Die Umfragen, die ich zitiere, sehen übrigens die FDP bei 3 Prozent (Forschungsgruppe Wahlen, Infratest dimap) oder 2 Prozent (INFO GmbH). Es kann gut sein, daß diese Zahlen einen Aufschwung nicht mehr erfaßt haben, der durch Röslers Vorstoß verursacht worden sein könnte.
Vielleicht hievt er am Ende die FDP gar über die 5 Prozent, obwohl eine solche Verdopplung der Zustimmung zu einer Partei innerhalb weniger Tage etwas sehr Ungewöhnliches wäre.
Zwei Anmerkungen, lieber Zettel, davon eine Richtigstellung und eine mehr als schlechte Formulierung:
Die Richtigstellung ist die, dass in Berlin nicht zwei, sondern wenigtens 3 bürgerliche Parteien antreten. Wenn Sie sich die Mühe machen Programm und Hintergrund der FREIHEIT anzuschauen, werden Sie feststellen, dass diese zwar das von der Linken das Argument rechtspopulistisch angepappt bekommt, aber tatsächlich eine liberale Partei im Sinne eines Geert Wilders ist. Sie ist neben der FDP die einzige Partei in Berlin, die ich für wählenswert emfinde.
Zum anderen: Was bitte ist in Sie gefahren das Rheinland mit Berlin in einen Topf zu werfen mit einer Formulierung wie: "Diese Preußen, die lange besonders unter der deutschen Teilung zu leiden gehabt hatten, sind nach der Befreiung vom Kommunismus zu einer Art nordöstlichem Ableger des Rheinländertums mutiert." Das ist gleich in mehrfacher Hinsicht daneben. Zum einen: In Berlin ist der Schlendrian keine Entwicklung der letzten 20 Jahre, Berlin hat im Rahmen der Berlinförderung schon Schlendrian betrieben als Sie noch nicht Professor gewesen sind. Zum zweiten: Das Rheinland gehört wirtschaftlich zu den ziemlich produktiven Regionen in Deutschland, Sie können sich gerne mal die Wirtschaftszahlen von Köln oder Düsseldorf ansehen und dann mal laut husten. Als Wahlrheinländer fühle ich mich von solchen Formulierungen tatsächlich beleidigt. Das Rheinland ist bekannt dafür nicht alles so genau zu nehmen und nicht alles so ernst zu nehmen (was mit der zentraler Grund ist, dort zu leben), aber die Attitüde als Wasserkopf auf Kosten anderer zu leben, weil man sich als kulturelles Zentrum der Welt emfindet, das ist dem Rheinländer ziemlich fremd.
Heute in der FAS weiterer Berlin-Artikel von Rosenfelder und Wehners.Empfehlenswert.Erfahrungsgemäß in 1-2 Tagen kurzzeitig online verfügbar. Gruß patzer
Zitat Zum anderen: Was bitte ist in Sie gefahren das Rheinland mit Berlin in einen Topf zu werfen mit einer Formulierung wie: "Diese Preußen, die lange besonders unter der deutschen Teilung zu leiden gehabt hatten, sind nach der Befreiung vom Kommunismus zu einer Art nordöstlichem Ableger des Rheinländertums mutiert."
Dieser Kritik, diesem Protest muss ich mich aber auch nachdrücklich anschließen. Das, womit Sie Berlin beschreiben und charakterisieren, das trifft nun auf das Rheinland wirklich nicht zu! Es gibt natürlich schlendrianeske Auswüchse der rheinischen Mentalität - die z.B. zum Einsturz des Kölner Stadtarchivs geführt haben -, aber der Rheinländer ist kein Schlendrian.
Für die rheinische Mentalität ist doch v.a. charakteristisch "Et is noch immer joot jegange", eine Einstellung, die durchaus hilft, alles etwas gelassener zu nehmen und sich nicht unnötig aufzuregen.
Genausowenig finde ich "mein" Berlin in dem FAZ-Artikel wieder.
Gansgouter hat ja einen schönen rheinländischen Spruch zitiert. Dem will ich mal ein paar meiner Meinung nach charakteristische Berliner Sprüche zur Seite stellen:
"Jeht nich jibs nich." "Nu mach hier ma nich so'n Uffriss." "So blöde, wie ick's brauche, könnt ihr ma janich komm."
Zitat von ZettelVielleicht hievt er am Ende die FDP gar über die 5 Prozent, obwohl eine solche Verdopplung der Zustimmung zu einer Partei innerhalb weniger Tage etwas sehr Ungewöhnliches wäre.
Leider verzichten die beauftragten Institute auf die Veröffentlichung der Rohdaten. Die Umfrageergebnisse, die sie veröffentlichen sind "frisiert" und im schlimmsten Fall dienen sie der Manipulation. Von einer repräsentativen Befragung kann keine Rede sein. Beispielweisweise können die Rohdaten für die FDP 5 % ergeben, werden aber auf 2 - 3% herunterfrisiert. Im Gegensatz zum tatsächlichen Wahlausgang entzieht sich die Sonntagsfrage jeglicher Überprüfungsmöglichkeit.
Besonders heikel sind diese Veröffentlichungen bei Parteien im Bereich der 5% Klausel, beispielhaft seien die Piraten erwähnt, deren Höhenflug erst begann als sie nicht mehr unter Sonstige subsummiert wurden, am 10.8.2011 durch infratest/dimap mit 3%. Das ist etwas verwunderlch, weil die Piraten schon bei der Bundestagswahl 3,4% in Berlin erreicht hatten. Diese separate Veröffentlichung ist eine Wahlhilfe, die nicht zu unterschätzen ist. Forsa hievt am 2.9.2011 die Piraten erstmalig auf 5 %, infratest/dimap und die FWG legen nach. Die angesprochene INFO GmbH, hinter der das Liljeberg Institut steht, legt noch eine Schippe drauf und landet bei 9%.
Um zur FDP zurückzukommen, hier sehe ich eine Manipulation, die schon seit Jahren erfolgreich bei rechten Parteien angewandt wird, eine Veröffentlichung eines Ergebnisses weit unter 5% soll die Wähler vor der Wahl abschrecken, die nicht ihre Stimme verschenken wollen.
Wenn die FDP über 5% kommt muss es nicht ein Rösler-Effekt, sondern könnte ein Hinweis auf Manipulation durch Meinungsforschungsinstitute sein. Die Wahl in Berlin verspricht hohe Gestaltungsmöglichkeiten in der Interpretation des Wahlergebnisses. Leider ist nicht zu erwarten, dass dubiose Institute wie die INFO GmbH wegen Manipulation zur Rechenschaft gezogen werden.
Für das linke Grundgefühl des heutigen Berlin gibt es natürlich einige zentrale historische Gründe. - Der Osten der Stadt war die Hauptstadt der DDR, in der sich die gläubigen Funktionäre, ideologischen Claqueure und begünstigten Mitläufer des Regimes so konzentrierten wie nirgendwo sonst. Der Lebensstandard war der höchste in der gesamten DDR. - Das West-Berlin der Mauerzeit war die Trauminsel aller jungen linken Utopisten Westdeutschlands, eine Hochburg der 68er- und später der Alternativbewegung. Es ist kein Zufall, dass hier die taz gegründet wurde. - Selbst die eher konservative SPD und die CDU verstanden sich in West-Berlin immer als Subventionsverteiler, über die Diepgen/Landowsky-CDU sagt man, dass ihr Erfolgsrezept darin bestanden habe, den Gesamtbetriebsrat der Stadt zu geben.
Das eigenverantwortliche, mittelständisch unternehmerisch denkende Bürgertum hat diesem Berlin nach dem Krieg den Rücken kehren müssen. Seit dem Fall der Mauer ist zwar eine neue Mittelschicht zugewandert, diese lebt und arbeitet aber zu einem sehr großen Teil im Umfeld des Regierungsapparats und denkt insofern tendenziell staatsorientiert. Weltmarkt und Wettbewerb sind hier keine Lebensrealität, sondern bestenfalls Themen für "gute Gespräche".
Übrigens war ja auch das alte Preußen nicht gerade klassisch liberal. So manches linke Gedankengut von heute geht zurück auf die Ideen eines "preußischen Sozialismus", in dem der Staat seinen loyalen Bürgern Sicherheit und Wohlfahrt garantiert.
Davon abgesehen gibt es aber m.E. noch einen anderen Einflussfaktor, der in dem zitierten FAZ-Artikel ja auch als Allererstes erwähnt wird:
Die Armut ist in Berlin eine Realität, die jeden ganz konkret anspringt, der auch nur einmal fünf Stationen mit der S-Bahn fährt. Und dann gilt eben: "Das Herz schlägt links." Bürgerliche Ideen lassen sich hier leider nicht so einfach plausibel machen wie in Bad Homburg.
Das ändert natürlich überhaupt nichts daran, dass die Kritik an den politischen Zuständen in dieser Stadt vollkommen berechtigt ist!
Den "Berliner an sich" habe ich bei einigen Aufenthalten privat und mit Schülern erlebt als unfreundlich, oft leicht pampig, abweisend (wobei ich nicht ausschließen will, dass hinter der rauhen Schale ein freundlicher Kern sein mag). Den "Rheinländer an sich" würde ich eher als kontaktfreudig, durchaus auch oberflächlich-kontaktfreudig, offen und anpackend beschreiben.
Zitat von ZRBerlin wurde im 18. und 19. Jahrhundert gern das "Athen an der Spree" genannt, oder "Spreeathen"; weil dort die Wissenschaften und Künste blühten wie einst im klassischen Athen. Die Stadt ist im Begriff, sich diesen Namen in einer allerdings anderen Bedeutung erneut zu verdienen.
Das ist ein Volltreffer, ein Blattschuss. Fehlt nur noch die Eule als neues Wappentier. Jeden Morgen von Mo-Fr das gleiche Bild: Das Berliner Umland macht sich auf, die spätrömische Dekadenz der Hauptstadt zu erwirtschaften (bin in Berlin geboren und wohnte bis vor 5 Jahren im linken Epizentrum SO 36).
Zitat von LlarianWas bitte ist in Sie gefahren das Rheinland mit Berlin in einen Topf zu werfen mit einer Formulierung wie: "Diese Preußen, die lange besonders unter der deutschen Teilung zu leiden gehabt hatten, sind nach der Befreiung vom Kommunismus zu einer Art nordöstlichem Ableger des Rheinländertums mutiert."
Oh weh, oh weh. Da bin ich bei Ihnen, lieber Llarian, bei Gansguoter und gleich auch noch bei Berlinern ja offenbar kräftig ins Fettnäpfchen getreten.
Ich habe vorhin mit meiner Frau beim Brunch über diesen Artikel gesprochen. Sie ist Berlinerin. Ich habe ihr zu erläutern versucht, was ich meinte; und ich will es auch jetzt Ihnen und den Anderen zu erläutern versuchen:
Die Berliner waren durch den Kommunismus doppelt geschädigt. Beginnend mit den Verbrechen der Roten Armee; die mindestens geduldeten Vergewaltigungen waren eindeutig Kriegsverbrechen. (Und das Denkmal für diese Soldateska im Treptower Park müssen wir gemäß den Zwei-plus-vier-Verträgen auf alle Zeiten pflegen und erhalten!). Dann mußten die Westberliner die Blockade, den Mauerbau, den damit verbundenen wirtschaftlichen Niedergang ihrer Stadt durchstehen. Die Ostberliner litten wie alle in der DDR unter dem Kommunismus; wenn es auch in mancherlei Hinsicht dort etwas besser war als in anderen Städten.
Das waren Lasten, die auf Generationen gelegen hatten. Und nun endlich war Berlin geeint, und man konnte normal leben. Es entstand - so nehme ich es wahr - ein ganz neues Lebensgefühl; in gewisser Weise konträr zu dem bisherigen. Das Lebensgefühl, das Wowereit mit seiner hedonistischen Unbekümmertheit perfekt personifiziert.
Und das scheint mir schon dem rheinischen Lebensgefühl sehr verwandt zu sein; und sehr verschieden von preußischer Nüchternheit, Disziplin und Pflichterfüllung. Das rheinische Leeve un leev losse, oder das rheinische Jeder Jeck is anners - das scheinen mir gute Kennzeichnungen auch dieses neuen Berliner Lebensgefühls zu sein.
Das in manchem natürlich an die Goldenen Zwanziger anknüpft. Auch damals war Berlin von einer Last befreit; derjenigen des Kriegs und der Wirren und Kämpfen in den Jahren danach.
Ansonsten: Ich mag die Berliner. Ich bin, als meine heutige Frau noch in Berlin wohnte und ich im Westen, xfach dort gewesen.
Also: Nichts gegen die Berliner!
Mit den Rheinländern tue ich mich schwerer. Aber das liegt vielleicht daran, daß ich dort weder gewohnt habe noch die Gegend regelmäßig besucht habe. Wie die Sozialpsychologen wissen: Die Sympathie wächst mit der Zahl der Kontakte, und diese wiederum nehmen mit wachsender Sympathie zu.
Zitat Das waren Lasten, die auf Generationen gelegen hatten. Und nun endlich war Berlin geeint, und man konnte normal leben. Es entstand - so nehme ich es wahr - ein ganz neues Lebensgefühl; in gewisser Weise konträr zu dem bisherigen. Das Lebensgefühl, das Wowereit mit seiner hedonistischen Unbekümmertheit perfekt personifiziert.
Über das Lebensgefühl kann ich nichts sagen. Ich weiß nur, dass man von Busfahrern, Museumswärtern, Angestellten der BVG offenbar als lästige Störung empfunden wird und barsch angeschnoddert wird, vor allem, wenn man irgendetwas nicht weiß - wenn man noch mal nachfragt, welches Ticket jetzt richtig ist oder wo es das gibt, wenn man zu nah an ein Bild herantritt und überhaupt die Frechheit besitzt, den Saal im Museum zu betreten und so die Ruhe des Wärters stört. Und mit den Berlinern U-Bahn fahren - puh, schnell wieder raus! Ich habe keine Stadt als so unfreundlich erlebt wie Berlin - ausgenommen die Nicht-Berliner in Berlin. Ich denke an den wunderbaren Stadtführer aus Neuseeland oder die Berliner Stadtführerin aus Tel Aviv.
So wenigstens meine Erfahrungen. Vielleicht sind sie ja nicht repräsentativ.
Zitat Das aktuelle Thema: DIW-Studie über den Berliner Arbeitsmarkt Das „DIW Berlin – Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung e.V.“ hat in seinem Wochenbericht Nr. 30/2011 vom 27.7.2011 mit dem Titel „Berliner Arbeitsmarkt: Ein schwieriger Fall“ den Aufsatz „Positive Beschäftigungsentwicklung in Berlin, aber kaum Rückgang der Arbeitslosigkeit“ veröffentlicht. Herr Brenke, der Autor dieses Aufsatzes kommt in seinem Fazit zu folgender Ein- schätzung des Berliner Arbeitsmarktes: „In Berlin hat seit 2005, kaum durch die jüngste Krise unterbrochen, die Wirtschaft kräftig expan- diert. Dadurch entstanden in der Stadt zahlreiche zusätzliche Arbeitsplätze. Trotz des überdurch- schnittlichen Beschäftigungswachstums wurde die Arbeitslosigkeit jedoch in geringerem Maß abge- baut als in der gesamten Bundesrepublik. Entgegen dem Trend stagniert die Zahl der Arbeitslosen in der Stadt sogar seit etwas mehr als zwei Jahren...Durch den Beschäftigungsaufschwung haben sich sicher auch für Arbeitslose in Berlin die Chancen auf einen Job verbessert. Es zeigen sich aber erhebliche Probleme in der Struktur der Arbeitslosigkeit in der Stadt. Ein weit über dem Bundes- durchschnitt liegender und zuletzt steigender Anteil lebt von Hartz IV, was in der Regel auf eine mehr oder minder große Distanz zum Arbeitsmarkt schließen lässt. Vergleichsweise viele Arbeitslo- se in Berlin haben keine Berufsausbildung. Und von denjenigen, die eine Ausbildung haben, will ein großer Teil Berufe ausüben, in denen die Arbeitslosenquote enorm hoch ist. Das gilt zum Teil auch für akademische, insbesondere sozialwissenschaftliche Berufe und für Künstler. Alles spricht dafür, dass sich ein solcher Arbeitslosenbestand nur schwer abbauen lässt –selbst dann, wenn in den nächsten Jahren der Beschäftigungsaufbau anhalten sollte. Zudem ist anzunehmen, dass auch in Zukunft neu entstehende Arbeitsplätze zu einem großen Teil mit Personen besetzt werden, die nach Berlin zuwandern.... Regionale Arbeitsmarktpolitik ist dagegen wenig erfolgversprechend. Ein öffentlich geförderter Beschäftigungssektor in Berlin wird – so lehren die Erfahrungen mit Arbeits- beschaffungsmaßnahmen – nicht zu einem nachhaltigen Aufbau von Beschäftigungsmöglichkeiten führen. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen vermitteln den Teilnehmern das Gefühl, einen Job zu ha- ben, und hindern sie dadurch vielfach daran, sich eine reguläre Beschäftigung zu suchen.“
Lieber Zettel Dazu nach langer Zeit mal wieder ein Beitrag von mir:
Die Parabel der sozialen Gerechtigkeit
In der Gastwirtschaft "Zum deutschen Michel" finden sich regelmäßig 10 Gäste ein, um dort ihr Mittagessen einzunehmen. Einige von ihnen würden lieber in anderen Lokalen speisen, aber sie haben keine Wahl, denn an ihrem Ort gibt es ausschließlich diese gastronomische Einrichtung. In ihr ist nur ein Einheitsmenü zu haben, für das der Wirt insgesamt 100 Euro berechnet.
Es musste noch entschieden werden, wer was zu bezahlen hat. Das sonst auf Märkten übliche Verfahren, dass jeder das bezahlt, was er bestellt und erhalten hat, wurde als unsozial verworfen. Statt dessen schlug der Oberkellner vor, dass die Gäste selbst entscheiden sollen, wie sie die Gesamtkosten des Mittagessens unter sich aufteilen. Diese Idee fand bei den meisten Gästen begeisterte Zustimmung. Man kam überein, dass über die Kostenverteilung demokratisch abzustimmen sei. Die Entscheidung der Mehrheit sei von allen zu akzeptieren, denn:
Ø die Mehrheit hat immer recht; Ø der demokratische Abstimmungsprozess gibt der getroffenen Entscheidung sakralen Charakter; Ø die Unterwerfung der Minderheit unter den Mehrheitswillen sichert den sozialen Frieden.
Das Ergebnis der demokratischen Abstimmung war keineswegs überraschend. Da die Besserverdienenden nur eine Minderheit darstellen, beschloss die Mehrheit, dass die Kosten des Mittagessens gemäß dem jeweiligen Einkommen der Gäste zu tragen seien. Das ergab in unserem Fall folgende Anteile:
§ der wohlhabendste Gast hatte 50 Euro zu bezahlen; § ein weiterer Besserverdiener durfte sich mit 20 Euro beteiligen; § drei Gäste hatten je 10 Euro zu tragen; § alle anderen 5 Gäste speisten gratis, denn ihr Anteil am Gesamteinkommen war ja gering.
In dieser Gastwirtschaft fühlte sich die Mehrheit der Gäste sehr wohl. Gelegentliches Murren der Hauptbeitragszahler wurde als Ausdruck eines unterentwickelten sozialen Gewissens erkannt. Eine Vielzahl von Journalisten, Kirchenvertretern und Verbandsfunktionären bemühte sich, diese Sozialpathologie zu bekämpfen. Im Laufe der Zeit musste die Zahl der Kellner stark erhöht werden, denn es stellte sich heraus, dass diejenigen, die Leistungen geschenkt bekamen, immer mehr davon verlangten.
Allmählich bemerkte man, dass die Bedürfnisse der Freikostgänger unbegrenzt waren, nicht aber die Finanzmittel der Nettozahler. Aber auch in dieser Situation wussten die Kellner einen Ausweg. Sie hatten festgestellt, dass die Besserverdienenden erhebliche Ersparnisse bei den Banken aufgehäuft hatten. Es lag also nahe, Bankkredite aufzunehmen, um den defizitären Haushalt der Gastwirtschaft auszugleichen. Die sozial unsensiblen Reichen protestierten dagegen. Sie behaupteten, mit ihrem Geld nicht nur für die ständig steigenden Ausgaben des Speiselokals aufzukommen, sondern auch noch die Kredite finanzieren zu müssen, die sie und ihre Kinder und Kindeskinder über noch höhere Rechnungen der Gastwirtschaft zurückzuzahlen haben.
Aber auch diese Frage wurde auf demokratischem Wege entschieden. Die Mehrheit sprach sich für kreditfinanzierte Freikost aus, ohne zu fragen, wie die Schulden jemals zurückgezahlt werden könnten.
Das fröhliche Treiben in der Gastwirtschaft "Zum deutschen Michel" wäre noch lange so weitergegangen, wenn nicht eine bedrohliche Entwicklung ihre düsteren Schatten auf unser Idyll geworfen hätte. In Nachbarorten, die unglücklicherweise seit einiger Zeit gut zu erreichen sind, öffneten Restaurants, die Speis und Trank viel günstiger anboten, als sie in der schon etwas heruntergewirtschafteten deutschen Kneipe auf der Speisekarte stehen.
Besonders die besserverdienenden Gäste waren großen Verlockungen ausgesetzt. So verlangt zum Beispiel der slowakische Gasthof für ein Menü, das für sie zu Hause 50 Euro kostet, nur 20 Euro. Im Wirtshaus "Zum Zuger See" kostet die gleiche Mahlzeit preiswerte 30 Euro.
Dazu kommt, das die neuen Anbieter ihre wohlhabenden Gäste mit Respekt behandeln und ihnen zeigen, das sie willkommen sind. Das alles in starkem Gegensatz zur deutschen Gastwirtschaft, wo man sich bei Dienstleistungen zurückhält, da man weder das Dienen noch das Leisten besonders schätzt.
Die Kellner der Gastwirtschaft "Zum deutschen Michel" erkannten die Gefahr, die von der neuen Dumping-Konkurrenz ausging. Um Schlimmeres zu verhindern, entschloss sich der Oberkellner, gegen den Widerstand eines Teils seiner eigenen Mannschaft, den Preis für das gemeinsame Mittagessen von 100 auf 80 Euro herabzusetzen.
Die Differenz zwischen dem alten und dem neuen Preis gedachte er durch Kredite auszugleichen, deren Verzinsung und Tilgung durch andere Kredite finanziert werden sollte. Zuerst waren alle verblüfft über so viel Großzügigkeit des Oberkellners, der bis dahin nicht gerade durch besondere Kundenfreundlichkeit aufgefallen war. Aber bald war die Freude verflogen, denn es begann ein Streit darüber, wie die Preisermäßigung auf die Gäste zu verteilen sei.
Die egoistischen Besserverdiener argumentierten, dass eine 20%ige Preissenkung auch zu einer 20%igen Ermäßigung ihrer Beiträge führen müsste. Ihr Vorschlag lautete deshalb: § der wohlhabendste Gast zahlt statt bisher 50 Euro nunmehr 40 Euro; § ein weiterer Besserverdiener zahlt statt bisher 20 Euro nunmehr 16 Euro; § drei Gäste zahlen statt bisher 10 Euro nunmehr 8 Euro; § alle anderen 5 Gäste, zahlen genau wie vorher 0 Euro.
Sofort erhob sich ein großer Proteststurm. Es wurde der Vorwurf der sozialen Unausgewogenheit erhoben, denn der Preisnachlass ist ungleichmäßig verteilt: der reichste Gast bekommt 50% der Gesamtermäßigung, während die Hälfte der Gäste leer ausgeht. Kann es denn gerecht sein, dass einer 10 Euro Nachlass bekommt, ein anderer nur 4 Euro, 3 Gäste jeweils 2 Euro, und 5 Gäste gar nichts?
Das sei schon mehr als eine soziale Schieflage, hier werde die Solidargemeinschaft aufgekündigt. Dem Gast, der bisher 50 Euro pro Mittagessen bezahlt hatte, schlug eine Welle der Abneigung entgegen. Er erkannte, dass die Minderheit der Reichen in Deutschland sehr unbeliebt ist, im Gegensatz zum Ausland.
Resigniert und gar nicht leichten Herzens entschloss er sich, in Zukunft in einem anderen Restaurant sein Mittagessen einzunehmen.
An dieser Stelle verlassen wir die übriggebliebenen 9 Gäste der deutschen Gastwirtschaft. Wir wissen nicht, wie sie den Weggang des ungeliebten Hauptbei-tragszahlers auszugleichen gedenken. Werden Sie die Mahlzeiten halbieren oder die Lasten neu verteilen? Wie immer ihre Entscheidung auch ausfallen mag, wir sind sicher, dass dabei die soziale Gerechtigkeit wiederum triumphieren wird. ----------------------
Tja, lieber Zettel, liebe Leser, damit grüße auch ich zwischenzeitlich von außerhalb der EUDSSR.
Ich bin mit "Llarian", einem geehrten Mitdiskutanten und seinem Kommentar weiter oben, auf einer Linie - für mich ist an dieser Wahl nur interessant das Abschneiden von FDP und der "Freiheit". Dass die vereinigten Sozialisten auf mehr als 60 Prozent der abgegebenen Stimmen kommen werden, steht ja fest. Genauso, dass Herr Wowereit weiterregieren kann. Aber an dem (voraussichtlich) mageren Ergebnis dieser beiden liberalen Parteien wird man ablesen können, wie es um den Liberalismus in der deutschen Hauptstadt bestellt ist.
Das bringt mich zu der Aussage des verehrten Zettel, in Berlin herrsche "ein erleichterter, fröhlicher Schlendrian". Dem stimme ich voll zu. Aber ist das wirklich "Allet also knorke"? Ich sehe das (noch) skeptischer als der verehrte Zettel, denn in Berlin sitzt zum einen die Bundespolitik, zum anderen aber auch die bundesdeutsche Journaille. Und diese ist (verständlicherweise) von dem "Mix aus Hedonismus und Wurstigkeit" in der Hauptstadt sehr angetan. Und wer so Tag für Tag vor Augen geführt bekommt, dass man ja anscheinend auch ohne viel Arbeit anständig leben kann, der wird auch in den journalistischen Elaboraten, die er über den Rest der Republik ergiesst, denjenigen als altmodisch und dumm darstellen, der noch darauf besteht, dass man nur das genießen kann, was man auch vorher erarbeitet hat.
Zudem: Wer vergessen hat, was aus einem "erleichterten, fröhlichen Schlendrian" in Deutschland werden kann, möge sich die Biergartenszene aus dem genialen Film "Cabaret" vors (geistige) Auge führen. Hier sieht man das Umschlagen von urdeutscher Gemütlichkeit in etwas ganz anderes Urdeutsches - "Tomorrow belongs to me!"
Auch wenn das ganze richtig ist. Die Geschichte ist mindestens seit 2004 im Internet dokumentiert. Keine Ahnung wer der ursprüngliche Autor war. Aber ein bischen zusätzlichen eigenen Beitrag würde sicher nicht schaden.
Zitat von Gansguoter So wenigstens meine Erfahrungen. Vielleicht sind sie ja nicht repräsentativ.
Lieber Gansgouter, die dürften durchaus repräsentativ sein. "Der Berliner" will Konter kriegen, dann wird er zugänglich. Das habe ich oft erlebt. Und damit stellt er Gäste aus, hm, umgänglicheren Gegenden oft vor große Schwierigkeiten. Aber die sind nicht unüberwindlich. Nehmen Sie diese Ruppigkeit das nächste Mal als Wunsch nach Reibung, nach Kontakt; vielleicht geht's dann besser.
So, jetzt aber genug Lokalpatriotismus.
Es ist kurz vor 18 Uhr, und ich tippe:
Rot-Rot regiert weiter. Die Piraten kommen rein, aber nicht so feist wie prognostiziert. Die FDP fliegt raus, aber knapper als prognostiziert.
Zitat Den "Berliner an sich" habe ich bei einigen Aufenthalten privat und mit Schülern erlebt als unfreundlich, oft leicht pampig, abweisend (wobei ich nicht ausschließen will, dass hinter der rauhen Schale ein freundlicher Kern sein mag).
Lieber Gansguoter, wo haben Sie ihn denn getroffen, den Berliner? Ich persönlich kenne nur wenige, obwohl ich nun schon über 35 Jahre in Berlin lebe! Die weitaus Meisten meines Bekanntenkreises sind Zuagroaste und keine Einheimischen (Die erkennt man ja leicht am Baströckchen ), auch wenn manche davon berlinern was das Zeug hält. Letzteres ist eben kein wirkliches Kennzeichen dafür, hier geboren zu sein, sondern wird oft mit dem Eifer des Konvertiten vor sich hergetragen.
Die Umfrage von INFO GmbH, am 15. 9. abgeschlossen, stimmt erstaunlich gut mit der momentanen Prognose des ZDF überein; auch, was das sensationelle Ergebnis der Piraten angeht:
CDU 22 % (Prognose 23) SPD 31 % (Prognose 28,5) Grüne 18 % (Prognose 18,5) FDP 2 % (Prognose 2) Kommunisten 12 % (Prognose 11,5) PIRATEN 9 % (Prognose 9)
Ist doch ein Erfolg der Demoskopie, dear C., findest du nicht?
Zitat von Zettel CDU 22 % (Prognose 23) SPD 31 % (Prognose 28,5) Grüne 18 % (Prognose 18,5) FDP 2 % (Prognose 2) Kommunisten 12 % (Prognose 11,5) PIRATEN 9 % (Prognose 9)
Frank Henkel hat sich soeben am meisten darüber gefreut, dass Rot/Dunkelrot abgewählt wurde. Mit 23%. Ich mag es nicht mehr hören.
Edit: Und Frau Künast, die ich seit ihrem zynischen Wahlkrampf auf dem Dresdner Kirchentag absolut nicht leiden kann, redet im Sozialarbeiterdeutsch auf ihre Partei ein.
Zitat von ZettelIst doch ein Erfolg der Demoskopie, dear C., findest du nicht?
Nein, ich sehe das als Erfolg von Manipulation durch Demoskopie.
Hm, dear C.: Das Bemerkenswerte scheint mir die hohe numerische Übereinstimmung zu sein. Ich glaube nicht, daß man das so manipulieren kann.
Man muß dabei allerdings berücksichtigen, daß in Prognosen und Hochrechnungen auch Umfrageergebnisse eingehen; neben den Exit Polls. Insofern kommt die eigentliche Bewährung für die demoskopischen Daten erst, wenn das vorläufige amtliche Endergebnis vorliegt.
Zitat von ZettelHm, dear C.: Das Bemerkenswerte scheint mir die hohe numerische Übereinstimmung zu sein. Ich glaube nicht, daß man das so manipulieren kann.
Doch, leider ist das möglich.
Wenn ich in einer Umfrage einer Partei die Chance abspreche die 5-Prozenthürde zu überspringen, werden sich unsichere Wähler eine Alternative suchen, nicht nur um ihre Stimme nicht zu verschenken, sondern auch um zu "den Siegern" zu gehören
Die Partei, deren Einzug als sicher prophezeit wird, hat die Möglichkeit weitere Stimmen auf sich zu ziehen, wie hier die Piraten, die abweichend von ihrer Klientel auch die Stimmen von Protestwählern auf sich vereinigen konnten. Es haben diesmal nicht nur vorwiegend männliche Nerds bis 30 die Piraten gewählt, sondern es geht quer durch den Gemüsegarten. Selbst bei den über 60-jährigen haben die Piraten doppelt so viele Stimmen als die FDP. Die Piraten haben jetzt den Status einer Protestpartei, in Ermangelung anderer Alternativen, deren Wahl unabhängig von der Programmatik erfolgt.
Zitat von ZettelHm, dear C.: Das Bemerkenswerte scheint mir die hohe numerische Übereinstimmung zu sein. Ich glaube nicht, daß man das so manipulieren kann.
Doch, leider ist das möglich.
Wenn ich in einer Umfrage einer Partei die Chance abspreche die 5-Prozenthürde zu überspringen, werden sich unsichere Wähler eine Alternative suchen, nicht nur um ihre Stimme nicht zu verschenken, sondern auch um zu "den Siegern" zu gehören.
Das räume ich gern ein, dear C. Das wird ja auch in der Wahlforschung seit glaube ich siebzig Jahren diskutiert - es gibt den bandwagon effect; es gibt allerdings auch den Mobilisierungseffekt, daß gerade Parteien mit schlechter Prognose damit ihre Anhänger an die Urnen bringen.
Aber das meinte ich gar nicht. Ich meinte die genaue numerische Übereinstimmung zwischen der letzten Umfrage und dem Ergebnis, soweit es aus den jetzigen Hochrechnungen zu entnehmen ist. Die mittlere Differenz zwischen den Umfragedaten von INFO GmbH und der Hochrechnung von 18.11 Uhr, die ich unten gepostet habe, beträgt 0,7 Prozentpunkte!
Zitat von Zettel CDU 22 % (Prognose 23) SPD 31 % (Prognose 28,5) Grüne 18 % (Prognose 18,5) FDP 2 % (Prognose 2) Kommunisten 12 % (Prognose 11,5) PIRATEN 9 % (Prognose 9)
Frank Henkel hat sich soeben am meisten darüber gefreut, dass Rot/Dunkelrot abgewählt wurde. Mit 23%. Ich mag es nicht mehr hören.
Edit: Und Frau Künast, die ich seit ihrem zynischen Wahlkrampf auf dem Dresdner Kirchentag absolut nicht leiden kann, redet im Sozialarbeiterdeutsch auf ihre Partei ein.
Die einzigen Kandidaten, die ich gerade eben vor dem Fernseher sitzend sympathisch fand, waren die der Piraten. Alle anderen Personen haben mich nur noch angewidert und da schließe ich die Journalisten nicht aus. Da werden die 1,8 Prozent für die FDP als Zustimmung zur "Euro-Rettung" interpretiert und die junge Piraten-Kandidatin muss sich sofort spitz fragen lassen, warum denn in einer sich modern nennenden Partei so wenig Frauen auf der Wahlliste stehen. Ich werde wohl wieder dazu übergehen, mir solche Wahlsendungen nicht mehr anzusehen. Etwas besseres als Eskapismus fällt mir leider nicht mehr ein.
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