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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 81 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2 | 3 | 4
Thomas Pauli Offline




Beiträge: 1.486

10.09.2014 16:26
#51 RE: Und am Ende will es wieder keiner gewesen sein... Antworten

Zitat
Ist es im Falle des Islam aber nicht so, dass nicht verfassungskonformes Handeln mit dem Hinweis auf Religionsfreiheit immer häufiger toleriert wird?



Dazu fällt mit immer die Geschichte mit Charles James Napier ein:

Zitat
A story for which Napier is often noted involved Hindu priests complaining to him about the prohibition of Sati by British authorities. This was the custom of burning a widow alive on the funeral pyre of her husband. As first recounted by his brother William, he replied:
"Be it so. This burning of widows is your custom; prepare the funeral pile. But my nation has also a custom. When men burn women alive we hang them, and confiscate all their property. My carpenters shall therefore erect gibbets on which to hang all concerned when the widow is consumed. Let us all act according to national customs."



Die Ausübung von Religionen hat an den Grenzen der Verfassung zu enden. Die Religion selbst nicht.

Herzlich, Thomas

Uwe Richard Offline



Beiträge: 1.255

10.09.2014 16:54
#52 RE: Und am Ende will es wieder keiner gewesen sein... Antworten

Zitat von Frank2000 im Beitrag #50
Zitat von Techniknörgler im Beitrag #48

Im übrigen erfasst die Religionsfreiheit schon etwas mehr als die Meinungsfreiheit. Es erfasst auch das Recht zu religiösen Riten, solange dies nicht in die Grundrechte anderer eingreift.


Richtig; aber auch hier könnten ohne weiteres andere Grundrechte angewendet werden. Es gibt eine Versammlungsfreiheit, die unverletztlichkeit der Wohnung, das Recht auf billige Nutzung des Gemeinguts und so weiter und so fort. Die "Religionsfreiheit" ist nichts anderes als eine nochmalige Zusammenfassung aller anderen Grundrechte unter einem besonderen Motiv. Der Paragraph für Religionsfreiheit gehört meiner Meinung nach gestrichen - aber mir ist auch klar, dass es nie so kommen wird.

Zu Recht, wie ich finde. Artikel 4 GG bezieht sich explizit auch auf das persönliche Gewissen und die persönliche Weltanschauung, bzw. das Bekenntnis zu einer solchen.


(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.


Es existiert schlicht und ergreifend kein »Paragraph für Religionsfreiheit«, was aber bestimmte gesellschaftliche Gruppen und Institutionen nicht daran hindert, für Religionen einen Sonderstatus einzufordern, bzw. Religionen einen solchen zuzuerkennen, welchen sie nach GG gar nicht haben müss(t)en, denn nach GG Art.4 stehen Religionen und Weltanschauungen gleichberechtigt nebeneinander (Jm2c).

--
Political language – and with variations this is true of all political parties, from Conservatives to Anarchists – is designed to make lies sound truthful and murder respectable, and to give an appearance of solidity to pure wind – Eric A. Blair

Frank2000 Offline




Beiträge: 3.432

10.09.2014 18:49
#53 RE: Und am Ende will es wieder keiner gewesen sein... Antworten

Zitat von Thomas Pauli im Beitrag #51

Die Ausübung von Religionen hat an den Grenzen der Verfassung zu enden. Die Religion selbst nicht.



Steck in diesem Satz auch eine Aussage oder fällt das in die Kategorie "Das menschlichste im Mensch ist der Mensch selbst"?

___________________
Kommunismus mordet.

Thomas Pauli Offline




Beiträge: 1.486

10.09.2014 20:52
#54 RE: Und am Ende will es wieder keiner gewesen sein... Antworten

Zitat
Zitat von Thomas Pauli im Beitrag #51

Die Ausübung von Religionen hat an den Grenzen der Verfassung zu enden. Die Religion selbst nicht.


Steck in diesem Satz auch eine Aussage oder fällt das in die Kategorie "Das menschlichste im Mensch ist der Mensch selbst"?



Naja, soll heißen, daß Jeder seine religiösen Vorstellungen so lange ausleben darf, bis er das Gesetz verletzt, wobei das GG die möglichen Einschränkungen durch Gesetze auf das Minimum begrenzt. Witwenverbrennungen sind für manche Religiöse wichtig, aber bedauerlicherweise bei uns nicht opportun.

Herzlich, Thomas

Frank2000 Offline




Beiträge: 3.432

10.09.2014 20:57
#55 RE: Und am Ende will es wieder keiner gewesen sein... Antworten

Und wo ist da jetzt der unterschied zum allgemeinen Privatleben? Bzw. sonstigen Meinungen und Ideologien?
Die Ausübung von Hobbies hat an den Grenzen der Verfassung zu enden. Das Hobbie selbst nicht. Gilt genauso.
Ich kann leider im Originalsatz nichts substanzielles entdecken.

___________________
Kommunismus mordet.

Thomas Pauli Offline




Beiträge: 1.486

10.09.2014 21:46
#56 RE: Und am Ende will es wieder keiner gewesen sein... Antworten

Zitat
Ich kann leider im Originalsatz nichts substanzielles entdecken.



Wirklich nicht? Das GG beschäftigt sich mit dem Diesseitigen. Religionen mit dem Jenseitigen. Falls sie sich auch mit dem Diesseitigen beschäftigen sollten, verlieren sie gegen die hiesige Rechtsordnung.

Herzlich, Thomas

Llarian Offline



Beiträge: 7.127

11.09.2014 17:07
#57 RE: Und am Ende will es wieder keiner gewesen sein... Antworten

Was Sie nicht verstehen, oder ich Ihnen scheinbar nicht vermitteln kann, ist der essentielle Unterschied zwischen Religion und Kultur. In islamischen Ländern oder im Mittelalter ist das tatsächlich schwer zu trennen, in unserem Kulturkreis, oder sollte ich besser sagen, in unserer Zivilisation (der Westlichen) ist diese Trennung aber durchaus deutlicher. Unsere Kultur ist religiös geprägt, ist aber weder an ihre Wurzeln gebunden noch davon abhängig. Die Werte der Aufklärung sind im Wesentlichen Anleihen aus dem neuen Testament. Das ist aber für die Bedeutung der Aufklärung völlig unwichtig. Weihnachten kann und wird gefeiert, ohne dabei religiösen Mummenschanz zu treiben. Man kann am Sonntag den Betrieb von Elektrowerkzeugen einschränken, ohne die biblische Schöpfungsgeschichte zu kennen. Unsere Kultur ist auf der christlichen Religion gewachsen, aber sie braucht diese nicht als Begründung, Tradition begründet genauso. Schönes Beispiel ist hier Weihnachten im doppelten Sinne. Religiös fundiert vom inhaltlichen, aber der Termin geht auf die viel ältere Tradition der Sonnwende zurück. Und der Termin ist damit genauso gut gerechtfertigt oder nicht wie eben Karfreitag. Es ist deutsche Tradition. Sie können an diesem Tag ihrem Erlöser, einem Spaghettimonster oder Bernd dem Brot gedenken. Oder das schöne Wetter geniessen. Oder ausschlafen. Und das schöne daran ist, wenn Sie ihrem Spagehttimonster gedenken wird sie niemand daran stören. Genauso wie Sie auch als Atheist Weihnachten Pakete aufmachen dürfen. Oder in Israel an Chanukka selbiges treiben dürfen. Traditionen sind Teil der Kultur. Das ist das schöne daran.

Ich habe von organisierter Spiritualität eine ausgesprochen niedrige Meinung, genauso wie ich der Meinung bin, dass Religionsprivilegien in einem modernen Rechtsstaat keinen Platz haben, der über die Privilegierung davon, was ich in meinen privaten Räumen tue, hinausgeht. Eine Religion ist am Ende nix weiter als eine ritualisierte Meinung zu einem bestimmten Thema. Ich sehe keinen Grund sie in irgendeiner Form zu privilegieren und wenn man sich über eine bestimmte Sicht der Welt lustig machen kann, dann sollte das ebenso zu einer bestimmten Sicht der spirituellen Welt möglich und erlaubt sein. Das aber hat aber in unserer Zivilisation nur sehr am Rande mit Kultur zu tun. Kultur ist schon für sich schwer zu beschreiben, es ist eine Mischung aus vielen Dingen, aus gemeinschaftlichem Denken, Tradition, Eigenarten und tausend anderen Dingen, die man alle subsummieren könnte. Dazu gehört in Deutschland auch, dass man am Sonntag ein bischen Rücksicht auf die anderen nimmt, dazu gehört, dass man sich Weihnachten nicht die Köppe einhaut und dazu gehört eben auch das Tanzverbot an Karfreitag. Man kann darüber reden, ob man es abschaffen möchte, genauso wie es heute andere Feiertage nicht mehr gibt, die jahhundertlang gültig waren. Aber das braucht eine demokratische Mehrheit, die bestimmt, was sie heute als Teil ihrer Kultur definiert und was nicht. Wenn sich breite Mehrheiten gegen das Tanzverbot finden würden, dann findet sich auch eine politische Vertretung dieser Idee. Aber offensichtlich ist es den einen Leuten nicht wichtig genug und andere halten es vielleicht wirklich für einen wichtigen Teil unseres kulturellen Erbes. Ich gehöre zu letzteren (wenn Sie es unbedingt wissen müssen). Ich glaube man sollte nicht jeden Wert schleifen, weil er einem selbst erstmal nix bringt. Ich geniesse Weihnachten auch ohne daran zu glauben, dass Gottes Sohn vor 2000 Jahren auf die Erde gekommen ist und ich kann an Karfreitag über menschliche Opferbereitschaft nachdenken, ohne zu glauben, dass jemand für meine Sünden gestorben ist.

Und natürlich ist dieser Teil unserer Kultur, um nicht zu sagen, Tradition, eine Einschränkung von Freiheit (und keine Zensur nebenbei, der Begriff ist in dem Kontext absurd). Und unter dem Gesichtspunkt der maximal möglichen Freiheit für einen Libertären auch unerträglich. Nur leben wir nicht in einer libertären Gesellschaft sondern in einer demokratischen. Und da muss man auch mal damit leben, dass ein Einschränkungen gibt. Ich persönlich halte diese für geradezu lächerlich. Und ebenso bezeichnend. Ich denke das ist ein ziemlich typisch deutscher Streit, der im Wesentlichen auf Leute zurückgeht, die die Kirche aus prinzipiellen Gründen nicht leiden können und damit meinen einen Kronzeugen für den bösen Einfluss selbiger gefunden zu haben.

Nur haben die Kirchen schon lange nix mehr zu melden. Auch dafür gibt es gute Zeugen. Als im Zuge des Ladenschlusses über den verkaufsoffenen Sonntag diskutiert wurde, waren es am Ende nicht die Kirchen, die diesen als Ausnahme definiert haben (die waren nämlich prinzipiell dagegen). Es waren die Gewerkschaften.

nachdenken_schmerzt_nicht Offline




Beiträge: 2.007

11.09.2014 17:45
#58 RE: Und am Ende will es wieder keiner gewesen sein... Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #57
Und natürlich ist dieser Teil unserer Kultur, um nicht zu sagen, Tradition, eine Einschränkung von Freiheit (und keine Zensur nebenbei, der Begriff ist in dem Kontext absurd). Und unter dem Gesichtspunkt der maximal möglichen Freiheit für einen Libertären auch unerträglich. Nur leben wir nicht in einer libertären Gesellschaft sondern in einer demokratischen. Und da muss man auch mal damit leben, dass ein Einschränkungen gibt. Ich persönlich halte diese für geradezu lächerlich.

Ich finde es interessant, dass sie in Ihren Ausführung von einer anderen Warte aus auf einen Gedanken kommen, den ich einmal versuchte in einem meiner Gastbeiträge zu formulieren.

Zitat von Gastbeitrag
"Moral ist die für einen Menschen durch seine kulturelle Prägung entstandene, zulässige Beschränkung der persönlichen Freiheit." [...] Das Besondere am Liberalismus erscheint mir unter diesem Aspekt die Tatsache, daß er sich mit einer in der persönlichen Freiheit inhärenten Beschränkung zufrieden gibt, nämlich eben jenen "begrenzenden Regeln", welche die persönliche Freiheit des Individuums gegen die der anderen Individuen des Kollektivs schützen. Somit ist der Liberalismus der "kleinste gemeinsame Nenner" von kultureller Prägung und persönlicher Freiheit.

Der kleinste Nenner, aber eben nicht der einzig mögliche. Dabei liegen Kultur und das Streben nach Freiheit im ständigen Widerstreit, um dem "Miteinander" den "geeigneten Rahmen" zu geben. Ich bin mir selbst nicht sicher: In der Theorie befürworte ich den klassischen Liberlismus mit seiner inhärenten Beschränkung. In der Praxis weiß ich nicht, ob ich in einer Welt ohne kulturelle Prägung leben möchte. Dabei bin ich mir vollkommen bewußt, dass kulturelle Prägung immer ein Element der Willkür beinhalten muß.

Ich glaube allerdings auch, das "wohldosierte gesellschaftliche Identität" einem gesellschaftlichen Zusammenleben nicht abträglich sind. Im Gegenteil. Ob das über "organisierte Spiritualität" geschehen muß, sei einmal dahingestellt. Immerhin habe ich für mich erkannt (über Lernen in diesem Forum), dass die Aufklärung wohl gewissermaßen im neuen Testament angelegt war und nicht zuletzt dies läßt mich das Christentum persönlich durchaus wohlwollender betrachten, als es gemeinhin der Zeitgeist zu tun scheint.

Herzlich


n_s_n

"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu

Techniknörgler Offline



Beiträge: 2.738

11.09.2014 20:47
#59 RE: Und am Ende will es wieder keiner gewesen sein... Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #57
Was Sie nicht verstehen, oder ich Ihnen scheinbar nicht vermitteln kann, ist der essentielle Unterschied zwischen Religion und Kultur. In islamischen Ländern oder im Mittelalter ist das tatsächlich schwer zu trennen, in unserem Kulturkreis, oder sollte ich besser sagen, in unserer Zivilisation (der Westlichen) ist diese Trennung aber durchaus deutlicher. Unsere Kultur ist religiös geprägt, ist aber weder an ihre Wurzeln gebunden noch davon abhängig. Die Werte der Aufklärung sind im Wesentlichen Anleihen aus dem neuen Testament. Das ist aber für die Bedeutung der Aufklärung völlig unwichtig. Weihnachten kann und wird gefeiert, ohne dabei religiösen Mummenschanz zu treiben. Man kann am Sonntag den Betrieb von Elektrowerkzeugen einschränken, ohne die biblische Schöpfungsgeschichte zu kennen. Unsere Kultur ist auf der christlichen Religion gewachsen, aber sie braucht diese nicht als Begründung, Tradition begründet genauso. Schönes Beispiel ist hier Weihnachten im doppelten Sinne. Religiös fundiert vom inhaltlichen, aber der Termin geht auf die viel ältere Tradition der Sonnwende zurück. Und der Termin ist damit genauso gut gerechtfertigt oder nicht wie eben Karfreitag. Es ist deutsche Tradition. Sie können an diesem Tag ihrem Erlöser, einem Spaghettimonster oder Bernd dem Brot gedenken. Oder das schöne Wetter geniessen. Oder ausschlafen. Und das schöne daran ist, wenn Sie ihrem Spagehttimonster gedenken wird sie niemand daran stören. Genauso wie Sie auch als Atheist Weihnachten Pakete aufmachen dürfen. Oder in Israel an Chanukka selbiges treiben dürfen. Traditionen sind Teil der Kultur. Das ist das schöne daran.



Lieber Llarian, irgendwie reden wir aneinander vorbei.

Mit geht es nicht in erster Linie darum, ob das Tanzverbot am Karfreitag als kulturelles oder religiöses Erbe eingestuft wird. Auf jeden Fall kann man dann jede religiöse Einschränkung als kulturell Bezeichenen.

Und zum wiederholten mal frage ich mich, was sie eigentlich damit sugerieren wollen, mir immer wieder aufs neue zu erzählen, das die heutige Kultur nicht mehr von der Religion abhängig ist. Da habe ich auch nichts anderes behauptet. Im Gegenteil: Gerade weil bspw. die Religionsfreiheit keine Erfindung der christlichen Kirchen sondern der Aufklärung ist, gerade deswegen rechtfertigt es keine Sonderbehandlungn für christliche Kirchen (quasi als Erfinderprivileg).

Zitat

Ich habe von organisierter Spiritualität eine ausgesprochen niedrige Meinung, genauso wie ich der Meinung bin, dass Religionsprivilegien in einem modernen Rechtsstaat keinen Platz haben, der über die Privilegierung davon, was ich in meinen privaten Räumen tue, hinausgeht. Eine Religion ist am Ende nix weiter als eine ritualisierte Meinung zu einem bestimmten Thema. Ich sehe keinen Grund sie in irgendeiner Form zu privilegieren und wenn man sich über eine bestimmte Sicht der Welt lustig machen kann, dann sollte das ebenso zu einer bestimmten Sicht der spirituellen Welt möglich und erlaubt sein.



Dann sind wir uns da einig. Nur verstehe ich nicht, wieso sie da bezüglich der Einschränkungen am Karfreitag so die Augen verschließen.

Zitat
Das aber hat aber in unserer Zivilisation nur sehr am Rande mit Kultur zu tun. Kultur ist schon für sich schwer zu beschreiben, es ist eine Mischung aus vielen Dingen, aus gemeinschaftlichem Denken, Tradition, Eigenarten und tausend anderen Dingen, die man alle subsummieren könnte. Dazu gehört in Deutschland auch, dass man am Sonntag ein bischen Rücksicht auf die anderen nimmt,



Ja, da wo tatsächlich jemand anderes etwas sinnlich wahrnehmen kann oder es um gerwerbliches Handeln geht.

Zitat

dazu gehört, dass man sich Weihnachten nicht die Köppe einhaut



Letzteres wäre eine Verletzung des Gewaltmonopols und zwar das ganze Jahr über. Im übrigen gibt es bezüglich Weihnachten mW nach keine gesetzliche Sonderregelung bezüglich der Anwendung von Gewalt. Es ist kein Stiller Feiertag, sondern es gelten nur die üblichen Freietagseinschränkungen. Siehe für näheres den Tatbestand des Landfriedensbruchs.

Zitat

und dazu gehört eben auch das Tanzverbot an Karfreitag.



Das eindeutig religiös motiviert ist. Sehen sie sich einmal die Liste der stillen Feiertage in NRW an:

Karfreitag
Allerheiligentag
Totensonntag

Während der Karfreitag tatsächlich im Rahmen von Ostern nähere Beachtung auch bei Nicht-Christen findet, so sind die beiden anderen Tage für Nicht-Christen in den allermeisten Fällen ohne Bedeutung. Der Allerheiligentag wird eventuell noch als zusätzliche freier Tag geschätzt, beim Totensonntag fällt selbst das weg. Das Tanverbot gilt allerdings nur am Karfreitag (allerdings schon vom Gründonnerstag ab 18 Uhr an).

Die Aufforderung an andere, nicht zu Tanzen, erscheint mir schon ein anderes Niveau zu sein, als was sonst so an kulturellen Einschränkungen üblich ist. Ist aber gar nicht mein Hauptpunkt, wie ich unten nochmal deutlich machen werden.

Ersteinmal sei gesagt, dass ich nachvollziehen kann, warum man sich einen gemeinsamen freien Tag pro Woche wünscht. Das hat nicht einmal etwas mit Kultur oder Tradition zu tun. Die Kultur (und Religion) fliest erst in dem Punkt rein, in dem es um die Wahl des konkreten Tages geht. Darum wurde in Deutschland der Sonntag gewählt und nicht wie in Israel der Samstag oder wie in islamischen Ländern der Freitag.

Warum es jemandem wichtig ist, dass andere nicht Tanzen sollen, erschliest sich mir nicht. Sie sagen, es sei halt kulturell überliefert und das reicht ihnen. Sie brauchen keinen anderen Grund, Freiheitseinschränkung durch kulturelle Überlieferung als Selbstzweck. Den Nutzen sehe ich nicht, aber da haben wir wohl grundsätzlich unterschiedliche Werte.

Zitat

Man kann darüber reden, ob man es abschaffen möchte, genauso wie es heute andere Feiertage nicht mehr gibt, die jahhundertlang gültig waren. Aber das braucht eine demokratische Mehrheit, die bestimmt, was sie heute als Teil ihrer Kultur definiert und was nicht. Wenn sich breite Mehrheiten gegen das Tanzverbot finden würden, dann findet sich auch eine politische Vertretung dieser Idee. Aber offensichtlich ist es den einen Leuten nicht wichtig genug und andere halten es vielleicht wirklich für einen wichtigen Teil unseres kulturellen Erbes. Ich gehöre zu letzteren (wenn Sie es unbedingt wissen müssen). Ich glaube man sollte nicht jeden Wert schleifen, weil er einem selbst erstmal nix bringt.



Sehe Sie, das meine ich. Wem bringt es denn etwas? Ich rede hier nicht von Veranstaltungen unter freiem Himmel, nicht um Überschreiten eines Gewissen Lärmpegels. Da wäre es etwas anderes. Dass könnte ich nachvollziehen

Was man gegens Tanzen haben sollte, außer aus religiösen Dingen, erschliest sich mir allerdings immer noch nicht so richtig. Außer man hält es für einen Selbstzweck ein Verbot aufrecht zu erhalten, weil das halt schon lange so war.

Es erinnert mich an die Aufnahme des älteren Herren aus den 60ern, der Angesichts eines Mannes mit langen Haaren sich vor einem Polizisten aufregt. "Das die Polizei da aber auch nichts gegen tut." Die langem Haare des anderen konnten ihm egal sein, selbst wenn er es nicht gewohnt war, so war das doch keine nennenwerte Belästigung für ihn. Die Ablehnung war einfach Selbstzweck. Dagegen erkenne ich den Nutzen eines gemeinsamen arbeitsfreien Tages durchaus. Auch das die Lärmbelästigung reduziert wird verstehe ich. Dabei geht es bei einem stillen Freiertag - entgegen dem Namen - nicht. Es geht daraum, einfach irgend etwas zu verbieten, weil das halt schon verdammt lange so verboten war. Das ist kein Grund. Damit könnte man viel Verbieten. Es geht nicht darum gleich alle Werte zu schleifen, nur weil es einem selbst nichts bringt. Es geht darum, dass es kein Selbstzweck ist.)

Vor allem aber ist das Tanzverbot mE eh ein Nebenschauplatz.

Zitat

Ich geniesse Weihnachten auch ohne daran zu glauben, dass Gottes Sohn vor 2000 Jahren auf die Erde gekommen ist und ich kann an Karfreitag über menschliche Opferbereitschaft nachdenken, ohne zu glauben, dass jemand für meine Sünden gestorben ist.



Ja, und an beiden Tagen können Sie das unabhängig davon, ob jemand anderes Tanzt. Vor allem, wenn es nicht direkt vor ihrer Nase ist.

Zitat

Und natürlich ist dieser Teil unserer Kultur, um nicht zu sagen, Tradition, eine Einschränkung von Freiheit (und keine Zensur nebenbei, der Begriff ist in dem Kontext absurd).



Aber doch, er ist absolut zutreffend. Wenn Sie meine Beiträge aufmerksam gelesen haben, dann wäre ihnen aufgefallen, dass ich Tanzverbot und Zensur als zwei verschiedene Dinge aufgeführt habe. Und mich auf die Zensur viel deutlicher konzentriert habe:

Zitat

Am Karfreitag sind zusätzlich verboten:

1. alle in Absatz 1 genannten Veranstaltungen bis zum nächsten Tag 6 Uhr, mit Ausnahme der Großmärkte, die bis zum nächsten Tag 3 Uhr verboten sind,

2. alle nicht öffentlichen unterhaltenden Veranstaltungen außerhalb von Wohnungen bis zum nächsten Tag 6 Uhr,

3. die Vorführung von Filmen, die nicht vom Kultusminister oder der von ihm bestimmten Stelle als zur Aufführung am Karfreitag geeignet anerkannt sind, bis zum nächsten Tag 6 Uhr,

4. Veranstaltungen, Theater- und musikalische Aufführungen, Filmvorführungen und Vorträge jeglicher Art, auch ernsten Charakters, während der Hauptzeit des Gottesdienstes.



§6 Sonn- und Feiertagsgesetz NRW (Hervorhebungen von mir)

Punkt 3 ist nicht weniger Zensur, nur weil man es Entscheidung einer "simplen kulturellen Mehrheit" nennt (und es dies vielleicht auch ist). Und es ist nicht anti-demokratisch darauf hinzuweisen, dass die Mehrheit (so es denn eine ist) hier gegen höher stehende Prinzipien verstößt.

Und Punkt 4 gilt zwar wenigstens unabhängig vom Inhalt, ist dafür aber auch offensichtlich nicht kulturell, sondern religiöse motiviert (das sei ja laut ihrer Argumentation so gut zu unterscheiden und hier ist der Fall tatsächlich eindeutig). Und es geht hier auch nicht nur um Veranstaltungen die in der Nähe des Gottesdienstes stattfinden oder ihn nennenswert stören können (durch Sinneswahrnehmungen, also bspw. Geräusche, nicht schon durch den bloßen Gedanken, dass da jemand andere etwas macht, was man nicht mag). Hier geht es darum eine Konkurenz zur religiösen Veranstaltung zu verbieten (was vermutlich nicht nennesnwert mehr Kirchenbesucher bringt, sondern nur die Zahl an Langschläfern erhöht, dafür aber eine argumentative Blaupause liefert: Wenn die es dürfen, solange sie die - scheinbare - Mehrheit sind, dann darf eine andere Mehrheit auch den Spieß umdrehen).

Zitat

Und unter dem Gesichtspunkt der maximal möglichen Freiheit für einen Libertären auch unerträglich. Nur leben wir nicht in einer libertären Gesellschaft sondern in einer demokratischen. Und da muss man auch mal damit leben, dass ein Einschränkungen gibt. Ich persönlich halte diese für geradezu lächerlich.



Ich halte Zensur für ganz und gar nicht lächerlich. Und Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit ist für Demokratie - wie der Begriff heute verstandern wird und auch vom Grundgesetz mit "demokratischer Rechtsstaat" umschrieben ist - wesentliche Voraussetzung. Übrigens gilt das auch für Demokratien ohne Verfassungsgerichtsbarkeit, in denen Mehrheitseinscheidungen tatsächlich von keinem für ungültig erklärt werden können. Die Mehrheit ist hier lediglich die letzte Entscheidungs- und Beurteilungsinstanz. Auch diese sollte sich an abstrakte, höhere Prinzipien gebunden sehen. Anders würde beispielsweiße das Schweizer oder das Britische System nicht funktionieren. Meinungsfreiheit ist einer dieser Aspekte.

Zitat

Und ebenso bezeichnend. Ich denke das ist ein ziemlich typisch deutscher Streit, der im Wesentlichen auf Leute zurückgeht, die die Kirche aus prinzipiellen Gründen nicht leiden können und damit meinen einen Kronzeugen für den bösen Einfluss selbiger gefunden zu haben.



Nun, sie liefern hier die Blaupause für Grundrechtseinschränkungen, in dem Sie die in der Aufklärung entwickelte Religionsfreiheit so uminterpretieren, dass sie Kritik an Religion verbieten würde. Diese Argumentation wird auch von den Kirchen vertreten, die unterstützen nämlich §166. Insofern für das Schubladen-Einteilen nicht weiter. Bleiben wird doch bitte bei der Sache, anstatt jetzt auf die Person, die das Argument bringt, aufzusetzen. Oder darüber zu spekulieren, was ihre Argumente seien.

Zitat

Nur haben die Kirchen schon lange nix mehr zu melden. Auch dafür gibt es gute Zeugen. Als im Zuge des Ladenschlusses über den verkaufsoffenen Sonntag diskutiert wurde, waren es am Ende nicht die Kirchen, die diesen als Ausnahme definiert haben (die waren nämlich prinzipiell dagegen). Es waren die Gewerkschaften.



Die Kirchen nutzen ihren Einfluss, sie haben bloß nicht immer Erfolg. Am Karfreitag haben sie erfolg, ob sie tatsächlich einer Mehrheit in NRW hinter sich haben, kann bezweifelt werden. Vermutlich ist das Thema einigen nicht wichtig genug. Aber selbst bei wichtigeren Themen setzt sich nicht immer die Mehrheit im Volk durch, sondern natürlich der Mehrheit im Parlament. Wir sind halt nicht die Schweiz.

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“Being right too soon is socially unacceptable.”
― Robert A. Heinlein

Llarian Offline



Beiträge: 7.127

11.09.2014 21:59
#60 RE: Und am Ende will es wieder keiner gewesen sein... Antworten

Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #58
Ich bin mir selbst nicht sicher: In der Theorie befürworte ich den klassischen Liberlismus mit seiner inhärenten Beschränkung. In der Praxis weiß ich nicht, ob ich in einer Welt ohne kulturelle Prägung leben möchte. Dabei bin ich mir vollkommen bewußt, dass kulturelle Prägung immer ein Element der Willkür beinhalten muß.

Dieser Widerspruch ist auch mir sehr vertraut. Ich glaube das ist aber auch einer der Unterschiede zwischen Liberal und Libertär. Der Schlüssel, den ich für mich gefunden habe, läuft ungefähr auf das hinaus, was bei den Juristen durch den Begriff der Verhältnismäßigkeit ausgedrückt wird. Natürlich ist das Tanzverbot am Karfreitag freiheitseinschränkend. Auch für mich, da ich mit dem organisierten Christentum nix zu tun habe und auch nicht daran glaube, dass irgendjemand für meine Sünden gestorben ist. Aber ich erkenne an, dass es anderen sehr wichtig ist und die Einschränkung an einem von 365 Tagen nicht tanzen zu können, erscheint mir irrwitzig klein zu sein. Und das ist es, was ich mit Verhältnismäßigkeit meine. Es gibt eine Menge Einschränkungen, die in maximaler Konsequenz des Liberalismus nicht hinzunehmen wären. Aber da, wo das kleine Dinge mit großer Wirkung für andere sind, sehe ich nicht, dass man darüber ein Faß aufmachen muss. Liberalität ist sicher das Ideal, aber wir leben nicht an einem Ideal, wir leben als Menschen. Und dazu gehört es auch, auf andere Rücksicht zu nehmen, auch wenn wir dann ein bissel von unserem Ideal abweichen. Wir sind immernoch in erster Linie soziale Wesen. Und jeder, der mit anderen zusammenlebt, weiss auch, dass er Freiheiten dafür aufgeben muss. Das gilt im Kleinen (Familie) genauso wie im Großen (Staat/Gesellschaft). Ich zum Beispiel fine es total Banane, dass ich mein Auto nicht am Sonntag waschen darf (weil Waschboxen am Sonntag nicht öffnen dürfen und man privat ohne Ölabscheider kein Auto waschen darf). Wirklich, ich finde das total doof. Aber ich kann damit schon leben. Weil es wirklich wichtigeres gibt. Und wer wirklich ein Tanzverbot an einem Tag im Jahr für ein bedeutendes Problem dieser Republik hält, der kann nicht viele Sorgen im Leben haben.

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

11.09.2014 22:18
#61 RE: Und am Ende will es wieder keiner gewesen sein... Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #60
Ich zum Beispiel fine es total Banane, dass ich mein Auto nicht am Sonntag waschen darf (weil Waschboxen am Sonntag nicht öffnen dürfen und man privat ohne Ölabscheider kein Auto waschen darf).

In Bayern ist das eine der wenigen Fälle, in denen die Gemeinde entscheiden darf, ob sie das Autowaschen gestattet oder nicht. Kam hier schon mal vor: Zettels Meckerecke: Wo sind denn die Schildbürger?

Gruß Petz

"The problem with quotes from the Internet is that it is difficult to determine whether or not they are genuine" - Abraham Lincoln

Techniknörgler Offline



Beiträge: 2.738

11.09.2014 22:21
#62 RE: Und am Ende will es wieder keiner gewesen sein... Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #60
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #58
Ich bin mir selbst nicht sicher: In der Theorie befürworte ich den klassischen Liberlismus mit seiner inhärenten Beschränkung. In der Praxis weiß ich nicht, ob ich in einer Welt ohne kulturelle Prägung leben möchte. Dabei bin ich mir vollkommen bewußt, dass kulturelle Prägung immer ein Element der Willkür beinhalten muß.

Dieser Widerspruch ist auch mir sehr vertraut. Ich glaube das ist aber auch einer der Unterschiede zwischen Liberal und Libertär. Der Schlüssel, den ich für mich gefunden habe, läuft ungefähr auf das hinaus, was bei den Juristen durch den Begriff der Verhältnismäßigkeit ausgedrückt wird. Natürlich ist das Tanzverbot am Karfreitag freiheitseinschränkend. Auch für mich, da ich mit dem organisierten Christentum nix zu tun habe und auch nicht daran glaube, dass irgendjemand für meine Sünden gestorben ist. Aber ich erkenne an, dass es anderen sehr wichtig ist und die Einschränkung an einem von 365 Tagen nicht tanzen zu können, erscheint mir irrwitzig klein zu sein. Und das ist es, was ich mit Verhältnismäßigkeit meine. Es gibt eine Menge Einschränkungen, die in maximaler Konsequenz des Liberalismus nicht hinzunehmen wären. Aber da, wo das kleine Dinge mit großer Wirkung für andere sind, sehe ich nicht, dass man darüber ein Faß aufmachen muss. Liberalität ist sicher das Ideal, aber wir leben nicht an einem Ideal, wir leben als Menschen. Und dazu gehört es auch, auf andere Rücksicht zu nehmen, auch wenn wir dann ein bissel von unserem Ideal abweichen.


Das klingt jetzt sehr moderat und vernünfitg - und ist (fast) auch meine Position. Bloß: Ich sehe nicht die Anwendbarkeit auf das Tanzverbot in seiner heutigen Form. Das generelle Tanzverbot ist nämlich zur Rücksichtnahme nicht notwendig. Es geht nicht darum eine Party direkt neben einer Kirche zu veranstalten.

Merke: Das ein anderer die Anwendbarkeit eines grundsätzlichen Prinzips auf die konkrete Sitzuation nicht sieht, heißt nicht, das er das Prinzip an sich in Frage stellt. Es ist eben nicht alles moderat, was in moderate Worte gekleidet wird. Das Tanzverbot ist nicht moderat. Es ist absolut. Es dient nicht nur dem Schutz vor Störung.

Zitat

dass man darüber ein Faß aufmachen muss.



Wenn jedes Ansprechen der Thematik mit "ein Faß aufmachen" gleichgesetzt wird, dann kann man natürlich nichts ändern - weil jede Diskussion abgewürgt würde.

Im übrigen: Präzedenzfälle sind nicht irrelevant! Ein Präzedenzfall für eine juristische Auslegung ist zwar in Deutschland nicht für spätere Urteile rechtlich bindend - aber irrelevant ist es nicht. Insbesondere ist es schwer zurechtfertigen, doppelte Maßstäbe zum gleichen Zeitpunkt anzulegen.

Zitat


Und wer wirklich ein Tanzverbot an einem Tag im Jahr für ein bedeutendes Problem dieser Republik hält, der kann nicht viele Sorgen im Leben haben.



Und das ist nun wirklich ein Strohmann, aber kein Argument in der Sache. Insbesondere, da Präzedenzfälle nicht irrelevant sind.

Oder glauben Sie, Präzedenzfälle spielen keine Rolle bei der Rechtfertigung immer einschneidenderer Maßnahmen in die persönliche Freiheit?

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“Being right too soon is socially unacceptable.”
― Robert A. Heinlein

Solus Offline



Beiträge: 384

11.09.2014 23:20
#63 RE: Und am Ende will es wieder keiner gewesen sein... Antworten

Ich frage mich, ob man das Verbot von Filmaufführungen nicht vielleicht auch auf Streaming-Websites u.dgl. anwenden könnte. Bietet sich doch an, nachdem man schon den Inhalt von Webseiten je nach Tageszeit aus Jugendschutzgründen einschränkt.


Llarian:

Wenn jemand mit vorgehaltener Waffe Rücksicht auf seine persönlichen Befindlichkeiten fordert, finde ich das im allgemeinen nicht so toll. Und nichts anderes ist dieses Gesetz.
Es ist freilich bei weitem nicht das größte Problem in diesem Land, auch nicht innerhalb seines Themengebiets, aber ein Problem ist es.

Llarian Offline



Beiträge: 7.127

11.09.2014 23:43
#64 RE: Und am Ende will es wieder keiner gewesen sein... Antworten

Zitat von Solus im Beitrag #63
Wenn jemand mit vorgehaltener Waffe Rücksicht auf seine persönlichen Befindlichkeiten fordert, finde ich das im allgemeinen nicht so toll.

Müssen Sie auch nicht, lieber Solus, aber nicht alles was hinkt ist tatsächlich auch ein guter Vergleich. Das Tanzverbot wird weit weniger mit der Waffe durchgesetzt als eher mit Strafzahlungen, wenn sie ein öffentlicher Veranstalter sind. Wenn Sie in ihrer privaten Wohnung tanzen, dann wird der Staat Sie effektiv daran nicht hindern wollen, es sei denn sie machen eine Ruhestörung draus. Und zum dritten sind es weniger die persönlichen Befindlichkeiten von einzelnen, sondern einer ganzen Meute. Und darauf muss man, ob man es will oder nicht, in einer Demokratie auch Rücksicht nehmen. So liberal wir uns im einzelnen auch fühlen, so leben wir in der Realität eben in einer Gesellschaft, die nicht so liberal ist.

Zitat
Es ist freilich bei weitem nicht das größte Problem in diesem Land, auch nicht innerhalb seines Themengebiets, aber ein Problem ist es.


Sagen wir einfach, es ist ein weit (!) überdiskutiertes Problem und das hat eher mit dem politischen Hintergrund zu tun, als mit seiner tatsächlichen Wirkung. Die Einschränkung nicht tanzen zu können ist eine ziemlich kleine. Die Einschränkung nicht arbeiten zu können ist deutlich grösser. Und die gibts nicht an einem Tag im Jahr sondern an Dutzenden.

HR ( gelöscht )
Beiträge:

12.09.2014 00:00
#65 RE: Und am Ende will es wieder keiner gewesen sein... Antworten

Ich zitiere mal den Leitartikel:

" Und am Ende will es wieder keiner gewesen sein...
... wenn eine totalitäre Bewegung das nötige Biotop entwickeln konnte, um ihre eigenen, uniformierten, ideologisch gefestigten Sicherheitskräfte zu rekrutieren und auf die Straßen zu schicken.
"

Ja, dann laßt uns mal über christliche Feiertage diskutieren.

Techniknörgler Offline



Beiträge: 2.738

12.09.2014 00:15
#66 RE: Und am Ende will es wieder keiner gewesen sein... Antworten

Zitat von HR im Beitrag #65
Ich zitiere mal den Leitartikel:

" Und am Ende will es wieder keiner gewesen sein...
... wenn eine totalitäre Bewegung das nötige Biotop entwickeln konnte, um ihre eigenen, uniformierten, ideologisch gefestigten Sicherheitskräfte zu rekrutieren und auf die Straßen zu schicken.
"

Ja, dann laßt uns mal über christliche Feiertage diskutieren.


Wenn die den Präzedenzfall schaffen: Ja!

Aber ich gebe zu, die Diskussion hat sich etwas Off-Topic entwickelt. Das ist aber nicht weiter tragisch, denn dadurch eine (leicht) Off-Topic-Diskussion zu vermeiden hätte man jetzt eh nichts geändert. In Bezug auf das Zurückweichen vor den Forderungen und mehr oder weniger verdeckten Drohungen durch Islamfunktionäre ist man sich hier ja eh weitgehend einig. Man diskutiert halt darüber, worüber man sich nicht einig ist.

Insbesondere ist dies auch keine "aber wir doch auch"-Diskussion, denn niemand will mit dieser Diskussion jemanden davon abhalten, über das ursprünglich Thema zu reden oder jemanden für die Thematisierung des Islams persönlich angreifen. Natürlich rechtfertigt ein Tanzverbot an einem religiösen Feiertag im Jahr keine "Sharia-Polizei" und auch die Dimension ist eine ganz andere. Was mich bloß gewundert hat, ist einerseits die Berufung auf prinzipielle Erwägungen bei der Kritik an der Islamisten-Aktion - auch von Llarian - , dann aber die plötzliche Anwendung eines doppelten Maßstabs in Bezug auf Forderungen der Kirche. Die haben zwar eine andere Dimension, aber wenn man mit prinzipiellen Grundsätzen argumentiert, ist das halt nicht wirklich überzeugend. Das ist ja gerade die Kruks: Überzeugende Argumente dürfen halt heutzutage keinen doppelten Maßstab mehr enthalten. Daher scheitert ja auch so viel Kritik an Islamverbänden in der öffentlichen Diskussion an den Interessen derjenigen, die gerade eben doch beim Christentum nicht nur ein Auge zudrücken wollen, sondern offensichtlich doppelte Maßstäbe anwenden.

Es ist eben etwas anderes zu sagen, eine Einschränkung sei eine historisch bedingte Außnahme mit Bestandsschutz (womit die Abweichung vom Prinzip eingestanden wird) oder - in offensichtlicher Verkennung und krampfhaften "nicht wahr haben wollen" der Parallele - einen doppelten Maßstab anzuwenden. Letzteres wirkt einfach - unlogisch. Und damit nicht überzeugend.

Hätte Llarian beispielsweiße geschrieben "ja, die Zensur am Karfreitag aus religiösen Gründen ist ein Bruch mit modernen Prinzipien, aber das hat halt Bestandsschutz aus der Zeit als sie noch nicht galten", dann ist das etwas ganz anderes, als die Außnahmen mit grundlegenden Prinzipien (außer halt "Bestandsschutz") zu Begründen. Letzteres kann dann nämlich auch von anderen in Anspruch genommen werden und es lässt sich nicht mehr überzeugend dagegen argumentieren.

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Techniknörgler Offline



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12.09.2014 00:23
#67 RE: Und am Ende will es wieder keiner gewesen sein... Antworten

Zitat
Das Tanzverbot wird weit weniger mit der Waffe durchgesetzt als eher mit Strafzahlungen,



Mhm, und wie kann der Staat die Strafzahlung einfordern?

Natürlich steckt das staatliche Gewaltmonopol und die Drohung seiner Anwendung dahinter. Nur weil die Waffe ersteinmal im Hintergrund bleibt, heißt das ersteinmal nichts, wenn Gehorsam unter Berufung auf ihrer Existenz und jederzeitige heranschaffbarkeit gefordert wird.

Im übrigen ist dies ja genau die Relativierung, lieber Llarian, mit der Linke staatlichen Zwang nach Lust und Laune verteidigen: Wie, Zwang und Gewalt? Intelektuell neudefinierte Freiheit ist, was Linke fordern!

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Techniknörgler Offline



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12.09.2014 00:37
#68 RE: Und am Ende will es wieder keiner gewesen sein... Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #64

Zitat
Es ist freilich bei weitem nicht das größte Problem in diesem Land, auch nicht innerhalb seines Themengebiets, aber ein Problem ist es.

Sagen wir einfach, es ist ein weit (!) überdiskutiertes Problem und das hat eher mit dem politischen Hintergrund zu tun, als mit seiner tatsächlichen Wirkung. Die Einschränkung nicht tanzen zu können ist eine ziemlich kleine. Die Einschränkung nicht arbeiten zu können ist deutlich grösser. Und die gibts nicht an einem Tag im Jahr sondern an Dutzenden.



Das kann man nicht so einfach quantitativ aufrechnen. Die Begründung ist auch nicht ganz irrelevant.

Im einen Fall geht es um gemeinsame arbeitsfreie Tage.
Im anderen Fall darum, dass jemand schon der Gedanke daran stört, das er weiß, das da jemand 1 km weiter hinter dicken Wänden etwas macht, was er nicht schön findet - ohne das er es direkt sinnlich wahrnehmen muss. Also eigentlich stört es niemanden. Es gibt bloß in vielen Menschen den Drang, schon den Gedanken an abweichendes Verhalten an einem Ort, an dem man nie seien muss, durch Menschen, denen man auf der Straße begegnen kann, als etwas unangenehmes -vielleicht sogar beängstigendes- zu betrachten. Wenn man ehrlich ist, kann dies aber nicht wirklich staatliches Handeln rechtfertigen, im Gegenteil: Das überwunden zu haben, hat die moderne, pluralistische Welt überhaupt erst ermöglicht.

Es gibt natürlich Außnahmen in ganz harten Fällen: Zum Beispiel wäre Kannibalismus ein zu starker Zivilisationsbruch (selbst Kannibalen-Stämme hätten niemals einen der ihren gegessen, das ist ein absolutes Tabu). Aber nur so wird eben ein Schuh draus. Nicht die Freiheitseinschränkung muss klein, sondern der Zivilisationsbruch muss schon sehr heftig sein, um nicht nur als Kulturbruch, sondern tatsächlich als Zivilisationsbruch zu gelten und damit eine Einschränkung von etwas zu Fordern, das mir und anderen nicht ohne Einwilligung schadet und dessen Verbot mir keine obejektiven Vorteile bringt, nur weil mich der Gedanke stört, das andere so etwas machen. Und das ist beim Tanzen einfach nicht der Fall - egal an welchem Tag.

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Techniknörgler Offline



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12.09.2014 01:10
#69 RE: Und am Ende will es wieder keiner gewesen sein... Antworten

Zitat von Solus im Beitrag #63
Ich frage mich, ob man das Verbot von Filmaufführungen nicht vielleicht auch auf Streaming-Websites u.dgl. anwenden könnte. Bietet sich doch an, nachdem man schon den Inhalt von Webseiten je nach Tageszeit aus Jugendschutzgründen einschränkt.



Nein, Filmaufführungen (hauptsächlich Kino) werden vom Rundfunk unterschieden. Streaming über das Internet fällt unter den sogenannte erweiterten Rundfunkbegriff. Für den Rundfunk gilt folgende Regelung:

Zitat

(4) Bei Rundfunksendungen ist während der Zeit von 5 Uhr bis 18 Uhr (Absätze 1 und 2) und von 0 Uhr bis zum nächsten Tag 6 Uhr (Absatz 3) auf den ernsten Charakter der stillen Feiertage Rücksicht zu nehmen.



Quelle: §6 - Stille Feiertage

Es geht halt nicht um Schutz vor Belästigung. Es geht um das vorschreiben eines "Charakters", den der Tag für einen haben soll. Das einem dabei nicht direkt Empfindungen vorgeschrieben werden, ist klar. Sonst wäre es nicht nur problematisch, sondern totalitär. Und das ist unser Staat aktuelle sicher nicht.

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Solus Offline



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12.09.2014 01:40
#70 RE: Und am Ende will es wieder keiner gewesen sein... Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #64
Zitat von Solus im Beitrag #63
Wenn jemand mit vorgehaltener Waffe Rücksicht auf seine persönlichen Befindlichkeiten fordert, finde ich das im allgemeinen nicht so toll.

Müssen Sie auch nicht, lieber Solus, aber nicht alles was hinkt ist tatsächlich auch ein guter Vergleich. Das Tanzverbot wird weit weniger mit der Waffe durchgesetzt als eher mit Strafzahlungen, wenn sie ein öffentlicher Veranstalter sind. Wenn Sie in ihrer privaten Wohnung tanzen, dann wird der Staat Sie effektiv daran nicht hindern wollen, es sei denn sie machen eine Ruhestörung draus. Und zum dritten sind es weniger die persönlichen Befindlichkeiten von einzelnen, sondern einer ganzen Meute. Und darauf muss man, ob man es will oder nicht, in einer Demokratie auch Rücksicht nehmen. So liberal wir uns im einzelnen auch fühlen, so leben wir in der Realität eben in einer Gesellschaft, die nicht so liberal ist.

Die Strafzahlung ist das eine - zur Durchsetzung der Strafe hat Techniknörgler inzwischen was geschrieben - aber die eigentliche Durchsetzung ist sehr viel direkter. Nehmen wir gerade den öffentlichen Veranstalter und nehmen wir dazu noch an, dass er die Veranstaltung vorher bekanntgemacht hat, etwa per Inserat in der Zeitung oder im Internet. Die Wahrscheinlichkeit ist dann recht hoch, dass ihn jemand anzeigt und dementsprechend die Polizei anrücken wird. Und jetzt die Frage: Was passiert, wenn der Veranstalter zur Polizei sagt, sie soll sich verziehen, hier wird getanzt, punkt?
Eine reine Strafzahlung könnte man sich ja noch schönreden als eine Art Steuer - auch wenn die letztlich nicht weniger problematisch wäre - aber ganz konkret würde der Veranstalter nicht anders behandelt als ein Ruhestörer. Und genauso zur Unterlassung gezwungen.
Ich würde nicht davon sprechen, dass man in einer Demokratie darauf Rücksicht nehmen muss. Ich denke der passendere Ausdruck ist, dass man sich in einer Demokratie dem Zwang unterordnen muss. Was freilich ansich ersteinmal neutral ist - dem Zwang, einem anderen nicht einfach den Schädel einzuschlagen, muss man sich ja auch unterordnen.
Nur halte ich "wir machen das schon immer so" für eine reichlich schwache Begründung, den Knüppel auszupacken.

Zitat

Zitat
Es ist freilich bei weitem nicht das größte Problem in diesem Land, auch nicht innerhalb seines Themengebiets, aber ein Problem ist es.


Sagen wir einfach, es ist ein weit (!) überdiskutiertes Problem und das hat eher mit dem politischen Hintergrund zu tun, als mit seiner tatsächlichen Wirkung. Die Einschränkung nicht tanzen zu können ist eine ziemlich kleine. Die Einschränkung nicht arbeiten zu können ist deutlich grösser. Und die gibts nicht an einem Tag im Jahr sondern an Dutzenden.



Da gebe ich Ihnen vollkommen recht, das Problem ist weitaus mehr ein symbolisches als ein praktisches.
Das Arbeitsverbot am Sonntag - und an Feiertagen - halte ich im Übrigen auch für ein Unding. Und ich denke die USA zeigen recht gut, dass auch ein christlich geprägtes Land ohne ein allgemeines Verbot der Arbeit an Sonn- und Feiertagen auskommt, ohne seine christliche Kultur zu zerstören.


Nachtrag:

Zitat von Techniknörgler im Beitrag #68
Es gibt natürlich Außnahmen in ganz harten Fällen: Zum Beispiel wäre Kannibalismus ein zu starker Zivilisationsbruch (selbst Kannibalen-Stämme hätten niemals einen der ihren gegessen, das ist ein absolutes Tabu).

Es gibt tatsächlich Stämme, die ihre eigenen Mitglieder essen - oder das jedenfalls in der Vergangenheit getan haben. Auch wenn sich das freilich auf das Essen verstobener Verwandter im Rahmen von Bestattungsriten beschränkt.
Wo ziehen Sie da die Grenze? Ich denke da ganz konkret an einen gewissen Fall, der vor Jahren durch die Medien ging.

Frank2000 Offline




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12.09.2014 06:33
#71 RE: Und am Ende will es wieder keiner gewesen sein... Antworten

Zitat von Solus im Beitrag #70

Das Arbeitsverbot am Sonntag - und an Feiertagen - halte ich im Übrigen auch für ein Unding. Und ich denke die USA zeigen recht gut, dass auch ein christlich geprägtes Land ohne ein allgemeines Verbot der Arbeit an Sonn- und Feiertagen auskommt, ohne seine christliche Kultur zu zerstören.



Ohne DEREN Kultur zu zerstören vielleicht. Ob das aber nicht doch UNSERE Kultur erheblich erschüttern würde, wenn der Sonntag gesetzlich zum Arbeitstag wird, ist eine ganz andere Frage. Ich finde diese Argumente "Bei DENEN geht das aund das aber doch auch also sollte auch bei uns..." unsinnig. Ich bin im Übrigen selbst Atheist und würde doch die Sonderstellung des Sonntag mit Zähnen und Klauen verteidigen.

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Kommunismus mordet.

Solus Offline



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12.09.2014 17:56
#72 RE: Und am Ende will es wieder keiner gewesen sein... Antworten

Zitat von Frank2000 im Beitrag #71
Zitat von Solus im Beitrag #70

Das Arbeitsverbot am Sonntag - und an Feiertagen - halte ich im Übrigen auch für ein Unding. Und ich denke die USA zeigen recht gut, dass auch ein christlich geprägtes Land ohne ein allgemeines Verbot der Arbeit an Sonn- und Feiertagen auskommt, ohne seine christliche Kultur zu zerstören.



Ohne DEREN Kultur zu zerstören vielleicht. Ob das aber nicht doch UNSERE Kultur erheblich erschüttern würde, wenn der Sonntag gesetzlich zum Arbeitstag wird, ist eine ganz andere Frage. Ich finde diese Argumente "Bei DENEN geht das aund das aber doch auch also sollte auch bei uns..." unsinnig. Ich bin im Übrigen selbst Atheist und würde doch die Sonderstellung des Sonntag mit Zähnen und Klauen verteidigen.

Sehr wahrscheinlich würde es unsere Kultur zu einem gewissen Grad erschüttern. Gemeint war auch nicht "macht keinen Unterschied" sondern nur "die Welt geht davon nicht unter".
Jedenfalls halte ich von kulturellen Bestandteilen, die nur durch gesetzlichen Zwang aufrecht erhalten werden können, herzlich wenig.

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

12.09.2014 21:20
#73 RE: Und am Ende will es wieder keiner gewesen sein... Antworten

Zitat von Solus im Beitrag #72
Sehr wahrscheinlich würde es unsere Kultur zu einem gewissen Grad erschüttern. Gemeint war auch nicht "macht keinen Unterschied" sondern nur "die Welt geht davon nicht unter".
Das gilt für jeden Einzelschritt, der im Konzert mit anderen wenn nicht einen Untergang, so doch eine erhebliche Umgestaltung mit jeder Menge "unintended consequences" zur Folge hat.
Zitat von Solus im Beitrag #72
Jedenfalls halte ich von kulturellen Bestandteilen, die nur durch gesetzlichen Zwang aufrecht erhalten werden können, herzlich wenig.
Aber das macht den Kern des Zusammenspiels von Kultur und Recht aus. Wenn man davon ausgeht, dass es Güter gibt, die erst dadurch ihren Nutzen entfalten können, dass eine hinreichend große Zahl an Menschen sie in Anspruch nimmt, und dass diese Güter einen größeren Nutzen stiften als der Zwang zu ihrer Befolgung an Disnutzen bewirkt, dann spricht das zunächst mal für eine entsprechende gesetzliche Regelung. Nehmen wir das Beispiel der Nachtruhe: Sie existiert nicht, sobald auch nur ein Schreihals der Meinung ist, sie ignorieren zu können.

Allerdings verlieren gesetzliche Regelungen ihre Legitimation, wenn sie nicht mehr auf einen kulturellen Konsens zurückgreifen können. Wenn also die große Mehrheit der Gesellschaft nachts vor allem Party machen möchte, wäre ein gesetzlich durchgesetztes allgemeines Gebot der Nachtruhe nur schwer zu begründen. Im Fall der "christlichen Feiertage" könnte man vielleicht mittlerweile davon ausgehen, dass die große Mehrheit der Menschen mit ihnen nichts mehr anzufangen weiß. Allerdings ist an die Stelle des christlichen Glaubens die Heiligkeit der Arbeiznehmer-Freizeit getreten, so dass die entschiedensten Befürworter wahrscheinlich ganz woanders ausgemacht werden können.

Es spricht aus meiner Sicht jedenfall wenig dafür, die Entscheidung über solche Tage nicht dem demokratischen Souverän zu überlassen.

--
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Je länger das Dritte Reich tot ist, um so stärker wird der Widerstand gegen Hitler und die Seinen. (Johannes Gross)

Paul Offline




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12.09.2014 23:08
#74 RE: Und am Ende will es wieder keiner gewesen sein... Antworten

Zitat von Rayson im Beitrag #73
Im Fall der "christlichen Feiertage" könnte man vielleicht mittlerweile davon ausgehen, dass die große Mehrheit der Menschen mit ihnen nichts mehr anzufangen weiß. Allerdings ist an die Stelle des christlichen Glaubens die Heiligkeit der Arbeiznehmer-Freizeit getreten, so dass die entschiedensten Befürworter wahrscheinlich ganz woanders ausgemacht werden können.


Das ist wohl wahr, lieber Rayson. Sonst wäre der christliche Feiertag - Sonntag - schon längst abgeschafft worden. Irgendwie ist er auch schon gestorben und nur noch in Form des tariflichen Sonntagzuschlags erhalten geblieben.

LG, Paul

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In dubio, pro reo.

Techniknörgler Offline



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13.09.2014 03:32
#75 Sonntag und stiller Feiertag sind gänzlich verschieden Antworten

Zitat von Frank2000 im Beitrag #71
Zitat von Solus im Beitrag #70

Das Arbeitsverbot am Sonntag - und an Feiertagen - halte ich im Übrigen auch für ein Unding. Und ich denke die USA zeigen recht gut, dass auch ein christlich geprägtes Land ohne ein allgemeines Verbot der Arbeit an Sonn- und Feiertagen auskommt, ohne seine christliche Kultur zu zerstören.



Ohne DEREN Kultur zu zerstören vielleicht. Ob das aber nicht doch UNSERE Kultur erheblich erschüttern würde, wenn der Sonntag gesetzlich zum Arbeitstag wird, ist eine ganz andere Frage. Ich finde diese Argumente "Bei DENEN geht das aund das aber doch auch also sollte auch bei uns..." unsinnig. Ich bin im Übrigen selbst Atheist und würde doch die Sonderstellung des Sonntag mit Zähnen und Klauen verteidigen.


Da gebe ich ihnen recht. Ich halte die Beschränkungen am Sonntag auch nicht mit denen am Karfreitag für gleichsetzbar. Eine quantitative Betrachtung (es gibt mehr Sonntage als stille Feiertage) geht auch am Problem vorbei. Qualitativ besteht ein enormer Unterschied: Der arbeitsfreie Sonntag hat halt tatsächlich praktischen Nutzen. Möglichst viele haben gemeinsam arbeitsfrei. Warum darf man am Sonntag nicht Rasenmähen? Weil es tatsächlich jemand anderen stören könnte. Durch richtige Sinneswahrnemungen. (Und es ist keine Einschränkung von Art. 5 GG)

Das Tanzverbot gilt eben nicht nur während Gottesdiensten um Kirchen. Oh nein. Es hat einen ganz anderen Zweck. Es geht eben nicht darum, dass man selber ungestört Trauern oder dem Leid in der Welt gedenken kann. Das könnte durch eine fröhliche Veranstaltung in unmittelbarer Nähe, von der man etwas mitbekommt, gestört werden Aber darauf beschränkt sich das Verbot nicht. Ungestört dem Leid in der Welt gedenken kann man auch, wenn andere sich in anderen geschlossenen Räumen gemeinsam gut unterhalten, sofern kaum Geräusche davon zu einem dringen. Wenn einen schon der Gedanke daran stört, dass andere sich (zu sehr) abweichend verhalten, dann heißt das nicht, dass man gestört wird. Dann geht es einem um etwas gänzlich anderes. Nicht eine Sinneswahrnehmung stört hier jemanden, sondern der Gedanke, andere verhielten sich (ohne, das man davon etwas direkt wahrnemmen müsste) anders, als man es an dem Tag für angemessen halten würde. Andere haben eine andere Stimmung.

Den Unterschied merkt man auch sofort an der Durchsetzung:

Niemand geht durch Gärten, Kleingärten oder gar abgelegene Gebiete, um dort nach rasenmähenden "Kulturbanausen" zu fahnden, denn wenn sich jemand tatsächlich gestört fühlt, dann wird der sich schon melden. Ok, fast niemand. Es gibt da auch Außnahmen. Wie nennt man die? Querulanten.

Das ist bei den Einschränkungen am Karfreitag ganz anders. Die zusätzlichen Verbote dienen ja nicht dazu andere vor Belästigungen zu schützen. Sie sollen ein Mindestmaß an Anpassung erzwingen - als Selbstzweck! Daher ist es auch nötig selbst geschlossenen Gesellschaften dieselben Einschränkungen aufzuerlegen:

Zitat
(3) Am Karfreitag sind zusätzlich verboten:[...]

2. alle nicht öffentlichen unterhaltenden Veranstaltungen außerhalb von Wohnungen bis zum nächsten Tag 6 Uhr,

[...]



Lediglich für Wohnungen, also privaten Wohnraum, gibt es eine Außnahme vom Verbot. Was eigentlich wiedersinnig ist, denn da ist es häufig noch viel wahrscheinlicher, das Nachbarn etwas mitbekommen, was die Sache doch sehr beschränkt und wohl auch so angedacht ist.

Und es geht ja noch weiter: Auch die Kunstfreiheit wird eingeschränkt. Dabei sind nicht pauschal alle Aufführungen verboten. Mit der Belästigung durch An- und Abfahrt kann da nicht arugmentiert werden. Es kommt stattdessen auf den "Charakter" des Werkes an, womit denke ich schon vieles gesagt ist, schlieslich muss sich niemand das Stück ansehen. Nicht der Schutz vor Störung steht im Fordergrund, sondern die Lenkung der Stimmung der Bevölkerung. Das diese nicht gleich explizit vorgeschrieben wird, ist klar - das ginge dann doch etwas zu weit. Die Bundesrepublik ist ja nicht totalitär. Doch besteht in diesen Einschränkungen doch ein prinzipieller, qualitativer Unterschied zu den Beschränkungen am Sonntag und "normalen" Feiertagen.

Die gänzlich andere Natur der Einschränkung wird auch in der Bestimmung deutlich, wonach

"Veranstaltungen, Theater- und musikalische Aufführungen, Filmvorführungen und Vorträge jeglicher Art, auch ernsten Charakters, während der Hauptzeit des Gottesdienstes"
verboten sind und zwar nicht nur in der Nähe: Die unmittelbare Konkurenz zum Gottesdienst soll unterbunden werden, nicht weil es jemanden stören könnte (dann würden die für jüdische Feiertage vorgesehenen Einschränkungen ausreichen, die nur in der Nähe der Gottesdienste gelten), sondern um konformes Handeln anzustreben. Der Drang letzteres anzustreben steckt im Menschen, da es das Gemeinschaftsgefühl stärkt, was lange Zeit so unglaublich überlebensnotwendig war. Es ist aber gerade die große Errungenschaft der Aufklärung und des Liberalismus, zumindest das Aufzwingen oder auch nur Herbeidrängen mit Gewalt (auch indirekt, über den zivilisierteren Gewaltmonopolisten) überwunden zu haben.

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