Zitat Es geht oft nicht ehrlich zu in der Politik, aber Absprachen dieser Art werden normalerweise eingehalten.
Ich sehe das noch schlimmer. Es geht meist sehr ehrlich zu in der Politik. Und solche Absprachen machen das möglich. Wenn man nämlich das nächste mal gegen sein Wort handeln will, gibt es halt den nächsten Deal. Dass man als Schulz Gabriel so übel abserviert, ohne ihm etwas anderes anzubieten, ist oberschäbig.
Normalerweise habe ich auch kein Problem hinter solch einem Verhalten eine Strategie zu erkennen. In dem Fall: Nichts. Schulz scheint wirklich nur auf den Posten als Außenminiter aus zu sein. Das macht Sinn, das macht angeblich beliebt und er kann EU-Sachen sagen. Allerdings zum Preis, sich, seine Partei und das obere Personal dort völlig zu verbrennen.
Und ich drücke Gabriel die Daumen, dass er sich bei nächster Gelegenheit revanchieren kann. Oder die Mitglieder den Kolaitionsvertrag in die Tonne kloppen und Schulz final abserviert wird. Und das sage ich als jemand, bei dem die realistische Chance besteht, dass er sie SPD wieder wählt.
Zitat SPD Kanzler ist für lange, lange Zeit vorbei.
Das habe ich alles schon mal gelesen, gerade nach 1990 war die veröffentlichte Meinung schon sehr sicher, daß die SPD nicht mehr kanzlerfähig wäre - und dann kam Schröder. OK, streiten wir jetzt nicht darüber, ob Schröder kanzlerfähig war. Jedenfalls hat er die Wahl gewonnen. Auch die CDU war nach Kohl so im Niedergang, daß sie nie wieder einen Kanzler stellen würde, die Grünen waren zweimal klar als Leiche identifiziert und bei der FDP war gerade erst vor vier Jahren die völlige Chancenlosigkeit ausgemachte Sache. Natürlich ist das Alltime-Low der SPD eine spezielle und neue Situation. Aber die Wähler sind eben viel volatiler geworden. Sieht man schon an den teilweise riesigen Unterschieden von Landtags- und Bundestags-Ergebnissen einer Partei in derselben Region.
Und vergessen wir nicht die SED, bei der es ja auch nur eine Frage der Zeit sein würde, bis die Altkader mitsamt Partei ausgestorben sein würden.
Diese in Stein gemeißelten, ewig (oder zumindest über einen langen Zeitraum) gültigen Prognosen werden meist schon nach kurzer Zeit von der Realität eingeholt.
Einem Olaf Scholz ist übrigens durchaus zuzutrauen, die SPD zur stärksten Fraktion im Reichstag zu machen.
Ich addiere König Lear zu meiner Liste. Selbstzerstörungssequenz eingeleitet. Ganz großes Kino. Soweit das mit solchen Schmierenkomödianten möglich ist.
"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire
Zitat von vielleichteinlinker im Beitrag #26Es geht meist sehr ehrlich zu in der Politik. Und solche Absprachen machen das möglich.
Richtig. Was viele Leute als Lügen empfinden, sind oft auch nur (allerdings bewußt erzeugte) Mißverständnisse. "Wir streben an" heißt eben nicht, daß das auch gemacht wird. Viele Politikerversprechen sind mit Einschränkungen versehen, die aber von den Wählern gerne ignoriert werden. Vor der Wahl, um sich selber in die Tasche lügen zu können, und nach der Wahl, um auf die pösen Politiker schimpfen zu können.
Aber echte Absprachen sind normalerweise heilig. Gerade in der SPD, die ihre verschiedenen Flügel und Seilschaften eigentlich nur über Absprachen zu einer vernünftigen Zusammenarbeit kriegen kann. Was Schulz hier zum wiederholten Mal gemacht hat ist zutiefst unsozialdemokratisch.
Und deswegen haben sie ihn wohl jetzt auch fallenlassen. Er wird noch einen halbwegs gesichtsschonenden Abgang in irgendeine Position kriegen, aber ansonsten ist der vormalige Hoffnungsträger völlig erledigt.
Zitat von Llarian im Beitrag #15Kanzlerkandidat? Die SPD kann von Glück sagen wenn sie bei der nächsten Wahl nur Dritter wird, ...
Erst einmal ganz formal: Derzeit ist die SPD zweitstärkste Kraft und deshalb wird sie bei der nächsten Wahl auch mit einem Kanzlerkandidaten antreten, der auch so allgemein akzeptiert werden wird.
Natürlich kann sie das tun. Genauso wie Westerwelle auch mal den Kanzlerkandidaten gegeben hat und Schulz im letzten Jahr permanent verkündete er werde Kanzler. Kann man alles machen. Nur hat das irgendwann eben auch einen Lächerlichkeitseffekt. Die Partei hat auch einen ganz offiziellen Kanzlerkandidaten aufgestellt.
Zitat Nicht zuletzt weil das Wahlergebnis einer Partei auch massiv davon abhängt, was die Konkurrenz so treibt.
Völlig richtig, nur wird selbst wenn viele Murks machen, deswegen noch lange nicht die SPD gewählt. Es ist gut denkbar, dass beispielsweise die AfD sich mal wieder fleissig selber versenkt. Aber davon wird die SPD nicht profitieren. Oder es kann sein, dass die Union dämlich genug ist nach Merkel mit Altmaier ins Rennen zu gehen. Aber auch davon wird die SPD nicht profitieren. Das Problem ist, wie ich ja schrieb, dass die SPD keine Kernwählerschaft mehr besitzt. Die Arbeiter hat sie ziemlich endgültig vergrault und mit diesem Koalitionsvertrag noch einen Tritt hinterhergesetzt. Das selbst ernannte Bildungsbürgertum teilt sich zwischen den Grünen und der FDP auf, die Frustrierten bei SED und AfD. Und die Herz-Jesu-Sozialisten werden immer die CDU wählen. Und auch die einfachen Angestellten bekommen inzwischen die Folgen der Flüchtlingskatastrophe ab, spätestens wenn sie ihre Kinder in die Schule oder den Kindergarten bringen. Das Problem ist, dass die Misere halt immer sichtbarer wird und die einfachen Leute zuerst trifft.
Zitat Das habe ich alles schon mal gelesen, gerade nach 1990 war die veröffentlichte Meinung schon sehr sicher, daß die SPD nicht mehr kanzlerfähig wäre - und dann kam Schröder. OK, streiten wir jetzt nicht darüber, ob Schröder kanzlerfähig war. Jedenfalls hat er die Wahl gewonnen. Auch die CDU war nach Kohl so im Niedergang, daß sie nie wieder einen Kanzler stellen würde, die Grünen waren zweimal klar als Leiche identifiziert und bei der FDP war gerade erst vor vier Jahren die völlige Chancenlosigkeit ausgemachte Sache.
Überraschungen gibt es immer (siehe Trump, siehe Brexit), aber nicht in der Größenordnung. Zumindest bis dato nicht in Deutschland. Und mit Sicherheit nicht zugunsten einer Partei, die zentral für die Misere verantwortlich ist.
Zitat Aber das riesige Potential von Golf-Diesel-Fahrern mit regulären Arbeitsverhältnissen wird von der SPD weitgehend ignoriert. Und da sind immer noch Mehrheiten machbar.
Sind das die selben Golf-Diesel Fahrer, denen die SPD gerade den Diesel wegnimmt? :)
Rückmeldung von der konservativsten Wählerecke. Ich habe gerade die Schulzbombe im Kollegium platzen lassen. Heute ist noch Vorlesungsbetrieb; von denen hockt keiner vorm laufenden Smartphone. Doktoren, Professoren. Mildester Kommentar des zurückhaltendsten Unparteiischen: Wenn es jetzt keine Neuwahlen gibt, dann hat das politische System in diesem Land jedwede Glaubwürdigkeit eingebüßt.
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Zitat Was ist bloß in Deutschland los. Seit annähernd fünf Monaten keine ordentliche Regierung. Ein mit über 700 Abgeordneten künstlich aufgeblähter Bundestag, dessen einziger nennenswerter Beschluss eine Diätenerhöhungsautomatik war. Die SPD löst sich auf, es drängen Figuren in die erste Reihe, die unter Brandt nicht einmal dessen Aktentasche hätten tragen dürfen. Eine geschäftsführende Kanzlerin verkauft zwecks Machterhalt sämtliche relevante Ministerämter an den vermeintlichen Koalitionspartner, der allerdings erst noch die Parteimitglieder darüber abstimmen lassen muss, ob es überhaupt eine Koalition geben wird. Dieses Land ist zu einem Saustall verkommen.
Und, ebenfalls anonymisiert ("Redaktion") bei Tichy:
Zitat Genossen, euch kann niemand mehr ernst nehmen. Ein Vorsitzender Schulz sagt, in ein Kabinett Merkel gehe ich nicht, dann wirft er seinen Vorgänger aus dem AA, ohne mit ihm zu reden, und tritt für die Erlaubnis, Außenminister werden zu dürfen, den Parteivorsitz an Frau Nahles ab (unwiderruflich sagte er). Die beleidigte Leberwurst Gabriel sagt alle Außenministertermine ab, dementiert keine einzige Pressemeldung dieses Inhalts – und lässt nun so tun, als wäre nix passiert.
Solche Politik-Laienschauspieler haben die Bürger nicht verdient. Setzt diese Inszenierung von Regisseur Merkel endlich ab.
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #32Seit annähernd fünf Monaten keine ordentliche Regierung.
Man muss es positiv sehen. M.E. gibt es in Deutschalnd schon seit knapp 20 Jahren keine ordentliche Regierung mehr. Wegen mir darf sich das gerne noch etwas hinziehen, denn auf die nächsten Gesetzesentwürfe von Maas, Högl & Co. können wir wohl alle verzichten ohne irgendeinen negativen Effekt zu spüren.
In diesem Sinne: Bitte aufwecken im September 2021.
Zitat von R.A. im Beitrag #20Die nächsten Wahlen sind erst in vier Jahren (wenn es zur GroKo kommt), bis dahin passiert noch immens viel und obwohl die SPD an ihren aktuellen massiven Fehlern noch lange knabbern wird: Die Bundestagswahl 2021 ist völlig offen. Nicht zuletzt weil das Wahlergebnis einer Partei auch massiv davon abhängt, was die Konkurrenz so treibt.
Momentan ist für die SPD im ideologischen Spektrum einfach sehr wenig Platz: Da sind mit der Linken und den Grünen gleich zwei im heute üblichen Sinne linke Alternativen vorhanden. Dazu kommt eine unter Merkel erheblich nach links gerückte CDU und die AfD, die ja z.B. gerade in den Städten oder Stadtteilen des Ruhrgebiets bei knapp 20% liegt, in denen früher die SPD weit über 50% lag.
Bei der Wahl 2021 hat die SPD daher auch nur dann eine Chance, wenn wenigstens eines von zwei Dingen passiert. Entweder könnte die SPD versuchen, die CDU beim Thema Migration rechts zu überholen. Das hat Gabriel, freilich zaghaft, in einigen Anläufen versucht, zuletzt als er versuchte, Begriffe wie "Heimat" oder "Leitkultur" als SPD-Themen zu verkaufen. Für diese vorsichtigen Versuche, die garantiert als Ballon d'Essai gedacht waren, hat er, soweit ich sehe, von niemandem in der SPD Unterstützung erhalten und wurde im Gegenteil klar attackiert. Der Weg dürfte also verbaut sein.
Zweite Möglichkeit: Die CDU positioniert sich wieder stärker als klassiche Mitte-rechts-Partei. Dafür kann ich aber momentan auch keinen Anhaltpunkt erkennen.
Zitat von Florian im Beitrag #12Stattdessen werden die CDU-Posten an treue Parteisoldaten wie Altmaier vergeben, die aber ganz sicher keine möglichen Kanzlerkandidaten sind.
und hier
Zitat von Florian Es ist m.E. ausgeschlossen, dass Merkel 2021 noch mal antritt.
verströmen sie einen so großen Optimismus, zu dem ich schon lange nicht mehr fähig bin. Respekt dafür.
Perfekter Zeitpunkt. Nicht nur sind die Genossen im Wochenende; die sind auch schon im Karneval. Vor Aschermittwoch können die im Willy-Brandt-Haus nicht mal einen Katastrophenstab installieren. Niemand kann abschätzen, ob jetzt nicht Neuwahlen die einzige rettende Option für die Partei ist, nachdem die einzige Personalie, mit der man mangels Programmatik vor den Wähler getreten war, perdu ist. Die Meinungs"umfragen" als einziges vermeintliches Thermometer zeigen nichts. Was ist mit dem Basisvotum? Und wieviele Themenwagen laufen am Montag absolut neben der Spur? Vielleicht sollten die die Alte Tante auf Schadensersatz verklagen.
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Im SPD-Personalchaos gibt es noch ein rätselhaftes Detail:
Gabriel beklagt sich ja öffentlich darüber, dass Schulz eine Zusage nicht eingehalten habe. Die Deal war - so wie ich das verstehe - dass Gabriel Schulz zum Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidaten macht. Und dass Gabriel im Gegenzug Außenminister wird und diesen Posten auch nach der Wahl behalten darf.
So weit so klar. Rätselhaft ist für mich aber, von welchem Szenario bei dieser Zusage eigentlich ausgegangen wurde. Im Falle das die SPD die Wahl gewonnen hätte und Schulz Kanzler geworden wäre, hätte die SPD einen Koalitionspartner gebraucht. Und bis jetzt war es ausnahmslos immer so, dass in einer Koalition die Kanzlerpartei NICHT den Außenminister stellte. Konkret wäre für die SPD als Optimalszenario entweder eine Dreierkoalition vorstellbar gewesen (entweder Rot-Rot-Grün oder Ampel), wo gleich zwei kleine Koalitionspartner mit Posten zu versehen gewesen wären und daher die SPD ganz sicher nicht das Außenamt bekommen hätte. Oder aber eine große Koalition unter SPD-Führung. Auch da wäre jede plausible Postenverteilung immer so gewesen, dass die SPD das Außenamt verliert.
Wie kann das Rätsel gelöst werden? Entweder Gabriel lügt hier und eine entsprechende Zusage von Schulz gab es nie. Oder Schulz und Gabriel waren so politisch naiv, dass sie dieses Problem nicht erkannten als sie ihre Absprache machten (was man zumindest für Gabriel sicher ausschließen kann. Oder sie waren so größenwahnsinnig, dass sie an eine SPD-Alleinregierung glaubten. Oder als vierte Möglichkeit: bereits bei der Absprache war beiden klar, dass die SPD letztlich wieder als Juniorpartner in einer großen Koalition landen könnte. (Denn das ist das einzige Koalitions-Szenario in dem die SPD realistischerweise auf das Außenamt hoffen konnte).
Ich persönlich halte Variante 4 für die wahrscheinlichste. Sie hätte aber eine wichtige Implikation: Schon vor einem Jahr war die Option, die große Koalition als Juniorpartner fortzusetzen für Schulz keineswegs vom Tisch. Alle seitherigen anderslautenden öffentlichen Beteuerungen wären demnach Wählertäuschung gewesen.
So oder so: ich wünschte mir, die Journalisten würden endlich mal aufwachen und erkennen, dass sich hinter Gabriels Vorwurf an Schulz eine spannende politische Frage verbirgt.
Zitat von Florian im Beitrag #38Oder als vierte Möglichkeit: bereits bei der Absprache war beiden klar, dass die SPD letztlich wieder als Juniorpartner in einer großen Koalition landen könnte. (Denn das ist das einzige Koalitions-Szenario in dem die SPD realistischerweise auf das Außenamt hoffen konnte).
Ich persönlich halte Variante 4 für die wahrscheinlichste. Sie hätte aber eine wichtige Implikation: Schon vor einem Jahr war die Option, die große Koalition als Juniorpartner fortzusetzen für Schulz keineswegs vom Tisch. Alle seitherigen anderslautenden öffentlichen Beteuerungen wären demnach Wählertäuschung gewesen.
Wenn ich mich recht erinnere, dann hieß es kurz vor der Wahl aus SPD-Kreisen, man werde bei einem Ergebnis über 25% (?) die Groko fortsetzen, darunter aber in die Opposition gehen. Die Option Groko wäre dann erst nach dem Wahlergebnis von 20,5% vom Tisch genommen worden.
Zitat von R.A. im Beitrag #29 Was viele Leute als Lügen empfinden, sind oft auch nur (allerdings bewußt erzeugte) Mißverständnisse. "Wir streben an" heißt eben nicht, daß das auch gemacht wird. Viele Politikerversprechen sind mit Einschränkungen versehen, die aber von den Wählern gerne ignoriert werden. Vor der Wahl, um sich selber in die Tasche lügen zu können, und nach der Wahl, um auf die pösen Politiker schimpfen zu können.
Aber echte Absprachen sind normalerweise heilig. Gerade in der SPD, die ihre verschiedenen Flügel und Seilschaften eigentlich nur über Absprachen zu einer vernünftigen Zusammenarbeit kriegen kann. Was Schulz hier zum wiederholten Mal gemacht hat ist zutiefst unsozialdemokratisch.
Und deswegen haben sie ihn wohl jetzt auch fallenlassen. Er wird noch einen halbwegs gesichtsschonenden Abgang in irgendeine Position kriegen, aber ansonsten ist der vormalige Hoffnungsträger völlig erledigt.
Lieber R.A., wirft das vielleicht einen Blick auf den Politikstil in Brüssel? Immerhin hat Schulz die echte politische, parlamentarische Sozialisation in Brüssel durchlaufen. Und es ist durchaus denkbar, dass Absprachen im Europaparlament einen eher unverbindlichen und zeitweiligen Charakter haben, anders als Absprachen in Deutschland. Ich weiss es nicht, es erscheint mir nur denkbar. Politik dort ist ja auch eine andere Art als in einem "echten" Parlament und einer echten Regierung, wo mit harten Bandagen gekämpft wird und Politiker weit mehr an ihren Posten hängen und verbissener darum kämpfen.
Man fragt sich natürlich, ob Schulz keine Berater hat, die ihm stecken, was er da tut, oder ob er nicht auf diese Leute hört. Beides gleich schlimm.
Gut, dass er jetzt maximal wieder Bücher verkaufen darf.
Zitat von Krischan im Beitrag #40 Lieber R.A., wirft das vielleicht einen Blick auf den Politikstil in Brüssel? Immerhin hat Schulz die echte politische, parlamentarische Sozialisation in Brüssel durchlaufen. Und es ist durchaus denkbar, dass Absprachen im Europaparlament einen eher unverbindlichen und zeitweiligen Charakter haben, anders als Absprachen in Deutschland.
Ich hätte eigentlich vermutet, dass es genau umgekehrt ist:
Im EU-Parlament gibt es ja keine klaren Lager, keine "Regierung gegen Opposition". Es sind stattdessen viele Grüppchen, die sich zu jedem Thema immer wieder neu finden. (Es gibt ja nicht nur die unterschiedlichen Fraktionen. Sondern auch innerhalb der Fraktionen kann es passieren, dass Abgeordnete der einzelnen Länder bei einzelnen Sachthemen unterschiedlich abstimmen). Entsprechend ist für den einzelnen Abgeordneten seine persönliche Verlässlichkeit eine wichtige Währung. Denn nur so wird er als möglicher Partner für politische Deals interessant. (Das EU-Parlament tickt in dieser Hinsicht eher wie das US-Repräsentantenhaus, wo einzelne Abgeordnete und diverse Kleingruppen/Querfronten wesentlich mehr im Fokus stehen als z.B. im Bundestag.)
Aber so oder so haben Sie recht: Brüssel tickt auf jeden Fall anders als Berlin. Und es scheint tatsächlich so, dass Schulz mit der deutschen Innenpolitik schlicht überfordert war. Fairerweise: Er ist auch nur ein Mensch. Und wurde von einem Tag auf den anderen Kanzlerkandidat in einem politischen Ökosystem, dass er persönlich noch nie erlebt hatte. Dass er da Fehler machen würde, ist ja fast zwangsläufig. (Wobei er mir auch narzisstisch genug erschien, seine eigenen Defizite in diesem Spielfeld nicht ausreichend zu erkennen und ggf. durch entsprechende Berater zu kompensieren).
Ein wichtiger Unterschied ist z.B. die Medienlandschaft. Das Parlament in Brüssel findet weitgehend unbehelligt von kritischer Pressebegleitung statt. (Insbesondere auch unbehelligt von deutscher kritischer Presse). Die kritische Berichterstattung über deutsche Politik ist in den deutschen Medien locker um den Faktor 1000 intensiver als über die Brüsseler Politik. Damit muss man umgehen können. Zum Beispiel gehört dazu auch eine gewisse Gelassenheit im Umgang mit kritischer Presse. Wenn man z.B. den Klasse-Hintergrundartikel zum Schulz-Wahlkampf im gedruckten Spiegel anschaut, fällt einem die unglaubliche Dünnhäutigkeit des Martin Schulz auf, mit der man im Haifischbecken des Berliner Polit-Medialen Komplexes einfach nicht weit kommt.
Außerdem fällt bei Schulz auf, dass ihm die Sensorik für den Zustand der eigenen Partei fehlt. Auch das ist verständlich: Während z.B. eine Andrea Nahles sich jahrzehntelang auf irgendwelchen Delegiertentagungen hat sehen lassen, viele Kreisvorsitzende persönlich kennt und weiß, welche inoffiziellen Seilschaften wo zugange sind, war Schulz weit weg in Brüssel. Und somit von diesen vielen feinen Verdrahtungen weitgehend ausgeschlossen. Es schien ihm z.B. absolut nicht klar zu sein, dass er mit seinem Versuch das Außen-Amt zu krallen, seine eigenen Parteimitglieder überfordern würde. Eine solche kapitale Fehleinschätzung im Umgang mit der eigenen Basis ist in der deutschen Parteiengeschichte fast ohne Beispiel. (Merkel macht z.B. sehr viel, was der eigenen Basis nicht passt. Aber sie scheint immer die Balance zu finden, wie weit sie gerade noch gehen darf ohne eine Revolte befürchten zu müssen). Man vergleiche das mal mit Andrea Nahles. Es ist eigentlich kaum vorstellbar, dass der in der eigenen Partei gut vernetzten Nahles nicht klar war, dass Schulz mit seinem Ämter-Wechselmanöver (Nahles bekommt Parteivorsitz, Schulz bekommt Außenamt) Gegenwind bekommen würde. Kann ihr aber egal sein: Ihren Teil des Deals - dass sie Parteivorsitzende wird - hat sie von Schulz in den Schoß gelegt bekommen, bevor der Sturm losbrach. Dass der andere Teil des Deals nicht klappen würde, wird sie natürlich geahnt haben. Aber warum soll sie Schulz davon abhalten, sich selbst zu demontieren wenn sie am Ende mit der mächtigen SPD-Ämterkombination Fraktion- plus Parteivorsitz dasteht?
Zitat von Florian im Beitrag #41 Man vergleiche das mal mit Andrea Nahles. Es ist eigentlich kaum vorstellbar, dass der in der eigenen Partei gut vernetzten Nahles nicht klar war, dass Schulz mit seinem Ämter-Wechselmanöver (Nahles bekommt Parteivorsitz, Schulz bekommt Außenamt) Gegenwind bekommen würde. Kann ihr aber egal sein: Ihren Teil des Deals - dass sie Parteivorsitzende wird - hat sie von Schulz in den Schoß gelegt bekommen, bevor der Sturm losbrach. Dass der andere Teil des Deals nicht klappen würde, wird sie natürlich geahnt haben. Aber warum soll sie Schulz davon abhalten, sich selbst zu demontieren wenn sie am Ende mit der mächtigen SPD-Ämterkombination Fraktion- plus Parteivorsitz dasteht?
Das ist ihre Kernkompetenz. Beide haben Schulz benutzt. Und Gabriel wird sie dann gesagt haben: "Ey Sigmar, das kannst Du Dir nicht gefallen lassen." Das ist proletenhaftes Denken und das stimmt mit der Sprache von Nahles überein. Immer, wenn etwas nicht funktioniert, wird nicht sachlich, sondern bockig reagiert. Insgesamt stimmt hier, dass Dummheit als einfache Erklärung sehr wohl in Frage kommt.
Warum klappt das bei Merkel besser? Jeder Patriarchat zieht Jasager an. 10-er Leute stellen 10-er Leute ein. Die 5-er Leute 4-er Leute. Und die 4-er sind zufrieden.
Apropos Nahles. Ich reich das mal nur weiter, weil mir die exakte Regelung nicht vertraut ist, mir aber plausibel scheint, was Danisch hier anmerkt: Daß das nicht so mirnichtsdirnichts umverteilt werden kann.
Ein Leser schreibt mir, da würde es in der SPD gerade krachen, denn sowas gäbe es nach den Statuten gar nicht. Wenn der Vorsitzende (Schulz) ausfällt oder das Amt verlässt, trete aus dem Kreis der 6 Stellvertreter jemand an seine Stelle. Der Vorstand könne aber nicht eine beliebige Person einsetzen. Und Nahles sei derzeit nicht im Vorstand und nicht gewählt, könne also nicht zur Parteivorsitzenden ernannt werden. Der Vorstand kann sich nicht selbst erweiterin (kooptieren), und auch den Akt einer Ernennung gäbe es nicht. Man werde auf Parteitagen gewählt und sonst gar nichts.
Man habe die Bundeskontrollkommission der SPD eingeschaltet.
Zitat von Florian im Beitrag #38Die Deal war - so wie ich das verstehe - dass Gabriel Schulz zum Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidaten macht. Und dass Gabriel im Gegenzug Außenminister wird und diesen Posten auch nach der Wahl behalten darf.
Ist denn eigentlich klar, dass es konkret um das Außenministerium gegangen ist? Denn irgendwie passt das alles nicht recht zusammen, wie Sie ja schon erklärt haben.
Vielleicht gibt es noch eine andere Möglichkeit:
Man hat abgesprochen dass es entweder eine SPD-geführte Regierung oder Opposition geben wird. In ersterem Falle würde Gabriel von Kanzler Schulz als Belohnung mit dem angesehensten, verfügbaren Ministerium versorgt werden, bspw. dem Finanzministerium.
Nun kam aber alles anders, man wollte wieder als Juniorpartner in die GroKo gehen. Aus Schulzens Perspektive ist die Absprache damit obsolet und er krallt sich das Aussenministerium, wenn er schon nicht Kanzler werden darf. Aus Gabriels Perspektive kann die Absprache aber immer noch Bestand haben, schließlich war die erneute GroKo so nicht geplant, aber er hatte ja trotzdem zugunsten von Schulz auf Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur verzichtet; dieser hatte seine Chance aber verbockt.
Wäre übrigens auch herrlich ironisch, wenn das so gelaufen wäre... die Moral von der Geschicht: Wenn deine Partei die Wähler vera***ht darfst du dich nicht wundern wenn du auch selbst betrogen wirst.
Zitat von R.A. im Beitrag #19Aber wenn man nicht auch ein paar Pluspunkte entdecken kann, dann hat man vielleicht ein unvollständiges Bild.
Diese positiven Punkte bestanden bei dir aber auch nur darin, nicht mehr über die betreffenden Personen zu wissen oder zu erwähnen
Ich sach ma so: Natürlich haben die Genannten auch Positives für sich. Sie können wahrscheinlich gut mit Messer und Gabel umgehen, grüßen stets freundlich und neigen nicht zu verbalen Ausfällen wie manche ihrer Kollegen rechts im Plenum. Und vor allem: Sie sind nicht die, die vorher auf dem Posten waren. Woanders kriegt man dafür immerhin schon mal einen Nobelpreis.
-- Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau, verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau. (Reinhard Mey)
Zitat von Danisch, 12.02.2018aus dem Kreis der 6 Stellvertreter
Das wären:
Zitat Malu Dreyer, Natascha Kohnen, Thorsten Schäfer-Gümbel, Olaf Scholz, Manuela Schwesig und Ralf Stegner wurden heute auf dem Ordentlichen SPD-Bundesparteitag in Berlin als stellvertretende Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands gewählt.
Zitat von Florian im Beitrag #38 Wie kann das Rätsel gelöst werden?
Indem man einen anderen Zeitrahmen betrachtet. Schulz hat Gabriel mit aller Sicherheit nicht das Aussenamt angeboten als er SPD Vorsitzender wurde. Da gibts ein ziemlich eindeutiges Interview wo Schulz deutlich sagt, dass er da "den Genossen Sigmar wird enttäuschen müssen". Es besteht auch durchaus die nicht völlig unrealistische Chance das Schulz zu dem Zeitpunkt wirklich geglaubt hat er könne Kanzler werden und in diesem Falle wäre das Aussenamt ohnehin bei einer anderen Partei gelandet. Anders ist es aber, wenn dieses Versprechen erst ein paar Wochen alt ist. Möglicherweise hat man sich zusammengesetzt und vereinbart wie man jetzt mit der Union verhandeln wolle. Schulz konnte zu diesem Zeitpunkt keinen inneren Gegner Gabriel gebrauchen. Also versprach er ihm ein Ministeramt, möglicherweise um sich damit auch Rückendeckung aus der Partei zu erkaufen. Und dann machen die Aussagen Sinn.
Zitat Oder sie waren so größenwahnsinnig, dass sie an eine SPD-Alleinregierung glaubten.
Nichtmal St. Martin wäre so abgehoben.....
Zitat Sie hätte aber eine wichtige Implikation: Schon vor einem Jahr war die Option, die große Koalition als Juniorpartner fortzusetzen für Schulz keineswegs vom Tisch. Alle seitherigen anderslautenden öffentlichen Beteuerungen wären demnach Wählertäuschung gewesen.
Was heisst Wählertäuschung? Man kann schlecht von einem Kanzlerkandidaten erwarten, dass er öffentlich verkündet "Ich verliere sowieso". Und seine Aussagen "Ich werde nicht in eine Regierung Merkel eintreten" sind nach Ypsilanti in der SPD ja nun auch nichts wirklich neues. Selber schuld wer sowas glaubt. Ich glaube gerade in den Wochen vor der Wahl war sich Schulz durchaus bewusst wo die Reise hinging. Er hatte nur nicht mit einer solchen Klatsche gerechnet.
Zitat So oder so: ich wünschte mir, die Journalisten würden endlich mal aufwachen und erkennen, dass sich hinter Gabriels Vorwurf an Schulz eine spannende politische Frage verbirgt.
Als ob sich in Deutschland Journalisten für Skandale in der SPD interessieren würden .... Nur weils gerade in den Kontext passt: Als Ypsilanti ihre Tour fuhr und anschließend von einigen "Aufrechten" gestürzt wurde, hat die SPD nicht Ypsilanti abgestraft, nein, sie hat die "Verräter" politisch vernichtet. Das hat den deutschen Journalismus nicht interessiert.
Zitat von Florian im Beitrag #38Die Deal war - so wie ich das verstehe - dass Gabriel Schulz zum Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidaten macht. Und dass Gabriel im Gegenzug Außenminister wird und diesen Posten auch nach der Wahl behalten darf.
Wobei eine übliche Deal-Formulierung auch wäre, daß Gabriel bei der Regierungsbildung den ersten Zugriff auf ein Ressort bekommt - eben weil man nicht weiß, welche Ministerien bei der SPD landen werden.
Ansonsten wurde ja schon darauf hingewiesen, daß bei einem besseren Wahlergebnis die GroKo hätte weiterlaufen können.
Es war m. E. auch kein taktischer Fehler am Wahlabend zu erklären, man wolle wegen Wahlniederlage aus der Regierung ausscheiden. Nur daß man das (ohne inhaltliche Begründung) als generelle und absolute GroKo-Absage formulierte, das war unnötig überzogen und fiel dann auf die SPD zurück. Ganz zu schweigen davon, daß der Jubel in der SPD-Zentrale über die GroKo-Absage ziemlich absurd rüberkam.
Zitat von Krischan im Beitrag #40 ... wirft das vielleicht einen Blick auf den Politikstil in Brüssel? Immerhin hat Schulz die echte politische, parlamentarische Sozialisation in Brüssel durchlaufen.
Wie Florian schon dargestellt hat: In Brüssel sind persönliche Zuverlässigkeit und die Einhaltung von Absprachen noch wichtiger als in Berlin.
Und genau da fing die Misere Schulz ja an. Sein Wortbruch bei der Besetzung des EP-Präsidiums führte nicht zum erhofften Erfolg, weil die übrigen Fraktionen ihn als Wortbrecher abblitzen ließen und er nicht nur sein Amt verlor, sondern auch jede Chance in Brüssel jemals wieder etwas zu werden. Nur dadurch wurde er ja als Kanzlerkandidat verfügbar. Mich hat schon damals gewundert, daß sein persönliches und taktisches Versagen in Deutschland niemanden interessierte - eine halbwegs schlaue SPD-Führung hätte die Finger von so einem Kandidaten gelassen.
Jetzt hat er wieder einen so dämlichen (weil öffentlichen) Wortbruch versucht und ist wieder auf die Schnauze gefallen.
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