unter den Zimmerleuten und ähnlichen Gruppen mangelt es ja nicht an düsteren Prognosen und traurigen Beschreibungen der Realität.
Und tatsächlich scheint die Sachlage dies zumindest zum Teil zu bestätigen: - Wir haben nach wie vor eine "Flüchtlingskrise" und niemand scheint eine gute, menschenwürdige Antwort darauf zu kennen. - Es gibt wahnsinnige Anstrengungen in Richtung einer Schuldenunion mit europäischer Sozialversicherung und "Budget der Eurozone". Der nächste EZB-Chef wird wahrscheinlich auch keinen wesentlich anderen Kurs mehr fahren. Schon weil das nicht mehr geht - In der ganzen Westlichen Welt laufen "Fake News"-Kampagnen und jede Kritik am Bestehenden läuft inzwischen Gefahr, in diese Schublade gestellt zu werden. Da ist es nicht sehr hilfreich, wenn einige Kritiker unterirdische Recherchestandards an den Tag legen und ihre Kritik mit Vorstellungen einer Weltverschwörung mischen. - Wir haben die DSGVO und das europäische Leistungsschutzrecht inklusive Linksteuer. Grade die Linksteuer dürfte den Charakter des Internets doch stark ändern. Unter den Bedingungen sehe ich eigentlich kaum noch eine Chance für kleine, anonyme Blogs wie Zettels Raum es früher war. Mit anderen Worten: Sowas wie ZR dürfte unter heutigen Bedingungen schon unmöglich sein. Der einfache Bürger wird damit wieder auf die Rolle als passiver Konsument beschränkt. - Inzwischen gehört es bei manchen Intellektuellen schon zum guten Ton, dem Wirtschaftswachstum abzuschwören und stattdessen alternative Modelle mit den "Glück" im Fokus zu propagieren. Dass man damit andere Leute zu ihren Glück zwingen will, scheint ein Einwand zu sein, auf die sie gar nicht kommen. - usw.usf.
Ich glaube, wir alle hir kennen diese Punkt und jeder könnte selbst eine Collage davon erstellen.
Meine Frage in diesem Zusammenhang lautet: Wie sollen die "traditionellen Liberalen", die "Liberalkonservativen" oder wie man das Ganze nennt, jetzt weitermachen?
Ich glaube manchmal, uns ist klar, was wir nicht wollen, aber wir wissen eigentlich nicht, was wir wollen.
Zitat von Johanes im Beitrag #1Ich glaube manchmal, uns ist klar, was wir nicht wollen, aber wir wissen eigentlich nicht, was wir wollen.
Aus liberaler Sicht wäre das wohl mehr Feature als Bug.
-- Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau, verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau. (Reinhard Mey)
ich belebe mal diesen angestaubten Thread wieder, um einige Gedanken zu veröffentlichen, mit denen ich mich in letzter Zeit ein bisschen beschäftigt habe.
1. Es geht um die Frage Was ist Konservativ?
Meines Erachtens gibt es verschiedene Wege, um ein Konservativer zu sein oder ein solcher zu werden. Sicherlich gehört die Etikettierung durch die soziale Umwelt inzwischen wohl häufiger dazu. Es gibt heute tatsächlich viele Leute, die eigentlich Linke oder Liberale sind, aber sich selbst im konservativen Lager wiederfinden und andere, die Wert darauf legen, Linke zu sein, aber eigentlich einen konservativen Standpunkt vertreten. Grade deshalb scheint mir eine eher "abstrakte" Standortbestimmung seine Berechtigung zu haben.
2. Die drei Hauptwege oder großen Wege in den Konservativismus Es gibt drei große Wege in den Konservativismus oder wenn man so will "Hauptströmungen". Bezeichnungen wie "Hauptweg", "Hauptströmung" und dergleichen sollen hier nicht als wertend aufgefasst werden. Diese Strömungen sind nicht irgendwie legitimer als andere Varianten des konservativen Denkens und sie sind vielleicht nicht einmal "authentischer". Es geht nur darum, dass zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Bedingungen diese drei Wege nach Ansicht des Autors immer wieder präsent blieben, während die anderen nicht diese Permanenz hatten.
2.1. Der religiöse Konservativismus Vorab muss festgestellt werden, dass nicht jede politische Betätigung auf Basis der Religion an sich konservativ ist oder sein muss. Es gibt durchaus so etwas wie einen religiös begründeten Sozialismus oder einen Liberalismus, der auf religiösen Fundamenten fusst. Dennoch stellt im Lager der Konservativen der religiös begründete Konservativismus wahrscheinlich die Mehrheit dar. Dieser Konservative weiß sich und die Gesellschaft als Teil eines größeren, metaphysischen Ganzen. Sehr schön zu sehen ist das zum Beispiel beim sog. "katholisch-konservativen Lager". In diesem Rahmen werden bestimmte gesellschaftliche Einrichtungen naturrechtlich abgeleitet, beispielsweise das Eigentum, die klassische Familie (Mann, Frau und Kinder) oder der besondere Schutz religiösen Brauchtums und Glaubens. In einem gewissen Rahmen ist der religiöse Konservativismus durchaus zu Veränderungen fähig und viele Anhänger dieser Strömung haben sich auch mit einem gewissen Fortschritt arrangiert. Ein metaphysisches Ganzes, in das man eingebettet ist, lässt sich ja durchaus "organisch", also sich entwickelnd, wachsend, vorstellen. Was also in den 1950ern schützenswert und gut war, kann heute schlecht sein.
Ein religiöser Konservativer kann dabei im Grunde auch stark säkularisiert, eventuell sogar kaum praktizierend gläubig sein. Der Sonderfalls, dass jemand im engeren Sinne nicht religiös ist, aber dennoch eine Art "metaphysische Legitimation der Gesellschaft" sieht, ist gesondert zu betrachten, weil hier viele Elemente einer Religion wie gemeinsame Gebete, Andachten usw. fehlen.
Diese Gattung des Konservativen scheint auch die größten Überschneidungen zu eher linken Vorstellungen zu haben, etwa im Bereich der Sozialpolitik.
2.1.1. Exkurs: Sakrale Legitimation von Herrschaft Wenn man einen unvoreingenommenen Blick auf die Welt wirft, lässt sich feststellen, dass vielfach die Herrschaft eines Staates auch durch religiöse Symbole oder Rituale bestätigt oder legitimiert wird. Die Situation im Vereinten Königreich auf den britischen Inseln muss man gar nicht groß besprechen, da es dort eine offizielle Landeskirche in Form der angelikanischen Kirche gibt und das Königstum auf die Vorstellung eines Gottesgnadentums zurückgeht. Doch auch in vergleichsweise säkularisierten Staaten wie Deutschland oder den USA gibt es solche Rituale oder Symbole. Beispielsweise beruft sich die deutsche Verfassung in ihrer Präambel explizit auf die "Verantwortung vor Gott", es gibt noch aus Weimarer Zeit einige staatliche Regelungen mit einigen Kirchen, z. B. was Konkordatslehrstühle betrifft. In den USA ist die Situation ebenfalls komplexer als es den Anschein hat. Zwar ist nach dem ersten Zusatzartikel der american bill of rights das Etablieren einer Staatsreligion untersagt, dennoch gibt es eindeutig religiöse Rituale, die das hoheitliche Handeln legitimieren sollen. Auf der Dollarnote steht z. B. "In God we trust", was auch der Wahlspruch, also quasi das Staatsmotto, der USA ist. Das ist natürlich eine Institution, die für einen Atheisten oder Anhänger einer Religion, die so einen Gottesbegriff nicht hat, befremdlich wirken muss und sich abstrakt schwer mit absoluter staatlicher Neutralität vereinbaren lässt. Frisch gewählte Präsidenten und Abgeordnete leisten einen Eid auf die Bibel, wobei das bei den Abgeordneten eine inoffizielle Zeremonie ist. Es wird hier also offensichtlich ein religiöser Bezug hergestellt, der die Amtsführung damit mit Legitimiert. Ebenfalls gibt es im US-Kongress die Einrichtung des Kaplans, beispielsweise des "Chaplain of the United States House of Representatives". Diese Kaplane eröffnen die Sitzungen des Parlaments dort mit einem religiösen Gebet.
Natürlich gibt es auch Beispiele von außerhalb des europäisch geprägten Kulturkreises. Der Tenno in Japan z. B. leitet seinen Herrschaftsanspruch direkt aus den religiösen Vorstellungen des Shinto ab. Von den diversen islamischen Republiken braucht man gar nicht erst zu reden. In wie weit der Kommunismus mit religiösen Formen der Herrscherlegitimation verglichen werden kann, soll hier nicht diskutiert werden.
2.2. Der kulturpessimistische Konservativismus Ein kulturpessimistischer Konservativer ist jemand, der die Idee des Fortschritts an sich in Frage stellt. Man kann hier unterscheiden, ob diese Person (a) die Menschheitsgeschichte als Ganzes oder (b) nur die konkrete historische Epoche, in der er sich befindet entweder (1) in Teilen oder (2) vollständig als Niedergang ansieht. Jemand vom Typ (a2), der also gesamte Menschheitsgeschichte als kompletten Niedergang ansieht, würden wir heute wohl nicht mehr ganz ernst nehmen können. Zu deutlich sind die Zeichen zumindest des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts. Die Position (b1) dagegen ist schon wesentlich schwerer zu widerlegen. Ein Anhänger dieser Position könnte zwar zugeben, dass wir auf den Feld der Naturwissenschaften und Technik, sowie vielleicht auf den Gebiet der Kunst oder Architektur, große Fortschritte gemacht haben. Dafür kann allerdings ein "Verlust der Tugend" eingetreten sein oder die Politik könnte seit Beginn der Neuzeit ihren Bezug zum moralischen Fundament verloren haben, das "theologisch-politische Problem" nicht mehr lösen können. Aus diesen Thesen müsste nicht mal unbedingt folgen, dass man früher moralischer handelte. Es geht ja um die innere Orientierung.
Ein klassischer realer Vertreter dieser Gattung des Konservativismus wäre ein Anhänger der Geschichtsphilosophie Spenglers. Dieser würde ohne Probleme zugeben, dass die abendländische Kultur gewaltige Fortschritte auf dem Gebiet der Technik, Naturwissenschaften, der Philosophie, Literatur und Malerei geleistet hat, allerdings befindet sie sich in der Gegenwart bereits in einer Phase des Niedergangs, in der eine eher geistige Kultur gegen eine rein technische Zivilisation ausgetauscht wird. Auf kulturellen Gebiet sind damit die Bestände die eigentlichen Werte, während Neuerungen tendenziell Symptome des Verfalls sind. Ebenfalls bei Nietzsche, der das "klassische" Altertum verehrte, und bei anderen moderneren Denkern finden sich diese Tendenzen.
Im Grunde genommen ist der wesentliche Zug dieser Form des konservativen Denkens der Gedanke, dass der Fortschritt auch in eine falsche Richtung abdriften könnte. Solche Argumentationen finden sich oft in Bezug auf Moral, Gesellschaft und vereinzelt auch in Bezug auf Gentechnik und andere Technologie. Hier gibt es selten auch eine religiöse Beimischung, da der Mensch sich seit dem Sündenfall von Gott entferne. Ob man einen Zustand als "verfallen" ansieht oder als Sprosse auf den Weg zu etwas besseren, hängt natürlich auch stark vom Blickwinkel, von Bewertungen und Erwartungen in Bezug auf die Zukunft, ab. Für den Anhänger eines möglichst mächtigen Zentralstaates ist dessen Machtverlust eindeutig ein Zeichen des Verfalls, während ein Regionalist das eventuell eher als erfreulich ansieht.
Der kulturpessimistische Konservativismus ist bestimmt nur die Haltung einer relativ kleinen Minderheit, zumindest im Vergleich zu den anderen beiden großen Lagern. Dennoch hört man die Klage, dass die eigene Zeit sich im Niedergang befinde, bemerkenswert konstant durch die Menschheitsgeschichte. Auch besitzt er den Vorzug, dass er wirklich bis auf das Prinzip im Bereich Moral und Ästhetik argumentiert.
2.3. Der skeptische Konservative Der Konservative aus Skeptizismus heraus argumentiert weder mit einer höheren, womöglich göttlichen Ordnung heraus, noch sieht er die aktuelle Epoche ganz oder teilweise als eine Epoche des Verfalls. Vielmehr versucht der Skeptiker zunächst einmal die Dinge in Frage zu stellen. Dabei stellt er fest, dass der Ist-Zustand schon mal irgendwie funktioniert. Bei einer potenziellen Neuerung, egal wie diese auch aussehen mag, ist dies zunächst nicht klar und deshalb muss diese sich besonders beweisen. Das Althergebrachte hat sich mit anderen Worten als funktionierend erwiesen, Neuerungen stehen unter Bewährung.
Der Skeptiker lehnt dabei eine Neuerung auch nicht grundsätzlich ab, er möchte nur lieber im Vorfeld mehr Evaluierungen. Eventuell lehnt er Neuerungen in einigen Punkten schon ab, wenn er nämlich zu der Annahme gelangt ist, dass eine nicht-funktionierende Neuerung auf einen bestimmten Gebiet katastrophale Konsequenzen nach sich ziehen könnte. Wenn z. B. ein "Sprung" in der Agrarwirtschaft die Sicherheit der Nahrungsversorgung bedroht oder eine Energiewende die Versorgungssicherheit. Dies ist aber keine grundsätzliche Ablehnung, sollte in einem anderen Land die Reform erfolgreich getestet werden, kann man sie durchaus übernehmen. Im Grunde genommen argumentiert auch jeder Wissenschaftler auf diese Art "konservativ", wenn er mit einer neuen Theorien konfrontiert wird. Er sucht sie erst Mal nach Schwachstellen ab und bleibt solange auf der Basis der alten Theorie.
Als Konservativen dieser Gattung kann man sich im realen Leben am Ehesten bestimmte Interpretationen der politischen Philosophie Karl Poppers ("Stückwerksozialtechnik") vorstellen oder der Gesellschaftstheorie von v. Hayek (Rationalität "evolutionsökonomisch" als Tradition). Wobei beide dieser Denker mit gewissen Anspruch auch als Liberale gezählt werden könnten. Überhaupt ist dieser Typ wohl allgemein derjenige, der die meisten Übereinstimmungen mit dem Liberalismus hat.
Kleiner Zusatz, ich würde über weite Strecken auch unseren ehemaligen Gastgeber, Zettel, in diese Kategorie einteilen wollen.
3. Die kleinen Strömungen Eines Vorab, dieser Abschnitt wird nicht jeder Art von Konservativismus, die real existiert, Rechnung tragen. Schon gar nicht jeder irgendwie denkbaren. Sie wird notwendigerweise noch viel grober formuliert sein als die Beiträge über die "großen Strömungen".
Anhänger einer Form von Aristokratie, gleichgültig ob als Adelsrepublik, als "Bestenauslese" oder als Monarchie gedacht, werden häufig auch dem konservativen Lager zugerechnet. Für jemanden, der schon die demokratische Gleichheitsidee ablehnt, ist bei typischen Linken oder Liberalen natürlich tendenziell kein Platz. Dennoch ist zu Fragen, ob Reaktionäre allgemein, also Leute, die einen vorherigen Zustand wiederherstellen wollen, überhaupt in das konservative Lager gehören.
Auch werden manche Leute zu "Konservativen", weil sie einzelne "progressive" Ideen ablehnen. Das kann z. B. passieren, wenn man heute öffentlich gegen Gender Mainstream argumentiert. In den 1960er Jahren und darüber hinaus dürfte das auch viele Leuten passiert sein, die eine marxistische Geschichtsauffassung für unseriös hielten. Selbst wenn man sich apolitisch hält oder sogar bewusst vom Konservativismus abgrenzen will, kann es sein, dass man von außen in diese Strömung gerät. Das scheint mir allerdings eher eine negative Folge der Ausgrenzung von Diskussionsteilnehmern zu sein als eine Form der politischen Positionierung. Es gibt auch Leute, die aus verschiedenen Gründen vorläufig oder langfristig Ruhe vor Veränderungen wünschen, etwa ein Unternehmer, der sich nicht auf ständig ändernde Gesetze einstellen will. Diese Leute können dadurch ebenfalls zu Konservativen werden.
Dann gibt es gewisse Strömungen des Nationalismus, die heute ebenfalls mit den konservativen Standpunkt assoziiert werden. Allerdings gibt es Formen der Lobpreisung der eigenen Gesellschaft auch in explizit linken Gesellschaften. Hier könnte man über die Zuordnungen streiten. Will jemand, der seine eigenen Gruppe vorne sehen will, eventuell auch zu Lasten von Dritten, deshalb etwas "erhalten", "konservieren"?
Auch gibt es Leute die meinen, ein spezielles, besonders wertvolles oder erhaltenswertes Erbe weiterzugeben. Das kann irgendwelches Brauchtum sein, eine wirtschaftliche Position usw.
4. Versuch eines Fazit Insgesamt ist das Phänomen komplex. Es gibt, nicht zuletzt weil die Begriffe nicht klar bestimmt sind, verschiedene Auffassungen zum selben Thema. Vermutlich wird man diese Vielfalt akzeptieren müssen.
Kritik und Anregungen sind gerne willkommen. Der Autor wird sie aufnehmen und damit seine eigene Meinung verbessern wollen.
Kleiner Zusatz zu großer Textwüste: 1. Ich finde es echt schade, dass hier im Forum die Resonanz auf meinen Beitrag so gering geblieben ist. Daher musste ich den Text online und offline ein wenig zirkulieren lassen und mir selbst Gedanken machen. Selbstkritik ist natürlich nie so wie Fremdkritik, aber dennoch habe ich ein paar Änderungen.
2. Der Abschnitt "Exkurs" sollte möglicherweise raus. Es führt vom Thema weg.
3. Die Leute, die unwillentlich ins Konservative Lager kommen, weil die Linken sie einfach nicht mehr akzeptieren, sollten einen eigenen Punkt bekommen. Das Phänomen scheint Jahrhunderte alt zu sein und lässt sich mindestens bis in die Zeit der französischen Revolution zurückdatieren. Damals polarisierte die Revolution und viele eigentlich aufklärerische Denker fanden sich darauf neben Reaktionäern und Traditionalisten als Gegner der Revolution wieder.
4. Im Fazit fehlt eine persönliche Bewertung durch den Autor. Hierzu zwei Punkte. Irgendwie steht bei der Beschäftigung mit dem Konservativismus an sich immer die Frage im Raum: "Was ist eigentlich gefährlich am Konservativismus? Wann ist Rechts zu rechts?" Ich vermute, dass der Kulturpessimismus das größte Potenzial hat, gefährlich zu werden. Der religiöse und skeptische Konservative hat eben den Vorteil, dass er weiß oder zu wissen glaubt, auf lange Sicht eben recht zu haben. Der Skeptiker spielt dabei extrem auf Sicherheit, während der Religiöse seinen Glauben hat. Der Kulturpessimist kann dagegen auf den Gedanken kommen, dass er mehr tun muss, um die alten Werte und Güter zu verteidigen.
Das heißt aber nicht, dass diese Strömung pauschal im Unrecht wäre oder grundsätzlich gefährlich. Es ist nur die gefährlichste Strömung der großen, es gibt sicherlich auch gefährliche Konservative anderer Strömungen.
5. Natürlich kann auch der Nationalismus oder andere Gruppenegoismen zu unerwünschten Resultaten führen. Dazu werde ich einen eigenen, längeren Beitrag schreiben, weil ich glaube, dass man diese Gedanken tiefer treiben muss. Hier sind allerdings einige Vorarbeiten notwendig und einige unklare Vorstellungen müssen dafür konkretisiert werden. Da ich eigentlich einige wichtigere Dinge in der Pipeline habe, könnte man es auch so formulieren: Wann immer die Prokrastination wieder einen größeren Sieg feiert, wird das in Angriff genommen.
7. Ich entschuldige, dass ich die Leser mit dieser sehr langweiligen Betrachtung quäle. Ich denke allerdings es kann hilfreich sein, sich klarzumachen, was Konservativismus eigentlich ist. Sonst überlässt man Leuten das Feld, die uns erklären wollen "konservativ ist, was die Umwelt erhält" und dergleichen.
ich finde auch, dass Ihre Ausführungen mehr Resonanz verdient hätten, aber dagegen sprechen zwei gewichtige Gründe.
Zum einen, dass eine Resonanz, die dem Niveau der Ausgangsfrage und der des Forums entspräche, Zeit erfordert. Zeit, die mir z.B. im Moment fehlt, weil mir andere Dinge wichtiger sind. Zum anderen, dass Ihr Anspruch
Zitat von Johanes im Beitrag #5Ich denke allerdings es kann hilfreich sein, sich klarzumachen, was Konservativismus eigentlich ist.
das Scheitern bereits in sich trägt. Ich habe Jahres der Auseinandersetzung um die Frage erlebt, was denn eigentlich "liberal" sei, und ich wette, die Frage um das "Konservative" würde mindestens dieselbe Zeit beanspruchen. Kurz: Es bringt nicht allzu viel. Dennoch ist der Versuch lobenswert, weil er Aspekte beleuchtet, die im alltäglichen Streit gerne unter den Tisch fallen. Ich habe es auch mal versucht, allerdings natürlich ebenfalls ohne den Anspruch auf Allgemeingeltung, eher als Diskussionsbeitrag: https://werwohlf.wordpress.com/2018/04/08/konservativ/
-- Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau, verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau. (Reinhard Mey)
dieser Thread wurde ursprünglich ja nicht aufgemacht, um theoretische Betrachtungen zur Politik anzustellen, sondern um die Frage "Was ist zu tun?" zu beantworten. Deshalb nehme ich mir, mit der gebührenden Bescheidenheit, das Recht, einen Vorschlag zu unterbreiten. Es soll diesmal um die Frage gehen, wie wir mit dem Islam richtig umgehen sollen. Dabei gilt es natürlich, Verhältnismäßigkeit und Augenmaß zu bewahren. Die ersten beiden von mir vorgeschlagenen Maßnahmen betreffen rein die Art und Weise, wie die Diskussion geführt wird.
Ich bitte ausdrücklich um Kritik, denn nichts von dem, was jetzt folgt, ist in Stein gemeißelt.
1. Klare Benennung Stellen Sie sich, lieber Leser, mal folgende Frage: Nehmen wir an, wir hätten größere Probleme mit spanischen oder italienischen Einwanderern, würden wir in dieser Situation die Einwanderer ausschließlich als "Katholiken" bezeichnen, Verhandlungen mit Bischöfen und anderen Kirchenoberen führen, mehr Toleranz für die Kirche fordern und dergleichen oder würden wir nicht vielmehr diese Leute als Italiener, Spanier oder ähnliches betrachten? Natürlich würde es ebenfalls nichts nutzen, mit der spanischen Regierung darüber zu verhandeln, wie sich die spanischen Einwanderer in 2. oder 3. Generation verhalten. Im Falle von türkischen und anderen Einwanderer aus dem Orient gilt diese Regel nicht. Wir haben Probleme mit dem Kopftuch oder mit gewissen Wertvorstellungen in den Milieus unserer Städte und wir veranstalten dann irgendwelche "Islam-Konferenzen". Dadurch zwingen wir selbst säkulare oder andersgläubige Einwanderer zwangsläufig in diese Rolle und helfen der Identifizierung mit der Religion sogar.
Wir sollten auch den Fehler vermeiden, von "Integrationsproblemen" oder "Problemen mit Einwanderern" zu reden. Es ist in der öffentlichen Debatte schon jeden klar, dass damit nicht die polnischen, italienischen oder thailändischen Einwanderer gemeint sind.
Mein Ratschlag: Wenn jemand in einer Diskussion davon spricht, dass wir Integrationsprobleme mit Einwanderer haben, dann sollten wir sofort zurückfragen, welche "Einwanderer" usw. er eigentlich meint. Die sprachliche Verschleierung des Problems ist Teil des Problems. Wenn wir uns durch eine "gesellschaftliche Debatte" eine Lösung für dieses Problem erhoffen, dann müssen wir die Leute dazu zwingen, die Dinge klar zu benennen.
2. Der Islam hat eine Sonderstellung Jeder, der schon mal eine Diskussion zu diesem Thema verfolgt hat, wird es bemerkt haben. Es herrscht bei uns der tief empfundene Drang vor, jede Religion gleich zu behandeln. Wer sich über Kirchenglocken oder eine Kette mit einem Kreuz nicht genauso aufregt wie über Muezzin-Rufe oder ein Kopftuch, dem unterstellt man sehr schnell sinistre Motive. Diese Vorwürfe implizieren natürlich bereits, dass die verschiedenen Religionen zumindest auf einer grundsätzlichen Ebene gleich sind. Das ist sicherlich Teil der westlichen Toleranz, die sich nach den Religionskriegen und der Reformation ausgebreitet hat. Trotz dieser guten Herkunft und Funktion halte ich diese Ansicht dennoch für zu Kurz gegriffen. Natürlich hat es eine andere Auswirkung auf einen Menschen, ob er einfach z. B. evangelischer Christ ist und jeden Sonntag in die Kirche geht oder ob er Mitglied einer Weltuntergangssekte ist, die sich in der Endzeit der geheimen Offenbarung des Johannes und des Buchs Daniel wähnt. Es sind von solchen Weltuntergängen schon aussagekräftige Dinge überliefert, von Leute, die ihren gesamten irdischen Besitz verschenken, ihre Häuser verkaufen, das Arbeiten einstellen usw., weil sie davon ausgehen, dass die Welt bald nicht mehr existiert. Wenig überraschend, aber die Leute nehmen die Inhalte ihrer Glaubenslehren durchaus ernst.
Ebenso macht es meines Erachtens einen Unterschied, ob man einer Religion folgt, die lehrt alle irdischen Anhänglichkeiten hinter sich zu lassen (und das Herz an Gott zu hängen oder das Nirvana zu empfangen) und die andere Wange hinzuhalten oder ob man glaubt, dass eine bestimmte mittelalterliche Gesetzesvorschrift direkt von Gott kommt und er die wahren Gläubigen zur Durchsetzung dieser sogar motiviert. Mir ist schon klar, dass viele sogenannte "Christen" sich schrecklicher Verbrechen im Namen ihrer Religion schuldig gemacht haben, das Kreuzzüge geführt wurden und Menschen wie Galilei oder Voltaire wegen ihrer abweichenden Überzeugung verfolgt wurden. Auch findet man sowohl im Buddhismus als auch im Christentum einige Stellen, die man aus heutiger Sicht als sehr problematisch betrachten muss. Beides soll weder ignoriert, noch kleingeredet werden. Religion an sich kann sowohl eine Moral schaffen als auch ein Freifahrtschein sein, um jegliche Moral hinter sich zu lassen.
Meiner Meinung nach sieht die Sache aber so aus. Es gibt eine allgemeine Religionskritik, welche die Religion an sich kritisiert. Das kann z. B. aus den Blickwinkel einer naturalistischen Philosophie erfolgen oder marxistisch-leninistisch motiviert sein oder ähnliches. Diese Kritik richtet sich an allgemeine Aspekte von Religion, etwa die metaphysische Frage ob es einen Gott gibt und ob dieser Gott eine Person ist oder nicht (oder ob diesen Fragen überhaupt einen Sinn im Sinne des Positivismus haben). Ebenso kann man den Anspruch darauf, das Fundament der Moral zu sein, in Frage stellen und auf negative Auswirkungen von Religion auf Kultur, Wissenschaft und Moral hinweisen. Allerdings steht man hier natürlich vor dem Problem, dass Religion ein sehr komplexes und umfassendes Phänomen ist. Die meisten großen Religionskritiker wie Voltaire oder Feuerbach hatte zumeist das Christentum als Religion im Blick, nicht etwa den Buddhismus oder Stammesreligionen. Viele Probleme einer monotheistischen Auffassung, z. B. warum es so viel Übel in der Welt gibt, wenn sie doch von einem gütigen Gott stammt, würden sich für den japanischen Shintoismus in der Form überhaupt nicht stellen.
Neben dieser allgemeinen Religionskritik gibt es aber auch eine spezielle Religionskritik. Diese befindet sich nicht unbedingt auf einer philosophischen Ebene, sondern kann relativ Textnahe erfolgen. Nehmen wir Russells "Why I Am Not a Christian". Klar eine Kritik am Christentum, möglicherweise keine von Russells philosophisch besten Arbeiten, aber nicht zwangsläufig eine Kritik an jeder anderen Religion. Man kann am Christentum auch z. B. kritisieren, dass die Moral der Bergpredigt in unserer Welt nur auf Kosten des eigenen Untergangs konsequent verfolgt werden kann oder die Schöpfungslehre oder jeden anderen Aspekt dieses Glaubens. Der Punkt ist jedoch, egal was jemand kritisiert oder nicht kritisiert, niemand außer bestimmter Apologeten käme auf die Idee, dieser Person eine Art krankhafte Angst vor dem Christentum zu unterstellen. Beim Islam ist das seltamerweise so.
Dabei gibt es an der speziellen Lehre des Islam sehr wohl einige Dinge zu kritiseren. Zum Beispiel die Rolle der Frau, die offenbar nur in Unterwürfigkeit bestehen soll oder die Haltung gegenüber Leuten mit anderer Meinung. Ja, fast alle diese Probleme gab es im Christentum zeitweise auch (Juden mussten z. B. im Mittelalter eine Sondersteuer zahlen; Frauen hatten weniger Rechte als Männer), aber das Christentum hat heute diese Dinge hinter sich gelassen. Beim Islam kommt noch der Anspruch hinzu, dass die Religion gewisse rechtliche Fragen endgültig geklärt hat. Das erstreckt sich in der Sicht der Gläubigen von der Frage nach den Erbanteil, Scheidungsrecht bis hin zu solchen Dingen wie rituelle Waschungen. Etwas wirklich vergleichbares hat es im Christentum nicht gegeben. Dort gab es immer andere Rechtsquellen, wie germanisches Stammesrecht, Stadtrecht oder römisches Recht, zudem war der oberste Gerichtsherr kein Geistlicher, sondern zumeist ein König oder der Kaiser. Die islamische Sicht auf Recht und Gesetz widerspricht damit der im Westen spätestens seit Hobbes verbreiteten Auffassung darüber, wie Gesetz und Herrschaft zustande kommen.
Die Auffassung, Gott selbst hätte sich als Gesetzgeber betätigt und abschließende Regelungen gefunden, widerspricht in der Form auch der modernen Demokratie. In der Demokratie können sich die Gesetzgeber sehr wohl darauf verständigen, dass z. B. Frauen und Männer auch im Erbfall gleichberechtigt sein sollen. Die Gebote eines Gottes dagegen kann niemand nachträglich mehr ändern. Das ist ein ernsthaftes Problem, wenn diese Gebote Homosexualität, Gleichberechtigung der Geschlechter und Redefreiheit einschränken.
Mein Ratschlag deshalb: Man sollte immer wieder auf diese und andere Aspekte hinweisen und ebenfalls auf die Aktualität dessen. In unserer real vorliegenden gesellschaftlichen Situation sind das nämlich aktuelle Probleme, während das bei Gender-Problemen nicht der Fall ist. Die sind in der heutigen Gesellschaft wahrscheinlich sogar weniger aktuell als in jeder davor in der Geschichte, denn in Sachen Gleichberechtigung und Toleranz gegenüber anderen Lebensweisen ist unsere Gesellschaft schon sehr weit fortgeschritten.
3. Keine Islam-Konferenzen Um es kurz und knapp zu sagen: Die Islam-Konferenzen sind Schaumschlägerei. Sie suggerieren uninformierten Teilen der Öffentlichkeit, dass wir quasi mit "dem Islam" verhandeln, so wie wir mit den großen christlichen Kirchen verhandeln. Das ist aber nicht der Fall. Im Islam gibt es so etwas wie große "Landeskirchen" nicht und von den Islamverbänden werden nur ca. 1 Drittel der Gläubigen vertreten. Das sind nicht grade die besten Voraussetzungen, um sie als Plattform für Verhandlungen zu verwenden. Es besteht sogar der Verdacht, dass besonders konservative und strenge Auslegungen, sowie aus dem Ausland finanzierte Systeme dabei überproportional vertreten sind. Ich glaube deshalb, mit gewissen Recht behaupten zu dürfen, dass die gesellschaftlichen Folgen dieser Konferenzen im Ganzen gesehen eher negativ sind. Darüber können irgendwelche hoffnungsvollen Erklärungen oder eine positive Berichterstattung in den Medien nicht hinwegtäuschen.
Der Ratschlag: Abschaffung der Konferenzen. Zumindest sollten sie in der heutigen Form ausgesetzt werden. Eventuell kann man einen Weg finden, das besser aufzuziehen, solange das aber nicht der Fall ist sollten eben allgemeine Gesetze gelten.
Aufgrund der besonderen Nähe dieser Institution zum türkischen Staat sollte das Verhältnis zu ihr grundsätzlich neu bewertet werden. Im Grunde ist es ein Skandal, dass nach der Spionage-Affäre diese Institution nicht sehr viel kritischer gesehen wird. Der Wikipedia-Artikel ist da meines Erachtens bereits aussagekräftig genug und hat die wesentlichen Punkte durch Quellen belegt. Jedenfalls scheint es mir ein großer Fehler zu sein, diese Institution einfach als Verein oder als Religionsgemeinschaft zu betrachten, da eindeutig auch politische Ziele verfolgt werden.
Kein Rat: Wie soll man mit der Situation umgehen? Keine Ahnung. Die Tatsache, dass wir die Aktivitäten von DITIB so lange relativ unkommentiert gelassen haben macht es nicht einfacher. Wir sollten auf jeden Fall den türkischen Staat und die hier lebenden Türken durch eine Aktion nicht vor den Kopf stoßen. Vielmehr sollten wir versuchen, den Aktivitäten des Vereins Alternativen entgegenzustellen. Das müsste aber aus der Zivilgesellschaft selbst kommen. Schwer vorstellbar, dass das Angebot eines deutschen Liberalkonservativen da besonders gut ankäme.
5. Umgang mit islamischen Staaten Es gibt weltweit viele völlig verschiedene Staaten, die alle mehrheitlich islamisch geprägt sind und es wäre ein großer Fehler, wenn man alle diese Staaten nur auf dieses eine Merkmal reduzieren wollte. Dennoch denke ich, dass wir über eine etwas anders ausgelegte Außenpolitik durchaus diskutieren sollten. Insbesondere bei den Golf-Staaten stellt sich die Frage, wie man dort eine Entwicklung hin zu liberaleren, säkulareren Gesellschaften fördern kann. Sehr langfristig gesehen könnte das nämlich auch in unseren Interesse sein. Wobei ich zugebe, dass das "könnte" hier sehr theoretisch ist. Jemand könnte wahrscheinlich auf der selben Faktenbasis argumentieren, dass uns die Probleme dieser Weltregion nichts angehen und wir lieber versuchen sollten zu verhindern, diese zu unseren Problemen zu machen.
Ratschlag spare ich mir, da erfahrene Diplomaten und außenpolitische Spezialisten hier sicherlich genug zum Thema zu sagen hätten. Wichtig wäre zunächst, dass das Thema überhaupt mal in Politik und Medienöffentlichkeit unter den richtigen Bedingungen diskutiert wird. Das sollte weder naiv (wir können den Staaten dort keine säkulare Demokratie aufzwingen) noch stark emotionalisiert passieren.
Mit meinen Beitrag sind natürlich noch längst nicht alle Probleme angesprochen und meine Ratschläge werden auch nicht der Weisheit letzter Schluss sein, aber das wären meines Erachtens wichtige erste Schritten. Viele der Vorschläge sind heute schon utopisch und dürften in Zukunft bei der Entwicklung des gesellschaftlichen Klimas nur noch unrealistischer werden. Wie schon geschrieben, ist Kritik am Islam heute schon mit politisch problematischen Ansichten assoziiert, was bei Kritik am Christentum oder allgemeiner Religionskritik nicht der Fall ist.
Die starke politische Korrektheit ist also ein Problem.
Zitat von Werwohlf im Beitrag #7Ich habe Jahres der Auseinandersetzung um die Frage erlebt, was denn eigentlich "liberal" sei, und ich wette, die Frage um das "Konservative" würde mindestens dieselbe Zeit beanspruchen. Kurz: Es bringt nicht allzu viel. Dennoch ist der Versuch lobenswert, weil er Aspekte beleuchtet, die im alltäglichen Streit gerne unter den Tisch fallen.
Ich denke, dass diese Frage beim Thema "Liberalismus" vielleicht sogar noch viel wichtiger ist. Ganz verschiedene Strömungen nehmen den Liberalismus für sich in Anspruch. In den USA ist "liberal" einfach ein anderes Wort für "links". In Europa dagegen bezeichnen sich eigentlich "rechte" Bewegungen als freiheitlich.
Gegen beides muss sich ein Liberaler wehren, denke ich.
Bei den Konservativen ist das Problem einer Ortsbestimmung meines Erachtens aus zwei Gründen aktuell: 1. Viele "populistische Strömungen" dringen in dieses Gebiet ein, übernehmen Argumente und Positionen und man muss daher prüfen, ob sie wirklich das selbe sind oder nicht etwas völlig anderes. Siehe meine Überlegungen zum Gruppenegoismus und zu Leuten, die von ihren linken Umfeld ausgestoßen wurden. Meines Erachtens sind beide Ideen nicht an sich konservativ und gehören womöglich nicht dazu, auch wenn sie Anschluss suchen mögen. 2. Gibt es eben sehr viele "Konservative", die eigentlich Linke sind, aber aus irgendwelchen Gründen nicht mehr unter den Linken willkommen sind. Sei es, weil sie den Euro kritisieren, oder weil sie andere Mode-Themen in Frage stellen. Vergleichbare Entwicklungen gibt es wohl seit Windows 10 auch in der Linux-Community oder bei FreeBSD.
Zitat von Johanes im Beitrag #9Gegen beides muss sich ein Liberaler wehren, denke ich.
Ich hielte es für wesentlich zielführender, wenn man darauf verzichtete, sich zu etikettieren und konkret sagte, was man meint.
-- Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau, verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau. (Reinhard Mey)
Zitat von Johanes im Beitrag #8Deshalb nehme ich mir, mit der gebührenden Bescheidenheit, das Recht, einen Vorschlag zu unterbreiten.
ich fürchte, wir fassen diverse Phänomene allzu schnell unter einer gemeinsamen Überschrift zusammen. Es gibt tatsächlich Probleme im Wesentlichen nur mit Migranten bestimmter Herkünfte, ich bezweifle aber, dass diese allein auf Glauben beruhen. Zum Beispiel fallen diese Leute gerne auf, wenn sie alkoholisiert sind - was aber ihrem Glauben widersprechen müsste. Das Problem ist wohl eher, dass die vererbte Kultur, zu der selbstverständlich auch der Glaube gehört, aber eben nicht nur, gerade jungen Männern einen Verhaltenskodex vorgibt, der mit der heutigen super-liberalen bundesrepublikanischen Wirklichkeit nicht mehr kompatibel ist. Und diese Wirklichkeit hat sich willentlich aller Mittel beraubt, dieser Herausforderung zu begegnen.
-- Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau, verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau. (Reinhard Mey)
Zitat von Johanes im Beitrag #8Deshalb nehme ich mir, mit der gebührenden Bescheidenheit, das Recht, einen Vorschlag zu unterbreiten.
ich fürchte, wir fassen diverse Phänomene allzu schnell unter einer gemeinsamen Überschrift zusammen. Es gibt tatsächlich Probleme im Wesentlichen nur mit Migranten bestimmter Herkünfte, ich bezweifle aber, dass diese allein auf Glauben beruhen. Zum Beispiel fallen diese Leute gerne auf, wenn sie alkoholisiert sind - was aber ihrem Glauben widersprechen müsste. Das Problem ist wohl eher, dass die vererbte Kultur, zu der selbstverständlich auch der Glaube gehört, aber eben nicht nur, gerade jungen Männern einen Verhaltenskodex vorgibt, der mit der heutigen super-liberalen bundesrepublikanischen Wirklichkeit nicht mehr kompatibel ist. Und diese Wirklichkeit hat sich willentlich aller Mittel beraubt, dieser Herausforderung zu begegnen.
Das ist richtig. Ich selbst spreche mich ja dafür aus, das Problem nicht künstlich auf den Faktor Religion zu verengen. Der Faktor "Kultur" (und seine psychologischen Folgen) spielt zweifellos auch eine Rolle.
"Der Konflikt zwischen der „New York Times“, die aus Rücksicht auf Minderheiten keine Karikaturen mehr publiziert und „schwarz“ nur noch großschreibt, schwelt schon länger." "Woke und Widerstand" von FAZ.net > https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/m...e-17199252.html
Ich denke, Frankreich wird es nicht schaffen, der "woken" verurteilung zu entgehen. Und die Aktionen zur Förderung der Integration werden möglicherweise zu spät kommen oder zu wenig sein. Zudem könnte es sein, dass Macron nur ablenken will von anderen, hausgemachten Problemen. Trotzdem, wenn die französische Regierung jetzt zurückrudert, dann, denke ich, kann man in Europa die Lichter langsam ausmachen.
NRW stellt Islamunterricht neu auf (AKTUALISIERT AM 17.05.2021 18:01 von R. Burger): "Nordrhein-Westfalen gibt dem islamischen Religionsunterricht eine neue organisatorische Grundlage. Dadurch kommt auch der umstrittenen Ditib wieder eine aktive Rolle zu.[...]Gebauer sagte, alle demokratische Parteien sähen den Ausbau des islamischen Religionsunterrichts unter Aufsicht der Schulbehörden seit vielen Jahren als wichtige Aufgabe an. [...]Auf Anfrage der F.A.Z. hieß es aus dem Schulministerium ergänzend, der nordrhein-westfälische Ditib-Landesverband und seine zugehörigen Regionalverbände hätten ihre Unabhängigkeit durch eine Satzungsänderung sichergestellt."
Wenn sogar die Grünen, wie später im Artikel sichtbar wird, kritischer damit umgehen als die CDU-Landesregierung, dann sollte man sehr genau hinschauen.
Ich weiß jetzt natürlich auch nicht, welche Strategien da im Hintergrund diskutiert wurden. Für mich sieht es aber so aus, als hätte man eine Art Formalkompromiss gesucht und gefunden. Soweit ich das weiß, sieht man es ja vor allem als wichtige demokratische Aufgabe, weil man Radikalisierung und Intoleranz verhindern will. In dem Zusammenhang muss man sich dann die Frage gefallen lassen, wie man das bemerkstelligen will.
Das Dilemma an sich kann ich schon nachvollziehen. Der Religionsunterricht muss von den Vertretern dieser Religion schon als legitim erachtet werden. Wenn nur die Meinung einer Sekte wiedergegeben wird, werden die Schüler das bald als Indoktrination erleben und abwehren. Auf der anderen Seite will man aber natürlich die eigenen Werte in den Unterricht mit einbringen.
Es ist übrigens weder unüblich, noch vermeidbar, dass Gläubige eigene Wertvorstellungen in ihre heiligen Texte hineinlesen, bzw. mit diesen begründen. Die Bibel ist ja auch sehr lang und komplex und enthält deshalb keine simple Moral.
Ich muss inzwischen darauf achten, meine Meinung über den Islam für mich zu behalten. Nicht nur, dass es da draußen tausende "Aktivisten" und "erlebnisorientierte Menschen" gibt, die jedes negative Wort über die Friedensreligion als Anlasse für "Aktivitäten" und "Erlebnisse" betrachten. Sondern weil in Deutschland zwar wieder geduldet wird, dass "Aktivisten" und "erlebnisorientierte Menschen" zu Tausenden sich auf der Straße treffen und "Schei... Juden" brüllen. Aber Kritik oder Ablehnung des Islam kann inzwischen durchaus auch zu Verfolgung durch staatliche und halbstaatliche Stellen führen ("hate speech").
Deutschland 2021. Geliefert wie bestellt.
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Eine völlig subjektive Meinung über das Klimaurteil und seine Merkwürdigkeiten
In den letzten Tagen hatte ich einige Zeit zum Nachdenken und habe mir dabei unter anderen über das Klimaurteil den Kopf zerbrochen. Ich weiß nicht, ob etwas gutes dabei herausgekommen ist, aber ich stelle es hier mal zur Lektüre vor. Man beachte bitte, dass meine Argumentation völlig neutral über die sachlichen Annahmen des Urteils ist. Das heißt, es wird keine Stellungnahme zum Klimawandel erfolgen, sondern nur eine "staatphilosophische" oder politische Betrachtung über die Konsequenzen des Urteils.
In den einstimmig ergangenen Urteil Aktenzeichen "1 BvR 2656/18" wurde die Legislative der Bundesrepublik Deutschland dafür verurteilt, nicht genug für den Klimaschutz zu tun. An sich ist das ein etabliertes Verfahren. In der Vergangenheit wurde der Bundestag z. B. auch verurteilt, weil das damals geltende Wahlrecht nicht den im Grundgesetz verankerten Wahlrechtsgrundsätzen genügte. Artikel 38 sieht für die Wahl der Bundestagsabgeordneten eine "allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahl" vor. Dies sah das Verfassungsgericht unter anderem durch negatives Stimmgewicht verletzt. Das Wahlrecht für die Bundestagswahl musste konsequenterweise angepasst werden. Der Beginn eines Dramas ganz eigener Art, über das aber an anderer Stelle genug geschrieben wurde.
Das Grundgesetz ist -- entgegen mancher irrationaler Einwände -- die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Es regelt neben anderen Dingen, unter welchen Bedingungen ein Gesetz in Kraft tritt. Hierbei wurde die Regelung getroffen, dass ein Gesetz, welches gegen das Grundgesetz verstößt, von vornherein nicht gültig in Kraft treten kann. Beim Sonderfall der Bundestagswahl hat das keine rückwirkenden Konsequenzen, was "realpolitisch", also in Hinblick auf die denkbaren Folgen, auch nicht wünschenswert gewesen wäre. Andernfalls wäre es vorstellbar, dass alle Gesetze in einem schwebend ungültigen Zustand verbleiben, solange das Verfassungsgericht der Wahl nicht explizit zugestimmt hat.
Wie man aber allein an diesen Gedankenspiel sehr schön sieht, verleiht diese Regelung dem Bundesverfassungsgericht eine immense Macht. Es kommt damit schließlich auf die konkrete Auslegung des Grundgesetzes an, ob ein bestimmtes Gesetz in Kraft ist oder nicht. Formal lässt sich gegen diese Einrichtung allerdings wenig sagen, denn gegen ungesetzliche Handlungen der Regierung und Verwaltung gibt es heute bereits die Möglichkeit, vor Verwaltungs- und andere Gerichte zu ziehen. In der Regel hat die Regierung nämlich keinen weiten Ermessensspielraum, sondern muss sich an vorher einsehbaren Gesetzen orientieren. Das Verfassungsgericht ist hier sozusagen "die Notbremse" in Fällen, in denen die Gesetze selbst den im Grundgesetz verbrieften Grundrechten widersprechen oder der "Würde des Menschen". Letzteres ist natürlich etwas problematischer, da dieser Ausdruck ("Menschenwürde") nicht klar definiert ist und es daher von seiner Auslegung abhängt, was ihn widerspricht.
Es bleibt festzustellen, dass das Bundesverfassungsgericht mit dieser Macht bisher recht vernünftig umgegangen ist. Ich denke aber, dass der Fall beim Klimaurteil aus zwei Gründen anders liegen könnte. Erstens handelt es sich um eine "präventive Grundrechtssicherung". Das Gericht sieht voraus, dass aufgrund der gegenwärtigen Regelung in Zukunft Einschränkungen der Grundrechte drohen und verurteilt den Gesetzgeber praktisch dazu, dies zu verhüten. Abgesehen von der trivialen Erkenntnis, dass Zukunftsprognosen sich als trügerisch erweisen können -- eine Erkenntnis, die paradoxerweise jedes Jahrzehnt durch einen großen Philosophen wiederholt werden muss, wie es scheint -- , beinhaltet das Urteil noch eine andere Annahme, die man durchaus in Zweifel ziehen könnte. Nämlich die Theorie, dass die Belastung der Grundrechtseinschränkungen über einen absehbaren Zeitraum konstant gehalten werden muss. Wenn absehbar ist, dass ab 2030 aufgrund der Klimaproblematik die Grundrechte stärker eingeschränkt werden müssen, dann muss der Gesetzgeber schon heute versuchen das zu verhindern. Zur Not eben, indem die Grundrechte schon heute eingeschränkt werden. Diese Annahme wirkt zunächst recht plausibel, bis man sie auf andere Beispiele anwendet. Was ist beispielsweise mit einer globale Pandemie, die wesentlich tödlicher wäre als Corona jetzt ist? Die Mediziner und Wissenschaftler halten diese Möglichkeit durchaus nicht für ausgeschlossen. Jetzt könnte man argumentieren, dass ab den Zeitpunkt des Ausbruchs dieser massiven Seuche die Grundrechte der Bürger der Bundesrepublik stark eingeschränkt werden, insbesondere ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit. Folgt man der Theorie aus diesem Urteil, so müsste man auch jetzt bereits Grundrechtseinschränkungen legitimieren können, um diese künftige Krise zu verhindern. In gewisser Weise passiert das auch schon, bei Corona und weil zum Reisen in gewisse Länder zwingend eine Impfung erforderlich ist. Ein anderes Beispiel wäre die sich bereits abzeichnende Rentenproblematik. Theoretisch müsste das Gericht die Bundesrepublik ja auch zum Aufbau einer Maßnahme gegen steigende Rentenkosten zwingen, weil auch das Grundrechte verletzt. Hier könnte man freilich noch argumentieren, dass höhere Beiträge selbst keine Einschränkung des Grundrechts bedeuten müssen und ein "Unfinanzierbarkeitsszenario" eben nicht absehbar ist. Gleiches würde dann für einen Zusammenbruch des Welthandels gelten, wenn keine Container mehr aus Japan oder China nach Europa kommen können. Die beiden Zauberworte lauten dann also "Absehbarkeit" und "Grundrechtseinschränkungen". Der Punkt ist allerdings, die Plausibilität der Annahme hängt anscheinend von der richtigen Einschränkug dieser beiden Kriterien ab. An der Stelle könnte man das Konzept an sich in Frage stellen.
Ein weiterer Punkt, an dem mir diese Theorie problematisch erscheint, ist die Verbindung zur kantschen "Mensch-Zweck-Formel". Diese Formel lautet: "Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst". (Wikipedia war wirklich noch die seriöseste Quelle, die ich online für den Wortlaut gefunden habe.) Aufgrund dieser Formel darf kein Gesetz festschreiben, dass ein von Terroristen entführtes Flugzeug abgeschoßen werden muss, denn sie "konkretisiert" die Menschenwürde und ist daher wesentlich zu deren Auslegung. Natürlich würden wir gegen die Würde der künftigen Generationen verstoßen, wenn wir ihnen bewusst Einschränkungen der Grundrechte aufbürgen würden, um selbst ein einfacheres Leben zu haben. Das wäre eine Instrumentalisierung. Ist es aber nicht auch umgekehrt so, dass man die heutigen Menschen instrumentalisiert, sie also nicht als würdevollen Selbstzweck, sondern als instrumentellen Wert betrachtet, indem man ihre Grundrechte einschränkt? Selbstverständlich können Grundrechte zugunsten von anderen Grundrechen eingeschränkt werden. Die Frage ist nur, ob das bei künftigen Entwicklungen auch so ist, bzw. in welchen Ausmaß. Meines Erachtens würde nur dann klar gegen die kantische Formel verstoßen, wenn die künftige Einschränkung der Grundrechte explizit billigend in Kauf genommen wird. Wenn der Bundestag bei seiner Gesetzgebung aber etwa andere Zukunftsprognosen zur Rate zieht oder andere Experten befragt, dann darf ihr das nicht vorgeworfen werden. Erstens wäre das ein nicht zu legitimierender Eingriff in die Gesetzgebung durch ein Gericht; zweitens würde sich das Gericht damit anmaßen zu entscheiden, welche Experten und Prognosen berücksichtigt werden müssen und welche nicht, und drittens stellt sich die Frage nach der "logischen Herleitung". Es gibt sich einfach nicht ohne Weiteres aus Kants Wortlaut oder gar den Text des Grundgesetzes, dass wir zukünftige Einschränkungen so behandeln dürfen. Eventuell folgt aus Kants Wortlaut sogar, dass Grundrechte eben dann eingeschränkt werden müssen, wenn es nötig ist und eine Prävention ausgeschlossen ist, aufgrund der innewohnenden Instrumentalisierung.
Der zweiten Grund, warum dieses Urteil anders liegt, ist die massive Einschränkug der Gesetzgebung, die es mit sich bringt. Bedenkt man, wie allumfassend die Klimamaßnahmen sein können. Der Spielraum für demokratische Gestaltung des Zusammenlebens durch Gesetze wird also massiv eingeschränkt durch rechtlich zwingende Maßnahmen, die sogar einklagbar wären. Will der Bürger aus irgendwelchen Gründen das Maßnahmenregime korrigieren, so darf er nicht darauf hoffen durch Wahlen etwas ändern zu können. Die friedliche Regierungsfolge durch Beseitigung der alten Regierung qua Abwahl wäre damit in Gefahr. Es sei denn, man nimmt eine Politisierung des Verfassungsgerichts in Kauf, indem die Parteien direkt Wahlkampf damit machen, einen "Wunschkandidaten" an das Bundesverfassungsgericht zu wählen. Neben den Kanzlerkandidaten würde es in diesem Szenario auch Bundesverfassungsgerichtskandidaten geben. Das wäre auf jeden Fall ein Bruch der ungeschriebenen Gesetze, die die Staatsordnung in Deutschland bisher ausgemacht haben und zudem noch recht erfolglos, wenn man die Arbeitweise des Verfassungsgerichtes berücksichtigt. Ein Richter hat eine Amtszeit von 12 Jahren und kann nicht wiedergewählt werden, zudem wird das Gericht nur dann aktiv, wenn jemand klagt. Es müsste sich also zunächst eine Mehrheit abzeichnen und dann müsste jemand vor dem Gericht klagen. Dieser Vorgang kann gut und gerne Jahre, Jahrzehnte, in Anspruch nehmen. Wir haben hier also ein Stück Politik, das selbst nicht mehr demokratisch geändert werden kann.
Hoffentlich wurden meine Gedanken nicht zu unsortiert präsentiert.
P.S.: Ich wundere mich, wieso es zu diesem Thema eigentlich bisher keinen Blogbeitrag oder Thread gibt.
Zitat von Johanes im Beitrag #17 Will der Bürger aus irgendwelchen Gründen das Maßnahmenregime korrigieren, so darf er nicht darauf hoffen durch Wahlen etwas ändern zu können. Die friedliche Regierungsfolge durch Beseitigung der alten Regierung qua Abwahl wäre damit in Gefahr. Es sei denn, man nimmt eine Politisierung des Verfassungsgerichts in Kauf, indem die Parteien direkt Wahlkampf damit machen, einen "Wunschkandidaten" an das Bundesverfassungsgericht zu wählen. Neben den Kanzlerkandidaten würde es in diesem Szenario auch Bundesverfassungsgerichtskandidaten geben. Das wäre auf jeden Fall ein Bruch der ungeschriebenen Gesetze, die die Staatsordnung in Deutschland bisher ausgemacht haben und zudem noch recht erfolglos, wenn man die Arbeitweise des Verfassungsgerichtes berücksichtigt. Ein Richter hat eine Amtszeit von 12 Jahren und kann nicht wiedergewählt werden, zudem wird das Gericht nur dann aktiv, wenn jemand klagt. Es müsste sich also zunächst eine Mehrheit abzeichnen und dann müsste jemand vor dem Gericht klagen. Dieser Vorgang kann gut und gerne Jahre, Jahrzehnte, in Anspruch nehmen. Wir haben hier also ein Stück Politik, das selbst nicht mehr demokratisch geändert werden kann.
Da ichs mit Kant nicht so habe, erlaube ich mir, mich auf diese zwei Absätze zu kaprizieren. Denn das ist schon längst geschehen. Der Vorsitzende des Verfassungsgericht IST ein Parteipolitiker von Merkels Gnaden. Und er ist nur einer unter diversen. Und das Gericht wird schon lange selbst aktiv, indem es indirekt Verfassungsbeschwerden lanciert, um dann selbst darüber zu entscheiden (die zitierte Entscheidung ist eben auch eine solche). Es ist erstaunlich, dass Karlsruhe noch so lange einen so guten Ruf hatte, was vermutlich sowohl an der Historie, als auch an einer freundlichen Presse lag, aber inzwischen ist der Laden ziemlich durchkorrumpiert worden. Mit der verheerenden Beiwirkung, dass er eben nicht durch Wahlen abgeschafft werden kann.
Um ein gerade durch die Presse gejagtes Zitat von MP Dreyer abzuwandeln: Wer immer noch an die Unabhängigkeit oder die idealistische Ader des Verfassungsgerichtes glaubt, dem ist nicht mehr zu helfen.
Das "Urteil" des Verfassungsgerichtes in diesem Fall wird schlicht durch die Realität gekippt werden. Die Luftschlösser die Klimaschützer werden schlicht durch chinesiche Produktion in eben selbiger zerrissen werden.
Zitat P.S.: Ich wundere mich, wieso es zu diesem Thema eigentlich bisher keinen Blogbeitrag oder Thread gibt.
Zitat von Johanes im Beitrag #17man beachte bitte, dass meine Argumentation völlig neutral über die sachlichen Annahmen des Urteils ist.
Aber genau bei diesen sachlichen Annahmen liegt meines Erachtens der Hase im Pfeffer.
Dass ein Gericht Externalitäten berücksichtigt bei der Abwägung von Grundrechten ist so einfach wie richtig. An diesem Urteil so irritierend ist, dass es eine wissenschaftliche These (menschlicher CO2 Ausstoß ist der dominante Treiber der Erderwärmung), inklusive der wesentlichen Schlussfolgerung (diese Erwärmung ist schlecht) und aller gesellschaftlicher Schlußfolgerungen (die (weltweite) Reduzierung des CO2 geht nur durch Planwirtschaft in Deutschland) als empirisch wahr betrachet. Wissenschaft, vor allem bei einem Thema wie der Modellierung eines hochkomplexen, nichtliniearen Systems, ist zuallererst Diskurs. Nicht empirischer Wahrheitsproduzent.
Genau das ist das Ergebnis der Politisierung von Wissenschaft: Ideologisch motivierte Grundrechtseingriffe, welche als Güterabwägung erscheinen.
Herzlich
n_s_n
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Zitat von Llarian im Beitrag #18Da ichs mit Kant nicht so habe, erlaube ich mir, mich auf diese zwei Absätze zu kaprizieren.
Kants "Mensch-Zweck-Formel" kommt erst im 5. (oder 6., falls man den ersten Teil mitzählt) Absatz vor. Davor ging es mir nur einfach abstrakt um die Annahme, Grundrechtseinschränkungen über einen Zeitraum konstant zu halten.
Zitat von LlarianDenn das ist schon längst geschehen.
Das wollte ich nicht auch noch da reinschieben, sonst hätte ich nachsehen müssen, wie es denn früher war. Das mit der Richterernennung ist gar kein so "unheikeles" Thema, weil hier Politik, Recht und allgemeine Überlegungen aufeinanderschlagen.
Zitat von LlarianUnd er ist nur einer unter diversen. Und das Gericht wird schon lange selbst aktiv, indem es indirekt Verfassungsbeschwerden lanciert, um dann selbst darüber zu entscheiden (die zitierte Entscheidung ist eben auch eine solche).
Das Gericht entscheidet mehr oder weniger selbst, welche Fälle es zur Prüfung annimmt. Das mit den lanciere ist mir dagegen neu.
Es ist aber bekannt, dass manche Interessengruppen willigen Klägern Geld geben, damit diese "Musterfälle" vor höhere Instanzen bringen. In den USA nutzen diese Taktik durchaus Bürgerrechtsgruppen, sei es um Waffenbesitz oder Religionsfreiheit oder Redefreiheit zu stärken, bzw. einzuschränken. Das Musterbeispiel "Waffenkauf in Washington DC" wurde AFAIK ja extra als Fall gestartet, um die Auslegung des 2. Zusatzartikels höchstrichterlich klären zu lassen.
Zitat von LlarianMit der verheerenden Beiwirkung, dass er eben nicht durch Wahlen abgeschafft werden kann.
Karlsruhes guter Ruf ergibt sich daraus, dass sie quasi "die Guten" gegen den "bösen Parteipolitiker" sind. Eigentlich müsste man alles tun, um diesen Ruf zu erhalten. Das ist einfach die Art, wie der deutsche Michel seinen Staat will. Mag sein, dass die Regierung schlecht ist, aber vor Gericht will er "Recht bekommen".
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #19Aber genau bei diesen sachlichen Annahmen liegt meines Erachtens der Hase im Pfeffer.
Um das herausarbeiten zu können müsste man aber tief in die naturwissenschaftliche Diskussion rund um den Klimawandel einsteigen, nicht nur Teilaspekte davon.
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #19An diesem Urteil so irritierend ist, dass es eine wissenschaftliche These (menschlicher CO2 Ausstoß ist der dominante Treiber der Erderwärmung)
Viele Gerichtsurteile basieren letztlich auf naturwissenschaftlichen Theorien, einige sogar nur auf "social science". Dass der Fingerabdruck individuell ist und wiedererkannt werden kann, dass die chemische Substanz giftig ist, dass die DNS von Person XY stammt, ob ein Täter zurechnungsfähig ist, selbst die Frage, ob eine bestimmte Verhaltensweise kausal zu einem Schaden geführt hat (Feuchtigkeit ? Schimmel), das sind alles (natur-)wissenschaftliche Fragestellungen. Und sie werden von Gerichten seit je her eingesetzt.
Das Risiko sind Gerichte also bis heute eingegangen.
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #19inklusive der wesentlichen Schlussfolgerung (diese Erwärmung ist schlecht) und aller gesellschaftlicher Schlußfolgerungen (die (weltweite) Reduzierung des CO2 geht nur durch Planwirtschaft in Deutschland) als empirisch wahr betrachet.
Die Schlussfolgerung, dass Erwärmung für Menschen unerwünschte Folgen hat, ist, soweit ich weiß, sogar halbwegs plausibel begründet. Die Sache wird erst dann eindeutig politisch oder nicht mehr auf Basis rein naturwissenschaftlicher Thesen entscheidbar, sobald die wirtschaftlichen Konsequenzen gezogen werden. Hier kommen auch solche Sachen wie "Spieltheorie der Verhandlungen", rechtliche Sachen, internationale Verhandlungen usw. dazu.
Dass aber naturwissenschaftliche Thesen zur Basis von Gerichtsurteilen werden, ist ja nicht neu.
Außerdem setzt das Klimaschutzgesetzt meines Wissens die globale Erwärmung bereits voraus. Falls man da eine gerichtliche Prüfung wünscht, müsste man das so abstrakt umformulieren, dass ein Gericht vorher erst prüfen muss, ob CO2...
Im Falle eines klaren Verstoßes gegen die Straßenverkehrsordnung würde es dem Angeklagten ja auch nichts bringen, sich darauf zu berufen, dass zu schnelles Fahren das Unfallrisiko nicht erhöht oder das "Rechts vor Links" eine willkürliche Festlegung ist, die den Verkehrsfluss nicht verbessert. Das mag zwar die Intention des Gesetzgebers gewesen sein, aber die rechtliche Norm ist in Form eines Gesetzesparagraphen ja da und wurde verletzt.
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #19Wissenschaft, vor allem bei einem Thema wie der Modellierung eines hochkomplexen, nichtliniearen Systems, ist zuallererst Diskurs.
Können Sie das näher ausführen?
Stand 05.06.2021: Das SARS-CoV-2-Virus könnte jetzt doch aus einem Labor kommen. 23.06.: Dem BMWi fällt auf, dass der Strombedarf nicht bis 2030 konstant bleibt. to be continued
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #19Wissenschaft, vor allem bei einem Thema wie der Modellierung eines hochkomplexen, nichtliniearen Systems, ist zuallererst Diskurs.
Können Sie das näher ausführen?
Das ist früher mal das Grundverständnis gewesen: "Wissenschaft ist ein Prozess, kein Ergebnis". Kein Ergebnis kann für sich in Anspruch nehmen, "wissenschaftliche Wahrheit" zu sein. Die Wissenschaft kennt keine "Wahrheit", sondern nur einen Diskussionsstand. Das heilige Prinzip der Wissenschaft ist, dass die Diskussion & Forschung nach gewissen Regeln stattfindet.
Eine von diesen Regeln ist die "Überprüfbarkeit". Allein schon diese Regel ist heute von Frauen und diversen Minderheiten zum "faschistoid-sexistisch-rassistischen Unterdrückungsinstrument alter weißer Männer" erklärt worden, weil "Frauen" oder "PoC" ein "intuitives und sozial fundiertes Wissen" hätten, dass sich dieser "zersetzenden männlichen Methodik entzieht".
___________________ Jeder, der Merkel stützt, schützt oder wählt, macht sich mitschuldig. “Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten mäßig entstellt”, Georg Cristof Lichtenberg "Warum halten sie Begriffe wie 'Zigeunersoße' für rassistisch, aber 'Schei** Juden' für harmlos?", Hamed Abdel-Samad
Naturgemäß kann man solche Dinge wie den Klimawandel weniger gut experimentell prüfen als einfache physikalische Vorgänge.
Dennoch hat der "Prozess Wissenschaft" doch einige Ergebnisse hervorgebracht, die Gerichte im Rahmen der Beweisaufnahme berücksichtigen: Vaterschaftstests, DNA-Spuren usw.
Stand 05.06.2021: Das SARS-CoV-2-Virus könnte jetzt doch aus einem Labor kommen. 23.06.: Dem BMWi fällt auf, dass der Strombedarf nicht bis 2030 konstant bleibt. to be continued
Zitat von Johanes im Beitrag #22Naturgemäß kann man solche Dinge wie den Klimawandel weniger gut experimentell prüfen als einfache physikalische Vorgänge.
Dennoch hat der "Prozess Wissenschaft" doch einige Ergebnisse hervorgebracht, die Gerichte im Rahmen der Beweisaufnahme berücksichtigen: Vaterschaftstests, DNA-Spuren usw.
ich verstehe den Äpfel-Birnen-Vergleich nicht. Wissenschaftliche Evidenz hat viele Facetten, darunter auch den Nachweis durch statistische Methoden. Das hat nicht unbedingt mit Komplexität zu tun, sondern auch mit Wiederholbarkeit und Datenbanken. Das Wetter ist auch hochkomplex, aber die kurzfristigen Vorhersagen sind einigermaßen zuverlässig. Wenn Richter sich Gutachter anhören, dann kommt üblicherweise auch die Qualität der Erkenntnisse zur Sprache. Wenn sich Richter aber Gutachter nur einer Seite anhören, dann fehlt der Disput, aus dem man ein Urteil gewinnen kann.
Zitat von Johanes im Beitrag #22Dennoch hat der "Prozess Wissenschaft" doch einige Ergebnisse hervorgebracht, die Gerichte im Rahmen der Beweisaufnahme berücksichtigen: Vaterschaftstests, DNA-Spuren usw.
Daran sieht man aber auch, daß das mehr mit Abwägung und auch "Konkurrenz zum Althergebrachten" zu tun hat als mit dem jeweiligen Erkenntnisstand der beteiligten Hilfswissenschaten. Und nicht zuletzt mit der Begreifungskraft des juristischen Bodenpersonals. Als Mitte des 19. Jh.s die Daktylographie entwickelt wurde, gab es 20 Jahre lang Dissenz, ob Fingerabdrücke als gerichtsfestes Beweismittel eingesetzt werden durften oder nicht (zumal die ja oft nur bruchstückhaft vorlagen). Während des Mordprozesses gegen O. J. Simpson ist 1994 gefühlt die halbe Zeit des Prozesses dafür aufgewendet worden, das Verfahren und die Treffsicherheit des genetischen Fingerabdrucks von A bis Z zu erklären (wobei noch zu berücksichtigen ist, daß hier den Geschworenen als Laien das größte Gewicht zukommt). Das Beispiel des ich meine Münchner Richters, der eine Datassette im Cassettenrekorder seines Sohnes abspielte und befand, das Geknacke sei keine kopierte Musik, hat Mitte der 80er Jahre in der ganzen Republik für homerisches Gelächter gesorgt. Und es ist eben bezeichnend, daß der empirisch sicherste Test auf Stimmigkeit einer Aussage, nämlich der Polygraph, in den USA angewendet werden darf, aber nicht bei uns. Dafür findet das Phänomen der "gefälschten Erinnerungen," also das "Überschreiben" beim Aufrufen, so allem unter Streß und Suggestion, kaum Beachtung.
"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire
Hier ist übrigens der Twitterbeitrag, auf den der gute Professor sich bezieht: https://twitter.com/ProfRieck/status/1412656272005021698 In der Tat ist der Beitrag ein wenig "polemisch", u. a. wird etwas als die offizielle Position der Grünen ausgegeben, was ein Autor bei der taz publiziert hat.
Meines Erachtens sehr gut! Sehr rational argumentiert, ohne Scheuklappen und auch ohne die Verlegenheit, sich als Klima-Laie auf eine wissenschaftliche Hypothese festlegen zu müssen!
Stand 05.06.2021: Das SARS-CoV-2-Virus könnte jetzt doch aus einem Labor kommen. 23.06.: Dem BMWi fällt auf, dass der Strombedarf nicht bis 2030 konstant bleibt. to be continued
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