Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #75möchte ich Sie um Entschuldigung bitten.
Das müssen Sie nicht. Alles gut. Wirklich. Wir reden nur fast in allen Details komplett aneinander vorbei (ist zumindest mein Eindruck) und deswegen, ist die Diskussion so schwierig und das frustriert mich irgendwie.
Was ich mit "aufmalen" meinte, war natürlich das Vermessen der Gravitationsfeldlinien, indem man die Bewegung der Masse misst und graphisch abträgt. Da war ich flapsig. Vielleicht kennen Sie aus der Schule (wo er gerne gemacht wird) diesen Versuch mit Eisenspänen, die man um einen Magneten streut, die sich dann entlang der magnetischen Feldlinien ausrichten und damit das magnetische Feld quasi "malen" und damit die Mathematik visualisieren. Sehr eindrucksvoll. Das meinte ich. Das kann man analog mit einer Masse im Gravitationsfeld machen. Damit hat man dann das Gradientenfeld der Masse gemalt, bzw. visualisiert. Man sieht dann sowas wie das Feld des Newtonschen Gravitationspotentials einer Masse.
Und wenn man das graphisch abträgt was die Nasa vermessen hat, sieht man eben die gekrümmte Raumzeit. Damit wollte ich nicht die Arbeit der Leute anzweifeln oder abwerten. Für mich ist das nur eben keine Überraschung, dass es so ist. So sieht eben die empirische Bestätigung der Mathematik, die in den jeweiliegn Fällen dahinter steckt, graphisch aus. Das Bild des Gravitationspotentials ist dabei für mich genau so "echt", wie das der Raumzeit. Diese Bilder gehören eben zu zwei unterschiedlichen Modellen.
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #54Und was Popper und seine Falsifizierbarkeit anbelangt: Das Newton Modell wurde durch die ART verbessert weil neue Prämissen hinzugefügt wurden (Zeit). So ähnlich kann auch die ART verbessert werden, z.B in einer einheitlichen Theorie die die Quantenmechanik einschließt. Die ART ist falsifizierbar weil sie überprüft werden kann. Im Gegensatz zur Stringtheorie die nicht falsifizierbar ist weil sie nicht überprüft werden kann. Dieses Schicksal betraf lange Zeit auch die ART bis, ja bis der technische Fortschritt Meßmethoden hervorbrachte mit denen eine Überprüfung möglich wurde. So wie auch am 11. Februar 2016.
Das geht ein bißchen am eigentlichen Begriff der Falsifizierbarkeit vorbei. Diese ist nämlich nicht so sehr eine praktische Frage (also ob jemand die richtige Idee für ein entscheidendes Experiment hat, und ob die technischen Möglichkeiten für dessen Durchführung bestehen), sondern hat mit der logischen Struktur der Theorie zu tun; und Nichtfalsifizierbarkeit ist nicht immer leicht zu erkennen. Die allgemeine Relativitätstheorie war von vornherein und immer falsifizierbar, weil ihr Kernstück, die Einsteinschen Feldgleichungen (denn diese sind der eigentliche Knackpunkt, nicht ob man das Resultat in der Form von Raumzeitkrümmung oder nichtnewtonschen Kraftfeldern formuliert) stellen eine definitive Beziehung zwischen Massen=Energiedichte und Gravitationswirkung her. Diese kann man nachmessen und sie entspricht entweder der Messung oder nicht.
Um den Punkt näher zu erläutern, beschreibe ich hier mal eine Theorie aus dem historischen Vorlauf der Gravitationstheorie, die tatsächlich nicht falsifizierbar war: das Kopernikanische Planetensystem. Dieses übernahm nämlich die Grundprinzipien des (aus denselben Gründen nicht falsifizierbaren) ptolemäischen Weltsystems und setzte nur die Sonne statt der Erde in die Mitte, was im nachhinein betrachtet nicht einmal ein sehr wesentlicher Unterschied ist (damals aus Gründen der Dominanz der Religion über die Wissenschaft natürlich schon). Diese Systeme nehmen an, daß sich die Himmelskörper als perfekte himmlische Körper von Natur aus auf perfekten Kreisbahnen bewegen, so wie sie ja auch, sofern wie bei Sonne und Mond eine Ausdehnung erkennbar ist, perfekt kreisrund aussehen. Das Problem dabei ist, daß selbst bei mit bloßem Auge durchgeführten Messungen der Positionen der Himmelskörper große Abweichungen von einer gleichmäßigen Kreisbewegung festzustellen sind, das primitive (und auch falsifizierbare) Kreisbahnmodell also sofort empirisch widerlegt wird. Deshalb bringt man die weitere Annahme ins Spiel, daß nicht der Himmelskörper selbst auf dem Kreis herumfährt, sondern das Zentrum eines weiteren Kreises, auf dem wieder das Zentrum eines weiteren Kreises umläuft etc., so daß eine ganze Kette von sogenannten Epizykeln vorliegt, und der Himmelskörper selbst nur auf dem letzten dieser Kreise sitzt.
Galilei hat beim Versuch, seinen Zeitgenossen das kopernikanische System zu verkaufen, schon etwas von größerer Einfachheit schwadroniert, die aber nicht vorliegt: egal, ob die Erde oder die Sonne im Zentrum steht, braucht man etwa die gleiche Zahl von Epizykeln, um eine im Rahmen der Meßgenauigkeit korrekte Beschreibung der tatsächlichen Himmelskörper zu bekommen. Mit Verbesserung der Meßdaten, Verwendung besserer Teleskope etc. mußten dem System auch wirklich weitere Epizykeln zugefügt werden. Dieses kopernikanische Planetensystem ist eine nicht falsifizierbare Theorie, denn durch genauere Beobachtung auffällig werdende Abweichungen können immer durch weitere Epizykeln ausgeglichen werden. Die Arbeiten von Daniel Bernoulli, Euler, Fourier, Dirichlet u.a. haben später (18./frühes 19. Jhdt.) gezeigt, daß ziemlich beliebige Funktionen durch eine Fourierreihe beliebig genau approximiert werden können, und eine Epizykelkette ist gerade von solcher (sogar etwas allgemeinerer) Form. Es ist daher völlig ausgeschlossen, daß irgendeine Messung dem kopernikanischen System so widerspricht, daß nicht das System durch Anpassung gerettet werden könnte. Also ist es nicht falsifizierbar.
Die Rettung aus dieser Sackgasse kam von Kepler mit seiner Theorie, daß die Planeten auf elliptischen Bahnen um die Sonne fliegen. Das war, da pro Planet nur eine geringe und von vornherein festgelegte Anzahl von Bahnparametern zu bestimmen ist, eine falsifizierbare Theorie und wurde auch alsbald falsifiziert. Aber es war eine gute Theorie, weil sie durch reverse engineering, das Newton durchgeführt hat, direkt auf sein Gravitationsgesetz geführt hat. Als weitere Idee kam dann nur noch der Einfall hinzu, daß die Gravitation nicht zur zwischen Sonne und Planet, sondern auch zwischen Planeten wirkt, und die Newtonsche Physik war fertig.
Dieses Beispiel ist, glaube ich, auch im Zusammenhang unseres eigentlichen Themas illustrativ, denn die Klimamodelliererei mit ihren vielen Parametern und immer wieder und weiter aus dem Ärmel geschüttelten Anpassungen erinnert doch eher an die ptolemäisch-kopernikanischen Epizykel als an Keplers klare und eine eindeutige Vorhersage liefernde Ellipsen.
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #76 Und wenn man das graphisch abträgt was die Nasa vermessen hat, sieht man eben die gekrümmte Raumzeit. Damit wollte ich nicht die Arbeit der Leute anzweifeln oder abwerten. Für mich ist das nur eben keine Überraschung, dass es so ist. So sieht eben die empirische Bestätigung der Mathematik, die in den jeweiliegn Fällen dahinter steckt, graphisch aus. Das Bild des Gravitationspotentials ist dabei für mich genau so "echt", wie das der Raumzeit. Diese Bilder gehören eben zu zwei unterschiedlichen Modellen.
Es geht doch dabei überhaupt nicht um eine Grafik. Es ging um den Nachweis zweier Effekte die die ART vorhersagte und die bisher nicht gemessen werden konnten. Und es geht auch nicht um Mathematik sondern ganz konkret um das Verhalten von rotierenden Kreiseln und ihrer Auswirkung auf die Raumzeit und das Verhalten ihrer Achsen. Da wurden sehr Experimente durchgeführt mit praktischem Nutzen:
Zitat Die Technologien, die an Bord vom Gravity Probe B zum Einsatz kamen, wurden inzwischen auch für satellitengestützte Navigationssysteme verwendet, das Verfahren zum präzisen Ausgleich von externen Einflüssen machten sich auch Satelliten wie der europäische Gravity field and steady-state Ocean Circulation Explorer (GOCE) zunutze.
Zitat Ein Effekt der Allgemeinen Relativitätstheorie: Eine rotierende Masse bringt die sie umgebende Raumzeit in gewisser Weise (und in begrenztem Maße) dazu, mitzurotieren.
Dadurch werden die Bahnen von Körpern beeinflusst, die um die betreffende Masse umlaufen; außerdem ändern die Drehachsen von Kreiseln, die sich in der Nachbarschaft der Masse im freien Fall befinden, ihre Richtung. Die direkte Messung des Lense-Thirring-Effekts mit Hilfe solcher Kreisel ist das Ziel der Mission Gravity Probe B.
Und den de-Sitter Effekt:
Zitat Die Achse eines Kreisels, auf den keine äußeren Kräfte wirken, behält ihre Richtung im Raum mit großer Genauigkeit bei - Grundlage beispielsweise für Kreiselkompasse. In einer gekrümmten Raumzeit, wie wir sie laut Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie rund um massive Objekte vorfinden, gilt dies freilich nicht mehr ganz: Die Achse eines frei fallenden Kreisels in einer Umlaufbahn um eine kugelförmige Masse zeigt nach jedem Umlauf in eine leicht andere Richtung als vorher. Dieser Effekt der allgemeinen Relativitätstheorie ist als de Sitter-Präzession oder geodätische Präzession bekannt.
Zitat von Fluminist im Beitrag #77Galilei hat beim Versuch, seinen Zeitgenossen das kopernikanische System zu verkaufen, schon etwas von größerer Einfachheit schwadroniert, die aber nicht vorliegt: egal, ob die Erde oder die Sonne im Zentrum steht, braucht man etwa die gleiche Zahl von Epizykeln, um eine im Rahmen der Meßgenauigkeit korrekte Beschreibung der tatsächlichen Himmelskörper zu bekommen. Mit Verbesserung der Meßdaten, Verwendung besserer Teleskope etc. mußten dem System auch wirklich weitere Epizykeln zugefügt werden.
Sobald die 3 Keplerschen Gesetze, besonders #1, akzeptiert werden, fällt jede Notwendigkeit von Epizykloiden weg. Das Casus knacktus für Kepler war die Marsbahn, die ja id Tat schwer eirig ist (wäre die schön rund wie die von ♃ oder ♄, hätte er nicht 15 Jahre lang Ansatz um Ansatz gebraucht). Die Daten dafür sind ausschließlich Tycho Brahes vor-teleskopische Meßreihen (die Mauerquadranten in Urani- & Stjerneborg waren groß genug, um brauchbare Werte im Bereich einer halben Bogenminute zu liefern), von Meister Johannes id Rudolfinischen Tafeln tabelliert.
Das hat wissenschaftshistorisch dazu geführt, daß ab ca. 1660/70 die Sache gegessen ist: Jeder akzeptiert den Heliozentrismus & das tychonische Kompromißmodell, das zumeist bei den Jesuiten-Astronomen angeführt wird*, wirkt zumeist wie eine rhetorische Demutsgeste. Mit Fontenelles "Entretiens sur la Pluralité des Mondes" von 1684 wird das richtig populär; das geht bei jeder Übersetzung ab ovo los. (Die Stoßrichtung gegen den Cartesianismus [der im 17. Jh. eine viel größere Hausnummer darstellt], die einem bei der Lektüre der 5 "Gespräche" so heftig auffällt, ist übrigens bei allen Zeitgenossen unter den Tisch gefallen; habent sua fata libelli pro captu lectoris). Da spielt Occams Rasierökonomie subkutan hinein & das Faszinosum, in den anderen Planeten Welten wie die Erde sehen zu können. Der Knackpunkt "Nichterwiesenheit der Sternparallaxe" wird bis Anfang des 19 Jh.s achselzuckend hintangestellt (bei Kant, Gottsched, Whiston pp. bis Laplace kommt der Punkt überhaupt nicht mehr vor). Das gilt, wenn überhaupt, als Beweis für die Unendlichkeit des Alls (geht zumeist mit Lob für die verstärkte Potenz des Schöpfers einher; daß hier ein Fall von petitio principii vorliegen könnte, ist ein Ding, das seinerseits unter den Auspizien des Neuen Paradigmas vorerst noch undenkbar ist). Der Paradigmenwechsel ist komplett. In den Präsentationen zwischen ~1650 und knapp 1700 werden die beiden sich ausschließenden Weltmodelle gleichberechtigt nebeneinander gezeigt. Überhaupt ist von einem "kopernikanischen Schock" - daß die Erde nicht mehr Zentralpunkt des Universums sei, in den Texten nichts zu finden (seit 20 Jahren neigen moderne Ausdeuter eher zu der Version, die "Sünde" habe darin bestanden, die Erde aus dem Bodenbereich der sublunaren Sündensphäre des Wandels unter der Rest der Gestirne zu erheben, wo die Sache mit dem Apfel, dem von Eva, nicht Isaac, die Schöpfung ja nicht lädiert hatte).
*Owen Gingerich hat das in seiner Autopse aller rund 260 Exemplare von "De revolutionibus", die es weltweit noch gibt (von geschätzten 600 der beiden Imprinte von 1542 & 1569) gut herausgearbeitet: unter das vatikanische Verdikt fielen Einzelstellen, die insgesamt gut 20 Druckseiten umfassen. In den rund 25 Exemplaren aus jesuitischen Bibliotheken in Übersee (in Peking liegen 2) sind die inkriminierten Partien (das kommt in 2 Schüben; nach dem Galilei-Prozess wird das ausgeweitet) nicht mit dickem Tintenstrich geschwärzt (wie in Portugal, Spanien, Irland), sondern nur mit Bleistift ganz locker unter strengem Erhalt der leichten Lesbarkeit markiert, nach dem Motto: bitte genau lesen, aber die Stellen nicht zitieren.
Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire
Zitat von Fluminist im Beitrag #77Dieses kopernikanische Planetensystem ist eine nicht falsifizierbare Theorie, denn durch genauere Beobachtung auffällig werdende Abweichungen können immer durch weitere Epizykeln ausgeglichen werden.
Wenn ich andere Epizykeln im Modell habe, ist es eine andere Theorie. Gewiß, solche Modelle sind einander ähnlich, aber sie sind verschieden voneinander.
Zitat von Fluminist im Beitrag #77Dieses Beispiel ist, glaube ich, auch im Zusammenhang unseres eigentlichen Themas illustrativ, denn die Klimamodelliererei mit ihren vielen Parametern und immer wieder und weiter aus dem Ärmel geschüttelten Anpassungen erinnert doch eher an die ptolemäisch-kopernikanischen Epizykel als an Keplers klare und eine eindeutige Vorhersage liefernde Ellipsen.
Wie sollte man es anders machen? Man hat nur eine einzige Erde, deren Klima man beobachten kann. Hätte man mehrere, könnte man an einer die Theorien entwickeln (denn es ist in der Praxis ja eben nicht so, daß zunächst die Theorie allein am Schreibtisch erbrütet wird und erst zum Schluß den Falsifizierungsversuch an der Empirie ausgesetzt wird), und an den anderen validieren. So umginge man die Versuchung des "data snooping". Zusätzlich hat man das Problem, daß tatsächlich unüberschaubar viele Einflußfaktoren vorliegen, andererseits aber die Lösung nicht stetig von den Daten abhängt (das ist i.A. zwar auch in der Himmelsmechanik so, in den relevanten Spezialfällen taucht dies Problem aber nicht auf).
An der "Klimamodelliererei" sehe ich so keinen Mangel. Es ist eben ein besonders widerborstiges Thema. Ungünstiger ist vielmehr die falsche Arbeitsteilung zwischen Wissenschaft, Moral und Politik.
Zitat von Fluminist im Beitrag #77Dieses kopernikanische Planetensystem ist eine nicht falsifizierbare Theorie, denn durch genauere Beobachtung auffällig werdende Abweichungen können immer durch weitere Epizykeln ausgeglichen werden. [...] daß ziemlich beliebige Funktionen durch eine Fourierreihe beliebig genau approximiert werden können, und eine Epizykelkette ist gerade von solcher (sogar etwas allgemeinerer) Form. Es ist daher völlig ausgeschlossen, daß irgendeine Messung dem kopernikanischen System so widerspricht, daß nicht das System durch Anpassung gerettet werden könnte. Also ist es nicht falsifizierbar.
Dieses historische Beispiel, vor allem dieses "logische Strukturproblem" der Falsifizierbarkeit, wie man die Falsifizierbarkeit durch mathematische Näherung umgehen kann, kannte ich nicht. Sehr erhellend. Vielen Dank. Vor allem weil Sie den von Ihnen gezogenen Schluß evident erscheinen läßt:
Zitat von Fluminist im Beitrag #77 denn die Klimamodelliererei mit ihren vielen Parametern und immer wieder und weiter aus dem Ärmel geschüttelten Anpassungen erinnert doch eher an die ptolemäisch-kopernikanischen Epizykel als an Keplers klare und eine eindeutige Vorhersage liefernde Ellipsen.
Diese "aus dem Ärmel geschüttelten Anpassungen" der Klimamodellierer waren mir zwar bekannt und waren in meinen Augen ein großer Schwachpunkt aber in Verbindung mit dem von Ihnen aufgezeigten logischen Problem, gewinnt dieser Schwachpunkt der Klimamodelliererei für mich noch einmal entschieden an Gewicht.
Vielen Dank für diesen Beitrag.
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Zitat von Emulgator im Beitrag #80Wie sollte man es anders machen?
Ich würde die Kritik so verstehen, dass man eben immer nur neue Zusatzterme bemüht, um die ursprüngliche Annahme, "Mensch und CO2 sind der Welt Verderben", nicht über Bord werfen zu müssen. Man könnte ja auch grundsätzlich die Modellierung des CO2 Einflusses überdenken. Das will man nach meinem Verständnis aber nicht. Dann könnte man die Welt ja nicht mehr durch Besteuern der Atemluft retten.
Zitat von Emulgator im Beitrag #80Ungünstiger ist vielmehr die falsche Arbeitsteilung zwischen Wissenschaft, Moral und Politik.
Das bleibt wohl unbenommen.
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
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Zitat von Fluminist im Beitrag #77Dieses kopernikanische Planetensystem ist eine nicht falsifizierbare Theorie, denn durch genauere Beobachtung auffällig werdende Abweichungen können immer durch weitere Epizykeln ausgeglichen werden.
Wenn ich andere Epizykeln im Modell habe, ist es eine andere Theorie. Gewiß, solche Modelle sind einander ähnlich, aber sie sind verschieden voneinander.
Dieser Einwand löst das Problem nicht. Sie können jedes Modell mit anderen Parametern ein "ähnliches, aber verschiedenes Modell" nennen, das ändert nichts daran, das alle diese Modelle in einer Klasse von Modellen liegen, die sich dadurch auszeichnet, daß (1) sie für alle Meßdaten ein passendes Modell enthält und (2) alle Modelle gleich viel oder gleich wenig Erklärungskraft hinsichtlich des zugrundeliegenden Mechanismus haben. Das ist der klassische Fall von Nichtfalsifizierbarkeit. Da kann nichts Brauchbares mehr herauskommen, und man braucht eine grundlegend andere Idee, im Beispiel eben die Keplerschen Gesetze.
Zitat von Emulgator im Beitrag #80An der "Klimamodelliererei" sehe ich so keinen Mangel. Es ist eben ein besonders widerborstiges Thema. Ungünstiger ist vielmehr die falsche Arbeitsteilung zwischen Wissenschaft, Moral und Politik.
Man muß, glaube ich, unterscheiden zwischen ernsthafter Klimaforschung als naturwissenschaftliches Programm und "Klimaforschung" als politisches Propagandaprogramm. Die zwecks Information von Entscheidungsträgern extrapolierten Prognoserechnungen mit sensationellen Vorhersagen über unrealistische Zeiträume gehören weitgehend zu letzterem, und nur diese hatte ich mit "Klimamodelliererei" gemeint.
Zitat von Fluminist im Beitrag #44Und was ich nun noch gerne rausbekommen würde, ist, inwiefern das hier nun irgendetwas mit der Propagandakampagne, die unter dem Titel "Klimaforschung" durch die Politik geistert, zu tun haben soll.
Ein grundlegender Unterschied ist sicherlich, daß die Neue Lehre unmittelbare & einschneidende Konsequenzen auf die eigene Lebensführung & -planung hat. Beim heliozentrischen Weltbild war, von den Spezialfällen Bruno & Galilei mal abgesehen, ja keinerlei Folge auszumachen, weder für den interessierten Laien noch für die Praktiker: "Astronomie" in praxi bedeutete Positionsbestimmung, Navigation & da war es Bockwurst, welcher Himmelskörper um wen in 24h rotierte. Alles andre war Philosophie & Contemplatio. Der erste Praxiseinschuss kam im Bereich "Naturphilosophie" über das 150jährige Ignorieren der Harvey'schen Blutzirkulation, die die lebensgefährliche Unsitte des massiven Aderlasses bis ins 19. Jhdt. hinein im Werkzeugkasten der Medizinmänner garantierte (das war im Grund der einzige Eingriff aus deren minimalem Instrumentarium, der über den Verdauungsttrakt hinausgriff; ansonsten: grobe Wundreinigung - ohne Keimfreiheit -, Knochenschienen, Abführmittel & Opiate in steigenden Dosen, mit denen man einen Gaul hätte einschläfern können, Quecksilberkuren für wenn man die Franzosen hatte, in sehr beschränktem Ausmaß Chinin bei Malaria: das war's. Die theoretischen Zanke um "Grundlagen" wie den Brownianismus hatten auf diese Praxis exakt null Auswirkung. Von Paracelsus über Hufeland bis Kneipp haben die "Reformer-Wunderärzte" ihren Erfolg darin bestritten, daß sie, aus unterschiedliecher Begründung, darauf verzichtet haben, irgendwas zu machen.) Bei der Klimareligion wird jeder Lebensbereich unmittelbar angefressen, von der Indoktrination ab Kita übers verknappte Warenangebot & Dämmzwang, bis zu jeder Mahlzeit, in steigender Amplitude, bis jeder Mucks erst mal darauf abgeklopft wird, ob der auch ökologisch halal ist.
Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire
Nach der Definition sind wir hier alle evidentermaßen Wissenschaftler ("prepared to enter into a dialogue on it") im Erweiterten Faktenraum ("ich hab Angst") & als solche zählen wir mal durch: 5:1. "83% aller Wissenschaftler sind sich einig, daß Gravitation Kraft ist und Basta." The science is settled. Und jetzt fordern wir von den Industrieländern & CERN-Betreibern €100 Mrd. p.a. zur galaxisweiten Installation von Wellenbrechern, damit unsere Enkel nicht von diesen "Gravitationswellen pulverisiert werden."
Zitat von Emulgator im Beitrag #80Wie sollte man es anders machen? Man hat nur eine einzige Erde, deren Klima man beobachten kann. Hätte man mehrere, könnte man an einer die Theorien entwickeln (denn es ist in der Praxis ja eben nicht so, daß zunächst die Theorie allein am Schreibtisch erbrütet wird und erst zum Schluß den Falsifizierungsversuch an der Empirie ausgesetzt wird), und an den anderen validieren.
Dieses apologetische Argument, daß man mit nur einer Erde nicht experimentieren kann, hört man öfter, es ist aber ein ganz schwacher Einwand. Kepler hatte auch nur ein Planetensystem (hauptsächlich Mars und Jupiter) und konnte auch nur mit Beobachtungen arbeiten und nicht mit verschiedenen Anfangsbedingungen experimentieren. Der entscheidende Punkt ist vielmehr,
Zitat von Emulgator im Beitrag #80daß tatsächlich unüberschaubar viele Einflußfaktoren vorliegen... Es ist eben ein besonders widerborstiges Thema.
Ganz genau. Da müssen sich aber die "Science is settled"-Leute an die Nase fassen, wenn sie so tun, als ginge es hier um etwas, das so einfach zu modellieren wäre wie physikalische Grundgesetze, und Kritikern mit dem Verweis auf Absorptionsspektren und Stefan-Boltzmann rasch das Maul stopfen wollen. Die Komplexität der Frage ist hier um Größenordnungen höher, und die Einflußfaktoren sind möglicherweise nicht alle bekannt und, soweit bekannt, überhaupt nicht leicht zu modellieren.
Für ernsthafte Klimaforscher ist das ganze Trara ein sehr zweischneidiges Schwert. Sie haben hier eine hochinteressante und wirklich schwierige wissenschaftliche Fragestellung vor sich, und einerseits macht es ihnen die hohe Aufmerksamkeit, die der Gegenstand seit Jahrzehnten in Politik und Öffentlichkeit genießt, einfach (viel einfacher als in manchen nicht weniger interessanten und seriösen Wissenschaftszweigen) Drittmittel zu bekommen und Forschungsgruppen aufzubauen. Andererseits aber wird ihre Arbeit durch Schmäh wie "the science is settled" auch öffentlich trivialisiert, und - was eigentliche wissenschaftliche Arbeit letztlich sehr be- bis verhindert - wenn sie nicht der vorgefaßten Meinung entsprechende Resultate finden sollten, wird es ihnen nicht gelingen, diese zu veröffentlichen, und schon der Versuch ist strafbar und kann das Ende der wissenschaftlichen Karriere bedeuten. Ein heißes Eisen.
Zitat von Fluminist im Beitrag #86Ganz genau. Da müssen sich aber die "Science is settled"-Leute an die Nase fassen, wenn sie so tun, als ginge es hier um etwas, das so einfach zu modellieren wäre wie physikalische Grundgesetze, und Kritikern mit dem Verweis auf Absorptionsspektren und Stefan-Boltzmann rasch das Maul stopfen wollen. Die Komplexität der Frage ist hier um Größenordnungen höher, und die Einflußfaktoren sind möglicherweise nicht alle bekannt und, soweit bekannt, überhaupt nicht leicht zu modellieren.
Für ernsthafte Klimaforscher ist das ganze Trara ein sehr zweischneidiges Schwert. Sie haben hier eine hochinteressante und wirklich schwierige wissenschaftliche Fragestellung vor sich, [...] aber [es] wird ihre Arbeit durch Schmäh wie "the science is settled" auch öffentlich trivialisiert, und - was eigentliche wissenschaftliche Arbeit letztlich sehr be- bis verhindert - wenn sie nicht der vorgefaßten Meinung entsprechende Resultate finden sollten, wird es ihnen nicht gelingen, diese zu veröffentlichen.
Lieber Fluminist, seine eigenen Gedanken viel schöner zu lesen, als man sie selbst formulieren kann, ist immer wieder ein erhebendes Erlebnis.
Mir ist, als mir die Diskussion um die Gravitation durch den Kopf ging, noch eine Stelle aufgefallen, wo sie sich im Kreis dreht. Auch wenn mir dabei mulmig ist, versuche ich daher noch einmal, das was ich als Mißverständnis wahrnehme, aufzuklären.
Zitat von Doeding im Beitrag #57Die ART ist ... nicht, und das gilt ganz grundsätzlich für jede wissenschaftliche Theorie, verifizierbar.
Hab ich doch geschrieben! ...Wo ist der Kritikpunkt?
Nein lieber Erling. Sie haben durchaus behauptet, dass die ART in Andreas Sinne verifiziert ist, wahrscheinlich ohne dass Ihnen das bewußt ist. Ich kehre dazu an den Ausgangspunkt unserer Diskussion zurück. Dort bestanden Sie darauf, dass es die Kraft nicht gibt.
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #26 da gibts nur Kraft oder nicht Kraft. Und ich bleibe da hart.
Die beiden Aussagen, „Es gibt eine Kraft.“ und „Es gibt keine Kraft“ sind beide genauso richtig oder falsch, wie die beiden Aussagen „Es gibt eine Raumzeit.“ und „Es gibt keine Raumzeit“, Alle diese Aussagen sind nur Schlußfolgerungen aus dem angewendeten Modell. „Richtig“ oder „falsch“ ist in dieser Hinsicht keine zulässige Kategorie. „Richtig“ oder „falsch“ wird auch dadurch nicht entschieden, was das allgemeingültigere (sprich mächtigere) Modell ist, solange sich beide Modelle für bestimmte Bereiche als gültig erwiesen haben.
Wenn man nun sagt: „Es gibt eine Raumzeit aber es gibt keine Kraft“, macht man die ART implizit zur Wirklichkeit, betrachtet sie als verifiziert in Andreas Sinne und genau das kann ein Modell eben nicht sein. Die „Wirklichkeit“ ist in diesem Sinne eben ambivalent. Sie ist beides gleichzeitig und beides gleichzeitig nicht. Das ist in der Physik nicht ungewöhnlich.
Ein Beispiel aus einem anderen Bereich der Physik bei dem diese „Ambivalenz des Seins“ heute weitgehend akzeptiert ist, kann das vielleicht deutlich machen. Das Wesen der Ambivalenz dieses Beispiels ist zwar anders ist als bei unserer Frage, aber „richtig“ oder „falsch“ ist bei ihm ebenfalls keine sinnvolle Kategorie:
Im Frank Hertz Versuch wurde beobachtet, dass das Licht als Quant, also als ein Teilchen auftritt. Bei der Beugung von Licht, tritt Licht als Welle auf. Beide Interpretationen widersprechen sich. Trotzdem ist Licht beides, Welle und Teilchen, und es ist gleichzeitig beides nicht. Wäre es anders, könnte man nicht beobachten, was man beobachtet. Im Falle des Lichtes hat man geschafft, diesen strukturellen Dualismus im Rahmen der Quantenmechanik in einer Theorie zu vereinigen.
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Zitat von Emulgator im Beitrag #80Wie sollte man es anders machen?
Ich würde die Kritik so verstehen, dass man eben immer nur neue Zusatzterme bemüht, um die ursprüngliche Annahme, "Mensch und CO2 sind der Welt Verderben", nicht über Bord werfen zu müssen. Man könnte ja auch grundsätzlich die Modellierung des CO2 Einflusses überdenken. Das will man nach meinem Verständnis aber nicht. Dann könnte man die Welt ja nicht mehr durch Besteuern der Atemluft retten.
Vielleicht sollte man da die Fragen separat betrachten. Das eine ist die Frage nach der Strahlungsbilanz des Planeten in Abhängigkeit von der Atmosphärenzusammensetzung. Diese Frage ist noch recht einfach zu untersuchen, weil die Physik mit den Absorptionslinien der Atmosphärengase und die Energie der Sonnenstrahlung bekannt sind. Klima kommt da gar nicht vor. Allenfalls ein Regelkreis über Erwärmung, Verdunstung und damit das Treibhausgas Wasserdampf könnte ein bißchen komplizierter sein. Ich bin aber nicht in die Materie eingearbeitet. Neu ist jedenfalls nicht, daß man einen Vorgang erforschen will, dessen Grundlagen noch unverstanden sind. So erforscht man bestimmte Vorgänge an höheren Organismen, obwohl sie noch bei Eukaryonten nicht verstanden sind.
Zitat von Fluminist im Beitrag #83Dieser Einwand löst das Problem nicht. Sie können jedes Modell mit anderen Parametern ein "ähnliches, aber verschiedenes Modell" nennen, das ändert nichts daran, das alle diese Modelle in einer Klasse von Modellen liegen, die sich dadurch auszeichnet, daß (1) sie für alle Meßdaten ein passendes Modell enthält und (2) alle Modelle gleich viel oder gleich wenig Erklärungskraft hinsichtlich des zugrundeliegenden Mechanismus haben. Das ist der klassische Fall von Nichtfalsifizierbarkeit. Da kann nichts Brauchbares mehr herauskommen, und man braucht eine grundlegend andere Idee, im Beispiel eben die Keplerschen Gesetze.
Ich sehe dieses Vorgehen nicht sehr verschieden von Model selection. Würden Sie darauf Ihre Kritik auch anwenden? Weite Bereiche der biologischen und ökonomischen Forschung werden so gemacht. Alles Murx? Bei Model selection nimmt man meistens polynomiale Regressionen, also polynomiale Modelle. Was man anschließend bekommt, ist lokal immer ziemlich gut (analog zum Weierstraß'schen Approximationssatz), so wie ja die Newton'sche Mechanik auch als polynomiale Näherung der relativistischen Mechanik im Bereich v<<c gesehen werden kann. Nur so lokal sind dann Aussagen zu verstehen wie "1 km Laufen pro Tag verringert die Sterblichkeit um 5%". Sie sind nicht so zu verstehen, als würde man mit täglich 20km Fußweg unsterblich.
Zitat von Emulgator im Beitrag #80Man muß, glaube ich, unterscheiden zwischen ernsthafter Klimaforschung als naturwissenschaftliches Programm und "Klimaforschung" als politisches Propagandaprogramm. Die zwecks Information von Entscheidungsträgern extrapolierten Prognoserechnungen mit sensationellen Vorhersagen über unrealistische Zeiträume gehören weitgehend zu letzterem, und nur diese hatte ich mit "Klimamodelliererei" gemeint.
Mein Eindruck ist, daß man in manchen Wissenschaftsbereichen den Mond versprechen muß, um seine Forschung zu rechtfertigen, während Physiker für weitgehend anwendungsirrelevante Teilchenphysikexperimente viele Millionen bekommen.
Edit: Ich sehe, Sie haben so einen Gedanken schon erwähnt.
Zitat von Fluminist im Beitrag #86Dieses apologetische Argument, daß man mit nur einer Erde nicht experimentieren kann, hört man öfter, es ist aber ein ganz schwacher Einwand. Kepler hatte auch nur ein Planetensystem (hauptsächlich Mars und Jupiter) und konnte auch nur mit Beobachtungen arbeiten und nicht mit verschiedenen Anfangsbedingungen experimentieren.
Kepler hat aber nicht nach dem Popper'schen Paradigma gearbeitet. Er hatte für die Modellbildung denselben Datenbestand wie für die Validierung. Im Grunde war sein Ansatz sogar genau wie der mit den Kreisbahnen, nur daß bei ihm die Kreisbahnen als zusätzlichen "Passendmachparameter" eine Exzentrität bekamen und so Ellipsen wurden. Der Goldstandard nach dem Popper'schen Paradigma ist natürlich, wenn man am Schreibtisch eine Theorie auf der Grundlage bekannter Gesetzmäßigkeiten (aber nicht bekannter vorheriger Daten) entwickelt und anschließend ein Experiment (z.B. in einer doppelverblindeten randomisierten Studie) laufen läßt. Auf diese Daten wendet man dann einen statistischen Test an. In der Praxis läuft es aber fast nie so.
Zitat von Fluminist im Beitrag #83Dieser Einwand löst das Problem nicht. Sie können jedes Modell mit anderen Parametern ein "ähnliches, aber verschiedenes Modell" nennen, das ändert nichts daran, das alle diese Modelle in einer Klasse von Modellen liegen, die sich dadurch auszeichnet, daß (1) sie für alle Meßdaten ein passendes Modell enthält und (2) alle Modelle gleich viel oder gleich wenig Erklärungskraft hinsichtlich des zugrundeliegenden Mechanismus haben. Das ist der klassische Fall von Nichtfalsifizierbarkeit. Da kann nichts Brauchbares mehr herauskommen, und man braucht eine grundlegend andere Idee, im Beispiel eben die Keplerschen Gesetze.
Ich sehe dieses Vorgehen nicht sehr verschieden von Model selection. Würden Sie darauf Ihre Kritik auch anwenden? Weite Bereiche der biologischen und ökonomischen Forschung werden so gemacht. Alles Murx?
Sie müssen schon genau die beiden Bedingungen (1) und (2) beachten. Murx ist es tatsächlich, wenn Ihr Modellraum so groß ist, daß sie für jeden beliebigen Datensatz ein passendes Modell haben und wenn sich die Modelle nicht in ihrem Erklärungsansatz unterscheiden. Dann haben Sie nämlich mit ihrer "Modellselektion" nichts anderes gemacht als eine Näherungskurve durch Ihre Daten zu legen, die nicht mehr aussagt als die Daten selbst. Das ist dann keine Theorie, sondern nur Datenanalyse. Es steht Ihnen natürlich frei, diese Kurve anschließend bis zur Höllentür zu extrapolieren, aber mit Wissenschaft hat das dann nur noch sehr wenig zu tun. Biologie und Ökonomie untersuchen viel komplexere Systems als die Physik, deshalb darf man natürlich nicht zu viel erwarten und muß sich oft mit phänomenologisch-deskriptiven Resultaten zufriedengeben. Aber daß man, wenn (1) und (2) erfüllt sind, keine tiefere Erkenntnis erwarten darf, ist auch in diesen Bereichen (außer von ein paar allzu flotten "paper a day"-Forschern) schon generell akzeptiert.
Zitat von Emulgator im Beitrag #90Nur so lokal sind dann Aussagen zu verstehen wie "1 km Laufen pro Tag verringert die Sterblichkeit um 5%". Sie sind nicht so zu verstehen, als würde man mit täglich 20km Fußweg unsterblich.
Das ist nochmal eine andere Baustelle. Den Fehler, alle Funktionen für linear zu halten, findet man aber hauptsächlich in der journalistischen - politischen Verwertung von Forschung, nicht bei den Wissenschaftlern selbst, wenn sie auch nur irgendwas taugen.
Zitat von Emulgator im Beitrag #91Kepler hat aber nicht nach dem Popper'schen Paradigma gearbeitet.
Natürlich nicht. Es gibt ja auch gar kein "Poppersches Paradigma" für das Finden neuer Theorien; das ist auch ein Punkt, an dem seine Wissenschaftstheorie kritisiert wurde. Falsifizierbarkeit ist nämlich nur die halbe Miete und gibt nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, wo denn die bessere Theorie nun herkommen soll. Imre Lakatos hat Poppers Ansatz dementsprechend zu einer Theorie der "Forschungsprogramme" weiter ausgebaut, die vital sein oder eben einer terminalen Stagnation verfallen können. In unserem Beispiel was das kopernikanische Modell der letzte Punkt des todgeweihten ptolemäischen Forschungsprogramms, das von der festen Assoziation "Himmelskörper - Kreisbahn" ausging und diese mit allen Mitteln gegen die empirische Messung zu retten versuchte.
Kepler kam auf die Ellipsenbahnen auf Grundlage ziemlich abstruser, der Astrologie nicht sehr fernstehender Ideen über Aufbau und Zweck des Universums, die aber für die Qualität seines Modells überhaupt keine Rolle spielen. Der kritische Punkt ist, daß eine Ellipse eine von vornherein festgelegte Zahl von Parametern hat - neben den beiden Radien noch die Richtung der Hauptachse. Diese Parameter mußte er zwar aus den Daten bestimmen, aber wenn das geschehen ist, dann steht das Modell und gibt eine eindeutige Vorhersage - dadurch ist es falsifizierbar.
Im Sinne der Lakatosschen "Forschungsprogramme" hat Kepler die Pattsituation des ptolemäischen Programms aufgelöst und einen Anstoß zum Newtonschen Programm gegeben, das von einer ganz anderen Grundidee - der einer gesetzmäßigen und universellen Wechselwirkung zwischen Körpern und der Beschreibung ihrer Bahnen nicht durch eine algebraische, sondern eine Differentialgleichung (also eine Theorie nicht des Seins, sondern des Werdens) - ausging und, in etwas veränderter Form, immer noch die Basis für die physikalische Forschung bildet.
Zitat von Fluminist im Beitrag #92Murx ist es tatsächlich, wenn Ihr Modellraum so groß ist, daß sie für jeden beliebigen Datensatz ein passendes Modell haben und wenn sich die Modelle nicht in ihrem Erklärungsansatz unterscheiden.
In punkto Erklärungsansatz hatte eine Professorin schon uns Erstsemestern erklärt, daß man ihrer Meinung nach auch eine sachlogische Erklärung für die Regressionsformeln abgeben können muß; spätestens wenn man mit der statistischen Analyse fertig ist, besser aber noch, beim Aufstellen des Modells. Das hat sie gesagt, weil es so eben nicht allgemein gemacht wird. In punkto Modellraum ist der Ansatz so, daß man erstmal alles mögliche an gemessenen Kovariablen mitnimmt, sein Overfitting bekommt, und dann schrittweise Variablen wegläßt, bis man ein "schönes" Modell hat. Murx? In der Physik würde man so nicht arbeiten, weil man Kovariablen viel besser sachlogisch erkennen und im Versuchsaufbau eliminieren kann. In der Ökonomie, Biologie (Medizinforschung, Epidemiologie) ist es aber gängige Münze. Viel anders ist der Rahmen in der Klimaforschung auch nicht.
Ohne jetzt die Diskussion abzuwürgen: Ich selber halte von diesem "model selection"-Vorgehen nicht viel. Es ist attraktiv, weil man meint, mit Statistik fehlendes Detailverständnis kompensieren zu können. M.E. mangelndes Selbstwertgefühl der Anwender gegenüber der Statistik. Der Preis ist das Risiko, Kovariablen zu übersehen, die schon bei der Erstellung des Datensatzes nicht beachtet wurden. Für Extrapolationen muß man auch die sachlogisch die richtige Modellfamilie wählen, aus demselben Grund, warum man bei v->c mit Newton nicht mehr weiterkommt.
Zitat von Fluminist im Beitrag #93Der kritische Punkt ist, daß eine Ellipse eine von vornherein festgelegte Zahl von Parametern hat - neben den beiden Radien noch die Richtung der Hauptachse. Diese Parameter mußte er zwar aus den Daten bestimmen, aber wenn das geschehen ist, dann steht das Modell und gibt eine eindeutige Vorhersage - dadurch ist es falsifizierbar.
Ja, das ist einsichtig. Bei einer einzigen model selection hat man zwar eine vorher festgelegte Zahl von Parametern, bei Reproduktionen praktisch aber nicht, weil man die Komplexität eher erhöht und mehr Variablen aufnimmt. Besser wäre es, erst am Schreibtisch die relevanten Variablen und Modellfamilien sich zu überlegen --und sei es unter Hinzuziehung von ischen Methoden wie Astrologie. Wenn man hierbei etwas übersieht oder noch gar nicht denken kann, hat man immer zumindest ein vorläufiges Ergebnis.
Zitat von Fluminist im Beitrag #93Im Sinne der Lakatosschen "Forschungsprogramme" hat Kepler die Pattsituation des ptolemäischen Programms aufgelöst und einen Anstoß zum Newtonschen Programm gegeben, das von einer ganz anderen Grundidee - der einer gesetzmäßigen und universellen Wechselwirkung zwischen Körpern und der Beschreibung ihrer Bahnen nicht durch eine algebraische, sondern eine Differentialgleichung (also eine Theorie nicht des Seins, sondern des Werdens) - ausging und, in etwas veränderter Form, immer noch die Basis für die physikalische Forschung bildet.
Jaja, und da kommt sogar die Evolution ins Spiel. Mit Imre Lakatos muß ich mich noch beschäftigen. Ich glaube, man muß diese Sachen von dem aus denken, was statistisch möglich ist, weil die Statistik der Flaschenhals für alle Empirie ist. Statistische Ablehnung einer Hypothese wird zwar oft mit Popper in Verbindung gebracht, aber so ganz stimmt das nicht überein.
Im Rahmen dieser Diskusion wurde die (in meinen Augen kühne) These aufgestellt, die Naturwissenschaft könne keine Erkenntnis liefern, dies sei der Geisteswissenschaft vorbehalten. Ich würe gerne wissen, mit welcher Begründung man der NW die Episteme wegnehmen kann.
Leider habe ich den entsprechenden Beitrag nicht mehr gefunden.
Ich kenne eine ähnliche These, daß die NW nicht sinnstiftend sei, was etwas anderes und okay ist.
Sollte die Diskussion über Klima, ART und QM beendet sein, wäre es schön, wenn dieser Gedankengang weiter verfolgt werden würde. Es ist nicht meine Absicht, die Diskussion hier aufzufasern.
Zur Beweislage der ART: Schwarzschild-Metrik als Lösung der Einsteinschen Feldgleichungen: Teubner Taschenbuch der Mathematik Teil II,638ff (8. Aufl. 2003).
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #88Mir ist, als mir die Diskussion um die Gravitation durch den Kopf ging, noch eine Stelle aufgefallen, wo sie sich im Kreis dreht. Auch wenn mir dabei mulmig ist, versuche ich daher noch einmal, das was ich als Mißverständnis wahrnehme, aufzuklären.
Lieber n_s_n, das mulmige Gefühl hatten Sie nicht ohne Grund.
Zitat von Doeding im Beitrag #57Die ART ist ... nicht, und das gilt ganz grundsätzlich für jede wissenschaftliche Theorie, verifizierbar.
Hab ich doch geschrieben! ...Wo ist der Kritikpunkt?
Nein lieber Erling. Sie haben durchaus behauptet, dass die ART in Andreas Sinne verifiziert ist, wahrscheinlich ohne dass Ihnen das bewußt ist.
Ich habe formuliert "empirisch belegt", nicht verifiziert und auch das Wort Evidenz habe ich ausdrücklich mir nicht zu Eigen gemacht. Meiner Ansicht nach lag die Mißinterpretation nicht bei mir sondern bei Andreas. Er hatte schon unzutreffenderweise und unkorrekterweise mein "empirisch belegt" in "endgültig bewiesen" umgedeutet. Darauf sah ich mich zu einer Begriffserklärung genötigt, was empirisch heißt (nämlich: "im Feld durchgeführte Sammlung von Informationen [verstanden], die auf gezielten, systematisch verlaufenden Untersuchungen beruht."). Also: endgültig hat nichts mit Empirie zu tun und belegt heißt im Zusammenhang mit empirisch auch weniger bewiesen, sondern durch Beobachtung oder Experimente nachgewiesen. Schauen Sie mal hier: http://www.medizin-im-text.de/blog/2015/...was-heisst-das/
Und nun sagen Sie mir ich hätte behauptet dass etwas im Sinn eines eines anderen Mitdiskutanten verifiziert ist. Ich hab ja ein dickes Fell aber wenn dann noch von Ihnen kommt, dass ich mir wahrscheinlich meiner eigenen Worte, die ich vor allem in diesem Fall wohl gewählt habe, nicht bewusst bin, denke ich: Wow!
Und noch etwas: Wir haben kein Missverständnis mehr, nur noch eine andere Sicht. Ich teile Ihre nicht und Sie nicht meine in einem Punkt der nur wenig mit dem Thema zu tun hat.
Da ich die ART für die bessere Theorie halte und ich mich schon freue auf noch mehr empirische Belege, gehe ich nach wie vor davon aus, dass die Schwerkraft nicht existiert und nur als solche empfunden wird. Und es ist für mein Verständnis eben nicht gleichgültig ob ich mir eine Krümmung der Raumzeit vorstelle (so gut es geht) oder eine "Kraft" die mich angeblich anzieht obwohl ich schwerelos bin wenn ich falle. Es gibt eine ganze Reihe von Physikern die das auch so sehen und ich mich haben deren Argumente einfach mehr überzeugt. Ich will Sie nicht analysieren, das gehört sich nicht, nur eins: Jeder vertritt seine Position und die Theorie welche er für die bessere hält. Oder er will sich, aus welchen Gründen auch immer, nicht entscheiden. Natürlich wird versucht Theorien die beide unvollkommen sind zu vereinen, der Welle-Teilchen-Dualismus ist ein sehr gutes Beispiel dafür und vielleicht gibt es irgendwann eine Theorie der Quantengravitation die ART und Quantenphysik zusammenfasst. Ich habe die Position von Fluminist verstanden, so weit er sie mir erläutert hat und respektiere sie voll und ganz. Man kann das so sehen. Das trifft auch auf Sie zu, lieber n_s_n. Aber wenn ich einmal Andreas wie auf #58 recht gebe, dass es keine verifizierbaren Theorien nach Popper gibt, muss das genügen.
Ich habe "Die Logik der Forschung" von Popper gelesen, zwar schon eine Weile her, aber Popper ist für mich der wichtigste Philosoph. Ich kenne die Rolle der Verifikation in seinem Werk und seine Diskussion des Induktionsproblems. Man macht nichts zur Wirklichkeit weil man sich für etwas entscheidet. Darin liegt der Unterschied in unseren Ansichten. Ich lege mich fest, das mache ich immer. Indifferenz halte ich nicht für eine Tugend, aber wer sich nicht entscheiden will, brauch das nicht zu tun. Nur sollte er denen die das machen und sich wie in meinem Fall der Risiken durchaus bewusst sind, nicht unterstellen, sie würden ihre Sicht zur Wirklichkeit oder Wahrheit erheben. Davon habe ich nie geredet, immer von einer Theorie und der anderen. Ich kann beides, skeptisch sein und trotzdem für eine Sache streiten.
Zitat von Peter Zeller im Beitrag #96Im Rahmen dieser Diskusion wurde die (in meinen Augen kühne) These aufgestellt, die Naturwissenschaft könne keine Erkenntnis liefern, dies sei der Geisteswissenschaft vorbehalten. ... Leider habe ich den entsprechenden Beitrag nicht mehr gefunden.
Diese These kam von meiner Seite in Beitrag #39, in dem ich sie ebenfalls versuchte zu erläutern.
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Da stellt sich doch die Frage, was ist Erkenntnis?
Zitat Für den Begriff Erkenntnis existiert keine einheitliche Definition. In einer ersten Annäherung kann man Erkenntnis als den Prozess und das Ergebnis eines durch Einsicht oder Erfahrung gewonnenen Wissens bezeichnen.
wiki
Zweifelsfrei liefern die Naturwissenschaften Einsichten.
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #39Die Naturwissenschaft entwirft Modelle, welche die empirischen Beobachtungen in der Natur beschreiben und Vorhersagen treffen, welche man dann ebenfalls empirisch überprüfen kann. Die Naturwissenschaft konstruiert damit Werkzeuge zur Beschreibung unserer Welt. Nicht mehr und nicht weniger.
[...]
Die Frage nach dem „Warum?“ zu beantworten, was für mich persönlich Erkenntnis bedeutet (womit ich also meine Begriffsdefiniton nachschiebe), ist eine Disziplin der Geisteswissenschaften. Erkenntnis kann dabei allerdings, so erscheint es mir zumindest, niemals ohne ein Dogma auskommen.
Um im Bild zu bleiben: Man nähert sich, über einer Reihe immer besserer Theorien der Naturwissenschaften, der Erkenntnis (als Grenzwert) an. Die Formulierung der Erkenntnis, bzw. des Grenzwerts bleibt dann der Geisteswissenschaft überlassen, die dazu aber eine Dogma braucht, das der Naturwissenschaft nicht zugänglich ist: Eine nicht empirisch überprüfbare Wahrheit.
Ein interessanter Beitrag, lieber n_s_n (sowohl jener in ZR als auch der vorstehend auszugsweise zitierte).
Jede Wissenschaft geht von nicht überprüfbaren Wahrheiten (Axiomen) aus und präjudiziert dadurch sowie durch die Wahl ihrer Methode - da hatte Spengler absolut Recht - ihre Ergebnisse. Insofern ist jede Wissenschaft kulturabhängig.
In unserer okzidentalen (oder um bei Spengler zu bleiben: faustischen) Kultur ist es sicher so, dass für naturwissenschaftliche Ergebnisse die prinzipielle empirische Überprüfbarkeit, auch wenn die Mittel dazu im Einzelfall noch nicht vorhanden sein mögen, eine conditio sine qua non ist; für geisteswissenschaftliche Ergebnisse trifft dies hingegen nicht zu. Dies bedeutet keinesweges, dass sich geisteswissenschaftliche Ergebnisse der Empirie grundsätzlich verweigerten. In manchen geisteswissenschaftlichen Disziplinen, z.B. der Linguistik, kann man (relativ häufig) wunderbar empirisch arbeiten; in anderen überhaupt nicht. Ich darf einfach einmal die Juristerei zu den Geisteswissenschaften zählen, obwohl sie, wie einer meiner Lehrmeister betonte, keine Wissenschaft, sondern eine Kunst ist. Die Richtigkeit einer Rechtsansicht lässt sich nicht empirisch überprüfen. Es gibt bessere und schlechtere Argumente für diese oder jene Meinung. Eine höchstgerichtliche Rechtsprechung ist in diesem Sinne - wie Du es so zutreffend formulierst - ein Dogma. Sie kann besser oder schlechter begründet sein, aber nicht im empirischen Sinne richtig oder falsch (was Juristen nicht abhält, von der "richtigen" Ansicht oder einer "unrichtigen" rechtlichen Beurteilung zu sprechen).
Aber natürlich liefert auch die Juristerei Erkenntnisse (was ein nettes Wortspiel ist, denn in Österreich werden die Urteile der Verwaltungsgerichte und des Verfassungsgerichtshofs derart bezeichnet). Das Nämliche trifft aber auch auf die Naturwissenschaften zu. Es wäre meines Erachtens zu eng, den Erkenntnisgewinn entweder auf empirische oder aber auf argumentative Methoden beschränken zu wollen.
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