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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
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Christoph Offline




Beiträge: 241

05.05.2013 18:46
#101 RE: Ziviler Ungehorsam Antworten

Lieber Paul,

Zitat von Paul im Beitrag #97
Tut mir leid, lieber Christoph, aber "monströs" ist der Fall Gäfgen nun wirklich nicht.
http://www.duden.de/rechtschreibung/monstroes


das Wort »monströs« gibt nur meinen subjektiven Eindruck wieder. Der kann durchaus falsch sein, weil ich eben die anderen x Fälle von Kindesentführungen gar nicht kenne. Verglichen mit den Fällen Fritzl oder Kampusch ist es sicherlich nicht monströs. Allerdings wird man kaum einen »richtigen« Vergleichsrahmen für solche Taten finden. Wenn ich mich nun frage, wieso der Fall so viel mehr Aufsehen erregt, als andere »ganz normale Entführungen«, fallen mir folgende Punkte ein, die die Entführung von einer »normalen« Kindesentführung aus Habgier unterscheiden:
- Das Opfer stammte aus einer bekannten Familie
- Die Folterdrohung der Polizei
- Gäfgens Selbstdarstellung als Opfer, seine Versuche eine eigene Stiftung zu gründen
- Gäfgen tötete das Kind vorsätzlich und forderte danach Lösegeld
- Gäfgen war mit der Familie von Metzler bekannt, missbrauchte also das Vertrauen des Kindes
- Im Polizei-Gewahrsam behauptete Gäfgen, das Kind sei noch am Leben, nannte einen falschen Ort als Versteck und bezichtigte unschuldige Bekannte der Mittäterschaft

Die letzten vier Punkte haben mich wohl zu dem Eindruck verleitet, dass es sich hier um ein monströses Verbrechen handle.

Zitat
Er ist viel mehr eine ganz normale Entführung mit Lösegelderpressung.


»Ganz normal« scheint mir der Fall allerdings auch nicht zu sein.

Zitat
Kann es sein, dass Sie Ihrer Auffassung durch geeignete Wortwahl untermauern wollen?


Nein. Ich versuche pointiert zu formulieren, aber in der Sache unbedingt redlich zu bleiben.

Zitat
Ich denke nicht, dass dies irgend jemand möchte.
Das Ziel muss es aber sein, das Recht, die Gesetze, auf der Grundlage von Einzelfällen weiter zu entwickeln. Es vollkommener zu machen. Vollkommenheit ist nicht erreichbar.



Das sehe ich anders, denn so hinge die Gesetzgebung davon ab, welche Einzelfälle man sich zur »Weiterentwicklung« aussucht. Ein Einzelfall kann natürlich Diskussionen anstoßen, wie dieser Thread beweist.
Ich glaube allerdings, dass sich die Gesetzgebung schon zu sehr an Einzelfällen orientiert.

Viele Grüße,
Christoph

Reisender ( gelöscht )
Beiträge:

05.05.2013 21:42
#102 RE: Ziviler Ungehorsam Antworten

Zitat von Paul im Beitrag #96

Nebenschauplatz:
"Dass er (Hoeness) ein Steuerhinterzieher ist, wissen wir ja."
Wer ist "Wir"? Sie wissen es? Ich nicht! Woher wissen Sie es? Ist Hoeness gerichtlich überführt? Solange er das nicht ist, ist er ein Verdächtiger und kein überführter Täter! Wegen der Unschuldsvermutung! Die gilt immer und für Alle!


Das war ironisch gemeint. Ich werde in Zukunft daran denken, Ironie als solche zu kennzeichnen, wenn es missverständlich sein könnte. Danke für den Hinweis.

Zitat von Paul im Beitrag #96
Zitat von Reisender im Beitrag #89

...Das Erpressen von Erkenntnissen mittels Folter wie im Fall Gäfgen halte ich für falsch:


Ein ehrenwerter Standpunkt, den man vertreten kann.

Allerdings ist es bei Gäfgen noch nicht so weit gewesen.

Ihm wurde die Folter nur angedroht. Das halte ich für richtig.


Und Gäfgen scheint die Drohung ernst genommen zu haben. Wo ist der Unterschied, soll am riskieren zu erfahren, wie ernst es der Drohende meint?


Zitat von Paul im Beitrag #96

...Grundrechte können unter bestimmten Bedingungen auch heute schon aufgehoben oder eingeschränkt werden.

Mir ginge es darum, dass die gesetzlichen Möglichkeiten, unter bestimmten Bedingungen Druck auf den Verdächtigen ausüben zu können, geschaffen werden.


Wenn ich Sie richtig verstanden habe, halten Sie in besonderen Fällen Folter bzw. die Androhung von Folter für legetim. So wie im Fall Gäfgen könnte ja ein Leben gerettet werden. Das ist ein Thema, worüber ich mir oft Gedanken mache.

Als erstes bestimmt man also jemanden dazu, den Folterjob zu übernehmen. Per Amt sozusagen. Ich finde es falsch, einem Menschen die Aufgabe foltern aufzuzwingen.

Auch die Argumentation, man selbst würde so handeln, ist für mich nicht schlüssig. Die meisten "normalen" Menschen sind nicht dazu in der Lage. Genauso, wie in einem Gefecht nicht alle Rekruten ihre Waffen auch wirklich benutzt haben sollen. Sie hatten Angst. Wir wissen aber, was Menschen tun können, wenn sie ihre Angst überwunden haben und noch in einer Gruppe sind.

Daschner war vielleicht der Klügste, aber nicht der Erste, der sich fragte, ob man zur Erreichung von Zielen foltern dürfe. Kann man Rockern vertrauen, sind sie ehrenwert? Ich vermute, dass die meisten hier das nicht so sehen. Doch Polizei und Rocker sind sich sehr ähnlich. In beide Organisationen geht man freiwillig. Sie haben Uniformen, Ehrenkodexe, manche ähnliche Vorstellungen von Ehre und Gerechtigkeit und wie diese erlangt werden. Beide Gruppen sind in der Lage, ihre Interessen (rabiat, rücksichtslos) durchzusetzen. Und doch haben sich Polizisten für das Grundgesetz entschieden. Manches Mal, vor allem wenn es emotional wird, ist der Grat, auf dem die Sache entgleiten kann, sehr schmal. Eine Sicherung sind Gesetze. Diese sollte man nicht unbedacht abschaffen. Wo bleibt sonst der Unterschied?

Paul Offline




Beiträge: 1.285

06.05.2013 00:21
#103 RE: Ziviler Ungehorsam Antworten

Zitat von Reisender im Beitrag #102

Wenn ich Sie richtig verstanden habe, halten Sie in besonderen Fällen Folter bzw. die Androhung von Folter für legetim. So wie im Fall Gäfgen könnte ja ein Leben gerettet werden. Das ist ein Thema, worüber ich mir oft Gedanken mache.


Lieber Reisender, ich befürchte Sie haben mich nicht richtig verstanden.
Natürlich ist dies gegenwärtig nicht legitim.


Zitat von Paul im Beitrag #96
Mir ginge es darum, dass die gesetzlichen Möglichkeiten, unter bestimmten Bedingungen Druck auf den Verdächtigen ausüben zu können, geschaffen werden.


Es kann auch sein, dass ich mich etwas missverständlich ausgedrückt habe.

Gegenwärtig ist die Androhung von Folter gesetzlich nicht gedeckt, also nicht legitim.

Ich nmöchte gerne, dass ernsthaft darüber nachgedacht wird, ob man diesen Zustand nicht verändern kann.

Wünschen würde ich mir, dass gesetzlich geregelt wird, dass unter bestimmten Bedingungen die Androhung von Gewalt und auch deren Anwendung gestattet werden.
Art und Umfang müssen gesetzlich geregelt werden. Auch die Modalitäten der Durchführung.

Auf Ihre Polemik am Ende Ihres Kommentars gehe ich nicht weiter ein.

MfG, Paul

ungelt Offline



Beiträge: 119

06.05.2013 10:31
#104 RE: Schleyer-Preis für Helmut Schmidt Antworten

Zitat von Christoph
Jakob von Metzler ist Herrn Gäfgen zum Opfer gefallen und niemandem sonst.

Zitat von ungelt
Ist das die Antwort auf diese meine Bemerkung?

Zitat von ungelt
....


Zitat von Christoph
Nein. Es ist die Antwort auf diese Ihre Bemerkung.

Zitat von ungelt
Die "Grundsätze des Rechtsstates" kann man sicher nicht dadurch verteidigen, daß man sich über "süßen kleinen Kinder" lustig macht, die diesen Grundsätzen möglicherweise zum Opfer fallen.



Ich muß dazu wohl meine "Weltsicht" erklären, die zu Ihrer wohl nicht ganz kompatibel ist.

Es gibt zunächst Unumgängliches - Naturkatastrophen, Leute die irgendwann ausrasten, Verbrecher der Art wie es Gäfken ist usw. Das muß akzeptiert werden, auch wenn man sich natürlich bemüht und bemühen muß das zu minimieren. Es wird aber nie gelingen, das vollständig zu vermeiden. Die Begriffe in diesem Bereich sind klar, ein Opfer von Gäfken ist ein Opfer von Gäfken und Gäfken ist dafür voll Verantwortlich. (Ich nenne diesen Bereich mal "Bereich 1".)

Daneben gibt es aber einen zweiten Bereich, den der "vernünftigen Menschen" bzw. derer, die versuchen es zu sein. Diese Leute versuchen u.A. mit dem ersten Bereich umzugehen, dessen Folgen zu minimieren und eine gerechte Organisation der Dinge zu bewirken. Hier passieren aber auch Fehler, trotz aller Bemühungen. Das ist ebenfalls unumgänglich, es liegt in der menschlichen Natur. Keiner ist allwissend, absolut ideologiefrei und gegen jeden Denkfehler gewappnet. Auch in diesem Bereich gibt es daher Verantwortlichkeiten und leider auch die dazugehörigen "Opfer". Auch wenn es natürlich eine vollkommen andere Ebene ist - die Akteure in diesem zweiten Bereich müssen sich meiner Überzeugung nach am eigenen Anspruch messen lassen.

Ich hoffe, daß ich die beiden Bereiche so einvernehmlich definiert habe. Die Begriffe "Täter" und "Opfer" und "Verantwortung" sind innerhalb des ersten Bereiches eindeutig. Wie gehen wir aber mit dem zweiten Bereich um? Gibt es da keine Verantwortung, nur weil die ja bereits im ersten Bereich definiert ist? Gibt es keine "Opfer" von Regelungen, die in dem zweiten Bereich ersonnen wurden?

Ich sehe keine anderen sinnvollen Begriffe, die dafür verwendet werden könnten. Dennoch gibt es diese Tatbestände für mich aber zweifellos. Wenn z.B. Gewaltverbrecher auf die Menschheit losgelassen werden die umgehend neue Taten begehen, dann gibt es die einfach - die Täter und Opfer "der zweiten Art", ganz unabhängig von den Tätern ond Opfern "der ersten Art".

Ich gehe natürlich davon aus, daß wir hier im Zimmer alle dem zweiten Bereich angehören und bin bisher auch davon ausgegangen, daß hier diese zwei Ebenen nicht vermischt oder verwechselt werden. Es ist aber leider der Fall, wie diese Diskussion gezeigt hat. Ich hoffe sehr, daß es dennoch eine Möglichkeit gibt, diese Dinge zu diskutieren. Muß man zu jedem Kommentart am Anfang einen Absatz einfügen, der diesen Sachverhalt erklärt? Brauchen wir neue Begriffe? Ich hoffe auf Vorschläge.

Gruß Ungelt

Reisender ( gelöscht )
Beiträge:

06.05.2013 10:35
#105 RE: Ziviler Ungehorsam Antworten

Zitat von Paul im Beitrag #103

Gegenwärtig ist die Androhung von Folter gesetzlich nicht gedeckt, also nicht legitim.


Wenn in einem Gesetz die Erlaubnis dazu stünde, ist es in Ordnung, Menschen zu quälen? (Eine Androhung von Folter kann nur erschrecken, wenn der Betroffene von der folgenden Folter überzeugt ist)

Zitat von Paul im Beitrag #96
Wünschen würde ich mir, dass gesetzlich geregelt wird, dass unter bestimmten Bedingungen die Androhung von Gewalt und auch deren Anwendung gestattet werden.
Art und Umfang müssen gesetzlich geregelt werden. Auch die Modalitäten der Durchführung.


...über das jetzt schon statthafte Maß hinaus. Gut. Für welche Taten könnte welche Foltermethode angemessen sein? Sollte man Abstufungen festlegen von nicht ganz lieb bis hin zu sehr böse? Wer soll festlegen, was richtig oder falsch ist? Was kostet ein Leben oder die Gesundheit bzgl. des Schadenersatz, falls aus Versehen der Falsche zum Reden überredet werden sollte?

Wer soll die Folter durchführen? Die Fordernden machen es meist nicht selbst. Muss man bedenken, dass nicht nur Folteropfer sich psychisch verändern können, sondern auch die Folterer? Was werden beide dann von ihrem neuen Standpunkt aus ihren Kindern als Erkenntnis mitgeben?

Zitat
Das Ziel muss es aber sein, das Recht, die Gesetze, auf der Grundlage von Einzelfällen weiter zu entwickeln. Es vollkommener zu machen. 97



Ein auf Gewalt beruhendes und damit gegen den Menschen gerichtetes vollkommenes Recht kann es nicht geben. „Wenn Du nicht tust, was ich Dir sage, dann werde ich…“ Diese Form der Gewalt ist immer ein Ausdruck von Hilflosigkeit, dass man die Situation nicht unter Kontrolle hat.
In den 10 Geboten stehen Empfehlungen, welche zu einem friedlichen Miteinander führen könnten. In den heiligen Büchern der Welt und den StGB’s steht, wie man leben soll und welche Strafen es für das Missachten der Ratschläge gibt. Es hat nichts genutzt. Und nun soll das hinzufügen von Folter eine Wende bringen?

Llarian Offline



Beiträge: 6.920

06.05.2013 19:36
#106 RE: Ziviler Ungehorsam Antworten

Zitat von Paul im Beitrag #103
Gegenwärtig ist die Androhung von Folter gesetzlich nicht gedeckt, also nicht legitim.
Ich nmöchte gerne, dass ernsthaft darüber nachgedacht wird, ob man diesen Zustand nicht verändern kann.
Wünschen würde ich mir, dass gesetzlich geregelt wird, dass unter bestimmten Bedingungen die Androhung von Gewalt und auch deren Anwendung gestattet werden.
Art und Umfang müssen gesetzlich geregelt werden. Auch die Modalitäten der Durchführung.

Ich kann nur schlecht ausdrücken wie erschocken ich über solche Worte bin. Und ich frage mich ernsthaft, lieber Paul, wie es sein kann, dass Sie so wenig aus den beiden Diktaturen auf deutschem Boden mitgenommen haben, dass Sie tatsächlich auf die Idee kommen, Folter könne legitim sein. Ich fasse es wirklich kaum. Es ist schwierig auf solche Aussage zu reagieren, ohne polemisch zu werden, ich will es dennoch versuchen. Naja, zumindest ein bischen.

Zunächst: Folter ist nie legitim, daran ändern auch der gesetzliche Rahmen nichts. Die Nazis wie die Kommunisten haben auch Menschen im Rahmen ihrer Gesetze ermordet, legitim wurde es dadurch nicht. Das ist Aspekt Nummer eins.

Aspekt Nummer zwei ist, dass es gegen diese Ideen aus gutem Grund ein Widerstandsrecht gibt. Und jetzt werde ich wieder ein bischen polemisch: Ich betrachte diesen Widerstand als geboten. So lange er mit rechtlichen Mitteln möglich ist, so lange er mit demokratischen Mitteln möglich ist, und schlussendlich sogar mit Gewalt, wenn andere Abhilfe nicht mehr möglich. So lange ich Teil dieses Landes bin, fühle ich mich seiner Verfassung verpflichtet, den Grundrechten verpflichtet und sehe das Recht auf Widerstand gegen jeden, der versucht diese Ordnung zu beseitigen (siehe Artikel 20). Das schreibe ich weniger um besonders polemisch zu sein, ich schreibe es, um Ihnen bewusst zu machen wie ernst diese Idee ist, die Sie da formulieren und wie drastisch falsch die Idee dieser Umsetzung bewertet werden kann. Anders gesagt: Die Idee hat Potential zu einem Bürgerkrieg. Und das ist nicht eben so dahingesagt.

Der dritte Aspekt schliesslich ist, dass ich mich frage, welcher Glaubensrichtung Sie sich zuordnen, lieber Paul. Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand der an ein höheres Wesen, eine höhere Ethik oder eine christliche Vorstellung glaubt, ernsthaft auf die Idee kommen kann, einen Menschen vorsätzlich zu quälen.

ungelt Offline



Beiträge: 119

06.05.2013 20:38
#107 RE: Ziviler Ungehorsam Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #106
Der dritte Aspekt schliesslich ist, dass ich mich frage, welcher Glaubensrichtung Sie sich zuordnen, lieber Paul. Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand der an ein höheres Wesen, eine höhere Ethik oder eine christliche Vorstellung glaubt, ernsthaft auf die Idee kommen kann, einen Menschen vorsätzlich zu quälen.


Ich kann und möchte als Agnostiker darauf antworten: Ich kann und will mir das auch nicht vorstellen. Ebensowenig kann und will ich mir aber vorstellen bei einem langsamen oder schnellen Tod eines dritten Menschen zuzusehen, ohne den potentiellen Mörder daran wirksam zu hindern. Wenn ein Ausweg nur um den Preis einer körperlichen oder seelischen Beschädigung des Angreifers zu haben ist, dann sehe ich für mich privat keinen anderen Weg. Und ich würde es hoffentlich tun, obwohl ich mir das heute nicht vorstellen kann und will.

Könnten Sie dabei zusehen? Welchen Ausweg schlagen Sie vor?


PS: Zusatzfrage eines angelernten Deutschsprachlers: "Quälen" klingt für deutsche Ohren meinem Eindruck nach sehr schlimm, vielleicht sogar schlimmer als "ermorden" oder "töten". Gibt es das - daß bestimmte Begriffe so besetzt sind, daß man nur entsetzt reagieren kann?

Bei mir verbindet sich mit dem Begriff auch, wie sich die Radsportler die Alpenpässe hinaufquälen, die Kinder mit ihren Schulaufgaben usw. Ist das ein anderes Quälen? Und wie sind die Qualen der Eltern eines ermordeten Kindes? Weniger schlimm als watherboarding? Ich wäre wirklich froh, wenn mir das einmal einer gut erklären könnte.

Herzlich, Ungelt

EDIT: Grammmmatick und ein "?"

Llarian Offline



Beiträge: 6.920

06.05.2013 21:00
#108 RE: Ziviler Ungehorsam Antworten

Zitat von ungelt im Beitrag #107
Ich kann und möchte als Agnostiker darauf antworten: Ich kann und will mir das auch nicht vorstellen.

Was man fordert muss man sich auch vorstellen können. Ich weiss nicht was Sie fordern, nur was Paul gefordert hat.

Zitat
Ebensowenig kann und will ich mir aber vorstellen bei einem langsamen oder schnellen Tod eines dritten Menschen zuzusehen, ohne den potentiellen Mörder daran wirksam zu hindern. Wenn ein Ausweg nur um den Preis einer körperlichen oder seelischen Beschädigung des Angreifers zu haben ist, dann sehe ich für mich privat keinen anderen Weg.


Wenns denn so einfach wäre. Nur ist diese Lehrbuchsituation eben auch keine besonders reale. Zu wissen wann jemand schuldig ist, ist ziemlich schwierig, "Justizirrtümer" gibts landauf, landab, und auch jede Menge davon haben gestanden. Zu wissen wer der Angreifer ist, ist bestenfalls problematisch. Aber eins ist klar, einen Unschuldigen foltern zu wollen ist ein Angriff.

Zitat
Könnten Sie dabei zusehen? Welchen Ausweg schlagen Sie vor?


Den des Rechtsstaates.
Im Falle eines Mörder ist es verständlich, dass Angehörige denjenigen umbringen wollen. Aber das ist (in der Regel) nicht der Weg des Rechtsstaates. Wenn ein Mensch einem anderen das Auge raushaut, dann ist es der Wunsch des Geschädigten, dem Täter wenigstens das Auge zu nehmen. Aber das ist nicht der Weg des Rechtsstaates. Ein vergewaltigter Mensch wünscht sich auch oft, dass dem Täter Gewalt angetan wird. Aber das ist nicht der Weg des Rechtsstaates. Will sagen: Es ist aus "privater" Sicht immer nachvollziehbar, dass man töten will, Gewalt ausüben will, foltern will, etc. etc. etc. Alles absolut richtig. Aber das IST nicht der Weg des Rechtsstaates. Der Rechtsstaat ist das was uns von der Barbarei unterscheidet. Und einen Menschen foltern zu wollen ist barbarisch. Wir geben uns selber als Menschen auf, als Anhänger des Rechtsstaates, ja auch als Christen, wenn wir dazu greifen. Und dieser Verlust ist als Gesellschaft sehr, sehr hoch, nach meiner Meinung viel zu hoch. Es ist der Kern dessen was westliche Gesellschaften von anderen unterscheidet. Sehen Sie sich mal Staaten an die foltern. Und in diese Gesellschaft wollen wir ernsthaft zurück ? Ist das der Ausweg ?

Zitat
Bei mir verbindet sich mit dem Begriff auch, wie sich die Radsportler sie Alpenpässe hinaufquälen, die Kinder mit ihren Schulaufgaben usw. Ist das ein anderes Quälen? Und wie sind die Qualen der Eltern eines ermordeten Kindes? Weniger schlimm als watherboarding? Ich wäre wirklich froh, wenn mir das einmal einer gut erklären könnte.


Semantisch kennt das Quälen sicher verschiedene Zusammenhänge, ersatzweise frage man einen Duden. Aber man frage sich ferner ob sich Eltern eines ermodeten Kindes wirklich besser fühlen, wenn jemand nur ordentlich "gewaterboardet" wird. Vor allem wenn sich herausstellt, dass der völlig unschuldig ist.

Solus Offline



Beiträge: 384

06.05.2013 21:12
#109 RE: Ziviler Ungehorsam Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #106
Der dritte Aspekt schliesslich ist, dass ich mich frage, welcher Glaubensrichtung Sie sich zuordnen, lieber Paul. Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand der an ein höheres Wesen, eine höhere Ethik oder eine christliche Vorstellung glaubt, ernsthaft auf die Idee kommen kann, einen Menschen vorsätzlich zu quälen.

Wenn es den tatsächlichen Täter trifft: Strafe Gottes und eine Gelegenheit zur Sühne. Wenn es den falschen trifft: Nun, Gottes Wege sind unergründlich.
Das ist, soweit mir erinnerlich, in stark vereinfachter Form zumindest einer der Wege, mit dem Folter (und Todesstrafe) früher begründet wurden. Und das waren damals doch, denke ich, größtenteils Christen, die hier in Deutschland lebten. Vor, sagen wir mal, 200 Jahren. Was jetzt nicht so sehr lange her ist. Insofern habe ich da wenig Probleme, mir das vorzustellen.
Was die höhere Ethik anbelangt, verweise ich mal auf die Kommunisten, die ja im wesentlichen genau das für sich in Anspruch genommen haben - das Ergebnis ist bekannt.

ungelt Offline



Beiträge: 119

06.05.2013 21:22
#110 RE: Ziviler Ungehorsam Antworten

Hallo Larian,

ich habe in meinem Kommentar überhaupt nicht von Rache gesprochen, es tut mir leid, falls ich mich nicht deutlich genau ausgedrückt habe. (Ich denke aber, daß ich das schon tat.)

Ich habe Sie gebeten mir darauf zu antworten, wie sie persönlich reagieren würden, wenn sie z.B. die unmittelbare Ermordung eines Dritten nur durch Gewalt verhindern könnten. Oder eine Vergewaltigung. In einer klaren übersichtlichen Situation. Da steht einer mit einem Messer an der Kehle eines wehrlosen anderen Menschen da. Diese Antwort hätte ich doch sehr gerne.

Auch das waterboarding habe ich natürlich nicht als Rachemaßnahme für eine verübte Tat angesprochen, sondern ausschließlich als mögliches Mittel zur Verhinderung einer Tat. Ich wollte wissen, wie Sie des Ausmaß der Qualen bei dem Verlust eines Kindes und bei waterboarding im Vergleich sehen. Mit der Semantik kommen wir da jedenfalls nicht weiter, allenfalls mit Psychologie oder eigenen Erlebnissen.

Herzlichen Gruß, Ungelt

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

06.05.2013 22:08
#111 RE: Ziviler Ungehorsam Antworten

Zitat von ungelt im Beitrag #110
Da steht einer mit einem Messer an der Kehle eines wehrlosen anderen Menschen da. Diese Antwort hätte ich doch sehr gerne.


Lieber Ungelt, lieber Llarian,

ich hoffe, Sie gestatten, dass ich mich in Ihre Diskussion einmische.

Im zitierten Fall ist eigentlich alles klar: Hier ist man durch Nothilfe gerechtfertigt, wenn man den Angriff des Messerstechers mit den erforderlichen Mitteln abwehrt. Dies stellt aber keine Folter dar.

Das nach der (mE völlig zutreffenden) Rechtsprechung des EGMR absolut und uneingeschränkt geltende Folterverbot, wie es in Art. 3 EMRK festgehalten ist, richtet sich an den Staat und will verhindern, dass dieser die ihm eigenen Machtmittel einsetzt, um aus einem Beschuldigten Informationen, insbesondere ein Geständnis, herauszupressen. Es kann dabei nicht darauf ankommen, ob sich später die Schuld oder Unschuld des Beschuldigten herausstellt. Denn es darf in einem Rechtsstaat auch niemand dazu verhalten werden, sich selbst zu bezichtigen: Als Beschuldigter muss man lügen dürfen.

Eine ganz andere Frage ist natürlich, wie man eine Folterandrohung wie im Fall Daschner/Gäfgen sanktioniert. Dass sich Daschner hier in einer - verzeihen Sie den unpassenden Ausdruck - Lose-lose-Situation befand und dass es, soweit ich mich recht erinnere, sein eigener Aktenvermerk war, der die Folterandrohung überhaupt ruchbar werden ließ, musste strafmildernd berücksichtigt werden. Ich würde es auch nicht wagen, über Daschner moralisch den Stab zu brechen. Ich kann das Ergebnis seiner Güterabwägung sogar nachvollziehen. Aber unser freiheitlicher Rechtsstaat durfte diese Folterandrohung nicht dulden.

Reisender ( gelöscht )
Beiträge:

06.05.2013 23:24
#112 RE: Ziviler Ungehorsam Antworten

Zitat von ungelt im Beitrag #107
Ich kann und möchte als Agnostiker darauf antworten: Ich kann und will mir das auch nicht vorstellen. Ebensowenig kann und will ich mir aber vorstellen bei einem langsamen oder schnellen Tod eines dritten Menschen zuzusehen, ohne den potentiellen Mörder daran wirksam zu hindern. Wenn ein Ausweg nur um den Preis einer körperlichen oder seelischen Beschädigung des Angreifers zu haben ist, dann sehe ich für mich privat keinen anderen Weg. Und ich würde es hoffentlich tun, obwohl ich mir das heute nicht vorstellen kann und will.

Könnten Sie dabei zusehen? Welchen Ausweg schlagen Sie vor?


Vorab: Es gibt sicher immer wieder spektakuläre Straftaten. Es gibt auch Straftaten, von denen man meint, es würden immer mehr. Die Ersten sind selten. Die Zweiten eigentlich auch. Was sind 100 Tageswohnungseinbrüche in einer Stadt mit 25ooo Einwohnern? Man wir nie alle Straftaten vorbeugen, verhindern oder aufklären können. Manche Täter werden nie bestraft werden. Die Dunkelziffer bei Mord soll sehr hoch sein. Ich denke, dass die Wahrnehmung einem einen Streich spielt. Wir leben grundsätzlich in einem sicheren Land (auch, wenn es potenziell unsichere Gegenden gibt).

Als nächstes muss man unterscheiden, ob man einen Täter bei Begehung einer Straftat antrifft. Z.B. bei Begehung eines Mordes, einer Vergewaltigung oder eines simplen Raubes in diesem Augenblick. Hier gibt es eine ganz klare Regelung der Notwehrrechte. Das heißt, zum Schutz des eigenen Lebens (auch von Gesundheit und Eigentum) oder das eines Dritten ist eine angemessene Gegenwehr erlaubt. Die Notwehr kann auch die Tötung des Täters bedeuten.

Worum es hier ursprünglich ging, war, ob es angemessen sein kann, Aussagen mittels der Androhung von Gewalt / Folter zu erzwingen. Bei Gäfgen hätte die Folter nichts bewirkt, da das Kind schon verstorben war. Wäre es noch am Leben gewesen, hätte er vermutlich (durch Beeinflussung eines psychologisch geschickten Kriminalisten) den Aufenthaltsort angegeben. Gäfgen war zu diesem Zeitpunkt offenbar Beschuldigter der Entführung. Es hätte für ihn einen wesentlichen Unterschied gemacht, wegen Mordes oder nur der Entführung verurteilt zu werden. Folter war also unzweckmäßig. Die Tat war nicht zu verhindern (hinzu kam die Bekanntschaft von Opfer und Täter, das Opfer konnte den Täter benennen).

Ich vermute, dass die meisten anonymen Entführer auch nur Geld, aber keine Mörder werden wollen.

Druck kann man auch ausüben, wenn man Beschuldigten ihre Situation und die möglichen Tatfolgen erklärt und wie sie selbst beides beeinflussen können. Oder man suggeriert ihnen die Möglichkeit. Wobei man hier schon wieder „nötigen“ könnte.

Nun meine Frage, wieviele ähnliche Straftaten es gab? Viele sind es sicher nicht. Dafür sollte man kein funktionierendes Rechtssystem aufgeben. Missbrauch oder vermeintliche Unzulänglichkeiten sind die Aufgabe des Rechtschutzes nicht wert. Das könnte die Folge sein. http://www.spiegel.de/panorama/fall-metz...n-a-245263.html


Zitat
Und wie sind die Qualen der Eltern eines ermordeten Kindes? Weniger schlimm als watherboarding? Ich wäre wirklich froh, wenn mir das einmal einer gut erklären könnte.



Ich könnte mir vorstellen, dass ein erfolgloses waterboarding oder die spätere Tötung bzw. Verletzung des Täters (also [lange] nach der Tat) diese für immer in das Innere einbrennen. Das könnte ständiges Leiden bedeuten.

Ein „erfolgreiches“ waterboarding dürfte es kaum geben. Auch hier wäre es vergeblich gewesen. http://www.focus.de/politik/deutschland/...aid_168167.html

ungelt Offline



Beiträge: 119

06.05.2013 23:53
#113 RE: Ziviler Ungehorsam Antworten

Sehr geehrter Noricus,

ich bedanke mich für fachgerechte Hilfe und versuche es um so laienhafter zu kommentieren.

Zitat von Noricus im Beitrag #111
Im zitierten Fall ist eigentlich alles klar: Hier ist man durch Nothilfe gerechtfertigt, wenn man den Angriff des Messerstechers mit den erforderlichen Mitteln abwehrt. Dies stellt aber keine Folter dar.
Mir war schon irgendwie instinktiv klar, daß der geschilderte Fall mit Folter nichts zu tun hat. Ich wollte einfach wissen, wie weit Llarians Gewaltablehnung geht. Wenn er diese Nothilfe abgelehnt hätte, wäre es ja sinnlos geworden mit ihm über weniger eindeutige Fälle zu reden. Nicht daß man mich falsch versteht: auch eine solche Position wäre natürlich absolut legitim. Nur wäre es dann wie wenn man mit einem Vegetarier die beste Zubereitung von Cili con Carne diskutieren möchte. Außerdem versuche ich mich dem strittigen Punkt immer von den für beide Seiten konsensfähigen Randpositionen her zu nähern und das hätte ein solcher Startpunkt sein können.

Zitat von Noricus im Beitrag #111
Das nach der (mE völlig zutreffenden) Rechtsprechung des EGMR absolut und uneingeschränkt geltende Folterverbot, wie es in Art. 3 EMRK festgehalten ist, richtet sich an den Staat und will verhindern, dass dieser die ihm eigenen Machtmittel einsetzt, um aus einem Beschuldigten Informationen, insbesondere ein Geständnis, herauszupressen. Es kann dabei nicht darauf ankommen, ob sich später die Schuld oder Unschuld des Beschuldigten herausstellt. Denn es darf in einem Rechtsstaat auch niemand dazu verhalten werden, sich selbst zu bezichtigen: Als Beschuldigter muss man lügen dürfen.
Das ist für mich sehr gut nachvollziehbar, sofern keine "Nothilfe" im Spiel ist. Ob es in einer bestimmten Situation der Fall sein kann, wäre der für mich interessanteste Punkt. (Weil das ja gerade in Daschners Fall u.U. so war.) Es ging mir aber grundsätzlich eher nicht darum, wie die aktuelle Gesetzeslage heute ist, sondern wie sie u.U. idealerweise sein sollte.

Zitat von Noricus im Beitrag #111
Eine ganz andere Frage ist natürlich, wie man eine Folterandrohung wie im Fall Daschner/Gäfgen sanktioniert. ... Ich kann das Ergebnis seiner Güterabwägung sogar nachvollziehen.
Volle Zustimmung natürlich.

Zitat von Noricus im Beitrag #111
Aber unser freiheitlicher Rechtsstaat durfte diese Folterandrohung nicht dulden.
Bei aktueller Gesetzeslage offenbar nicht, obwohl ich es nicht ganz verstehe: Warum verletzt bereits eine solche Drohung das Verbot der Folter? Der Beschuldigte darf lügen, das Vernehmumgspersonal muß aber stets mit offenen Karten spielen? Sogar wenn "Nothilfe" im Spiel ist, also das Leben eines Dritten gefährdet ist? Das kommt wohl nicht nur mir fragwürdig vor, und deswegen weckt dieser Fall auch solche Emotionen.

Ich muß an dieser Stelle wieder mein vielleicht schon bekanntes Klagelied anstimmen: Ich habe den Vedacht, daß es der Erfinder des Gesetzes hier wieder besonders gut, perfekt, deutsch eben, machen wollte. So perfekt, daß es beständig den Unmut von nicht in solchen Kategorien denkenden Leuten weckt und so (natürlich ohne es zu wollen) den Boden für das nächste Wellental vorbereitet. Übertreibungen in der einen Richtung führen meiner Überzeugung nach früher oder später zwangsläufig zu Übertreibungen in der anderen Richtung.

Herzlich, Ungelt

PS: Hallo Reisender, ich bitte um Entschuldigung, ich schaffe es wohl weder heute noch morgen zu antworten, und übermorgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus...

Llarian Offline



Beiträge: 6.920

07.05.2013 00:09
#114 RE: Ziviler Ungehorsam Antworten

Zitat von ungelt im Beitrag #110
Ich habe Sie gebeten mir darauf zu antworten, wie sie persönlich reagieren würden, wenn sie z.B. die unmittelbare Ermordung eines Dritten nur durch Gewalt verhindern könnten. Oder eine Vergewaltigung. In einer klaren übersichtlichen Situation. Da steht einer mit einem Messer an der Kehle eines wehrlosen anderen Menschen da. Diese Antwort hätte ich doch sehr gerne.

Diese Antwort können Sie gerne haben, lieber ungelt, aber ich fürchte Sie hat mit unserer Diskussion nur am Rande zu tun. Einen Teil der Antwort haben schon andere weiter oben gegeben, die unmittelbare Tat mit Gewalt (was zunächst mal keine Folter ist) zu verhindern fällt unter den Bereich Notwehr. Den zweiten Teil der Antwort muss man dahin geben, dass ICH persönlich nicht der Rechtsstaat bin. Wenn jemand meiner Familie etwas tut, dann bringe ich den um. Und wenn jemand meiner Familie etwas getan hat, dann tu ich das auch. Nur wie gesagt, ich bin nicht der Rechtsstaat. Was ich aus meiner persönlichen Sicht tue, kann nicht die Leitlinie eines Rechtsstaates sein.

Zitat
Auch das waterboarding habe ich natürlich nicht als Rachemaßnahme für eine verübte Tat angesprochen, sondern ausschließlich als mögliches Mittel zur Verhinderung einer Tat.


Folter ist zur Verhinderung von Straftaten ein ziemlich lausiges Mittel. Nicht nur müssen Sie wissen, dass die Person schuldig ist, Sie müssen auch eine Person haben, die der Folter nicht stand hält und tatsächlich auch noch die Wahrheit sagt. Das ist schon reichlichst viel wenn. Und unter diesen Wenns den Rechtstaat auf den Mond zu schiessen halte ich für einen zu hohen Preis. Und was die Ausschließlichkeit angeht, so halte ich das auch für ein wenig unrealistisch. Das wird dann sehr schnell die selbe schale Argumentation wie die berühmte Gefahr, die immer im Verzug ist, wenn der Polizist es gerade braucht.

Zitat
Ich wollte wissen, wie Sie des Ausmaß der Qualen bei dem Verlust eines Kindes und bei waterboarding im Vergleich sehen.


Gar nicht. Ich meine nicht das das eine etwas mit dem anderen viel zu tun hat. Es ist nicht der Schuldige, der mir Sorgen macht, es ist der Unschuldige. Und dem seine Qualen haben nichts mit den Qualen des Kindes zu tun. und die Qualen des Kindes werden nicht davon besser, im Gegenteil.
Zudem halte ich das Mittel für nicht geeignet: Nehmen Sie an, Sie wären unschuldig. Und Sie würden gefoltert. Irgendwann gestehen Sie, keine Sorge. Und wenn das, was Sie sagen keinen Sinn ergibt, dann foltert man weiter, bis es einen Sinn ergibt. Und was hat man dann ? Im Mittelalter haben die Leute die abstrusesten Sachen gestanden, nur damit die Folter aufhörte. Und das sogar im Bewusstsein, dass das Schicksal, was sie dann erwartete, noch einmal viel schlimmer sein würde. Das ist nämlich, neben dem ethischen Aspekt, auch das logische Problem an Folter: Das was da rauskommt kann stimmen, kann auch nicht stimmen. Und verifizieren kann das nur ein Täter. Ein Unschuldiger wird gefoltert bis er tot ist oder eine Geschichte zusammengebaut hat, die unverifizierbar ist. Erreicht hat man damit nur, das am Ende ein Unschuldiger eine Tat gestanden hat, die er nie begangen hat. Und ein Täter frei rumläuft. Um vielleicht sein nächstes Opfer zu erwischen.

Christoph Offline




Beiträge: 241

07.05.2013 02:32
#115 jenseits der Empörung Antworten

Werter Llarian,

Der Diskussionsfaden ist recht verknäult. Ich zitiere Ihren Beitrag auch stellvertretend für andere:

Zitat von Llarian im Beitrag #106
[…]
Ich kann nur schlecht ausdrücken wie erschocken ich über solche Worte bin. Und ich frage mich ernsthaft, lieber Paul, wie es sein kann, dass Sie so wenig aus den beiden Diktaturen auf deutschem Boden mitgenommen haben, dass Sie tatsächlich auf die Idee kommen, Folter könne legitim sein. Ich fasse es wirklich kaum.


Das geht mir zwar ähnlich, aber es hilft nichts. Einige derer, die die Folter nicht kategorisch ablehnen, oder offen befürworten, werden im Gegenzug entsetzt darüber sein, wie man nur so moralisch verkommen sein kann, den bösen Täter zu schützen und das arme Opfer im Stich zu lassen, nur aufgrund abstrakter Prinzipien. Nun behaupten zwei Parteien etwas vollkommen gegensätzliches und wähnen beide die Moral auf ihrer Seite. Von Mises referiert in »Liberalismus« den Streit für und wider die Demokratie und stellt fest:

Zitat
Man kann für und wider diese Lehren viele Einwände geltend machen, die verschiedene Beurteilung erfahren werden, je nach der Weltanschauung und religiösen Gesinnung des einzelnen; also lauter Argumente, über die eine Einigung kaum erzielt werden kann.



das gleiche Dilemma konstatiert er beim Streit um die Sklaverei und gelangt zu der Einsicht:

Zitat
Wir Liberalen behaupten gar nicht, daß Gott oder die Natur alle Menschen zur Freiheit bestimmt
hätte, schon darum nicht, weil wir über die Absichten Gottes und der Natur nicht unterrichtet sind und es grundsätzlich vermeiden, Gott und die Natur in den Streit um irdische Dinge hereinzuziehen.



Im Moment genießen wir (Sie und ich) das zweifelhafte Vergnügen, von einem Diskussions-Tabu behütet zu sein, dass es fast unmöglich macht, das Wort Folter anders als mit Ekel auszusprechen. Das mag uns zu der Ansicht verleiten, wir befänden uns in einer Mehrheit und würden nur einem Konsens folgen, der nicht weiter zu begründen ist. Dazu haben wir ja auch die Verfassung auf unserer Seite (vielleicht sogar deren Ewigkeitsklausel). Aber auch das hilft nicht – zumindest nicht auf Dauer. Die Befürworter der Folter (oder die, die sie nicht strikt ablehnen), werden durch die Gewalt des Gesetzes zurück gehalten, ihre Ansichten umzusetzen, aber das funktioniert nur solange das Gesetz gilt und sein Bestand ist nur gesichert solange die Gegner der Folter sich in der Mehrheit befinden.

Wir tun also gut daran, kalt und vernünftig (man darf auch sagen: »zynisch«) zu argumentieren statt uns auf ein Empörungs-Ping-Pong einzulassen.

Wie gesagt: ich meine nicht Sie allein, sondern auch mich selbst und die Vertreter der »Gegenseite«

Herzliche Grüße,
Christoph

PS:
noch ein Link zum zitierten Werk: Ludwig von Mises, Liberalismus

--
edit: Betreff geändert, Link angefügt

ungelt Offline



Beiträge: 119

07.05.2013 09:56
#116 RE: Ziviler Ungehorsam Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #114
Zitat von ungelt im Beitrag #110
Ich habe Sie gebeten mir darauf zu antworten, wie sie persönlich reagieren würden, wenn sie z.B. die unmittelbare Ermordung eines Dritten nur durch Gewalt verhindern könnten. Oder eine Vergewaltigung. In einer klaren übersichtlichen Situation. Da steht einer mit einem Messer an der Kehle eines wehrlosen anderen Menschen da. Diese Antwort hätte ich doch sehr gerne.
Den zweiten Teil der Antwort muss man dahin geben, dass ICH persönlich nicht der Rechtsstaat bin. Wenn jemand meiner Familie etwas tut, dann bringe ich den um. Und wenn jemand meiner Familie etwas getan hat, dann tu ich das auch.

Das irritiert mich etwas. Zunächst einmal würde ich bei akuter Gefahr mein Augenmerk darauf legen, die Tat (auch mit Gewalt natürlich) zu verhindern, den Täter zu verjagen oder eben einfach unschädlich zu machen. Das "Umbringen" könnte im Extremfall nur eine Folge davon sein, niemals aber das Ziel. Zumindest nicht mein Ziel.

Ebenso die Reaktion nach einer Tat: Das wäre ja ein kühl geplanter Mord, was Sie da beschreiben, Selbstjustiz in Reinform. Diesen großen Unterschied zwischen dem gedachten privaten Verhalten und den Erwartungen an den Staat verstehe ich einfach nicht. Oder haben Sie beschlossen, nachdem sie meine Antwort an Noricus gelesen haben, meinen "Erwartungen" entgegenzukommen. Oder handelt es sich um Ironie, die ich nicht als solche verstehe?

Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich mich etwas aus dem Fenster lehne, es ist nicht persönlich gemeint. Es gibt möglicherweise einen Zusammenhang zwischen der strikten Gewaltablehnung auf der einen, und dieser Rigorosität auf der anderen Seite. Ich wurde als Kind und auch noch als Jugentlicher gelegentlich in Raufereien verwickelt, mußte mich z.B. gegen deutlich ältere (2x durchgefallene) "Klassenfreunde" wehren. Das hatte m.M.n auch positive Auswirkungen, man lernt zwangsläufig damit irgendwie umzugehen. Hatten Sie ähnliche Erlebnisse? Gibt es einen Anhaltspunkt dafür, daß man zu dieser Einstellung aus einem heute absolut verständlichen Mangel an "Gewalterfahrung" kommt.

Zitat von Llarian im Beitrag #114
Zitat von ungelt im Beitrag #110
Auch das waterboarding habe ich natürlich nicht als Rachemaßnahme für eine verübte Tat angesprochen, sondern ausschließlich als mögliches Mittel zur Verhinderung einer Tat.
Folter ist zur Verhinderung von Straftaten ein ziemlich lausiges Mittel. Nicht nur müssen Sie wissen, dass die Person schuldig ist, Sie müssen auch eine Person haben, die der Folter nicht stand hält und tatsächlich auch noch die Wahrheit sagt. Das ist schon reichlichst viel wenn.

Das ist in der großen Mehrheit der Fälle natürlich richtig, das war ja auch überhaupt nicht mein Thema. Es würde sich ja dabei - angenommen man würde es als Möglichkeit einführen - nicht um eine Art "Standardbehandlung" handeln. Genau wie der "finale Rettungsschuß" keine polizeiliche "Standardbehandlung" ist.

Jaja, "wehret den Anfängen" höre ich schon. Das ist aber genau so falsch wie alle anderen hundertprozentigen Lösungen. Man muß alles mit Augenmaß machen, auch wenn es dafür keine Anleitung geben kann und es auch nie "perfekt" sein wird. Vielleicht ist es das, was aus der K&K Monarchie in mir übrig geblieben ist und was die beiden Kulturräume voneinander unterscheidet.

Ich kenne übrigens das Gefühl, daß man gerade ertrinkt und den "das war's dann wohl" Gedanken relativ gut aus eigener Erfahrung. Das vergisst man sicher nicht. Meine Lebensqualität hat das aber wohl nicht beeinträchtigt, so weit ich das selber beurteilen kann. Wenn ich damit bei der Rettung eines Menschenlebens behilflich sein könnte, würde ich mich dem wohl wieder unterwerfen.

Zitat von Llarian im Beitrag #114
Und unter diesen Wenns den Rechtstaat auf den Mond zu schiessen halte ich für einen zu hohen Preis.

Warum ist z.B. der "finale Rettungsschuss" (oder wie man das korrekt bezeichnet) mit dem Rechtsstaat für Sie offenbar kompatibel, es gibt ihn ja offenbar noch, man ihn aber mit in Ausnahmefällen zulässigen Waterboarding "auf den Mond schießen" würde? Und wieso haben Sie hier so wenig Vertrauen in die Polizei, bei den anderen "kritischen" Regelungen aber offenbar genug. Es sind doch "die gleichen Leute". Es kann sich daher doch auch nur um eine graduelle Verschiebung handeln, wofür ein "Mondabschuß" wohl nicht die richtige Metapher ist. Das ist einfach nicht rational.

Zitat von Llarian im Beitrag #114
Zitat von ungelt im Beitrag #110
Ich wollte wissen, wie Sie des Ausmaß der Qualen bei dem Verlust eines Kindes und bei waterboarding im Vergleich sehen.
Gar nicht. Ich meine nicht das das eine etwas mit dem anderen viel zu tun hat.

Das Ausmaß und die Dauer von "Qualen" auf den beiden beteiligten Seiten hat nicht viel miteinander zu tun? Wenn das eine direkt von dem anderen abhängen kann? In dem einen Zimmer sitzt der dringend verdächtige, im Nebenzimmer die verzweifelten Eltern, Geschwister, es geht um Leben und Tod eines Menschen. Kein Zusammenhang? Das geschriebene Wort ist heilig, das Menschenleben nebensächlich?

Das ist genau der Punkt, wo bei mir der Verstand aussetzt. Da möchte ich den Rest der Argumente eigentlich nicht mehr bewerten, weil wir in diesem Punkt (im Gegensatz zu vielen anderen Themen) offenbar so unterschiedlich denken, daß ich keine Hoffnung habe hier eine gemeinsame Sprache zu finden.

Nehmen Sie es mir bitte nicht krumm, lieber Llarian, ich habe mein Möglichstes getan, um es zu verstehen.

Herzlich, Ungelt

Pirx Offline



Beiträge: 92

07.05.2013 16:48
#117 RE: Ziviler Ungehorsam Antworten

Zitat von Reisender im Beitrag #112

Worum es hier ursprünglich ging, war, ob es angemessen sein kann, Aussagen mittels der Androhung von Gewalt / Folter zu erzwingen. Bei Gäfgen hätte die Folter nichts bewirkt, da das Kind schon verstorben war. Wäre es noch am Leben gewesen, hätte er vermutlich (durch Beeinflussung eines psychologisch geschickten Kriminalisten) den Aufenthaltsort angegeben. Gäfgen war zu diesem Zeitpunkt offenbar Beschuldigter der Entführung. Es hätte für ihn einen wesentlichen Unterschied gemacht, wegen Mordes oder nur der Entführung verurteilt zu werden. Folter war also unzweckmäßig. Die Tat war nicht zu verhindern (hinzu kam die Bekanntschaft von Opfer und Täter, das Opfer konnte den Täter benennen).


Hierzu möchte ich auf einen sehr interessanten Artikel hinweisen: Does torture work well as an interrogation technique?

Der Autor zitiert hier Experten aus dem Militär und Geheimdiensten, und die scheinen sich ziemlich einig zu sein: Folter ist ziemlich ineffektiv, wenn es darum geht, verlässliche Informationen zu gewinnen.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

07.05.2013 17:19
#118 RE: Ziviler Ungehorsam Antworten

Zitat von Pirx im Beitrag #117
Der Autor zitiert hier Experten aus dem Militär und Geheimdiensten, und die scheinen sich ziemlich einig zu sein: Folter ist ziemlich ineffektiv, wenn es darum geht, verlässliche Informationen zu gewinnen.

Jein.
Er zitiert Praktiker aus US-Armee und CIA. Und die haben natürlich eine gewisse Erfahrung mit "robuster" Befragung. Auch mit Methoden, die in der modernen, relativ weit gefaßten Definition als "Folter" gelten.

Das sind aber immer noch vergleichsweise harmlose Methoden. Die Folterexperten früherer Zeiten bzw. aus den wirklich fiesen Diktaturen würden darüber nur lachen, die haben viel grausamere Methoden im Gebrauch. Und die liefern auch Resultate.

Frank2000 Offline




Beiträge: 3.261

07.05.2013 21:44
#119 RE: Ziviler Ungehorsam Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #118

Und die liefern auch Resultate.



Auch solche?

ungelt Offline



Beiträge: 119

08.05.2013 10:06
#120 RE: Ziviler Ungehorsam Antworten

Zitat von Reisender im Beitrag #112
Vorab: Es gibt sicher immer wieder spektakuläre Straftaten. Es gibt auch Straftaten, von denen man meint, es würden immer mehr. Die Ersten sind selten. Die Zweiten eigentlich auch. Was sind 100 Tageswohnungseinbrüche in einer Stadt mit 25ooo Einwohnern? Man wir nie alle Straftaten vorbeugen, verhindern oder aufklären können. Manche Täter werden nie bestraft werden. Die Dunkelziffer bei Mord soll sehr hoch sein. Ich denke, dass die Wahrnehmung einem einen Streich spielt. Wir leben grundsätzlich in einem sicheren Land (auch, wenn es potenziell unsichere Gegenden gibt).


Hallo Reisender,

Ihr erster Absatz deutet darauf hin, daß Sie annehmen, ich gehöre zu den verängstigten Leuten die durch ihren täglichen Konsum der Medien verunsichert sind und Angst vor Kriminalität haben. Dem ist nicht so, weil aber dieser Eindruck zumindest bei Ihnen entstanden ist, muß ich wohl noch etwas zu meinen Motiven schreiben.

Also, ich behaupte nicht, daß "Folter", was immer das auch ist, da oder dort eingeführt werden soll. Ich kann weder deren Wirksamkeit, noch Zuverlässigkeit beurteilen. Darin werden sich sicher auch die Fachleute nicht ganz einig sein, wie sollte ich es [so genau wissen.]

Ich behaupte aber, das "Folter" eindeutig zu einer ganzen Kategorie von Begriffen gehört, die durch eine jahrzehntelange mediale Bearbeitung eine solche emotionale Aufladung erfahren haben, daß dazu in Deutschland im Normalfall keine vernünftige Diskussion mehr möglich ist. (So wie es auch bei den Begriffen "soziale Gerechtigkeit", "Chancengleichheit", "Diskriminierung", "Atomlobby", "nachhaltig", "menschenwürdig" usw. auch der Fall ist.) Wer bei diesen Begriffen eine andere als die einzig zulässige Einstellung zum Ausdruck bringt, steht außerhalb der "Gesellschaft". Wo sonst, wenn nicht hier im Zimmer, sollte es möglich sein dazu bestimmte Lockerungsübungen durchzuführen.

"Folter" gehört meiner Meinung deswegen zu dieser Begriffskategorie, weil deren Inhalt über die Jahre systematisch ausgeweitet wurde. Obwohl jeder bei diesem Begriff sofort die fürchterlichen mittelalterlichen Foltermethoden und Zeichnungen vor Augen hat, wird er in der Praxis längst für weit harmlosere Dinge benutzt. Und diese Dinge werden damit gezielt diskreditiert und die dazugehörigen Leute ebenfalls. Die Spitze des Eisbergs bildete natürlich der Fall Gäfken, bei dem schon eine Drohung in einer eindeutigen Situation (in seiner Wohnung wurden bereits Geldscheine aus der Lösegeldsumme gefunden!) offenbar als Folter eingestuft wurde. Dieses Wort ist systematisch zur medialen Waffe entwickelt worden und ich halte es für notwendig es auf die Bedeutung zurückzuführen, die es ursprünglich hatte. "Die Luft rauslassen", wie man sagt.

Es wurde hier auch (von Christoph) argumentiert, daß Folter bei Gäfken nicht zum Erfolg geführt hätte, weil das Kind bereits tot war. Das ist aus meiner Sicht unsinnig. Der "Erfolg" ist doch an der Kooperationsbereitschaft des Täters zu messen. Die Folgen können dann durchaus unterschiedlich sein, die Kooperationsbereitschaft ist aber eine Grundvoraussetzung, um in diesem Fall das Kind retten zu können. Und wenn bei Gäfken die Drohung bereits ausgereicht hatte, dann kann man doch wirklich nicht von Mißerfolg sprechen. (Bei Galileo war es ja ähnlich, wenn mich meine sehr rudimentären Geschichtskenntnisse nicht täuschen - auch ein "Erfolg") Gäfken wurde von den vernehmenden Polizisten wohl sehr richtig eingeschätzt, es wirkte, obwohl real eigentlich keine Gefahr bestand. Es wurde von dem vernehmenden Polizisten übrigens auch die Abneigung der "normalen Gefangenen" gegenüber Leuten erwähnt, die sich an Kindern vergangen haben. Auch Folter - als "Drohung mit der Realität"? Das muß ihn doch ebenfalls sehr verängstigt haben! (Quelle)

Um zum ersten Absatz zurückzukommen: Wenn ich vor etwas wirklich Angst habe, dann sind das genau solche Begriffsverschiebungen und Umdefinitionen, die bei sehr vielen Leuten den "gesunden Menschenverstand" wirksam blockieren und außerdem die Diskussion der Inhalte durch Angst vor Außenseitertum verhindern. (Hier in der Zettlerei schon längst und dankenswerterweise ein wichtiges Thema!) Die Begriffsverschiebungen führen auf lange Sicht zu politischen Folgen, die wir uns wirklich nicht wünschen können. Die Tabuisierung solcher Themen hat die gleichen vernichtenden Auswirkungen, wie die üblicherweise in Diktaturen verwendete "primitiven" Diskussions- bzw, Erwähnungsverbote. Die "gefühlte Realität" entfernt sich in der Gesellschaft immer mehr von der "wirklichen Realität", man lebt schließlich in einer "Scheinwelt-Blase", die eines Tages platzen muß.

Herzlich, Ungelt

EDIT: [..] statt "sein." im dritten Absatz

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

08.05.2013 10:15
#121 RE: Ziviler Ungehorsam Antworten

Zitat von ungelt im Beitrag #113
Der Beschuldigte darf lügen, das Vernehmumgspersonal muß aber stets mit offenen Karten spielen?


Ja. Dies wird vielleicht besser nachvollziehbar, wenn man strafprozessuale Rechte aus der Warte des tatsächlich Unschuldigen betrachtet.

ungelt Offline



Beiträge: 119

08.05.2013 10:49
#122 RE: Ziviler Ungehorsam Antworten

Zitat von Noricus im Beitrag #121
Zitat von ungelt im Beitrag #113
Der Beschuldigte darf lügen, das Vernehmumgspersonal muß aber stets mit offenen Karten spielen?
Ja. Dies wird vielleicht besser nachvollziehbar, wenn man strafprozessuale Rechte aus der Warte des tatsächlich Unschuldigen betrachtet.

Stimmt wohl, sehr geehrter Noricus. Dann muß ich ja leider meine ganzen "Fachkenntnisse", die ich hauptsächlich bei Inspektor Columbo gesammelt habe, in "die Tonne treten" Ich kann mir aber doch irgendwie schlecht vorstellen, daß da gegenüber einem Beschuldigten üblicherweise nicht getrickst wird. Zumindest im "Subtext" doch.

Nach menschlichem Ermessen ist natürlich ein Beschuldigter, bei dem Geldscheine aus der Lösegeldsumme gefunden wurden, nicht mehr unschuldig. Wirklich schwer zu ertragen, aber da sind wir ja einer Meinung. Eine gute Lösung sehe ich auch nicht.

Herzlich Ungelt

Paul Offline




Beiträge: 1.285

08.05.2013 11:00
#123 RE: Ziviler Ungehorsam Antworten

Lieber ungelt,

nach der "Explosion" von Llarian...

Zitat von Llarian im Beitrag #106

Der dritte Aspekt schliesslich ist, dass ich mich frage, welcher Glaubensrichtung Sie sich zuordnen, lieber Paul. Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand der an ein höheres Wesen, eine höhere Ethik oder eine christliche Vorstellung glaubt, ernsthaft auf die Idee kommen kann, einen Menschen vorsätzlich zu quälen.


...als Erwiderung auf meine Auffassung...

Zitat von Paul im Beitrag #103
Gegenwärtig ist die Androhung von Folter gesetzlich nicht gedeckt, also nicht legitim.
Ich nmöchte gerne, dass ernsthaft darüber nachgedacht wird, ob man diesen Zustand nicht verändern kann.
Wünschen würde ich mir, dass gesetzlich geregelt wird, dass unter bestimmten Bedingungen die Androhung von Gewalt und auch deren Anwendung gestattet werden.
Art und Umfang müssen gesetzlich geregelt werden. Auch die Modalitäten der Durchführung.


...habe ich mich aus der Diskussion zu diesem Thema zurückgezogen.

Es schien mir nach diesem Kommentar von Llarian, nicht zweckmässig zu sein, meine Meinung weiter zu erläutern. Das Missverständnis erschien mir zu groß und die Emotion zu stark. Der "Friede" in Zettels Zimmer war mir wichtiger.
Höchstwahrscheinlich hätte ich auch nicht die richtigen Worte gefunden. Die weitere Eskalation erschien mir vorprogrammiert.

Dank Ihnen und anderen Zimmerleuten wurde das "Fahrwasser" ruhiger. Sie haben die richtigen Worte gefunden.

Zitat aus #120*
[quote="ungelt"|p96821] Also, ich behaupte nicht, daß "Folter", was immer das auch ist, da oder dort eingeführt werden soll. Ich kann weder deren Wirksamkeit, noch Zuverlässigkeit beurteilen. Darin werden sich sicher auch die Fachleute nicht ganz einig sein, wie sollte ich es [so genau wissen.]

Ich behaupte aber, das "Folter" eindeutig zu einer ganzen Kategorie von Begriffen gehört, die durch eine jahrzehntelange mediale Bearbeitung eine solche emotionale Aufladung erfahren haben, daß dazu in Deutschland im Normalfall keine vernünftige Diskussion mehr möglich ist. (So wie es auch bei den Begriffen "soziale Gerechtigkeit", "Chancengleichheit", "Diskriminierung", "Atomlobby", "nachhaltig", "menschenwürdig" usw. auch der Fall ist.) Wer bei diesen Begriffen eine andere als die einzig zulässige Einstellung zum Ausdruck bringt, steht außerhalb der "Gesellschaft". Wo sonst, wenn nicht hier im Zimmer, sollte es möglich sein dazu bestimmte Lockerungsübungen durchzuführen. /quote]

Genau dies habe ich gemeint und meine es auch immer noch.

Wir werden die Welt hier nicht verändern. Es muss aber möglich sein, über eine andere Gestaltung zu reden.

So gut wie Sie, lieber ungelt, hätte ich es nicht artikulieren können.

Haben Sie Dank dafür, Paul
____________________________________
*edit: Zitierung ist verunglückt. Deshalb Einfügung dieses Hinweises.

Paul Offline




Beiträge: 1.285

08.05.2013 11:21
#124 RE: Ziviler Ungehorsam Antworten

Nachtrag:

Die Einbringung des Themas "finaler Rettungsschuss" (oder wie das heißt) im Zusammenhang mit der Diskussion über Folter bzw. deren Androhung, wie hier im Thread geschehen, erscheint mir sinnvoll.

Für mich war Daschner's Anordnung ein "finaler Rettungsschuss". Übrigens, auch bei dem weiß man erst hinterher, ob er erfolgreich war.

LG, Paul

MadBaron Offline



Beiträge: 52

08.05.2013 12:01
#125 RE: Ziviler Ungehorsam Antworten

Zitat von Paul im Beitrag #124
Nachtrag:

Die Einbringung des Themas "finaler Rettungsschuss" (oder wie das heißt) im Zusammenhang mit der Diskussion über Folter bzw. deren Androhung, wie hier im Thread geschehen, erscheint mir sinnvoll.

Für mich war Daschner's Anordnung ein "finaler Rettungsschuss". Übrigens, auch bei dem weiß man erst hinterher, ob er erfolgreich war.

LG, Paul


Nageln Sie mich nicht auf die Begrifflichkeiten fest, aber:

Der "finale Rettungsschuß" darf nicht nur subjektiv mutmaßlich helfen, sondern muss objektiv der Gefahrenabwehr dienen. Dies sehe ich im Fall Daschner nicht gegeben. Im Vergleich dazu der Geiselnehmer mit der Waffe an der Schläfe der Geisel.

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