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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 57 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2 | 3
Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

25.11.2017 01:18
#26 RE: Um jeden Preis? Antworten

Zitat von Werwohlf im Beitrag #25
]Ja okay. Aber es wird durch Gelder finanziert, die man uns unter der Androhung von Zwang abnimmt, und aus irgendwelchen, nicht nachvollziehbaren Gründen attestieren ihm dennoch viele Menschen Seriosität.

Erfahrungsgemäß - und das ist ein mindestens genau so großer bias (confirmation bias) wie der Third-Person-Effect, attestieren viele Menschen denen Seriosität, die ihre Richtung widerspiegeln. Und glauben die vorgetragenen Fakten unabhängig von der Plausibilität. Das ist nicht schön, schwächt aber jegliche Manipulationsthese deutlich ab. Eine Verstärkerwirkung lasse ich mir ja noch eingehen (wobei da die Medienwirkungsforschung auch eher vorsichtig ist).

Und die Gebühren - meine Güte, ich als Wessi mit Kohle (TM) versenke jeden Monat deutlich mehr als 17 Öcken in irgendwelchem staatlich finanzierten Unsinn, da kommt mich die Nonchalance hinsichtlich ÖR-Gebühren vergleichsweise günstig. Ich muss es ja weder anschauen noch glauben.

Zitat
Aber die linke Empörung kommt so sicher wie das Amen in der Kirche. Während wir non-chalant schweigen?


Ja findest Du, dass den Linken ihre Empörung zur Ehre gereicht? Sicher nicht mehr als mir meine "scheißliberale" Nonchalance.

Zitat
Ich muss ehrlich sagen, ich war entsetzt über die Art und Weise, wie Frau Slomka Christian Lindner "interviewte". Da war nicht nur negative Emotion im Spiel, da offenbarten sich seltsame bis sehr einseitige Verständnisse des politischen Prozesses. Das einfach ebenso wissend wie schulterzuckend hinzunehmen, fehlt mir die Apathie.


Ich weiß ja nicht, wie bei Dir "Apathie" konnotiert ist - aber im Wortsinne finde ich Freiheit von Leiden (oder auch nur von Pathos) etwas sehr Schönes. Und ehrlich gesagt hat es mich auch sehr gefreut zu sehen, wie Lindner damit umgegangen ist (auch das hat allerdings nicht überrascht, wenn man seinen legendären Auftritt an der Ruhr-Uni Bochum kennt: https://www.youtube.com/watch?v=QZRV3v-czak ).

Zitat
Auch wenn meinen Blogbeitrag dazu nur eine Handvoll Menschen gelesen haben, vielleicht ist eben doch einer darunter, der sich fragt, ob er einige Dinge nicht doch einer neuen Bewertung unterziehen muss. Und der damit vielleicht wieder andere ansteckt. Ich kann jedenfalls nicht einfach still dasitzen und zuschauen, auf welch erbärmliche Weise die Deutschen das zerstören, was sie unverdienterweise von den den amerikanischen und britischen Besatzern ermöglicht bekommen haben.


Was jetzt, das Klima? Den Wald? Genau das meine ich doch. Nur weil Frau Slomka ekelhaft zu Herrn Lindner ist, wird rein gar nix zerstört, und auch wenn ich bezüglich "der Deutschen" wahrscheinlich auch nonchalanter bin als viele andere hier, sehe ich doch nicht, dass sie für "die Deutschen" steht.

Zitat
Da, wo im Westen AfD gewählt wird, hat man es meist mit konkreten (wenn auch subjektiv empfundenen) Missständen durch die Migration zu tun, und nur sehr, sehr wenig mit Sympathien für die Systemkritik aus dem Osten. Ich will da gar nicht bewerten, was besser oder schlechter ist - es ist eben nur anders, und das erklärbar durch die unterschiedlichen Erfahrungen der letzten Jahrzehnte.


Moment mal - sind die Umstände nur "subjektiv empfunden"? Wenn ja (worin ich Dir zustimme, aber pass auf, linke Reihe anstellen, jeder nur ein Kreuz ), dann ist es ja noch unnützer sich über die subjektiv empfundenen Umstände anderer Leute aufzuregen, nur weil sie nicht deckungsgleich mit den eigenen sind.

Ich muss auch ganz selbstkritisch zugeben, dass ich die "Gefährlichkeit" der AfD völlig überschätzt habe und versuche jetzt mit einigem Erfolg, da auch etwas lockerer zu sein. Und es tut mir auch ganz gut. Sollte ich also künftig dabei erwischt werden, die AfD zu beschimpfen, darf man versichert sein, dass ich das weitgehend zum Vergnügen tue, und nicht, weil ich von ihr irgendwas zu befürchten habe .

Zitat
Es widerstrebt mir, mir selbst eine Propaganda-Resistenz zu unterstellen, die fast alle anderen nicht haben. Aber das Ergebnis ist dann nicht weniger ernüchternd. Wenn ich nicht aus diversen anderen Begegnungen, meist im RL, wüsste, dass ich eher zu den helleren als zu den dunkleren Kerzen auf der Torte zähle, würde mich das vielleicht auch gleichgültig lassen. Aber ich erkenne eben auch, dass viele Menschen heute gar keine Chance mehr bekommen, Argumente zu hören, die es ihnen vielleicht ermöglichen würden, ihre Einstellung zu überdenken. Das Trachten der Politik scheint ja auch darauf abzuzielen, genau das zu verhindern (NetzDG), und die "sozialen Netzwerke" sind, ob aufgrund politischen Drucks oder eigenen ideologischen Bias', gerade unterwegs, sie darin zu übertreffen.


Ohne zu wissen, auf welchen Torten Du so zu brennen pflegst, glaub ich Dir das schon. Aber wie genau unterscheidet sich das, was Du danach schreibst, von dem von mir kritisierten Bias? Du sorgst dich um die benachbarten Tranfunzeln, dass ihnen vom Politmedialen Komplex der Brandbeschleuniger vorenthalten wird, während Du aus eigener Kraft osramgleich die Marzipandecke überstrahlst .

Was die sozialen Netzwerke angeht - wenn ich da reinschaut, sehe ich ungefähr 1% Argumente und 99% wüste Beschimpfungen des jeweiligen Gegners, im Vergleich zu denen Frau Slomka ein Ausbund an Manieren und Contenance ist. Man möchte nach deinen Ausführungen fast glauben, dass das NetzDG so funktioniert, dass die Argumente weggenommen werden und die Beschimpfungen stehenbleiben. Auch der unglaubliche Erfolg der Nochnichtsoaltpartei beruht großteils auf sozialen Medien.

Gruß Petz

Free speech is so last century. (Brendan O'Neill)

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

25.11.2017 17:22
#27 RE: Um jeden Preis? Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #24
Zitat von Noricus im Beitrag #23
Ich sehe nur nicht die Untergangskomponente, wenn man die Ansicht vertritt, dass Merkel alten Wein in neuen Schläuchen kredenzen wollte und die Medien um des alten Weines willen auch gelbe und dunkelschwarze Schläuche toleriert hätten.

Nein. Aber wenn man überzeugt ist, dass die FDP sowieso jede Regierung mitträgt und es nur schlimmer kommen kann, dann schon. Und darauf habe ich mich bezogen. Dass sich die FDP zwangsläufig dominieren lässt.


So habe ich weder Wendts Beitrag verstanden noch meine Bezugnahme darauf intendiert. Wenn ich gedacht hätte, dass die FDP jede Regierung mitträgt, hätte ich ihr meine Zweitstimme nicht gegeben. Auch der CSU hätte ich nicht unterstellt, jede Regierung mitzutragen. Da habe ich mich aber wohl getäuscht.

Zitat von Meister Petz im Beitrag #24

Zitat
Zitat von Meister Petz im Beitrag #22
Aber was hat Frau Slomka damit zu tun?

Sie hat ihrem Frust darüber, dass diese grünstichige Koalition nicht zustande kam, in einer - ich würde mich zu der Formulierung versteigen - unprofessionellen Art und Weise freien Lauf gelassen.

Na und? Dass Kleber und Slomka nicht zwischen Nachricht und Meinung trennen, ist jetzt wirklich nix neues. Ich finde, das heute-journal hat mit Berichterstattung nicht viel zu tun.



Mit der Schlagseite eines Mediums kann ich leben. Das gehört zur Pressefreiheit. Die Heuchelei, dass die öffentlich-rechtlichen Kanäle ein Refugium der objektiven Berichterstattung wären, in das man sich vor den von Fake-News verseuchten Echokammern des WWW flüchten kann, finde ich hingegen eher schwer verdaulich. Aber genau das ist die Eigendarstellung von ARD und ZDF und ja auch die Rechtfertigung für die Zwangsabgabe.

Zitat von Meister Petz im Beitrag #24
Aber unter knallharten Fake-News verstehe ich eher sowas wie die Brent Spar, wo wirklich bewusst gelogen wurde.


Sicher, beim Waldsterben war nicht der Befund, sondern die Erklärung die Fake-News, die ja tatsächlich wider besseres Wissen verbreitet wurde.

Zitat von Meister Petz im Beitrag #24
Zitat von Noricus im Beitrag #10
Denn der Wessi mit Kohle und der Ossi ohne Kohle sind reziproke Feindbilder. Nach der wechselseitigen Kriegspropaganda ist Ersterer der für Überfremdung sorgende Grünenwähler, der den Prekarier aus seinem Viertel hinausgentrifiziert, oder der für den inhumanen Raubtierkapitalismus eintretende FDP-Wähler, der unseren proletarischen Ossi zum Misfit der postmodernen Dienstleistungsgesellschaft erklärt; und Letzterer der dauerbesoffene, engstirnige AfD-Wähler, der mit der Globalisierung und der Welt im High-Speed-Daten-Zeitalter nicht zurechtkommt. Habe ich schon erwähnt, dass ich selbstverständlich überzeichne, um meinem Argument Plastizität zu verleihen?

Vor allem verallgemeinerst Du.


Das ist ja auch der Sinn einer solchen Kategorisierung.

Zitat von Meister Petz im Beitrag #24
Mir fallen auf Anhieb mehrere ganz ordentlich situierte Wessis ein, die den dauerbesoffenen AfD-Ossi ganz feste ins Herz geschlossen haben und aber gleich gar nix auf ihn kommen lassen .


Ja, sicher. Wenn man lange genug sucht, findet man sicher auch bei den ö-r Sendern Journalisten, die ihr Kreuz bei der AfD machen.

Zitat von Meister Petz im Beitrag #24
Müssen muss man gar nix, ich hab mich an der Slomka auch schon abgearbeitet.


Und mir willst Du dieses Vergnügen vorenthalten? Quod licet urso ...?

Zitat von Meister Petz im Beitrag #24
Zitat von Noricus im Beitrag #10
In den von mir in den letzten Tagen im Leben außerhalb des Internets geführten Diskussionen kam Lindner auch bei Leuten, die bisweilen zum Liberalismus tendierende Anwandlungen haben, äußerst schlecht weg. Ich kann mir ausmalen, woher das kommt.

Und ich kann mir ausmalen, warum Du Dir das ausmalst .

Für mich ist ein Grundbestandteil einer liberalen Haltung, bei der Einschätzung anderer Leute, die bei der Bewertung von Situationen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, zumindest anzunehmen, dass sie sich ein paar eigene Gedanken gemacht haben. Ich gebe zu, dass mir das auch oft schwerfällt, aber zumindest als Maxime nehme ich mir das vor.


Das ist schon richtig, weil alles andere paternalistisch ist. Ich hoffe, dass das auch für Menschen gilt, die sich häufig in den - wie Du sie nennst - konservativen Echokammern aufhalten und just die dort herrschenden Meinungen vertreten.

In den von mir genannten konkreten Fällen konnte mein Nachfragen übrigens kaum Substanz, geschweige denn eine Begründung zu Tage fördern, sodass mein Verdacht, dass da nur etwas Gehörtes reproduziert wurde, wohl nicht (nur) auf dem von Dir genannten bias beruht.


Zitat von Meister Petz im Beitrag #24
Natürlich kann da einseitige Medienberichterstattung eine Rolle spielen, aber der Respekt, den gerade die Bürgerlichen und Konservativen sich so gerne auf die Fahne schreiben, verlangt zumindest, den Anderen nicht als manipulierten Zombie (den Plastizitäts-Disclaimer leihe ich mir hier mal aus). zu betrachten.


Als nichtkonservativer und nichtbürgerlicher Reaktionär bin ich da ja fein aus dem Schneider. Aber ich gebe Dir in der Sache dennoch Recht. Es ist ja auch nicht so, dass man durch den Besuch konservativer Echokammern zum üblen, rechten Monstrum umprogrammiert wird. Gleiches gilt mutatis mutandis für die ÖR-Beschallung.

Zitat von Meister Petz im Beitrag #24
Und mit dem im Hinterkopf relativiert sich die Medienmacht wieder. Zumindest soweit, dass man sie nicht als "Koalitionspartner", also quasi als unsichtbar am Kabinettstisch sitzendes Bundespropagandaministerium betrachten muss.


Das eigentlich Bedenkliche an der Merkel-Treue vieler Medien ist ja, dass diese nicht, wie manche Verschwörungstheoretiker meinen, von oben verordnet ist, aber gleichwohl ein erklecklicher Teil der Journalistenschar sein Berufsethos dahin interpretiert, dass man sich an einer von allen anderen politischen Kräften gemiedenen 13-Prozent-Partei abarbeitet und die Regierungschefin, deren Schalten und Walten durchaus Steilvorlagen für Kritik liefert, mit Samthandschuhen anfasst.

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

25.11.2017 18:36
#28 RE: Um jeden Preis? Antworten

Zitat von Noricus im Beitrag #27
Wenn ich gedacht hätte, dass die FDP jede Regierung mitträgt, hätte ich ihr meine Zweitstimme nicht gegeben. Auch der CSU hätte ich nicht unterstellt, jede Regierung mitzutragen. Da habe ich mich aber wohl getäuscht.

Zum Zeitpunkt der Wahl. Aber je länger die Verhandlungen sich hingezogen haben, um so dominierender sind diese Stimmen geworden. Und ja, et tu, Norice!
Zitat von Noricus im Beitrag Zitat des Tages: Der Koch in Grün, der Kellner in Gelb
Ich wage hier mal eine Prognose:

1. Jamaika wird kommen.
2. Jamaika wird schrecklich.
3. Anno 2021 landet die AfD bei 20 + x Prozent.

Zitat von Noricus im Beitrag #27
Die Heuchelei, dass die öffentlich-rechtlichen Kanäle ein Refugium der objektiven Berichterstattung wären, in das man sich vor den von Fake-News verseuchten Echokammern des WWW flüchten kann, finde ich hingegen eher schwer verdaulich. Aber genau das ist die Eigendarstellung von ARD und ZDF und ja auch die Rechtfertigung für die Zwangsabgabe.

Ich glaube, mit dem Abgang des mittleren Harald Schmidt ist der letzte Mensch weg von der Mattscheibe, der dem Zuschauer wirklich keine Illusionen über die Funktionen und Intentionen des Fernsehens gemacht hat. Ich denke auch, dass die Sache mit der Zwangsabgabe reziprok ist. Die Tatsache, dass irgendetwas gebührenfinanziert ist, dient als Rechtfertigung dafür, dass auch noch der letzte Quark sich selber drei Punkte bei Anspruch verleiht. Das ist aber keine Exklusivität der Medien - viele glauben auch, dass Wasser sauberer ist und Strom Glühbirnen heller leuchten lässt, wenn alles nur von den kommunalen Versorgern kommt.

Zitat
Zitat von Meister Petz im Beitrag #24
Müssen muss man gar nix, ich hab mich an der Slomka auch schon abgearbeitet.
Und mir willst Du dieses Vergnügen vorenthalten? Quod licet urso ...?


...etiam licet Norico. Aber der Erkenntniswert ist halt auch irgendwann begrenzt. Wie der berühmte Titanic-Aufmacher "Forscher warnen: Alkohol im Schnaps".

Zitat von Meister Petz im Beitrag #24
Ich hoffe, dass das auch für Menschen gilt, die sich häufig in den - wie Du sie nennst - konservativen Echokammern aufhalten und just die dort herrschenden Meinungen vertreten.

Bei denen ist es sogar besonders wichtig! Wie gesagt, relevanter für den Umgang mit der Frage nach Meinungsbeeinflussung finde ich eigentlich den in der Antwort auf den Werwohlf angesprochenen confirmation bias. Und der ist natürlich in der Echokammer voll am Start. Ach ja, weil wir dabei sind - Du hast mich kürzlich mal nach einem Beispiel gefragt. Ich finde z.B., dass Tichys Einblick sich immer mehr in die Richtung entwickelt hat.

Zitat
Als nichtkonservativer und nichtbürgerlicher Reaktionär bin ich da ja fein aus dem Schneider.


Ich finde Dich ausreichend bürgerlich, zum Dandy-Reaktionär à la Mosebach reicht es jedenfalls noch nicht ganz .

Zitat
Aber ich gebe Dir in der Sache dennoch Recht. Es ist ja auch nicht so, dass man durch den Besuch konservativer Echokammern zum üblen, rechten Monstrum umprogrammiert wird. Gleiches gilt mutatis mutandis für die ÖR-Beschallung.


Wie gesagt, ich glaube allenfalls an eine Verstärkerwirkung. Aber ich habe mich mal eine Zeitlang mit Medienwirkungsforschung beschäftigt, und die tatsächlichen empirischen Befunde sind eher dürftig. Bleibt also maximal ein Empfinden der ästhetischen Unhygiene, das aber nicht unbedingt eine Empörung rechtfertigt. Mit Grausen abwenden ist hier emotional ökonomischer.

Zitat
Das eigentlich Bedenkliche an der Merkel-Treue vieler Medien ist ja, dass diese nicht, wie manche Verschwörungstheoretiker meinen, von oben verordnet ist, aber gleichwohl ein erklecklicher Teil der Journalistenschar sein Berufsethos dahin interpretiert, dass man sich an einer von allen anderen politischen Kräften gemiedenen 13-Prozent-Partei abarbeitet und die Regierungschefin, deren Schalten und Walten durchaus Steilvorlagen für Kritik liefert, mit Samthandschuhen anfasst.


Ja, der Vorwurf der Hofberichterstattung drängt sich auf - und es scheint auch, wenn man die Geschehnisse um das TV-Duett betrachtet, so zu sein, dass sich die ÖR von ihr ordentlich auf der Nase rumtanzen lassen, und sie - im Gegensatz zu Kohl - ganz gut damit durchkommt. Und was die Dreizehnprozentpartei angeht - seit der Wahl ist da erstaunlich ruhig, und selbst die Causa Glaser war schneller vorbei, als sie begonnen hatte.

Gruß Petz

Free speech is so last century. (Brendan O'Neill)

nachdenken_schmerzt_nicht Offline




Beiträge: 2.007

25.11.2017 19:47
#29 RE: Um jeden Preis? Antworten

Zitat von Werwohlf im Beitrag #25
Wenn ich nicht aus diversen anderen Begegnungen, meist im RL, wüsste, dass ich eher zu den helleren als zu den dunkleren Kerzen auf der Torte zähle, würde mich das vielleicht auch gleichgültig lassen. Aber ich erkenne eben auch, dass viele Menschen heute gar keine Chance mehr bekommen, Argumente zu hören, die es ihnen vielleicht ermöglichen würden, ihre Einstellung zu überdenken.

Zitat von Meister Petz im Beitrag #26
Ohne zu wissen, auf welchen Torten Du so zu brennen pflegst, glaub ich Dir das schon. Aber wie genau unterscheidet sich das, was Du danach schreibst, von dem von mir kritisierten Bias?


Ich meine zu verstehen, was das Wertier meint. Möglicherweise weil ich ähnlich empfinde. Dabei ist gut möglich, dass ich mich täusche. Sei es wegen eines, wie auch immer gearteten Bias, oder überbewerteter, annekdotischer Evidenz.

Ich kenne sehr viele, überdurchschnittlich intelligente, beruflich erfolgreiche Menschen von denen ich sagen würde, dass ihr Bias erst über die Tagesthemen, respektive den ÖRR entsteht oder zumindest stark beeinflußt wird. Wir müssen nich darüber reden, dass Freunde und Familie ebenfalls eine große Rolle spielen. Wahrscheinlich sogar die größte. Ich meine aber zu beobachten, der ÖRR in Deutschland spielt ebenfalls eine nicht untergeodnete Rolle in dieser Hinsicht. Zumindest in bestimmten Bevölkerungsgruppen.

So verstehe ich persönlich auch des Werwohlfs Argument: Dem ÖRR entgegenstehende Argumente kommen für einen großen Teil des bürgerlichen Spektrums aus der Schmuddelecke garnicht heraus und werden deswegen weder gehört noch überdacht. Im meinem realen Leben (annekdotische Evidenz nicht ausgeschlossen) ist dies eigentlich meine ausschließliche Erfahrung. Warum der ÖRR diese Macht hat, mag eine verzwackte Frage sein*, in Deutschland scheint er sie mir aber zu haben. Der ÖRR stülpt Deutschland ein, wenn auch derzeit brüchiges, Bias über.

Ich kenne unglaublich viele Menschen (im realen Leben wie gesagt (fast) nur), welche "Gegenöffentlichkeit" im Netz nicht nutzen zur Meinungsbildung. Für die ist Wahrheit das ZDF und die ARD. So unfaßbar dir das erscheinen mag. Deswegen - und da mag ich einer Fehleinschätzung unterliegen - beunruhigen mich Menschen wie Slomka mehr, als irgendwelche Spinner in Randgruppierungen. Die starke, manipulative Wirkung, welche sie auf die Meinungsbildung haben, erscheint mir evident.

Natürlich schadet es nicht, eine gewisse biedermeierhafte Gelassenheit zu kultivieren. Das schützt aber eben nicht immer zuverlässig vor Unruhe. Mich beunruhigen dabei zum Beispiel Staatsrechtler, welche im ÖRR Rundfunk sich staatstragen dafür ausprechen, den Notstand auszurufen, um regieren zu können und dafür goutiert werden mehr, als wenn eine weitere kollektivistische Partei, mit ein paar anderen spinnerten Ideen wie die gängigen, zweistellig wird. Das kann, unter bestimmten Umständen, sogar als Lebenszeichen des Parlamentarismus interpretiert werden.

Herzlich


nachdenken_schmerzt_nicht

* Edit: Meine These dazu findet sich übrigens am Anfang meines liebsten Kinderbuches "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer", als die Rolle des Herrn Ärmel auf Lummerland beschrieben wurde: "Herr Ärrmel war hauptsächlich Untertarn und wurde regiert."

"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

26.11.2017 09:42
#30 RE: Um jeden Preis? Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #28
Zitat von Noricus im Beitrag #27
Wenn ich gedacht hätte, dass die FDP jede Regierung mitträgt, hätte ich ihr meine Zweitstimme nicht gegeben. Auch der CSU hätte ich nicht unterstellt, jede Regierung mitzutragen. Da habe ich mich aber wohl getäuscht.

Zum Zeitpunkt der Wahl. Aber je länger die Verhandlungen sich hingezogen haben, um so dominierender sind diese Stimmen geworden. Und ja, et tu, Norice!
Zitat von Noricus im Beitrag Zitat des Tages: Der Koch in Grün, der Kellner in Gelb
Ich wage hier mal eine Prognose:

1. Jamaika wird kommen.
2. Jamaika wird schrecklich.
3. Anno 2021 landet die AfD bei 20 + x Prozent.



Ich habe auch nach der Wahl gehofft, dass die FDP und die CSU stark bleiben würden. Meine erste diesbezügliche Frustration, in welcher das obige Zitat fiel, ereilte mich bei dem Unionskompromiss zur Migration. Und je mehr der mediale Druck auf das Zustandenkommen einer Schwampel mit grüner Handschrift zunahm, war ich vor Anfechtungen, dass die FDP und die CSU umfallen könnten, nicht gefeit. Bei Lindner bestand noch dazu das Problem, dass ich ihn inhaltlich nicht einschätzen konnte. Seine Reanimation der FDP vom Wachkomapatienten zur quicklebendigen Kleinpartei hielt und halte ich für eine der größten politischen Leistungen in der Geschichte der Bundesrepublik. Aber diese Leistung beruhte vor allem auf persönlichem Kredit, weniger auf programmatischer Zuverlässigkeit, weil es in dieser Hinsicht keine Gelegenheit zum Beweisantritt gab. Und ich kann mich noch gut an das Vorher-Nachher der FDP anno 2009 erinnern. Aber da ein Spiel erst vorbei ist, wenn es abgepfiffen wird, habe ich bis zuletzt auf Beharrlichkeit der FDP und der CSU gehofft - bei Ersterer zu Recht, bei Letzterer nicht.

Zitat von Meister Petz im Beitrag #28
Zitat von Meister Petz im Beitrag #24
Ich hoffe, dass das auch für Menschen gilt, die sich häufig in den - wie Du sie nennst - konservativen Echokammern aufhalten und just die dort herrschenden Meinungen vertreten.

Bei denen ist es sogar besonders wichtig! Wie gesagt, relevanter für den Umgang mit der Frage nach Meinungsbeeinflussung finde ich eigentlich den in der Antwort auf den Werwohlf angesprochenen confirmation bias. Und der ist natürlich in der Echokammer voll am Start.


Man könnte dies aber auch anders interpretieren: Eine Echokammer findet deshalb Zulauf, weil in politisch anders gefärbten Echokammern (z.B. jenen der etablierten Medien) abweichende Erfahrungen als irrational und von Hetze manipuliert dargestellt werden. Anders formuliert: Die Angst, zum Gaslighting-Opfer zu werden, treibt Menschen in eine bestimmte Echokammer, wo dann natürlich auch wieder Gaslighting gegenüber der aus der dortigen Sicht anderen Meinung betrieben wird. Und dort verstärkt sich die eigene Meinung durch den confirmation bias. Doch die primäre Motivation für den Eintritt in die Echokammer liegt in der wohltuenden Erfahrung, dass man mit seiner Sicht auf die Dinge nicht allein ist.

Es ist also ein Teufelskreis. Und es ist in der Realität natürlich viel komplizierter, als ich dies dargestellt habe. Denn ich bekomme auf Online-Plattformen, die für eine Verleihung des Prädikats "konservative Echokammer" in Frage kommen, viel mehr von linker Denke mit, als wenn ich diese Echokammern miede. Denn auf den besagten Seiten wird ja sehr gerne nach links verlinkt, freilich im Sinne eines Scheiterhaufens, auf den jeder sein Zweiglein legen darf.

In diesem Sinne kann ich Menschen sehr gut verstehen, die sich in Abstinenz von sozialen und sonstigen Medien üben, weil dies ihrem psychischen Wohlbefinden zuträglich ist. Ich gönne mir bisweilen auch solche Auszeiten, dies durchaus mit einer "Il faut cultiver notre jardin"-Mentalität.

Zitat von Meister Petz im Beitrag #28
Ach ja, weil wir dabei sind - Du hast mich kürzlich mal nach einem Beispiel gefragt. Ich finde z.B., dass Tichys Einblick sich immer mehr in die Richtung entwickelt hat.


Danke für den Tipp. Aus Zeitmangel gehört TE nicht zu meiner Standardlektüre, sodass ich darüber aus eigener Wahrnehmung nichts Substanzielles sagen kann.

Zitat von Meister Petz im Beitrag #28

Zitat
Als nichtkonservativer und nichtbürgerlicher Reaktionär bin ich da ja fein aus dem Schneider.

Ich finde Dich ausreichend bürgerlich, zum Dandy-Reaktionär à la Mosebach reicht es jedenfalls noch nicht ganz .



Mein Idealbild ist auch nicht der Dandy-Reaktionär, sondern der nichtlinke Sponti.

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

26.11.2017 13:43
#31 RE: Um jeden Preis? Antworten

Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #29
Ich meine zu verstehen, was das Wertier meint. Möglicherweise weil ich ähnlich empfinde. Dabei ist gut möglich, dass ich mich täusche. Sei es wegen eines, wie auch immer gearteten Bias, oder überbewerteter, annekdotischer Evidenz.

Ich kenne sehr viele, überdurchschnittlich intelligente, beruflich erfolgreiche Menschen von denen ich sagen würde, dass ihr Bias erst über die Tagesthemen, respektive den ÖRR entsteht oder zumindest stark beeinflußt wird. Wir müssen nich darüber reden, dass Freunde und Familie ebenfalls eine große Rolle spielen. Wahrscheinlich sogar die größte. Ich meine aber zu beobachten, der ÖRR in Deutschland spielt ebenfalls eine nicht untergeodnete Rolle in dieser Hinsicht. Zumindest in bestimmten Bevölkerungsgruppen.

So verstehe ich persönlich auch des Werwohlfs Argument: Dem ÖRR entgegenstehende Argumente kommen für einen großen Teil des bürgerlichen Spektrums aus der Schmuddelecke garnicht heraus und werden deswegen weder gehört noch überdacht. Im meinem realen Leben (annekdotische Evidenz nicht ausgeschlossen) ist dies eigentlich meine ausschließliche Erfahrung. Warum der ÖRR diese Macht hat, mag eine verzwackte Frage sein*, in Deutschland scheint er sie mir aber zu haben. Der ÖRR stülpt Deutschland ein, wenn auch derzeit brüchiges, Bias über.

Ich kenne unglaublich viele Menschen (im realen Leben wie gesagt (fast) nur), welche "Gegenöffentlichkeit" im Netz nicht nutzen zur Meinungsbildung. Für die ist Wahrheit das ZDF und die ARD. So unfaßbar dir das erscheinen mag. Deswegen - und da mag ich einer Fehleinschätzung unterliegen - beunruhigen mich Menschen wie Slomka mehr, als irgendwelche Spinner in Randgruppierungen. Die starke, manipulative Wirkung, welche sie auf die Meinungsbildung haben, erscheint mir evident.

Wie schon mehrfach erwähnt, die Medienwirkungsforschung bestätigt diese Evidenz empirisch nicht. Und dazu ist sehr viel geforscht worden. Legionen linker Medienforscher haben beispielsweise versucht, die Manipulationswirkung der Bildzeitung zu bestätigen, rausgekommen ist am Ende nicht viel. Die Medienwirkung beschränkt sich darauf, bestehende Meinungen zu verstärken und auf das Agendasetting und Framing, d.h. bestimmte Ereignisse und Themen in den Vordergrund bzw. in einen Zusammenhang zu stellen. Das ist nicht zu unterschätzen, allerdings resultiert daraus auch keine Meinungsänderung. Wenn jemand z. B. anfällig ist für die Angst vor Terroranschlägen, wird die Angst durch eine intensive Berichterstattung verstärkt. Wenn nicht, hat sie eher einen gegenteiligen Effekt - "die wollen mir ja nur Angst machen".

Zurück zu Deinem Beispiel: Kannst Du für Deinen Bekanntenkreis belegen, dass die eine andere Meinung vertreten würden, wenn sie nicht der "Manipulation" des ÖRR ausgesetzt werden? Oder ist nicht einfach die viel naheliegerndere Erklärung, dass sie andere Medien konsumieren würden, wenn sie diese Meinung nicht hätten?

Zur Frage nach einem möglichen Bias von Deiner Seite: Oft kommt - neben dem genannten Third-Person-Effekt bei Manipulationsvorwürfen etwas anderes ins Spiel: Wunschdenken. Wenn ich erfolgreiche, gebildete, oder auch nur mir am Herzen liegende Menschen eine diametral gegensätzliche Meinung vertreten sehe, entsteht eine kognitive Dissonanz: wie kann es sein, dass ein toller Mensch nicht meiner Meinung ist? Eine mögliche Beseitigung der Dissonanz ist der Manipulationsvorwurf: "die haben ihn umgedreht!".

Das fängt bei völlig banalen Tatsachen an: Ich frage einen geschätzten Arbeitskollegen, ob wir nach der Arbeit noch zusammen saufen gehen wollen. Er sagt: "Nö du, ich mag lieber heim". Um die Enttäuschung zu reduzieren, spreche ich ihn frei und erhebe einen Manipulationsvorwurf: "War ja klar, die Alte erlaubt es ihm nicht". Und das finde ich in dem Moment völlig evident! Denn es kann ja nicht sein, dass so ein toller Kerl wie der es aus freien Stücken ablehnt, mit einem so tollen Kerl wie mir saufen zu gehen.

Und noch ein anderes Argument fällt mir ein, das die Freunde der AfD-Ossis (TM) immer ins Feld führen: Die begründen nämlich deren Lügenpressegeplärre immer damit, dass gerade die DDR-Bürger ein besonders feines Gespür für totalitäre Tendenzen in Politik und Medien haben. Nun erkläre mir mal im Rahmen einer allgemeinen These über Medienwirkung: Wie es sein kann, dass bei denjenigen, die einer Komplettpropaganda vom Krippenalter über sämtliche Bildungsstufen, aller Medien usw. ausgesetzt sind, deren Resistenz geschärft wird, aber hier und jetzt nicht? Selbst wenn man der populären DDR 2.0-These folgt (was ich keineswegs tut und für eine grobe Verharmlosung der DDR halte), dürfte die große Macht, die Du dem ÖRR attestierst, ja gar nicht entstehen.

Zitat
Natürlich schadet es nicht, eine gewisse biedermeierhafte Gelassenheit zu kultivieren. Das schützt aber eben nicht immer zuverlässig vor Unruhe. Mich beunruhigen dabei zum Beispiel Staatsrechtler, welche im ÖRR Rundfunk sich staatstragen dafür ausprechen, den Notstand auszurufen, um regieren zu können und dafür goutiert werden mehr, als wenn eine weitere kollektivistische Partei, mit ein paar anderen spinnerten Ideen wie die gängigen, zweistellig wird. Das kann, unter bestimmten Umständen, sogar als Lebenszeichen des Parlamentarismus interpretiert werden.


Ich freue mich, dass Du dieses Beispiel gebracht hast, denn es zeigt ganz gut, wie Medienwirkung funktioniert. Deshalb lohnt es sich, das mal zu analysieren. Ich möchte dazu erst mal eine klärende Nachfrage stellen: Hast Du Dir das Interview (das ich auch ärgerlich fand, aber aus anderen Gründen) angeschaut, BEVOR Dich die "Gegenöffentlichkeit" in Person von Frau Lengsfeld darauf aufmerksam gemacht hat, oder danach? Ich vermute ersteres, will Dir aber nix unterstellen.

Ich habe es nämlich zufällig gesehen (es ist auch noch in der Mediathek abrufbar: https://www.zdf.de/nachrichten/heute-jou...tstuhl-100.html ) und fand es zunächst wegen Frau Slomka bescheuert, die - bevor der 81er GG ins Spiel gebracht wurde, die Bedeutung der Medien zum "Quasiverfassungsorgan" genau so hochgejazzt hat wie von Noricus angesprochen. Den Professor fand ich auch bescheuert, weil er nämlich das Verfahren des 81 völlig fehlerhaft dargestellt hat.

Er hat unterschlagen, dass
a) eine geschäftsführende Regierung keinen Gesetzgebungsnotstand beantragen kann, d.h. erst mal eine Minderheitsregierung im Amt sein muss
b) diese Minderheitsregierung erst nach einer verlorenen mit einer Sachfrage verknüpften Vertrauensabstimmung im Bundestag UND einer Weigerung des BuPrä, das Parlament aufzulösen, eine Beantragung des Gesetzgebungsnotstandes stellen kann
c) der Gesetzgebungsnotstand nur für ein halbes Jahr gilt und nicht verlängerbar ist sowie nur für einzelne, von der Bundesregierung mit Zustimmung des Präsidenten als "dringlich" eingestufte Gesetzesvorlagen gilt - weshalb sich der 81er zum Durchregieren nicht wirklich eignet, wenn man die normale Dauer von Gesetzgebungsverfahren betrachtet.
d) nicht wie vom Professor behauptet, der Bundespräsident das Gesetz einfach unterschreiben kann, sondern der Bundesrat erst mal zustimmen muss (was bei der aktuellen Zersplitterung auch eine aufwendige Mehrheitssuche und Konsultation bedeutet).

Auch in seiner Begründung liefert er direkt eine Fehlinformation: Er argumentiert nämlich, dass der Gesetzgebungsnotstand entsteht, wenn der Bundestag sich destruktiv verhält, und das sei ja angesichts der Koalitionsverhandlungen bereits der Fall. Was konstruierter Unsinn ist, weil nicht "der Bundestag" die Verhandlungen führt, sondern einzelne Parteienvertreter, davon einige nicht mal MdBs. Der Bundestag hatte im Rahmen von zwei Sitzungen noch nicht einmal eine Möglichkeit, destruktiv in Erscheinung zu treten (sieht man mal von der Causa Glaser ab, aber ich bezweifle, dass der Professor damit sein Argument stützen wollen würde).

Erstes Zwischenfazit: Wenn man dem ZDF einen Vorwurf machen kann, dann dass es unter allen Staatsrechtsprofessoren in Deutschland ausgerechnet einen ausgesucht hat, dessen Fachkompetenz nicht einmal so weit reicht, dass er einen einfachen Verfassungsartikel akkurat beschreiben könnte, ohne dass ein Amateur ohne Staatsexamen wie ich ihm gleich fünf gravierende und sinnentstellende Fehler nachweist.

Nun kommt Frau Lengsfeld ins Spiel und konstruiert aus juristischem Unsinn politischen Unsinn. Abgesehen davon, dass sie von seinen Irrtümern nur zwei richtigstellt und drei übernimmt, konstruiert sie daraus einen "Rat" zum Putsch:

Zitat
Die Gefahr wird offensichtlich als so groß eingeschätzt, dass der Staatsrechtler Ulrich Battis jetzt öffentlich im Staatsfunk ZDF zum vorbeugenden Putsch rät. Natürlich nennt er es nicht so. Er lässt es wie eine Erziehungsmaßnahme für vier „ungezogene Kinder“ aussehen. (...) Nachdem der Bundestag in den vergangenen Legislaturperioden schon längst zum Abnickorgan von Regierungsvorlagen degradiert wurde, soll er nun ganz ausgeschaltet werden. Ein Schelm, wer da an Ermächtigung denkt?

Es gibt aktuell keinen Notstand, der dieses Vorgehen rechtfertigen würde. Im Gegenteil. Das Parlament, bei dem die Gesetzgebungs-Kompetenz liegt, was dem Staatsrechtler Battis nicht klar zu sein scheint, könnte dann ohne Regierungsvorgaben endlich wieder zu seiner im Grundgesetz verankerten eigentlichen Aufgabe, der Gesetzgebung, zurückfinden. Aber genau das scheint die wahre Angst des Politikkartells zu sein.

http://vera-lengsfeld.de/2017/11/24/staa...aet-zum-putsch/

Das gibt das Interview aber nicht her. Denn der Vorschlag kommt ja nicht aus heiterem Himmel sondern auf eine Frage, was es bedeute, wenn "die Kanzlerin nicht mehr von einer Mehrheit im Parlament getragen werde, sondern sich Regierung und Parlament gegenüberstehen". Darauf bringt der Professor den 81er ins Spiel, bezeichnet ihn aber als "Ausnahmeregelung" und "Reservefunktion". Davon, dass er "dazu rät", kann keine Rede sein. Ich interpretiere die Aussage eher so, dass er damit Herrn Ärmel die Angst davor nehmen wollte, bald nicht mehr regiert zu werden. .

Zweites Zwischenfazit: Frau Lengsfeld gibt das Interview einseitig und sinnentstellend wieder und faselt anschließend von Parteienkartell und Ermächtigung. Wenn man ihr eine Manipulationsabsicht unterstellen würde, könnte man sein Argument damit stützen, dass sie davon absieht, das Originalinterview zu verlinken, sondern als Quelle nur den ebenfalls sehr verkürzenden Focus-Artikel heranzieht.

Nun kommt n_s_n ins Spiel und verkürzt noch einmal: "den Notstand auszurufen, um regieren zu können". "Notstand" ist aber viel mehr als nur Gesetzgebungsnotstand, der nur einen geringen Teil davon bildet. Zur Notstandsverfassung gehören darüber hinaus noch Regelungen bezüglich:

Zitat
Artikel 10 GG (Einschränkung des Grundrechts des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses)
Artikel 11 GG (Einschränkung des Grundrechts der Freizügigkeit)
Artikel 12 a GG (Wehr- und Dienstpflicht)
Artikel 20 Absatz 4 (Widerstandsrecht)
Abschnitt IV a (Artikel 53 a) (Notstandsgesetzgebung durch den Gemeinsamen Ausschuss)
Abschnitt X a (Artikel 115a bis l) Verteidigungsfall

https://de.wikipedia.org/wiki/Notstandsverfassung
Davon war erst recht keine Rede.

Drittes und Schlussfazit: Das Beispiel zeigt sehr schön, wie confirmation bias und Verstärkerwirkung funktionieren. Wurdest Du manipuliert? Aber überhaupt nicht. Du gehst nämlich mit zwei bestehenden Meinungen an die Sache ran:
a) Skepsis gegenüber ÖRR
b) Furcht vor totalitären Tendenzen der Merkelregierung
Dann liest Du Lengsfelds Beitrag (oder auch nur den im Focus, der ist auch schon ziemlich einseitig) und siehst beide Meinungen bestätigt. Die Information, obwohl sie - vorsichtig formuliert - stark interpretativ ist, fällt auf fruchtbaren Boden, und Du gibst Dich damit zufrieden, ohne weiter zu recherchieren. Und so ist es beim ÖRR und jeglicher anderen Art von Medien auch. Ohne fruchtbaren Boden kann selbst eine in manipulativen Absicht konstruierte Meldung nicht viel ausrichten.

Das ist übrigens alles gar nicht schlimm und nur natürlich. Aber ich halte es für wichtig, diese Effekte zu kennen und gelegentlich seine eigene Wahrnehmung darauf abzustimmen. Das ist nicht nur redlich, sondern auch viel erfolgversprechender als sich darüber aufzuregen, dass die anderen so arg auf die bösen Verführer reinfallen. Das gibt nur hohen Blutdruck.

Ich hoffe, dass ich Dich mit diesem ausschweifenden Text nicht gelangweilt habe, aber bei dem Thema neige ich etwas zum .

Gruß Petz

Free speech is so last century. (Brendan O'Neill)

nachdenken_schmerzt_nicht Offline




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26.11.2017 18:49
#32 RE: Um jeden Preis? Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #31
Ich hoffe, dass ich Dich mit diesem ausschweifenden Text nicht gelangweilt habe
Im Gegenteil. Es ist Dankbarkeit angezeigt, wenn man so instruktiv die (eigen)manipulative Wirkung des eigenen Bias erläutert bekommt. - Auch wenn es schwer fällt es zu lesen und akzeptieren. Einfach in Zukunft meinen Mund halten wäre wohl mehr angezeigt, als Unsinn zu schreiben. Lächerlich macht sich schließlich keiner gerne und Unsinn muss auch nicht bestätigt werden.

Zumal die Statistik, unter Heranziehen deiner einleuchtend klingenden "Wunschdenkens These", ebenfalls darauf hindeutet, dass mit meiner Urteilskraft etwas nicht zu stimmen scheint. Nicht mit der anderer.

Eines meiner Bias ist übrigens durch deinen Text ebenfalls bedient worden: Wenn du an der Sache argumentiertst, bist du in der Sache nicht zu schlagen.

Herzlich


nachdenken_schmerzt_nicht

"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu

Meister Petz Offline




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26.11.2017 19:49
#33 RE: Um jeden Preis? Antworten

Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #32
Es ist Dankbarkeit angezeigt, wenn man so instruktiv die (eigen)manipulative Wirkung des eigenen Bias erläutert bekommt. - Auch wenn es schwer fällt es zu lesen und akzeptieren. Einfach in Zukunft meinen Mund halten wäre wohl mehr angezeigt, als Unsinn zu schreiben. Lächerlich macht sich schließlich keiner gerne und Unsinn muss auch nicht bestätigt werden.

Ach, was heißt schon Unsinn. Ich habe in der Woche hier auch schon völlig daneben gelangt mit meiner These über die Jamaika-Koalition im Saarland. Und dann kommt jemand, der sich besser auskennt, korrigiert mich, dann heißt es Wunden lecken und weiter geht's. Ganz im Sinne Zettels.

Zitat
Zumal die Statistik, unter Heranziehen deiner einleuchtend klingenden "Wunschdenkens These", ebenfalls darauf hindeutet, dass mit meiner Urteilskraft etwas nicht zu stimmen scheint. Nicht mit der anderer.


Mit der der anderen vielleicht auch nicht. Es gibt ja auch noch einen Autoritätsbias, von dem man auch nicht ausschließen kann, dass der beim einen oder anderen beim ÖRR-Konsum zuschlägt. Mit der Urteilskraft ist es halt so eine Sache, da sind wir Menschen ziemlich begrenzt...

Zitat
Eines meiner Bias ist übrigens durch deinen Text ebenfalls bedient worden: Wenn du an der Sache argumentiertst, bist du in der Sache nicht zu schlagen.


Danke für das Kompliment, aber ich glaube nicht, dass es zutrifft. In dem Fall vielleicht, weil ich mich mit dem Medienwirkungskram bissl auskenne (abgesehen davon, dass es zu 99% eine Fleißarbeit war, die Infos sind alle recht leicht zugänglich) und in meinem Studium mal gezwungen war, mich neutral damit zu beschäftigen. Wie Du schon zu Recht implizierst, gibt es aber auch genügend Themen, wo ich meinen eigenen Bias nicht wirklich im Griff habe, und da kann es mir genauso leicht passieren, dass ich irgendwas raushaue, ohne vorher ordentlich nachzuprüfen, ob es überhaupt plausibel ist...

und Gruß, Petz

Free speech is so last century. (Brendan O'Neill)

HR2 Offline



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26.11.2017 22:20
#34 RE: Um jeden Preis? Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #31
Die Medienwirkung beschränkt sich darauf, bestehende Meinungen zu verstärken und auf das Agendasetting und Framing, d.h. bestimmte Ereignisse und Themen in den Vordergrund bzw. in einen Zusammenhang zu stellen. Das ist nicht zu unterschätzen, allerdings resultiert daraus auch keine Meinungsänderung. Wenn jemand z. B. anfällig ist für die Angst vor Terroranschlägen, wird die Angst durch eine intensive Berichterstattung verstärkt. Wenn nicht, hat sie eher einen gegenteiligen Effekt - "die wollen mir ja nur Angst machen".




Tja,nur zu den allermeisten Themen haben die allermeisten Menschen erst einmal gar keine so explizite Meinung (gehabt).
Die größte Reichweite und Wirkmacht diese jungfräulichen Äcker zu besamen hat und hatte seit jeher der ÖRR.
Das ändert sich nun langsam im Neuland.

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

26.11.2017 22:38
#35 RE: Um jeden Preis? Antworten

Zitat
Tja,nur zu den allermeisten Themen haben die allermeisten Menschen erst einmal gar keine so explizite Meinung (gehabt).
Die größte Reichweite und Wirkmacht diese jungfräulichen Äcker zu besamen hat und hatte seit jeher der ÖRR.
Das ändert sich nun langsam im Neuland.


Woher wollen Sie denn das wissen? Und entschuldigen Sie die Nachfrage, gehören Sie auch zu den allermeisten Menschen (könnte ja sein)?

Aber nehmen wir mal um der Debatte willen an es stimmt, dann heißt "keine explizite" Meinung noch nicht, dass es bei Themen, die die Menschen interessieren, nicht eine Tendenz gibt, die gefestigt werden kann.

Ist jemandem ein Thema egal, bleibt es auch so, da kann die Jungfrau besamt werden*, so oft sie will...

Gruß Petz

*Hier kann ich gleich mal die Gelegenheit beim Schopf packen, für ein wenig mehr Traffic auf ZkZ zu sorgen .

Free speech is so last century. (Brendan O'Neill)

HR2 Offline



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26.11.2017 22:54
#36 RE: Um jeden Preis? Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #35

Woher wollen Sie denn das wissen? Und entschuldigen Sie die Nachfrage, gehören Sie auch zu den allermeisten Menschen (könnte ja sein)?

Aber nehmen wir mal um der Debatte willen an es stimmt, dann heißt "keine explizite" Meinung noch nicht, dass es bei Themen, die die Menschen interessieren, nicht eine Tendenz gibt, die gefestigt werden kann.




Woher wissen Sie, dass die Menschen zu allen Themen Meinungen haben? Und ja, ich gehöre zu den allermeisten, die sich
lange Zeit keine Gedanken um z.B die Stromversorgung gemacht haben und folglich auch keine Meinung zu deren Erzeugung.
Gleiches gilt z.B für den Euro.

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

26.11.2017 23:28
#37 RE: Um jeden Preis? Antworten

Zitat von HR2 im Beitrag #36
Woher wissen Sie, dass die Menschen zu allen Themen Meinungen haben? Und ja, ich gehöre zu den allermeisten, die sich
lange Zeit keine Gedanken um z.B die Stromversorgung gemacht haben und folglich auch keine Meinung zu deren Erzeugung.
Gleiches gilt z.B für den Euro.

Echt? Nicht mal zur Kernkraft? Und weder der guten alten DM hinterhergeweint noch sich gefreut, im Urlaub kein Geld mehr umzutauschen?

Und wenn, wie hat sich das geändert? Und wie haben Sie eine Schwangerschaft mit den Positionen des ÖRR verhütet (sorry, ich versprech, ich hör wieder auf damit .. irgendwann ...)..

Ich glaube, wir verstehen unter "Meinung" hier gerade was anderes, wahrscheinlich sollte ich es "Einstellung" nennen. Und davon bin ich überzeugt, dass die meisten Menschen zu einer Position tendieren, wenn das Thema eine Aufmerksamkeitsschwelle überschritten hat.

Und Agenda-Setting war übrigens eine Wirkung, die ich den Medien explizit zugeschrieben habe, weil sie gut belegt ist. Und ich weiß es nicht, ob es heute immer noch so ist, weil ich nicht auf dem aktuellen Stand bin, aber das mit Abstand fruchtbarste Medium war in dieser Hinsicht nie der ÖRR, sondern immer die Bildzeitung.

Gruß Petz

Free speech is so last century. (Brendan O'Neill)

HR2 Offline



Beiträge: 1.008

27.11.2017 00:25
#38 RE: Um jeden Preis? Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #37

Echt? Nicht mal zur Kernkraft? Und weder der guten alten DM hinterhergeweint noch sich gefreut, im Urlaub kein Geld mehr umzutauschen?

Und wenn, wie hat sich das geändert? Und wie haben Sie eine Schwangerschaft mit den Positionen des ÖRR verhütet (sorry, ich versprech, ich hör wieder auf damit .. irgendwann ...)..



Ja. Ich hielt den Verzicht auf Kernkraft für eine gute Sache. Warum auch nicht? (Hihihi)
Den Euro betreffend hab ich die griesgrämigen alten Professoren wohl vernommen, aber eben auch als solche abgetan.
Ich war als in vielen Punkten mäßig politisch Interessierter auf dem Weg in den Mainstream.Haben Sie eine Ahnung wie warm, geborgen und
edel man sich darin fühlt?
Dann kam die Pille danach...das Neuland...Achgut hat mich versaut...jetzt haben Sie mich mit ihrer komischen bias...

Und ich bin immer noch ganz anderer Meinung als Sie.
Die meisten Menschen haben zu den meisten pol. relevanten Themen keine Position, die sie umtreibt.
Da gibt es meist keine tiefen Überzeugungen.

HR2 Offline



Beiträge: 1.008

27.11.2017 00:43
#39 RE: Um jeden Preis? Antworten

Meinungsfundamentalisten kommt man mit Fakten nicht bei ab 2:10

http://www.ardmediathek.de/tv/quer-mit-C...mentId=47635214






D

Frank2000 Offline




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27.11.2017 07:11
#40 RE: Um jeden Preis? Antworten

@HR2
Sehr schönes Beispiel. Ekelhaft. Kein Wort zu den tatsächlichen Inhalten, der Zuschauer soll durch die schiere Zahl der aufgezählten "Experten" beindruckt werden. Populismus in reinster Form.

___________________
Kommunismus mordet.
Ich bin bereit, über die Existenz von Einhörnern zu diskutieren. Aber dann verlange ich außergewöhnlich stichhaltige Beweise.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

27.11.2017 09:25
#41 RE: Um jeden Preis? Antworten

Zitat von Noricus im Beitrag #30
... programmatischer Zuverlässigkeit...
Und ich kann mich noch gut an das Vorher-Nachher der FDP anno 2009 erinnern.

Da lohnt sich vielleicht ein kleiner Hinweis: Das Problem 2009 war NICHT mangelnde programmatisch Zuverlässigkeit. Sondern falsche Prioritätensetzung, taktische Doofheit und mangelnder Mut als sich herausstellte, daß man in die falsche Richtung gelaufen war.
Die FDP hat sich schlicht von Merkel über den Tisch ziehen lassen. Das ist gebührend peinlich und dafür ist sie dann auch abgestraft worden. Aber es war nicht so, daß sie nach der Wahl ein anderes Programm vertreten hätte als vorher. Im übrigen wurden auch sehr viele Punkte des Programms geliefert - aber das hat kaum noch interessiert, nachdem der zentrale Punkt "große Steuerreform" in die Grütze gegangen war.

Ich halte diese Unterscheidung für wichtig, um Lindners aktuelle Performance richtig einschätzen zu können. Seine eigentliche Leistung war NICHT die Grundsatztreue. Die natürlich auch, aber die hatten Westerwelle, Rösler und Co. 2009 auch. Und die Grundsatztreue fiel Lindner auch leicht weil er genau wußte, daß bei den Abgeordneten und den Mitgliedern schon alle mit Teer und Federn bereitstanden für den Fall, daß es bei den Verhandlungen "Programmverrat" gegeben hätte.
Seine zentrale Leistung war die taktisch geschickte Verhandlungsführung, das demonstrative Herausarbeiten aller Differenzen und dann die Organisation und Kommunikation des Abbruchs. Das war ganz großes Kino - und die SPD zeigt derzeit das exakte Gegenteil.

Martin Offline



Beiträge: 4.129

27.11.2017 10:53
#42 RE: Um jeden Preis? Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #41

Seine zentrale Leistung war die taktisch geschickte Verhandlungsführung, das demonstrative Herausarbeiten aller Differenzen und dann die Organisation und Kommunikation des Abbruchs. Das war ganz großes Kino - und die SPD zeigt derzeit das exakte Gegenteil.


Kubicki in der NZZ https://www.nzz.ch/international/man-ver...cken-ld.1332482:

Zitat
Ich bin seit 35 Jahren Anwalt und habe viele Verhandlungen durchgeführt. Eine solche Verhandlungs-Konzeption habe ich aber überhaupt noch nie erlebt. Wenn die Idee war, die Verhandlungspartner zu ermüden und einen Meinungsdruck und einen Zeitdruck zu erzeugen, der eine Einigung geradezu auf die Linie der Bundeskanzlerin erzwingt, ist diese Strategie gnadenlos gescheitert.



Das Zitat und noch einige Ausführungen Kubickis lassen Zweifel, ob die Grünen überhaupt wissen, wie man verhandelt. Wer mit 14 Leuten zu einer solchen Verhandlung antritt, zeigt m.E. dass man entweder kein wirkliches Verhandlungsmandat hat (trauen sich gegenseitig nichts zu), oder dass man mit Masse Qualität kaschieren kann. Und irgendwie bleibt der Eindruck hängen, dass Merkel eher auf der Seitenlinie stand. Da zolle ich Lindner und Kubicki auch meinen Respekt. So etwas muss man nicht nur aushalten, sondern auch noch einigermaßen einen klaren Kopf behalten können.

Gruß, Martin

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

27.11.2017 11:45
#43 RE: Um jeden Preis? Antworten

Zitat
Und irgendwie bleibt der Eindruck hängen, dass Merkel eher auf der Seitenlinie stand.


Kam nicht auch von Kubicki das geniale Zitat (finde es gerade nicht), dass Merkels "Verhandlungsführung" darin bestand, "120 bunte Murmeln auf den Tisch zu werfen, so dass jeder sich was nehmen kann"?

Gruß Petz

Free speech is so last century. (Brendan O'Neill)

dirk Offline



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28.11.2017 13:49
#44 RE: Um jeden Preis? Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #41

Da lohnt sich vielleicht ein kleiner Hinweis: Das Problem 2009 war NICHT mangelnde programmatisch Zuverlässigkeit. Sondern falsche Prioritätensetzung, taktische Doofheit und mangelnder Mut als sich herausstellte, daß man in die falsche Richtung gelaufen war.



Naja, die Prioritaetensetzung, die dazu gefuehrt hat, dass man das Aussenministerium uebernimmt aber keine Steuerreform durchsetzt, wurde schon von vielen als programmatische Unzuverlaessigkeit gesehen. Und dann knickt man bei dem ersten Shitstorm (bei Westerwelles Kolumne ueber "spaetroemischen Dekadenz", von der sich jedes Wort bewahrheitet) ein, anstatt diesen zur Profilierung zu nutzen. Tragisch, denn alle Entscheidungen, Aussenminister, den faden Roesler mit Migrahu-Bonus als Parteivorsitzenden, fussten auf den Wunsch endlich mal beliebt zu werden. Kann cih nachvollziehen, beruht aber auf der falschen Annahme, bei den linken Schreihaelsen koenne man irgendwie punkten und dies sei besser als sich um die eigenen Wahler zu kuemmern.

Dann Energiewende und Uebergang zur Transferunion; auch keine Paradebeispiele fuer politische Zuverlaessigkeit.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

28.11.2017 14:54
#45 RE: Um jeden Preis? Antworten

Zitat von dirk im Beitrag #44
aber keine Steuerreform durchsetzt

Die hat man ja durchgesetzt.
So glaubt man jedenfalls - in der Koalitionsvereinbarung war sie enthalten. Jedenfalls als Ziel mit Maßgabe, Details wären noch zu prüfen.

Und bei Kohl hätte diese Formulierung bedeutet, daß man ehrlich prüft und dann gemeinsam eine Reform macht. Nicht eine, die alle FDP-Forderungen erfüllt, aber doch eine, die einen gewissen Schritt nach vorne bedeutet und für beide Seiten akzeptabel ist.

Der Fehler der FDP-Verhandler war nicht zu merken, daß Merkel völlig anders aufgestellt ist als Kohl. Für die war dieselbe Formulierung nur "kann man machen, muß man aber nicht". Gesichtswahrender Umgang mit dem Koalitionspartner war noch nie ihr Stil, und es war natürlich auch strategisches Ziel der CDU, die FDP nach ihrem Wahlsieg platt zu machen. Was ja 2013 auch gelang.

Merkel hat schon erstaunlich viel verbrannte Erde hinterlassen - das war auch ein wesentlicher Grund für das Scheitern von Jamaika. Und sollte es jetzt auch nicht mit der GroKo klappen, hat sie sich das selber zuzuschreiben.

Florian Offline



Beiträge: 3.171

28.11.2017 15:13
#46 RE: Um jeden Preis? Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #45
Zitat von dirk im Beitrag #44
aber keine Steuerreform durchsetzt

Die hat man ja durchgesetzt.
So glaubt man jedenfalls - in der Koalitionsvereinbarung war sie enthalten. Jedenfalls als Ziel mit Maßgabe, Details wären noch zu prüfen.

Und bei Kohl hätte diese Formulierung bedeutet, daß man ehrlich prüft und dann gemeinsam eine Reform macht. Nicht eine, die alle FDP-Forderungen erfüllt, aber doch eine, die einen gewissen Schritt nach vorne bedeutet und für beide Seiten akzeptabel ist.

Der Fehler der FDP-Verhandler war nicht zu merken, daß Merkel völlig anders aufgestellt ist als Kohl. Für die war dieselbe Formulierung nur "kann man machen, muß man aber nicht". Gesichtswahrender Umgang mit dem Koalitionspartner war noch nie ihr Stil, und es war natürlich auch strategisches Ziel der CDU, die FDP nach ihrem Wahlsieg platt zu machen. Was ja 2013 auch gelang.

Merkel hat schon erstaunlich viel verbrannte Erde hinterlassen - das war auch ein wesentlicher Grund für das Scheitern von Jamaika. Und sollte es jetzt auch nicht mit der GroKo klappen, hat sie sich das selber zuzuschreiben.




Das war vermutlich auch der Grund für die extrem umfangreichen "Sondierungs-Papiere" in denen jede Kleinigkeit akribisch ausverhandelt wurde.
Das war aus Sicht von FDP und Grünen halt notwendig, weil man nur so meinte Merkel auf irgendetwas festlegen zu können.
(Und gut dazu passt ja der ursprüngliche Wunsch Merkels nach einem sehr kompakten Papier mit höchstens 10 Seiten. )

Die Kohl-Methode ist natürlich die viel fairere Lösung.
Denn in der Realität tauchen im Laufe der Legislaturperiode ja immer unerwartete Dinge auf, für die man nicht vorab im Koalitionsvertrag Vereinbarungen treffen kann. Die man dann aber in der Koalition partnerschaftlich lösen sollte.
Und genau bei diesen unerwarteten Dingen hat Merkel ja immer wieder bewiesen, das sie zu überraschenden Alleingängen fähig ist.

(Was m.E. der FDP 2013 das Genick gebrochen hat, war übrigens nicht nur die fehlende Steuerreform.
Sondern auch der Umgang mit den Euro-Schulden.
Die FDP hat sich damals die Entscheidung ja nicht leicht gemacht - incl. Mitgliederbefragung - aber die getroffene Entscheidung war eindeutig falsch.
Wäre man da hart geblieben, hätte man der AfD - deren Ursprungsthema ja der Euro war - das Wasser abgegraben. Die FDP hätte viele Wähler, die letztlich 2013 bei der AfD gelandet sind, an sich binden können und es hätte locker für den Sprung über die 5% gereicht.)

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

28.11.2017 17:16
#47 RE: Um jeden Preis? Antworten

Zitat von Florian im Beitrag #46
(Und gut dazu passt ja der ursprüngliche Wunsch Merkels nach einem sehr kompakten Papier mit höchstens 10 Seiten.)

Richtig. Ein kurzer, möglichst unverbindlicher Text hätte Merkel völlig gereicht. Sie braucht nur die Stimmen für die Kanzlermehrheit, danach hätte sie wieder weitgehend freie Hand.

Zitat
Denn in der Realität tauchen im Laufe der Legislaturperiode ja immer unerwartete Dinge auf, für die man nicht vorab im Koalitionsvertrag Vereinbarungen treffen kann. Die man dann aber in der Koalition partnerschaftlich lösen sollte.


Richtig. Darauf hat Lindner ja auch mehrfach explizit abgehoben: Es gab keine Vertrauensbasis, daß es bei künftigen Fragen eine faire Zusammenarbeit geben würde.

Zitat
(Was m.E. der FDP 2013 das Genick gebrochen hat, war übrigens nicht nur die fehlende Steuerreform.
Sondern auch der Umgang mit den Euro-Schulden.


Das hat deutlich miteinander zu tun!
Weil die FDP wegen des Fehlschlags bei der Steuerreform so angeschlagen war, konnte sie bei der Schuldenkrise keine echte Gegenwehr mehr leisten.
Im Nachhinein und nach mehreren Phasen der Ausweitung des Volumens war klar, daß das Euro-Thema eine ähnliche Dimension wie die Steuerreform bekommen hatte (oder eine noch größere).
Aber beim ersten Schritt war das noch nicht klar. Die FDP fühlte sich nicht in der Lage, deswegen die Koalitions platzen zu lassen. Und dann war der nächste Schritt auch nicht mehr vernünftig abzulehnen. Und die Reißleine ganz am Ende zu ziehen hätte dann nach fehlender Steuerreform und Mitgehen der ersten Schritte auch keinen großen Wählerzuspruch mehr gebracht.

dirk Offline



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28.11.2017 17:29
#48 RE: Um jeden Preis? Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #45
Zitat von dirk im Beitrag #44
aber keine Steuerreform durchsetzt

Die hat man ja durchgesetzt.
So glaubt man jedenfalls - in der Koalitionsvereinbarung war sie enthalten. Jedenfalls als Ziel mit Maßgabe, Details wären noch zu prüfen.



Das war nicht wirklich die Wahrnehmung zu dieser Zeit. Der Absturz in Umfragen erfolgte ja innerhalb des ersten Jahres. Gab es nicht auch nachher prominente Stimmen aus der FDP (Vorstand), die nach dem Absturz in den Umfragen erklaert haben man haette den Fehler gemacht sich zu sehr auf Steuern zu fokussieren und habe nciht erkannt, dass dies nicht mehr "zeitgemaess" sei? Also die ganze Journalisten AgitProp nachgeklappert. Vielleicht erinnere ich mich aber auch falsch.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

29.11.2017 10:59
#49 RE: Um jeden Preis? Antworten

Zitat von dirk im Beitrag #48
Der Absturz in Umfragen erfolgte ja innerhalb des ersten Jahres.

Im wesentlichen schon in den ersten Monaten nach Koalitionsvertrag.

Ich habe die Details auch nicht mehr so genau im Kopf. Die Koalitionsverhandlungen waren ja relativ schnell beendet (im wesentlichen Merkels Wunsch). Kaum war die Tinte trocken und die Kanzlerin neu gewählt kamen die ersten Zweifel, ob die Formulierungen zur Steuerreform wirklich den FDP-Vorstellungen entsprechen würden. Irgendwo meine ich im Hinterkopf zu haben, daß wieder einmal Schäuble den Anstoß gegeben und der Presse gesagt hat, angesichts der Kassenlage würde die Prüfung wohl nicht ergeben, daß man bei der Steuerreform viel machen könne. Womit dann die Diskussion in der FDP voll losging.

Als eine der ersten neuen Gesetze wurde dann die Senkung der Mehrwertsteuer für Hotels beschlossen. Eigentlich nur eine Anpassung an EU-Änderungen, die vor der Wahl von ziemlich allen Parteien gefordert worden war. Die FDP-Führung kam dann auf die geniale Idee, das als FDP-Erfolg und Einstieg in die wackelig scheinende Steuerreform zu verkaufen.
War dann nicht mehr so genial, als der Spiegel mit der Möwenpick-Lüge konterte und die versammelte Medienlandschaft damit den Aufhänger fand, FDP und Steuerreform als korrpute Klientelwirtschaft zu denunzieren. Damit war das Steuerthema endgültig durch.

Daß dann irgendwelche Leute in der FDP-Führung noch glaubten, mit anderen Themen hätte man besser fahren können - geschenkt. Das waren eher Versuche, sich persönlich vom gemeinsam veranstalteten Desaster zu distanzieren.

Werwohlf Offline




Beiträge: 997

01.12.2017 00:11
#50 RE: Um jeden Preis? Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #26
Erfahrungsgemäß - und das ist ein mindestens genau so großer bias (confirmation bias) wie der Third-Person-Effect, attestieren viele Menschen denen Seriosität, die ihre Richtung widerspiegeln.
Auch. Ich bin aber z.B. noch mit der Gewissheit aufgewachsen, dass ich zumindest von den Nachrichtensendungen und ihrem späteren lockeren Abklatsch (Tagesthemen, Heute Journal) eine weitgehend objektive Behandlung der Themen erwarten kann. Bei der Mehrheit der Menschen herrscht dieser Glaube immer noch vor, außer eben bei denen, die von "Lügenpresse" reden - aber die sollen ja auch draußen bleiben.
Zitat von Meister Petz im Beitrag #26
Und die Gebühren - meine Güte, ich als Wessi mit Kohle (TM) versenke jeden Monat deutlich mehr als 17 Öcken in irgendwelchem staatlich finanzierten Unsinn, da kommt mich die Nonchalance hinsichtlich ÖR-Gebühren vergleichsweise günstig. Ich muss es ja weder anschauen noch glauben.
Nein, nur bezahlen. Ich sehe schon noch einen kleinen Unterschied darin, ob die abgepressten Gelder einfach nur georgebestsch verprasst werden oder ob man sie dazu verwendet, den Versuch zu unternehmen, die Menschen ideologisch einseitig zu beeinflussen.
Zitat von Meister Petz im Beitrag #26
Ja findest Du, dass den Linken ihre Empörung zur Ehre gereicht? Sicher nicht mehr als mir meine "scheißliberale" Nonchalance.
Linke Empörung ist zumindest "voice". Sie wird gehört, und wenn man noch das menschliche Grundbedürfnis mit in Betracht zieht, mit der Meute zu heulen, also nicht als Außenseiter angesehen zu werden, dann wird sie zwar nicht unmittelbar eine Meinungsänderung bei denen bewirken, die anders denken, aber sie wird zumindest verhindern, dass Gegenmeinungen zu Wort kommen. Meinst du, dies sei ohne Wirkung?
Zitat von Meister Petz im Beitrag #26
Ich weiß ja nicht, wie bei Dir "Apathie" konnotiert ist - aber im Wortsinne finde ich Freiheit von Leiden (oder auch nur von Pathos) etwas sehr Schönes.
Geschenkt.
Zitat von Meister Petz im Beitrag #26
Und ehrlich gesagt hat es mich auch sehr gefreut zu sehen, wie Lindner damit umgegangen ist (auch das hat allerdings nicht überrascht, wenn man seinen legendären Auftritt an der Ruhr-Uni Bochum kennt
Bias - als mit der Person sympathisierender Mensch bewertet man das so Alle anderen - Gegner, Indifferente - sahen nur eine vermeintlich neutrale Befragerin, die offensichtlich allen Grund hatte, einen Übeltäter zu stellen.
Zitat von Meister Petz im Beitrag #26
Was jetzt, das Klima? Den Wald? Genau das meine ich doch. Nur weil Frau Slomka ekelhaft zu Herrn Lindner ist, wird rein gar nix zerstört, und auch wenn ich bezüglich "der Deutschen" wahrscheinlich auch nonchalanter bin als viele andere hier, sehe ich doch nicht, dass sie für "die Deutschen" steht.
Nein, ich habe nicht verabsäumt, den Satz, auf den du hier eingehst, explizit auf das Interview zu beziehen - das war Absicht. Slomka steht hier nur exemplarisch für den Unwillen der Deutschen, auf Dauer demokratische Prozesse einzuüben. Irgendwie ist uns der Gedanke, dass auch andere Meinungen einen Wert haben, zu unseriös, zu perfide, zu wenig grundsätzlich. Gegen das Hehre und Wahre lässt sich nicht argumentieren - das kann man nur erkennen und annehmen. Oder eben ablehnen, und sich damit auf der Seite des Verwerflichen bzw. der Korruption positionieren.
Zitat von Meister Petz im Beitrag #26
Ohne zu wissen, auf welchen Torten Du so zu brennen pflegst, glaub ich Dir das schon. Aber wie genau unterscheidet sich das, was Du danach schreibst, von dem von mir kritisierten Bias? Du sorgst dich um die benachbarten Tranfunzeln, dass ihnen vom Politmedialen Komplex der Brandbeschleuniger vorenthalten wird, während Du aus eigener Kraft osramgleich die Marzipandecke überstrahlst .
Es unterscheidet sich davon nicht. Sollte es auch nicht. Meine rhetorische Volte sah so aus: Ich bekenne mein Unwohlsein mit einer Behauptung, um sie dann aber doch als zutreffend anzuerkennen. Warum sollte man auch aus falscher Bescheidenheit die Realität verleugnen? Es ist eine Frage der Einstellung und der Fähigkeiten, ob man sich auch außerhalb der Medien informiert, die ihnen in quasi die Wiege gelegt wurden (durch das Vorleben von Eltern oder Peers). Und ob man dann auch in der Lage ist, in all dem Müll die Perlen zu finden.
Zitat von Meister Petz im Beitrag #26
Was die sozialen Netzwerke angeht - wenn ich da reinschaut, sehe ich ungefähr 1% Argumente und 99% wüste Beschimpfungen des jeweiligen Gegners, im Vergleich zu denen Frau Slomka ein Ausbund an Manieren und Contenance ist. Man möchte nach deinen Ausführungen fast glauben, dass das NetzDG so funktioniert, dass die Argumente weggenommen werden und die Beschimpfungen stehenbleiben. Auch der unglaubliche Erfolg der Nochnichtsoaltpartei beruht großteils auf sozialen Medien.
Die Frage ist doch: Hat die Nochnichtsoaltpartei eine Existenzberechtigung im politischen System oder ist sie ein Unfall, den wir dem Umstand zu verdanken haben, dass in den sozialen Medien zu 99% (wage ich übrigens arg zu bezweifeln) wüst beschimpft wird? Wohl kaum letzteres. Wenn das NetzDG von allem 50% abwürgt, bleiben eben meinetwegen 49% der vorherigen wüsten Beschimpfungen, aber nur noch 0,5% der Argumente übrig - und wo sollen die sonst herkommen?
Es geht doch nicht darum, Andersdenkende vom Gegenteil zu überzeugen - sowas habe ich noch nie erlebt und werde ich auch nie erleben, weil ein solcher Prozess räumlich und zeitlich in der Regel nicht einzugrenzen ist, aber es kann und sollte darum gehen, Zweifelnden, Unsicheren und Neugierigen die Chance zu geben, auch andere Gedanken zumindest erstmal aufzunehmen. Was sie danach damit machen, ist wieder eine andere Sache. Und auch scheinbar festgelegt Denkenden kann man oft zumindest ein kleines Saatkorn einpflanzen, das sich vielleicht mal, zusammen mit anderen Faktoren, zu einer veränderten Meinung auswächst.

Ich kann da wieder nur aus eigener Erfahrung berichten. Bis fast gegen Ende meines Studiums war ich ein typisch mainstreamiger, katholisch angehauchter Sozialdemokrat, also CDUler. Dann stieß ich durch Zufall in der Bibliothek auf "Economics!" von Henry Hazlitt, und ich arbeitete ein Semester lang mit Professor Walter Krämer zusammen, der damals ein in der Wolle gefärbter Libertärer war (heute, wohl altersbedingt, auch das kenne ich , eher ein Konservativer). Ich hatte libertäres Denken vorher nie kennengelernt und die Chance, es von unseren Mainstream-Medien vermittelt zu bekommen, wäre auch sehr, sehr gering gewesen. Durch die Lektüre und die Begegnung wurde ich nicht gleich zum Libertären, aber das alte Weltbild war danach grundlegend in Frage gestellt. Das so erlebte gedankliche Gegen-den-Strom-Schwimmen wurde seitdem zur Option - die hätte ich auch heute nicht ohne das. Wobei, das muss ich ergänzen, uns schon auf dem Gymnasium von einigen (linken) Lehrern eingeschärft wurde, stets kritisch zu bleiben gegenüber allem, was in den Medien vorkommt - die waren damals noch so fair, das generell zu meinen. All das zusammen (und mein überragender Intellekt natürlich ) erklärt, warum mir gelingt, woran andere scheitern. Wobei allerdings schon die Existenz aller anderen "Zimmerleute" ein Beleg dafür ist, dass es sich hier um eine Auszeichnung handelt, die ich mit vielen teilen muss...

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Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau,
verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau.
(Reinhard Mey)

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