Zitat von Llarian im Beitrag #25Ich habe heute einen Artikel gelesen, dass es Hersteller (vorwiegend von "alternativen" Produkten) gibt, die den Barcode auf der Produktverpackung mit einem Querstrich versehen, weil Leute glauben, damit würde dieser "entstört". Vollkommen hirnverbrannt. Aber offensichtlich ist die Menge dieser Leute so gross, dass der Hersteller das für sinnvoll erachtete.
Ich habe ja, als ich das im Zug meiner Chronistenpflicht vor ein paar Tagen vermerkt habe,
schon gemutmaßt, daß es sich hier um eine Parodie à la Alan Sokal handelt, nach dem Motto "sooo dusslig kann nun wirklich keiner sein", die dann die Dusslichkeit der betreffenden Klientel weit unterschätzt hatten. Sieht ganz so aus. Das Phänomen taucht vor dem Sommer 2013 nicht auf & ist komplett auf D beschränkt (schon mal ein Warnzeichen. In diesen Kreisen ist der Import von außen Teil der Beglaubigungsstrategien); weder in Frankreich (die auch gern esoterisch rumspinnen), noch im gesamten englischsprachigen Bereich ist das angedacht; auch nicht bei den Russen (wo das eigentlich immer Konjunktur gehabt hat, seit Gurdjeff & Ouspensky so um 1911 das "Tertium Organon" ausgeheckt haben, und wo das seit den 50ern immer gern diesen Dreh ins Technisch-Instrumentelle nimmt; vielleicht ist manchem noch "Kirlian-Photographie" geläufig). Stiftung Warentest hat das im Sept. 13: Verpackungen: Die Angst vor dem Barcode, mit diesem Leserverweis:
Zitat von test.de 23.09.2013 Auf dem Portal „Sheng-Fui“ schreibt ein Nutzer, man solle sich „bewusst sein, dass der Vorgang des Einscannens eine negative Energiematrix auf die Waren überträgt, welche wir dann durch den Verdauungsprozess in uns aufnehmen“. Außerdem würde die Ware nach dem Einscannen an der Kasse wesentlich schneller verderben. Ein Blogger warnt auf dem Portal „Carta.info“: „Beim Aldi an der Kasse stehen ist um einiges gefährlicher als ein Tauchgang im Abklingbecken eines russischen Atomkraftwerks.“
[Update 24. September]: Satireseite
Herzlichen Dank an die Leser von test.de. Sie haben recht: Der Blog-Beitrag auf „Carta.info“ ist Ironie. Dem sind wir bei unserer Recherche auf den Leim gegangen. Der zitierte Nutzerkommentar auf dem Satireportal „Sheng-Fui“ ist aber vom Verfasser offenbar ernst gemeint.
Stefan2222 schrieb am 24.09.2013 um 07:27 Uhr:
Hallo, Ihr seit Euch schon im klaren, dass das Portal "Shen Fui" Satire ist? Allerdings ist es ja sehr interessant, wie schlecht in diesem Fall Satire von den Echten Gläubigen zu unterscheiden ist.
Zitat Of course his method is rather pedestrian and in Germany, where this whole idea has caught quite a following, we are further.
The pros around here use the barcode interference elimination pen (€16.75 / $22.15) or go right for the Hildegard Orgon Accumulator (€1,250 / $1,653). Just place your food on it for about two hours and it’s the same as before entirely cleared of any harmful vibes.
Roter Bereich im Original durchgestrichen. Sapienti sat. Und wem das nicht reicht, der => hier:
Zitat von "Dat was den Deuker sien Wark!"So where do these negative energies in the barcodes really come from? One theorist has a biblical explanation:
666! The Mark of the Beast! Almost everybody has heard something about this prophecy which says that in the last days no one will be able to buy or sell anything unless they get the “Devil’s mark”.
Der Witz, oder Unwitz, liegt darin, daß sich ab einem gewissen unterirdischen Niveau die Bauernfängerei schlicht nicht mehr von der Parodie unterscheiden lässt.
Leichtestgläubige finden sich überall. Lovecraft schreibt, so um 1934 herum (ich finde die Stelle jetzt auf die Schnelle nicht) in einem Brief von einem Leser, der ihm schwer lästig fällt, weil er, wohl genasführt durch die vermeintlich exakten Daten, Namen, ollen Zitate usf, mit denen HPL seine Stories garnierte, ihm erklärte, mit diesen Dämonengöttern sei das exakt genau wie beschrieben & der den Autorwiderspruch nicht gelten lassen wollte: das sei unbewusst; & das Abstreiten nur UBW-Verdrängungs-Schutzmechanismus, frei nach Freud. (Wobei er DEN speziellen Dreh wmgl. auch aus dieser Quelle hatte, weil HPL oft mit solchen "verschütteten Erinnerungen" operiert, die den Protagonisten mit üblen Offenbarungen heimsuchen. )
Schade eigentlich. Das 21. Jahrhundert zeichnet sich, neben allem anderm, auch dadurch aus, daß neue Verschwörungstheorien oder Eso-Spinnereien nicht mehr erfunden werden. Dabei ziehen die sich durch das, was "die Moderne" heißt, wie ein schwarzer Kettfaden; "Nachtseite der Aufklärung". Eigentlich angefangen mit den Geburtshoroskopen, Nativitäten, dann über Meduzynisches, mindestens ab Mesmer & Verschwörungen-gegen-die-Welt: das Muster wird bei der Vernichtung des Templerordens geprägt; das taucht dann wieder auf, als, zwischen 1610-14 die Rosenkreuzermanifeste umgehen (zuerst als MS, dann ab 14/15 gedruckt: wobei verstärkend hinzukommt, daß da ja gesagt wird: don't call us, we'll call you: wir geben uns denen zu erkennen, die wir als "die unseren erkannt" haben; all die "Rosenkreuzerschriften", entweder als "Ruf nach einer Generalreformation der Welt" oder als "alchemistische Allegorie", sind ausnahmslos Bewerbungsschreiben, ob nun Nollius oder Comenius; das gibt aber den Eindruck, auch den Behörden, da müssten Unzählige clandestin rumlaufen): die Freimaurer, Illuminaten & dann bis heute die Üblichen-Verdächtigen. Die letzten drei Strömungen nach 1945 waren eigentlich: importierte indische Gurus (wobei sich das im 19. Jhdt schon andeutet; Madame Blavatsky hat die sich dann selbst gestrickt). UFOs - wobei: weil die meist entweder a) vor bösen Atombombenversuchen warnten & "über die Weltläufe in schwerer Sorge waren" (Huhu, Herr Juncker!), waren das Wiederaufnahmen alter Engelsbesuche; oder b) Erdlinge "woandershin" entführten, um mit ihnen Ä-Pfui-Sachen anzustellen, 1:1 Wiederaufnahmen alter Dämonendönekes. Däniken hat da schlicht noch "altes Atlantis" mit reingequirlt (& zudem hat er das Meiste bei Robert Charroux gemopst). Und eben Talismane, Amulette, Glücksbärchis; Schadensabwehrzauber, apotropäischer: die Barcode-Ixungen sind das moderne Äquivalent zur Feigenhand. Der einzig genuin-moderne "Mythos" ist der der fliegenden Untertassen, der sich seit Entstehen 1947 bis in die 80er immer mehr varrierte & ausfaltete; Scully & Mulder haben dem ziemlich definitiv ein Ende gemacht (hah!). Bei den letzten Versuchen konnte man den Lancierern eigentlich schon an der Nasenspitze ansehen, daß sie keinen irgendwie gearteten Glauben mehr erwarteten; im Grunde waren das schon Parodien solchen Gerödels: die Kornkreise, auf dem Buchsektor Graham Hancocks "Urzivilisation aus der Antarktis" (die er wiederum von HPL gemopst hat, "Berge des Wahnsinns"), die sich eben dadurch auszeichnet, dass sie keinerlei Spuren Fossilien Relikte hinterlassen hat; oder Gavin Menzies' 1421-Theorie. Bei uns die Phantomzeit-Theorie. Das ist alles nicht mal mit Liebe zum Detail zusammengeflunkert . Und alles mit Startdatum 1993/94. Seitdem ist da ziemlich Schicht im Schacht.
Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire
Zitat von Emulgator im Beitrag #19Keinen Spielraum gibt es allerdings hinsichtlich der Frage, daß informelle Verhandlungen vor der Erklärung der Austrittsabsicht nicht vorgesehen sind. Insofern hat Juncker völlig korrekt die Kommissare daran erinnert, daß so etwas nicht geschehen dürfe.
Hmmm, liegt es nicht gerade in der Natur informeller Verhandlungen, daß sie im Regelwerk nicht vorgesehen und geregelt sind? Da hat Juncker eigentlich überhaupt nichts zu befehlen oder zu verbieten.
Zitat von Llarian im Beitrag #20Genauso wie das englische Parlament, analog zu ihren Gedanken, auch das Brexit Votum ignorieren kann. Das Verfahren gibt das zweifelsfrei her. Und dennoch ist eine eklatante Verachtung von Prinzipien, die die EU wie eine Monstranz vor sich herträgt. Sie will demokratisch sein und benimmt sich gegenteilig. Sie benimmt sich wie ein elitärer Club, den am Ende nicht der Wille des Bürgers interessiert, sondern die meint dem Bürger müsse zu seinem Glück verholfen werden.
Da geht jetzt aber im Eifer, das Feindbild "EU" zu bedienen, einiges durcheinander. Wenn Westminster beschließen sollte, in einer anderen als der im Moment offensichtlich scheinenden Weise auf das Ergebnis des Referendums zu reagieren, beispielsweise weil nach einer Abwägung der Vor- und Nachteile für das Wohl des Landes eine gemäßigte Interpretation des angeblich so superklaren Mandats von 51,9% angemessen erscheint, dann wäre das nichts anderes als der normale, verfassungsgemäße demokratische Prozeß im UK. Die politische Macht liegt im UK seit Jahrhunderten, spätestens seit das mit Charles I einmal so richtig gründlich ausdiskutiert wurde, beim Parlament. Ich sehe nicht, wie man eine solche Entscheidung (wie immer man sonst zu ihr stehen mag) der EU zuordnen könnte. Im Gegenteil konnte es doch gerade den EU-Vertretern mit ihrer Forderung, unverzüglich nach dem Referendum den Austritt zu erklären, gar nicht schnell genug gehen. Wenn das UK sein Referendum überdenkt, dann ist das ein Akt der Souveränität, gerade keine Folgsamkeit der EU gegenüber.
Das ist ja genau das, was mich an der "direkten Demokratie" so freut : Am Ende will es keiner der Demagogen gewesen sein und Verantwortung für die Umsetzung übernehmen.
Zitat von Fluminist im Beitrag #28 Hmmm, liegt es nicht gerade in der Natur informeller Verhandlungen, daß sie im Regelwerk nicht vorgesehen und geregelt sind? Da hat Juncker eigentlich überhaupt nichts zu befehlen oder zu verbieten.
Juncker ist der Kommissions-Präsident. Ich kenne die genauen kommissions-internen Regeln nicht, aber ich würde mal vermuten, dass er zumindest einmal "die Grundlinien" festlegen darf. Es ist daher selbstverständlich sein gutes Recht, darüber zu bestimmen, wie die Kommission Verhandlungen führt. Insbesondere auch, welcher Kommissar zu Verhandlungen ermächtigt ist. Es wäre ja noch schöner, wenn da jeder Kommissar seine eigenen informellen Verhandlungen führen würde, ohne dass das kommissions-intern abgestimmt wäre.
In sofern: Doch, Juncker hat genau in dieser Sache sehr wohl zu befehlen oder zu verbieten.
Zitat von Fluminist im Beitrag #28 Hmmm, liegt es nicht gerade in der Natur informeller Verhandlungen, daß sie im Regelwerk nicht vorgesehen und geregelt sind? Da hat Juncker eigentlich überhaupt nichts zu befehlen oder zu verbieten.
Juncker ist der Kommissions-Präsident. Ich kenne die genauen kommissions-internen Regeln nicht, aber ich würde mal vermuten, dass er zumindest einmal "die Grundlinien" festlegen darf. Es ist daher selbstverständlich sein gutes Recht, darüber zu bestimmen, wie die Kommission Verhandlungen führt. Insbesondere auch, welcher Kommissar zu Verhandlungen ermächtigt ist. Es wäre ja noch schöner, wenn da jeder Kommissar seine eigenen informellen Verhandlungen führen würde, ohne dass das kommissions-intern abgestimmt wäre.
In sofern: Doch, Juncker hat genau in dieser Sache sehr wohl zu befehlen oder zu verbieten.
OK, da war ich vielleicht etwas ungenau. Das Verhalten seiner Kommissare kann Juncker selbstverständlich lenken. Ich hatte (zugegeben nicht ganz durch das Zitat gedeckt) an eine Verweigerung diplomatischer Gespräche zwischen der britischen und anderen europäischen Regierungen gedacht.
Zitat Und ich kann mich auch erinnern, dass dieser These ziemlich breitflächig zugestimmt worden ist.
Das lag daran, daß Du im damaligen Artikel zwischen vernünftig und legitim sauber unterschieden hast. Das geht im aktuellen Beitrag ziemlich durcheinander, und deswegen muß ich dem ziemlich komplett widersprechen.
Zitat Umso erstaunlicher ist es (zumindest in meiner Wahrnehmung), wie selbstverständlich, auch im kleinen Zimmer, das Mantra gehämmert wird, der Brexit sei unvernünftig ...
Ist er ja auch. Und das zu sagen ist kein Widerspruch zum damaligen Konsens - denn KEINER hat gefordert, daß man den Briten diese unvernünftige Idee verbieten müsse.
Es ist unvernünftig, täglich eine Flasche Schnaps zu trinken. Aber es ist legitim. Wer lieber regelmäßig angeheitert ist als auf seine Leberwerte zu achten, der darf das. Dumm wäre die Steigerung. Wenn jemand glaubt, die tägliche Flasche Schnaps würde ihm endlich die erhoffte Beförderung im Job bringen, der ist völlig auf dem Holzweg. Auch der Holzweg ist legitim, aber da kann man die Prioritätensetzung schon ganz anders kritisieren.
In diesem Sinne: Der Brexit ist unvernünftig. Aber legitim. Wer lieber nationalistisches Pathos will als auf die Arbeitslosenzahlen zu achten, der darf das. Aber dumm war die Erwartung viele Wähler (die das Referendum entschieden haben), mit dem Brexit würden pro Woche 350 Millionen ins marode Gesundheitssystem fließen. Das Referendum ist zwar trotzdem gültig, aber sehr kritikwürdig.
Zitat dass es sich dabei um eine eher demokratieverachtende Argumentation (...) handelt
Überhaupt nicht. Referenden können Mist beschließen, Parlamente können Mist beschließen. Man muß zwar eine Mehrheitsentscheidung respektieren, weil nur so überhaupt legitimierte Entscheidungen möglich sind. Aber Mehrheit ist nicht Wahrheit. Dumme Entscheidungen darf man als dumm bezeichnen und alle gesetzlich möglichen Mittel einsetzen, um sie wieder zu kippen.
Und das "gesetzlich möglich" ist der Knackpunkt. Das EEG war auch eine dumme Entscheidung. Man darf deswegen nicht gegen den gewählten Bundestag putschen. Aber man darf viele andere legale Mittel einsetzen: Vor Gericht gehen, bei Landtags- und Kommunalwahlen den Vollzug des EEG (also z. B. Windradbau) behindern und natürlich bei der nächstmöglichen Wahl für eine neue Mehrheit kämpfen. Die nächstmögliche Wahl könnte übrigens auch in Deutschland schon wenige Monate später sein ...
Im konkreten Fall Brexit gibt es nur ein konsultatives Votum. Das muß man als solches respektieren, kann aber ansonsten mit allen legalen Mitteln (insbesondere der Parlamentsmehrheit) dagegen vorgehen. Nichts davon ist "demokratieverachtend".
Zitat Wenn man derart elitär argumentiert ...
Hat niemand. Es gab einige Politiker, die wollten aus dem Brexit-Debakel Munition gegen die direkte Demokratie gewinnen - aber im Forum hat das keiner vertreten.
Zitat Oftmals wird betont wie unvernünftig der Austritt ist. Dazu kann man eigentlich nur sagen: Sagt wer ? Die Vernunft liegt, und da bin ich bei dem Verweis auf meinen alten Artikel, im Auge des Betrachters.
Sicher. Man kann es auch für gesund halten, täglich eine Flasche Schnaps zu trinken. Aber die Bewertung als "unvernünftig" ist schon deutlich überzeugender. Ich habe übrigens auch noch kaum Stimmen gehört, die den Brexit wirklich für "vernünftig" halten. Die meisten Brexit-Fans argumentieren eher in der Art: "Kostet vielleicht Geld, macht aber Spaß". Wie gesagt: Legitim, aber unvernünftig.
Zitat Die selbe Freiheit wie die, eine Zigarette anzuzünden, ist eben auch die Freiheit aus der EU auszutreten.
Eben. Doof, aber erlaubt.
Zitat Aber wäre das in der EU automatisch besser ?
Sicher ist nur, daß GB mit EU-Mitgliedschaft einige handfeste Nachteile vermeidet. Der Rest ist offen.
Zitat Haben Sie sich mal die Wachstumsprognosen der EU angesehen, lieber Leser ? Oder mal überlegt was es bedeuten wird, wenn Leute wie Draghi ihre Staatsfinanzierung per Notenpresse jahrelang etablieren ? Wenn die deutsche Wirtschaft (mit das Rückrat der EU) immer mehr unter dem deutlich schneller wachsenden Sozialstaat ächzt ?
Interessante Fragen - aber sie haben überhaupt NICHTS mit dem Brexit zu tun!
Die Wachstumsprognose der EU ist ein Durchschnittswert, keine zu befolgende Vorgabe. Es steht jedem EU-Mitglied frei, sich durch schlaue Maßnahmen ein besseres Wachstum zu verschaffen. Dafür braucht es nicht auszutreten. Draghi kann den Briten völlig egal sein. Mit oder ohne EU haben sie ihre eigene Notenbank - deren Chef gerade angekündigt hat, daß er selber massiv Geld drucken will. Und ob UK seinen Sozialstaat ausbauen oder reduzieren will, liegt ganz in seiner eigenen Entscheidung - es gibt dazu keine EU-Vorgaben. Die Mehrheit der Brexiteers ist für noch weiteren Ausbau ...
Zitat Und dennoch meint nahezu jeder "Brexit-Gegner" den Briten heute erklären zu müssen wie unvernünftig der Austritt ist.
Was im wesentlichen daran liegt daß kein Brexiteer bisher darlegen konnte, wo eigentlich die tollen neuen Ideen für das UK sind, die von Brüssel bisher verhindert wurden. Klar könnte GB sehr viel reformieren und klar könnte es dadurch neue Chancen bekommen. Aber das alles wäre auch ohne Brexit möglich. Und es sind üblicherweise die Brexit-Fans, die UK-intern gegen Reformen antreten ...
Fazit: Der Brexit ist dumm, aber erlaubt. Und man kann als Demokrat sowohl dafür wie dagegen sein.
Zitat von R.A. im Beitrag #32Was im wesentlichen daran liegt daß kein Brexiteer bisher darlegen konnte, wo eigentlich die tollen neuen Ideen für das UK sind, die von Brüssel bisher verhindert wurden.
So wie die Dinge liegen, sind wir vorerst im "blühende Landschafts"-Modus. Seis drum.
Selbst wenn der Brexit das Dämlichste vom Dusslichsten wäre (was a) zu bestreiten ist & b) deren Angelegenheit ist; nb. hieß es doch auch immer: nicht beim € mitzutun wäre die maximale Eselei, oder das Klima nicht am Retten fangen...): eins ist deutlich: das ist das Ende des "vorwärts immer, rückwärts nimmer." Ob man wirklich aussteigen KANN, wird sich zeigen, aber man kann das jetzt klar artikulieren, auch politisch. Die Option steht jetzt auch offiziell auf dem Speiseplan & das obligatorische Geschrei der Chefköche "pfui Spinne Glyphosat!" ändert daran nichts. Davon sollten sich die RestEUropäer eine dicke Scheibe abschneiden.
Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire
Zitat von Fluminist im Beitrag #28Hmmm, liegt es nicht gerade in der Natur informeller Verhandlungen, daß sie im Regelwerk nicht vorgesehen und geregelt sind? Da hat Juncker eigentlich überhaupt nichts zu befehlen oder zu verbieten.
Da in der Natur informeller Verhandlungen ebenfalls steht, daß es kein Recht auf sie gibt, kann die Kommission durchaus die Linie wählen, sie zu gewähren. Worauf die britische Regierung in dieser Situation einzig ein Recht hat, ist das Jedermannrecht einer Petition. Darauf müßte die Kommission tatsächlich reagieren. Aber selbst wenn die britische Regierung die Kommission um eine "Vorschau" bittet, wie es nach der Austrittserklärung abläuft, kann die Kommission nichts versprechen, weil ja noch die anderen Regierungen (im europäischen Rat) mitentscheiden. Die Einholung ihrer Stellungnahme durch die Kommission wäre wiederum ein formaler Akt, der bei informellen Verhandlungen nicht denkbar ist.
Natürlich ist Herr Juncker mit dem Beharren auf diesen Regeln ein Spielverderber gegenüber den Regierungen, die in ihren eigenen Belangen gerne die unbedarfte Anarchie leben, die sie bei ihren Untertanen gewöhnlich hart bestrafen.
Zitat von Emulgator im Beitrag #19Keinen Spielraum gibt es allerdings hinsichtlich der Frage, daß informelle Verhandlungen vor der Erklärung der Austrittsabsicht nicht vorgesehen sind. Insofern hat Juncker völlig korrekt die Kommissare daran erinnert, daß so etwas nicht geschehen dürfe.
Hmmm, liegt es nicht gerade in der Natur informeller Verhandlungen, daß sie im Regelwerk nicht vorgesehen und geregelt sind? Da hat Juncker eigentlich überhaupt nichts zu befehlen oder zu verbieten.
Es gibt kein Regelwerk für das weitere Prozedere. Aber es gibt ein Regelwerk für die Arbeit der Kommission. Einzelne Kommissare dürfen selbstverständlich genausowenig auf eigene Faust mit dem UK verhandeln wie Londoner Minister jetzt nicht auf eigene Faust nach Brüssel fahren und ohne Genehmigung von Kabinett und PM verhandeln dürfen.
Falls es zum Austrittsantrag kommt, müßten m. E. auf beiden Seiten die zuständigen Gremien (in erster Linie Kabinett und Kommission) die jeweiligen Verhandlungsziele formulieren und öffentlich machen. Und dann definieren, wer jeweils für welchen Teil der Verhandlungen mandatiert wird. Dann erst beginnen die (vertraulichen) Gespräche.
Zitat von R.A. im Beitrag #32Was im wesentlichen daran liegt daß kein Brexiteer bisher darlegen konnte, wo eigentlich die tollen neuen Ideen für das UK sind, die von Brüssel bisher verhindert wurden.
So wie die Dinge liegen, sind wir vorerst im "blühende Landschafts"-Modus. Seis drum.
Eben. Und das schmerzt schon bei einem Mann wie Matt Ridley, den ich ansonsten wegen seines Sachverstands und seines Pragmatismus schätze.
Selbstverständlich: WENN das UK sich jetzt liberal reformieren würde, dann würde es sich wahrscheinlich besser entwickeln. Aber dafür bräuchte es den Brexit überhaupt nicht, wohl aber eine liberale/reformorientierte Mehrheit in GB. Und die ist halt überhaupt nicht in Sicht, schon gar nicht bei den Brexiteers. Die setzen eher auf ein sozialistische Volksheim mit Sonderbeziehung zu den Kolonien. Nur daß das bei diesen Kolonien natürlich nicht auf Gegenseitigkeit stoßen wird. Natürlich wollen die Wirtschaftsbeziehungen AUCH für GB. Aber in erster Linie mit Europa insgesamt - und die sind ihrer ehemaligen Kolonialmacht nicht so dankbar, daß sie ihr spezielle Vorteile schenken wollen.
Eben. Und das schmerzt schon bei einem Mann wie Matt Ridley, den ich ansonsten wegen seines Sachverstands und seines Pragmatismus schätze.
Dem Text von Matt Ridley kann ich größtenteils zustimmen, auch wenn ich in einigen Details anderer Ansicht bin.
Jedenfalls ist das, was er schreibt, deutlich überzeugender als alle Argumente, die ich bisher vom "Remain"-Lager gehört habe. Insbesondere der ganze Zoll-/Handelskomplex wird m.E. oft zu positiv für "in der EU" ausgelegt. Die EU bietet Vorteile für den Handel innerhalb der EU, aber auch Nachteile für den Handel außerhalb der EU. Die EU als Versammlung stagnierender überschuldeter Volkswirtschaften ist nun nicht gerade das ökonomische Zugpferd im Welthandel.
Zitat Selbstverständlich: WENN das UK sich jetzt liberal reformieren würde, dann würde es sich wahrscheinlich besser entwickeln. Aber dafür bräuchte es den Brexit überhaupt nicht, wohl aber eine liberale/reformorientierte Mehrheit in GB.
Bisher sind die Briten mit auch nur ansatzweise liberalen Forderungen bei der EU doch meist am ausgestreckten Arm verhungert. Auch wenn ich in GB nicht die große liberale Bewegung wahrnehme und vorhersehe: wenn die kommen sollte, sind die Briten außerhalb der EU deutlich besser dran und können ihre Reformen viel einfacher um- und durchsetzen.
Wenn die Sozialisten das Ruder übernehmen, ist eh egal, ob das innerhalb oder außerhalb der EU passiert.
Zitat von hubersn im Beitrag #37Die EU bietet Vorteile für den Handel innerhalb der EU, aber auch Nachteile für den Handel außerhalb der EU.
Welche Nachteile sollten das sein? Nehmen wir mal den Handel mit (willkürlich rausgegriffen) Brasilien. Warum sollte es für ein EU-Mitglied schwieriger sein, mit Brasilien Handel zu treiben als für ein Nicht-EU-Mitglied? Diese These erscheint mir erst mal nicht plausibel und müsste begründet werden.
Aber selbst WENN dies begründet werden könnte: Es gibt im internationalen Handel immer noch ein Grativationsmodell. Entfernung spielt eine Rolle. (Nicht nur die geographische Entfernung sondern auch die kulturelle Entfernung - gerade bei Dienstleistungen ist das wichtig). Handel mit Deutschland oder den Niederlanden ist aufgrund der räumlichen und kulturellen Nähe für UK viel einfacher als mit z.B. Brasilien. Einen ggf. wegfallenden Handel mit der EU durch ein Handelsplus mit dem Rest der Welt zu kompensieren wird nicht so einfach sein.
Zitat von hubersn im Beitrag #37Die EU bietet Vorteile für den Handel innerhalb der EU, aber auch Nachteile für den Handel außerhalb der EU.
Welche Nachteile sollten das sein? Nehmen wir mal den Handel mit (willkürlich rausgegriffen) Brasilien. Warum sollte es für ein EU-Mitglied schwieriger sein, mit Brasilien Handel zu treiben als für ein Nicht-EU-Mitglied? Diese These erscheint mir erst mal nicht plausibel und müsste begründet werden.
Der Vorwurf war, dass die EU es nicht geschafft habe, mit den angesprochenen Ländern Handelsvereinbarungen zu treffen. Großbritannien könnte das in Eigenregie, unabhängig von der EU.
Zitat von Martin im Beitrag #39Der Vorwurf war, dass die EU es nicht geschafft habe, mit den angesprochenen Ländern Handelsvereinbarungen zu treffen. Großbritannien könnte das in Eigenregie, unabhängig von der EU.
Der Stand der Vereinbarungen mit dem Mercosur (Brasilien, Argentinien, Uruguay, Paraguay, Venezuela) kann man hier nachlesen. Weil die Mercosur-Länder zuletzt abwechselnd schwere innenpolitische Krisen haben, sind sie derzeit keine aktiven Verhandlungspartner. Gegenüber dem UK gäbe es erst recht keine Erfolge, denn wenn man schon eine innenpolitische Krise hat, will man sich nicht noch mit Handelsvereinbarungen gegenüber Zwergstaaten verzetteln.
Zitat von Florian im Beitrag #9D.h. sobald UK die Atombombe "Austrittsantrag" zündet, wird ein juristischer Mechanismus in Gang gesetzt. Der weitere Gang ist dann nicht mehr in der freien Entscheidung von UK. Sondern UK wird dann zwangsweise der Stuhl vor die Tür gesetzt, ganz egal was UK-intern dann die Mehrheitsmeinung sein sollte.
Das ist eine mögliche Auslegungsvariante, die auch durchaus vom Wortlaut des Art. 50 EUV nahegelegt wird. Aber explizit äußert sich die genannte Norm nicht zu der Möglichkeit einer Zurückziehung des Austrittsantrags. Geht man deshalb davon aus, dass bei dieser Frage auf allgemeines Völkervertragsrecht zu rekurrieren ist, so kann der austrittswillige Staat seinen Antrag jederzeit zurückziehen, solange die Austrittserklärung noch nicht rechtswirksam ist (siehe Art. 68 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen, welches - obwohl mangels Ratifikationsquorums nicht in Kraft und mangels EU-Beteiligung auf den gegenständlichen Fall ohnehin nicht direkt anwendbar - entsprechendes Völkergewohnheitsrecht kodifiziert und deshalb beachtlich ist). Das würde in concreto bedeuten, dass das UK seine Austrittserklärung in der Zweijahresfrist nach Belieben widerrufen kann. (Anders sieht es wohl aus, wenn ein Austrittsabkommen geschlossen wurde und dieses vor seinem Inkrafttreten widerrufen wird. Da müsste dann wohl doch der Grundsatz venire contra factum proprium nemini licet, d.h. das Verbot, ein beim Kontrahenten erwecktes Vertrauen zu enttäuschen, schlagend werden. Die bloße Austrittsabsichtserklärung, so ja der Wortlaut von Art. 50 EUV, reicht dafür meines Erachtens nicht aus.)
Die letztere Interpretation - Widerrufsmöglichkeit vor Fristablauf, wenn kein Abkommen geschlossen wurde - dürfte freilich EU-seits wenig erwünscht sein, könnte sie die Mitgliedstaaten doch dazu ermutigen, mal eine Austrittserklärung abzugeben und je nach Verhandlungsergebnissen die Sache durchzuziehen oder den Antrag zu widerrufen. Ein solcher Rechtsmissbrauch würde wohl eklatant gegen die unionsrechtliche Treuepflicht verstoßen, aber es dürfte schwierig sein, einem Staat eine solche Pokerspielerattitüde nachzuweisen.
Meiner unmaßgeblichen Ansicht nach ist diese Interpretation gleichwohl zutreffend. Denn wenn man davon ausgeht, dass mit Zugang der Austrittsabsichtserklärung beim Europäischen Rat das Ob des Austritts unwiderruflich bejaht ist und die Zweijahresfrist nur noch gleichsam der Regelung der Folgen der rechtskräftigen Scheidung dient, so ist doch unverständlich, warum der austrittswillige Staat in den zwei Jahren - mit Ausnahme des Austrittsverfahrens - noch seine Stimmrechte in den EU-Gremien behält. Dass dies der Fall ist, ergibt sich eindeutig aus einem Gegenschluss zu Abs. 4 der in Rede stehenden Norm, welcher da lautet:
Zitat von Art. 50 Abs. 4 EUVFür die Zwecke der Absätze 2 und 3 nimmt das Mitglied des Europäischen Rates und des Rates, das den austretenden Mitgliedstaat vertritt, weder an den diesen Mitgliedstaat betreffenden Beratungen noch an der entsprechenden Beschlussfassung des Europäischen Rates oder des Rates teil.
Diese Vorschrift wäre sinnlos, wenn der austrittswillige Staat mit dem Zugang seiner Mitteilung ohnehin in toto seiner Stimmrechte verlustig ginge. Es ist eine Sache, die Grundfreiheiten und den Binnenmarkt hinsichtlich des Ausscheiders nicht ohne Vorankündigung von jetzt auf gleich zu beenden. Dies trifft aber nicht auf seine Stimmrechte zu. Die könnte man einem Staat ziemlich reibungslos von einem Tag auf den anderen nehmen. Aber das ist ganz offensichtlich nicht gewollt. In gewisser Weise hätten wir die seltsame Konstellation, dass ein Paar zwar geschieden ist, die ehelichen Rechte und Pflichten aber noch zwei Jahre lang fortbestehen.
Meines Erachtens ist deshalb davon auszugehen, dass es sich bei der Zweijahresfrist um eine echte Vertragskündigungsfrist handelt und der austrittswillige Staat in dieser Frist seine Erklärung kraft Völkergewohnheitsrechts jederzeit zurückziehen kann.
Zitat von Noricus im Beitrag #41Meines Erachtens ist deshalb davon auszugehen, dass es sich bei der Zweijahresfrist um eine echte Vertragskündigungsfrist handelt und der austrittswillige Staat in dieser Frist seine Erklärung kraft Völkergewohnheitsrechts jederzeit zurückziehen kann.
Im Ergebnis teilt ein britischer Gastautor auf dem Verfassungsblog meine Ansicht: siehe Duff, Andrew: Everything you need to know about Article 50 (but were afraid to ask), VerfBlog, 2016/7/04, http://verfassungsblog.de/brexit-article-50-duff/
Im Augenblick überlegen z.B. Ryan Air und easyJet, mit ihren Firmensitzen UK zu verlassen und sich in anderen EU-Ländern anzusiedeln, um den EU-Marktzugang zu behalten. Was passierte, wenn beide Gesellschaften (als Beispiel) in Europa weiter wie bisher ihre Dienste anbieten könnten, auch wenn UK nicht mehr EU-Mitglied ist, solange sie die gesetzlichen Bestimmungen der Länder, in denen sie tätig sind, beachten (Arbeitsschutz, technische Vorschriften etc. analog zur StVZO, die auch für Fahrzeuge gilt, die außerhalb der Eu zugelassen sind; Besteuerung der Erträge entsprechend der gesetzlichen Vorgaben...)?
Was verändert sich mit der EU-Mitgliedschaft? Die einzigen Veränderungen, die mir sofort einfallen, sind, daß ich nun mit dem EuGH ein weiteres Gericht habe, vor dem ich jemanden beklagen könnte. Bezüglich technischer Vorschriften wie z.B. Arbeitsschutz gibt es nun eine weitere Instanz, die sagt, das ist zu wenig oder übertrieben. Auf D bezogen ist Betriebssicherheit und Haltbarkeit ein wesentliches Verkaufsargument. Reiskocher mit erheblicher Neigung zur Selbstexplosion dürften damit unverkäuflich sein, auch wenn "durch die EU eine Vertriebsgenehmigung erteilt wird", wohingegen ich bombentaugliches Schwarzpulver aus Polen de facto ungehemmt einführen kann, obwohl "durch EU-Vorschriften untersagt".
Wofür brauche ich die EU - darauf läuft's hinaus. Deshalb würde ich einem Austritt D aus der EU keine großen Steine in den Weg legen. Ich habe den Sinn nicht verstanden.
Zitat von hubersn im Beitrag #37Die EU bietet Vorteile für den Handel innerhalb der EU, aber auch Nachteile für den Handel außerhalb der EU.
Welche Nachteile sollten das sein? Nehmen wir mal den Handel mit (willkürlich rausgegriffen) Brasilien. Warum sollte es für ein EU-Mitglied schwieriger sein, mit Brasilien Handel zu treiben als für ein Nicht-EU-Mitglied? Diese These erscheint mir erst mal nicht plausibel und müsste begründet werden.
Die EU hat eine ganze Menge Handelsschranken für den Import festgelegt, v.a. im Bereich landwirtschaftlicher Erzeugnisse, aber z.B. auch klassische Strafzölle um die heimische Wirtschaft zu schützen (man denke an das klassische Beispiel chinesischer Solarmodule).
Auch denke ich, dass der britische Pragmatismus beim Aushandeln von Freihandelsabkommen die Sache deutlich vereinfacht gegenüber der EU-Idee des allumfassenden sozialistischen Konsens. Wie lange macht man jetzt mit TTIP rum? Und was steht da alles drin, was jetzt nicht zwingend in ein Freihandelsabkommen gehört?
Zitat von Florian im Beitrag #38 Aber selbst WENN dies begründet werden könnte: Es gibt im internationalen Handel immer noch ein Grativationsmodell. Entfernung spielt eine Rolle. (Nicht nur die geographische Entfernung sondern auch die kulturelle Entfernung - gerade bei Dienstleistungen ist das wichtig). Handel mit Deutschland oder den Niederlanden ist aufgrund der räumlichen und kulturellen Nähe für UK viel einfacher als mit z.B. Brasilien. Einen ggf. wegfallenden Handel mit der EU durch ein Handelsplus mit dem Rest der Welt zu kompensieren wird nicht so einfach sein.
Tja, die goldene Frage ist: wieviel Handel fällt weg? Deutschland exportiert sehr viel mehr nach GB als GB nach Deutschland exportiert - ich glaube nicht (sobald sich der Pulverdampf verzogen hat), dass die EU ein Interesse hat den Handel mit GB künstlich zu beschränken. Und GB exportiert v.a. Öl und ölbasierte Produkte, Gold (!), Pharmaprodukte und Flugzeugteile (v.a. Turbinen). Alles Dinge, die man prima dem Rest der Welt verkaufen kann.
Und der weltweite Handel hat sich ja gegenüber den 70ern, als die britische Wirtschaft vom beginnenden Binnenmarkt stark profitierte, grundlegend gewandelt. Entfernung spielt immer weniger eine Rolle. Schon die "Basistarife" der WTO (also wenn man kein explizites Abkommen schließt) sind recht handelsfreundlich gegenüber der zolllastigen Zeit der 70er. Ob kulturelle Nähe heute noch eine große Rolle spielt - da kann ich nur raten. Ich vermute aber, dass die Engländer kulturell den Amerikanern, den Kanadiern, den Australiern und den Neuseeländern näher stehen als den Deutschen, den Franzosen oder den Niederländern.
Zitat von Reisender im Beitrag #44Im Augenblick überlegen z.B. Ryan Air und easyJet, mit ihren Firmensitzen UK zu verlassen und sich in anderen EU-Ländern anzusiedeln, um den EU-Marktzugang zu behalten.
Eine sehr naheliegende Maßnahme, das überlegen sich auch viele andere Firmen. Wobei die reine Verlegung des Firmensitzes natürlich erst einmal nicht so viel ändert, da hängen nicht so viele Arbeitsplätze dran. Aber mittelfristig ist das natürlich ein unguter Trend für das UK, weil reine Filialbetriebe fernab des Firmensitzes nicht so gute Entwicklungschancen haben.
Zitat Was passierte, wenn beide Gesellschaften (als Beispiel) in Europa weiter wie bisher ihre Dienste anbieten könnten, auch wenn UK nicht mehr EU-Mitglied ist, ...
Dann würde natürlich nicht viel passieren - aber das setzt voraus, daß das UK in den Verhandlungen den vollen Binnenmarktzugang behält (analog Schweiz/Norwegen).
Ich halte das auch für das wahrscheinlichste Szenario, falls es überhaupt zum Brexit kommt. Nur: Damit sind natürlich fast alle Versprechen der Brexiteers für die Tonne. GB verliert dann massiv Einfluß, hat aber kaum zusätzliche Vorteile.
Zitat Wofür brauche ich die EU - darauf läuft's hinaus.
Für exakt den Binnenmarkt, für den Norwegen, die Schweiz und vielleicht künftig das UK jährlich dicke Beiträge zahlen. Es ist eben nicht so, daß die EU-Bürokratie nur faul rumhängt oder überflüssige Vorschriften erfindet. Sondern sie schafft die Grundlagen, daß jedes im EU-Raum hergestellte Gut in allen angeschlossenen Staaten frei verkauft werden kann.
Zitat von hubersn im Beitrag #45Auch denke ich, dass der britische Pragmatismus beim Aushandeln von Freihandelsabkommen die Sache deutlich vereinfacht gegenüber der EU-Idee des allumfassenden sozialistischen Konsens.
Der angebliche "sozialistische Konsens" bei der EU ist ein substanzloser Mythos. Richtig ist, daß Grüne und Sozialisten es immer wieder schaffen, über die nationalen Regierungen Schnapsideen wie das Glühlampenverbot auf EU-Ebene durchzudrücken. Aber das sind eben Einzelideen. Von der Grundstruktur ist die EU auf Freihandel, Deregulierung und Liberalisierung angelegt. Genau deswegen ist sie ja bei Links- und Rechtsextremen so verhaßt. Die EU behindert "Rekommunalisierung" und sehr viele marktverzerrende Subventionen. Der Zwang zur EU-weiten Ausschreibung von öffentlichen Großaufträgen hat den lokalen Parteienfilz nachhaltig kaputt gemacht.
Zitat Wie lange macht man jetzt mit TTIP rum?
Das ist nicht die Schuld der EU. Sondern eben der vielen nationalistischen Lobbies, die ihre Sonderinteressen gegen mehr Liberalisierung verteidigen möchten.
Zitat Und was steht da alles drin, was jetzt nicht zwingend in ein Freihandelsabkommen gehört?
Ja was? Und gegebenenfalls: Wer hat dafür gesorgt, daß das reinkommt?
Zitat ich glaube nicht (...), dass die EU ein Interesse hat den Handel mit GB künstlich zu beschränken.
Natürlich nicht. GB wird halt einfach seinen Beitrag zahlen müssen. Womit sich dann die Versprechen der Brexiteers in Luft auflösen.
Zitat Alles Dinge, die man prima dem Rest der Welt verkaufen kann.
Was GB ja auch tut. Weil es eben nicht so ist, daß die EU dabei ein Hindernis wäre.
Zitat Schon die "Basistarife" der WTO (also wenn man kein explizites Abkommen schließt) sind recht handelsfreundlich gegenüber der zolllastigen Zeit der 70er.
Zölle sind heute nicht mehr das große Thema. Das Haupthindernis für echten Freihandel sind nicht-tarifäre Regelungen, insbesondere beim "Verbraucherschutz". Genau die machen ja auch Freihandelsabkommen wie TTIP schwierig. Und das wird nicht leichter, wenn das UK für sich selber verhandelt.
Zitat Ich vermute aber, dass die Engländer kulturell den Amerikanern, den Kanadiern, den Australiern und den Neuseeländern näher stehen als den Deutschen, den Franzosen oder den Niederländern.
Teilweise. Aber "kulturelle Nähe" zahlt keinen Cent.
Zitat von R.A. im Beitrag #47 Die EU behindert "Rekommunalisierung" und sehr viele marktverzerrende Subventionen.
Über die Hälfte des EU-Budgets sind immer noch Agrarsubventionen. Und daß die EU das 1A-Beispiel für die desaströse Wirkung subventionerter Fehlallokationen namens Energiewende verhindert hätte: schön wärs.
Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire
Zitat von R.A. im Beitrag #46[quote="Reisender"|p134529] Es ist eben nicht so, daß die EU-Bürokratie nur faul rumhängt oder überflüssige Vorschriften erfindet. Sondern sie schafft die Grundlagen, daß jedes im EU-Raum hergestellte Gut in allen angeschlossenen Staaten frei verkauft werden kann.
Und wie lange dauert dieses "Schaffend er Grundlage"? 5 Sekunden?
Es ist doch die Ironie schlechthin, dass das einzige Druckmittel, das die EU besitzt die Drohung mit Handelsschranken ist, wobei sich fur inner-europaeischen Freihandel eine grosse Mehrheit in allen Staaten findet und von denen auch die EU Politik ueberzeugt ist, dass er im gegenseitigen Vorteil ist/waere. Die Drohung den europaischen Markt fur UK zuzumachen, ist daher nichts anderes als Mobbing a la Putin.
Zitat von dirk im Beitrag #49 Und wie lange dauert dieses "Schaffend er Grundlage"? 5 Sekunden?
Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Der Freihandel waere eigentlich selbstverstaendlich. Es braucht Beamte und Ressourcen wie eben die EU-Buerokratie diesen einzuschraenken.
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