Lieber n_s_n, ich nehme an, Ihr Beitrag war von Mierschs Pressemitteilung motiviert. Ich betrachte es auch als Skandal, sowohl, dass das UBA sich zum Wahrheitsministerium aufschwingt (auch mit verfälschenden Unterstellungen, wie 'Klimawandelskeptiker' u.a.), sondern auch, dass ein Gericht dies einer staatlichen Behörde zugesteht. 'Stand der Wissenschaft', 'Stand der Technik', auch 'allgemein anerkannter Stand der Technik' weisen einen Zeitstempel auf, weisen darauf hin, dass sie eben nicht endgültig sind. Zudem spricht die Dynamik der Erkenntnisse in der sogenannten Klimaforschung gegen einen konvergierenden Stand der Wissenschaft, vor allem da die sogenannten Wissenschaftlern seit Jahren Prognosen wagen, deren Nichteintritt sie mit immer neueren Erklärungsmodellen nacherklären müssen.
Zitat von Martin im Beitrag #2Lieber n_s_n, ich nehme an, Ihr Beitrag war von Mierschs Pressemitteilung motiviert.
Die Pressemitteilung war der Anlaß.
Die Motivation (welche schon seit Jahren in mir gärt) ist meine Wahrnehmung, dass ein recht unaufgeklärter Wissenschaftsbegriff auch im 21. Jahrhundert die öffentliche Meinung dominiert. Und dass heuer die Justiz – wie gesagt kann ich die Gründe dazu nicht fachlich beurteilen – dies mitträgt, obwohl mein laienhaftes Verständnis des Grundgesetzes anderes erwarten ließe.
Der aktuelle Vorgang, gleich ob man ihn für faktisch relevant hält oder nicht, zeigt dabei die Parallelen zu „voraufklärerischen“ Gesellschaften: Die Ordnungsmacht greift in die Freiheit des Individuums ein, um das eigene Weltbild, die eigenen Ideologie abzusichern.
Wir müssen kein Wort darüber verlieren, dass die Zivilisiertheit heutigen, behördlichen Vorgehens auch nicht Ansatzweise einen Vergleich zum Handeln der Inquisition (oder ähnlichem) zulässt. Der Geist allerdings, der die ganze Aktion des Bundesumweltamtes durchweht, ist meines Ermessens der gleiche, der kirchliche und staatliche Repressionen in Mittelalter bei ähnlichen Anlässen bedingte: Ein absolutistisches Weltbild mit dem Anspruch auf Wahrheit, das mit allen zu Gebote stehenden Mitteln -auch gegen das Individuum- durchgesetzt werden muß.
Wie gesagt, kann man (was ich manchmal höre) den ganzen Vorgang als gesellschaftlich irrelevant abtun, weil das Bundesumweltamt nicht die wichtigste aller Behörden ist. – Zumindest, wenn man nicht Dirk Maxeiner, Michael Miersch oder Günter Ederer heißt, die ich alle persönlich für hervorragende Journalusten halte. Das ist aber meines Ermessens nicht der springende Punkt. Der Punkt ist das mögliche und unhinterfragte Selbstverständnis gebildeter Menschen im Jahre des Herrn 2017, welche unsere Regierung repräsentieren in einer freiheitlich verfassten, pluralistischen Gesellschaft.
Wenn man die von Ihnen verlinkte Broschüre des Bundesministeriums für Bildung aus dem Jahre 2003 liest, wird an vielen Stellen klar, dass sie von Wissenschaftlern, in dem Sinne wie auch ich den Begriff verstehe, geschrieben wurde.
Wenn man die Broschüre des Bundesumweltamtes liest, liest man die Broschüre von Ideologen, welche nichts mit Wissenschaft am Hut haben.
Nun könnte man einwenden es seien zwei unterschiedliche Behörden, mit unterschiedlichen Interessen, doch greift dieser Einwand zu kurz. Das Thema ist beide Male ein wissenschaftliches und stellt, über die Veröffentlichung eines Bundesamtes, die Position der amtierenden Regierung dar.
Daher scheint mir in der Entwicklung zwischen den beiden Broschüren ein gesellschaftlicher Rückschritt klar erkennbar, der sich (nach meiner Wahrnehmung) in vielen Lebensbereichen weniger sichtbar ebenfalls zu vollziehen scheint: Ein Abwenden von aufgeklärter Wissenschaft hin zu absoluter Wahrheit, definiert durch Emotion und Weltanschauung. Ein Schritt in Richtung „voraufklärerische“ Gesellschaft.
Diese Rückwärtsgenannte Entwicklung gilt es meines Ermessens zu benennen und aufzuhalten. Das war und ist, im erweiterten Sinne, die Motivation meines Beitrags. - Auch wenn ich mir über das "Aufhalten" keine Illusionen mache.
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Mir scheint, daß man mit der Haltung des Zweifels nicht weiterkommt, wenn es um die Frage geht, an welchen wissenschaftlichen Thesen wir uns praktisch orientieren sollen, und dabei spielen natürlich die Mehrheitsverhältnisse innerhalb einer Wissenschaft eine wesentliche Rolle, und zwar gerade weil man sich letzlich nie sicher sein kann.
Wenn z.B. zweitens die herrschende Lehre in der Medizin davon ausgeht, daß Homöopathie Quacksalberei ist, dann ist das ein guter Grund, entsprechende Behandlungen nicht von einer GKV erstatten zu lassen.
Und wenn schließlich (was ich nicht beurteilen kann) die überwiegende Mehrheit der einschlägigen Wissenschaftler tatsächlich von einem menschengemachten Klimawandel ausgeht, dann sollte sich die Politik auch an diesem weitgehenden Konsens orientieren und nicht etwa an der Meinung einiger weniger Dissidenten.
meinen herzlichen Dank für Ihren Beitrag nebst Kommentar.Hatte und habe nämlich auch immer an den Zusammenhängen gezweifelt, insbesondere an der Rolle von CO2, besitze aber leider keinen hinreichenden wissenschaftlichen Hintergrund - von einigen Vorlesungen Meteorologie mal abgesehen. Mit fiel nur die Bezeichnung "Klimaleugner" in dem Zusammenhang auf; die konnte nur dazu dienen, unwillkommene Diskussionen abzuwürgen.Habe mich dann ans "Waldsterben" erinnert und die Diskussion Ende der 70er Jahre, in der es darum ging, ob uns als nächstes eine Eis-oder Warmzeit drohe. Damals war die Mehrheit der Wissenschaft von der Eiszeit überzeugt.
Zitat von DrNick im Beitrag #4Und wenn schließlich (was ich nicht beurteilen kann) die überwiegende Mehrheit der einschlägigen Wissenschaftler tatsächlich von einem menschengemachten Klimawandel ausgeht, dann sollte sich die Politik auch an diesem weitgehenden Konsens orientieren und nicht etwa an der Meinung einiger weniger Dissidenten.
Da gibt es zwei Aspekte:
1.Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es kein 'the science is settled', und es zeugt eher von mangelnder Souveränität, wenn nicht schlichter Dummheit, Kritiker der eigenen Position in einem amtlichen Papier in der gezeigten Form herunterzuputzen. Lesenswert dazu Scott Adams' Blog: http://blog.dilbert.com/?utm_source=dilb...tent=navigation
Soweit ich das verfolgt habe ist auch nicht die überwiegende Mehrheit 'einschlägiger' (was auch immer das ist) Wissenschaftler der Meinung, dass wir einen (signifikant) von Menschen gemachten Klimawandel haben. Dazu ebenfalls http://blog.dilbert.com/post/15749825163...-science-zombie mit Bezug auf einen Artikel von Lawrence Solomon. Ich erinnere mich dunkel, dass auch schon der Potsdamer Rahmstorf so um 2000 mit der Zahl von 95% Wahrscheinlichkeit hausieren ging, dass der Klimawandel menschengemacht sei. Seither hat sich das Klima kaum noch gewandelt, und Rahmstorf konnte seine Wahrscheinlichkeitsaussage nie wissenschaftlich belegen.
Also aus wissenschaftlicher Sicht ist da nicht viel.
2. 'Stand der Wissenschaft' gilt bei Gutachten und bei darauf beruhenden Gerichtsurteilen. Das ist ein fairer Ansatz, wobei es genügend strittige Gutachten gibt. Der Ansatz ist auch richtig bei politischen Entscheidungen. Sieht man aber die ökonomischen Konsequenzen aus der Politik der CO2-Verbannung (ganz Deutschland in Styropor gepackt, CO2-Steuern, Energiewende, ..), dann frage ich mich, wo denn die parlamentarische Auseinandersetzung auch zum Stand der Wissenschaft stattgefunden hat. Es geht um Einschränkungen der Freiheit und sehr viel Geld, Randbedingungen, die eine sehr ausführliche Prüfung rechtfertigen würden. Ich kenne solche Debatten nicht. Dinge, die in der EU-Kommission ausgekungelt haben leider nicht den Standard einer solchen öffentlichen Auseinandersetzung, und entsprechen auch nicht dem Niveau eines Gerichtsgutachtens.
Man kann sicher eine politische Entscheidung treffen nach dem Motto, CO2 auch ohne wissenschaftlichen Nachweis zu reduzieren, aber dann bleibt eben die wissenschaftliche Klärung offen, und 'Dissident' ist der falsche Begriff.
Zitat von Martin im Beitrag #6Soweit ich das verfolgt habe ist auch nicht die überwiegende Mehrheit 'einschlägiger' (was auch immer das ist) Wissenschaftler der Meinung, dass wir einen (signifikant) von Menschen gemachten Klimawandel haben.
Da die "Klimaforschung" keine der klassischen Wissenschaften ist, fällt es natürlich schwer, die Experten von den Nicht-Experten zu unterscheiden. Aber gibt es vielleicht trotzdem eine Möglichkeit, die Mehrheitsverhältnisse etwas genauer zu bestimmen?
Zitat von DrNick im Beitrag #4an welchen wissenschaftlichen Thesen wir uns praktisch orientieren sollen, und dabei spielen natürlich die Mehrheitsverhältnisse innerhalb einer Wissenschaft eine wesentliche Rolle
Lieber DrNick, ich möchte an dieser Stelle auf einen Beitrag Zettels verlinken:
Zitat von Zitat ZettelIn der Wissenschaft wird nicht durch Handaufheben per Mehrheitsbeschluß entschieden, so sagt man es den Erstsemestern. Minderheitsmeinungen haben denselben wissenschaftlichen Status, verdienen denselben Respekt wie Mehrheitsmeinungen.
Nun wird etwas nicht nur dadurch richtig, dass es Zettel oder Karl Popper gesagt hat, aber Zettel und auch Popper haben diese Sicht ja durchaus mit Argumenten belegt, denen man folgen kann. Ich habe jedoch eine Vermutung, was bei Ihrer Annahme, Mehrheitsverhältnisse hätten diesbezüglich eine Aussagekraft, durcheinander geht.
Aus der Annahme, dass Mehrheit in der "wissenschaftlichen Community" und "Güte" der empirischen Bestätigung einer Theorie korreliert sind, haben Sie, ohne es explizit zu benennen, Mehrheitsverhältnisse in der Meinung mit der Güte einer Theorie gleichgesetzt. Das wäre falsch. Denn sicherlich gibt es da eine Korrelation aber sie liegt ganz bestimmt nicht bei "eins". Noch Ende des 19. Jahrhunderts ging die Physik zum Beispiel davon aus, dass die Welt im Wesentlichen verstanden ist, es nur noch Detailfragen zu klären gibt. Und dann kamen Bohr, Heisenberg, Pauli und Einstein.
Oder aber sie gehen davon aus, dass es ausser den Mehrheitsverhältnissen keinen Weg gäbe, die Güte einer Theorie zu messen. Wenn dem wirklich so wäre, kann man über eine Theorie im wissenschaftlichen Sinne aber überhaupt nichts sagen. Sie hat keinen Wert, es sein denn als Dogma.
Der einzige Weg, wie man eine wissenschaftliche Theorie bestätigen kann, ist über empirische Daten und deren Güte und Genauigkeit. So ist die allgemeine Relativitätstheorie eine der heute am besten und genauesten bestätigten wissenschaftlichen Theorien überhaupt. Die aktuellen Klimamodelle hingegen weisen große Erklärungslücken zu den empirischen Datensätzen auf.
Natürlich wird es, wie bereits gesagt, eine Korrelation zwischen Mehrheitsmeinung und Güte der Theorie geben, aber diese kann per definitionem niemals "eins" sein. Dann wäre Wissenschaft nicht mehr falsifizierbar und damit ein Dogma. Wenn also zahlreiche Ökonomen vor der Einführung einer Währung warnen, dann sollte man die Güte ihrer Argumente beurteilen. Genau so wie man die Wirksamkeit von Homöopatie an den Standards der durchgeführten Experiment festmachen sollte (was deutlich einfacher sein dürfte, als die Beurteilung ökonomischer Zusammenhänge).
Was also tun, wenn man das Fachliche nicht beurteilen kann?
Einerseits könnte man sich der eigenen Korrelationsannahme ausliefern und einfach der Expertenmehrheit folgen. Das geschieht - zu meinem Leidwesen - in der Klimafrage sehr umfasssend. Oder man kann sich auch einfach keine Meinung erlauben. Das geschieht fast nie.
Lassen sie mich daher Ihren letzten Satz in zweifacher Hinsicht kommentieren.
Zitat von DrNick im Beitrag #4Und wenn schließlich (was ich nicht beurteilen kann) die überwiegende Mehrheit der einschlägigen Wissenschaftler tatsächlich von einem menschengemachten Klimawandel ausgeht, dann sollte sich die Politik auch an diesem weitgehenden Konsens orientieren und nicht etwa an der Meinung einiger weniger Dissidenten.
1) Bösartige Zungen würden behaupten, die "überwiegende Mehrheit der einschlägigen Wissenschaftler" wäre eine "Fake News". Die Frage ist, worin sie sich einig sind. Einig ist man sich, dass CO2 ein Treibhausgas ist und der Mensch das Klima beinflußt. Diese Meinung teile ich übrigens, wie Sie meinem Beitrag zur Klimamodellierung ja entnehmen können. Völlig uneinig ist man sich allerdings darüber, wie groß dieser Einfluß ist und welche Einflüsse es darüber hinaus noch gibt.
Der oft zitierte 97% Konsens ist in diesem Sinne eine null Aussage. Näheres dazu kann man in diesem Spiegel Online Beitrag nachlesen. Des Englischen mächtigen Lesern empfehle ich diese Senatsanhörung im US Senat, in der Senator Ted Cruz den Präsident der größten amerikanischen Umweltorganisation, Aaron Mair, zum Klimawandel befragt. Ab Minute 6:00 in diesem Video wird der 97% Konsens -als Einschub- erläutert.
2) Wenn sich die Politik lediglich an der Mehrheit orientiert, ohne die Güte zu beurteilen, kann sie das tun. Dann sollte man das aber als das benennen was es ist: Die Orientiereung an einem Dogma, nicht die Orientierung an wissenschaftlichen Standpunkten. - Zumal das Datenmaterial der letzten Jahre immer mehr deutlich macht, dass die gängigen Klimamodelle wohl der Anpassung bedürfen. Die "Black Swans" sind längst gefunden.
Man kann Zettel nur Recht geben: Mehrheiten sind im wissenschaftlichen Kontext irrelevant. Zumal die genialen Ideen oftmals von Individuen kommen.
Herzlich
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Zitat von Martin im Beitrag #6 Sieht man aber die ökonomischen Konsequenzen aus der Politik der CO2-Verbannung (ganz Deutschland in Styropor gepackt, CO2-Steuern, Energiewende, ..), dann frage ich mich, wo denn die parlamentarische Auseinandersetzung auch zum Stand der Wissenschaft stattgefunden hat. Es geht um Einschränkungen der Freiheit und sehr viel Geld, Randbedingungen, die eine sehr ausführliche Prüfung rechtfertigen würden. Ich kenne solche Debatten nicht. Dinge, die in der EU-Kommission ausgekungelt haben leider nicht den Standard einer solchen öffentlichen Auseinandersetzung, und entsprechen auch nicht dem Niveau eines Gerichtsgutachtens.
Das berührt meines Ermessens einen ganz wesentlichen Punkt.
Man stelle sich hypothetisch vor, morgen fände ein Wissenschaftler einen eindeutigen Beweis, dass der antropogene Klimawandel eine Chimäre sei: Mit welchen Widerständen hätte er wohl aus der Politik zu rechnen, welche Entscheidungen und Freiheitsbeschränkungen, wie oben beschrieben, seit Jahren propagiert und umsetzt? Die davon auch profitiert.
Wenn man eine Ahnung davon haben will, empfehle ich diesen auf Tichys Einblick erschienenen Artikel, welcher sich u.a. mit den Problemen eines Doktoranden beschäftigt, einen Doktorvater zu finden.
Das lustige ist ja: Diejenigen welche sich selbst als Umweltschützer und Rebellen gegen die mächtige Öl-, Atom-, Genindustrielobby et al. inszenieren, sind mittlerweile selbst das wirkmächtige, durch ökonomische Interessen getriebene Establishment geworden, welches sie vorgeben zu bekämpfen und welches den Staus Quo aus (ökonomischem) Eigeninteresse heraus (welches sie den anderen vorwerfen) erhalten möchte.
Herzlich
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Zitat von Martin im Beitrag #6Ich erinnere mich dunkel, dass auch schon der Potsdamer Rahmstorf so um 2000 mit der Zahl von 95% Wahrscheinlichkeit hausieren ging, dass der Klimawandel menschengemacht sei. Seither hat sich das Klima kaum noch gewandelt, und Rahmstorf konnte seine Wahrscheinlichkeitsaussage nie wissenschaftlich belegen.
Also aus wissenschaftlicher Sicht ist da nicht viel.
Zur Rahmstorfschen Wahrscheinlichkeitsrechnung hier ein (schon etwas älteres) Schmankerl.
Zitat Folgendes analoge Beispiel kann dies verdeutlichen. Die Bundestagsabgeordneten gehen im Durchschnitt (grob geschätzt) 100mal häufiger in ein teures Restaurant zum Essen als ich. Gestern habe ich in einem teuren Restaurant gegessen; das ist [gemäß der Rahmstorfschen 'Wahrscheinlichkeits'formel] mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 – 1/100 = 99% darauf zurückzuführen, daß ich Bundestagsabgeordneter bin… Mag sein, aber das beweist weder, daß ich Bundestagsabgeordneter bin, noch bewiese es, wäre ich ein solcher, daß mein Restaurantbesuch irgendetwas mit meinem Mandat zu tun hätte.
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #8Einerseits könnte man sich der eigenen Korrelationsannahme ausliefern und einfach der Expertenmehrheit folgen. Das geschieht - zu meinem Leidwesen - in der Klimafrage sehr umfasssend. Oder man kann sich auch einfach keine Meinung erlauben. Das geschieht fast nie.
Mir ging es gar nicht so sehr um die Korrelation zwischen Wahrheit und Akzeptanz durch die Mehrheit der Experten, sondern um die Frage, wie z.B. ich als jemand, der in bezug auf viele Wissensgebiete Laie ist, die Qualität einer Theorie o.ä. einschätzen kann, und dabei scheint mir die Expertenmeinung eine sehr wichtige Rolle zu spielen (auch wenn es natürlich sein kann, daß sich die Gesamtheit der Experten zum einem bestimmten Zeitpunkt irrt).
Ich gehe z.B. davon aus, daß Fermats Vermutung inzwischen bewiesen ist, und das tue ich - ganz grob - deswegen, weil mir in solchen Fragen kompetentere Menschen dies gesagt haben. Würde ich nun von einer innermathematischen Kontroverse in bezug auf den Beweis erfahren, dann könnte ich mich in diesem Fall auch unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen durchaus eines Urteils enthalten. Keine Meinung zu haben, ist manchmal eine echte Option.
Nur ist leider die Urteilsenthaltung bei vielen praktisch relevanten Fragen nicht möglich. Wenn ich mich zwischen zwei Handlungsoptionen entscheiden muß und es dabei auf die Gültigkeit bestimmter Theorien ankommt, die ich nicht selbst überprüfen kann, dann ich sehe keine Alternative zur Orientierung an der herrschenden Meinung.
Ja, danke nochmal für den Hinweis. Lesenswert dazu auch Rahmtorfs Replik auf Manginis Arbeit http://www.pik-potsdam.de/~stefan/mangini_replik.html: Sie strotzt von herablassenden Seitenhieben, Rahmstorf versteckt sich immer wieder hinter Kollegen, Gremien des IPCC, usw.. Kernpunkt Manginis war offensichtlich die Aussage, dass es aufgrund der Messungen an Stalagmiten nachvollziehbar sei, dass in den letzten 12000 Jahren Klimawechsel mit schnellen Temperaturänderungen gegeben habe - ohne antropogenen Einfluss.
Lässt man Rahmstorfs restlichen Rundumschlag beiseite, so bleibt als Replik nur die Aussage, dass sich die gewonnenen Erkenntnisse an wenigen Orten festmachen, man aber von denen keine Schlüsse auf das globale Klima machen könne. Mangini habe seine Kollegen bisher nicht überzeugen können. Abgesehen davon, dass es ausgerechnet an bestimmten wenigen Orten langfristig! ein Abkopplung vom globalen Klima gegeben haben sollte (nicht Absoluttemperatur sondern den Änderungsgradienten) wäre ein ziemlicher Zufall, den Rahmstorf weit besser begründen müsste, als damit, dass ein Forscher seine Daten gerne rosiger sehe als die Kollegen. Ein sehr wissenschaftliche Hypothese. Und man stelle sich vor, dass heute die eine oder andere Wetteranomalie von den Potsdamern Forschern als Hinweis auf eine globale Klimaänderung gedeutet wird, zeigt, dass sie sich an eigene Standards der Argumentation nicht halten.
Jedenfalls ist die Replik rhetorisch, aber nicht wissenschaftlich geführt. Auf eine wissenschaftliche Arbeit.
Zum Thema "Minderheiten in der Wissenschaft" darf ich zu Erheiterung ein kleines Bonmot anbieten:
Einstein soll auf die Streitschrift "100 Autoren gegen Einstein" gesagt haben:
"So viele? Wenn ich Unrecht hätte, genügte einer."
___________________ Kommunismus mordet. Ich bin bereit, über die Existenz von Einhörnern zu diskutieren. Aber dann verlange ich außergewöhnlich stichhaltige Beweise.
Zitat von DrNick im Beitrag #11 sondern um die Frage, wie z.B. ich als jemand, der in bezug auf viele Wissensgebiete Laie ist, die Qualität einer Theorie o.ä. einschätzen kann
Das ist der springende Punkt. Die Antwort ist schlicht und ergreifend: Sie können die Qualität einer Theorie nicht einschätzen. Wenn sie es möchten, bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als sich über reines Laienverständnis hinaus in die Materie einzuarbeiten.
Zitat von DrNick im Beitrag #11 dabei scheint mir die Expertenmeinung eine sehr wichtige Rolle zu spielen
Sie spielt eine wichtige Rolle, aber nicht aus wissenschaftlicher Sicht. Die wichtige Rolle, welche sie spielt, ist nach meiner Auffassung eher mit soziologischen Argumenten und unserer evolutionären Erfolgsgeschichte zu erklären.
Natürlich haben Sie in gewisser Hinsicht Recht. Die Tatsache, dass die Relativitätstheorie eine der am besten bestätigten wissenschaftlichen Theorien ist und ihrer breite Akzeptanz in der Fachwelt, könnte man zum Beispiel als Hinweis auf die Zulässigkeit der Orientierung an Mehrheitsmeinungen deuten. Aber es gibt andere Beispiele. Ende des ausgehenden vorletzten Jahrhunderts war der Konsens, dass atomare Physik im wesentlichen „makroskopische Physik mit ein paar Sonderregeln“ sei. Welch ein Irrtum. Und auch Einstein brach mit seiner heute gesetzten Relativitätstheorie einen Konsens auf. Er schloß sich ihm nicht an. Um ein polemische Beispiel zu bringen: Auch die Existenz von Hexen hielt man einmal für den "Stand der Wissenschaft".
Der Kern um den es geht ist dabei folgender: Mehrheitsmeinungen haben ein Funktion. Sie ist allerdings soziologischer, nicht wissenschaftlicher Natur.
Zitat von Frank2000 im Beitrag #13Einstein soll auf die Streitschrift "100 Autoren gegen Einstein" gesagt haben:
"So viele? Wenn ich Unrecht hätte, genügte einer."
Dieses wunderbare Zitat bringt den ganzen Sachverhalt auf den Punkt. Vor allem entlarvt es auch die dogmatische Arroganz der umweltbundesamtlichen Broschüre gegenüber "Dissidenten".
Zitat von DrNick im Beitrag #11 Nur ist leider die Urteilsenthaltung bei vielen praktisch relevanten Fragen nicht möglich. Wenn ich mich zwischen zwei Handlungsoptionen entscheiden muß und es dabei auf die Gültigkeit bestimmter Theorien ankommt, die ich nicht selbst überprüfen kann, dann ich sehe keine Alternative zur Orientierung an der herrschenden Meinung.
Unbenommen ist der Mensch ein soziales Wesen, welches sich nicht ausschließlich an wissenschaftlichen Kritierien orientiert, das sich auch manchmal im Leben gezwungen sieht, auf unvollständiger Informationslage Entscheidungen zu treffen. Der Punkt ist, man sollte die Art und Qualität der Argumente dabei auseinander halten. Sonst kann es unbeabsichtigte Folgen haben.
Wenn ich meine politische Entscheidung zum Beispiel aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse treffe, muß ich per definitionem davon ausgehen, dass die Entscheidung möglicherweise auf einer völlig falschen Grundlage getroffen wurde. Im politischen Entscheidungsprozess und der (öffentlichen) Diskussion sollte daher dieser Möglichkeit genügend Raum beigemessen werden. Wenn man allerdings die wissenschaftliche Erkenntnis als gesichert darstellt und darauf seine politische Entscheidung basiert, geschieht etwas sehr unangenehmes: Die Einführung eines Dogmas in die Politik.
Ganz gleich, ob man dieses Dogma nun als Religion oder Ideologie bezeichnet, erscheint mir offensichtlich, dass dies der Versuch ist, der eigenen Weltsicht einen wissenschaftlichen Beweis zu unterstellen. Es ist auf Umwegen die Implementierung eines wissenschaftlichen Gottes- (oder Ideologie) Beweises in die gesellschaftliche Debatte. Genau das geschieht nun meines Erachtens in der Klimafrage und die Broschüre des Bundesumweltamtes legt davon beredtes Zeugnis ab: Es dürfen keine Zweifler existieren, weil sie einen Absolutheitsanspruch angreifen. Diesen gibt es in der Wissenschaft jedoch nicht. Es gibt ihn nur in Religion und Ideologie.
Hinzu kommt bei der Klimafrage, dass in der öffentlichen Debatte Mehrheiten suggeriert werden, die es so nicht gibt. Es gibt keinen wissenschaftlichen 97% Konsens, dass der Mensch das Klima "maßgeblich" beinflußt oder überhaupt maßgeblich beinflussen kann (! wenn er denn wollte - außer vielleicht alle Wälder abholzen ). Es gibt keinen Konsens, dass eine Erwärmung in die Katastrophe führt.
Es gibt einen Konsens nur über Dinge, die kaum gesicherte Schlüsse über die zukünftige Entwicklung des Klimas zulassen und schon gar nicht weitreichende, staatliche Eingriffe in die individuelle Freiheit rechtfertigen (die nach meiner persönlichen Ansicht ohnehin nie gerechtfertigt sind) oder die getätigte Ressourcen Allokation rechtfertigen (Die immensen Geldbeträge, die man zur "Rettung des Klimas" bewegt, stehen anderswo nicht zur Verfügung.).
Hinzu kommt also bei der Klimafrage, dass die Mehrheit sich an einem fiktiven Konsens orientiert, welcher von einer lauten Minderheit in starker Position propagiert wird. Eine weitere Schwachstelle für alle die, welche sich an Mehrheitsmeinungen orientieren: Sie können einem Phänomen aufsitzen, welches die Soziologin Elisabeth Noelle-Neumann "Schweigespirale" nannte.
Wenn Sie mich nun fragen, wie man denn mit den Erkenntnissen der Klimawissenschaft praktisch umgehen sollte, würde ich folgendes vorschlagen.
1) Die Klimawissenschaft in einem offenen wissenschaftlichen Diskurs voranbringen, um ein besseres Verständnis unserer Welt zu erhalten. Das was schon immer die Aufgabe der Wissenschaft war. 2) Dort wo aktuell Änderungen im Klima (was immer diese bedingt) Probleme bereiten, die Folgen dieser Probleme einzudämmen. 3) Wissenschaft und Dogma streng auseinander zu halten. 4) Eingriffe in die Selbstbestimmung des Individuums vermeiden, wo immer es möglich ist. Mir ist nicht ein einziges Beispiel bekannt, wo Planwirtschaft funktioniert. Insofern ist der „Black Swan“, welcher Hayeks gut begründete These widerlegt, dass Planwirtschaft nicht funktionieren kann, noch nicht gefunden.
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #14 4) Eingriffe in die Selbstbestimmung des Individuums vermeiden, wo immer es möglich ist. Mir ist nicht ein einziges Beispiel bekannt, wo Planwirtschaft funktioniert. Insofern ist der „Black Swan“, welcher Hayeks gut begründete These widerlegt, dass Planwirtschaft nicht funktionieren kann, noch nicht gefunden.
Ich frage mich, ob man das alte Ägypten als Beispiel für eine funktionierende Staatswirtschaft betrachten könnte? Der Pharao war der alleiniger Eigentümer von Grund und Boden sowie der Produkte des ganzen Landes und hatte die Verfügungsgewalt über Arbeitskraft und Erträge. Ebenso wurde der Außenhandel staatlich geregelt, Preise und Löhne wurden festgesetzt. Mir ist jetzt nicht bekannt, dass das alte Ägypten ein armes Land gewesen ist, auch später als römische Provinz galt dieses Land als die „Kornkammer Roms“, obwohl ich mir jetzt nicht sicher bin, ob die Staatswirtschaft dort auch unter den Römern fortgesetzt wurde, weil im antiken Rom die Privatwirtschaft vorherrschend war.
Ich gebe aber zu, dass aufgrund meines mangelnden Wissens über dieses Thema ich mir nicht getraue zu urteilen, ob man jetzt das Ägypten unter den Pharaonen als ein „Beweis“ dafür anführen kann, dass eine Staatswirtschaft durchaus funktionieren könnte? Vielleicht kann hier jemand mehr darüber sagen?
Zitat von Publius im Beitrag #15 Ich gebe aber zu, dass aufgrund meines mangelnden Wissens über dieses Thema ich mir nicht getraue zu urteilen, ob man jetzt das Ägypten unter den Pharaonen als ein Beweis dafür anführen kann, dass eine Staatswirtschaft durchaus funktionieren könnte? Vielleicht kann hier jemand mehr darüber sagen?
Gruß
Publius
Lieber Publius, ich bin ebenfalls kein Althistoriker, gleichwohl erlaubt mir eine laienhafte Kenntnis des Themas eine Stellungnahme: Es lassen sich einige altertümliche zentralistische Reiche anführen, denen es im Vergleich zu anderen in der jeweiligen Zeit besser ging - das lag im wesentlichen aber daran, dass die alle etwas hatten, was die anderen nicht hatten: Üblicherweise und auch im Falle Ägyptens waren das Wasser und Essen (Kornkammer aufgrund der Nilüberflutungen). Und das sogar im Überfluß, denn Menschen starben damals an simplen Dingen wie Zahnentzündungen oder Blasensteinen; zudem war die Sklavenwirtschaft ein weiterer Aspekt, den man nicht unterschätzen sollte.
Im Übrigen erlaube ich mich, darauf hinzuweisen, dass Ihre Prämisse nicht ganz stimmt - natürlich funktionieren Staatswirtschaften, die Frage ist nur, wie gut tun sie dies im Vergleich untereinander und mit dem nicht-sozialistischen Ausland? Nordkorea funktioniert auch, nur auf äußerst niedrigem Niveau. Die DDR hat auch eine Zeitlang funktioniert, schlechter als der kapitalistische Westen, besser als Rumänien oder Albanien.
Mit anderen Worten: Unter den Einäugigen ist der Blinde König. Sollte aber ein Sehender (oder ein Optiker) des Wegs kommen, wird der Einäugige zurückstecken müssen. Es ist also eine Frage des Vergleichsmaßstabes. Und da schlagen sich freiheitlich orientierte Wirtschaftsformen nun einmal am besten.
Zitat von Publius im Beitrag #15Ich frage mich, ob man das alte Ägypten als Beispiel für eine funktionierende Staatswirtschaft betrachten könnte?
Vorauszuschicken ist, daß ökonomische Makro- wie Mikroanalysen für alle antiken Staatswesen nicht möglich sind. Erst ab dem Römischen Reich gibt's Zahlen (wg. der imperiumsweiten Steuerkontributionen & den Preisvergleichen -zudem gibt's da Manufakturen, die das ganze Reich beliefern). So etwas wie eine "Staatswirtschaft" (also "Plan" u.ä.) gibt es nicht. Ägypten war zudem immer "geschlossener Handelsstaat" sensu Fichte - wenn da "Kornkammer" angesagt war, dann weil das Land besetzt war - ab 600 v.Chr durch die Perser, danach als Konkursmasse von Alexanders Generälen, zum Schluß Rom & danach die Truppen des Propheten.
Der Pharao war zwar "Herr des ganzes Landes" (bzw. "beider Länder", i.e. Unter- & Oberägypten) - das bezog sich auf die religiöse Ordnung, nachdem der Pharao als Gottkönig der Garant der weltlichen/kosmischen Ordnung war. In der Praxis befand sich das bebaute Land in Erbpacht der Bauernfamilien. Das wurde jedes Jahr nach der Nilschwemme neu vermessen; deshalb gibt es da die ersten Katasterarchive der Welt. Ein großer Glückfall für die Forschung ist das Tebtunis-Archiv, wo tausende vor Krokodilmumien aufgefunden wurden (die als heilige Tiere nach dem Tod mumifiziert wurden) - die haben diese Papyri als Füllmaterial verwendet. Seit einigen Jahren läuft bei der Universität Berkeley ein Projekt, das einmal komplett zu sichten, auszuwerten, zu digitalisieren.
Da hat man einen Einblick in den behördlichen Alltag (das umfasst "Kornkammerzeit", etwa v. 200 v. Chr. bis ~100 nach). Und ungefähr 80% der Akten gehen um a) versetzte Grenzmarken, b) Kornunterschlag (also Steuerhinterziehung) und, nicht so oft, aber eminent wichtig: Erbstreitigkeiten. Ein weiterer hübscher Einblick findet sich - ganz ungelogen - an unverhoffter Stelle, nämlich in Agatha Christies Krimi "Death Comes as the End"/Rächende Geister v. 1944. Der spielt gut 1000 Jahre vorher, zur Mitte der Ramessidenzeit & behandelt einen Erbfall, der sich, bien sur, als Mord herausstellt & dessen Aufklärung. Der Witz ist jetzt, daß das auf Gerichtsakten jener Zeit beruht, die Kollegen von AC.s Archäologen-Gatten Max Mallowan zu der Zeit ausgewertet haben.
Aber so etwas wie "Planwirtschaft" ist für die antike (auch noch die mittelalterliche) Welt nicht drin: das spielt durch die Bank "Schweinezyklus": schlechte Ernten - Aufstände - hohe Militärausgaben, mit der dann die betrefende Provinz belegt wird - die Zentralregierung als Schlußstein & Klammer.
"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire
Zitat von Publius im Beitrag #15 Ich gebe aber zu, dass aufgrund meines mangelnden Wissens über dieses Thema ich mir nicht getraue zu urteilen, ob man jetzt das Ägypten unter den Pharaonen als ein „Beweis“ dafür anführen kann, dass eine Staatswirtschaft durchaus funktionieren könnte? Vielleicht kann hier jemand mehr darüber sagen?
Dazu kann ich auch nix sagen, aber die Problematik an dieser Stelle scheint mir wesentlich in dem Begriff FUNKTIONIEREN zu liegen, der ja seinerseits keineswegs einfach so "alles sagt". Der Begriff ist vielmehr wertegebunden und im Grunde wenig brauchbar, wenn nicht dazugesagt wird, was eigentlich wie funktionieren SOLL und warum - anders als bei Sonne, Mond und Sterne, die ihre Kreise so drehen, nicht weil sie das sollen, sondern weil das einfach so ist, obschon selbst diesbezüglich die Frage nach der Ursache und der Ursache der Ursache pp womöglich beunruhigt.
Welche Anforderungen an die sogenannte Funktionalität einer Gesellschaft oder auch eines Individuums zu stellen sind ist halt leider alles andere als unstrittig oder selbstverständlich, denn wo die Werte anfangen hört die Einheitlichkeit des Urteils auf, indessen Ideologen ALLER Couleur vielfach die Absicht haben, das Umstrittene als eigentlich unstrittig erscheinen zu lassen, am besten, indem man behauptet, man sei gar kein Ideologe sondern vertrete die "natürliche" Ordnung. "Natural order" ist ja bekanntlich auch bei dem im Thread schon erwähnten Hayek sehr beliebt, denn klar: was natürlich ist, muss ja unumgänglich sein und gegen das Natürliche kann ja nur ein Idiot votieren. Mit dieser Sorte Argument ist man immer fein raus, deswegen zieht sich das auch wie ein roter Faden durch die Philosophiegeschichte, durch die Religionsgeschichte natürlich sowieso.
Das Blöde dabei: Mittlerweile gibt es 'ne ganze Menge angeblicher natürlicher Ordnungen, an die implizit des "Funktionieren" gebunden wird, obwohl es doch nur eine Natur gibt.
Am Ende des Tages isses also womöglich eher 'ne schlichte Geschmacksfrage, was man von den ollen Ägyptern so hält bzw. ob die im Sinne von Hayek oder im welchen Sinn auch immer alles richtig gemacht haben. Die Pyramiden halten jedenfalls bis heute, obwohl es vermutlich keine marktwirtschaftliche Ausschreibung gab.
Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #18die Problematik an dieser Stelle scheint mir wesentlich in dem Begriff FUNKTIONIEREN zu liegen
Nach dem Einwurf von Publius, war ich mit dieser meiner Wortwahl ebenfalls nicht mehr glücklich, daher erscheint mir Ihre Kritik hier berechtigt, lieber Dennis.
Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #18Welche Anforderungen an die sogenannte Funktionalität einer Gesellschaft oder auch eines Individuums zu stellen sind ist halt leider alles andere als unstrittig oder selbstverständlich, denn wo die Werte anfangen hört die Einheitlichkeit des Urteils auf
Recht haben Sie wohl auch mit dieser Festellung.
Ich habe es in einem anderen Diskussionstrang ja einmal so formuliert, dass es für die Beurteilung einer Gesellschaftsordnung letztendlich immer die Wahl eines Bezugspunktes braucht, welcher die Äquidistanz aufgibt und dass für mich dieser Bezugspunkt die Selbstbestimmung des Individuums ist.
Nun ist meine persönliche Bezugspunkt Wahl gewissermaßen willkürlich zu nennen aber ich bin dennoch immer auf Argumente gespannt, welche stringent darlegen, warum man Fremdbestimmung für sich selbst als etwas sinnvolles erachtet. Fremdbestimmung ist ja meist nur etwas, das man für "die anderen" vorsieht. Diese Aufgabe von Äquidistantz erscheint mir persönlich aber unzulässig. - Kommt wohl aus meiner inhärent verblendeten Sicht.
In diesem Sinne könnte ich also das Wort „Funktionieren“ präzisieren. Eine Planwirtschaft kommt des Weiteren nicht ohne sehr weitreichende Eingriffe in die Selbstbestimmung von Individuen aus. Hayek führt ja eine Argumentation, dass Planwirtschaft, konsequent zu Ende geführt, immer in einer Diktatur landen muß. Dieser Punkt ist es, um den es mir geht.
Das würde dann auch dei Einwertung des Beispiels "altes Ägypten" ermöglichen. Ohne es genau zu wissen würde ich vermuten, dass individuelle Selbstbestimmung dort kein fest verankertes Gesellschaftkonzept war.
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Zitat von Peter Zeller im Beitrag #20Ich hätte nicht gern unter den Frühen Hochkulturen gelebt.
Lieber Herr Zeller,
Das wird jeder hier ganz dick untersteichen. Jacob Burckhardt formuliert das in seinen Weltgeschichtlichen Betrachtungen im Abschnitt über "Glück und Unglück in der Geschichte" so:
Zitat Nicht nur in der Zeit, welche Homer schildert, sondern auch offenbar in derjenigen, in welcher er lebte, versteht sich der Raubüberfall von selbst, und Unbekannte werden ganz höflich und harmlos darüber befragt. Die Welt wimmelt von freiwilligen und unfreiwilligen Mördern, welche bei den Königen Gastfreundschaft genießen, und selbst Odysseus in einem seiner ersonnenen Lebensläufe dichtet sich eine Mordtat an. Daneben aber welche Einfachheit und welcher Adel der Sitte! Und eine Zeit, da der epische Gesang als Gemeingut vieler Sänger und als allverständliche Wonne der Nation von Ort zu Ort wanderte, wird man ewig um ihr Schaffen und Empfinden, um ihre Macht und ihre Naivität beneiden. Denken wir dabei nur an die eine Gestalt der Nausikaa.
Die Zeit des Perikles in Athen war vollends ein Zustand, dessen Mitleben sich jeder ruhige und besonnene Bürger unserer Tage verbitten würde, in welchem er sich todesunglücklich fühlen müßte, selbst wenn er nicht zu der Mehrzahl der Sklaven und nicht zu den Bürgern einer Stadt der attischen Hegemonie, sondern zu den Freien und zu den athenischen Vollbürgern gehörte. Enorme Brandschatzung des Einzelnen durch den Staat und beständige Inquisition in betreff der Erfüllung der Pflichten gegen denselben durch Demagogen und Sykophanten waren an der Tagesordnung. Und dennoch muß ein Gefühl des Daseins in den damaligen Athenern gelebt haben, das keine Sekurität der Welt aufwiegen könnte.
Überhaupt ist das ein Gefühl, das einem bei jedem Blick in historische Überblicke (und umso stärker, je detailgenauer die ausfallen) & dem Besuch jedes der Historie gewidmeten Museums: den Olympischen einen Dank, daß es einen nicht in diese Zeit verschlagen hat. Selbst für jemand Heutigen mit einer dicken Hornhaut würde Europa (als fortschrittlichster Weltteil) wohl erst ab dem 19. Jahrhundert bewohnbar - und auch nur dann, wenn ihm die Men in Black das Wissen um die heutigen Möglichkeiten aus dem Gedächtnis löschen würden.
"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire
Zitat von Peter Zeller im Beitrag #20Ich hätte nicht gern unter den Frühen Hochkulturen gelebt.
Lieber Herr Zeller,
Das wird jeder hier ganz dick untersteichen. Jacob Burckhardt formuliert das in seinen Weltgeschichtlichen Betrachtungen im Abschnitt über "Glück und Unglück in der Geschichte" so:............
Das leuchtet prima facie ein, die Voraussetzung dieser Veranstaltung ist indessen die Möglichkeit des Vergleiches, der unangenehmerweise die Eigenschaft hat, dass er zukunftsbezogen nicht funzt .
In diesem Sinne leben wir womöglich in nicht weniger bedauernswerten Verhältnissen als weiland diejenigen, die Burckhardt beschreibt - aus der Sicht des Jahres 3000 - ohne das zu wissen.
Dieser nicht sehr erhebende Gedanke könnte der Grund dafür sei, dass die meisten Leut die Zukunft, an der teilzunehmen todeshalber nicht möglich ist, am liebsten als erschröcklich, entsetzlich und ganz, ganz fürchterlich ausmalen, denn mit dem beliebten Wie-gut,-dass-ich-das-nicht-mehr-erleben-muss hat man ein recht angenehm wirkendes Sedativ zu Hand.
Vermutlich haben sämtliche Altvorderen, die auch nur nach hinten und nicht nach vorne gucken konnten, auch schon so gedacht. Das heißt, es ging ihnen richtig gut .
Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #23Vermutlich haben sämtliche Altvorderen, die auch nur nach hinten und nicht nach vorne gucken konnten, auch schon so gedacht. Das heißt, es ging ihnen richtig gut .
Obacht. Ganz großes Fettnäpfchen voraus! Da kann man nämlich einiges an Empirie ans Tragen bringen (das ist für moderne Kulturwitzenschaftler immer mißlich, weil man a) nicht wie 1 Dachdecker halten kann & b) sich mit Quellenlektüre plagen muß und c) wegen überhaupt). Eine der Voraussetzungen ist latürnich die Erfindung der Zukunft, auch als "Fortschritt" bekannt. Das dauert id Geschichte seine Weile; bis, na, ins 17. Saeculum hat mans mehr mit dem Verfall. Ansonsten braucht es die tatsächlich gemachte Erfahrung, daß sich im Lauf der eigenen Lebenserfahung (& derer, von denen man noch direkt was mitbekommt: das sind jeweils 3 Generationen, auch nach vorn hin) - und daß das nicht nur im politischen Ringelreihen besteht. Und natürlich muß die religiöse Grundierung des Tops "Zukunft?" gekappt werden; sonst klappt das nicht & das Neue Jerusalem wohnt immer im Transzendenten (auch wenn das mal unter "Nirwana" läuft). Ist wohl kein Zufall, daß die Fortschrittsideologien direkt vorm Phantasma des Sozialismus, Comte, Condorcet (als besonderes Irrlicht Fourier) genau diese Seifenblasenvorstellungen in "die Zukunft" transponiert haben, nachdem sie "die Götter" als Motor vons Ganze entsorgt haben. "Die Zukunft" ist ein Chronotop (i.S.v. "Zeitvorstellung"; ich weiß, Bachtin hat das etwas anders gemeint) des 19. & 20. Jhdt.s; das 18. kommt ganz wunderbar ohne aus, & auf dem Stand sind wir mittlerweile wieder.
Überhaupt sagen die Pfaffen immer, daß der Mensch alles verhunzt & sich gefälligst mies zu fühlen hat (klappt nie auf Dauer, weil die menschliche Natur da nicht mitmacht). Scheint eine anthropologische Konstante, mithin ein Bedürfnis zu sein. Würde erklären, warum wir uns im post-christlichen Zeitalter die Grünen leisten, die diese ökologische Nische besetzen. Könnte sein, daß diese Welt für nüchternen Epikurismus einfach nicht eingerichtet ist.
Wenn man mal, particulierement, die Querelle des Anciens et des Modernes vornimmt, als ersten Orientierungstreit in Sachen "Früher" (= die olle Antike) & "Jetzt" (= l'âge du Louis XVI): denen ist die Idee, daß es nach ihnen besser werden könne, komplett undenkbar (außerdem beschränkt sich das bloß auf Dichtung & sonstige Kunst am Bau). Der erste Staat, bei dem das halbwegs in das einfließt in das, was man die gesellschaftliche Verfaßtheit nennen könnte, sind die USA, und da brauchts noch gut 60-80 Jahre, um sich aus dem Fokus auf "Religionsfreiheit" & "keine englischen Steuern" mehr freizuschwimmen. Plus noch "manifest destiny" & "Jacksonian democracy".
"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #24Überhaupt sagen die Pfaffen immer, daß der Mensch alles verhunzt & sich gefälligst mies zu fühlen hat ... Scheint eine anthropologische Konstante, mithin ein Bedürfnis zu sein.
Es gibt in der Kirche, auch das sollte man nicht verschweigen, natürlich auch der Aufklärung zugewandte Geister. Einer von eben diesen war früher sogar einmal aktiver Autor dieses Blogs und hat zu diesem Thema hier eine noch immer lesenswerte Sicht veröffentlicht.
Ich bin weder Theologe, noch habe ich mich wissenschaftlich mit solchen Fragen beschäftigt, aber mir erscheint mittlerweile, als der religiöse Laie der ich bin, dass die Aufklärung in der Lehre Christus inhärent angelegt ist, weil Christus dem Menschen nicht nur "Heimat und Familie" im übertragenen Sinne anbietet, sondern ihm als Individuum auch die freie Entscheidung überlässt, dies anzunehmen oder auch nicht. Für eine Religion recht außergewöhnlich.
Der Grat der Wanderung ist schmal. Abstürze nicht selten. Aber das steht dann wohl auf einem anderen Blatt.
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
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