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Dieses Thema hat 82 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
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Llarian Offline



Beiträge: 7.120

05.05.2024 00:23
Grün würgt. Die evangelische Kirche Antworten

Das Wort zum Sonntag. Heute auch mal passend zur Kirche.

Yago Offline



Beiträge: 471

05.05.2024 11:28
#2 RE: Grün würgt. Die evangelische Kirche Antworten

"...und glaubt man nicht an Gott, dann glaubt man an etwas anderes."

Die Aufgabe der Kirche war, den "Bedürftigen" einen Rahmen vorzugeben, in dem diese sich sicher bewegen und kommendes gedanklich vorwegnehmen konnten. Damals nicht immer zum Nutzen der Gläubigen. Hätte die Kirche sich heute auf die Vermittlung der 10 Gebote beschränkt bzw. dazu angehalten, den Todsünden aus dem Weg zu gehen, hätte ihr Rahmen wieder nützlich und Halt gebend sein können. Aber das will die Führung nicht. Sie ist korrupt. Meiner Meinung nach findet man (gelebte) Spiritualität nur bei denen, die wissen, dass es anders geht, beispielsweise Soldaten mit Kampferfahrung. Sie wissen Frieden und die eigene innere Mitte zu schätzen.

Johanes Offline




Beiträge: 2.637

05.05.2024 13:49
#3 RE: Grün würgt. Die evangelische Kirche Antworten

Wohl gesprochen.

Ich denke, es gehört aber zur Wahrheit hinzu, dass katholische und evangelische Kirche ungefähr gleiche Austrittszahlen haben.

Nun öffnet sich die katholische Kirche in Deutschland auch der Moderne, was bedeutet, dem linken, "progressiven" Zeitgeist.
Aber wir sehen diesen Trend ebenfalls in den USA und in anderen (ehemals?) christlichen Ländern.

Es sieht so aus als wäre die Mischung aus Wohlstand + freien Zugang zu Informationen + offensichtliche Erfolge des naturwissenschaftlich-materialistischen Ansatzes (ich weiß, "naturwissenschaftlich-materialistisch" ist ein halbes Thesenpapier!) + eine Kultur, den Anspruch an das Individuum erhebt, sich seines eigenen Verstandes zu bemächtigen (sapere aude!) + ein kritischer bis zynischer Zeitgeist = eine Mischung, die der christlichen Religion auch nominell den Rest gibt. Nachdem es schon mehrere Wellen der Säkularisierung gegeben hat.
Allerdings gibt es auch eine Zunahmen des Atheismus im arabisch-islamischen Kulturraum.

Die Faustformel, fürchte ich, wird sich bewahrheiten: Entweder die christlichen Konfessionen werden ganz konservativ und schirmt sich insofern von der Moderne ab oder ihre Tradition wird de facto enden.
Möglicherweise finden ja die Katholiken einen dritten Weg?

Ich habe aber keine Ahnung, wie es z. B. in Japan mit dem Buddhismus oder Shinto aussieht.

Wie lange wird uns das Denken wohl noch erlaubt bleiben?

Krischan Offline




Beiträge: 642

07.05.2024 09:39
#4 RE: Grün würgt. Die evangelische Kirche Antworten

Zitat von Yago im Beitrag #2
"...und glaubt man nicht an Gott, dann glaubt man an etwas anderes."

Die Aufgabe der Kirche war, den "Bedürftigen" einen Rahmen vorzugeben, in dem diese sich sicher bewegen und kommendes gedanklich vorwegnehmen konnten. ...


Nunja, das ist ja ein weites Feld. Der Erfolg der organisierten Religionen (im Gegenzug zu animistischen Praktiken) erklärt sich ja doch aus einer zweifachen Wirkweise:

1. einerseits das Bedürfnis eines jeden Menschen, die Welt zu verstehen. Fast jede Religion beinhaltet ja eine Schöpfungsgeschichte ("warum sind wir hier") und erläutert Naturphänomene (Blitz, Donner, Dürre, Überflutung). Das sind vorwissenschaftliche Erklärungen, die eine Zeit lang durchaus geeignet waren, diese Orientierung zu geben, in Ermangelung von besseren Alternativen. Eine schlechte Erklärung für die Überschwemmung ist immer noch besser als gar keine Erklärung.
Dies erklärt auch, warum Kirchen in die Defensive geraten (bzw. schon vor sehr langer Zeit geraten sind) - weil es bessere und konsistentere Erklärungen für die Welt "da draußen" gibt. Sei es Mechanik, Gravitation, Physik, Mathematik, Evolution, Genetik - der "allwissende und omnipotente" Gott als der Weltenlenker, dessen Ratschluss unerforschlich ist, ja, der ist auf dem Rückzug und eigentlich nur noch in esoterischen Gefilden zu finden. Hier ist die Science wirklich settled

2. darüber hinaus liefert organisierte Religion aber auch Handreichung zu "wie soll man leben", also wie lebt man ein gutes (=gottgefälliges) Leben. Die 10 Gebote bzw. die Morallehren des Christentums ziehen daraus ihre Stärke, ebenso die Scharia, oder auch die 600+ jüdischen religiösen Mizwot. Und diese Regeln schaffen vor allem eines - Gemeinschaft. Alle anderen halten sich dran, ich möchte zur Gemeinschaft gehören (ein tiefes Bedürfnis der meisten Menschen), also verhalte ich mich auch so. Diese "Sehnsucht nach dem tiefen Sinn, dem guten Leben", die ist uns als Menschen angeboren. Und Religionen liefern da größtenteils ganz gute Handreichungen.
Natürlich kann man sich davon frei machen, natürlich kann man ein gutes Leben auch ohne Religion führen - ich behaupte sogar, ohne den religiösen Ballast gelingt das besser (zumindest mir). Aber gleichzeitig muss man doch anerkennen, dass organisierte Religion durchaus eine moralische Leuchtturmfunktion haben kann.

Natürlich leuchtet so ein Leuchtturm nicht mehr so stark, wenn die Mehrheit der Menschen instinktiv fühlt, dass das Licht in eine falsche Richtung zeigt (siehe Reformation etc.). Und heutzutage tritt der moralische Aspekt der sich an den Zeitgeist anbiedernden Kirche absolut in den Hintergrund. Vielleicht ist das ja auch eine Erklärung.

Krischan

Deutsche Wurst - alles andere ist Käse.

Ulrich Elkmann Online




Beiträge: 14.542

07.05.2024 11:44
#5 RE: Grün würgt. Die evangelische Kirche Antworten

Zitat von Krischan im Beitrag #4
Fast jede Religion beinhaltet ja eine Schöpfungsgeschichte ("warum sind wir hier") und erläutert Naturphänomene (Blitz, Donner, Dürre, Überflutung). Das sind vorwissenschaftliche Erklärungen, die eine Zeit lang durchaus geeignet waren, diese Orientierung zu geben, in Ermangelung von besseren Alternativen. Eine schlechte Erklärung für die Überschwemmung ist immer noch besser als gar keine Erklärung.

Das trifft die Sache aber nur halb. Tatsächlich ergibt sich daraus sofort das, was im Christentum als das Theodizeeproblem seit 2000 Jahren geläufig ist: Warum widerfahren gläubigen bzw. guten Menschen böse Dinge? Wieso läßt eine Schöpfungsinstanz, die als gerecht PLUS allmächtig aufgefaßt wird, so etwas zu? Das Christentum löst diese Frage über die Idee des Sündenfalls, Hinduismus bzw. Buddhismus dadurch, daß der materiellen Welt a priori kein Heil abzugewinnen ist und das Ziel nur darin liegen kann, aus dem ewigen Kreislauf der Materie ins Nichts einzugehen.

Tatsächlich geht das Sinnangebot der Religionen über eine solches Modell hinaus: sie bindet den Menschen (sowohl als Individuum, als auch als Gemeinschaft der Gläubigen UND darüber hinaus noch als Gattung insgesamt) einen Platz in diesem Weltgefüge an, einen Konnex mit dem Transzendenten, das für die materielle Welt verantwortlich zeichnet. Sie verortet ihn in einer ansonsten sinn- und planlosen Welt - wobei die spezielle Leistung der monotheistischen Religionen geistesgeschichtlich darin liegt, den ewigen Kreislauf durch eine lineare (Aufwärts-)Entwicklung in die Zukunft ersetzt zu haben. Um es platt zu sagen: ohne das Christentum ist die Idee des Fortschritts gar nicht denkbar - jedenfalls nicht des Fortschritts im Diesseits (das zeigt sich an der Auffassung der Zeitalter in der griechisch-römischen Antike: die unser "eisernes Zeitalter" als erhebliche Schwundstufe gegenüber den Äonen im Zeichen von Gold + Silber sehen, während der Hinduismus hier vom Kali Yuga spricht.)

Der Sozialismus hat als Glaubenssystem diese Zeitauffassung vom Christentum übernommen - aber da er die jenseitigen Aspekte negiert (bzw. sie auf zwangsläufige irdische Entwicklungen, "historische Zwänge," reduziert) verlagert er die durch göttliches Eingreifen in Aussicht gestellte Erlösung nicht in die Beendigung des irdischen Jammertals und den Übergang zum Neuen Jerusalem, sondern setzt das in die Geschichte, und aus Mangel als göttlicher Erlösungsenergie obliegt es der jeweils ausgeguckten Klasse, das Erlösungswerk umzusetzen: das Proletariat bei den kommmunistischen Kirchenvätern, die Bauern beim Großen Steuermann, die Studenten, Schwulen + Entgleisten bei Marcuse, die alles Kurz- + Kleinschlagenden Horden aus der dritten Welt bei der letzten Schwundstufe dieser Weltsicht von Frantz Fanon bis BLM - wobei natürlich die Lenkung des Ganzen durch eine Priesterkaste eine Grundvoraussetzung war.

Und natürlich haben sowohl BLM wie auch die "Letzte Generation" das im Angebot. auf die schlichteste Form reduziert: ein völlig primitiver Manichäismus: "Welt böse - wir gut", zur Schau gestellt als Gruppenhysterie und völligem Ausblenden jeglicher Ratio - und da die Welt sich angesichts von Tobsuchtsanfällen nicht umgehend im Sinn der Hysteriker ändert, entsteht hier eine positive Rückkopplung. Diese Fatzken unterscheiden sich um keinen Deut von den Geißlerzügen des Mittelalters; daß sie bilderstürmerische Affekte an den Tag legen, paßt ganz ins Bild.



"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire

Llarian Offline



Beiträge: 7.120

07.05.2024 23:56
#6 RE: Grün würgt. Die evangelische Kirche Antworten

Zitat von Johanes im Beitrag #3
Ich denke, es gehört aber zur Wahrheit hinzu, dass katholische und evangelische Kirche ungefähr gleiche Austrittszahlen haben.

Das stimmt so nicht. Richtig ist, das beide Verluste haben, richtig ist aber auch, dass die evangelische Kirche die größeren hat. Die evangelische Kirche war vor 50 Jahren die größere, heute ist es die kleinere. Und das obschon sie sich so stark an den Zeitgeist anbiedert (oder vielleicht gerade deswegen).

Zitat
Es sieht so aus als wäre die Mischung aus Wohlstand + freien Zugang zu Informationen + offensichtliche Erfolge des naturwissenschaftlich-materialistischen Ansatzes (ich weiß, "naturwissenschaftlich-materialistisch" ist ein halbes Thesenpapier!) + eine Kultur, den Anspruch an das Individuum erhebt, sich seines eigenen Verstandes zu bemächtigen (sapere aude!) + ein kritischer bis zynischer Zeitgeist = eine Mischung, die der christlichen Religion auch nominell den Rest gibt. Nachdem es schon mehrere Wellen der Säkularisierung gegeben hat.


Das sollte man meinen. Aber beobachten kann man eher gegenteiliges. Der Drang nach Religion erscheint sich durch die letzten Jahrzehnte, und gerade mit dem Verlust der christlichen Kirche, deutlich zu verstärken. Es mag nicht so in der Öffentlichkeit stehen, seit die großen Sektenprediger das Zeitliche gesegnet haben, aber kleine Glaubensgemeinschaften haben eher steigende Zahlen. Und auch das Gebahren der "grünen Kirche" hat deutlich mehr religiöse als wissenschaftliche Züge. Es gibt einen extrem starken Drang zu irrationalem Glauben, nur wird der von der christlichen Kirche kaum mehr befriedigt. Dazu gleich mehr:

Zitat
Allerdings gibt es auch eine Zunahmen des Atheismus im arabisch-islamischen Kulturraum.


Ich weiß nicht wie Sie auf diese Behauptung kommen, aber ich würde das genaue(!) Gegenteil unterstellen. Sieht man sich die Bilder aus dem Iran, aus Afghanistan oder nur der Türkei vor 50 Jahren an und die Bilder von heute, dann brüllt das Gegenteil einen an. Der Islam ist heute deutlich(!) fundamentaler, agressiver und aktiver als vor 50 Jahren. Auch die Duldung von anderen Religionen nebenm dem Islam hat deutlich abgenommen. Als die Gastarbeiter aus der Türkei vor 60 Jahren nach Deutschland kamen, war die erste Generation noch religiös, die zweite konnte schon weng damit anfangen. Aber heute sehen wir bei jungen "Deutschtürken" eine deutliche Zunahme an Religion. Und das ist auch absolut nahe liegend: Gerade in schwierigen Zeiten (und die Zeiten werden schwerer) steigt der Bedarf nach Halt und Gemeinschaft. Es ist die Impotenz der Kirche das nicht umsetzen zu können. Aber fragen Sie sich mal, auch wenn das keine Religion ist, warum Jordan Peterson bei Millionen Männern einen gewaltigen Eindruck erreicht mit der simplen Forderung, sie sollen ihr Zimmer aufräumen. Der Drang nach Ordnung, nach Regelung, weg von der völligen Beliebigkeit und dem Laissez-Faire, ist in meinen Augen überdeutlich. Bei jungen "Deutschtürken", jungen Arabern, genauso wie bei ihren deutschen Pendants. Nur das sich Malte-Torben eher bei den Öko-Spinnern und Gaia rumtreibt.

HR2 Offline



Beiträge: 1.008

07.05.2024 23:57
#7 RE: Grün würgt. Die evangelische Kirche Antworten

Zitat von Krischan im Beitrag #4


1. einerseits das Bedürfnis eines jeden Menschen, die Welt zu verstehen. Fast jede Religion beinhaltet ja eine Schöpfungsgeschichte ("warum sind wir hier") und erläutert Naturphänomene (Blitz, Donner, Dürre, Überflutung). Das sind vorwissenschaftliche Erklärungen, die eine Zeit lang durchaus geeignet waren, diese Orientierung zu geben, in Ermangelung von besseren Alternativen. Eine schlechte Erklärung für die Überschwemmung ist immer noch besser als gar keine Erklärung.
Dies erklärt auch, warum Kirchen in die Defensive geraten (bzw. schon vor sehr langer Zeit geraten sind) - weil es bessere und konsistentere Erklärungen für die Welt "da draußen" gibt. Sei es Mechanik, Gravitation, Physik, Mathematik, Evolution, Genetik - der "allwissende und omnipotente" Gott als der Weltenlenker, dessen Ratschluss unerforschlich ist, ja, der ist auf dem Rückzug und eigentlich nur noch in esoterischen Gefilden zu finden. Hier ist die Science wirklich settled




Habe diese Argumentation nie verstanden. Wo rütteln naturwissenschaftliche Erklärungen an Gott? Die Naturwissenschaften bestätigen ihn aus meiner Sicht eher als dass sie ihn widerlegen.
Liebe sei nur eine chemische Reaktion im Hirn, nachweisbar...das musste ich mir oft anhören als vermeintlich aufklärerische Erkenntnis...
Nur warum findet diese chemische Reaktion denn statt?

Llarian Offline



Beiträge: 7.120

08.05.2024 00:07
#8 RE: Grün würgt. Die evangelische Kirche Antworten

Zitat von Krischan im Beitrag #4
Sei es Mechanik, Gravitation, Physik, Mathematik, Evolution, Genetik - der "allwissende und omnipotente" Gott als der Weltenlenker, dessen Ratschluss unerforschlich ist, ja, der ist auf dem Rückzug und eigentlich nur noch in esoterischen Gefilden zu finden. Hier ist die Science wirklich settled

Als ein Mann eben jener Naturwissenschaft, ist mir die Existenz des Schöpfers nie mehr bewusst geworden, als eben durch die Kenntnis dieser Themen. :)
Denn auch das Graviton, das Higgs-Boson oder die dunkle Energie (was immer das am Ende sein wird), muss jemand geschaffen haben. Ist das Esoterik? Ich finde es nicht zuletzt deshalb witzig, weil diverse "Riesen" der Forschung (und damit will ich mich keinesfalls auch nur vergleichen) so gar keine Probleme damit hatten sich als gläubig zu bezeichnen.

Zitat
Diese "Sehnsucht nach dem tiefen Sinn, dem guten Leben", die ist uns als Menschen angeboren. Und Religionen liefern da größtenteils ganz gute Handreichungen.
Natürlich kann man sich davon frei machen, natürlich kann man ein gutes Leben auch ohne Religion führen - ich behaupte sogar, ohne den religiösen Ballast gelingt das besser (zumindest mir). Aber gleichzeitig muss man doch anerkennen, dass organisierte Religion durchaus eine moralische Leuchtturmfunktion haben kann.


Ich glaube nicht unbedingt, dass es angeboren ist. Ich denke es ist eher anerzogen. Und der Verlust der Kirche hat hier eine verheerende Rolle, denn diese Erziehung fällt weg. Ich glaube, oder vermute es zumindest, dass die Brutalität des Corona-Regimes, die Bereitschaft all die schönen Totalitarismen von DDR und drittem Reich wieder hervorzukramen, von Denunzianten bis zum Entmenschlichen, durchaus auch damit zusammen hängt welcher moralische Relatvismus inzwischen die Öffentlichkeit beherrscht. Ich glaube, dass eine Gesellschaft mit Beliebigkeit der Werte gar nicht anders kann als zu verrohen. Wir beschwören öffentlich Werte an die wir selber nicht glauben. Es ist scher an "das Gute" zu glauben, wenn "das Gute" keine Konsequenz hat. Die christliche Kirche hat lange mit ihrem Schachtelteufel von der Hölle gearbeitet. Das können wir lächerlich finden, aber funktionieren tuts schon, so lange die Leute dran glauben.

Wenn sie es nicht mehr tun, warum sollten sie sich dann "gut" verhalten? Man sollte eins immer im Hinterkopf behalten: Wenn man sich die ganze Geschichte der Zivilisation anschaut, und das ist im wesentlichen in den letzten 500 Jahren westliche(!) Zivilisation gewesen, dann ist das verbindende Element der westlichen Gesellschaften das christlich-jüdische Glaubenssystem gewesen, während Gesellschaften, die anderen Glaubenssystemen anhingen, weit weniger Erfolg hatten. Und das es zumindest eine deutliche Korrelation zwischen Wertverlust und immer mehr wegbröckelndem Erfolg gibt.

HR2 Offline



Beiträge: 1.008

08.05.2024 00:29
#9 RE: Grün würgt. Die evangelische Kirche Antworten

Ich bin jüngst aus der evangelischen Kirche ausgetreten und wurde daraufhin von ihr angeschrieben.
Sie bedauern und fragen nach den Gründen. Die Gründe stehen in Llarians Artikel, es ist nicht das Geld.
Ob ich denen antworten soll? Denen wird meine Begründung nicht schmecken, sie wird dann ignoriert.

Krischan Offline




Beiträge: 642

08.05.2024 08:15
#10 RE: Grün würgt. Die evangelische Kirche Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #8

Als ein Mann eben jener Naturwissenschaft, ist mir die Existenz des Schöpfers nie mehr bewusst geworden, als eben durch die Kenntnis dieser Themen. :)
Denn auch das Graviton, das Higgs-Boson oder die dunkle Energie (was immer das am Ende sein wird), muss jemand geschaffen haben. Ist das Esoterik? Ich finde es nicht zuletzt deshalb witzig, weil diverse "Riesen" der Forschung (und damit will ich mich keinesfalls auch nur vergleichen) so gar keine Probleme damit hatten sich als gläubig zu bezeichnen.


Lieber Llarian,
ich möchte mich explizit auch als Mann der Wissenschaft, vor allem der evidenzbasierten Wissenschaft (gibt es eine andere? Ich glaube nicht...), bezeichnen. Die physikalischen Grundlagen unseres Universums sind größtenteils überzeugend erklärt und weitgehend auch experimentell nachgewiesen. Die Frage, die Sie stellen, und die die Riesen der Forschung sich stellen, ist eher die Frage nach dem "Warum". Also nicht "was ist das" (diese Frage ist mittlerweile recht gut beantwortbar), sondern eher "warum" ist es eigentlich da, und "warum" ist nichts anderes da als das, was wir kennen. Wenn ich die Antwort darauf wüsste, würde ich weltweite Vortragshallen oder Stadien füllen (und nebenbei noch hier kommentieren ), aber es gibt da auch schon überzeugende Erklärungen (die aber in ihrer Konsequenz recht banal sind und auch nicht die Suche nach einem höheren Sinn befriedigen). Lawrence Krauss sei da genannt.
Und bitte, die "Gläubigkeit" von Physik-Riesen ist bitteschön nicht vergleichbar mit der Trivialgläubigkeit der organisierten Kirche - oder wollen Sie mir weismachen, dass Einstein, Heisenberg, Feynman & Co an Himmel, Hölle, Engelchen und die unbefleckte Empfängnis sowie die Trinität glauben?

Zitat

Ich glaube nicht unbedingt, dass es angeboren ist. Ich denke es ist eher anerzogen.
[...]
Wenn sie es nicht mehr tun, warum sollten sie sich dann "gut" verhalten? Man sollte eins immer im Hinterkopf behalten: Wenn man sich die ganze Geschichte der Zivilisation anschaut, und das ist im wesentlichen in den letzten 500 Jahren westliche(!) Zivilisation gewesen, dann ist das verbindende Element der westlichen Gesellschaften das christlich-jüdische Glaubenssystem gewesen, während Gesellschaften, die anderen Glaubenssystemen anhingen, weit weniger Erfolg hatten. Und das es zumindest eine deutliche Korrelation zwischen Wertverlust und immer mehr wegbröckelndem Erfolg gibt.



Nun, da liegt der Hase im Pfeffer. Eine Religion (nämlich die christliche) wurde nur durch andere Spielarten der Religion ersetzt - von Marxismus, Leninismus, Stalinismus, Maoismus bis zur Kirche des grünen Robert und der heiligen Greta oder anderen esoterischen Spielarten (kein Wunder, dass die Grüne Parte Anknüpfungspunkte für Antroposophisten, Homöopathen und andere Irre bietet). Der einzige Unterschied ist die Heilserwartung - klassische organisierte Religion verortet das im Jenseits, "moderne" Religion dagegen schon im Diesseits. Entweder als Ergebnis der Handlungen oder, und das ist ganz besonders perfide, als "Vorraussetzung" der Handlung. Was meine ich damit? Beispielsweise die Klimakleber mit ihren symbolischen Handlungen - den "Jüngern" dieser Religion verschafft bereits der Protest als zentraler "Andachtsform" dieser Religion das Gefühl der Gemeinschaft. Und so ist es bei vielen anderen Adepten der grünen Religion auch - der Protest, das "Happening" ist die zentrale Kulthandlung.

Insofern war das christlich-jüdische Glaubenssystem besser, indem es die Menschen zu Leistungen angeregt hat, damit es ihre Kinder mal besser haben. Gleichwohl: So eine Logik kann man auch ohne Engel, Teufel, Trinität und Jungfrauenglaube erreichen.

Krischan

Deutsche Wurst - alles andere ist Käse.

Johanes Offline




Beiträge: 2.637

08.05.2024 13:07
#11 RE: Grün würgt. Die evangelische Kirche Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #6
Das stimmt so nicht. Richtig ist, das beide Verluste haben, richtig ist aber auch, dass die evangelische Kirche die größeren hat.


Interessant, habe jetzt nur die jüngeren Zahlen im Kopf.

Zitat von Llarian
Aber heute sehen wir bei jungen "Deutschtürken" eine deutliche Zunahme an Religion. Und das ist auch absolut nahe liegend: Gerade in schwierigen Zeiten (und die Zeiten werden schwerer) steigt der Bedarf nach Halt und Gemeinschaft.



Da müsste man wirklich empirisch ins Detail gucken!

Soweit ich mitbekomme, gibt es zu der religiösen Weltsicht im arabischen Raum jedenfalls eine wachsende Gegenbewegung.

Zitat von Llarian im Beitrag #8
Wenn man sich die ganze Geschichte der Zivilisation anschaut, und das ist im wesentlichen in den letzten 500 Jahren westliche(!) Zivilisation gewesen, dann ist das verbindende Element der westlichen Gesellschaften das christlich-jüdische Glaubenssystem gewesen, während Gesellschaften, die anderen Glaubenssystemen anhingen, weit weniger Erfolg hatten. Und das es zumindest eine deutliche Korrelation zwischen Wertverlust und immer mehr wegbröckelndem Erfolg gibt.


Entschuldigen Sie, aber das auf das Christentum zurückzuführen ist doch bestenfalls Spekulation.
Es gibt dafür praktisch endlose Erklärungsmodelle.

Zitat von Krischan im Beitrag #10
Und bitte, die "Gläubigkeit" von Physik-Riesen ist bitteschön nicht vergleichbar mit der Trivialgläubigkeit der organisierten Kirche - oder wollen Sie mir weismachen, dass Einstein, Heisenberg, Feynman & Co an Himmel, Hölle, Engelchen und die unbefleckte Empfängnis sowie die Trinität glauben?


@Krischan
Kurz gesagt: Kommt sehr auf den Einzelfall an. Bei Einstein liest es sich in dem Buch "Mein Weltbild" jedenfalls so, als würde er alles, was wir gemeinhin als Religion auffassen, als historisch notwendig in einer bestimmten Phase, heute aber veraltet betrachten.
Seine "kosmische Religiosität" ist eher ein Eingeständnis, dass wir religiöse Gefühle überhaupt haben, verbunden mit Bewunderung für den Kosmos insgesamt.

Heisenberg war AFAIK eher beeinflusst von der Philosophie von Platon.

Über Kurt Gödel gibt es die Aussage, er wäre im klassischen Sinne "religiös gläubig". Jedoch fällt er wohl nicht unter Physik-Riese, oder?

P.S.: Sorry, musste mich sehr kurz fassen.

Wie lange wird uns das Denken wohl noch erlaubt bleiben?

HR2 Offline



Beiträge: 1.008

08.05.2024 22:42
#12 RE: Grün würgt. Die evangelische Kirche Antworten

Zitat von Krischan im Beitrag #10
Also nicht "was ist das" (diese Frage ist mittlerweile recht gut beantwortbar), sondern eher "warum" ist es eigentlich da, und "warum" ist nichts anderes da als das, was wir kennen. Wenn ich die Antwort darauf wüsste, würde ich weltweite Vortragshallen oder Stadien füllen (und nebenbei noch hier kommentieren ), aber es gibt da auch schon überzeugende Erklärungen (die aber in ihrer Konsequenz recht banal sind und auch nicht die Suche nach einem höheren Sinn befriedigen). Lawrence Krauss sei da genannt.
Und bitte, die "Gläubigkeit" von Physik-Riesen ist bitteschön nicht vergleichbar mit der Trivialgläubigkeit der organisierten Kirche - oder wollen Sie mir weismachen, dass Einstein, Heisenberg, Feynman & Co an Himmel, Hölle, Engelchen und die unbefleckte Empfängnis sowie die Trinität glauben?



Einstein: "Ich glaube an Spinozas Gott, der sich in der gesetzlichen Harmonie des Seienden offenbart, nicht an einen Gott, der sich mit Schicksalen und Handlungen der Menschen abgibt."

Der primitive Glaube an Gott, an Himmel und Hölle, hat als Kehrseite den primitiven Atheismus, der diesen Glauben ablehnt.
Sie schreiben es. Es ist das "Warum", das keine Antwort je finden wird, ganz sicher nicht durch die Naturwissenschaften.
Es ist keine Erkenntnis in der Frage nach Gott, wenn ich von Molekülen zu Atomen, Protonen und Elektronen, Quarks usw. komme.

Llarian Offline



Beiträge: 7.120

09.05.2024 11:47
#13 RE: Grün würgt. Die evangelische Kirche Antworten

Zitat von Krischan im Beitrag #10
Die physikalischen Grundlagen unseres Universums sind größtenteils überzeugend erklärt und weitgehend auch experimentell nachgewiesen.

Oh, lieber Krischan, dem würde ich aber ganz massiv(!) widersprechen. Wir haben am Verständnis des Universums gerade mal ein bischen gekratzt, bis heute hat keiner eine Ahnung wie es zur Raumausdehnung kommt, was dunkle Materie eigentlich ist, wie Gravitation wirklich funktioniert oder wie der ganze Quantenzoo sich wirklich verhält. Und das sind sogar nur die kleinen Fragestellungen, die großen wie warum(!) es überhaupt zum Urknall gekommen sein soll und was am Ende des Universums passiert und warum, sind vollkommen dunkel. Vor 150 Jahren hat man mit der klassischen Mechanik auch schon gedacht, man habe Physik im großen verstanden, und das war vor Einstein, Planck, Heisenberg und Hawking.

Zitat
Die Frage, die Sie stellen, und die die Riesen der Forschung sich stellen, ist eher die Frage nach dem "Warum". Also nicht "was ist das" (diese Frage ist mittlerweile recht gut beantwortbar), sondern eher "warum" ist es eigentlich da, und "warum" ist nichts anderes da als das, was wir kennen.


Das ist fast korrekt. Ich halte das Warum tatsächlich für die religiöse Fragestellung schlechthin, ich widerspreche nur dem, dass das "was ist" so besonders gut beantwortet ist. Aber ich mache daran nichts fest, weil ich wenig Zweifel habe, dass man das "was ist" schlicht immer besser verstehen wird, und es wird noch sehr viel komplizierter (oder je nachdem einfacher) werden als es das heute verstanden wird. Daran würde ich aber nichts göttliches oder schöpferisches festmachen. Die Schöpfung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass wir das "Was" besser verstehen.

Ich denke es gibt einen ganze essentiellen Unterschied was Religionen (oder Glauben) erklären sollen. Und Sie haben insofern natürlich recht, dass vieles von dem "was", was Religionen versucht haben zu erklären, nicht nur falsch, sondern im Lichte heutiger Erkenntnis, eher albern anmutet (man denke nur an die Fieberphantasien in der Johannes Offenbarung). Aber bei der Erklärung des "Warum" sind Religionen nicht glaubhafter oder abwegiger als das, was "Nicht-Gläubige" (wie eben ihr Beispiel Krauss) so von sich geben. Den einen mag das Argument mehr überzeugen als das andere, aber beweisen kann es ein Herr Krauss genauso wenig oder viel wie sein Pendant in Rom. Wer meint eine endgültige Antwort für sich gefunden zu haben, den kann ich gerne in Frieden lassen, ich kann nur sagen, dass mich eine "kalte" Antwort, wie sie von dem einen oder anderen Physiker vertreten wird, absolut nicht überzeugt. Wer daran glauben(!) möchte, dass all das ein großer Zufall ist, darf das gerne tun. Ich tus nicht. Und ich habe durchaus nicht wenige, sehr gebildete Leute, auf meiner Seite.

Zitat
Eine Religion (nämlich die christliche) wurde nur durch andere Spielarten der Religion ersetzt - von Marxismus, Leninismus, Stalinismus, Maoismus bis zur Kirche des grünen Robert und der heiligen Greta oder anderen esoterischen Spielarten (kein Wunder, dass die Grüne Parte Anknüpfungspunkte für Antroposophisten, Homöopathen und andere Irre bietet). Der einzige Unterschied ist die Heilserwartung - klassische organisierte Religion verortet das im Jenseits, "moderne" Religion dagegen schon im Diesseits. Entweder als Ergebnis der Handlungen oder, und das ist ganz besonders perfide, als "Vorraussetzung" der Handlung. Was meine ich damit? Beispielsweise die Klimakleber mit ihren symbolischen Handlungen - den "Jüngern" dieser Religion verschafft bereits der Protest als zentraler "Andachtsform" dieser Religion das Gefühl der Gemeinschaft. Und so ist es bei vielen anderen Adepten der grünen Religion auch - der Protest, das "Happening" ist die zentrale Kulthandlung.

Insofern war das christlich-jüdische Glaubenssystem besser, indem es die Menschen zu Leistungen angeregt hat, damit es ihre Kinder mal besser haben. Gleichwohl: So eine Logik kann man auch ohne Engel, Teufel, Trinität und Jungfrauenglaube erreichen.


In der Tat. Aber nicht ohne das Wertesystem. Man muss ja auch dazu sagen: Engel, Teufel, Trinität wie auch Jungfernglaube sind gerade kein Teil der ursprünglichen Lehre sondern vor allem Kirchenfolklore. Das ursprüngliche jüdische System kommt (vom Teufel in Teilen abgesehen) ohne den Quatsch aus. Das Problem an der grünen Religion ist nicht der Glaube an Gaia an sich oder das man der heiligen Greta nachrennt, um sie als Jesus-Ersatz hochzuhalten. Genauso wie das Problem der kommunistischen Religion es nicht ist, dass sie von einer klassenlosen Gesellschaft träumt. Das Problem sind ihre Methoden. Und da ist ein ganz gewaltiger, ein riesenhafter Unterschied. Die jüdische Religion missioniert nicht und auch wenn die christliche Kirche später dazu übergagngen ist, so war Jesus eben kein Anhänger der Verbreitung seiner Vorstellungen mit Gewalt. Im Gegenteil. Und das ist auch ein essentieller Unterschied zu anderen Religionen, die zwar für sich als Religion erfolgreich waren oder noch sind, aber die zugrunde liegende Gesellschaft nicht verbessert haben.

Aber hier kommt das Problem: Mit dem Verlust der christlichen Kirche, gibt es keine gute, zumindest keine kanonische, Begründung mehr für diese Art von zivilisiertem Verhalten. Sie mögen es aufweisen, viele andere auch, aber eben noch viel mehr nicht. Wir erleben ja gerade die Popularität der grünen Ideen bei jungen Menschen. Menschen die eben keine solche Wertorientierung erfahren haben und sich dann auch viel leichter fanatisieren lassen. Einen gläubigen Jugendlichen, der Jesus für ein Vorbild hält, kann man nicht zu einem woken Social-Justice-Warrior wandeln. Oder zu einem Glaubenskrieger. Oder einem Nihilisten. Es spielt dabei keine Rolle ob die Jesus-Geschichte am Ende stimmt oder nicht. Entscheidend ist was für einen Menschen sie produziert. Und jemand, der ohne all das aufwächst, hat es sehr viel schwerer einzusehen, dass man seine Ideen eben nicht anderen mit Gewalt einbläuen sollte. Und das gilt für viele andere Dinge auch. So banal es auch sein mag: Aber die zehn Gebote sagen uns, wir sollen nicht lügen. Wer daran glaubt, wird sich daran orientieren. Wer es nicht ist, muss anders davon überzeugt werden. Und bei vielen klappt das nicht, denn sie stellen zurecht die Frage: Warum? Und für einen Atheisten ist die Antwort schwerer.

Llarian Offline



Beiträge: 7.120

09.05.2024 11:59
#14 RE: Grün würgt. Die evangelische Kirche Antworten

Zitat von Johanes im Beitrag #11
Soweit ich mitbekomme, gibt es zu der religiösen Weltsicht im arabischen Raum jedenfalls eine wachsende Gegenbewegung.

Für diese, doch sehr, sehr kühne Behauptung, hätte ich gerne wenigstens den einen oder anderen Beleg. Sieht man sich Afghanistan an, den Iran, den Irak, die Türkei, Algerien, Lybien, Ägypten oder auch nur Berlin, dann sehen wir massive Bewegungen zu mehr Fundamentalismus, mehr Religion und mehr Islam in allen Lebenslagen.

Zitat
Entschuldigen Sie, aber das auf das Christentum zurückzuführen ist doch bestenfalls Spekulation. Es gibt dafür praktisch endlose Erklärungsmodelle.


Dann nennen Sie drei!

Ich glaube nämlich nicht, dass Sie da auch nur eines wirklich haben. Man muss irgendwie erklären warum bestimmte Gesellschaftsordnungen erfolgreich sind und andere nicht. Und prinzipiell(!) glaube ich nicht, das beispielsweise arabische Völker "dümmer" sind als ihre nördlichen Nachbarn. Und dann muss man erklären, warum sie es in den letzten knapp anderthalb tausend Jahren nicht geschafft haben viel zum Weltwissen oder zur Weiterentwicklung der menschlichen Zivilisation beigetragen haben, während ihre christlichen Nachbarn das getan haben. Das der Westen praktisch ausschließlich auf christlichen Füßen steht ist doch kein Zufall. Genauso wie die Aufklärung kein Zufall war. Religiöse Vorstellungen wirken deutlich auf das Wertesystem einer Gesellschaft ein und Wertesysteme sind die Grundlagen jeder Gesellschaftsordnung. Warum brechen kommunistische Staaten wieder und wieder und wieder zusammen? Weil die Wertesysteme Schrott sind. Warum schafft es Saudi Arabien, obwohl sie auf einem irrsinnig wertvollen Bodenschatz sitzen, keine vernünftige Zivilgesellschaft aufzubauen? Weil das Wertesystem Schrott ist. Es sind doch nicht die Menschen, wir sind doch keine Rassisten, es sind die Werte, die den Erfolg einer Gesellschaft ausmachen.

Johanes Offline




Beiträge: 2.637

10.05.2024 19:37
#15 RE: Grün würgt. Die evangelische Kirche Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #13
Aber bei der Erklärung des "Warum" sind Religionen nicht glaubhafter oder abwegiger als das, was "Nicht-Gläubige" (wie eben ihr Beispiel Krauss) so von sich geben.


1. Ihr Argument ist nicht so schlüssig, fürchte ich. Es gibt neben solchen Erklärungen wie die von Krauss oder den monotheistischen Religionen nämlich noch (mindestens) eine Dritte Option: Das Eingeständnis, dass man diese Frage nicht beantworten kann. Wenn man so will, die "skeptische" Haltung und man kann sogar offen lassen, ob diese Fragen prinzipiell einer Beantwortung unfähig sind (wie z. B. Kant, meines Wissens, darlegte) oder ob uns derzeit einfach die Mittel fehlen.
2. Ein Problem, wenn man Gott in erster Linie als "Schöpfer" auffasst, ist natürlich, dass damit wenig gezeigt wurde. Ein deistischer ("Uhrmachergott") oder meinetwegen gnostischer Standpunkt bleibt damit nicht ausgeschlossen. Grade mit der modernen Science Fiction wurde die Vorstellung verbreitet, dass auch ein Schöpfer nicht unbedingt unserer klassischen Auffassung von Religion beweist.

Zitat von Llarian im Beitrag #13
Mit dem Verlust der christlichen Kirche, gibt es keine gute, zumindest keine kanonische, Begründung mehr für diese Art von zivilisiertem Verhalten.


Was verstehen Sie unter "kanonischer Begründung"?

Zitat von Llarian im Beitrag #13
Aber die zehn Gebote sagen uns, wir sollen nicht lügen. Wer daran glaubt, wird sich daran orientieren. Wer es nicht ist, muss anders davon überzeugt werden. Und bei vielen klappt das nicht, denn sie stellen zurecht die Frage: Warum? Und für einen Atheisten ist die Antwort schwerer.


Das ist auch ein ziemlicher Brocken.

Es ist nicht so, dass alle Christen der "Gottesbefehlstheorie" folgen. Derzufolge das moralisch gute sich auf die Befehle Gottes reduzieren lässt. Der traditionelle Katholizismus folgt dem, meines Wissens, nicht und die meisten Atheisten werden sich hüten, diese Auffassung anzunehmen.

Zitat von Llarian im Beitrag #14

Zitat
Entschuldigen Sie, aber das auf das Christentum zurückzuführen ist doch bestenfalls Spekulation. Es gibt dafür praktisch endlose Erklärungsmodelle.

Dann nennen Sie drei!



Ich nehme das mal an:
1. Kapitalismus
2. Individualismus
3. Ausbeutung durch Kolonialismus

Das sind nur einige der vielen Erklärungen, von denen ich gelesen habe. Einige mehr, andere weniger plausibel.
Das Problem besteht, zumindest meiner Ansicht, darin, dass man eben diese Theorien nicht empirisch testen kann aus naheliegenden Gründen. Wir haben quasi nur einen einzigen Versuch und streiten über dessen Interpretation.

Wenn wir vom Christentum, bzw. den christlichen Wertvorstellungen, als Ursache des Erfolgs der westlichen Kultur ausgehen, dann stellen sich meines Erachtens einige Folgefragen, wie beispielsweise:
Warum waren die christlichen Byzantiner nicht ebenfalls erfolgreicher? Oder die Äthiopier?
Wieso erst zu beginn von dem, was wir "Neuzeit" nennen, davor waren andere Gesellschaften mindestens auf Augenhöhe?
Wieso sind traditionell konfuzianisch geprägte Gesellschaften wie Japan, Korea usw. so vergleichsweise erfolgreich dabei, aufzuholen?

Das sind natürlich auch Herausforderungen für andere Erklärungsmodelle.

Zitat von Llarian
Das der Westen praktisch ausschließlich auf christlichen Füßen steht ist doch kein Zufall.



Dem widerspreche ich.
Schon in der Antike haben sich christliche Denker die griechische Philosophie zu nutze gemacht. Es stimmt zwar, dass es einige Bücherverluste an "heidnischen Autoren" gab und wohl auch aktive Gegnerschaft der Christen gegen z. B. die Philosophie Epikurs, aber man hat schon auf antiken Wissen aufgebaut.

Der "Thomismus" ist philosophisch ohne Aristoteles nicht denkbar.
Und mit Aufkommen der Neuzeit kamen durch den Buchdruck Werke etwa der antiken Skeptiker wieder auf und haben wohl mindestens Descartes geprägt.

Die Rechtshistoriker erzählen uns vom römischen Recht als "ius communis" Europas. Und die modernen Denker sollen durch die Stoa beeinflusst gewesen sein, bei der Entwicklung der Staatstheorie.

Meines Wissens haben noch bis ins 20. Jahrhundert Kinder Geometrie und Mathematik mit dem alten Euklid gelernt.

Wie lange wird uns das Denken wohl noch erlaubt bleiben?

Ulrich Elkmann Online




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10.05.2024 23:09
#16 RE: Grün würgt. Die evangelische Kirche Antworten

Zitat von Johanes im Beitrag #15
Warum waren die christlichen Byzantiner nicht ebenfalls erfolgreicher? Oder die Äthiopier?

Weil es sich bei beiden um orthodoxe Kirchen handelt (wobei die äthiopische Kirche noch weiter zurückreicht). Das, was die Besonderheiten des westlichen Chrsitentums ausmacht, angefangne mit dem Investitutrstreit, hat dort nie stattgefunden - es gab niemals eine Trennung zwischen der der weltichen und der geistlichen Macht, es handelte sich immer um ausschlie´liche Diener des Staates - und zwar des absoluten Staates. Und es fällt auf, daß in hier keine "philosophische Unterfütterung" des theologishen Unterbaus gibt, wie eben beim Thomismus, bei der Scholastik überhaupt, mit der "Summa Theologia" als enzyklopäischer Grundlage. Wo es zu degleichen im Beriech der Ostkirche gekommen ist, geschah das als Reaktion (im doppelten Sinn) auf weltliche Entwicklungen, angefangen auf die Reformen Peters des Großen und dann ab Mitte des 1. Jhdts auf die zaghaften Versuche der Säkularisierung. Entscheidend ist natürlich dann die Zäsur durch die Reformation. Max Weber hat dazu einiges gesagt.

Zitat
Wieso sind traditionell konfuzianisch geprägte Gesellschaften wie Japan, Korea usw. so vergleichsweise erfolgreich dabei, aufzuholen?


Weil diese Prägung nur eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung ist. Der Konfuzianismus etwa hat es geschafft, den ersten Anlauf zu einer industriellen Revolution, in China zwischen ca. 850 bis 1350, radikal zum Stillstand zu bringen (nur um daran zu erinnern: in China gab es im 12. Jhdt. öffentliche mechanische Uhren mit Schlagwerk, um 1280 wurden 80 Pozent aller Bücher gedruckt, ab Mitte des 13. Jhdt.s war Papiergeld die Norm, am Ende jenes Jahrhunderts wurden Kanonen in Serie gefertigt). Es gab aber kein Gegengewicht zum Kaiserhof in Sachen Wissenshortung un nicht die Möglichkeit, sich dem Zwang von oben durch Abwanderung in Nachbarländer zu entziehen, wie es im politisch zerklüfteten Europa der Fall war. Zudem kam die Modernisierung Ende des 19. Jahrunderts unter der direkten Konkurrenz durch das säkulare europäische Modell zustande - die Reformen der Meijizeit waren ja eine 1:1-Übernahme dieser erfolgreichen Vorbilder, vor allem im Militär, aber auch in der Zivilverwaltung und der Schul- und Universitätsausbildung.



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Johanes Offline




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10.05.2024 23:18
#17 RE: Grün würgt. Die evangelische Kirche Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #16
Entscheidend ist natürlich dann die Zäsur durch die Reformation. Max Weber hat dazu einiges gesagt.


...und grade die Reformation hat die Trennung von weltlichen und geistlichen Regiment wieder aufgehoben.

Zitat

Zitat
Wieso sind traditionell konfuzianisch geprägte Gesellschaften wie Japan, Korea usw. so vergleichsweise erfolgreich dabei, aufzuholen?


Weil diese Prägung nur eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung ist.




Damit macht man sich die Antwort aber ziemlich leicht.

Wie lange wird uns das Denken wohl noch erlaubt bleiben?

Ulrich Elkmann Online




Beiträge: 14.542

11.05.2024 00:06
#18 RE: Grün würgt. Die evangelische Kirche Antworten

Leicht verspätete Anwort, weil ich erst a) das Nordlicht und b) den Überflug der ISS auf dem Beobachtungsprogramm hatte...

Zitat von Johanes im Beitrag #17

...und grade die Reformation hat die Trennung von weltlichen und geistlichen Regiment wieder aufgehoben.


Entschuldigen Sie, aber wie soll das gemeint sein? Gerade die Reformation hat hier eine recht radikalen Keil zwischen die beiden Bereiche geschoben, indem sie die Vermittlungsfunktionen der Geistlichkeit fast völlig weggekürzt hat. Seitdem steht der Gläubige, der es mit den Setzungen der Amtskirche ernst nimmt, als Evangele ziemlich nackt vor der göttlichen Gnade, da die Kirche als Erlösungsinstanz im Fall läßlicher Sünden ausgefallen ist. Der Lutheranismus war da nicht so streng wie der Calvinismus, und der nicht so stringent wie der Pietismus, aber in keinem Fall haben sie die alten Funktionen übernommen. Auch das Prinzip des "cuius regio, eius religio" des Augsburger Religionsfriedens in dem geschuldet. Bei den Verboten der Jesuiten oder dem Kirchenkampf Bismarcks zeigt sich das ebenfalls: hier wird vom Staat der als unheilvoll empfundene Einfluß eines bestimmten Segments der katholischen Kirche eingeschränkt - den er im Verdacht hat, genau diese Trennung zu gefährden: aber der Staat übernimmt diese Autorität nicht. Stattdessen stellt er sich direkt gegen sie. Gerade am Verbot des Jesuitenordens kann man das gut sehen, weil sich hier sowohl die Papisten wie auch die lutherischen Ketzer einig waren: Verbote in Venedig, Portugal, Spanien, Frankreich, dem Vatikan, Neuengland, England, Österreich, Polen...



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HR2 Offline



Beiträge: 1.008

11.05.2024 00:44
#19 RE: Grün würgt. Die evangelische Kirche Antworten

Zitat von Johanes im Beitrag #15


Wenn wir vom Christentum, bzw. den christlichen Wertvorstellungen, als Ursache des Erfolgs der westlichen Kultur ausgehen, dann stellen sich meines Erachtens einige Folgefragen, wie beispielsweise:
Warum waren die christlichen Byzantiner nicht ebenfalls erfolgreicher? Oder die Äthiopier?



Weil sie militärisch unterlegen waren.

Llarian Offline



Beiträge: 7.120

11.05.2024 02:10
#20 RE: Grün würgt. Die evangelische Kirche Antworten

Zitat von Johanes im Beitrag #15
1. Ihr Argument ist nicht so schlüssig, fürchte ich. Es gibt neben solchen Erklärungen wie die von Krauss oder den monotheistischen Religionen nämlich noch (mindestens) eine Dritte Option: Das Eingeständnis, dass man diese Frage nicht beantworten kann. Wenn man so will, die "skeptische" Haltung und man kann sogar offen lassen, ob diese Fragen prinzipiell einer Beantwortung unfähig sind (wie z. B. Kant, meines Wissens, darlegte) oder ob uns derzeit einfach die Mittel fehlen.

Das ist keine dritte Option sondern eher eine Erweiterung. Für den Gläubigen ist das gar kein Problem, denn es ist ja gerade ein Wesen des Glaubens(!), dass man es eben nicht beantworten kann. Dabei ist die Frage ob es überhaupt beantwortet werden kann nicht mehr von Wichtigkeit. Und auch der Skeptiker kann, wenn er ehrlich ist, die Existenz eines Schöpfers nicht wiederlegen. Er kann sich nur darauf zurück ziehen, dass er keinen Hinweis darauf sieht.

Zitat
2. Ein Problem, wenn man Gott in erster Linie als "Schöpfer" auffasst, ist natürlich, dass damit wenig gezeigt wurde.


Korrekt. Fast gar nichts, wenn man ehrlich ist. Vielleicht bin ich da zu sehr von Lovercraft geprägt, aber es hat mich schon immer erstaunt wie sehr manche Gläubige meinen zu wissen "was Gott will" oder "Warum" die Schöpfung existiert. Da ist so als würden sich zwei Flöhe darüber unterhalten, wem der Hund gehört auf dem sie reisen, bzw. was der Hund wohl denken wird. Völlig absurd. Wer oder was immer in der Lage ist, etwas wie das Universum zu schaffen, ist für Menschen schlicht tatsächlich (schönen Gruß von der Bibel) unergründlich. Aller Verstand der Welt würde dafür nicht genügen. Und deswegen treffen Sie es ins Schwarze: Viel ist damit nicht ausgesagt. Der Sinn wird nicht verständlich. Aber was verständlich wird ist, DASS es einen Sinn gibt. Das Buch Genesis hat tatsächlich schon am Anfang einen echten Treffer: Am Anfang war das Wort. Oder wie es bei Goethe heisst: Am Anfang war der Sinn. Ja, genau. Wir kennen ihn nicht. Und vermutlich wird sich das auch nicht ändern. Aber DASS er da ist, das finde ich eine ganz wichtige und tiefe Erkenntnis.

Zitat
Was verstehen Sie unter "kanonischer Begründung"?


Wer an die christlichen Lehren glaubt, der glaubt auch daran, dass "richtiges Verhalten" honoriert wird, auch wenn es keiner sieht. Also verhält er sich entsprechend. Die Begründung ist kanonisch: "Gutes Verhalten->Ewiges Leben".

Zitat
Es ist nicht so, dass alle Christen der "Gottesbefehlstheorie" folgen. Derzufolge das moralisch gute sich auf die Befehle Gottes reduzieren lässt. Der traditionelle Katholizismus folgt dem, meines Wissens, nicht und die meisten Atheisten werden sich hüten, diese Auffassung anzunehmen.


Das Atheisten dem nicht folgen ist ja genau der Punkt. Und er klassische Katholizismus folgt selbstredend den zehn Geboten. Was denn sonst? Das Jesus noch ein paar mehr aufgestellt hat: Geschenkt. Aber christliche Lehre basiert selbstredend darauf zu tun, was Gott verlangt.

Zitat
1. Kapitalismus


Gibts in nicht erfolgreichen Gesellschaften auch.

Zitat
2. Individualismus


Ist ein christlicher Wert.

Zitat
3. Ausbeutung durch Kolonialismus


Westliche Gesellschaften waren lange vor dem Kolonialismus erfolgreicher als andere. Und Deutschland hat nie wesentliche Kolonien besessen. Im Gegenteil muss man eher sagen, dass viele Länder bei ihren Kolonien ordentlich "drauf gezahlt" haben.

Zitat
Das Problem besteht, zumindest meiner Ansicht, darin, dass man eben diese Theorien nicht empirisch testen kann aus naheliegenden Gründen. Wir haben quasi nur einen einzigen Versuch und streiten über dessen Interpretation.


Wir haben hunderte von Versuchen. Mit ziemlich eindeutiger Verteilung.

Zitat
Warum waren die christlichen Byzantiner nicht ebenfalls erfolgreicher? Oder die Äthiopier?


Äthiopien war bis weit ins 20 Jahrhundert eigentlich eine Stammeskultur. Und bei Byzanz ist das anzumerken was HR2 gerade schrieb: Erfolgreich vielleicht im Inneren, aber das sagt noch nichts über die Verteidigungsfähigkeit aus. Der Islam ist derzeit sehr erfolgreich sich auszubreiten. Eben weil er das auch reichlich agressiv tut. Aber ist das eine Kulturquelle, die gut für eine Gesellschaft ist oder diese erfolgreicher macht?

Zitat
Wieso sind traditionell konfuzianisch geprägte Gesellschaften wie Japan, Korea usw. so vergleichsweise erfolgreich dabei, aufzuholen?


Weil sie angefangen haben kulturelle Werte zu importieren. Es geht ja nicht um die Kirche in dem Sinne. Es geht darum bestimmte Werte zur Grundlage einer Gesellschaft zu machen. Das Christentum macht das nur einfacher.

Zitat
Schon in der Antike haben sich christliche Denker die griechische Philosophie zu nutze gemacht.


Korrekt. Und damit hat sich vieles ins Christentum verlegt. Die Kirchengelehrten haben ja die griechische Philosophie durchaus ernst genommen und da auch gut geklaut. Nur sind solche Dinge leichter zu verbreiten, wenn man den Schachtelteufel Hölle und die Verheissung des Himmels verwendet. Ich sage ja nicht, dass das nur so geht oder das ich an die Hölle glaube. Ich sage nur, dass es funktioniert hat. Und woanders eben nicht. Die griechischen Philosophen standen ja auch anderen zur Verfügung. Aber gefruchtet hat es dort eben nicht.

Ulrich Elkmann Online




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11.05.2024 02:26
#21 RE: Grün würgt. Die evangelische Kirche Antworten

Zitat von HR2 im Beitrag #19
Zitat von Johanes im Beitrag #15


Wenn wir vom Christentum, bzw. den christlichen Wertvorstellungen, als Ursache des Erfolgs der westlichen Kultur ausgehen, dann stellen sich meines Erachtens einige Folgefragen, wie beispielsweise:
Warum waren die christlichen Byzantiner nicht ebenfalls erfolgreicher? Oder die Äthiopier?



Weil sie militärisch unterlegen waren.


Das äthiopische Christentum stellt einen Sonderfall dar: es war, nachdem der Islam im 7./8. Jhdt. über ganz Nordafrika hinweggefegt war, völlig isoliert - dermaßen isoliert, daß schon seine Existenz über das ganze Mitrelalter hindruch in Vergessenheit geraten ist (erst das Eintreffen von 2 Mönchen auf Pilgerfahrt zum Heiligen Grab 19453 hat das überhaupt wieder zu einem Gefücht werden lassen - und für die nächsten 200 Jahre galt es dann als Sitz des Priesterkönigs Johannes, nachdem in Zentralasien keine Spur von ihm zu entecken war. Äthiopien war bis Ende des 19. Jahrhunderts ein "verbotenes Königreich" - wie Nepal oder Tibet; Missionare, die sich dahi nverirrt hatten, durften in der Regel das Land nicht wieder verlassen. Es war, außer für die Geistlichkeit, auch ein Land ohne Schriftkultur: der gesmate mittelalterliche Korpus der amharischen Literatur sind gesitliche Schriften, Heiligenviten, oder Gesetzestexte. Die Ausnahme ist die Alexandergeschichte, um 1500 nach syrischem Vorbild entstanden, in der nach dem Vorbild der Alexanderviten aus Byzanz der Mazedonenkönig als christlicher Sagenheld figuriert.

Byzanz war nicht durch die Bank militärisch unterlegen. Es konnte sich immerhin ein halbes Jahrtausend als Bollwerk gegen den Islam halten. Aber es war in der Defensive. Der (brüchigen) Frieden auf dem Balkan hat nicht die militärische Stärke entschieden, sondern die Konversion der Bulgaren; aus der Missionierung der Kiewer Rus' konnte Ostrom ebenfalls keinen Nutzen ziehen (außer daß die Überfälle der Waräger ein Ende fanden). Der unaufhaltsaem Niedergang setzt spätestens nach der Eroberung durch die Kreuzfahrer im vierten Kreuzzug 1204 ein. Allerdings hat Byzanz auch niemals eine materielle oder geistige Dynamik entwickelt, die schon das europäische Hochmittelalter zeigt: die kurze Kopiertätigkeit in den 100 Jahren nach dem Ende des Ikonoklasmus, der wir fast alle erhaltenen ältesten Exemplare der griechischen Literatur verdanken, hat anders als im Humanismus zu genau keiner Folge geführt, zu keinem Kurswechel und dem Versuch, die verlorene Antike als Goldenes Zeitalter widerzubeleben. Materiell können in den 1150 Jahren byzantinischer Geschichte exakt drei (!) Innovationen vermerkt werden: die großen freitragenden Gewölbe, mit der Agia Sophia als erstem und geräumigsten Beispiel; die Erfindung des griechischen Feuers, dessen Zusammensetzung + Anwendung sich seit der Erfindung im Jahr 670 herum bis zum Ende des Reichs um kein bißchen änderte (man vergleiche das einmal mit der westlichen Entwicklung von der Erfindung des Schwarzpulvers um 1300 bis heute*. Und die Einführung der Seidenproduktion durch das Einschmuggeln von Seidenraupeneiern aus China. DAS WAR'S. Tatsächlich wurde in Byzanz das antike Erbe spätestens seit der Jahrtausendwende mit Aberglauben und Ablehnung betrachtet: die erhaltenen Statuen galten als Sitze von Dämonen.

*Ironischerweise war die Eroberung von Konstantinopel die erste militärische Entscheidung, die mit Hilfe dieses Schwarzpulvers entschieden worden ist; allerdings erfolgte der Einsatz der Kanonen auf der türkischen Seite.



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Ulrich Elkmann Online




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11.05.2024 02:45
#22 RE: Grün würgt. Die evangelische Kirche Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #20
Und auch der Skeptiker kann, wenn er ehrlich ist, die Existenz eines Schöpfers nicht wiederlegen. Er kann sich nur darauf zurück ziehen, dass er keinen Hinweis darauf sieht.

Doch, tertium datur. Allerdings in einer Weise, die für den, der sich dafür entscheidet, höchst unbefriedigend ist und gewissermaßen die Summe aus den nachteilen der beiden anderen Haltungen darstellt. Dafür hat diese Variante den Vorteil, daß sie ziemlich altehrwürdig ist und direkt auf die klassische Antike zurückgeht. Ich meine damit die epikureische Auffasung, etwas detailreicher 200 Jahre von Lukrz in "De rerum natura" ausgearetet. Demnach wird zwar die Existenz der Götter nicht bestritten - aber sie sind so weit von den irdischen Dingen (auch von den Menschen) entfernt, daß sie ken Interesse und keinen Einfluß auf das irdische Gechehen nehmen und sich um das Gewusel hier in der sublunaren Sphäre schlicht nicht interessieren. Spinoza hat eine Abwandlung davon aufgegriffen mit seinem Konzept des "deus sive natura" - daß eine göttliche Instanz, die eben hier eingreift und wirkt, auch Teil dieses Universums sein muß. Daraus folgt natürlich, daß sie auch den Gesetzen von Raum und Zeit unterliegen muß. Viele Naturwissenschaftler seit der Aufklärung haben sich die Hintertor der Annahme einer "prima causa" offengelassen, einer höheren Instanz, die "die Welt" - heute "das Universum" - angestoßen hat, aber seither auf jedes Eingreifen verzichtet - sei es, um das Experiment nicht zu stören, sei es, weil dessen Aufbau ein Hereingrabbeln von außen ausschließt. Laplaces vollkommen deterministisches Uhrwerk-Universum ist das klassische Bild dafür:

Zitat
Une intelligence qui pour un instant donné, connaîtrait toutes les forces dont la nature est animée, et la situation respective des êtres qui la composent, si d'ailleurs elle était assez vaste pour soumettre ces données à l'analyse, embrasserait dans la même formule les mouvements des plus grands corps de l'univers et ceux du plus léger atome : rien ne serait incertain pour elle, et l'avenir comme le passé, serait présent à ses yeux. (1814)



Und dann kamen Einstein, die Quantentheorie, die Chaostheorie (mit dem Dreikörperproblem als erster Knacknuß).



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Johanes Offline




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11.05.2024 12:53
#23 RE: Grün würgt. Die evangelische Kirche Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #20
Und auch der Skeptiker kann, wenn er ehrlich ist, die Existenz eines Schöpfers nicht wiederlegen. Er kann sich nur darauf zurück ziehen, dass er keinen Hinweis darauf sieht.


Er könnte mit Laplace sagen, er bedürfe dieser Hypothese nicht.

Und ein Gläubiger würde eventuell darauf verweisen, dass für ihn Gott keine Hypothese ist, um irgendwas zu erklären.

Womit wir dann wiederum am Ausgangspunkt angekommen wären.

Zitat
Aber was verständlich wird ist, DASS es einen Sinn gibt.



Ihre Aussage basiert darauf, dass so etwas wie ein Sinn nur aufgefasst werden kann als die Intention ("Aussageabsicht") des Urhebers. Oder verstehe ich Sie hier falsch?

Diese Aussage ist aber, meines Wissens, umstritten. Es gibt Personen, die das Gegenteil behaupten. Deshalb stellt sich für mich die Frage, ob man die Aussage auf noch tiefere zurückführen kann.

Zitat
Das Buch Genesis hat tatsächlich schon am Anfang einen echten Treffer: Am Anfang war das Wort.



Das ist das Evangelium nach Johannes.

Zitat
Wer an die christlichen Lehren glaubt, der glaubt auch daran, dass "richtiges Verhalten" honoriert wird, auch wenn es keiner sieht. Also verhält er sich entsprechend. Die Begründung ist kanonisch: "Gutes Verhalten->Ewiges Leben".



Ein letztendlich egoistisches Motiv.

Was übrigens bei einigen Katholiken, den Thomisten, nicht so ist.

Zitat

Zitat
1. Kapitalismus


Gibts in nicht erfolgreichen Gesellschaften auch.




Kann man auch über das Christentum sagen.

Zitat
Im Gegenteil muss man eher sagen, dass viele Länder bei ihren Kolonien ordentlich "drauf gezahlt" haben.



Wer hat draufgezahlt und womit?

Zitat
Die griechischen Philosophen standen ja auch anderen zur Verfügung. Aber gefruchtet hat es dort eben nicht.



Hier muss man fairerweise sagen, dass die Westeuropäer das Erbe der klassisch-antiken Philosophen bereitwilliger fortgeführt haben als z. B. die orthodoxen Christen oder die späteren Moslime.

Johanes Offline




Beiträge: 2.637

11.05.2024 13:12
#24 RE: Grün würgt. Die evangelische Kirche Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #18
Gerade die Reformation hat hier eine recht radikalen Keil zwischen die beiden Bereiche geschoben


Ich behaupte das Gegenteil!

Während in katholischen Gegenden die Kirche zumindest versucht hat, eine eigene Hierarchie aufzubauen, die in Rom endet (Gallikanismus, Investiturstreit, England hat päpstliche Bullen teils schlicht ignoriert), war das in protestantische Landen schlicht nicht der Fall.

Das Beispiel UK leuchtet ja quasi hervor. England ist überhaupt nur protestantisch, weil ein König sich nicht dem Scheidungsrecht des Papstes beugen wollte.
Die amerikanischen Pilgerväter sind doch in die neue Welt abgewandert, weil sie als religiöse Disseters von der Amtskirche teils mit Staatsgewalt unterdrückt wurden. Das Oberhaupt der angelikanischen Kirche ist bis heute der amtierende König oder die Königin von England. Und bedeutende Synoden usw. wurde auf Anordnung des Parlaments eingebrufen, zudem bis heute das Parlament wesentlichen Beschlüssen der Amtskirche zustimmen muss.
Die Union zwischen Lutheranern und Calvinisten wurde z. B. vom Preußenkönig angeordnet. Die Pfarrer sind in Deutschland bis heute verbeamtet.
In Schweden ist es, meines Wissens, genauso.

Wenn Sie, werter Herr @Ulrich Elkmann, es der orthodoxen Kirche zum Vorwurf machen, dass dort der Staat eine Hoheit über die Kirche hat, dann trifft das die protestantischen Gegenden auf jeden Fall auch.

Beim Katholizismus gibt es natürlich noch eine Parallelhierarchie, die beim Papst endet.

Zitat von HR2 im Beitrag #19
Weil sie militärisch unterlegen waren.


Wieso denn?

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #21
Allerdings hat Byzanz auch niemals eine materielle oder geistige Dynamik entwickelt


Zumindest bei Kuhn heißt es, dass die fliehenden griechischen Gelehrten eine Rolle bei der Renaissance gespielt haben.

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #22
Spinoza hat eine Abwandlung davon aufgegriffen mit seinem Konzept des "deus sive natura"


Was ja grade nicht die Existenz eines Schöpers widerlegt. Im Gegenteil, aus Spinozas Ethik lässt sich die Existenz eines Gottes als Lehrsatz ableiten.
Nur ist eben der Pantheismus, wie die Lehre vom "Uhrmachergott", eine mehr philosophische Konzeption, aus der sich keine religiöse Praxis ableiten lässt. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass da im Laufe der Kulturgeschichte noch was kommt, aber trennen die meisten Auffassungen Gott von der Welt.

(Whitehead soll es aber geschafft haben, "Prozesstheologie"...)

Wie lange wird uns das Denken wohl noch erlaubt bleiben?

Morn Offline




Beiträge: 173

12.05.2024 14:30
#25 RE: Grün würgt. Die evangelische Kirche Antworten

Zitat von Johanes im Beitrag #23
Wer hat draufgezahlt und womit?

Zitat:
"Die Gummiexporte wurden zusammen mit dem Kakao die Haupteinnahmequelle von Deutsch-Kamerun. Trotzdem machte das gesamte Handelsvolumen aller deutschen Kolonien nie mehr als 0,5 Prozent des gesamten Handels des Deutschen Reiches aus.
Der Kolonialismus hatte also im Grunde kaum wirtschaftliche Vorteile für das Reich." William Henderson, Studies in German Colonial History (1962)
Zwei Wirtschaftshistoriker schrieben: "Wenn man das deutsche Kaiserreich rein nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten analysiert hätte, hätte das Deutsche Reich es noch vor dem Ende des Ersten Weltkrieges verkaufen oder wegtauschen sollen" Arthur Knoll und Herman Hiery, The German Colonial Experience: Select Documents on German Rule in Africa (2010)
Bruce Gilley 2021

Möglicherweise gilt das auch nur für die Kolonien des Deutschen Reiches (ca. 2 % Anteil an Kolonien).

Gruß
Morn <><
______________________________________
Das Nervigste an der Meinungsfreiheit wird schon bald das Aufräumen nach der Hausdurchsuchung sein. (Julian Reichelt)

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