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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
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Emulgator Offline



Beiträge: 2.875

24.06.2016 12:52
#26 RE: Brexit Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #19
Aber so was von gar nicht. Die häufigste rhetorische Koppelung der "Brexiteers" war ja mit der Vokabel "Little Englanders" - also Schweiz mit Meer drumrum; sowohl als Vorwurf als auch ab Abwehr aus deren Phalanx. Beim dream of empire lebt, wie immer im Souterrain der Medien & der vermeintlichen -tümlichkeit, ein Klischee weiter, das Mitte der 60er ausgemustert worden ist. Der letzte, der ernsthaft vom Empire als Wirtschaftsraum geträumt hat, war Cecil Rhodes;
Sehe ich auch so. Eine Motivation gegen die EU war insbesondere die Angst vor Zuwanderung. Die richtig problematischen Zuwanderer sind aber gar nicht Europäer (Polen!) sondern kommen aus bestimmten nichteuropäischen Commonwealth-Ländern.
Cameron hatte noch darauf hingewiesen, daß die EU-Mitgliedschaft dem UK ermöglicht, Einreisewillige (z.B. aus dem Maghreb) auf französischem Gebiet zurückzuweisen. Nach dem Brexit kann Frankreich sich nicht mehr auf die Fiktion eines einheitlichen EU-Staatsgebietes berufen (siehe Dublin-Regeln) sondern muß reisewillige Flüchtlinge nach England durchlassen (Flüchtlingskonvention).

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

24.06.2016 13:14
#27 RE: Brexit Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #19
Zitat von R.A. im Beitrag #14
Und der "Traum vom Empire" war m. E. insbesondere ausschlaggebend für die deutliche Mehrheit bei den Rentnern.


Aber so was von gar nicht. Die häufigste rhetorische Koppelung der "Brexiteers" war ja mit der Vokabel "Little Englanders" - also Schweiz mit Meer drumrum; sowohl als Vorwurf als auch ab Abwehr aus deren Phalanx. Beim dream of empire lebt, wie immer im Souterrain der Medien & der vermeintlichen -tümlichkeit, ein Klischee weiter, das Mitte der 60er ausgemustert worden ist. Der letzte, der ernsthaft vom Empire als Wirtschaftsraum geträumt hat, war Cecil Rhodes; seit den 20ern war das nur noch rhetorische Tapete für Militärs & Geostrategen. (Und, & daraus bedient sich das Klischee womöglich, als Jobreservoir für alle kleinen Regierungsbeamtchen mit Abschlußnote 3 oder geringer. Bei den französischen Kolonien liegt die Sache übrigens auch so.)

R.A.s Hinweis ist, glaube ich, mehr im übertragenen Sinne zu verstehen und dann auch wahr. Klar, eine wirkliche Wiederherstellung des British Empire werden sich nur ein paar Vollvernagelte erhoffen; aber gewisse Elemente der Glorie der Vergangenheit haben jedenfalls in Erscheinungsbild und "Argumentation" der Leave-Kampagne viel Raum eingenommen. Zum Beispiel wurde schon recht viel von den tollen Wirtschaftsbeziehungen zu den Commonwealth-Ländern schwadroniert, die den EU-Markt locker ersetzen könnten. Auch bei dem Zentralpunkt "Take control and determine our own destiny" - gerade letzteres eine so abstrakte und leere Floskel*, daß ich ausnahmsweise (zwecks comic relief) einmal einen passenden Tweet zitieren will:

Zitat von twitter
2007: "Bankers ruined our economy"
2015: "Immigrants are ruining our economy"
2016: "Finally, we took control & ruined our OWN economy"


- schwingt viel Nostalgie darüber mit, wie schön und erfolgreich das UK vor dem EU-Beitritt war . Und bei den Plakaten, die nicht direkt mit Bildern von Einwandererströmen schockierten, spielten steinerne Löwen, mit wehender Union Flag hintermalt (zu der Mrs Sturgeon freilich noch ihre eigenen Ansichten hat), eine wichtige, wenn auch bei nüchterner Betrachtung etwas unklare Rolle.

* (Wer war noch gleich der Politiker, dem das Schicksal der Völker vor allem anderen am Herzen lag?)

Emulgator Offline



Beiträge: 2.875

24.06.2016 13:18
#28 RE: Brexit Antworten

Zitat von Fluminist im Beitrag #18
* Nachtrag: In diesem Fall wäre der heutige Tag ein ganz schwarzer Tag für diejenigen, die die EU in Richtung demokratischer Verantwortung und Subsidiarität reformiert sehen wollen, da sie heute den stärksten und motiviertesten Partner innerhalb der EU verloren haben.
Das ist tatsächlich für mich der größte .
Es gibt ja zwei Möglichkeiten, was man mit dieser Verbindung "EU" anfangen kann:
  1. Entweder, man verwendet sie als Hebel, um im eigenen Binnenstaat oder in Drittstaaten Maßnahmen durchzusetzen, die dort sonst keine Mehrheit hätten; quasi eine Art Kolonialismus ("Europa der Nationalregierungen")
  2. Oder man verwendet sie als Mittel, um Freiheit und Effizienz zu fördern: Letzteres, da Handelshemmnisse beseitigt werden (in Gestalt von Zöllen, nichttarifären Handelshemmnissen wie übertrieben Sicherheits- und Umweltschutzvorschriften und mangelnder Normierung, die zu locked-in-Effekten führen würde), ersteres, da auf diktatorische oder ausbeuterische Maßnahmen sofort durch Abwanderung reagiert würde. So würden sogar diejenigen freier leben, deren Heimatliebe eigentlich eher zu einem Arrangement mit Diktatur und Ausbeutung führen würden. ("Europa der Bürger")

Das Vereinigte Königreich war grob gesehen immer eher für (2). Bestes Beispiel ist die Finanztransaktionssteuer, für die es nun bald eine Mehrheit geben wird.

Die Linken in Europa waren immer für (1), aber grundsätzlich ist (2) auch für konservative Regierungen interessanter als (1). Da die Nichtlinken nur zu einem geringen Teil internationalistisch orientiert sind (nämlich eigentlich nur die Liberaldemokraten und ein Paar Konservative vom Schlage Kohls, nicht aber typische Merkelianer), hatten die Linken tatsächlich immer ihren europäischen Hebel, weil eine aktive (parlamentarische und mediale) Opposition fehlt. Hier entsteht auch die Illusion vom Demokratiedefizit. Demokratische Teilhabe ist eben eine Holschuld der Bürger, siehe Eigenverantwortung.
Doch je öfter dieser Hebel betätigt wird, desto mehr wächst die Ablehnung der EU. Er verbraucht sich, wie wir sehen. Wenn schon nicht die Vorlagen auf europäischer Ebene registriert werden, werden die fertigen unwillkommenen Gesetze mit der EU zwangsläufig verbunden; und dann sogar mit dem zusätzlichen Groll, nichts mitbekommen zu haben.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

24.06.2016 13:54
#29 RE: Brexit Antworten

Zitat von Emulgator im Beitrag #25
Es ist mit wenigen Ausnahmen (etwa Normierungsvorschriften, wo eine Normierung gar keinen marktwirtschaftlichen Vorteil bringt) die EU gar nicht zu zentralistisch ...

Na ja - es gibt schon erstaunlich viele Beispiele für EU-Regelungen, bei denen die Zuständigkeit schon erstaunt.

Zitat
Eine europäische politische Willensbildung findet deswegen schlichtweg nicht statt.


Völlig richtig, das ist ein ganz wesentliches Defizit.
Was aber m. E. auch damit zu tun hat, daß die Entscheidungsstrukturen so komplex und oft unverständlich sind. Ein Außenstehender kann kaum nachvollziehen, wo ein Prozeß gerade steht und wer jetzt eigentlich eine konkrete Sache zu verantworten hat.

Zitat
Zu einem demokratischen Europa gehört aber auch, daß man versteht und einen Ausgleich sucht mit den Wünschen und Vorstellungen, die die Europäer in den anderen Staaten zu Europa haben.


Richtig. Das ist ein bißchen besser geworden über die Jahre, aber immer noch ziemlich rudimentär.

Zitat
Es ist 1999 eine ganze Kommission zurückgetreten wegen Probleme mit Nepotismus und Korruption seitens Édith Cressons.


Eben! Man konnte nicht Cresson gezielt herausschießen, wie das normal gewesen wäre. Sondern es mußten alle gehen, auch die Kommissare mit guter Arbeit. Verantwortung braucht aber Zurechenbarkeit.

Zitat
Nur wer beobachtet und berichtet über diese Regierung?


Schon richtig, da fehlt noch viel. Aber derzeit gibt es auch wenig Grund für die Medien, genauer zu berichten. Es fehlt auch der Gegensatz Regierung-Opposition, die Kommission ist eine Allparteienregierung.
Eine einfachere und direktere Struktur wäre in der Berichterstattung auch leichter darstellbar. Die Leute wollen ja durchaus wissen, wo es Konflikte gibt und wie die ausgehen. Bisher sehen sie nur einen Riesenapparat, und da fallen irgendwann Vorgaben raus - und keiner weiß so recht, wie die eigentlich zustande gekommen sind.

Emulgator Offline



Beiträge: 2.875

24.06.2016 13:55
#30 Parliament says "Remain" Antworten

Ich möchte auf einen bislang unberücksichtigten Aspekt verweisen:

Das Unbehagen im Vereinigten Königreich mit der EU liegt auch darin, daß das Westminstersystem einzigartig in Europa ist und zugleich kein Gründungsmitglied war. Das bedeutet, daß EU und Westminstersystem eigentlich nie kompatibel waren. Auf dem Kontinent wurde --mehr oder weniger revolutionär-- die absolute Macht des souveränen Monarchen konstitutionell auf die drei Gewalten verteilt. Dies bildet heute eine einheitliche "Schnittstelle" für europäische Regelungen, die darin lediglich eine neue Ebene einziehen.
Doch damals war im Königreich längst das Parlament souverän. Es ist daher ein Bruch in der Systematik des Westminstersystems, daß das souveräne Parlament nunmehr wie ein deutscher Landtag (gegen den es einen Bundeszwang gibt, da nur der Bund souverän ist!) Richtlinien der EU umsetzt oder sich gar Rügen von einem Gericht anhören muß.

Daher ist klar, daß die Verfassung der EU für das politische Verständnis im Vereinigten Königreich ein Fremdkörper ist. Dies ist ein Grund dafür, daß das UK stets mehr zu einem "Europa der Bürger" als zu einem "Europa der Nationalstaaten" tendierte.

Diese Tatsache macht aus dem Brexit aber einen besonderen Witz: Das souveräne Parlament des Vereinigten Königreichs kann nicht an das Referendumsergebnis gebunden sein. Es ist bekannt, daß im Parlament die "Remain"-Befürworter in der überwältigenden Mehrheit sind. So kann man Camerons Rücktritt verstehen: Er hat erklärt, bis dann nicht den Prozeß aus Art. 50 EU-Vertrag zu starten (übrigens im Gegensatz zu seiner Ankündigung!). Das würde also erst der neue PM machen können. Dafür braucht er die Billigung des Parlaments. Es ist nicht zu sehen, daß das jetzige Abstimmungsergebnis deutlich genug war, um die MP zu einem opportunistischen Meinungswechsel zu bringen. Also wird es entweder zu einer Auflösung des Parlaments und Neuwahlen durch einen Leave-PM oder zu einem "Mr. Speaker, I don't recommend to leave anyway" durch einen neuen Remain-PM kommen.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

24.06.2016 14:06
#31 RE: Brexit Antworten

Zitat von Fluminist im Beitrag #27
R.A.s Hinweis ist, glaube ich, mehr im übertragenen Sinne zu verstehen und dann auch wahr.

Danke, genau so war es gemeint.

Zitat
Klar, eine wirkliche Wiederherstellung des British Empire werden sich nur ein paar Vollvernagelte erhoffen; aber gewisse Elemente der Glorie der Vergangenheit haben jedenfalls in Erscheinungsbild und "Argumentation" der Leave-Kampagne viel Raum eingenommen.


Mit "Empire-Nostalgie" meinte ich auch nicht, daß die Brexit-Wähler nun die Flotte losschicken und Indien zurückerobern wollen. Natürlich wissen die, daß echtes Empire nicht mehr geht. Aber Wunschbild war halt die Rückkehr zu den Zuständen vor dem EU-Beitritt.

Die nun erstens viel trüber waren als Rentner das in ihren goldenen Jugenderinnerungen wahr haben wollen. Die 60er und frühen 70er Jahre waren ziemlich der Tiefpunkt der britischen Geschichte.
Und zweitens kann GB nicht einmal dahin zurück - die Wirtschaftsbeziehungen haben sich inzwischen völlig verlagert und der Wiederaufstieg GBs seit Thatcher war nur möglich, weil die Möglichkeiten des EU-Raums genutzt wurden.

Zitat
Zum Beispiel wurde schon recht viel von den tollen Wirtschaftsbeziehungen zu den Commonwealth-Ländern schwadroniert


Genau das ist Empire-Nostalgie. Denn den Commonwealth-Ländern ist die spezielle Beziehung zu GB inzwischen ziemlich egal geworden. Etwas emotionale Zuwendung kann GB maximal von Australien und Neuseeland erhoffen. Aber zu verschenken haben die auch nichts.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

24.06.2016 14:13
#32 RE: Parliament says "Remain" Antworten

Zitat von Emulgator im Beitrag #30
Das bedeutet, daß EU und Westminstersystem eigentlich nie kompatibel waren.

Weiß nicht.
Sicher legen viele Briten mehr Wert auf ihr Parlament als manche Kontinentaleuropäer.
Aber auch Reichstag, Bundestag und die Parlamente auf dem Kontinent waren schon lange vor EU-Gründung höchste Instanz in ihrem Land und wurden durch die EU quasi degradiert. Ich sehe da wenig faktischen Unterschied zu GB.

Zitat
Also wird es entweder zu einer Auflösung des Parlaments und Neuwahlen durch einen Leave-PM oder zu einem "Mr. Speaker, I don't recommend to leave anyway" durch einen neuen Remain-PM kommen.


Gut möglich.
Die Sache ist auf jeden Fall noch nicht durch.
Es ist auch möglich, daß die Parlamentsmehrheit durchaus dem Volksvotum folgt und den Austrittsprozeß anstößt. Um dann nach zwei Jahren Verhandlung zu konstatieren, daß die Nachteile der Vereinbarung zu groß wären und deswegen der Vollzug nicht sinnvoll sei.

Emulgator Offline



Beiträge: 2.875

24.06.2016 14:19
#33 RE: Brexit Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #29
Na ja - es gibt schon erstaunlich viele Beispiele für EU-Regelungen, bei denen die Zuständigkeit schon erstaunt.
Das müßten wir jetzt im Einzelnen durchgehen.

Zitat von R.A. im Beitrag #29
Schon richtig, da fehlt noch viel. Aber derzeit gibt es auch wenig Grund für die Medien, genauer zu berichten. Es fehlt auch der Gegensatz Regierung-Opposition, die Kommission ist eine Allparteienregierung.
Da es ja gerade von Verfechtern der Demokratiedefizitthese gerne als Idealbeispiel gebracht wird: Wie in der Schweiz. Ein Direktoriumssystem wie beim schweizer Bundesrat oder der EU-Kommission ist besser mit demokratischer Gewaltenteilung vereinbar als das, was wir in vielen europäischen Ländern haben und insbesondere in D. Hier kann die Bundesregierung "Verwaltungsvereinfachungen" verfügen, die in einer globalen facebookparty münden, da die Parlamentarier als Strafe für Regierungskritik in Neuwahlen ihr Amt verlieren und nicht so sehr die Regierung, die den Mist verbockt hat. Wie Sie selber richtig gesagt haben: Verantwortung braucht Zurechenbarkeit.

Zitat von R.A. im Beitrag #29
Eine einfachere und direktere Struktur wäre in der Berichterstattung auch leichter darstellbar. Die Leute wollen ja durchaus wissen, wo es Konflikte gibt und wie die ausgehen. Bisher sehen sie nur einen Riesenapparat, und da fallen irgendwann Vorgaben raus - und keiner weiß so recht, wie die eigentlich zustande gekommen sind.
Das stimmt, aber erstens sind Verfahren der gemeinsamen oder konkurrierenden Gesetzgebung grundsätzlich komplizierter und wegen mehr Akteuren und verwobeneren Interessen etwas intransparenter als ausschließliche Gesetzgebung. Letzteres kann es auf europäischer Ebene gar nicht geben, solange die Nationalstaaten noch souverän sind. Andererseits braucht ein "Europa der Bürger" (s.o. was ich damit meine) die Konkurrenz souveräner europäischer Staaten.
Zweitens würde durch dieses Problem auch der deutschen Föderalismus irgendwann als undemokratisch gelten, wenn es denn so schlimm wäre.

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

24.06.2016 14:24
#34 RE: Parliament says "Remain" Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #32
Zitat von Emulgator im Beitrag #30
IDas bedeutet, daß EU und Westminstersystem eigentlich nie kompatibel waren.

Weiß nicht.
Sicher legen viele Briten mehr Wert auf ihr Parlament als manche Kontinentaleuropäer.
Aber auch Reichstag, Bundestag und die Parlamente auf dem Kontinent waren schon lange vor EU-Gründung höchste Instanz in ihrem Land und wurden durch die EU quasi degradiert. Ich sehe da wenig faktischen Unterschied zu GB.

Ich schon. Zwei wesentliche Aspekte des britischen Parlamentarismus fallen mir sofort ein: (1) Die Bindung der Abgeordneten an ihren Wahlkreis. Man weiß, wer genau für den eigenen Wahlkreis im Parlament sitzt, wen man ggf. um einen Parlamentsantrag bitten kann und wen man abwählt, wenn er oder sie schlechte Arbeit macht. (2) Prime Minister's Questions: Praktisch jede Woche muß die Regierung vor dem Parlament Rede und Antwort stehen. So stellt sich der Brite nicht zu Unrecht Verantwortlichkeit der Regierung vor dem Wähler vor.

In der Abnickmaschine des Europäischen Parlaments, in dem jede Debatte allein schon deswegen, weil man sich auf keine gemeinsame Sprache einigen kann, zum bloßen Verlesen mehr oder weniger akkurat übersetzter Statements verkommt, kann man weder (1) noch (2) wiedererkennen. Daß eine solche Institution (als Anhängsel der EU-Kommission) ein Diktat über Westminster haben können soll, widerspricht dem britischen demokratischen Empfinden wohl mehr als dem in Staaten, deren eigene Parlamente die Elemente (1) und (2) nicht oder nur unvollkommen aufweisen.

Emulgator Offline



Beiträge: 2.875

24.06.2016 14:27
#35 RE: Parliament says "Remain" Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #32
Aber auch Reichstag, Bundestag und die Parlamente auf dem Kontinent waren schon lange vor EU-Gründung höchste Instanz in ihrem Land und wurden durch die EU quasi degradiert.
Dem Bundestag kann es egal sein, ob das BVerfG, eine EU-Richtlinie oder ein EUGH-Urteil eine bestimmte Gesetzesänderung fordert. Für das Parlament des UK sind die Kompetenzen der europäischen Ebene hingegen ein echtes Novum.

Zitat von R.A. im Beitrag #32
Die Sache ist auf jeden Fall noch nicht durch.
Es ist auch möglich, daß die Parlamentsmehrheit durchaus dem Volksvotum folgt und den Austrittsprozeß anstößt. Um dann nach zwei Jahren Verhandlung zu konstatieren, daß die Nachteile der Vereinbarung zu groß wären und deswegen der Vollzug nicht sinnvoll sei.
Ich glaube (hoffe?) auch, daß es so oder ähnlich kommt. Zusätzlich wird sich in der Zwischenzeit das Lager der Brexit-Befürworter ohnehin biologisch reduzieren .

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

24.06.2016 14:52
#36 RE: Parliament says "Remain" Antworten

Zitat von Emulgator im Beitrag #35
Dem Bundestag kann es egal sein, ob das BVerfG, eine EU-Richtlinie oder ein EUGH-Urteil eine bestimmte Gesetzesänderung fordert.

Das BVerfG bringt ja keine politischen Initiativen. Im Prinzip würde der Bundestag von dort nie eine Vorgabe kriegen, wenn er nur bei der Gesetzgebung die Verfassung respektiert.
Und EU-Richtlinien bzw. EUGH-Urteile waren für den Bundestag exakt so ein Novum wie für das Unterhaus. Vor der EU war der Bundestag genauso souverän wie das Unterhaus.

Zitat
Ich glaube (hoffe?) auch, daß es so oder ähnlich kommt. Zusätzlich wird sich in der Zwischenzeit das Lager der Brexit-Befürworter ohnehin biologisch reduzieren .


Dieses Lager wird sich schon reduzieren wenn die Leute sich bewußt werden, was sie da eigentlich so munter angestoßen haben.
Die ersten großen Probleme kommen jetzt schon ans Licht.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

24.06.2016 14:57
#37 RE: Parliament says "Remain" Antworten

Zitat von Fluminist im Beitrag #34
Zwei wesentliche Aspekte des britischen Parlamentarismus fallen mir sofort ein: (1) Die Bindung der Abgeordneten an ihren Wahlkreis.

Mehrheitsrecht war auch in Frankreich lange üblich - das hat die Bedeutung des französischen Parlaments nicht erhöht.

Zitat
(2) Prime Minister's Questions: Praktisch jede Woche muß die Regierung vor dem Parlament Rede und Antwort stehen.


Das gibt es im Bundestag genauso (aktuelle Stunde etc.).
Und in beiden Parlamenten läuft es ähnlich: Die Opposition greift an, die Regierungsmehrheit kontert. Und die Wähler interessiert es in der Regel nicht.

Zitat
In der Abnickmaschine des Europäischen Parlaments, in dem jede Debatte allein schon deswegen, weil man sich auf keine gemeinsame Sprache einigen kann, zum bloßen Verlesen mehr oder weniger akkurat übersetzter Statements verkommt


Waren sie schon einmal bei einer EP-Sitzung dabei?
Da sind die Diskussionen deutlich kontroverser als im Bundestag. Und von "Abnicken" kann keine Rede sein - die Kommission muß sich viel mehr Mühe geben im EP eine Mehrheit zu kriegen als die britische Regierung im Unterhaus.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

24.06.2016 15:03
#38 RE: Brexit Antworten

Zitat von Emulgator im Beitrag #33
Da es ja gerade von Verfechtern der Demokratiedefizitthese gerne als Idealbeispiel gebracht wird: Wie in der Schweiz.

Langsam!
WENN der Souverän mit direkter Demokratie selber die wichtigen Entscheidungen trifft, DANN braucht man in der Regierung auch nicht viel mehr als Verwaltungsspitzen.
Wobei die Schweizer Bundesräte immer noch einzeln und persönlich im Parlament gewählt werden und diesem rechenschaftspflichtig sind - die werden also nicht von den Kantonen nominiert.

Bei einer rein repräsentativen Demokratie wie im EP braucht man m. E. schon eine viel deutlichere Struktur um zu wissen, wer jetzt eigentlich die wesentlichen Entscheidungen zu verantworten hat.

Zitat
sind Verfahren der gemeinsamen oder konkurrierenden Gesetzgebung grundsätzlich komplizierter und wegen mehr Akteuren und verwobeneren Interessen etwas intransparenter als ausschließliche Gesetzgebung.


Richtig. Und genau deswegen halte ich gemeinsame/konkurrierende Gesetzgebung für hochproblematisch, die sollte auf das absolute Minimum reduziert werden.
Auch die "normale" Politikverdrossenheit in Deutschland hat m. E. sehr stark damit zu tun, daß die Verantwortlichkeiten zu sehr vermischt sind und jeder Politiker sich auf eine andere Ebene als schuldige herausreden kann.

Zitat
Letzteres kann es auf europäischer Ebene gar nicht geben, solange die Nationalstaaten noch souverän sind.


Trotz Souveränität kann es Entscheidungen geben, die ausschließlich auf europäischer Ebene gefällt werden. Ist ja im Prinzip heute schon so. Wenn der Rat mit qualifizierter Mehrheit abstimmt, kann der souveräne Staat nur akzeptieren.

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

24.06.2016 15:19
#39 RE: Parliament says "Remain" Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #37
Waren sie schon einmal bei einer EP-Sitzung dabei?
Da sind die Diskussionen deutlich kontroverser als im Bundestag. Und von "Abnicken" kann keine Rede sein - die Kommission muß sich viel mehr Mühe geben im EP eine Mehrheit zu kriegen als die britische Regierung im Unterhaus.

Dabei war ich nur in dem Sinne, daß ich sie im Fernsehen verfolgt habe. Vielleicht hatte ich Pech mit der speziellen Debatte an dem Tag oder nicht genügend Einblick in die Hintergründe des Verfahrens; jedenfalls entspricht der Eindruck, den ich damals bekommen hatte, dem, was ich oben geschrieben habe.

Emulgator Offline



Beiträge: 2.875

24.06.2016 16:16
#40 RE: Brexit Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #38
WENN der Souverän mit direkter Demokratie selber die wichtigen Entscheidungen trifft, DANN braucht man in der Regierung auch nicht viel mehr als Verwaltungsspitzen. [...]
Bei einer rein repräsentativen Demokratie wie im EP braucht man m. E. schon eine viel deutlichere Struktur um zu wissen, wer jetzt eigentlich die wesentlichen Entscheidungen zu verantworten hat.
Die Schweiz ist eine repräsentative Demokratie mit einem direktdemokratischen Element, der Volksinitiative und anschließenden Volksabstimmung. Von den Parlamentskammern und von der Regierungs können ebenfalls Gesetzesinitiativen kommen. Deswegen halte ich Ihr Argument nicht für schlüssig.

Zitat
Und genau deswegen halte ich gemeinsame/konkurrierende Gesetzgebung für hochproblematisch, die sollte auf das absolute Minimum reduziert werden.

Dieses Minimum wird auf europäischer Ebene trotzdem nahe bei 100% sein. Gemeinsame und konkurrierende Gesetzgebung sind ja eine logische Folge des Subsidiaritätsprinzips: Bei der gemeinsamen Gesetzgebung muß nur der grobe Inhalt einheitlich sein, bei der konkurrierenden Gesetzgebung können bestimmte Gesetze auf manchen Ebenen komplett weggelassen werden. Wenn man diese Gesetzgebungsverfahren freilich von ihrem Zweck entfremdet, kommt Quatsch heraus.

Zitat
Auch die "normale" Politikverdrossenheit in Deutschland hat m. E. sehr stark damit zu tun, daß die Verantwortlichkeiten zu sehr vermischt sind und jeder Politiker sich auf eine andere Ebene als schuldige herausreden kann.

Es gibt natürlich Fälle, in denen Journalisten und Bürger so dumm sind, sich an die wirklichen Kompetenzen der jeweiligen Politiker zu erinnern. Aber ich glaube, mit der Zeit und mit der Wertschätzung der Verfassung legt sich das.

Zitat
Trotz Souveränität kann es Entscheidungen geben, die ausschließlich auf europäischer Ebene gefällt werden.

In der Abstimmung ist es zwar so, allerdings ist über Änderungsvorschläge weiterhin im Konsens zu entscheiden.

Florian Offline



Beiträge: 3.170

24.06.2016 16:34
#41 RE: Brexit Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #23


Und wenn man die heutigen Pressestimmen so liest, gibt es erstaunlich viele Leute, die eine hohe Mitverantwortung der EU-Fehlentwicklung für den Brexit sehen und entsprechende Abhilfe fordern. Da kommt etwas in Bewegung ...



Nur wird natürlich von jedem etwas anderes gefordert.
Ich lese heute sowohl "Brexit gab es wegen zu viel Zentralismus. Wir brauchen also einen Rückbau der EU".
Als auch "Brexit gab es, weil die EU-Institutionen nicht richtig funktionieren. Wir brauchen also eine Stärkung der EU".

Letztere Interpretation finde ich persönlich zwar abwegig.
Aber wer schon immer für "mehr Staat" war, wird das natürlich auch in dieser Situation fordern.
Zum Beispiel der liebe Herr Augstein:

Zitat
Ein neues Versprechen tut Not. Die EU wurde auf den Trümmern des Faschismus errichtet. Heute muss sie auf den Trümmern des Kapitalismus neu errichtet werden. Das Versprechen der europäischen Gründung lautete: Nie wieder Krieg! Heute muss es lauten: Nie wieder Ungerechtigkeit! (...)
Die ersten Schritte sind die gemeinsame Haushaltspolitik, die koordinierte Steuerpolitik, die Stärkung des Europäischen Parlaments und der Kommission.


(http://www.spiegel.de/politik/ausland/re...-a-1099330.html)

WFI Offline



Beiträge: 187

24.06.2016 16:56
#42 RE: Brexit Antworten

Zitat
Und der "Traum vom Empire" war m. E. insbesondere ausschlaggebend für die deutliche Mehrheit bei den Rentnern.



Womit ich auch kein Problem hätte, aber ich glaube das nicht. Wer heute Rentner ist, gehört zur Generation, die in den sechziger Jahren aufwuchs. Die Leute können sich kaum an ein Empire erinnern, vermutlich aber an ein anderes Großbritannien. Wir können uns ja auch an ein anderes Deutschland erinnern. Dazu muss man noch nicht mal besonders alt sein.

Zitat
Denn es ist ja nicht so, daß die Brexit-Fans irgendeine klare Alternative geboten hätten.
Der von vielen geforderte Rückbau der EU zur reinen Wirtschaftsunion ist eine Perspektive, die noch weitere Vereinigung wäre auch eine. Jeweils mit Vor- und Nachteilen und diskutierbar.
Aber beim Brexit blieb völlig offen, wie die Rolle des Landes und seine Beziehungen zum Rest der Welt künftig eigentlich sein sollten. Und da war selbstverständlich die diffuse Erwartung vieler Leute, daß es einfach wieder so wie früher werden würde. Obwohl diese Vorstellung natürlich ein völlig unrealistischer Unsinn ist.



Sie verlangen ganz schön viel. Natürlich gibt es keine klaren Alternativen; wer hätte diese denn entwickeln sollen, solange keine denkbare Regierung oder Koalition den Austritt als Möglichkeit akzeptieren will? Die Wahl ist der Auftrag an diese und zukünftige Regierungen, einen Prozess zu starten, der sonst nie in Gang gekommen wäre. Das reicht. Schließlich ist auch die europäische Einigung nicht mehr als ein Prozess, bei dem man öfter damit überrascht wird, dass Weg und Ziel sich geändert haben. Im Vergleich zu den Verwerfungen, die beispielsweise der Euro in den letzten Jahren erzeugt hat, ist der Brexit ein ziemlich kontrollierbares Risiko. Alternative zu was also? Der Bau der EU folgte in den letzten Jahrzehnten keinem angekündigten Plan. Oft wurde das Bild eines Fahrrades bemüht, das umfällt, sobald es anhält. Versprechen hatten keinen Bestand, Verträge auch nicht. Gestern galt Subsidiarität als oberstes Prinzip, heute soll uns die Weggabe jeglicher Souveränität retten. Und nur weil es jetzt in die andere Richtung geht, braucht man plötzlich alle Details?

Eine Alternative zu dieser EU werde ich als Deutscher wohl nie angeboten bekommen - trotzdem nehme mir das Recht, bei Fehlentwicklungen erst mal "Stop!" zu rufen.

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

24.06.2016 17:05
#43 RE: Brexit Antworten

Zitat von WFI im Beitrag #42
Die Wahl ist der Auftrag an diese und zukünftige Regierungen, einen Prozess zu starten, der sonst nie in Gang gekommen wäre. Das reicht. Schließlich ist auch die europäische Einigung nicht mehr als ein Prozess, bei dem man öfter damit überrascht wird, dass Weg und Ziel sich geändert haben. Im Vergleich zu den Verwerfungen, die beispielsweise der Euro in den letzten Jahren erzeugt hat, ist der Brexit ein ziemlich kontrollierbares Risiko. Alternative zu was also? Der Bau der EU folgte in den letzten Jahrzehnten keinem angekündigten Plan. Oft wurde das Bild eines Fahrrades bemüht, das umfällt, sobald es anhält. Versprechen hatten keinen Bestand, Verträge auch nicht. Gestern galt Subsidiarität als oberstes Prinzip, heute soll uns die Weggabe jeglicher Souveränität retten. Und nur weil es jetzt in die andere Richtung geht, braucht man plötzlich alle Details?

Guter Punkt. Man wird sich, wenn es gut läuft, da halt jetzt rantasten müssen. Rational betrachtet kann die EU eigentlich auch kein großes Interesse daran haben, GB jetzt die großen Steine in den Weg zu legen (ideologisch und "pädagogisch" betrachtet dagegen leider schon). Man hat weiter Interesse an einer gemeinsamen Sicherheitsarchitektur (NATO), an weiterhin gelingendem Handel usw. Im Moment sind alle Gemüter ziemlich erhitzt, aber bis das Essen serviert wird, wirds wohl noch etwas abkühlen.

Herzliche Grüße,
Andreas

"Man kann einen gesellschaftlichen Diskurs darüber haben, was Meinungsfreiheit darf. Oder man hat Meinungsfreiheit." (Christian Zulliger)

Michel Offline



Beiträge: 265

24.06.2016 17:45
#44 RE: Brexit Antworten

Ich fürchte die EU ist fast dazu gezwungen an Britannien ein Exempel zu statuieren. Wenn man mit GB ein Austrittsvertrag aushandelt der Handel, Freizügigkeit und andere Vorteile im gleichen Maß gestattet, wie das bisher möglich war. Hätte GB alle Vorteile einer EU-Mitgliedschaft ohne die Nachteile also Beitragszahlungen und die irrationale Politik der kontinentaleuropäischen Eliten tragen zu müssen. Das wäre für andere Staaten so attraktiv das viele den britischen Beispiel folgen würden. Um das zu verhindern muss die EU GB harte Bedingungen oktroyieren, auch wenn das an sich unnötige Nachteile für alle Beteiligten bedeutet.

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

24.06.2016 17:47
#45 RE: Brexit Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #43
Rational betrachtet kann die EU eigentlich auch kein großes Interesse daran haben, GB jetzt die großen Steine in den Weg zu legen (ideologisch und "pädagogisch" betrachtet dagegen leider schon).

Was genau meinen Sie jetzt mit den "Steinen im Weg"? Juncker hat offenbar schon die Anwendung des Art. 50 seitens UK gefordert, und man kann gut verstehen, daß ihm das gut passen würde, bringt es ihn doch in eine win-win-Situation: Ziehen die Briten den Brexit durch, dann wird er so schnellstmöglich die ewigen Querulanten los; überlegen sie es sich nachher noch anders, dann bekommen sie nie wieder die Sonderkonditionen, die sie bisher hatten. Für das UK wäre jetzt zunächst einmal eine detaillierte Abwägung der Optionen nötig, bevor der Austritt offiziell erklärt wird. Übernimmt jetzt ein Brexiteer die Führung, dann besteht die Gefahr, daß diese Abwägung nicht in angemessenem Umfang stattfindet.

Michel Offline



Beiträge: 265

24.06.2016 18:01
#46 RE: Brexit Antworten

Zitat
Hm. Woraus schließt Du, daß die EU von innen heraus reformierbar ist? Daß Reförmchen mit dem vornehmlichen Ziel der Beruhigung der Kritiker stattfinden; daß die Rhetorik sich eine Zeitlang ändert, OK. Aber wirkliche strukturelle Reformen? Da habe ich große Zweifel, ob das gegen die berühmten "bürokratischen Widerstände" möglich sein wird.



Das trifft meines Erachtens nicht nur auf die EU zu sondern auf unsere gesamte Politische Kaste. Die Selbsterneuerung unserer politischen Eliten funktioniert immer weniger, mit der Folge dass sich das vertretene Meinungsspektrum immer mehr verengt und sie die Fähigkeit zu einem rationalen Diskurs zunehmend verlieren. EU-Skepsis und Politikverdrossenheit sind nur die Reaktionen auf diese Tendenz und der Brexit die bisher stärkste Verkörperung dieser Reaktionen.

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

24.06.2016 18:04
#47 RE: Brexit Antworten

Zitat von Fluminist im Beitrag #45
Zitat von Doeding im Beitrag #43
Rational betrachtet kann die EU eigentlich auch kein großes Interesse daran haben, GB jetzt die großen Steine in den Weg zu legen (ideologisch und "pädagogisch" betrachtet dagegen leider schon).

Was genau meinen Sie jetzt mit den "Steinen im Weg"? Juncker hat offenbar schon die Anwendung des Art. 50 seitens UK gefordert, und man kann gut verstehen, daß ihm das gut passen würde, bringt es ihn doch in eine win-win-Situation: Ziehen die Briten den Brexit durch, dann wird er so schnellstmöglich die ewigen Querulanten los; überlegen sie es sich nachher noch anders, dann bekommen sie nie wieder die Sonderkonditionen, die sie bisher hatten. Für das UK wäre jetzt zunächst einmal eine detaillierte Abwägung der Optionen nötig, bevor der Austritt offiziell erklärt wird. Übernimmt jetzt ein Brexiteer die Führung, dann besteht die Gefahr, daß diese Abwägung nicht in angemessenem Umfang stattfindet.


Ja, aber Art. 50 Abs 2 besagt ja, daß die Modalitäten des Austritts Verhandlungssache sind (die deutsche Presse hatte vor einigen Tagen einen geschätzten Zeitraum von 2 Jahren vermutet). Dabei kann sich im Laufe der Verhandlungen ja durchaus eine Eigendynamik entwickeln, an deren Ende die EU-Hardliner einsehen, daß gute, insbesondere wirtschaftliche, Beziehungen zu GB durchaus im Interesse der EU liegen. Und daß das ganze momentane Säbelrassseln von Martin Schulz et. al. am Ende nicht viel mehr sein könnte als heiße Luft. Was ja für die Politik der EU jetzt nicht soo ungewöhnlich wäre. Daß momentan viel Qualm freigesetzt wird, um nicht zur Nachahmung anzuregen, widerspricht einer solchen zukünftigen Entwicklung m. E. nicht unbedingt.

Herzliche Grüße,
Andreas

"Man kann einen gesellschaftlichen Diskurs darüber haben, was Meinungsfreiheit darf. Oder man hat Meinungsfreiheit." (Christian Zulliger)

Emulgator Offline



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24.06.2016 18:06
#48 RE: Brexit Antworten

Zitat von Michel im Beitrag #44
Ich fürchte die EU ist fast dazu gezwungen an Britannien ein Exempel zu statuieren. Wenn man mit GB ein Austrittsvertrag aushandelt der Handel, Freizügigkeit und andere Vorteile im gleichen Maß gestattet, wie das bisher möglich war. Hätte GB alle Vorteile einer EU-Mitgliedschaft ohne die Nachteile also Beitragszahlungen und die irrationale Politik der kontinentaleuropäischen Eliten tragen zu müssen. Das wäre für andere Staaten so attraktiv das viele den britischen Beispiel folgen würden. Um das zu verhindern muss die EU GB harte Bedingungen oktroyieren, auch wenn das an sich unnötige Nachteile für alle Beteiligten bedeutet.
Und genau deswegen würden die Nachteile nie in kraft treten. Das Unterhaus wird nicht zustimmen oder es wird eine neue, konkretere Volksbefragung geben, ob man in der EU wie bisher bleiben möchte oder ob die harten Bedingungen gelten sollen.

Der bisherige Vorteil der Leave-Befürworter, daß man sich von "Leave" noch alles mögliche erhoffen konnte (insbesondere war Argument für Leave, daß man so bessere Vorteile aushandeln könne, d.h. einige "Leave"-Befürworter sind in letzter Konsequenz gar nicht für einen Austritt!) und nur bei "Remain" die Nachteile genau wußte, wird bei so einem zweiten Referendum nicht mehr greifen. Dafür war das Ergebnis jetzt viel zu knapp.

Was das UK definitiv heute verloren hat, sind die Zugeständnisse der EU, die Cameron bereits ausgehandelt hat. Verlorengegangen ist auch viel wirtschaftliche Berechenbarkeit, wie man an den Börsen sieht. Womöglich hat man auch Schottland verloren, das ist jetzt eine Frage des Timings.

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

24.06.2016 18:07
#49 RE: Brexit Antworten

Zitat von Michel im Beitrag #46

Zitat
Hm. Woraus schließt Du, daß die EU von innen heraus reformierbar ist? Daß Reförmchen mit dem vornehmlichen Ziel der Beruhigung der Kritiker stattfinden; daß die Rhetorik sich eine Zeitlang ändert, OK. Aber wirkliche strukturelle Reformen? Da habe ich große Zweifel, ob das gegen die berühmten "bürokratischen Widerstände" möglich sein wird.


Das trifft meines Erachtens nicht nur auf die EU zu sondern auf unsere gesamte Politische Kaste. Die Selbsterneuerung unserer politischen Eliten funktioniert immer weniger,



War das früher denn wirklich so anders? . Erneuert hat sich die pol. Elite doch früher auch nur entweder durch Abwahl oder durch Berentung.

Herzliche Grüße,
Andreas

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Michel Offline



Beiträge: 265

24.06.2016 18:27
#50 RE: Brexit Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #49

War das früher denn wirklich so anders? . Erneuert hat sich die pol. Elite doch früher auch nur entweder durch Abwahl oder durch Berentung.



Soweit ich das beurteilen kann fehlt allen Parteien das Personal das jetzt in Spitzenpositionen nachrücken könnte. Es scheint, dass die Generation, die heute in ihren 40ern oder Anfang 50 wäre, von der Vorgängergeneration fast komplett weggebissen wurde, am ehesten findet man sie noch in der SPD. Wenn es dann doch zu Abwahl oder Berentung kommt müssen die Parteien auf drittklassige Nachrücker zurückgreifen.

Dass sich das politische Meinungsspektrum verengt hat wurde auch schon von Parteienforschern festgestellt.

Edit: Bezug zum Vorredner kenntlich gemacht.

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