher zu sein habe, Minderheiten zu definieren, sich zu ihrem paternalistischen Beschützer aufzuschwingen und durch Gesetze diese "Ungerechtigkeiten" zu beseitigen.
So weit formuliert stimme ich auch zu. Das war schon immer ein wesentlicher Aspekt von Politik. Früher eher mit dem Begriff "Fürsorge" oder "Sittlichkeit" verknüpft, heute eher mit "Gerechtigkeit". Aber daß der Staat die Schwachen schützen und ihnen helfen soll, das ist natürlich wesentliches Politikprinzip. Das Problem ist natürlich, daß eigentlich schon alles getan ist, was für die Schwachen vernünftigerweise getan werden kann. Man könnte also jetzt die Parlament auf Halbzeitstellen umstellen - oder neue Hilfsbedürftige finden. Der politische Aktivismus an manchen Unis hat jetzt halt Hautfarbe und Sexualität zu Hilfe genommen, um "Schwache" zu definieren. Und umgekehrt sehen sich halt diverse Wähler als Opfer der Zuwanderung. Der Dauerbrenner dieser Argumentation ist ja z. B., man solle erst einmal deutschen Obdachlosen helfen anstatt Flüchtlingen.
Zitat bei der Afd müßte man fürchten, daß sie die Mehrheitsgesellschaft wieder derart in den Vordergrund stellen würde, daß man sich sorgen müßte, ob die nicht am Ende §175 wieder einführten und Minderheiten auf diese Weise tatsächlich wieder Opfer staatlicher Diskriminierung würden.
Merkwürdige Maßnahmen müßte man wohl fürchten, aber zu Lasten eben von anderen Minderheiten (z. B. eben §175). Aber das hätte eigentlich nichts mit der Mehrheitsgesellschaft zu tun. Der weiße, heterosexuelle, christliche, erwachsene Mann deutscher Herkunft und mit festem Einkommen ist zwar das Gegen- und Feindbild für alle möglichen Minderheiten-Schützer - aber mit "Mehrheit" hat er wenig zu tun.
Zitat Die immer kleinteiligere Definition von Opfergruppen und deren politische Vertretung ist nicht das Ziel von AfD, Le Pen usw., aber es ist weitgehender Konsens im pol. Verständnis der von mir oben beschriebenen Filterblase
Klar. Die linke Filterblase hat andere Opfergruppen im Visier als die AfD-Filterblase. Und da die linke Filterblase an der Regierung ist, kann sie auch entsprechende Maßnahmen durchführen. Die aber natürlich nur ein schwacher Abklatsch dessen sein können, was die Uni-Grüppchen fordern.
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #32Aber glaubst du ernsthaft, die Uni hat einen wissenschaftlich sehr renommierten Nobelpreisträger, Mitglied der Royal Society, Inhaber der Royal Medal, mit Ritterschlag aus wissenschaftlichen "Renommee Überlegungen" heraus gefeuert?
Nicht unbedingt aus "wissenschaftlichen Renommee Überlegungen". Aber vielleicht, weil der "Dinosaurier" (Tim Hunt über sich selbst) im praktischen Uni-Alltag lästig geworden ist (vor allem für einen Präsidenten, der gerade frisch ins Amt gekommen ist und wahrscheinlich einiges ändern wollte). Weiß man natürlich nicht, aber Du hast mich ja gefragt, was ich hier glaube. Und meine Lebenserfahrung läßt mich schließen, daß hier ein nichtiger Anlaß dankbar aufgenommen wurde.
Selbstverständlich, lieber R.A., steht es Ihnen frei zu glauben, was Sie wollen, aber das hier erscheint mir doch eine Idee zu spekulativ. Ich bin nun zwar auch kein UCL-Insider, aber aufgrund meiner Lebenserfahrung in der britischen Academia halte ich es für extrem unwahrscheinlich, daß "hier ein nichtiger Anlaß dankbar aufgenommen wurde". Ich meine eher, daß es eine bloße Nutzenabwägung der Universitätsleitung war. Einerseits hat man gerne einen Nobelpreisträger (mit Ehrenprofessur - also so gut wie völlig einflußlos und irrelevant im universitären Tagesbetrieb) als Vorzeigefigur zwecks Reklame, den man bei der Anwerbung von Studenten und überhaupt zur Förderung der Reputation des Instituts vorzeigen und bei festlichen Anlässen vorführen kann. Andererseits ist da Athena SWAN, das seit Jahren fest verankerte Programm zur Frauenförderung in den Wissenschaften; das ist nur nicht nur irgendwas, sondern seit ein paar Jahren ist der Nachweis mit deren Forderungen konformer Strukturen in den Departments und Instituten zwingend erforderlich, um überhaupt Drittmittel der staatlichen Research Councils einwerben zu dürfen. Weil es eben so wichtig ist, bei Athena SWAN einen guten Status zu haben, ist dies in den Köpfen der Uni-Funktionäre eine ganz oben angesiedelte Priorität. Der prominente Ehrenprofessor wird durch die Anschuldigung, eine frauenfeindliche Äußerung getan zu haben, somit im Handumdrehen vom Aushängeschild zum Problembär. Ihn loszuwerden ist dann nicht nur de rigueur, sondern an sich schon ein positives Zeichen zur Frauenförderung in der Wissenschaft, jedenfalls das beste, was zur Schadensbegrenzung getan werden kann.
Insofern spricht das Beispiel durchaus in dem Sinne, den nachdenken_schmerzt_nicht gemeint hatte. Ein etwas platter Witz wird von vermeintlichen Kämpfern für die gute Sache zum Zeichen von Frauenfeindlichkeit aufgebläht, und wegen der vorbereiteten Strukturen bleibt der Unileitung praktisch keine Handlungsalternative als den Betreffenden abzustoßen. In diesem Fall war es noch glimpflich, da der Betreffende seine Karriere schon hinter sich hatte und nicht in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht ist; das war aber reiner Zufall.
Zitat von R.A. im Beitrag #34früher konnte man selbstverständlich mit Witzen über Katholiken oder Unternehmer ein Amt verlieren
Ich glaube definitiv, dass man aufgrund unbedachter Positionierung eine gewisse gesellschaftliche Ächtung erfahren konnte. Ich bin allerdings sehr skeptisch, dass "Anlaß und Konsequenz" auch nur annähernd in einem ähnlichen Verhältnis standen, wie sie heute mitunter stehen. Auch "Wirkung im Verhältnis zur Ursache" ist für mich durchaus ein Merkmal an dem ich glaube totalitäre Strukturen festmachen zu können. Genau auch deshalb halte ich Mäßigung für einen im Kern liberalen Wesenszug. Ich kann das nicht belegen und es würde mich durchaus interessieren, ob jemand eine Behandlung wie zum Bsp. Hunt erfuhr, weil er einen recht harmlosen Witz machte, über (nicht einmal gegen) zeitgeistige Themen.
Genau diesen von mir vermuteten Unterschied in Anlaß und Wirkung halte ich für einen zentralen Punkt, der mich persönlich derzeit den Ausdruck des "konservativen Mimimi" für unangebracht erscheinen lässt. Natürlich rannte man mit Positionen wider den Zeitgeist noch nie offene Türen ein, ich glaube aber schon, dass es mehr als nur kleine Unterschiede im Umgang mit "Abweichlern" gab bzw. gibt.
Ein andere wichtiger Punkt ist in meinen Augen, dass (wahrgenommen) linke, utopische Abweichler schon immer das intelektuelle, künstlerische Milieu als Refugium und Unterstützer hatten. Solche Abweichler hatten also immer in gewissem Maß "renommierte" Unterstützung mit gewisser gesellschaftlicher Akzeptanz. Solche Unterstützung fehlt bei vielen zeitgeistkritischen Positionen heute völlig. Das ist in meinen Augen ein nicht unwesentlicher Punkt, in dieser Weise mit gewissen Positionen als gesellschaftliche Gruppe "auf sich alleine gestellt" zu sein.
Zitat von R.A. im Beitrag #34Innerhalb der Unis war linke Sektierer schon immer stärker als im Rest der Gesellschaft, das ist halt ihr spezielles Biotop. Das ist kein Indiz dafür, daß das Bürgertum ihre Positionen übernehmen würde.
Nicht "übernehmen". Gewähren lassen. Das ist mein Punkt. Totalitäre Systeme entstanden nicht selten deswegen, weil das Bügertum gewähren lies. Nicht weil es totalitär wurde.
Herzlich
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Zitat von R.A. im Beitrag #25Es gibt ja auch komischerweise keine politische Richtung, die sich selber als Teil des "Mainstreams" sieht. Sondern alle sehen sich als (manchmal als unterdrückte) Opposition zum Mainstream. Und so ist dieser Mainstream gleichzeitig sozialistisch, grün, neoliberal und reaktionär - kommt eben darauf an, wen man fragt.
Bei der Etikettierung tun sich alle schwer - es ist ein wenig wie dieses Religionsgleichnis mit dem Elefanten, bei dem der eine den Schwanz zu fassen kriegt, der andere die Beine, wiederum ein anderer den Rüssel usw. Aber wenn man konkrete Politik aufzuzählen beginnt, wird schnell deutlich, dass es diesen Mainstream tatsächlich gibt und alle denselben sehen. Sie bewerten ihn nur jeweils anders.
Übrigens sind Union und SPD m.E. klassische Mainstream-Parteien, sowohl vom Selbstverständnis her als auch von ihrer Rolle im System. Die würden sich überhaupt nicht gegen diese Bezeichnung wehren.
-- Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau, verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau. (Reinhard Mey)
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #37Ein andere wichtiger Punkt ist in meinen Augen, dass (wahrgenommen) linke, utopische Abweichler schon immer das intelektuelle, künstlerische Milieu als Refugium und Unterstützer hatten. Solche Abweichler hatten also immer in gewissem Maß "renommierte" Unterstützung mit gewisser gesellschaftlicher Akzeptanz. Solche Unterstützung fehlt bei vielen zeitgeistkritischen Positionen heute völlig. Das ist in meinen Augen ein nicht unwesentlicher Punkt, in dieser Weise mit gewissen Positionen als gesellschaftliche Gruppe "auf sich alleine gestellt" zu sein.
Zitat von Werwohlf im Beitrag #38Aber wenn man konkrete Politik aufzuzählen beginnt, wird schnell deutlich, dass es diesen Mainstream tatsächlich gibt und alle denselben sehen. Sie bewerten ihn nur jeweils anders.
Diese beiden Aussagen sind dabei durchaus im Zusammenhang zu sehen. Die Wahrnehmung der Realität orientiert sich nämlich in unserer Gesellschaft anhand der akzeptierten Ängste, die ganz wesentlich durch das intellektuelle Milieu definiert werden.
In unserer Gesellschaft gibt es "aufgeklärte" und "irrationale" Ängste. "Aufgeklärte Ängste" sind zum Beispiel die Ängste vor Rechtsradikalismus, Klimakatastrophe, Atomtod, Gentechnik, Chemie, Umweltgifte oder allgemein die Angst vor der Gestaltung der Natur zum Vorteil des Menschen. "Irrationale Ängste" dagegen sind alle Ängste, die im Zusammenhang mit Zuwanderung bestehen.
Im Weitern muß man sich bewußt machen, dass wesentliche Teile unserer Politik durch Ängste definiert werden. Dabei spreche ich nicht nur von solchen Kleinigkeiten wie den Jodtabletten, welche Andreas bereits thematisierte. Der Atomausstieg (Angst vor Atomtod), die Energiewende, Subventionen von E Autos oder bestimmten Forschungszweigen, Milliardenhilfen (Angst vor der Klimakatastrophe), Teile der EU und Euro Politik (Angst vor Rechtsradikalismus), Unterrichtsverbot für bestimmte Fächer (Angst vor Gentechnik), Messen mit zweierlei Maß bei Toxizität in der Bio- bzw. konventioneller Landwirtschaft (Angst vor Chemie): Aufgeklärte Ängste sind das Maß der Dinge für sehr wichtige Bereiche der Politik und weitreichende gesellschaftliche Entscheidungen.
Diese "Aufgeklärten Ängste" konnten sich dabei meines Ermessens vor allem deshalb etablieren als Realität, weil sie großflächig das "gesellschaftliche back up" durch die "intellektuellen Eliten" hatten. Dieses "gesellschaftliche back up" haben dagegen "rechtspopulistische Ängste", wie vor allem Ängste im Zusammenhang mit Zuwanderung, nicht. Maximal dort wo sie Schnittmengen mit linkspopulistischen, Öko Bourgeoise Ängsten haben.
Es ist wie der Werwohlf sagt: Die reale gesellschaftliche Position ist vorhanden. Sie wird nur unterschiedlich empfunden. Die Deutungshoheit über die Empfindung darüber besitzt derjenige, der die Deutungshoheit darüber besitzt, was eine "Aufgeklärte Angst" und was eine "irrationale Angst" ist.
Hier herrscht ein deutliches Ungleichgewicht, was man eindeutig daran sieht, welche Ängste die Politik dominieren. Die "intellektuellen Eliten" sind für diese aktuelle Situation einer der gewichtigeren Gründe und auch der aktuelle Grund für eine gewisse Asymmetrie in der gesellschaftspolitischen Landschaft. Rechtspolpulistischen, politischen Strömungen wird von dieser, nicht unwichtigen Seite, immer starker Wind ins Gesicht blasen, der jedem noch so dämlichen linkspopulistischen, Öko Bourgeoise Schmarrn gleichzeitig Rückenwind beschert.
Und das Bürgertum lässt gewähren. Studierte müssen ja schon wissen wovon sie reden.
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
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Zitat von R.A. im Beitrag #26Den Bogen von der Wahl in Österreich zum Zeit-Artikel habe ich ehrlich gesagt nicht ganz nachvollziehen können. OK, Sanders setzt sehr stark auf diese "Victim"-Gruppen in den USA. Und Hofer/Trump machen die übliche rechte Opfer-Selbstinzsenierung.
Aber Clinton ist ja nun das personifizierte System, und Bellen würde ich eigentlich ähnlich verorten. Die passen also irgendwie nicht so zum Hauptthema.
Im Hinblick auf Clinton habe ich auch nichts anderes behauptet. Da hat man eben nicht den victimhood cultural Sanders auf den Schild gehoben, sondern die Establishment-Politikern, die dem linken Opferkult sprach- bis widerstandslos gegenübersteht.
Und in puncto vdB habe ich ja ausgeführt, dass dieser nicht so weit links steht wie Sanders. Aber er repräsentiert die Grünen, welche in Ö (und D) die Avantgarde der victimhood culture bilden. Wer möglichst viel victimhood culture möchte, wählt die Grünen. Dass vdB für diese Strömung nicht der ideale Kandidat ist, stelle ich außer Streit.
Zitat von Publius im Beitrag #22Aber vielleicht liegt es auch an der deutschen Mentalität.
Meine Vermutung. Die Deutschen waren und sind begeisterte Kollektivisten. Das deutsche Ideal ist die große, harmonische Gemeinschaft
Das sehe ich auch so, lieber Werwohlf. So habe ich den Eindruck, dass es nicht wenigen (insbesondere Grundschul-)Lehrkräften wichtiger ist, dass sich das Kind in die Klassengemeinschaft integriert, als dass es gute individuelle Leistungen erbringt. Denn:
Zitat von Werwohlf im Beitrag #24Was man in Deutschland gar nicht mag, ist zu großer Individualismus. Da gilt man schnell als Störenfried, der zur Wahrung der Harmonie möglichst weit fernzuhalten ist.
Und deshalb ist das deutsche Schulsystem auf den sozial kompatiblen Durchschnittspennäler ausgerichtet, der weder durch zu gute Leistungen zu Neid noch durch zu schlechte Leistungen zu Verachtung Anlass gibt und der vor allem nicht gegen den Strom schwimmt.
Zitat von Werwohlf im Beitrag #24Das Ganze ist dann noch verbunden mit der ins Erwachsenenalter transportierten, kindlichen Erwartung, dass es die Befriedigung der eigenen materiellen Bedürfnisse nur durch einen Willensakt dieser harmonischen Gemeinschaft möglich ist.
Genau. Und diese Geisteshaltung kann auch positive Wirkungen zeitigen, wenn sie dazu führt, dass man von egoistischen Verhaltensweisen Abstand nimmt und nach dem kategorischen Imperativ handelt. Aber: Diese Mentalität macht auch etwas wie die nationalsozialistische Volksgemeinschaftsideologie möglich, die im Ausland mangels entsprechender Kollektivismus-Traditionen im Wortsinn unvorstellbar gewesen wäre.
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #15Sie müßte eher lauten, warum wehren sich die Konservativen und Nationalen gegen den neuen Totalitarismus und nicht die Liberalen und den versuch einer Antwort darauf, habe ich gerade gegeben.
Ich glaube, lieber nachdenken_schmerzt_nicht, dass die Liberalen in Deutschland schon immer still gewesen sind. Das Scheitern der Revolution 1848/49 wurde hingenommen, im Kaiserreich fällt mir nur Eugen Richter (zumindest aus liberaler Sicht) als entschiedener Kritiker des Bismarckschen Obrigkeitsstaates ein, und bei der Abstimmung zum "Ermächtigungsgesetz" im Jahre 1933 stimmten die Liberalen sogar dafür. Was allerdings die Gründung der sozialistischen DDR betrifft, konnte man, denke ich, als Liberaler wirklich nichts machen, weil dies ein sowjetischer Satellitenstaat war.
Natürlich kann es auch daran liegen, dass Mäßigung ein Wesenskern des Liberalismus ist (was ich persönlich überhaupt nicht tadelnswert finde, im Gegenteil). Aber ich frage mich, warum anscheinend besonders in Deutschland der Liberalismus sich schwer tut. In angelsächsischen Ländern, wie den USA z.B., hat man weniger Probleme sich offen zu den freiheitlichen Prinzipien, auf die die USA gegründet worden sind, zu bekennen und aus dieser Position heraus die sozialdemokratische Politik Obamas zu kritisieren.
Aber vielleicht liegt es auch an der deutschen Mentalität. Die Begeisterung für Revolutionen, wie es sie z.B. in Frankreich gibt, ist in Deutschland nicht vorhanden. Dann ist es kein Wunder, dass die (mäßigen) deutschen Liberalen sich erst recht still verhalten.
Gruß Publius
Sie stellen, lieber Publius, eine interessante Frage, die in diesem Forum immer wieder mal angerissen wurde.
In England (und dessen Traditionen folgend in den USA) mag der Liberalismus deshalb einen hohen Stellenwert haben, weil er die Bestrebungen des Adels, die königliche Macht zu begrenzen, philosophisch-intellektuell legitimierte. Es klingt doch viel schöner, wenn man die Magna Carta, Habeas Corpus, den Parlamentarismus mit der individuellen Freiheit und eben nicht mit dem Streben nach eigener und der Beschränkung der monarchischen Macht begründet (man entschuldige den Zynismus).
In Frankreich wurde der (höhere) Adel durch den Sonnenkönig zum Hofschranzentum degradiert. Effektive Reformen gab es in der bleiernen Zeit des 18. Jahrhunderts nicht. Frankreich war seinerzeit wie auch heute ein reformunfähiges Land. Der große Knall war unausweichlich. Dies mag damit zu tun haben, dass der Franzose (generischer Singular, um ein Klischee zu markieren) - anders als der Deutsche - nicht bereit ist, ob des Nutzens und Frommens einer wie auch immer gearteten Gemeinschaft auf seine Besitzstände zu verzichten. Freilich, der Staat soll es richten. Aber er darf dabei ja niemands Pfründe beeinträchtigen. Er muss allen den Pelz waschen, ohne sie dabei nass zu machen. Eine Agenda 2010 wäre in Frankreich unmöglich gewesen. Aus dieser Kulturtradition erhellt, warum Frankreich nicht durch Reformen, sondern nur durch Revolutionen veränderbar ist.
Und dann haben wir Deutschland. Hierzulande waren es die aufgeklärt-absolutistischen Fürsten, die ihrem Volk die Aufklärung oktroyierten. Selbiges gilt für Österreich. Maria Theresia, Joseph II. und der Alte Fritz hatten hinsichtlich ihrer Geistehaltung vielleicht mehr Ähnlichkeiten mit Schwesig und Maas, als einem das lieb sein kann. Der aufgeklärte Absolutist als Landesvater oder Landesmutter (Mutti!) wollte durch seine "gute Polizey" den - seiner Ansicht nach - dumpfen Pöbel zu dessen aufklärerischem Glück zwingen. Unter der Voraussetzung dieser Verfahrensbindung (Aufklärung per Dekret) war der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit akzeptabel.
Nach alledem wundert es nicht, dass - entsprechend einem jüngst vernommenen, sehr treffenden Bonmot - Franzosen, die mit einem Gesetz unzufrieden sind, auf die Straße gehen, während Deutsche in der gleichen Lage nach Karlsruhe gehen.
Zitat von Werwohlf im Beitrag #24Meine Vermutung. Die Deutschen waren und sind begeisterte Kollektivisten. Das deutsche Ideal ist die große, harmonische Gemeinschaft [...] Was man in Deutschland gar nicht mag, ist zu großer Individualismus. Da gilt man schnell als Störenfried, der zur Wahrung der Harmonie möglichst weit fernzuhalten ist.
Ich hatte das vor Monaten ja einmal versucht zu beleuchten und Emulgator führte in der anschließenden Diskussion im kleinen Zimmer einen äußerst interessanten Gedanken über Moral, Recht und Totalitarismus aus, welcher auch sehr gut hier her passt.
Ich glaube so viele kollektivistischen Katastrophen kann das politische Deutschland gar nicht erleben, dass es aufhört das Individuum als gefährlichen Sektierer zu sehen.
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Zitat von Noricus im Beitrag #42Und dann haben wir Deutschland. Hierzulande waren es die aufgeklärt-absolutistischen Fürsten, die ihrem Volk die Aufklärung oktroyierten. Selbiges gilt für Österreich. Maria Theresia, Joseph II. und der Alte Fritz hatten hinsichtlich ihrer Geistehaltung vielleicht mehr Ähnlichkeiten mit Schwesig und Maas, als einem das lieb sein kann. Der aufgeklärte Absolutist als Landesvater oder Landesmutter (Mutti!) wollte durch seine "gute Polizey" den - seiner Ansicht nach - dumpfen Pöbel zu dessen aufklärerischem Glück zwingen.
Sehr schön dargestellt. Und das "Problem" (aus liberaler Sicht): Das hat ganz gut funktioniert! Unter dem aufgeklärten Absolutismus ließ es sich (nach Maßstäben der Zeit) gut leben in Deutschland. Deutlich besser als in den meisten anderen Ländern Europas, gerade der Unterschied zum verkrusteten Frankreich war augenfällig und war den Leuten auch bewußt. Es gibt interessante deutsche Reaktionen (u. a. von Goethe) bei Ausbruch der französischen Revolution der Art: "Geschieht denen völlig recht mit ihrem veralteten Sauladen, da mußte ja ein Aufstand kommen". Intellektuell wurde die Revolution erst deutlich später, und diese Phase wurde durch Napoleon schnell wieder beendet.
Auch die angelsächsischen Länder waren erst einmal nicht besser dran. In England gab es etwas mehr individuelle Freiheiten (für die herrschende Schicht), die aber erst einmal im wesentlichen für Korruption und innenpolitische Querelen genutzt wurde. Es gibt auch interessante Beschreibungen von hessischen Soldaten aus dem US-Unabhängigkeitskrieg (natürlich nicht ganz neutral, da sie ja auf der Gegenseite kämpften). Und die konnten den Freiheitsideen der US-Gründungsväter wenig abgewinnen. Die galten den Hessen als krude Mischung aus weltfremden Spinnereien, intoleranter Sektierei und schlimmer Heuchelei (der Gegensatz zwischen Menschenrechtsschwärmerei und praktisch ausgeübter Sklaverei wurde von den Deutschen übel vermerkt). Daß die Angelsachsen in dieser Phase auch die Basis für die Industrialisierung und eine insgesamt fortschrittliche Entwicklung legten, wurde von den deutschen Beobachtern nicht bemerkt. Die fühlten sich wohl im Hier und Jetzt und grübelten wenig über verpaßte Chancen. Man könnte eine gewisse Parallele zu heute sehen ...
Seine beste Zeit hatte der Liberalismus in Deutschland, als im 19. Jahrhundert die Reformen von oben NICHT mehr kamen. Als in der deutschen KLeinstaaterei ganz offensichtlich Chancen und Entwicklungen verschlafen wurden. Nach der deutschen Einheit waren diese Hindernisse im wesentlichen beseitigt, der Staat war wieder bereit, "von oben" zu reformieren - und die Deutschen waren's zufrieden. Und ähnlich steht ja auch die Geschichte der Bundesrepublik mit der "sozialen Marktwirtschaft" in dieser Tradition. Und bei aller Unzufriedenheit mit Einzelaspekten: Unterm Strich lebt es sich halt hierzulande immer noch besser als in den meisten anderen Ländern. Das gibt der "Status Quo mit Nudging"-Politik strukturell eine starke Position.
Zitat Nach alledem wundert es nicht, dass - entsprechend einem jüngst vernommenen, sehr treffenden Bonmot - Franzosen, die mit einem Gesetz unzufrieden sind, auf die Straße gehen, während Deutsche in der gleichen Lage nach Karlsruhe gehen.
Die Rechtsstaatstradition in Deutschland ist eben wesentlich stärker. Und vor allem: Der Gang nach Karlsruhe ist im Schnitt auch deutlich erfolgreicher als die Blockade von Autobahnen.
Zitat von Noricus im Beitrag #42In Frankreich wurde der (höhere) Adel durch den Sonnenkönig zum Hofschranzentum degradiert. Effektive Reformen gab es in der bleiernen Zeit des 18. Jahrhunderts nicht. Frankreich war seinerzeit wie auch heute ein reformunfähiges Land. Der große Knall war unausweichlich.
So sehe ich das auch. Besonders der Adel wehrte sich gegen mögliche Reformversuche von Ludwig XVI. und seinen Finanzministern, die er am Ende immer entließ. Am Anfang der Revolution ging es wirklich um Reformen und liberal gesinnte Revolutionäre wie z.B. Lafayette, der den Entwurf der "Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte" vorlegte, hatten großen Einfluss. Umso mehr frage ich mich, wieso das liberale Bürgertum untätig zuschaute, als die radikalen Jakobiner ihre totalitäre Diktatur errichteten, obwohl diese niemals die Mehrheit stellten? War es der Umstand, dass Frankreich sich im Krieg mit den europäischen Monarchien befand und auf den Straßen, angeführt von den fanatischen Sansculotten, Druck (und zugleich Angst) ausgeübt wurde?
Zitat Und dann haben wir Deutschland. Hierzulande waren es die aufgeklärt-absolutistischen Fürsten, die ihrem Volk die Aufklärung oktroyierten. Selbiges gilt für Österreich. Maria Theresia, Joseph II. und der Alte Fritz hatten hinsichtlich ihrer Geistehaltung vielleicht mehr Ähnlichkeiten mit Schwesig und Maas, als einem das lieb sein kann. Der aufgeklärte Absolutist als Landesvater oder Landesmutter (Mutti!) wollte durch seine "gute Polizey" den - seiner Ansicht nach - dumpfen Pöbel zu dessen aufklärerischem Glück zwingen. Unter der Voraussetzung dieser Verfahrensbindung (Aufklärung per Dekret) war der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit akzeptabel.
Naja, ich möchte ja nicht bezweifeln, dass die aufgeklärten-absolutistischen Fürsten von der Aufklärung beeinflusst waren und ihr Land reformierten, aber wollten sie wirklich per Dekret von oben, ohne natürlich ihre eigene Macht zu gefährden, das Volk zu aufklärerischen Glück zwingen? Friedrich der Große soll der Meinung gewesen sein, dass "von 10 Millionen keine tausend gebildete zu finden seien und dass man den Pöbel dem Irrtum überlassen müsse". Das klingt nicht danach, das Volk zur Aufklärung zu zwingen.
Auffällig ist jedenfalls, dass in der Französischen Revolution das Pendel von einem Extrem (absolute Monarchie) ins andere (totalitäre Diktatur) fiel, während in der Deutschen Revolution von 1848/49 sogar die Ablehnung von Friedrich Wilhelm IV. der ihm angebotenen Kaiserkrone hingenommen wurde, also sich die deutschen Revolutionäre vielleicht "zu brav" verhielten.
Zitat von Publius im Beitrag #45Umso mehr frage ich mich, wieso das liberale Bürgertum untätig zuschaute, als die radikalen Jakobiner ihre totalitäre Diktatur errichteten, obwohl diese niemals die Mehrheit stellten?
Das war eine sehr komplexe Entwicklung, stellenweise sehr chaotisch und stark durch einzelne Personen und Ereignisse getrieben. Und die Jakobiner hatten eben sehr wohl eine ausreichende "Mehrheit", jedenfalls wenn es um die Kriterien "in Paris" und "mobilisierbar" ging. In den Provinzen sah es durchaus anders aus - siehe nicht nur die konservative Vendée, sondern insbesondere die föderalistischen Aufstände in Lyon, Marseille und anderen Städten. Letztlich hat sich die Zentrale mit brutaler Gewalt durchgesetzt und Frankreich gleichgeschaltet.
Mein Professor für französische Geschichte sagte deswegen auch, die Revolution war nur der Abschluß des jahrhundertelangen Bürgerkriegs, in dem die Pariser Region Frankreich eroberte.
Zitat War es der Umstand, dass Frankreich sich im Krieg mit den europäischen Monarchien befand und auf den Straßen, angeführt von den fanatischen Sansculotten, Druck (und zugleich Angst) ausgeübt wurde?
Diesen Krieg mit den Monarchien hatten die Vertreter des liberalen Bürgerkriegs ziemlich unnötig vom Zaun gebrochen, gegen den Widerstand der (späteren) Jakobiner. Und da der Krieg lange Zeit schlecht lief, hat das die Radikalisierung der Revolution gefördert.
Zitat aber wollten sie wirklich per Dekret von oben, ohne natürlich ihre eigene Macht zu gefährden, das Volk zu aufklärerischen Glück zwingen?
Zum Glück zwingen ja, aber zu diesem Glück gehörte eben nicht Selbstbestimmung oder gar Beteiligung an der Macht. Das sehen die Grünen heute noch so ...
Wenn ich diese äußerst erhellende Diskussion versuche zusammen zu fassen, stehen am Ende folgende Passagen nebeneinander:
Zitat von Noricus im Beitrag #42Der aufgeklärte Absolutist als Landesvater oder Landesmutter (Mutti!) wollte durch seine "gute Polizey" den - seiner Ansicht nach - dumpfen Pöbel zu dessen aufklärerischem Glück zwingen.
Zitat von R.A. im Beitrag #46Zum Glück zwingen ja, aber zu diesem Glück gehörte eben nicht Selbstbestimmung oder gar Beteiligung an der Macht. Das sehen die Grünen heute noch so ...
Zitat von R.A. im Beitrag #44Nach der deutschen Einheit waren diese Hindernisse im wesentlichen beseitigt, der Staat war wieder bereit, "von oben" zu reformieren - und die Deutschen waren's zufrieden. Und ähnlich steht ja auch die Geschichte der Bundesrepublik mit der "sozialen Marktwirtschaft" in dieser Tradition. Und bei aller Unzufriedenheit mit Einzelaspekten: Unterm Strich lebt es sich halt hierzulande immer noch besser als in den meisten anderen Ländern.
Zitat von Noricus im Beitrag #41diese Geisteshaltung kann auch positive Wirkungen zeitigen, wenn sie dazu führt, dass man von egoistischen Verhaltensweisen Abstand nimmt und nach dem kategorischen Imperativ handelt. Aber: Diese Mentalität macht auch etwas wie die nationalsozialistische Volksgemeinschaftsideologie möglich, die im Ausland mangels entsprechender Kollektivismus-Traditionen im Wortsinn unvorstellbar gewesen wäre.
Das liest sich in einem Satz für mich in etwa folgendermaßen: Die Deutschen können, zum Wohle aller, perfekt funktionieren wie ein gut organisierter Ameisenstaat, solange die Königin keine spinnerten Ideen hat.
Das ist jetzt überhaupt nicht despektierlich gemeint, sondern als prägnanter Versuch Vor- und Nachteile historisch entstandener deutscher Eigenheit zusammen zu fassen.
Es gilt also immer die Königin, respektive ihre Ideengeber im Auge zu behalten. Aber wer macht das?
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #47 Es gilt also immer die Königin, respektive ihre Ideengeber im Auge zu behalten. Aber wer macht das?
Zu Zeiten des ewigen Kanzlers waren das:
- Die selbstbewussten Minister (vor allem Außen, Finanzen) - Die starken und mit eigener Machtbasis ausgestatteten Landesfürsten - Die kritischen Medien - Das Zünglein an der Waage FDP - Die kritischen Künstler - Die selbstbewussten Fraktionsvorsitzenden
Und zwar in der Reihenfolge.
Zu Zeiten von Deutschlands Totengräberin:
- Die AfD
Weitere Fragen? Gruß
___________________ Kommunismus mordet. Ich bin bereit, über die Existenz von Einhörnern zu diskutieren. Aber dann verlange ich außergewöhnlich stichhaltige Beweise.
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #47Das liest sich in einem Satz für mich in etwa folgendermaßen: Die Deutschen können, zum Wohle aller, perfekt funktionieren wie ein gut organisierter Ameisenstaat, solange die Königin keine spinnerten Ideen hat.
Da ist viel dran. Wobei "zum Wohle aller" relativiert werden muß - das ist höchstens relativ zu sehen im Vergleich zu diversen anderen Ländern. Denn im deutschen Ameisenstaat gab es auch immer viele Maßnahmen, die nur irgendwelchen Lobbies nutzten, zum Schaden des "Wohls aller". Man denke da nur an den alten Stadtwerke-Filz oder an den schon lange vor der "Energiewende" aus dem Ruder gelaufenen Umweltschutz.
Zitat Es gilt also immer die Königin, respektive ihre Ideengeber im Auge zu behalten. Aber wer macht das?
Da gibt es schon viele Gegengewichte, Frank2000 hat einige aufgezählt (wobei ich seinen aktuellen Vorschlag für recht falsch halte).
Das aktuelle Problem liegt wohl vor allem darin, daß die Merkel-Ära eigentlich vorbei ist und nur noch der Anstoß fehlt, sie aufs Altenteil zu schicken. Wie seinerzeit bei Kohl. Und genau in dieser Phase fällt die SPD als Alternative aus. Wo es damals wenigstens einen Schröder gab, gibt es dort heute de facto ein Personalvakuum.
Zu den strukturellen Schwierigkeiten, in einer modernen Demokratie politisches Führungspersonal zu finden und aufzubauen müßte ich vielleicht einmal einen eigenen Blogbeitrag schreiben.
Zitat von R.A. im Beitrag #44Es gibt auch interessante Beschreibungen von hessischen Soldaten aus dem US-Unabhängigkeitskrieg (natürlich nicht ganz neutral, da sie ja auf der Gegenseite kämpften). Und die konnten den Freiheitsideen der US-Gründungsväter wenig abgewinnen. Die galten den Hessen als krude Mischung aus weltfremden Spinnereien, intoleranter Sektierei und schlimmer Heuchelei
Kleine Anmerkung: Dass man den anderen nicht recht versteht, schien auf Gegenseitigkeit zu beruhen. Der Begriff "Hessian" steht in den USA bis heute in erster Linie für die (wenig beliebten) hessischen Soldaten während dem Unabhängigkeitskrieg. Am Wochenende habe ich mal wieder den Film "Sleepy Hollow" gesehen. Das kopflose Monster ist da ein hessischer Soldat.
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