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ZETTELS KLEINES ZIMMER

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Dieses Thema hat 98 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
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Doeding Offline




Beiträge: 2.612

20.01.2014 08:50
Plädoyer für die aktive Sterbehilfe Antworten

Passend zur gestrigen Sendung von Günther Jauch, meine bereits vor ein paar Tagen formulierten Gedanken zum Thema.

xanopos ( gelöscht )
Beiträge:

20.01.2014 12:01
#2 RE: Plädoyer für die aktive Sterbehilfe Antworten

Schwieriges Thema.

Das Beenden des eigenen Lebens solange man es noch kann, dann ist das straffrei, interessant für den Fall des Nichtgelingens.

Kann man es alleine allerdings nicht mehr, dann muss man einen "Dummen" finden.

Krischan Offline




Beiträge: 641

20.01.2014 12:25
#3 RE: Plädoyer für die aktive Sterbehilfe Antworten

Lieber Döding,
vielen Dank für diesen interessanten Artikel. Gerade bei diesem Thema rufe ich sehr oft meinen internen Vermittlungsausschuss an - nicht gerade den liberal-konservativen wie bei Zettel, sondern eher den "Zwei Herzen schlagen, ach, in meiner Brust".
Einerseits weiss ich, wie schlimm Leiden sein kann, wenn es dem Ende zugeht - ich habe das bei meinem Großvater erfahren, aber auch durch meinen Zivildienst, damals, in der septischen Chirurgie. Und meine Mutter, als Ärztin auf Brustkrebs spezialisiert, erzielt von Zeit zu Zeit ein Einverständnis mit Patienten (das schließt auch männliche mit ein!) über die Morphingabe und deren mögliche Folgen. Jeder, aber absolut jeder weiss hier, dass das eine Grauzone ist, in der man einen Vorsatz, gar ein aktives Verschulden, nicht nachweisen kann, und der Tod recht sanft und schmerzlos eintritt. Hier gilt dann offenbar "don't ask, don't tell". Ich bin mir sicher, woanders wird das genauso gehandhabt. Prinzipiell sollte jeder für sich selbst eintscheiden, ob und ggf. wie er seinem Leben ein Ende macht - das sagt der Liberale in mir. Soweit ich weiss, ist versuchter Selbstmord ja auch kein Straftatbestand mehr. (Sollten dabei andere Personen zu Schaden kommen, wie z.B. beim beliebten "vor-die-Schiene-werfen", finde ich das dann wieder extrem unmoralisch und feige - wie man sieht, kommt man hier von Hölzchen auf Stöckchen).
Ich selbst fürchte nichts mehr als den Tag, an dem ich nicht mehr klar kommunizieren kann, dahinvegetiere, mit kurzen Augenblicken der Klarheit, dann wieder im Nebel versinkend - heute sage ich mir, lieber ein selbstbestimmtes Ende als Dahinvegetieren.

Und doch...ich klammere mich so an jeden Funken Leben, dass ich diese Entscheidung auf keinem Fall jemandem anders überlassen will, keinem Staat, keiner Gesellschaft. Ich hab ja nur das eine Leben - es gibt keinen Teil II, keinen Restart, kein "Wir fangen nochmal von Neuem an".

Beruflich bedingt würde ich jetzt die klassische Antwort geben: Sterbehilfe ja/nein - kommt ganz drauf an. Auf den Einzelfall nämlich, auf den Menschen. Und da kam mir, während ich den Artikel las, auch der Rückgriff auf die Beratungsregelung wie bei der Abtreibung. Umso erfreuter war ich dann, dass offenbar Sie, lieber Döding, das auch als Modell sehen. So ein Modell lässt den Weg zwar steinig werden, aber immer noch selbstbestimmt. Wobei sich mir die Beratungsregelung beim Thema Suizid noch eher vermittelt als bei der Abtreibung, aber das ist sicher eine individuelle Präferenz.

Krischan

Deutsche Wurst - alles andere ist Käse.

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

20.01.2014 12:42
#4 RE: Plädoyer für die aktive Sterbehilfe Antworten

Die Gedanken zum Thema sind wohl umfassend dargestellt; ich denke nur noch an eine unerwähnte Konsequenz. Dazu eine Geschichte, die ich irgendwo las und die mir glaubhaft vorkam:
Als die Römer noch am Anfang ihres Reichaufbaus und wirtschaftlich knapp dranwaren, führten sie die über Sechzigjährigen eines Nachts auf die Tiberbrücke und kippten sie hinein. Offensichtlich gab es keinen Protest; das Sichopfern gehörte zum Ethos. Das passte zu dem, was ich im Lateinunterricht gehört hatte: Mit dem vierzigsten Lebensjahr fiel man dem Tod nicht mehr in den Arm, etrug das Faulen der Zähne männlich und ging nicht mehr zum Arzt.
Was ich als Konsequenz bei der heutigen Debatte, die ja auch eine ökonomische Seite hat, vermisse, ist die Frage: Was sagen die Nahestehenden, wenn ein geistig noch reger Patient sich zu opfern wünscht? Gibt es da eine Grenze? Sie kann nicht herunter reichen bis zur Erforschung und Entscheidung vor der Geburt, denn "Opfern" wäre hier eine fremdbestimmte Entscheidung. Das war das Argument von Habermas: In unserer Kultur herrsche Übereinstimmung darüber, dass jeder Mensch das Recht habe, seine Meinung zu äußern; die Mutter könne nicht sagen "Mein Bauch gehört mir", das Kind müsse gefragt werden, ob es leben wolle oder nicht.
Gruß, Ludwig Weimer

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

20.01.2014 15:14
#5 RE: Plädoyer für die aktive Sterbehilfe Antworten

Lieber Andreas,

ich bin mit Ihrem ersten Satz nicht einverstanden:

Zitat
Es gibt vermutlich wenige Themen, bei denen es so schwierig ist, keine dezidierte Position einzunehmen wie die Frage nach der Gestaltung des Lebensendes und der Frage, wie man mit dem Thema "Tötung auf Verlangen" umgehen sollte.


Ich finde es sehr schwierig, EINE dezidierte Position anzunehmen, und nicht einmal der (in memoriam Zettel) liberalkonservative oder alternativ katholisch-säkulare Vermittlungsausschuss kommt zu einem Ergebnis. Folgende widerstrebende Überzeugungen (Reihenfolge ungleich Gewichtung) kommen mir dazu in den Sinn.

1. Als Katholik stehe ich der aktiven Sterbehilfe ablehnend gegenüber, allerdings bin ich mir bewusst:

2. Das kann in einem weitgehend säkularen Staat nicht als Grundlage der Gesetzgebung ausreichen.
Aber auch aus säkularer Sicht liegt es nicht auf der Hand, dass deshalb eine Liberalisierung zwingend ist. Zwar einerseits:

3. Ich sehe das Selbstbestimmungsrecht des Menschen als wichtigen Grund an, der dafür spricht. Aber gleichzeitig:

4. Es besteht dann Missbrauchsgefahr (da sind der Phantasie wenig Grenzen gesetzt), vor allem wenn man eine Totalfreigabe ansetzt. Tut man das aber nicht, ergibt sich daraus eine Konsequenz, die dem Liberalen wie dem Konservativen opiaterfordend starke Bauchschmerzen bereiten müssten:

5. Die Frage von Leben und Tod wird zu einer bürokratischen Frage. Die Entscheidung, ob die Sterbehilfe zu Recht erfolgt oder nicht, wird in einer Amtsstube entschieden.

Auch das gerne angeführte Argument:

6. Der Wert des menschlichen Lebens wird durch eine Freigabe geringer geschätzt

ist nicht so leicht von der Hand zu weisen.

Denn im Gegensatz zum werten Kollegen Doeding würde ich den Satz

Zitat
Es gibt eine Fristen-, Indikations- und Beratungslösung, die niemandem ganz, aber den meisten halbwegs gerecht wird, und mit der dieses Land nun seit Jahren ganz gut lebt.

nicht ohne weiteres unterschreiben. Denn man muss den Gesamtkontext betrachten. In einem Land, das offensichtlich eine große Verquickung von Moral und Politik aufweist, haben Gesetze moralisch normative Kraft. Wenn nämlich allgemein angenommen wird, dass die Moral eine Rechtsquelle ist, ergibt sich im Umkehrschluss - alles was nicht verboten ist, ist auch moralisch einwandfrei.

Ein auf gesundem Menschenverstand aufbauender common sense ("Das tut man nicht", unabhängig von der gesetzlichen Lage) kann sich viel weniger durchsetzen. Denn moralische Politik ist keine Einbahnstraße. Wenn gesellschaftliche Moralauffassungen Politik beeinflussen, so geschieht dies auch umgekehrt; und die Entscheidung pro oder contra eine Handlung basiert zu einem deutlich größeren Teil auf persönlichen Präferenzen, die nicht zwingend moralischer Natur sein müssen.

Deshalb ist der Verweis auf die "Verbotskeule" aus meiner Sicht hier zu kurz gegriffen. In einem Staat, der fast alle Lebensbereiche durch massive Verbote regelt, könnte man analog fast von einer "Erlaubniskeule" sprechen, um darzulegen, dass die Keule das eigentlich außergewöhnliche Mittel bezeichnet. NAtürlich ist es traurig, in so einem Staat zu leben, aber wir können es nicht ändern und dieser Kontext fehlt mir hier etwas.

Fazit: Ich sehe - wie eingangs dargelegt - mich derzeit keineswegs in der Lage, eine kohärente Position für ein Gesetz einzunehmen, die über meine persönliche Moralvorstellung hinausgeht. Und da ich mich nicht in den Reigen derer einreihen möchte, die ihre persönlichen Moralvorstellungen in Gesetzesform gegossen haben wollen, kann ich nur zur Problemanalyse, nicht aber zu einer Lösung beitragen.

Gruß Petz

"The problem with quotes from the Internet is that it is difficult to determine whether or not they are genuine" - Abraham Lincoln

Krischan Offline




Beiträge: 641

20.01.2014 15:35
#6 RE: Plädoyer für die aktive Sterbehilfe Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #5

Denn im Gegensatz zum werten Kollegen Doeding würde ich den Satz

Zitat
Es gibt eine Fristen-, Indikations- und Beratungslösung, die niemandem ganz, aber den meisten halbwegs gerecht wird, und mit der dieses Land nun seit Jahren ganz gut lebt.
nicht ohne weiteres unterschreiben. Denn man muss den Gesamtkontext betrachten. In einem Land, das offensichtlich eine große Verquickung von Moral und Politik aufweist, haben Gesetze moralisch normative Kraft. Wenn nämlich allgemein angenommen wird, dass die Moral eine Rechtsquelle ist, ergibt sich im Umkehrschluss - alles was nicht verboten ist, ist auch moralisch einwandfrei.



Lieber Meister Petz,

es ist ja nicht so, dass etwas moralisch ist, weil es per Gesetz erlaubt ist (wie etwas nicht unmoralisch ist, weil es per Gesetz verboten ist). Es ist verboten / erlaubt, gerade weil es moralisch OK / moralisch nicht OK ist.

So zumindest das Ideal. Da die Realität ja nun oft genug grau ist, muss der Gesetzgeber die Grauheit hier mit den schwarz-weißen Methoden der Gesetzgebung zu fassen versuchen. Mal klappts, mal nicht so ganz. Und das Thema Sterbehilfe hat ja hier nun viele Aspekte, auch und gerade konträre. Der Vermittlungsausschuß tagt also unentwegt :-)

Die Vorstellung, dass über Leben und Tod in Amtsstuben entschieden wird (death panel in der englischen Diskussion, für die Gremien, die entscheiden, welche Leistungen von nationalen Gesundheitssystemen alten Patienten noch zustehen, so z.B. neue Hüfte nur bis 75), ist allerdings grauslich.

Freundlichst,
Krischan

Deutsche Wurst - alles andere ist Käse.

demonkoryu Offline




Beiträge: 5

20.01.2014 15:48
#7 RE: Plädoyer für die aktive Sterbehilfe Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #5

Auch das gerne angeführte Argument:

6. Der Wert des menschlichen Lebens wird durch eine Freigabe geringer geschätzt

ist nicht so leicht von der Hand zu weisen.



Aus humanistischer Position würde ich aber den Wert des menschlichen Lebens durch Lebensqualität und Lebenswillen definieren. Diese beiden Qualitäten sind bei Agonie nicht mehr gegeben; auch gerade nicht für nahestehende Personen.

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

20.01.2014 15:49
#8 RE: Plädoyer für die aktive Sterbehilfe Antworten

Zitat von Krischan im Beitrag #6

es ist ja nicht so, dass etwas moralisch ist, weil es per Gesetz erlaubt ist (wie etwas nicht unmoralisch ist, weil es per Gesetz verboten ist). Es ist verboten / erlaubt, gerade weil es moralisch OK / moralisch nicht OK ist. So zumindest das Ideal.

Und wie, lieber Krischan, wollen Sie den Umkehrschluss vermeiden, wenn Sie das als Ideal ansehen? Wie wollen Sie vermeiden, dass die Verwendung von Glühbirnen oder das Rauchen in einer Gaststätte als unmoralisch angesehen wird, wenn die allgemeine Auffassung darin besteht, dass ein Gesetz aus einem moralischen Urteil resultiert?

Zitat
Da die Realität ja nun oft genug grau ist, muss der Gesetzgeber die Grauheit hier mit den schwarz-weißen Methoden der Gesetzgebung zu fassen versuchen.


Und ich behaupte, genau damit setzt er moralische Normativität, die vorher nicht da war.

Gruß Petz

"The problem with quotes from the Internet is that it is difficult to determine whether or not they are genuine" - Abraham Lincoln

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

20.01.2014 15:51
#9 RE: Plädoyer für die aktive Sterbehilfe Antworten

Zitat von demonkoryu im Beitrag #7
Aus humanistischer Position würde ich aber den Wert des menschlichen Lebens durch Lebensqualität und Lebenswillen definieren. Diese beiden Qualitäten sind bei Agonie nicht mehr gegeben; auch gerade nicht für nahestehende Personen.

Was ist denn Lebensqualität? Und wie soll eine Behörde feststellen, ob die vorhanden ist? Und in wie weit spielen nahestehende Personen eine Rolle?

Gruß Petz

"The problem with quotes from the Internet is that it is difficult to determine whether or not they are genuine" - Abraham Lincoln

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

20.01.2014 16:34
#10 RE: Plädoyer für die aktive Sterbehilfe Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #1
Passend zur gestrigen Sendung von Günther Jauch, meine bereits vor ein paar Tagen formulierten Gedanken zum Thema.

Ich kann den Handlungsbedarf nicht erkennen. Denn, wer sich für einen Suizid eigenverantwortlich entscheidet, soll dies auch eigenverantwortlich tun. Ist er selbst dazu nicht mehr in der Lage, ändert das in keiner Weise etwas an seiner Verantwortung. Er kann nicht die Verantwortung für eine Tat, die sein Leben beendet anstatt es zu erhalten, auf jemand anderen verlagern. Dieses Maß an Verantwortungslosigkeit in Gesetzesform zu gießen, sollte nicht Aufgabe des Gesetzgebers sein. Ich lehne die aktive Sterbehilfe wegen der Verlagerung der Eigenverantwortung ab. Wird sie im Einzelfall dennoch durchgeführt, muss es für eine Klage einen Kläger geben. Wenn dies nicht der Fall ist, sehe ich ebenfalls keinen Handlungsbedarf.
Die Regelungen zur passiven Sterbehilfe halte ich für ausreichend um in Extremfällen dem Willen des Patienten, keine Hilfe mehr in Anspruch nehmen zu wollen, Rechnung zu tragen.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

20.01.2014 17:03
#11 RE: Plädoyer für die aktive Sterbehilfe Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #5



Lieber Petz, so sehr ich Ihren Argumenten folgen kann, an einigen Stellen konnte ich es nicht.


Zitat
4. Es besteht dann Missbrauchsgefahr (da sind der Phantasie wenig Grenzen gesetzt), vor allem wenn man eine Totalfreigabe ansetzt. Tut man das aber nicht, ergibt sich daraus eine Konsequenz, die dem Liberalen wie dem Konservativen opiaterfordend starke Bauchschmerzen bereiten müssten:



Theoretisch ja, aber konkret kann ich die gar nicht so recht erkennen. Soilent Green fürchte ich erstmal nicht Wenn man ein absolutes Werbeverbot ausspricht, das ganze in die Hand von Stiftungen (Vorbild Schweiz) legt, dann kann ich mir nicht so ganz viele Mißbrauchsvarianten vorstellen.

Zitat
5. Die Frage von Leben und Tod wird zu einer bürokratischen Frage. Die Entscheidung, ob die Sterbehilfe zu Recht erfolgt oder nicht, wird in einer Amtsstube entschieden.



Hier bin ich nun gar nicht dabei. Es wird nicht die Amtsstube gefordert, sondern der Gesetzgeber, und das einmalig. Ich stelle mir das Verfahren analog zur Patientenverfügung vor. Die muß ein paar juristischen Bedingungen genügen, aber dann ist es Sache der Angehörigen und der behandelnden Ärzte zu entscheiden, ob und wann die in der Verfügung genannten Bedingungen erfüllt sind, also die, die unmittelbar betroffen sind. Im Falle der Sterbehilfe wären sogar noch stärker nur die unmittelbar Betroffenen gefordert, nämlich der Sterbende und sein Arzt.

Zitat
Fazit: Ich sehe - wie eingangs dargelegt - mich derzeit keineswegs in der Lage, eine kohärente Position für ein Gesetz einzunehmen, die über meine persönliche Moralvorstellung hinausgeht. Und da ich mich nicht in den Reigen derer einreihen möchte, die ihre persönlichen Moralvorstellungen in Gesetzesform gegossen haben wollen, kann ich nur zur Problemanalyse, nicht aber zu einer Lösung beitragen.



Verstehe ich nicht. Es geht doch um Wahlfreiheit. Niemand soll gezwungen werden, von einer neu geschaffenen, legalen Möglichkeit der Sterbehilfe Gebrauch zu machen. Wer aus religiösen oder anderen Gründen bis zum natürlichen Tod ausharren will, der soll das doch bitte schön weiterhin tun dürfen. Aber ich will mir umgekehrt eben auch nicht die "persönliche Moralvorstellung", sei sie katholisch geprägt oder nicht, als für meine Entscheidung bindend erleben müssen, was ja eben auch ein normativ-moralisch-gesetzlicher Akt ist, nämlich auf Basis der momentan gültigen Gesetze, für die die von Ihnen genannte Moralverquickung ja auch gilt.
In meiner Vorstellung schränkte der Gesetzgeber hier niemandes Entscheidungsfreiheit ein, sondern er schaffte Wahlmöglichkeiten für die, die ihren Todeszeitpunkt selbst bestimmen möchten, im Benehmen mit den Angehörigen, unter der Voraussetzung einer unheilbaren Krankheit, bei infauster Prognose.

Herzliche Grüße,
Andreas

Nola Offline



Beiträge: 1.719

20.01.2014 17:11
#12 RE: Plädoyer für die aktive Sterbehilfe Antworten

Lieber Meister,

auch ich kann keine klare Einschätzung vornehmen, ja nicht einmal empfinden.

Hätte man die Möglichkeit sozusagen posthum zu fragen: "warum wolltest Du nicht mehr leben?"

Und würde man eine Antwort erhalten können, wie: "der Schmerz war nicht auszuhalten und hat mich meiner Sinne beraubt", "ich war es leid und unentlich müde geworden", "ich wollte meinen Kindern nicht zur Last fallen", "es gab keinen Menschen der für mich da war", "banale Körperfunktionen wurden für mich zur Qual", "meine Sehnsucht nach absoluter Ruhe", "ich wollte nicht weiter bei lebendigem Leibe verfaulen", ....

Diese, und vermutlich noch viele mehr, "möglichen Antworten" immer gepaart mit einem sehr schlechten Allgemeinzustand, wer wollte da sagen "nö, Du mußt aber bis zum bitteren Ende durchhalten. Oder schlimmer noch, selbst schuld, das Du Dich immer fit gehalten hast und Dein Körper nun länger braucht bis er total vom Krebs zernagt ist".

Makaber, ja ich weiß, aber ist nicht dieses ganze Drama um ein bevorstehendes Ende meist makaber? Und wie alt darf man sein, um für sich zu entscheiden "ich will nicht mehr!" Wie geht das Umfeld damit um? Verständnis dafür erst ab 80 Jahre aufwärts? Oder Wunder gibt es immer wieder?

Ist es ein nahestehender Mensch (Kind oder Eltern) dann neigt man ja eh schon dazu auf Wunder zu hoffen. Aber nach wochenlangen, täglichen (es könnte ja der letzte sein) Besuchen im Krankenhaus, ohne das erhoffte Wunder, weiß man spätestens dann die diskret und einfach gestellte FRage eines Arztes zu schätzen und Sie sagen ja. Sie sagen ja, weil auch Ihre Nerven am Ende sind, Ihr Körper vom seelischen Schmerz ein Wrack und die Beine Sie nicht mehr tragen wollen. Gibt man erst dann seine Erlaubnis, wenn man selbst es nicht mehr ertragen kann? welch ein Eigennutz wäre das. Dennoch, meist ist es genauso so.

Sagen die Ärzte, "es ist damit zu rechnen, das ... sollen wir dann noch Geräte einschalten oder bzw. abstellen"? Wer einmal diese Frage beantworten mußte, ja sie überhaupt hören mußte, ist der einsamste Mensch auf der ganzen Welt.

Und was ist mit der Würde des Menschen, der Würde dessen, der sie nicht mehr selbst verteidigen bzw. einfordern kann? Könnte man diesem Menschen ein würdevolles schmerzfreies Ende versprechen?

Und was ist mit Organspendern, die, durch massive Medikamentengabe bis zum Ende, dann nicht mehr brauchbar sind, würde man da schon etwas eher, vielleicht ....?

Ich glaube, nicht eine dieser Fragen läßt sich mal eben so vom Schreibtisch aus beantworten oder gar befehlen, egal in welche Worte ein Gesetz gekleidet sein wird.

♥lich Nola

---------------------------

Status quo, nicht wahr, ist der lateinische Ausdruck für den Schlamassel, in dem wir stecken.
Zettel im August 2008

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

20.01.2014 17:32
#13 RE: Plädoyer für die aktive Sterbehilfe Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #11

Zitat
4. Es besteht dann Missbrauchsgefahr (da sind der Phantasie wenig Grenzen gesetzt), vor allem wenn man eine Totalfreigabe ansetzt. Tut man das aber nicht, ergibt sich daraus eine Konsequenz, die dem Liberalen wie dem Konservativen opiaterfordend starke Bauchschmerzen bereiten müssten:


Theoretisch ja, aber konkret kann ich die gar nicht so recht erkennen. Soilent Green fürchte ich erstmal nicht Wenn man ein absolutes Werbeverbot ausspricht, das ganze in die Hand von Stiftungen (Vorbild Schweiz) legt, dann kann ich mir nicht so ganz viele Mißbrauchsvarianten vorstellen.


Der Missbrauch muss ja nicht von offizieller Seite erfolgen. Wann immer eine Wahl besteht, so kann die Person zu einer Entscheidung gedrängt werden. Und wenn es die pflegebedürftige Erbtante ist, um so besser.

Zitat

Zitat
5. Die Frage von Leben und Tod wird zu einer bürokratischen Frage. Die Entscheidung, ob die Sterbehilfe zu Recht erfolgt oder nicht, wird in einer Amtsstube entschieden.



Hier bin ich nun gar nicht dabei. Es wird nicht die Amtsstube gefordert, sondern der Gesetzgeber, und das einmalig. Ich stelle mir das Verfahren analog zur Patientenverfügung vor. Die muß ein paar juristischen Bedingungen genügen, aber dann ist es Sache der Angehörigen und der behandelnden Ärzte zu entscheiden, ob und wann die in der Verfügung genannten Bedingungen erfüllt sind, also die, die unmittelbar betroffen sind. Im Falle der Sterbehilfe wären sogar noch stärker nur die unmittelbar Betroffenen gefordert, nämlich der Sterbende und sein Arzt.]



Die Frage ist doch die: Wenn wir keine Totalfreigabe haben, gibt es einen, der entscheidet, ob die Leistung gewährt wird oder nicht.

Zitat

Zitat
Fazit: Ich sehe - wie eingangs dargelegt - mich derzeit keineswegs in der Lage, eine kohärente Position für ein Gesetz einzunehmen, die über meine persönliche Moralvorstellung hinausgeht. Und da ich mich nicht in den Reigen derer einreihen möchte, die ihre persönlichen Moralvorstellungen in Gesetzesform gegossen haben wollen, kann ich nur zur Problemanalyse, nicht aber zu einer Lösung beitragen.



Verstehe ich nicht. Es geht doch um Wahlfreiheit. Niemand soll gezwungen werden, von einer neu geschaffenen, legalen Möglichkeit der Sterbehilfe Gebrauch zu machen. Wer aus religiösen oder anderen Gründen bis zum natürlichen Tod ausharren will, der soll das doch bitte schön weiterhin tun dürfen. Aber ich will mir umgekehrt eben auch nicht die "persönliche Moralvorstellung", sei sie katholisch geprägt oder nicht, als für meine Entscheidung bindend erleben müssen, was ja eben auch ein normativ-moralisch-gesetzlicher Akt ist, nämlich auf Basis der momentan gültigen Gesetze, für die die von Ihnen genannte Moralverquickung ja auch gilt.
In meiner Vorstellung schränkte der Gesetzgeber hier niemandes Entscheidungsfreiheit ein, sondern er schaffte Wahlmöglichkeiten für die, die ihren Todeszeitpunkt selbst bestimmen möchten, im Benehmen mit den Angehörigen, unter der Voraussetzung einer unheilbaren Krankheit, bei infauster Prognose.



Ich denke schon, dass sich bei einer Freigabe eine Tendenz entwickeln könnte, einen sterbenden Angehörigen als Last zu betrachten und damit sozialen Druck aufzubauen, die die Wahlmöglichkeit beeinflusst. Und hier bin ich zugegebenermaßen mit mir selbst am Kämpfen. Auf der einen Seite wünsche ich mir eine möglichst moralfreie Politik, aber eine Anything-goes-Gesellschaft, in der eine lebensfreundliche und eine lebensfeindliche gesellschaftliche Haltung gleichgestellt sind, finde ich auch nicht lebenswert.

Vielleicht wäre es gut, wenn Sie Ihre Umsetzungsvorstellung skizzieren könnten. Das würde mir helfen, mein eher intuitives Unbehagen zu konkretisieren.

Gruß Petz

"The problem with quotes from the Internet is that it is difficult to determine whether or not they are genuine" - Abraham Lincoln

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

20.01.2014 18:11
#14 RE: Plädoyer für die aktive Sterbehilfe Antworten

Zitat von Meister Petz
Die Frage ist doch die: Wenn wir keine Totalfreigabe haben, gibt es einen, der entscheidet, ob die Leistung gewährt wird oder nicht.



Aus meiner Sicht sind das Arzt und Patient, im wechselseitigem Benehmen, im Rahmen gesetzlich geregelter Vorgaben. Wie bei jeder anderen medizinischen Maßnahme auch.

Zitat

Ich denke schon, dass sich bei einer Freigabe eine Tendenz entwickeln könnte, einen sterbenden Angehörigen als Last zu betrachten und damit sozialen Druck aufzubauen, die die Wahlmöglichkeit beeinflusst. Und hier bin ich zugegebenermaßen mit mir selbst am Kämpfen. Auf der einen Seite wünsche ich mir eine möglichst moralfreie Politik, aber eine Anything-goes-Gesellschaft, in der eine lebensfreundliche und eine lebensfeindliche gesellschaftliche Haltung gleichgestellt sind, finde ich auch nicht lebenswert.



Das Argument ist nicht von der Hand zu weisen. Andererseits: könnten sich solche "Angehörigen" auch heute für den Suizid von Tante Erna stark machen, sie mobben und dergleichen mehr. Viel wahrscheinlicher aber: sie ihrem Schicksal überlassen. Ich glaube, nicht, daß aus einer Liberalisierung der Sterbehilfe hier ein großes zusätzliches Problem geschaffen würde. Im Einzelfall ausgeschlossen ist das freilich nicht.

Zitat

Vielleicht wäre es gut, wenn Sie Ihre Umsetzungsvorstellung skizzieren könnten. Das würde mir helfen, mein eher intuitives Unbehagen zu konkretisieren.



Ich schreib das jetzt mal so aus der Tüte:
Das Gesetz könnte aus meiner Sicht ziemlich kurz sein. Voraussetzung ist 1.) daß der Pat. eine eindeutige, rechtlich bindende Willenserklärung abgibt (einschl. Rücktrittsrecht bis zur letzten Minute, versteht sich) und daß 2.) ein, besser zwei behandelnde Ärzte zu dem Schluß kommen, daß das Anliegen des Pat. vor dem Hintergrund von a.) der med. Diagnose und b.) der Prognose eine realistische Einschätzung seines erwartbaren Leidensweges darstellt, der zu verkürzen ethisch vertretbar ist. Mehr nicht. Wobei hier wohl auch eine Anpassung des Arztrechtes vonnöten wäre.

Es geht genau genommen um das Entkriminalisieren von ärztlichen Handlungen, die ohnehin schon stattfinden, nur im Verborgenen und unter Androhung strafrechtlicher Konsequenzen für die Ärzte. Ich unterstelle diesen Ärzten übrigens keinerlei kriminelle Energie, sondern zutiefst ethisch motiviertes Handeln auf der Basis dessen, was sie an der "Front" tagtäglich erleben, unter Inkaufnahme von Gefahren für die eigene Existenz. Ich kann in dieser Strafandrohung keinen Mehrwert erkennen.

Herzliche Grüße,
Andreas

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

20.01.2014 18:20
#15 RE: Plädoyer für die aktive Sterbehilfe Antworten

Zitat von Erling Plaethe
Ich kann den Handlungsbedarf nicht erkennen.



Und ich kann nicht erkennen, wo die gegenwärtige Regelung vernünftig wäre, lieber Erling. Wo ist der "sittliche Mehrwert", wenn Sterbende, die zu einem Suizid ggf. gar nicht mehr die Kraft haben, anders als Haustiere, ihr Leiden "natürlich" zuende bringen müssen, da die Ärzte gesetzlich und unter Strafandrohung daran gehindert werden, den Pat. ihren letzten Wunsch zu erfüllen. Es wird ja nicht die Verantwortung für die Entscheidung dem Pat. abgenommen, sondern die Details der Ausführung, wie bei medizinischen Maßnahmen, und auch sonst oft im Leben, ja durchaus üblich ist.

Herzliche Grüße,
Andreas

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

20.01.2014 18:29
#16 RE: Plädoyer für die aktive Sterbehilfe Antworten

Zitat von Krischan im Beitrag #3


Beruflich bedingt würde ich jetzt die klassische Antwort geben: Sterbehilfe ja/nein - kommt ganz drauf an. Auf den Einzelfall nämlich, auf den Menschen. Und da kam mir, während ich den Artikel las, auch der Rückgriff auf die Beratungsregelung wie bei der Abtreibung. Umso erfreuter war ich dann, dass offenbar Sie, lieber Döding, das auch als Modell sehen. So ein Modell lässt den Weg zwar steinig werden, aber immer noch selbstbestimmt. Wobei sich mir die Beratungsregelung beim Thema Suizid noch eher vermittelt als bei der Abtreibung, aber das ist sicher eine individuelle Präferenz.

Krischan


Ja, lieber Krischan. Solche Lösungen, wie ich -und anscheinend auch Sie- sie präferieren, haben eben auch jede Menge Nachteile. Sie sind wenig "elegant" sondern Stückwerk, "far from perfect", sie können auch schiefgehen. Sie sind weder fehlerfrei noch unangreifbar. Aber genau deshalb, so scheint mir, kommen sie den realen Lebensbedingungen und Bedürfnissen der Menschen mehrheitlich und tendenziell eher entgegen, und das ist nicht nur demoskopisch gemeint, aber auch. (bei aller andernorts geäußerten Kritik an Demoskopie). Aktuell haben sich 2/3 der Menschen für Sterbehilfe in ausweglosen Situationen ausgesprochen. Daß ich der Demoskopie oft skeptisch gegenüber stehe heißt ja nicht, daß man die Menschen nicht fragen sollte. Es geht ja schließlich um sie.

Herzliche Grüße,
Andreas

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

20.01.2014 20:00
#17 RE: Plädoyer für die aktive Sterbehilfe Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #15

Zitat von Erling Plaethe
Ich kann den Handlungsbedarf nicht erkennen.


Und ich kann nicht erkennen, wo die gegenwärtige Regelung vernünftig wäre, lieber Erling. Wo ist der "sittliche Mehrwert", wenn Sterbende, die zu einem Suizid ggf. gar nicht mehr die Kraft haben, anders als Haustiere, ihr Leiden "natürlich" zuende bringen müssen, da die Ärzte gesetzlich und unter Strafandrohung daran gehindert werden, den Pat. ihren letzten Wunsch zu erfüllen. Es wird ja nicht die Verantwortung für die Entscheidung dem Pat. abgenommen, sondern die Details der Ausführung, wie bei medizinischen Maßnahmen, und auch sonst oft im Leben, ja durchaus üblich ist.


Was Sie beschreiben, lieber Andreas, scheint mir aber vielmehr den Bereich der passiven Sterbehilfe zu tangieren. Und dieses Leiden kann schon jetzt beendet werden.
Es geht mir schon um die Verantwortung der Handlung, nicht um die der Entscheidung.
Ich denke da eher an den Ablauf wie ich ihn mal in einem Dokumentarfilm über die aktive Sterbehilfe in der Schweiz sah. Da ging ein Ehepaar in eine Wohnung und nach einer Stunde kam die Frau als Witwe wieder aus der Haustür. Was soll das? Wer zu feige ist, seinem Leben durch die eigene Tat ein Ende zu setzen, sollte dies nicht durch ein Gesetz von anderen durchführen lassen. Es muss ja Gründe geben, dass er dies nicht selbst tut, obwohl er es könnte. Und diese Gründe könnten u.U. auch für eine Weiterführung seines Lebens sprechen - und wenn es nur Tage sind. Etwas persönlicheres als das eigene Leben hat ein Mensch nicht. Irgendwo muss eine Grenze der Verantwortungsübernahme durch den Gesetzgeber gesetzt werden. Hier, bei der aktiven Sterbehilfe ist die letzte Grenze. Wenn die fällt, gibt es gar keine mehr.
Wo ist hier der "sittliche Mehrwert"?

Viele Grüße, Erling Plaethe

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

20.01.2014 22:10
#18 RE: Plädoyer für die aktive Sterbehilfe Antworten

Zitat

Zitat
Ich denke schon, dass sich bei einer Freigabe eine Tendenz entwickeln könnte, einen sterbenden Angehörigen als Last zu betrachten und damit sozialen Druck aufzubauen, die die Wahlmöglichkeit beeinflusst. Und hier bin ich zugegebenermaßen mit mir selbst am Kämpfen. Auf der einen Seite wünsche ich mir eine möglichst moralfreie Politik, aber eine Anything-goes-Gesellschaft, in der eine lebensfreundliche und eine lebensfeindliche gesellschaftliche Haltung gleichgestellt sind, finde ich auch nicht lebenswert.



Das Argument ist nicht von der Hand zu weisen. Andererseits: könnten sich solche "Angehörigen" auch heute für den Suizid von Tante Erna stark machen, sie mobben und dergleichen mehr. Viel wahrscheinlicher aber: sie ihrem Schicksal überlassen. Ich glaube, nicht, daß aus einer Liberalisierung der Sterbehilfe hier ein großes zusätzliches Problem geschaffen würde. Im Einzelfall ausgeschlossen ist das freilich nicht.



Mir geht es gar nicht nur darum, ob Tante Erna gemobbt wird oder nicht. Sondern dass bei einer Alltäglichkeit der Sterbehilfe ein Klima entstehen könnte, das kranke und leidende Menschen zum wertlosen Ballast macht. (Vielleicht ist es auch schon längst so, und die von Ihnen erwähnte Umfrage ist nur die Folge davon). Da muss man Tante Erna gar nicht mehr mobben, weil sie ja von selbst Schuldgefühle bekommt, wenn sie ihren Angehörigen zur Last fallen könnte. So ähnlich wie in den kommunistischen Ländern Abtreibung als Mittel der Familienplanung vorkam, graut es mir einfach davor, dass die Sterbehilfe eine praktische Lösung des demographischen Wandels wird.

Ludwig Weimer ja schon als Beispiel die Antike mit ihren Gesellschaften ohne Suizidtabu angeführt, im Gegenteil - dort galt der Suizid als höchst ehrenhaft (mir kommt gerade die großartige Szene aus "Quo vadis" in den Sinn, wo Peter Ustinov als Nero der Mut fehlt, sich in einen Dolch zu stürzen, und Poppaea sagt "Du hast gelebt wie ein Scheusal, nun stirb wenigstens wie ein Kaiser - von eigener Hand!"). Ist das Suizidtabu wirklich so überkommen, dass wir mit Gesetzeskraft daran sägen müssen?

Zitat
Das Gesetz könnte aus meiner Sicht ziemlich kurz sein. Voraussetzung ist 1.) daß der Pat. eine eindeutige, rechtlich bindende Willenserklärung abgibt (einschl. Rücktrittsrecht bis zur letzten Minute, versteht sich) und daß 2.) ein, besser zwei behandelnde Ärzte zu dem Schluß kommen, daß das Anliegen des Pat. vor dem Hintergrund von a.) der med. Diagnose und b.) der Prognose eine realistische Einschätzung seines erwartbaren Leidensweges darstellt, der zu verkürzen ethisch vertretbar ist. Mehr nicht. Wobei hier wohl auch eine Anpassung des Arztrechtes vonnöten wäre.


Nun gut, das ist ja nicht so ein weitreichender Vorschlag wie in der Schweiz oder in Holland.

Allerdings noch ein paar Fragen:

Dieser Vorschlag deckt die umstrittenen Fälle nicht ab, wie z. B. eine absehbare Demenz. Denn da wird es mit dem Rücktrittsrecht bis zur letzten Minute schwierig (wenn man voraussetzen will, dass der Patient bis zum Schluss urteilsfähig sein soll). Und weiter

Was ist, wenn der behandelnde Arzt Gewissensnöte hat - kann er dazu verpflichtet werden? Müsste er eigentlich, wenn wir den "menschenwürdigen Tod" als Rechtsanspruch garantieren wollen.

Zur Willenserklärung: Wann wird die abgegeben? Im gesunden Zustand für den Fall der Fälle? Bei der Diagnose? Sobald sich im Krankheitsverlauf der Wunsch zu sterben einstellt?

Zitat
Es geht genau genommen um das Entkriminalisieren von ärztlichen Handlungen, die ohnehin schon stattfinden, nur im Verborgenen und unter Androhung strafrechtlicher Konsequenzen für die Ärzte. Ich unterstelle diesen Ärzten übrigens keinerlei kriminelle Energie, sondern zutiefst ethisch motiviertes Handeln auf der Basis dessen, was sie an der "Front" tagtäglich erleben, unter Inkaufnahme von Gefahren für die eigene Existenz. Ich kann in dieser Strafandrohung keinen Mehrwert erkennen.


Wie vorhin gesagt - kein Thema, solange wir uns in einem grundsätzlich freiheitlichen Staat befinden. Der deutsche Staat hat es aber gleichzeitig als seine Pflicht angesehen, Ärzte, die eine Beschneidung vollziehen, mit strafrechtlichen Konsequenzen zu drohen...

Gruß Petz

"The problem with quotes from the Internet is that it is difficult to determine whether or not they are genuine" - Abraham Lincoln

Paul Offline




Beiträge: 1.285

20.01.2014 23:41
#19 RE: Plädoyer für die aktive Sterbehilfe Antworten

Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #10
Ich lehne die aktive Sterbehilfe wegen der Verlagerung der Eigenverantwortung ab. Wird sie im Einzelfall dennoch durchgeführt, muss es für eine Klage einen Kläger geben. Wenn dies nicht der Fall ist, sehe ich ebenfalls keinen Handlungsbedarf.
Die Regelungen zur passiven Sterbehilfe halte ich für ausreichend um in Extremfällen dem Willen des Patienten, keine Hilfe mehr in Anspruch nehmen zu wollen, Rechnung zu tragen.



Lieber Erling Plaethe,
das ist auch meine Meinung.

Ich denke auch, dass es schon seit einiger Zeit auch so praktiziert wird.

Soweit ich weiß, wird niemand, der die Nahrungsaufnahme verweigert, zwangsernährt. Es gibt auch keine Verpflichtung zu dieser lebenserhaltenden Maßnahme. Wenn ich mich irren sollte, dann bitte ich um entsprechende Korrektur.

Jedenfalls habe ich erlebt, dass man in dieser Situation einen alten lebenssatten Menschen im Pflegeheim, seinem Wunsch entsprechend, verhungern lies.

Das verstehe ich unter einem humanen Sterben. Dazu bedarf es keiner Gesetze zur "Sterbehilfe".

MfG, Paul

___________________________
In dubio, pro reo.

Christoph Offline




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20.01.2014 23:49
#20 RE: Plädoyer für die aktive Sterbehilfe Antworten

Lieber Andreas Döding,

Eine rationale Diskussion der Sterbehilfe wäre schon zu begrüßen, ich fürchte bloß, man wird so eine Auseinandersetzung nicht auf die «Menschenwürde» aufbauen können, denn hinter diesem wohlklingenden Wort steht kein fassbarer Begriff.

Die Grundfrage ist doch, ob man einem Menschen, das Recht auf Selbstmord abspricht. Dafür sehe ich keinen vernünftigen Grund.

Zitat von A. Schopenhauer, Zur Rechtslehre und Politik
Daß Der, welcher für sich selbst nicht mehr leben mag, nun noch als bloße Maschine zum Nutzen Andrer fortleben solle, ist eine überspannte Forderung.


Wer dürfte mir nun, dieses vorausgesetzt, verwehren, einem anderen meine Tötung zu gestatten? Woher nimmt der Staat das Recht, dazu einen Katalog von Umständen aufzustellen, in denen er mir gnädigerweise gestattet, über mein eigenes Leben zu verfügen?

Ich sehe zwei Probleme:
1. Die Möglichkeit, einen Mord als «Tötung auf Verlangen» zu verschleiern.
2. das alles gilt nur für Menschen, die geistig noch fähig sind, selbst zu entscheiden und körperlich noch fähig, dies kundzutun.

Der erste Punkt ist ein technisches Problem. Für den Fall, daß ein Mensch sich entweder keinen eigenen Willen bilden oder diesen nicht mehr äußern kann, müsste das Verbot der Sterbehilfe aufrecht erhalten werden, es sei denn, der Betroffene hätte vorher etwas anderes verfügt.

Viele Grüße,
Christoph

--
Zitat repariert

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

21.01.2014 00:02
#21 RE: Plädoyer für die aktive Sterbehilfe Antworten

Zitat von Petz
Ludwig Weimer ja schon als Beispiel die Antike mit ihren Gesellschaften ohne Suizidtabu angeführt, im Gegenteil - dort galt der Suizid als höchst ehrenhaft (mir kommt gerade die großartige Szene aus "Quo vadis" in den Sinn, wo Peter Ustinov als Nero der Mut fehlt, sich in einen Dolch zu stürzen, und Poppaea sagt "Du hast gelebt wie ein Scheusal, nun stirb wenigstens wie ein Kaiser - von eigener Hand!"). Ist das Suizidtabu wirklich so überkommen, dass wir mit Gesetzeskraft daran sägen müssen?



Und ich erwähnte Soylent green, schon klar. Wieder ernsthaft? wie sieht es denn mit der Legitimation eines Suizidtabus aus, das durch staatlichen Zwang gegen bis zu 2/3 der Bevölkerung durchgesetzt werden muß? Mehr noch, das einer erheblichen Verschärfung, wenn es nach der CDU geht, gegenübersteht, die hier scheinbar eine Möglichkeit sieht, ihre verlorene wertkonservative Seele zu balsamieren, nachdem sie sich in fast allen anderen Punkten linken Positionen angenähert hat, aber das nur am Rande.

Zitat
Nun gut, das ist ja nicht so ein weitreichender Vorschlag wie in der Schweiz oder in Holland.



Sehen Sie denn Hinweise, daß in der Schweiz die von Ihnen befürchteten Konsequenzen dieser Regelung eingetreten sind und wenn ja, worin?

Zitat
Allerdings noch ein paar Fragen:

Dieser Vorschlag deckt die umstrittenen Fälle nicht ab, wie z. B. eine absehbare Demenz. Denn da wird es mit dem Rücktrittsrecht bis zur letzten Minute schwierig (wenn man voraussetzen will, dass der Patient bis zum Schluss urteilsfähig sein soll). Und weiter

Was ist, wenn der behandelnde Arzt Gewissensnöte hat - kann er dazu verpflichtet werden? Müsste er eigentlich, wenn wir den "menschenwürdigen Tod" als Rechtsanspruch garantieren wollen.

Zur Willenserklärung: Wann wird die abgegeben? Im gesunden Zustand für den Fall der Fälle? Bei der Diagnose? Sobald sich im Krankheitsverlauf der Wunsch zu sterben einstellt?



Naja, da wird es dann schnell wieder totschlagmäßig-grundsätzlich. Von einer solchen Liberalisierung werden nicht alle Patienten profitieren können. Allerdings kann von "profitieren" seitens der sterbewilligen Patienten bei einem Totalverbot nun mal überhaupt nicht die Rede sein. Zu fordern, dass diese Regelung für alle Patienten hilfreich sein müsste, erinnert mich eher an die Forderung nach "sozialer Gerechtigkeit" in anderen Bereichen, wie ich sie aus dem linken Lager erwarten würde. Weil manche Menschen, zum Beispiel Demenzkranke in frühen Phasen, von diesem Modell nicht werden profitieren können, sollen alle anderen auch auf die Möglichkeit verzichten? Leuchtet mir nicht ein.
Natürlich kann ein Arzt hier, meiner Vorstellung nach, seinem Gewissen folgend, entscheiden und dies verweigern. Ich bin gleichwohl sicher, daß genügend dazu bereit sein werden.
Es geht mir um die letzten paar Tage, maximal wenige Wochen. Ich meine dann, wenn das Wasser in die Lunge steigt und der Patient unter ständiger Atemnot leidet. Wo der Tumorschmerz zunehmend medikamentenrefraktär wird oder wenn Herzanfälle einem täglich mehrfach die Brust zerreißen. Um diese Patienten geht es mir.

Und zu sagen: die sollen mal nicht so feige sein und es selber machen, finde ich fast zynisch. Es ist psychologisch ein Riesenunterschied, ob man sich wie eine Kreatur in die Höhle zurückziehen muss um sich dort alleine den Rest zu geben, oder ob dies als gesellschaftlich akzeptierte Variante, in Begleitung meiner Angehörigen passiert. Es ist auch medizinisch vermutlich ein Unterschied, ob man zunächst betäubt wird und dann, in einem zweistufigen vorgehen, das Gift appliziert bekommt. Die meisten Selbstvergiftungen, zum Beispiel mit Insulin, sind eine ziemliche Quälerei, mit Krampfgeschehen und dergleichen mehr.

Herzliche Grüße,
Andreas

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

21.01.2014 00:04
#22 RE: Plädoyer für die aktive Sterbehilfe Antworten

Zitat von Krischan im Beitrag #3
Wobei sich mir die Beratungsregelung beim Thema Suizid noch eher vermittelt als bei der Abtreibung, aber das ist sicher eine individuelle Präferenz.

Mir geht es genau andersrum. Bei einer Abtreibungsberatung kann die Beratungsstelle aus Erfahrung über die beiden Möglichkeiten informieren und die Folgen deutlich machen. Dem Suizidwilligen kann sie nicht so ohne weiteres informieren, was auf ihn zukommt...

Gruß Petz

"The problem with quotes from the Internet is that it is difficult to determine whether or not they are genuine" - Abraham Lincoln

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

21.01.2014 00:46
#23 RE: Plädoyer für die aktive Sterbehilfe Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #21
wie sieht es denn mit der Legitimation eines Suizidtabus aus, das durch staatlichen Zwang gegen bis zu 2/3 der Bevölkerung durchgesetzt werden muß?

Eine Studie im Auftrag einer Krankenkasse? Honni soît qui mal y pense ...

Aber gut, ernsthaft: Ich kann den Wunsch, nicht zu leiden, nachvollziehen, und sich die Möglichkeit offen zu lassen, heißt ja nicht, später Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen - siehe Schweiz:

Zitat
Nach dem „provisorischen grünen Licht“ kann dann ein Termin für die Suizidbegleitung vereinbart werden. Allerdings melden sich einer Studie zufolge rund 70 % der Mitglieder, die ein solches provisorisches grünes Licht erhalten haben, überhaupt nicht mehr; weitere 16 %, die sich zwar wieder melden, nehmen die Freitodbegleitung nicht in Anspruch.

http://de.wikipedia.org/wiki/Dignitas_%2...eitodbegleitung

Ich glaube nicht, dass das allgemeine Suizidtabu fällt - oder meinen Sie, die Mehrzahl der Bevölkerung würde dafür plädieren, dass Ärzte einen Patienten mit aufgeschnittenen Pulsadern liegen lassen sollen?

Zitat
Sehen Sie denn Hinweise, daß in der Schweiz die von Ihnen befürchteten Konsequenzen dieser Regelung eingetreten sind und wenn ja, worin?

In der Schweiz kenne ich mich nicht so aus, aber in Holland z. B. gelten mittlerweile Demenz und Depression als ausreichend - das ist schon ein Hinweis, dass die strengen Auswahlkriterien nach und nach aufweichen.

Zitat

Zitat
Allerdings noch ein paar Fragen:

Dieser Vorschlag deckt die umstrittenen Fälle nicht ab, wie z. B. eine absehbare Demenz. Denn da wird es mit dem Rücktrittsrecht bis zur letzten Minute schwierig (wenn man voraussetzen will, dass der Patient bis zum Schluss urteilsfähig sein soll). Und weiter

Was ist, wenn der behandelnde Arzt Gewissensnöte hat - kann er dazu verpflichtet werden? Müsste er eigentlich, wenn wir den "menschenwürdigen Tod" als Rechtsanspruch garantieren wollen.

Zur Willenserklärung: Wann wird die abgegeben? Im gesunden Zustand für den Fall der Fälle? Bei der Diagnose? Sobald sich im Krankheitsverlauf der Wunsch zu sterben einstellt?



Naja, da wird es dann schnell wieder totschlagmäßig-grundsätzlich.



Überhaupt nicht! Sie haben mich falsch verstanden - mein Thema sind nicht die letzten paar Wochen, und mir geht es nicht drum, dass alle gleichermaßen profitieren, sondern zu verhindern, welche zu erwischen, die es möglicherweise bereut hätten, könnten sie es rückgängig machen.

Das beste Beispiel ist Walter Jens, dessen Sohn in einem Interview berichtet hat, dass er - obwohl schwerst dement - in einem halbwegs wachen Moment gesagt haben soll "nicht totmachen!". Darauf will ich hinaus: Als Mensch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte erscheint einem die Vorstellung der Demenz oft als menschenunwürdig und unerträglich, und man will sie vermeiden. Ähnlich wie bei der Abtreibung behinderter Kinder mit der angeblichen Absicht, ihnen Leid zu ersparen, vergisst man aber, dass man auch als dementer Mensch einen Lebenswillen und möglicherweise eine Lebensqualität hat, die man sich im klaren Kopf nicht vorstellen kann.

Gruß Petz

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Doeding Offline




Beiträge: 2.612

21.01.2014 07:24
#24 RE: Plädoyer für die aktive Sterbehilfe Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #23
Zitat von Doeding im Beitrag #21
wie sieht es denn mit der Legitimation eines Suizidtabus aus, das durch staatlichen Zwang gegen bis zu 2/3 der Bevölkerung durchgesetzt werden muß?

Eine Studie im Auftrag einer Krankenkasse? Honni soît qui mal y pense ...


Zugegeben, das schränkt die Aussagekraft ein, wenngleich ich erstmal nicht von -Ausmaßen der Verfälschung ausgehe


Zitat
Ich glaube nicht, dass das allgemeine Suizidtabu fällt - oder meinen Sie, die Mehrzahl der Bevölkerung würde dafür plädieren, dass Ärzte einen Patienten mit aufgeschnittenen Pulsadern liegen lassen sollen?[



Genau deswegen meinte ich, dass die etwas apokalyptischen Visionen, die zum Teil bemüht worden sind, etwas übertrieben waren.

Zitat
Überhaupt nicht! Sie haben mich falsch verstanden - mein Thema sind nicht die letzten paar Wochen, und mir geht es nicht drum, dass alle gleichermaßen profitieren, sondern zu verhindern, welche zu erwischen, die es möglicherweise bereut hätten, könnten sie es rückgängig machen.



Das ist natürlich ein Problem, lieber Petz. Allerdings müsste man ihnen wohl auch diejenigen gegenüberstellen, die mit ihrem letzten gequälten Atemzug ein: warum habt ihr mir das angetan? aushauchen, nachdem sie vielleicht X mal darum gebeten hatten, sie zu erlösen. Ich könnte mir vorstellen, dass man dieser Gefahr am ehesten dadurch begegnen könnte, möglichst wenig Zeit zwischen Willenserklärung und Vollzug verstreichen zu lassen (bei bereits eingetretener finaler med. Lage). Umgekehrt natürlich genug Zeit, um rein impulsive Äußerungen ausschließen zu können. Ein Restrisiko wird aber bleiben, da haben Sie recht.

Zitat
Das beste Beispiel ist Walter Jens, dessen Sohn in einem Interview berichtet hat, dass er - obwohl schwerst dement - in einem halbwegs wachen Moment gesagt haben soll "nicht totmachen!". Darauf will ich hinaus: Als Mensch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte erscheint einem die Vorstellung der Demenz oft als menschenunwürdig und unerträglich, und man will sie vermeiden. Ähnlich wie bei der Abtreibung behinderter Kinder mit der angeblichen Absicht, ihnen Leid zu ersparen, vergisst man aber, dass man auch als dementer Mensch einen Lebenswillen und möglicherweise eine Lebensqualität hat, die man sich im klaren Kopf nicht vorstellen kann.



Ich würde Demenz- aber auch Komapatienten und so weiter hier wirklich ausschließen wollen. Natürlich ist auch bei dem Zitat von Walter Jens nicht ausgeschlossen, dass ihm lediglich eine Kriegserinnerung in seinem lichten Moment gekommen ist. Aber selbst wenn, bedeutet das natürlich nicht, dass er sterben wollte. Bereits im Blogbeitrag hatte ich ja geschrieben, dass nicht einwilligungsfähige Patienten von diesem Modell nicht werden profitieren können. Die sind leider gekniffen. Voraussetzung für Sterbehilfe ist für mich, dass zum Zeitpunkt, wo sie ansteht, der Mensch zu einer juristisch voll bindenden Willenserklärung imstande ist. Bei allem anderen wäre auch mir das Risiko zu groß.

Herzliche Grüße,
Andreas

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

21.01.2014 07:40
#25 RE: Plädoyer für die aktive Sterbehilfe Antworten

Zitat von Christoph im Beitrag #20
Lieber Andreas Döding,

Eine rationale Diskussion der Sterbehilfe wäre schon zu begrüßen, ich fürchte bloß, man wird so eine Auseinandersetzung nicht auf die «Menschenwürde» aufbauen können, denn hinter diesem wohlklingenden Wort steht kein fassbarer Begriff.

Die Grundfrage ist doch, ob man einem Menschen, das Recht auf Selbstmord abspricht. Dafür sehe ich keinen vernünftigen Grund.

Zitat von A. Schopenhauer, Zur Rechtslehre und Politik
Daß Der, welcher für sich selbst nicht mehr leben mag, nun noch als bloße Maschine zum Nutzen Andrer fortleben solle, ist eine überspannte Forderung.

Wer dürfte mir nun, dieses vorausgesetzt, verwehren, einem anderen meine Tötung zu gestatten? Woher nimmt der Staat das Recht, dazu einen Katalog von Umständen aufzustellen, in denen er mir gnädigerweise gestattet, über mein eigenes Leben zu verfügen?

Ich sehe zwei Probleme:
1. Die Möglichkeit, einen Mord als «Tötung auf Verlangen» zu verschleiern.
2. das alles gilt nur für Menschen, die geistig noch fähig sind, selbst zu entscheiden und körperlich noch fähig, dies kundzutun.

Der erste Punkt ist ein technisches Problem. Für den Fall, daß ein Mensch sich entweder keinen eigenen Willen bilden oder diesen nicht mehr äußern kann, müsste das Verbot der Sterbehilfe aufrecht erhalten werden, es sei denn, der Betroffene hätte vorher etwas anderes verfügt.

Viele Grüße,
Christoph



Ja, lieber Christoph, das ist dann natürlich die andere Extremposition. Rein logisch kann ich Sie auch gut nachvollziehen. Allerdings hat es meiner Meinung nach in dem meisten denkbaren konkreten Fällen mit Vernunft nicht viel zu tun. Es ist nicht vernünftig, wenn eine unglücklich in ihren Lehrer verliebte Sechzehnjährige, nachdem sie zurückgewiesen worden ist, sich suizidiert, wenngleich natürlich dergleichen ab und zu passiert. Subjektive vorübergehende Verzweiflungen und daraus resultierende Motivlagen sind ja keineswegs zwingend von Vernunft gekennzeichnet. Noch viel unvernünftiger, ja geradezu absurd, nimmt sich für mich dagegen die Vorstellung aus, dass dieses Mädel sich eine Überweisung vom Hausarzt holt, in ein Krankenhaus legt, ihren Angehörigen gegebenenfalls Bescheid sagt, und sich dann durch Pentobarbital mit staatlichem Einverständnis von einem Arzt töten lässt.

EDIT: ich sehe gerade, daß ich Sie beim ersten Lesen falsch verstanden hatte; Ihre Argumente beziehen sich natürlich auch auf hoffnungslose med. Situationen. Sorry, ich hatte noch keinen Kaffee.

EDIT #2: So Kaffee gehabt, zweiter Versuch. In dieser Passage, wenn ich Sie recht verstehe:

Zitat
Wer dürfte mir nun, dieses vorausgesetzt, verwehren, einem anderen meine Tötung zu gestatten? Woher nimmt der Staat das Recht, dazu einen Katalog von Umständen aufzustellen, in denen er mir gnädigerweise gestattet, über mein eigenes Leben zu verfügen?



sprechen Sie sich für eine gewisse Abkehr von "objektiven" medizinischen Kriterien, wie sie mir vorschweben, hin zu einer stärker gewichteten subjektiven Erlebensweise des Betroffenen aus. Wo aber würden Sie dann die Grenze ziehen? Oder landet man dann nicht doch früher oder später beim "Recht" der oben beschriebenen 15jährigen, sich ärztlich töten zu lassen?

Herzliche Grüße,
Andreas

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