Zitat von ungelt im Beitrag #23 Das Leben ist nicht so, daß man eine Garantie dafür hätte, keine Schuld auf sich zu laden, wenn man nur immer die richtigen Entscheidungen trifft. Es gibt einfach solche ausweglosen Situationen. Ich verstehe überhaupt nicht, wie man das anders sehen kann.
Ich schon. Weil ich auch die Argumentation von Kallias sehr gut nachvollziehen kann. Denken Sie mal an Israel, wie viel Mörder die freigelassen haben um einen Soldaten aus der Geiselhaft zu befreien. Es gab bei dieser Entscheidung Helmut Schmidts kein "richtig" oder "falsch". Es gab eine Abwägung. Für beide Möglichkeiten gibt es "richtige" Argumente.
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #27 Es gab bei dieser Entscheidung Helmut Schmidts kein "richtig" oder "falsch". Es gab eine Abwägung. Für beide Möglichkeiten gibt es "richtige" Argumente.
Das genau sehe ich als das große Dilemma an.
Es ist nicht einmal möglich im nachhinein festzustellen, ob die Entscheidung richtig oder falsch war. Durch die getroffene Entscheidung werden die "Weichen" endgültig gestellt. Alles darauf folgende ist durch die Entscheidung bestimmt, beeinflusst. Das ist die tragische Situation in der sich Schmidt befand. Er musste entscheiden! Sofort! Er hat entschieden!Unter dieser Entscheidung leidet er heute noch, wenn ich ihn richtig verstanden habe. Diesen "Mühlstein" kann niemand von ihm nehmen. Durch die Preisverleihung ist er etwas leichter geworden, weil die Angehörigen ihn mittragen. Mehr ist nicht möglich. Aber auch nicht weniger. Vorstellen kann ich mir, was das für Helmut Schmidt bedeutet und ich freue mich, dass ihm dies noch zuteil wurde.
Vor diesem Hintergrund möchte ich den Kritikern der Entscheidung Schmidt's zu bedenken geben, dass sie in der Beurteilung immer den Maßstab ihrer eigenen Entscheidung zu Grunde legen. Wenn sie so entscheiden würden, wie Schmidt es getan hat, dann halten sie die Entscheidung für richtig. Wenn sie anders entschieden hätten, dann kritisieren sie die Entscheidung.
Sie müssen sich aber sagen lassen, dass auch sie nicht wissen, ob ihre Entscheidung richtig gewesen wäre.
Viel schwerer wiegt für mich die Entscheidung Schmidts, die Landshut stürmen zu lassen. Man stelle sich nur mal vor, was passiert wäre, wenn diese Befreiungsaktion schief gegangen wäre. Irgendwo habe ich gelesen (gehört), dass Schmidt in diesem Fall als Bundeskanzler zurückgetreten wäre.
Man stelle sich nur mal vor: Geiseln tod - Schleyer tod.
Das ist die wahre Dimension in der sich Schmidt damals befand.
Er tut mir heute noch leid.
Könnte man sich nicht darauf verständigen heute zu sagen: Er hat entschieden und so wie er entschieden hat, war es gut?
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #27Denken Sie mal an Israel, wie viel Mörder die freigelassen haben um einen Soldaten aus der Geiselhaft zu befreien.
Das ist aus meiner Sicht eine andere Entscheidung gewesen. Es gehört meines Wissens zum israelischen Staatsverständnis dazu, für Soldaten, insbesondere aber für die einfachen Soldaten so gut es nur geht zu sorgen. Ich glaube aber kaum, daß sich ein Rabin z.B. - wenn er entführt worden wäre - hätte austauschen lassen. Die Todesgefahr ist auf dieser Ebene, insbesondere in Israel, ein untrennbarer Teil des Jobs. Und es gehört ja auch zum israelischen Selbstverständnis dazu, sich nicht erpressen zu lassen. Er hätte damit, wenn er sich in einem solchen Fall hätte austauschen lassen, sein Lebenswerk zerstört.
Mir ist klar, daß diese meine Einstellung hier als etwas archaisch rüberkommen muß. Das tut mir natürlich leid.
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #27Es gab bei dieser Entscheidung Helmut Schmidts kein "richtig" oder "falsch". Es gab eine Abwägung. Für beide Möglichkeiten gibt es "richtige" Argumente.
Die eine Hälfte der der richtigen Argumente war aber offenbar dann in der Summe doch richtiger als die andere. Hat Herr Schmidt denn diese Entscheidung irgendwann bedauert? Oder ein anderer Teilnehmer bei diesen Krisensitzungen? Wie gesagt, ich rede nicht von persönlicher Schuld, die hat er sicher empfunden und zugegeben.
Zitat von ungelt im Beitrag #29Und es gehört ja auch zum israelischen Selbstverständnis dazu, sich nicht erpressen zu lassen.
Das ist kein "Israelisches Selbstverständnis". Es ist das, der westlichen Welt. Es ist die Kernaufgabe des Staates das Leben seiner Bürger zu schützen. Es gibt gar kein höheres Ziel. Auch nicht im deutschen Selbstverständnis.
Zitat von ungelt im Beitrag #25 Es handelt sich bei unserer Betrachtungsweise offenbar um unterschiedliche Herangehensweisen. Sie haben vermutlich die Hoffnung oder Erwartung, alles objektiv vermessen und beurteilen zu können. Richtig oder falsch. Ich habe diese Hoffnung nicht, hatte sie meines wissens auch nie. Ich gebe zu, ein großer Teil meiner Einschätzungen beruht auf Dingen wie Instinkt, Glaube, Hoffnung. Da gibt es für mich keine Chance, mit dem Meterstab zu hantieren.
Ich wollte lediglich darauf aufmerksam machen, dass ein Mandat nicht frei von Imperativen sein kann. Und nicht sein sollte. Dass aber eine Absolutheit, wie ein strikt imperatives Mandat als auch die Illusion eines von Imperativen freien Mandats, gefährlich wie unrealistisch ist.
Wohl wahr, dass ich meine Hoffnung eher in meine eigene Einschätzung lege als in die Anderer. Und dass mein Misstrauen steigt, um so mehr Politiker an Gefühle appellieren und an Moral. Politiker sind in meinen Augen Diener des Souveräns. Kein Grund für mich zu ihnen herauf zu schauen und irgendetwas zu erwarten. Eigentlich wäre es mir lieb, die meisten von ihnen würden Ihre Tätigkeit einstellen.
Zitat von ungelt im Beitrag #29Und es gehört ja auch zum israelischen Selbstverständnis dazu, sich nicht erpressen zu lassen.
Das ist kein "Israelisches Selbstverständnis". Es ist das, der westlichen Welt. Es ist die Kernaufgabe des Staates das Leben seiner Bürger zu schützen. Es gibt gar kein höheres Ziel. Auch nicht im deutschen Selbstverständnis.
Ich sehe da schon deutliche Unterschiede - man denke doch nur an Entebbe auf der einen, und die islamischen Terroristen in Mali und Niger auf der anderen Seite. (Die man auch mit deutschen Lösegeldern mit bewaffnet hat.) In Israel ist dieses Bewustsein meinem Eindruck nach wesentlich ausgeprägter. Schmidt war in der deutschen Politik in dieser Hinsicht leider eine Ausnahmeerscheinung.
Die Kernaufgabe die "Bürger zu schützen" kann man eben sehr unterschiedlich interpretieren. Die Medien bewirken leider, daß manchen konkreten, sichtbaren, schlimmen Schicksalen ein viel größeres Gewicht beigemessen wird, als es m.M.n. manchmal angebracht wäre. Das Leben eines deutschen Sahara-Touristen (der sich bewußt in Gefahr begeben hat) ist aber nicht mehr Wert als das Leben eines unbeteiligten Einheimischen in Mali, der später mit einer der Waffen erschossen wird, die für das Touristen-Lösegeld angeschafft wurden. Und es bleibt in diesem Fall nicht nur bei einem Menschenleben.
Zitat von Kallias im Beitrag #4Das ist eine Zeit zwiespältiger Empfindungen gewesen.
Zwiespältig waren auch meine Empfindungen, als ich vor 3, 4 Jahren den »Baader-Meinhof-Komplex« gesehen hatte und dann auch das gleichnamige Buch las. Auch wenn ich keine Sympathien mit den Terroristen hege, scheinen mir manche Reaktionen des Staates nicht zu rechtfertigen. Z.B. das genannte Kontaktsperregesetz (das allen rechtsstaatlichen Normen zuwiderläuft) oder auch die Tatsache, das man die Gespräche zwischen Anwälten und Angeklagten abhörte. Ganz zu schweigen vom ungesühnten Mord an Ohnesorg.
Ich war auch sehr überrascht, als ich feststellte, dass die damals vorgenommenen Einschränkungen bis heute gelten. Ein generelles Problem: Gesetze werden fast von alleine restriktiver.
Es sieht aus, wie die Schwäche des Rechtsstaates, aber es ist seine Stärke: dass er gerade in außergewöhnlichen Fällen stets Recht befolgt und keinen Nützlichkeitserwägungen folgt – und sei es, dass er Unrecht duldet, um selber keines zu begehen. Daraus gewinnt er seine moralische Legitimation. Wer argumentiert, der Staat dürfe ein Verbrechen begehen um ein schlimmeres zu verhüten, verkennt, dass die Natur eines Rechtsstaates eben darin besteht, dass ihm dieses versagt bleibt.
Daher mag ich auch dem folgenden nicht zustimmen:
Zitat Und ich war für die Erpressbarkeit des Staates. Ich verstehe bis heute nicht, weshalb der Bürger erpressbar sein sollte, der Staat aber nicht.
Ein Bürger, der sich erpressen lässt, opfert seinen Stolz, seine Habe oder wichtigere Dinge. Ein Staat, der sich erpressen lässt, opfert die Herrschaft des Rechts. Damit verliert er aber auch die Legitimation seiner Existenz.
Zitat Und schließlich das Kontaktsperregesetz. Inhaltlich fand ich es gut. Man kann nicht dulden, dass Rechtsanwälte Terroristen beim Terrorismus helfen.
Auch dem kann ich nicht zustimmen. Man sollte dem Individuum seine Abwehrrechte gegen staatliche Willkür nicht entziehen, schon gar nicht nach so schwammigen Kriterien, wie sie im Kontaktsperregesetz genannt sind (»terroristische Vereinigung«). Man muss dabei nicht dulden, dass Rechtsanwälte Straftaten begehen oder begünstigen. Wenn man ihnen das nachweist, kann man sie dafür zur Rechenschaft ziehen, auch ohne Kontaktsperre.
Kurioserweise hat man zwar etliche Gesetze verschärft und rechtsstaatliche Grundsätze verletzt, den Stammheim-Gefangenen aber gleichzeitig weit mehr zugestanden, als es das schon geltende Recht vorsah.
Zitat Damals bekam mein Vertrauen in den Rechtsstaat den ersten Knacks:
Bei der Beschäftigung mit dem Thema ist es auch mir so ergangen. Darunter hat meine Loyalität zum Staat gelitten. Die Politik hat den Staat damals jenem Zerrbild angenähert, das linke Terroristen und ihre Sympathisanten von ihm hatten. Genau das verschafft aber Terroristen neuen Zulauf.
Zitat wenn "die" in Schwierigkeiten geraten, dann ist der Rechtsstaat schneller weg, als man schauen kann!
aus meiner Sicht eine weitere »Sünde«: man hat Gesetze im laufenden Verfahren geändert und allgemeine Gesetze auf den Sonderfall RAF zugeschnitten.
Zitat von ungelt im Beitrag #29Und es gehört ja auch zum israelischen Selbstverständnis dazu, sich nicht erpressen zu lassen.
Das ist kein "Israelisches Selbstverständnis". Es ist das, der westlichen Welt. Es ist die Kernaufgabe des Staates das Leben seiner Bürger zu schützen. Es gibt gar kein höheres Ziel. Auch nicht im deutschen Selbstverständnis.Hervorhebung von mir.
Zitat #20 RE: Zitate des Tages: Stimmen zur Invasion Georgiens Zitat vormerkenantworten
Soeben im ZDF - Antonia Rados vor Ort in Gori Frau Rados bestätigt die Panzer in Gori.
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Steinmeier gegen harte EU-Erklärung zu Georgien
Brüssel (Reuters) - Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hat die Europäische Union vor einer Verurteilung des russischen Vorgehens in Georgien gewarnt. (Mi Aug 13, 2008 11:18 MESZ)
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Zu Beginn einer Krisensitzung der(EU -Außenminister) dieser Link existiert heute nicht mehr) in Brüssel sagte Steinmeier am Mittwoch: "Ich halte nichts davon, dass wir uns heute in sehr langen Diskussionen über Verantwortung und Urheberschaft der Eskalation der letzten Tage verlieren." Steinmeier machte zugleich deutlich, dass die Stabilisierungsbemühungen der EU als Unterstützung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zu sehen seien, der auch Russland und die USA angehören.
Und nach dem sich der Griff zur Kalaschnikoff wieder auf den Griff zur Kaffeetasse reduziert hat, noch eine Anmerkung. Wie man dem Text oben entnehmen kann, eiert Steinmeier immer noch darum. In diesem Kontext durfte er natürlich nicht Flugzeuge bereitstellen, um deutsche Bürger sofort aus dem Kriegsgebiet zu fliegen. Damit hätte er sich wohl schon geoutet, in der Befürchtung vor russischen Gewalttaten. Bis jetzt ist über tote Deutsche nichts bekannt. Wenn dann hat er sie geopfert wegen eines Kotau vor Russland.
♥liche Grüße Nola
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Es ging um die steigende Eskalation des Krieges in Georgien und der damalige Außenminister SPD) Steinmeier hat eben nicht per Flugzeug deutsche Staatsbürger "nach Hause geholt". Damit hätte er die Kriegshandlungen als solche eingestehen und benennen müssen und davor hatte er sich zu dem Zeitpunkt gedrückt.
edit: Mir fällt grad ein, irgendwo muß es auch noch einen Bericht über einen deutschen Staatsbürger mit Familie geben, ich glaube im gleichen Thread, der auf abenteuerliche Weise geflohen ist und nach Irrungen und Wirrungen in Sicherheit kam.
♥lich Nola
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Status quo, nicht wahr, ist der lateinische Ausdruck für den Schlamassel, in dem wir stecken. Zettel im August 2008
Zitat von ChristophEs sieht aus, wie die Schwäche des Rechtsstaates, aber es ist seine Stärke: dass er gerade in außergewöhnlichen Fällen stets Recht befolgt und keinen Nützlichkeitserwägungen folgt – und sei es, dass er Unrecht duldet, um selber keines zu begehen. Daraus gewinnt er seine moralische Legitimation. Wer argumentiert, der Staat dürfe ein Verbrechen begehen um ein schlimmeres zu verhüten, verkennt, dass die Natur eines Rechtsstaates eben darin besteht, dass ihm dieses versagt bleibt.
Idealtypisch und abstrakt gesprochen ist das sicher so, lieber Christoph. Sie haben so formuliert, daß es schwer ist, Ihnen zu widersprechen, ohne als fahrlässiger Gefährder fundamentaler Freiheitsrechte rüberzukommen. Ich will es dennoch versuchen
Ich meine, Sie beantworten eine ganz wichtige Frage nicht: in wieweit muß ein Rechtsstaat wehrhaft sein, und mit welchen Durchgriffsrechten muß man ihn hierfür versehen? Wenn wir sagen, und hier stimme ich Kallias zu, daß oberste Staatsräson der Schutz des Lebens (der Unversehrtheit, des Eigentums) seiner Bürger ist, dann kann man nicht umgekeht (in guter liberaler Tradition) so ziemlich gegen alle staatlichen Zu- und Durchgriffsrechte sein, die ihm diese hohe Aufgabe in einer komplexen, informationstechnologisch hochgerüsteten (zumindest auf seiten der Kriminellen) Welt überhaupt erst ermöglichen, Stichwort Vorratsdatenspeicherung. Mir persönlich täte es nicht weh, wenn meine Daten 1/2 Jahr gespeichert würden (dieses Freiheitsrecht erlebe ich als höchst abstrakt), den Schutz vor terroristischen Anschlägen erlebe ich dagegen als höchst konkrete Freiheit, und die ist mir an dieser Stelle wichtiger. Auch wenn das jetzt flapsig klingt: Sie können kein Omelett backen ohne ein paar Eier zu zerdeppern.
Ein anderes Beispiel sind die Notstandsgesetze. Was gab das damals für ein Theater, Abgesänge auf die Freiheit zuhauf, man wähnte sich an der Schwelle zur Diktatur. In Wahrheit ging es um die Rückgabe von Hoheitsrechten von den Aliierten auf die bundesdeutsche Regierung. Die Gesetze wurden bis heute nie angewendet.
Die RAF war nicht irgendeine kriminelle Organisation, sie hatte es direkt auf den Rechtsstaat selbst abgesehen. Sie haben den demokratischen Rechtsstaat herausgefordert und strebten seinen Umsturz an, indem sie ihn u. a. mit Schleyer erpresst haben. Moralisch sauber, und damit auch rechtsstaatlich einwandfrei, ist so ein Thema nicht zu lösen. Und ja, raushalten ist manchmal die teuerste Lösung.
Hätte man die Möglichkeit gehabt, die Maschinen von 9/11 abzuschießen, was hätte man (als Rechtsstaat) tun sollen? Was wäre die rechtsstaatlich saubere Lösung gewesen und warum?
Ein anderes Beispiel ist der "Finale Rettungsschuß" Hier tötet die Exekutive einen Bürger des Staates, um das Leben eines anderen zu schützen (obwohl man nie ganz sicher sein kann, ob und wie sehr das Leben des bedrohten Bürgers wirklich gefährdet ist). Ich bin sehr sicher, daß der Staat hier kein Verbrechen begeht, wie Sie das genannt haben, sondern seine höchste Pflicht, den Schutz seiner Bürger, verantwortungsvoll wahrnimmt.
Zitat von Doeding im Beitrag #35Ich meine, Sie beantworten eine ganz wichtige Frage nicht: in wieweit muß ein Rechtsstaat wehrhaft sein, und mit welchen Durchgriffsrechten muß man ihn hierfür versehen? Wenn wir sagen, und hier stimme ich Kallias zu, daß oberste Staatsräson der Schutz des Lebens (der Unversehrtheit, des Eigentums) seiner Bürger ist, dann kann man nicht umgekeht (in guter liberaler Tradition) so ziemlich gegen alle staatlichen Zu- und Durchgriffsrechte sein, die ihm diese hohe Aufgabe in einer komplexen, informationstechnologisch hochgerüsteten (zumindest auf seiten der Kriminellen) Welt überhaupt erst ermöglichen, Stichwort Vorratsdatenspeicherung. Mir persönlich täte es nicht weh, wenn meine Daten 1/2 Jahr gespeichert würden (dieses Freiheitsrecht erlebe ich als höchst abstrakt), den Schutz vor terroristischen Anschlägen erlebe ich dagegen als höchst konkrete Freiheit, und die ist mir an dieser Stelle wichtiger. Auch wenn das jetzt flapsig klingt: Sie können kein Omelett backen ohne ein paar Eier zu zerdeppern.
Die Sache ist die, dass der Staat die Bürger auch vor sich selbst (dem Staat) schützen muss. Sowohl was den laufenden Betrieb, als auch was den möglichen (langfristig sicheren) Zerfall und Wiederaufbau anbelangt.
Zitat von Doeding im Beitrag #35[…] Sie beantworten eine ganz wichtige Frage nicht: in wieweit muß ein Rechtsstaat wehrhaft sein, und mit welchen Durchgriffsrechten muß man ihn hierfür versehen?
Falsch herum! Was ich skizziert habe sind gerade die Grenzen bestehender Durchgriffsrechte eines wehrhaften Staates, die es nicht geben müsste, wäre der Staat nicht wehrhaft und mächtig.
Denn wehrhaft ist er doch der Staat: Noch ehe wir geboren sind kennt uns das Standesamt. Mit der Geburt werden wir sogleich mit einer Steuernummer versehen. Ab da regelt, lenkt und überwacht der Staat unser Tun und erst der Tod vermag uns seinem Zugriff wieder zu entreißen. Wir müssen nicht einmal in Verdacht geraten, ein Gesetz zu übertreten, und werden doch überwacht, müssen unseren täglichen und nächtlichen Aufenthalt angeben sowie unsere sämtlichen Bankkonten. Geraten wir dabei in Verdacht, können wir geortet, unser Telefon abgehört, die Wohnung durchsucht werden. Finden sich Beweise einer Straftat drohen uns Geldstrafen, Fahrverbot und Haft – im Notfall auch der Tod.
Betrachten wir den Staat als Wachhund und diese Durchgriffsrechte als seine scharfen Zähne. Gerade weil des Hundes Gebiss so scharf – der Staat so wehrhaft ist – gehört er angeleint – an Gesetz und Verfassung gebunden. Ein Wachhund muss den Briefträger verschonen und darf auch den Einbrecher nur verwunden – nicht aber totbeißen.
Zitat daß oberste Staatsräson der Schutz des Lebens (der Unversehrtheit, des Eigentums) seiner Bürger ist
das ist wahr, als alleiniger Maßstab staatlichen Handelns aber nicht zu gebrauchen. Ein solcher Schutz ist stets mit der Einschränkung der individuellen Freiheit zu bezahlen – und erst wenn von der Freiheit nichts mehr übrig ist, ist er vollkommen.
Zitat dann kann man nicht umgekeht (in guter liberaler Tradition) so ziemlich gegen alle staatlichen Zu- und Durchgriffsrechte sein
nicht gegen Rechte des Staates sondern gegen ihre unbeschränkte Ausdehnung und Anwendung – besonders auf Unschuldige.
Zitat Stichwort Vorratsdatenspeicherung
Achtzig Millionen überwachen um – vielleicht – einen zu überführen? Hier besteht m.E. kein Verhältnis zwischen Zweck und Mittel.
Zitat Mir persönlich täte es nicht weh, wenn meine Daten 1/2 Jahr gespeichert würden (dieses Freiheitsrecht erlebe ich als höchst abstrakt),
Ich habe mir erlaubt, einige Stellen hervorzuheben :).
Zitat den Schutz vor terroristischen Anschlägen
Dieser ist auch ohne Vorratsdatenspeicherung möglich. Es ist fraglich, ob er durch diese überhaupt verbessert wird. Außerdem ist keinesfalls gewährleistet, dass die Vorratsdatenspeicherung nur dafür eingesetzt wird. Auch das Verwanzen von Wohnungen und das Abhören von Telefonen wurde so gerechtfertigt. Mittlerweile werden diese schon bei weit geringeren Delikten eingesetzt. Die Privat- sphäre mag von manchen als abstrakt empfunden werden, sie ist aber zu wichtig, um sie der polizeilichen Bequemlichkeit zu opfern.
Zitat Sie können kein Omelett backen ohne ein paar Eier zu zerdeppern.
Des Staates Appetit auf Omelett ist schier unbegrenzt. Setzte man dem Staat keine Grenzen, würde er die Hühner ausrotten.
Auf die Vorratsdatenspeicherung bezogen: man darf Eier dann zerdeppern, wenn man Hunger hat und dieser nur durch Omelett gestillt werden kann. Vorratsdatenspeicherung heißt: man zerdeppert heute Millionen von Eiern und bäckt Omeletts daraus. Die legt man in den Kühlschrank, für den Fall, das man in 6 Monaten nach Ladenschluss noch Hunger bekommt und Brot und Butter aus sind.
Zitat Die [Notstands-]Gesetze wurden bis heute nie angewendet.
Das ist kein Kriterium! Eine Regierung, die weniger wohlgesonnen ist, als die unsere, kann sie anwenden.
Zitat Die RAF war nicht irgendeine kriminelle Organisation, sie hatte es direkt auf den Rechtsstaat selbst abgesehen.
Wieder habe ich zwei Stellen hervorgehoben: das sind ziemlich schwammige und willkürliche Begriffe. Sie liefern auch keine Begründung dafür, warum dem mit rechtsstaatlichen Mitteln nicht beizukommen wäre. Wie gesagt: unter Rechtsstaat verstehe ich nicht einen Staat, der nicht »zubeißen« darf, sondern einen, der sich dabei an bestimmte Regeln hält.
Zitat Sie haben den demokratischen Rechtsstaat herausgefordert und strebten seinen Umsturz an, indem sie ihn u. a. mit Schleyer erpresst haben.
Wie gesagt: das rechtfertigt harte Strafen, nicht aber, den Rechtsstaat, vorsorglich gleich selbst umzustürzen, nur damit es die RAF nicht tut – das wäre »Selbstmord aus Angst vor dem Tod«.
Zitat Moralisch sauber, und damit auch rechtsstaatlich einwandfrei, ist so ein Thema nicht zu lösen.
Moral und Rechtsstaatlichkeit sind zwei paar Schuhe. Und warum ist einem solchen Problem rechtsstaatlich nicht beizukommen?
Und ja, raushalten ist manchmal die teuerste Lösung.
Hätte man die Möglichkeit gehabt, die Maschinen von 9/11 abzuschießen, was hätte man (als Rechtsstaat) tun sollen? Was wäre die rechtsstaatlich saubere Lösung gewesen und warum?
Zitat Ein anderes Beispiel ist der "Finale Rettungsschuß" […] Ich bin sehr sicher, daß der Staat hier kein Verbrechen begeht, wie Sie das genannt haben
Da sind wir einer Meinung. Dieser »finale Rettungsschuss« entspricht aber dem Notwehrrecht, das auch jedem Bürger zusteht und es bestehen sehr enge und klar gefasste Voraussetzungen dafür. Kollateralschäden sind recht unwahrscheinlich (soweit das Gesetz befolgt wird, und nicht durch geschlossene Türen auf wehrlose Wanderer geschossen wird, oder auf einen flüchtigen Verbrecher, der sich lediglich seiner Verhaftung entzieht).
Zitat von Christophdas ist wahr, als alleiniger Maßstab staatlichen Handelns aber nicht zu gebrauchen. Ein solcher Schutz ist stets mit der Einschränkung der individuellen Freiheit zu bezahlen – und erst wenn von der Freiheit nichts mehr übrig ist, ist er vollkommen.
Schon klar, wenn man den Staat machen läßt wie er will. Er muß, um ein ursprüglich unschönes Wort von Joschka Fischer zu variieren, eingehegt werden. Umgekehrt bedeutet aber maximale Freiheit (bei minimalem/nicht vorhandenem Staat) eben auch maximale Unsicherheit (=Naturzustand), und keineswegs die ansonsten mit dem Freiheitsbegriff verbundene positiven Konnotationen.
Es ist eben die Frage persönlicher Prioritäten und Gewichtungen jedes Einzelnen, ob man z. B. bezüglich innerer Sicherheit eher Herrn Friedrich oder eher Frau Leuthäuser-Schnarrenberger zuneigt. Beides kann man begründen, aber auch eine wohlbegründete Meinung bleibt noch immer eine Meinung und wird nicht etwa durch einen magischen Prozeß zur Tatsache, weshalb mich diese Hervorhebung von Ihnen etwas irritiert hat. Was wollten Sie mir damit sagen? :
Zitat Mir persönlich täte es nicht weh, wenn meine Daten 1/2 Jahr gespeichert würden (dieses Freiheitsrecht erlebe ich als höchst abstrakt),
Zitat von ChristophDas ist kein Kriterium! Eine Regierung, die weniger wohlgesonnen ist, als die unsere, kann sie anwenden.
Ein oft gehörtes, aber dennoch irriges Argument, wie ich meine. Sollte hier je eine "unfreundliche" Regierung eine Diktatur errichten wollen, dann wird sie eine entsprechende Überwachungsinfrastruktur innerhalb kürzester Zeit neu errichten können und braucht nicht auf schadenfreudiges Händerreiben gegenüber den "Fehlern" vergangener, demokratischer Regierungen zurückzugreifen. Dann sind wir so oder so im Eimer, aber eine heute nicht betriebene Vorratsdatenspeicherung wird uns dann weder retten noch die Errichtung diktatorischer Strukturen behindern.
Zitat Da sind wir einer Meinung. Dieser »finale Rettungsschuss« entspricht aber dem Notwehrrecht, das auch jedem Bürger zusteht und es bestehen sehr enge und klar gefasste Voraussetzungen dafür.
Einverstanden, das Beispiel war von mir nicht gut gewählt.
Einzig auf mein 9/11-Szenario sind Sie nicht eingegangen, lieber Christoph; dabei scheint es mir das Dilemma zwischen Rechtsstaat, Staatsräson und dem Versuch, Leben zu retten, ganz gut zu repräsentieren. Angenommen, das 1. Flugzeug ist bereits in den Nordturm gekracht; die Ernsthaftigkeit der Anschläge steht also außer Frage. das zweite Flugzeug befindet sich noch "sicher" über dem Hudson, dahinter ein Abfangjäger. Die Wahrscheinlichkeit, daß es sich der Entführer noch anders überlegt, dürfte im einstelligen Prozentbereich sein (aber keineswegs bei Null). Die Passagiere des 2. Flugzeuges sind also mit höchster Wahrscheinlichkeit verloren. Die Frage ist nur, ob man den Terroristen die Gelegenheit gibt, 1000 weitere "mitzunehmen". Wie soll das jetzt Ihrer Meinung nach gelöst werden? Schießt man sie ab, exekutiert der Staat 150 Unschuldige, macht er es nicht, exekutieren Terroristen 1000 weitere. Ich mache da gar kein Gehemnis draus, daß ich in diesem Fall für Abschuß wäre, um dort möglichst viele Leben zu retten, wo aller Wahrscheinlichkeit nach nicht alle Leben zu retten sind.
Zitat Er [der Staat] muß, um ein ursprüglich unschönes Wort von Joschka Fischer zu variieren, eingehegt werden. Umgekehrt bedeutet aber maximale Freiheit (bei minimalem/nicht vorhandenem Staat) eben auch maximale Unsicherheit
Gut. Wir sind uns also darin einig, dass es einer Staatsmacht bedarf , diese aber beschränkt werden muss. Dass wir die Anarchie also die absolute Abwesenheit des Staates ebenso ablehnen, wie die vollkommene staatliche Kontrolle über das Individuum.
Die genaue Positionierung zwischen diesen beiden Polen ist umstritten und objektiv nicht zu bestimmen, auch da sind wir offenbar einer Meinung.
Allerdings gibt es doch einige Kriterien – ich habe sie mit Rechtsstaat umschrieben, die unseren Staat von einer Diktatur oder Despotie unterscheiden. Und diese Kriterien sind auch objektiv überprüfbar.
Was verstehe ich nun unter einem Rechtsstaat? Zuallererst die Gewaltenteilung und die unbedingte Bindung der Exekutive an das geltende Recht: Ich als Bürger bin somit nicht der Willkür der Regierung oder eines ihrer Beamten unterworfen sondern der Willkür des Gesetzgebers. Das bietet mir als Bürger einen gewissen Schutz: eine Regierung, so lästig ich ihr auch sein mag, kann mich nicht ärger schikanieren, als das Gesetz es ihr gestattet. Will sie es dennoch tun (es muss sich nicht um eine Diktatur handeln!), muss sie den Gesetzgeber zur Änderung der Gesetze bewegen oder das Gesetz brechen (was mich von der Pflicht zum Gehorsam entbindet).
Zitat Sollte hier je eine "unfreundliche" Regierung eine Diktatur errichten wollen, dann wird sie eine entsprechende Überwachungsinfrastruktur innerhalb kürzester Zeit neu errichten können …
Eine Diktatur wird sich an geltendes Recht ohnehin nicht gebunden fühlen, aber indem sie es bricht tut sie Unrecht, und zwar im Wortsinne und somit objektiv. Ein Bürger mag Herrn Friedrich zuneigen, ein anderer Frau L.-S.: über die Frage, ob eine Regierung Recht bricht, oder befolgt müssen sie nicht streiten, denn dies ist ein Fakt.
Nun kann eine Diktatur das Recht auch ändern, aber die Art und Weise, wie dies geschieht (nämlich unter Umgehung eines rechtmäßig gewählten Parlaments) verrät sie objektiv als Diktatur.
Einem Diktator kann es wohl egal sein, ob er geltendes Recht »nutzen« kann, es umgehen muss oder neues schaffen – Gerade diese Missachtung gegenüber Gesetz und demokratischen Verfahrensregeln macht ihn ja zum Diktator – in der Bewertung seiner Regierung aber und im Bewusstsein der Untertanen ist das ein bedeutender Unterschied – für viele (zum Beispiel mich) der Unterschied zwischen einer Regierung, der ich mich zu unterwerfen und einer der ich zu enfliehen, die ich zu missachten oder gar zu bekämpfen habe.
Daher ist es keineswegs »irrig«, wie Sie meinen, ein Gesetz an dem zu messen, was darin steht – also daran, was eine Regierung, sie sei gut- oder böswillig, weise oder dumm, nach seinen Buchstaben tun darf, im besten wie im schlechtesten Fall. Ein schlechtes Gesetz wird nicht gut, weil fünf oder sechs Regierungen weise genug sind, es nicht anzuwenden. (ich sage das ausdrücklich nicht in Bezug auf die Notstandsgesetze).
Neben der Gewaltenteilung und der Bindung der Exekutive an geltendes Recht, gibt es in einem Rechtsstaat, wie ich ihn verstehe, noch weitergehende Beschränkungen für den Staat und die Gesetze, die er erlässt Zum Beispiel: 1. keine Strafe ohne Gesetz (Rückwirkungsverbot) 2. Verbot staatlicher Willkür 3. Bestimmtheitsgrundsatz 4. Recht auf rechtliches Gehör und auf den gesetzlichen Richter 5. Recht auf einen Verteidiger 6. keine Inhaftierung ohne Anklage 7. Recht auf Aussageverweigerung, Verbot der Folter
zumindest einiger dieser Kriterien sind objektiv überprüfbar und soweit ich weiß, sind sie alle auch in der deutschen Verfassung verankert.
Zitat Einzig auf mein 9/11-Szenario sind Sie nicht eingegangen, lieber Christoph;
Wenn Ihnen daran liegt, will ich das gerne nachholen. Es gab, wenn ich mich recht erinnere kürzlich eine Revision des Luftsicherheitsgesetzes, die es dem Staat im 9/11 Szenario erlaubt hätte, eine gekaperte Maschine abzuschießen, auch wenn Unschuldige davon betroffen wären. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Gesetz als verfassungswidrig verworfen. Ob dies zurecht geschah, kann ich nicht beurteilen.
Die moralische oder philosophische Bewertung dieses Szenarios läuft auf die Frage hinaus, wie die Unterlassung moralisch zu bewerten ist. Menschen neigen dazu, eine Tat moralisch strenger zu bewerten als die Unterlassung des Gegenteils. Wer Leben nicht rettet, obwohl er es könnte wird nicht so streng bestraft, wie einer der mordet. Dies wird zuweilen Unterlassungsirrtum gennant, und damit impliziert, dass es für die Bewertung Verhaltens nur auf dessen Folgen ankomme, und darauf, wie man diese hätte verhüten können, gleich, ob durch Tun oder Unterlassen.
Im logisch/mathematischen Sinne mag das stimmen, ich glaube aber nicht, dass es sich auch im moralischen Sinne so verhält, schon gar nicht, wenn man zur Verhütung eines Verbrechens, selbst eines begehen müsste. Daher würde ich einen Einzelnen nicht für verpflichtet halten, einen 9/11 Flieger abzuschießen.
Ein Staat ist aus meiner Sicht überhaupt nicht verpflichtet, alles zu tun, was zur Verhütung von Verbrechen notwendig wäre. Zwar ist es sein Zweck, Gutes zu tun und Böses zu verhüten, aber er ist weder berechtigt, geschweige denn verpflichtet, dies mit allen erdenklichen Mitteln zu tun.
Aus gutem Grund bestehen Verfassungen, auch die deutsche, meist aus einer Liste von Dingen, die der Staat zu unterlassen. Es handelt sich um Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. Zu tun hat er es aber nicht ist im Wesentlichen die Unterhaltung einiger Institutionen: Gerichte, einen Bundestag, einen Bundesrat, einen Bundespräsidenten und einen Briefkasten zum Einwerfen von Petitionen. Eine recht kurze Liste.
Ich hoffe, ich habe meinen Standpunkt zur Rolle des Staates erhellen können. Nun stellt sich mir die Frage, Wie Sie den Staat und sein Gesetz sehen. Glauben Sie nicht an die Notwendigkeit eines Rechtsstaates oder verstehen Sie etwas anderes darunter? Ziehen Sie einen wohlwollenden Despoten vor, der in jedem Einzelfall entscheiden kann, welche Mittel er anwendet um Verbrechen zu verhüten oder zu bestrafen?
Verwerfen sie nur meine Schlüsse (zum Beispiel die Ablehnung des Kontaktsperregesetzes), oder auch deren Begründung?
Herzliche Grüße, Christoph
eine ihrer Fragen ließ sich in meinem Pamphlet nicht recht unterbringen, aber ich will sie dennoch beantworten: Sie wollten wissen, was ich Ihnen mit den Hervorhebungen im folgenden Satz mitteilen wollte:
Zitat Mir persönlich täte es nicht weh, wenn meine Daten 1/2 Jahr gespeichert würden (dieses Freiheitsrecht erlebe ich als höchst abstrakt),
ich wollte Ihnen sagen: nur dass Ihnen etwas nicht wichtig ist, gibt Ihnen (oder dem Staat) noch nicht das Recht, es mir zu nehmen – nach dem Motto »Was schert es mich, dass man die Bücher verbrennt, die ich sowieso nicht lese?«
auch Ihnen danke für Ihre ausführliche Antwort, die ich mir großem Gewinn gelesen habe.
Bevor ich Ihnen antworte, fasse ich nochmal zusammen, was ich von Ihnen verstanden zu haben glaube. Dreh- und Angelpunkt Ihrer Argumente sind wohl folgende rechtsstaatliche Prinzipien:
Zitat von Christoph 1. keine Strafe ohne Gesetz (Rückwirkungsverbot) 2. Verbot staatlicher Willkür 3. Bestimmtheitsgrundsatz 4. Recht auf rechtliches Gehör und auf den gesetzlichen Richter 5. Recht auf einen Verteidiger 6. keine Inhaftierung ohne Anklage 7. Recht auf Aussageverweigerung, Verbot der Folter
Diese beschreiben Sie als eherne Rechtsgrundsätze, und für weit über 99% der denkbaren Fälle stimme ich Ihnen hier absolut zu. Strittig ist nur der Umgang mit Extremsituationen, also wenn der demokratische Rechtsstaat selbst Ziel von Angriffen oder Gefährdungen ist. Sie sagen nun, soweit ich Sie richtig verstehe: gerade dann müssen diese Rechtsgrundsätze ganz besonders Beachtung finden, sie müssen gerade dann ausnahmslos befolgt werden, damit der Rechtsstaat keinen Schaden nimmt oder zerstört wird. Es gibt also keinen "rechtfertigenden Notstand", der unter Umständen das Aufweichen dieser Prinzipien legitimiert.
Das sehe ich anders. Sie haben mich nach dem von mir befürworteten Prinzip gefragt; ich will versuchen, es, zunächst abstrakt und danach konkret, auf den Punkt zu bringen:
Der Erhalt des demokratischen (Rechts)staates ist nahezu unbedingt erstrebenswert. Ist dieser demokratische Rechtsstaat in seiner Substanz gefährdet, dann ist (fast) alles legitim, um ihn in seiner Substanz zu erhalten. In der Substanz beinhaltet aber auch (und jetzt kommts): eine Legitimation der temporären Suspendierung einzelner rechtsstaatlicher Grundsätze, wenn die Alternative eine nachhaltige Beschädigung oder sogar Abschaffung des Rechtsstaates selbst bedeutet, auch ohne explizite gesetzliche Grundlage . "Temporär" und "einzelne" ist in dieser Formulierung ein Problem, dessen ich mir bewußt bin, vielleicht wird es gleich deutlicher.
Die "Setzung", die ich damit mache ist einerseits: ich stelle die Staatsform des demokratischen Rechtsstaates buchstäblich über alle anderen mir bekannten Formen des Zusammenlebens zwischen Menschen. Zweitens behaupte ich, daß ein biegsamer, bambusartiger Rechtsstaat mehr langfristige Chancen hat zu überleben als ein starrer (und damit zerbrechlicherer). Die assoziative Nähe vom "biegsamen" Bambus zum juristischen Begriff der "Beugung" des Rechts ist hier durchaus gewollt. Nochmal zur Erinnerung: wir reden über extrem seltene, in ihrem Verlauf aber dramatische Gefährdungslagen.
Beispiel 1: Die USA machen uns genau das vor. Die USA sind seit Jahrhunderten ein freiheitliches, pluralistisches, demokratisch verfaßtes Land. Dennoch bekommen deutsche "Rechtsstaatler", oder Journalisten, die sich dafür halten, hier oft die Krätze. Der hemdsärmelige Pragmatismus und die Bereitschaft zur Ruppigkeit im Umgang mit ihren Feinden dürfte mehrfach staatserhaltend (jedenfalls nicht staatszersetzend) gewesen sein. Wahrscheinlich rollen sich Ihnen, lieber Christoph, bei den Begriffen Guantanamo oder Waterboarding die Fußnägel hoch. Mir nicht. Obwohl ich weiß, daß die juristische Formel vom "Feindlichen Kämpfer" erst nach der Installation des Gefangenenlagers zur juristischen Legitimation eingeführt wurde. Wenn ich es richtig sehe, sind hier alle sechs Ihrer obigen Rechtsstaatspostulate gebrochen. Und? Die USA sind immer noch ein freies, pluralistisches und rechtsstaatliches Land, wenn auch nicht in dem von Ihnen postulierten "strengen" Sinne. Mein Eindruck (damit meine ich jetzt nicht Sie!): je höher der Elfenbeinturm, von dem man aus Deutschland auf die USA zeigt, desto eregierter der Zeigefinger (in memoriam Zettel). "Sie treten rechtsstaatliche Grundsätze mit Füßen" mag man hier lesen. "Sie sind bereit, sich für den Erhalt ihrer (und unserer) Werte die Hände schmutzig zu machen, sage ich dazu. Und sie machen sich, weiß Gott, die Hände schmutzig.
Beispiel 2: Israel wäre, bei konsequenter, starrer Auslegung der von Ihnen postulierten rechtsstaatlichen Prinzipien möglicherweise nicht mehr existent. Wir haben in Deutschland glücklicherweise (noch) keine derartigen Gefärdungslagen. Israel entscheidet sich im Spannungsfeld zwischen individuellen (Menschen)rechten und Schutz der Bevölkerung im Zweifel für den Schutz der Bevölkerung. Ich denke, hier finden rechtsstaatliche Prinzipien eine legitime Grenze, abseits des akademischen Diskurses.
Beispiel 3 (etwas polemisch;) Mir scheint der in Deutschland anzutreffende Wunsch nach "starrer", also ausnahmslos und grundsätzlich anzuwendener Rechtsstaatlichkeit eine Entsprechung des sehr "deutschen" Wunsches nach "ordentlichen Verhältnissen" und "Regelwerken" zu sein. Sicher auch verständlich vor dem Hintergrund zweier Diktaturen und geringer demokratischer Übung(im Vergleich zu den USA). Und für fast alle Fälle zweckdienlich, wie gesagt. Mir scheinen aber Situationen denkbar und auf lange Sicht wahrscheinlich, in denen ein starrer Rechtsstaat eher zu zerbrechen droht als ein "flexibler". Dreh- und Angelpunkt ist hier wohl die Frage wie frei eine Gesellschaft ansonsten ist. Der fexible Rechtsstaat USA hat in der Tat auch die McCarthy-Inquisition hervorgebracht (allerdings der deutsche Staat auch seine Spiegel/Strauß-Affäre). Beide Gesellschaften haben diese Nagelproben bestanden. Während ich allerdings den USA zutraue, dies auch in Zukunft zu schaffen, bekomme ich angesichts des Palavers um den NSU-Prozeß so meine Zweifel. Wenn der Rechtsstaat (in seiner starren Auslegung durch OLG München) hier schon ins wanken gerät (weil er nicht durchgehalten wurde!), dann droht er auch schnell zu zerbrechen, nicht zuletzt weil der öffentliche Diskurs in D. zunehmend unfrei wird.
So, jetzt mal eben durchzählen, wie viele liberale Feinde ich mir jetzt im Forum gemacht habe.
Die "Setzung", die ich damit mache ist einerseits: ich stelle die Staatsform des demokratischen Rechtsstaates buchstäblich über alle anderen mir bekannten Formen des Zusammenlebens zwischen Menschen. Zweitens behaupte ich, daß ein biegsamer, bambusartiger Rechtsstaat mehr langfristige Chancen hat zu überleben als ein starrer (und damit zerbrechlicherer). Die assoziative Nähe vom "biegsamen" Bambus zum juristischen Begriff der "Beugung" des Rechts ist hier durchaus gewollt. Nochmal zur Erinnerung: wir reden über extrem seltene, in ihrem Verlauf aber dramatische Gefährdungslagen.
Ich glaube, lieber Andreas Döding, nach diesem Prinzip wird schon jetzt gehandelt. Da aber unser GG das eigentlich nicht hergibt, wird hier immer noch nach der Metapher "wasch mich, aber mach mich nicht naß" vorgegangen. Das wäre der Unterschied zu den USA. Wenn es sein muß,der Notfall eintritt, wird in den USA über eine Abstimmung der Entscheidungsträger eine Vorgehensweise beschlossen. Dann wird es dem Bürger vermittelt unter Erklärung allen Wenn's und Aber's. Da gibts kein "einen Schritt vor und wieder zwei zurück" und "keine Distanz von der Distanzierung" etc.
♥lich Nola
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Status quo, nicht wahr, ist der lateinische Ausdruck für den Schlamassel, in dem wir stecken. Zettel im August 2008
Zitat von NolaIch glaube, lieber Andreas Döding, nach diesem Prinzip wird schon jetzt gehandelt. Da aber unser GG das eigentlich nicht hergibt, wird hier immer noch nach der Metapher "wasch mich, aber mach mich nicht naß" vorgegangen. Das wäre der Unterschied zu den USA. Wenn es sein muß,der Notfall eintritt, wird in den USA über eine Abstimmung der Entscheidungsträger eine Vorgehensweise beschlossen. Dann wird es dem Bürger vermittelt unter Erklärung allen Wenn's und Aber's. Da gibts kein "einen Schritt vor und wieder zwei zurück" und "keine Distanz von der Distanzierung" etc.
Zustimmung, liebe Nola, aber so wirklich erklärlich ist mir das nicht. Es ist wohl gleichzeitig eine Stärke und eine Schwäche des GG, daß es unmittelbar nach und unter dem Eindruck der Nazidiktatur entstanden ist. Man wollte wohl nie wieder die Rechte des Einzelnen gegenüber einem überbordenden Staatswesen so vernachlässigt sehen wie das zw. 33 und 45 der Fall war. Und das ist sehr gut so! Ich bin aber nicht sicher, ob dabei der Staat mit Blick auf seine Selbstverteidigungsmöglichkeiten (im Vergleich zu den USA, GB oder F) nicht als zahnloser Tiger konstruiert worden ist. Denn anders als alle anderen Staatsformen auf deutschem Boden in der Vergangenheit, ist dieser demokratische Rechtsstaat es wirklich wert, verteidigt zu werden. Und er hat nicht (mehr) viele Fürsprecher, wenn ich mich in diesem Land, bei seinen politischen Repräsentanten und seinen Medien umhöre. Und dabei haben wir es, abgesehen von der RAF, noch gar nicht mit "richtigen Bedrohungen" für den Rechtsstaat zu tun bekommen. Ob er sich bewähren (und hinreichend beherzt wehren) wird, wenn man ihm wirklich ans Leder will?
Zitat von Doeding im Beitrag #42 (...) Ob er sich bewähren (und hinreichend beherzt wehren) wird, wenn man ihm wirklich ans Leder will?
Herzliche Grüße, Andreas Döding
och, da sehe ich kein Problem, lieber Andreas Döding, das machen wir dann auch zur Nato-Sache und dann schützt uns das türkische Militär. Frau Merkel hat ja sicher einen heißen Handydraht zu unseren Freunden. Gibts eigentlich auch "rote Handys" so für den Ernstfall ?
♥lich Nola
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Status quo, nicht wahr, ist der lateinische Ausdruck für den Schlamassel, in dem wir stecken. Zettel im August 2008
Zitat und für weit über 99% der denkbaren Fälle stimme ich Ihnen hier absolut zu
Das ist schön, aber mit den Hühnerdieben und Heiratsschwindlern sind auch die Diktaturen nicht wesentlich schlechter umgegangen, als wir es tun.
Zitat Strittig ist nur der Umgang mit Extremsituationen,
Sehr richtig. Eine »Extremsituation« wie wir beide sie verstehen macht vielleicht tatsächlich nur 1% der Fälle aus. Bei den Regierungen sind die »Extremsituationen« aber sehr viel beliebter und werden immer ausgerufen, wenn es opportun erscheint. Ist die Neu-Verschuldung größer als die Summe der staatlichen »Investitionen« liegt selbstverständlich eine »Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts« vor. Und wenn man einem lästigen Störenfried keine Schuld nachweisen kann, dann ist er sicher ein »Terrorist« oder ein »innerer Feind«, den man nur eben schnell beseitigt, bevor man mit business as usual fortfährt.
Zitat […] daß ein biegsamer, bambusartiger Rechtsstaat mehr langfristige Chancen hat zu überleben als ein starrer (und damit zerbrechlicherer).
Nun. Die Metapher hat etwas für sich. Einen Bambus kann man biegen, aber wenn man ihn loslässt, dann kehrt er in seine ursprüngliche Form zurück. Das lässt sich für das Staatswesen nicht garantieren. Die Geschichte zeigt, dass Regierungen eine einmal erhaltene Vollmacht nicht freiwillig wieder abgeben. Sie gleichen eher einem Kupferrohr, dass krumm bleibt, wenn man es biegt. Den Rechtsstaat begreife ich nicht als die wünschenswerte (im Fall von Bambus und Kupferrohr: gerade) Form des staatlichen Handelns, sondern dessen äußerste Grenze, die nicht überschritten werden darf, ohne dass der Staat Schaden nimmt und seinen legitimen Charakter verliert. Mechanisch gesehen: die Bruchgrenze, bei der ein Material bricht.
Zitat Der Erhalt des demokratischen (Rechts)staates ist nahezu unbedingt erstrebenswert.
Warum? Diese Rechtfertigung könnte auch Herr Assad gebrauchen und der König von Bahrain, der preußische König 1848, die Herren Honecker, Krenz, Mielke 1989 und natürlich die chinesische Regierung ein paar Monate vorher – würde man nur Demokratie und Recht aus ihrer Formulierung tilgen. Diese sind es, die unseren Staat erhaltenswert machen, dass heißt: er ist erhaltenswert, weil die von mir genannten Grundsätze gelten. Übertritt er sie, unterscheidet er sich nicht mehr von der Tyrannei, die zu bekämpfen er vorgibt.
Übrigens ist es interessant, das wir auf einmal nicht mehr über das Leben der Bürger diskutieren sondern über den Bestand des Staates selbst – also nicht mehr darüber, ob man nach Franklin die Freiheit zugunsten der Sicherheit aufgeben sollte sondern vielmehr, ob man die Freiheit nicht lieber selbst opfern sollte, damit es andere nicht tun.
Zitat Ist dieser demokratische Rechtsstaat in seiner Substanz gefährdet,
Und wann ist er das? Dafür haben sie – ich vermute wohlweißlich – keine Kritieren genannt. Ich sehe nicht, wie die RAF ihn hätte zu Fall bringen können, und ich sehe nicht wie er durch 9/11 oder die Explosionen in Vorortzügen und U-Bahnen zu Fall zu bringen wäre. Dagegen sehe ich sehr wohl, wie er durch die Reichstagsbrandverordnung und das Ermächtigungsgesetz zu Fall gebracht werden kann.
Kann das bloße Unwohlsein im Angesicht einer Bedrohung, die Behauptungen eines paranoiden Senators oder einer ängstlichen Regierung genug sein, um diese Höllen-Maschine staatlicher Unterdrückung in Gang zu setzen:
Zitat dann ist (fast) alles legitim, um ihn in seiner Substanz zu erhalten.
?
So legitim, wie die »temporären« Maßnahmen der Jakobiner zur Verhinderung der »Konterrevolution«? oder die sowjetischen Panzer in Berlin im Jahr 53?
Zitat wenn die Alternative eine nachhaltige Beschädigung oder sogar Abschaffung des Rechtsstaates selbst bedeutet
ich habe es schon einmal geschrieben: das hieße, eine mögliche Beschädigung zu vermeiden, indem man eine sichere herbeiführt.
Zitat Die USA machen uns genau das vor.
Vorbildlich an den USA sind nicht die Irrwege eines McCarthy oder Dick Cheney sondern die Fähigkeit, sie wieder zu verlassen, aus eigener Kraft.
Zitat Wahrscheinlich rollen sich Ihnen, lieber Christoph, bei den Begriffen Guantanamo oder Waterboarding die Fußnägel hoch
Ich würde es anders ausdrücken, aber in der Tat: was hier geschieht fügt Amerika mehr Schaden zu, als ein paar Djihadisten es tun könnten. Auch wenn Sie es verleugnen: auf Guantanamo regiert die Willkür und nicht das Recht.
Zitat Und? Die USA sind immer noch ein freies, pluralistisches und rechtsstaatliches Land, wenn auch nicht in dem von Ihnen postulierten "strengen" Sinne.
Sie sind trotz Guantanamo noch ein freies Land und nicht deswegen. Ein Rechtsstaat versuchen sie durch die kleine Spitzfindigkeit zu bleiben, die eigene Verfassung bloß auf exterritorialem Gebiet mit Füßen zu treten.
Zitat "Sie treten rechtsstaatliche Grundsätze mit Füßen" mag man hier lesen. "Sie sind bereit, sich für den Erhalt ihrer (und unserer) Werte die Hände schmutzig zu machen,[…]
Wie gesagt: ihren und unseren Werten fügen sie mit Guantanamo mehr Schaden zu, als die, die dort sitzen, es tun könnten. Was ist denn damit gewonnen, diese Leute nicht nach regulären Gesetzen zu behandeln? Das vermag ich aus Ihrem Beitrag nicht herauszulesen. Kann es dafür einen anderen Grund geben, als das ihre Schuld nicht erwiesen ist?
Über Israel weiß ich zu wenig, um mich dazu zu äußern.
Zusammengefasst: Sie verstehen unter Rechtsstaat, dass eine Regierung solange, nach rechtsstaatlichen Grundsätzen handelt, wie es ihr angenehm erscheint. Ich verstehe unter einem Rechtsstaat dagegen die Garantie, dass sie es immer tut. Sie sind bereit, der Regierung ein paar Verbrechen zu gestatten solange sie behauptet in edler Absicht zu handeln. Solche guten Absichten waren aber stets der Anfang und Rechtfertigung der schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte, begangen nicht von Einzelnen sondern von Staaten und Gruppen im Sinne »höherer Absichten«. Bei Sulla: die Rettung der Republik, im Mittelalter die Kreuzzüge: zur Ehre Gottes, Robespierre: die Verhinderung des Absolutismus, die Kommunisten: für die klassenlose Gesellschaft.
Nicht Gier, Sadismus, Herrschsucht sind der Treibstoff solch großer Untaten sondern das Bewusstsein der eigenen moralischen Überlegenheit und Legitimität. Auf dieses Bewusstsein sollte man also nichts geben, und eine Regierung an dem messen, was sie tut, und nicht an den Zielen, die zu verfolgen sie vorgibt.
Das letzte Mal habe ich dieselbe Diskussion übrigens mit einem Marxisten geführt, der erklärte, Linksextremismus sei doch bei weiten nicht so schlimm wie Rechtsextremismus, denn wo der Rechte andere Menschen unterdrücken wolle, sei das Ziel der Linksextremisten doch das Paradies auf Erden, wo ein Mensch nicht länger den anderen beherrscht.
Zitat So, jetzt mal eben durchzählen, wie viele liberale Feinde ich mir jetzt im Forum gemacht habe.
Zitat von ChristophZusammengefasst: Sie verstehen unter Rechtsstaat, dass eine Regierung solange, nach rechtsstaatlichen Grundsätzen handelt, wie es ihr angenehm erscheint.
Nö. Kommen wir jetzt zu dem Teil, wo man sich absichtlich falsch verstehen will? Ich gestehe dem Rechtsstaat ein besonderes Abwehrrecht gegen seine Abschaffung zu, aber das habe ich ja weiter oben erläutert.
Zitat Nicht Gier, Sadismus, Herrschsucht sind der Treibstoff solch großer Untaten sondern das Bewusstsein der eigenen moralischen Überlegenheit und Legitimität. Auf dieses Bewusstsein sollte man also nichts geben, und eine Regierung an dem messen, was sie tut, und nicht an den Zielen, die zu verfolgen sie vorgibt.
Das gilt für die großen menschenverachtenden Ideologien, nicht für demokratische Staatssysteme. Und nein, das ist nicht letztlich austauschbar. Sie sagen, bevor der Rechtsstaat zum Täter wird, sollte er sich lieber abschaffen lassen. Das ist Appeasement höherer Ordnung und wird gegen die bekannten großen Ideologien, die ungleich aggressiver und kämpferischer auftreten (der islamistische Fundamentalismus kommt ja inzwischen dazu), langfristig zu seiner Abschaffung führen. Da bin ich halt nicht dabei, womit wir wieder bei den Eiern und dem Omelett wären.
Zitat von ChristophZusammengefasst: Sie verstehen unter Rechtsstaat, dass eine Regierung solange, nach rechtsstaatlichen Grundsätzen handelt, wie es ihr angenehm erscheint.
Nö. Kommen wir jetzt zu dem Teil, wo man sich absichtlich falsch verstehen will? Ich gestehe dem Rechtsstaat ein besonderes Abwehrrecht gegen seine Abschaffung zu, aber das habe ich ja weiter oben erläutert.
Nein. Es war nicht meine Absicht, Ihnen etwas zu unterstellen. Meine Formulierung bedeutet: Solange objektiv nicht feststellbar ist, wann die Abschaffung des Rechtsstaates droht, kann eine Regierung dieses Argument fast beliebig benutzen, um bürgerliche Rechte außer Kraft zu setzen. Zudem ist mir nicht klar, warum sich dieses Abwehrrecht außerhalb der rechtsstaatlichen Normen bewegen sollte. Diese lassen ja reichlich Spielraum.
Zitat
Zitat Nicht Gier, Sadismus, Herrschsucht sind der Treibstoff solch großer Untaten sondern das Bewusstsein der eigenen moralischen Überlegenheit und Legitimität. Auf dieses Bewusstsein sollte man also nichts geben, und eine Regierung an dem messen, was sie tut, und nicht an den Zielen, die zu verfolgen sie vorgibt.
Das gilt für die großen menschenverachtenden Ideologien, nicht für demokratische Staatssysteme. Und nein, das ist nicht letztlich austauschbar.
Ich denke schon. Dadurch dass die Jakobiner die Demokratie anstrebten wird doch ihr Terror nicht besser.
Zitat Sie sagen, bevor der Rechtsstaat zum Täter wird, sollte er sich lieber abschaffen lassen.
Präziser: ich sehe kein Vorteil im Selbstmord des Rechtsstaats gegenüber seinem Tod durch fremde Hand.
Zitat Das […] wird gegen die bekannten großen Ideologien, die ungleich aggressiver und kämpferischer auftreten […] langfristig zu seiner Abschaffung führen.
Das ist eine Befürchtung, die ich nicht teile. Aber da sind wir wieder an einem Punkt, wo keiner seine Ansicht beweisen kann.
Aus meiner Sicht wird der Kampf um den demokratischen Rechtsstaat nicht durch Bomben und Strafgesetze entschieden werden sondern durch die Ansichten der breiten Masse. Solange die Demokratie als die bessere Alternative gilt, wird sie nicht leicht zu beseitigen sein. Gilt sie aber nicht als die bessere Alternative, wird keine Macht ihren Fall verhindern können.
In diesem Sinne, gute Nacht und Hoffnungsvolle Grüße, Christoph
Zitat von Doeding im Beitrag #45Ich gestehe dem Rechtsstaat ein besonderes Abwehrrecht gegen seine Abschaffung zu, aber das habe ich ja weiter oben erläutert.
Zitat von Christoph im Beitrag #44ich habe es schon einmal geschrieben: das hieße, eine mögliche Beschädigung zu vermeiden, indem man eine sichere herbeiführt.
Da bin ich auf Christophs Seite. Das Problem mit dem Prinzip "Der Zweck heiligt die Mittel" ist ja hier, daß ein Zweck Mittel heiligen soll, die ihm direkt widersprechen. Das ist natürlich eine schwierige Situation, aber gerade in dieser sollte man sich an einem festgefügten und starren äußeren Gerüst orientieren können. Lavieren und kleinere Regelverstöße kann man sich in unkritischen Fragen vielleicht erlauben, aber gerade da, wo es an die Substanz geht, sind sie extrem gefährlich, weil eins das andere gibt und sich viele kleine pragmatische Sanktionen zu einer großen Richtungsänderung addieren können. Im Normalbetrieb kann die Gesellschaftsordnung elastisch auf kleine Störungen reagieren, in Extremsituationen geht sie leicht in plastische Verformung über; Christoph hat etliche historische Beispiele genannt.
Interessant ist ja dabei auch immer der Sprachgebrauch, der beim graduellen Sich-selbst-in-die-Tasche-lügen eine so wesentliche Rolle spielt. Beispielsweise bin ich, freilich durch intensive Belehrung über die deutsche Geschichte sensibilisiert, unangenehm berührt, wenn am Eingang eines Gefangenenlagers Sprüche stehen wie "Honor bound to protect freedom". Das mag ja nützlich sein zur psychologischen Stabilisierung des Aufsichtspersonals, aber aus Sicht eines Insassen, der entgegen allgemeinen rechtsstaatlichen Prinzipien viele Jahre lang ohne Verurteilung oder sogar Anklage seiner Freiheit beraubt und vielleicht noch in anderer Weise drangsaliert wird, muß der Spruch doch wie blanker Zynismus klingen.
Honor und freedom --- das sind natürlich tragende Säulen des US-amerikanischen Selbstbewußtseins, für deren angeblichen Schutz man offenbar durchaus bereit ist, bei der Rechtsstaatlichkeit (um deren Schutz es hier ja doch nicht einmal geht) auch einmal fünfe gerade sein zu lassen.
Zitat von FluministDa bin ich auf Christophs Seite. Das Problem mit dem Prinzip "Der Zweck heiligt die Mittel" ist ja hier, daß ein Zweck Mittel heiligen soll, die ihm direkt widersprechen.
Jo, spätestens seit gestern Abend hatte ich selbst den Eindruck, mich in einem Rückzugsgefecht zu befinden . Ist schon recht zwingend argumentiert von Christoph, auch wenn ich noch das eine oder andere zu argumentieren hätte. Insbesondere das "Sündenfalldenken", daß sofort der ganze Rechtsstaat komplett im Eimer ist, wenn man einzelne Aspekte angesichts einer großen Bedrohung suspendiert, zweifle ich nach wie vor an. Andererseits liefen meine Argumente zunehmend darauf hinaus, daß die Hunnenhorden bereits vor den Toren Deutschlands stünden, was ja so auch nicht ganz richtig ist
Doeding: Wenn man dem Staat Spielraum lässt, die eigenen Grenzen nach Augenmaß etwas zu dehnen, frage ich mich, an welchem Punkt dann das Widerstandsrecht greifen würde. Bei festen eindeutigen Grenzen kann man ja etwa so argumentieren: X würde die Verfassung brechen. Wenn X passiert und von staatlicher Seite nichts dagegen unternommen wird, dann ist an dem Punkt die Verfassung direkt gebrochen, d.h. der Staat hält sich nicht mehr an seine eigene Verfassung und büßt damit seine Legitimation ein. Das hieße praktisch bspw. ein eindeutig verfassungswidriges Gesetz wird erlassen und vom Verfassungsgericht in Bestand gelassen. Oder die Entscheidung des Gerichtes wird vollständig ignoriert.
Wenn man umgekehrt keinen solchen Fixpunkt hat, wann genau ist dann der Zeitpunkt gekommen, Widerstand zu leisten? Jetzt mal davon abgesehen, dass unser Widerstandsrecht natürlich letztlich nur ein Papiertiger ist, da aus dem Recht zum Widerstand kein Recht zur entsprechenden Vorbereitung auf möglicherweise künftig notwendigen Widerstand abgeleitet wid. Das ist in den USA dann doch deutlich besser durchdacht umgesetzt worden.
Zitat von Christoph im Beitrag #46Gilt sie aber nicht als die bessere Alternative, wird keine Macht ihren Fall verhindern können.
Aber sicher gibt es die:
Zitat von http://de.wikipedia.org/wiki/EwigkeitsklauselDie Ewigkeitsklausel oder Ewigkeitsgarantie ist in Deutschland eine Regelung in Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG), nach der bestimmte Verfassungsprinzipien auf ewig einer Verfassungsänderung entzogen sein sollen. Artikel 79 Abs. 3 GG lautet: „Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.“ Mit dieser Regelung wollte der Parlamentarische Rat den Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus begegnen und naturrechtliche Grundsätze in Form der Menschenwürde (vgl. Artikel 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland) sowie der Strukturprinzipien in Artikel 20 (Republik, Demokratie, Bundesstaat, Rechtsstaat und Sozialstaat) mit einer zusätzlichen Sicherung versehen. Durch diese Ewigkeitsklausel ergibt sich selbst innerhalb des Grundgesetzes eine Normenhierarchie. Bis zu einer Ersetzung des Grundgesetzes durch eine andere Verfassung (Art. 146 GG)[1] kann die Ewigkeitsklausel nach heute herrschender Meinung nicht aufgehoben werden. Die Bezeichnung Ewigkeitsklausel selbst steht nicht im Grundgesetz, sondern gehört eher der juristischen Umgangssprache an.
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