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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 133 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
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Paul Offline




Beiträge: 1.285

27.02.2015 16:09
#26 RE: Impfpflicht oder was ? Antworten

Danke, lieber Llarian,...


Zitat von Llarian im Beitrag #19

Ja, es gibt einen Extremliberalismus. Und nicht wenige dieser "extrem Liberalen" nennen sich, was den Begriff ein wenig verwirrt, eben auch nur Liberale. Im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich inzwischen der Begriff Libertarismus eingeprägt.
Es ist eine sehr konsequente Philosophie, die viele Leute nicht verstehen, bzw. verstehen wollen. Mir persönlich fehlt der Mut Liberalismus derart konsequent zu denken, aber ich räume dem Konzept deutlich mehr Idealismus ein als seinen totalitären Gegenstücken wie Kommunismus oder Sozialismus. Es ist ein sehr langes Thema über das man Bücherwände schreiben kann. Was ja auch schon einige getan haben. Bei Interesse würde ich bei Mises anfangen oder eventuell bei Rand. Atlas Shrugged steht immernoch in meinem Bücherschrank, ich gebe aber zu, es noch vor mir zu haben. Aber Vorsicht: Das kann das Denken tatsächlich zentral verändern. Und das ist kein dummer Spruch.



...jetzt habe ich einen besseren Zugang zu Ihrer Denkweise.
Außerdem habe ich festgestellt, dass ich wohl eher ein gemäßigter Liberaler bin.

Bei Homöopathie, Antrosophie und Impfverweigerern hört meine Liberalität auf.

Ach so, wer aus Glaubensgründen irgend etwas verweigert, soll es tun, wie z.B. die Zeugen Jehovas, wenn es nur ihn selbst betrifft (z.B. Blutüberragung ablehnen). Wenn es aber auch mich betreffen kann, Impfverweigerung, dann ist meine Toleranzgrenze erreicht.

Wenn sich also jemand weigert sein Kind mit einer konventionellen Krebstherapie behandeln zu lassen und stattdessen einen Naturheiler aufsucht, ist mir das Schnurz. Wenn er es aber nicht gegen Masern impfen lässt, möchte ich nicht, dass es in den gleichen Kindergarten mit meinem Enkel geht.

LG,Paul

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JE SUIS JUIF

Widder Offline



Beiträge: 61

27.02.2015 16:24
#27 RE: Impfpflicht oder was ? Antworten

Ich zitiere noch einmal Llarian: "Das Problem dabei ist, dass der Herdenschutz vor allem diejenigen schützt, die sich selbst (evtl. noch) nicht schützen können. Dazu gehören Immungeschwächte, Impfversager oder auch schlicht und einfach Babys."

Meiner Meinung nach ist nicht der Schutz der Kinder, deren Eltern eine Impfung verweigern, das prioritäre Problem. Hier kann man durchaus behaupten, die Eltern handeln nach bestem Wissen und Gewissen zum Wohle ihrer Kinder. Wichtiger ist der Schutz der Immungeschwächten sowie der Babys und Kleinkinder, für die noch keine Impfung vorgesehen ist (meines Wissen die unter Einjährigen). Hierfür bedarf es einer angemessenen Lösung. Hausarrest gehört nicht dazu: http://www.tagesspiegel.de/berlin/masern...t/11435400.html

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Widders Ecke

Rapsack Offline



Beiträge: 169

27.02.2015 16:46
#28 RE: Impfpflicht oder was ? Antworten

Es ging mir überhaupt nicht um die Frage ob Eltern ihre Kinder lieben oder auch nicht. Es ging mir allein um die Frage: Braucht es einen staatlichverordnete Impfpflicht.

Wenn man der Meinung ist, die Gefahr die von der Impfung fürs Kind ausgeht ist nur minimal zu der die durch die Krankeit ausgeht, dann muss man die Frage stellen ob Eltern, die es unterlassen/ablehnen das Kind zu impfen,
sich bei Eintritt eines schweren Verlaufs der Krankheit strafbargemacht haben. Dies könnte letztlich wie eine Impflicht auswirken. Und ja, ich denke die Strafandrohungen, die für ein solches Delikt gelten, können sehr wohl Eltern dazu bringen, ihre Kinder impfen zu lassen.


Lieber Llarian, wenn ich Ihnen irgendwie auf den Fuss getreten sein sollte , bitte ich um Entschuldigung.

Gruß

Rapsack

Llarian Offline



Beiträge: 7.120

27.02.2015 17:21
#29 RE: Impfpflicht oder was ? Antworten

Zitat von Paul im Beitrag #26
Außerdem habe ich festgestellt, dass ich wohl eher ein gemäßigter Liberaler bin.

Libertarismus ist eben nix nichts für Einsteiger, lieber Paul.

Ernsthaft: Libertarismus ist tatsächlich eine Philosophie mit der sich die meisten erst einmal sehr schwer tun. Ich habe auch sehr lange Zeit gebraucht um meinen Frieden damit zu machen. Es ist nicht meine Philosophie, aber ich habe großen Respekt vor der Konsequenz von Libertären. Es gibt nach meinem Dafürhalten nur sehr wenige Philosophien die widerspruchsfrei sind, ich kenne genaugenommen nur zwei. Libertarismus ist eine davon. Als Liberaler dagegen sitzt man zwischen allen Stühlen, das Leben ist gemein. :)

Zitat
Bei Homöopathie, Antrosophie und Impfverweigerern hört meine Liberalität auf.


Meine nicht. Und ihre auch nicht. Sonst wäre es Ihnen nicht egal, ob jemand zum Naturheiler geht. Das Problem ist, wie Sie ja korrekt beschreiben, wenn die Folgen dieser Ideen sich auf unser aller Leben auswirken. Das ist deswegen aber nicht unliberal oder auch nur gemäßigt. Wenn ichs mal platt ausdrücken darf: Liberal ist etwas hinzunehmen, was einem selber nicht schadet. Wenn es schadet ist das Spiel ein anderes.

Llarian Offline



Beiträge: 7.120

27.02.2015 17:31
#30 RE: Impfpflicht oder was ? Antworten

Zitat von Rapsack im Beitrag #28
Wenn man der Meinung ist, die Gefahr die von der Impfung fürs Kind ausgeht ist nur minimal zu der die durch die Krankeit ausgeht,

Und hier haben wir ein logisches Problem, lieber Rapsack. Denn die Gefahr für die Krankheit ist tatsächlich gering, WEIL bereits ein ordentlich Herdenschutz besteht. Die Gefahr an Masern zu erkranken ist auch ohne Impfung in Deutschland extrem übersichtlich. Heute. Und da beisst sich die Katze in den Schwanz: Sich heute impfen zu lassen ist unter Umständen nicht so wichtig, aber umso mehr wir das als Gesellschaft unterlassen, umso mehr schiessen wir unseren Kindern und Enkeln in den Fuß.
Würde man ihren Satz absolut setzen wollen und die Eintrittswahrscheinlichkeit ausser acht lassen, so müssten wir auch heute noch gegen Pocken impfen, denn die Folgen der Pocken sind grauenhaft. Nur sind die Pocken nahezu nichtexistent, eine reale Gefahr besteht (derzeit) nicht.

Zitat
Und ja, ich denke die Strafandrohungen, die für ein solches Delikt gelten, können sehr wohl Eltern dazu bringen, ihre Kinder impfen zu lassen.


Und genau das glaube ich nicht, zumindest nicht wenn es um Strafen geht, die erst ausgesprochen werden können, wenn der Schaden da ist. Die "Strafandrohung" durch die Krankheit selber ist hundertmal schlimmer als die Strafandrohung durch den Staat. Wer davon ausgeht, dass die "Strafe durch die Krankheit" nicht eintritt, der fühlt sich vor staatlichen Sanktionen absolut sicher. Und nebenbei gesprochen: Keine staatliche Strafandrohung kann mich dazu bringen etwas zu tun, wovon ich glaube, dass es meinem Kind schadet (was es ja ist, was Impfkritiker denken). Meine Kinder kommen vor dem, was der Staat mir antun kann.

Zitat
Lieber Llarian, wenn ich Ihnen irgendwie auf den Fuss getreten sein sollte , bitte ich um Entschuldigung.


Aber überhaupt nicht, lieber Rapsack, mein Ton war vielleicht nur etwas kurz angebunden, weil ich hier gerade zwischen mehreren Aufgaben hin und her springe (und echtes Multitasking nur von Computern und Frauen beherscht wird). Wenn das anders rübergekommen ist, dann habe ich um Entschuldigung zu bitten. Ich schätze ihre Argumente durchaus, ich bin nur noch nicht überzeugt.

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

27.02.2015 19:14
#31 RE: Impfpflicht oder was ? Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #30
Zitat von Rapsack im Beitrag #28
Wenn man der Meinung ist, die Gefahr die von der Impfung fürs Kind ausgeht ist nur minimal zu der die durch die Krankeit ausgeht,

Und hier haben wir ein logisches Problem, lieber Rapsack. Denn die Gefahr für die Krankheit ist tatsächlich gering, WEIL bereits ein ordentlich Herdenschutz besteht. Die Gefahr an Masern zu erkranken ist auch ohne Impfung in Deutschland extrem übersichtlich. Heute. Und da beisst sich die Katze in den Schwanz: Sich heute impfen zu lassen ist unter Umständen nicht so wichtig, aber umso mehr wir das als Gesellschaft unterlassen, umso mehr schiessen wir unseren Kindern und Enkeln in den Fuß.

Das ist der wesentliche Ansatzpunkt. Die Vor- und Nachteile der Impfung (speziell die Eintrittswahrscheinlichkeit für Krankheits- bzw. Impfschäden) mögen für die individuelle Abwägung wichtig sein; für die Frage nach einer Impfpflicht sind sie vollkommen irrelevant. Eine Impfpflicht wäre allein epidemiologisch zu begründen: ohne Impfung eines gewissen Mindestprozentsatz des Bevölkerung ist eine sehr problematische Krankheit endemisch, mit Impfung ist sie praktisch weg. Das ist ein Nutzen für die Gemeinschaft. Hier schwingt ein kategorischer Imperativ im Hintergrund mit.
Es ist ähnlich wie bei der Steuerpflicht. Ob es mir persönlich mehr nutzt als schadet, Steuern zu zahlen, mag für mein persönliches Verhalten eine wichtige Überlegung sein, aber es ist kein Argument für oder gegen die Steuerpflicht. Wir schaffen die Steuern nicht deshalb ab, weil keiner sie gerne zahlt. Aber für die Gemeinschaft als ganzes sieht es so aus: mit Steueraufkommen haben wir Straßen etc., ohne haben wir keine. (So ist es jedenfalls theoretisch; praktisch gibt es, wie erst heute wieder zu sehen, offenbar wichtigere Verwendungen für Steuergelder als den Verkehr zwischen Mainz und Wiesbaden. Außerdem - und hier hinkt der Vergleich zugegebenermaßen - gibt es für den Straßenbau eine liberale Lösung (Mautstraßen), aber die Epidemiologie läßt sich nicht kaufen, ich wüßte jedenfalls nicht wie.)

Man muß aber aufpassen, diese Abwägung des Nutzens für die Gemeinschaft, der nur durch weitgehendes Zusammenwirken aller erreicht wird (eben hier die Nichtlinearität in der Epidemiologie, derzufolge die Zahl der Erkrankungen nicht linear von der Zahl der Nichtgeimpften abhängt), nicht mit abstrakt gefaßten, ihm per definitionem innewohnenden Aufgaben des Staates zu verwechseln oder sie in Worte dieser Art zu fassen, wie etwa hier:
Zitat von Doeding im Beitrag #3
Selbst wenn man aus liberaler Perspektive lediglich einen Nachtwächterstaat haben will, gehört zu seinen integralen Aufgaben auch dann noch der Schutz seiner Bürger (auch der Minderjährigen) vor inneren und äußeren Gefahren...

In dieser Allgemeinheit ist das das spitze Ende eines Keils, mit dem allerlei illiberale Ideen ins Gesetzbuch und die Gesellschaft getrieben werden können, z.B. daß der Staat die sparsame und zweckmäßige Verwendung von Energiequellen im Heim überwachen und erzwingen muß, um uns vor dem Schaden, den etwaige Verschwendung auf dem Umweg über eine katastrophale Klimaveränderung verursachen könnte, zu schützen.
Nein, es ist keine integrale Aufgabe des Staates, uns vor allen möglichen inneren und äußeren Gefahren zu schützen. Seine Aufgabe ist es, uns vor spezifischen Gefahren zu schützen, bei denen man sich (etwa auf dem demokratischen Wege) darauf geeinigt hat, daß er eine über die Summe der individuellen Möglichkeiten hinausgehende Fähigkeit hat, diesen Schutz zu bieten.

Hmm, sieht so aus als hätte ich mich gerade auf die Pro-Impfpflicht-Seite geschrieben. Aber Llariansches Unbehagen habe ich dabei dennoch.

adder Offline




Beiträge: 1.073

27.02.2015 19:18
#32 RE: Impfpflicht oder was ? Antworten

Zitat von Martin im Beitrag #25
Zitat von adder im Beitrag #17

Wenn Sie das unbedingt falsch verstehen wollen, dann nur zu. Weltweit gab es 2010 ca 350 Tausend Masernfälle und 139 Tausend Maserntote. Do the math yourself.


Lieber adder,

wenn Sie deutsche Eltern mit dritte-Welt-Zahlen überzeugen wollen dürfte das wohl vergebliche Mühe sein. Ich schlage vor in dem Umfeld zu argumentieren um dessen Regulierung diskutiert wird.


Ich schrieb "unbehandelt ist die Letalität höher" - und dass die Letalität hier nur deshalb geringer ist, weil Behandlungsmethoden verfügbar sind und auch breit angewendet werden. Infektionskrankheiten gehören nun einmal zu den Krankheiten, die mit moderner Medizin hervorragend bekämpfbar sind (Ausnahmen gibt es natürlich).

Zitat
Zu 'Produktion' wird meist auch die gesamte Verteilerkette gerechnet, mit allen Transport- und Lagerbedingungen, deren Qualität sich oft dem Hersteller entzieht.



Das wäre mir neu. Ja, es gibt mittlerweile Bestrebungen, auch die Verteilerkette zu beeinflussen - Stichwort "Good Distribution Practise", aber distribution ist nicht production. Pharmazeutische Verantwortung hat der Hersteller natürlich auch für Transport und Lagerungsbedingungen. Wenn aber der Großhandel oder die Apotheke vor Ort Mist baut, ist das nun absolut nicht dem Arzneimittel oder dem pharmazeutischen Unternehmer anzulasten.

Zitat
Nicht erwähnt hatte ich das Risiko von betrügerischen Machenschaften: Die Verteilungspfade sind heute offensichtlich viel komplexer als früher, Betrugsmöglichkeiten mehr.



Das ist zwar richtig - insbesondere der europäische Markt ist aber immer noch sehr gut vor Fälschungen geschützt. Und auch da arbeiten die Pharmafirmen an einer gangbaren Lösung, die sicherlich in 2015 oder 16 schon bei kritischen Produkten eingesetzt werden wird.

Zitat
Und wenn Pharmafirmen ihre klinischen Prüfungen an indische Subunternehmen ohne ausreichende Kontrolle delegieren (s. Stopp von Auslieferung von 80 Generika durch BfArM), dann trägt auch das nicht zum Grundvertrauen bei. Es besteht kein Anlass, auf vorsichtigen Eltern herumzuhacken.



Das ist ein Problem, keine Frage. Es ist aber auch ein Problem, welches nur wenige Pharmafirmen betrifft. Originalhersteller arbeiten normalerweise anders. Und Impfstoffe werden noch stärker überwacht als andere Arzneimittel.

adder Offline




Beiträge: 1.073

27.02.2015 19:25
#33 RE: Impfpflicht oder was ? Antworten

Zitat von Frank2000 im Beitrag #24
Ich bin überrascht, dass Llarians Ausgangsthese inzwischen so vollständig vom Tisch gewischt ist: dass aus liberaler Sicht ein so weitgehender staatlicher Eingriff in die Familie gruselig sein sollte. Und das ist so - wie kann die Diskussionsrunde das hier einfach so ignorieren? Liberale Denkweise sind doch zunächst mal Abwehrrechte gegen den Staat - ob Eltern gute Eltern sind, ist dafür vollkommen unerheblich. Liberale Denkweise ist, dass Menschen -also auch Eltern- irren können, der Staat aber auch. Und wenn schon ein Fehlurteil droht - dann ist das Urteil der Menschen zu bevorzugen, die unmittelbar von den Auswirkungen betroffen sind. Einen Eingriff in die liberale Denkweise mit dem Schutzrecht derer Kinder zu begründen, ist extrem wackelig. Denn wo soll da die Grenze gezogen werden? Gefahr für die Kinder kann auch aus hundert anderen Ecken kommen. Schlechte Ernährung? Mangelnde Hygiene? Gefährliche Lebensweise? Und was ist mit den nicht-körperlichen Gefahren und Schäden für das Kind - kann man die einfach unterschlagen?

Ist man erst mal an dem Punkt angekommen, dass nicht die Eltern, sondern die politisch organisierte Mehrheitsgesellschaft das Vorrecht hat über die Kinder zu entscheiden, dann kann man auch Beschneidungen oder Zwangstaufen begründen.

Trotzdem kann es Begründungen für eine Impfpflicht geben. Denn die Entscheidungen der Impfgegner beeinflussen ja nicht nur die eigene Familie, sondern auch die umgebende Gesellschaft. schleßlich ist es auch nicht freigestellt, auf welcher Straßenseite man fährt, welches die Landessprache ist oder ob man einen eingetragenen Namen hat. Oder, um mehr körperliche Aspekte zu nennen, es ist nicht freigestellt, ob man nackt einkaufen geht, ob man Wehrdienst ableistet und ähnliches.

Ich empfinde die Argumentation, der Staat müsse sich in das Eltern-Kind-Verhältnis einmischen als sehr unliberal. Die Impfpflicht entsteht für mich aus dem ganz normalen Verhältnis der Individualrechte zu den (hoffentlicht demokratisch legitimierten) Gemeinschaftsrechten. Kann man Menschen grundsätzlich zwingen, sich impfen zu lassen? Wenn man das bejaht, dann gilt das für alle Menschen - unabhängig vom Alter (so weit sinnvoll). Die Eltern vertreten in dem Fall lediglich die Kinder, da die Kinder noch nicht mündig sind.


Lieber Frank, vielen Dank für diesen abgewogenen Beitrag. Ich sehe eine Impfpflicht selbst sehr kritisch, eben aus dem Grund, dass es ein Eingriff in Freiheiten ist. Allerdings stimme ich Ihnen auch zu, dass andere Eingriffe in Freiheiten durchaus berechtigterweise erfolgt sein können. Letztlich muss bei einem solchen Eingriff immer eine Abwägung zwischen Freiheit auf der einen und anderen Grundrechten auf der anderen Seite (körperliche Unversehrtheit [in diesem Fall in beide Richtungen], Sicherheit, ....) erfolgen.
Diese Abwägung wollte ich nicht diskutieren, das ist wohl verantwortlich für den EIndruck, ich hätte die Ausgangsthese so einfach weggewischt. Mir ging es eher darum, die Absolutheit der Gegenthese, dass die körperliche Unversehrtheit per se gegen eine verpflichtende Maßnahme in Stellung gebracht wird, anzugreifen.

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

27.02.2015 20:19
#34 RE: Impfpflicht oder was ? Antworten

Ich würde gern nochmal einen Blick auf die Ausgangslage werfen, warum überhaupt ein Zwang angezeigt sein soll.
Offenbar werden zu wenig Kinder geimpft um die gefährliche Krankheit einzudämmen.

Ist denn der Impfzwang die einzige Option? Was ist mit Information? Warum versuchen die Gesundheitsminister und das Bundesgesundheitsministerium nicht erst einmal mit einer Kampagne gegen den sich ausbreitenden Aberglauben vorzugehen?
Ist es nicht vielmehr so, dass der Zwang, das Verbot immer häufiger das Mittel der Wahl wird, wenn sich gesellschaftliche Probleme auftun?

Nehmen wir mal an, es gäbe eine Impfpflicht in Deutschland. Diese Pflicht müsste, um Wirkung zu entfalten, auch Sanktionsmaßnahmen beinhalten. Würden wir so weit gehen wie die Amerikaner und ungeimpfte Kinder vom Schulbesuch ausschließen? Nein? Natürlich nicht.
Und damit wäre die Impfpflicht eine gute Gelegenheit die Irrationalität der Impfgegner auf die Spitze zu treiben.

Die Masernpartys von Impfgegnern sind doch die logische Weiterentwicklung der Akzeptanz homöopathischer "Medikamente" und der Alternativmedizin. Auf einmal sind Konsequenzen dieser esoterischen Romantik zu spüren und reagiert wird - mit Zwang.

Man könnte es doch auch mit dem versuchen, was man einst Aufklärung nannte und heute vielleicht Werbung und Information genannt werden würde, aber womöglich fehlen dafür schon die Fachkräfte.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Widder Offline



Beiträge: 61

27.02.2015 21:46
#35 RE: Impfpflicht oder was ? Antworten

Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #34
Ist denn der Impfzwang die einzige Option? Was ist mit Information? Warum versuchen die Gesundheitsminister und das Bundesgesundheitsministerium nicht erst einmal mit einer Kampagne gegen den sich ausbreitenden Aberglauben vorzugehen?


Nein, Zwang darf immer nur die letzte Option sein. Es gibt möglicherweise mildere Mittel. Aufklärung wäre ein Weg, würde m. E. aber die Impfgegner kaum überzeugen. Llarians Nudging-Ansatz geht übrigens in die richtige Richung. Nur würde ich keine Prämien befürworten, sondern es mit Sanktionen (Kindergeldkürzung, Kita-Ausschluss) versuchen.
Eine Lösung ist übrigens ein Kilo Linsen: http://blogs.faz.net/fazit/2012/11/02/wo...smus-hilft-625/ Leider würde es in Deutschland kaum etwas bringen.

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Widders Ecke

Emulgator Offline



Beiträge: 2.875

27.02.2015 22:11
#36 RE: Impfpflicht oder was ? Antworten

Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #34
Warum versuchen die Gesundheitsminister und das Bundesgesundheitsministerium nicht erst einmal mit einer Kampagne gegen den sich ausbreitenden Aberglauben vorzugehen?
Weil die Fehlbewertung von Risiken seitens der Wähler ein ganz wichtiges Mittel ist, andere Regierungsprojekte zu rechtfertigen.

Prinzipiell finde ich es aber auch problematisch, wenn eine demokratische Regierung ihr Volk mit Information erziehen will, auch wenn sie wirklich wissenschaftlich fundiert sind. Es widerspricht einfach dem Sinn von demokratischer Mitbestimmung, wenn diejenige Instanz, über die mitbestimmt werden soll, den Bestimmer erst schult. Ja, das ist auch ein Gegenargument gegen staatliche Schulen.

Es würde schon völlig ausreichen, wenn man staatlicherseits aufhören würde, wegen des Vorliegens wirtschaftlicher Interessen sofort Lüge zu vermuten. Das tun nämlich auch die Impfgegner: "Ärzte wollen ja nur impfen, weil sie damit Geld verdienen wollen. Das ist alles eine raffgierige Pharma- und Ärztelobby." Wenn man sich die COI-Statements auf medizinischen Publikationen anschaut, fragt man sich wirklich, ob nun die richtig angewendete wissenschaftliche Methode zum Erkenntnisgewinn führt oder die "Klassenzugehörigkeit".

Werwohlf Offline




Beiträge: 997

28.02.2015 00:53
#37 RE: Impfpflicht oder was ? Antworten

Zitat von Frank2000 im Beitrag #24
Denn wo soll da die Grenze gezogen werden?
Geht auch anders herum: Soll der Staat zusehen, wenn Eltern ihre Kinder verhungern lassen? Bei den wirklich wichtigen Dingen des Lebens ist es einfach so, dass einem keine Ideologie ein eindeutiges Rezept liefern kann. Das muss eine Gemeinschaft jeweils für sich entscheiden, welche Möglichkeiten des "Overrulings" sie für sich beansprucht. In unserer Rechtsordnung wimmelt es von allgemeinen Moralvorstellungen. Manchmal sind sie sogar formuliert, wie z.B. im Begriff des "ehrbaren Kaufmanns".

Eine liberale Gesellschaft wird Eltern vermutlich viele Abweichungen von dem zugestehen, was als allgemeine Norm gilt. Aber sobald sich konkrete Gefährdungen für Leib und Leben des Kindes manifestieren, wird man Eingriffe nur schwer argumentativ abwehren können.

In der Realität kommt allerdings erschwerend hinzu, dass wir keine liberale Gesellschaft haben. Und so lange der Staat meint, so etwas wie Bevölkerungspolitik machen zu müssen, mit entsprechenden Folgen hinsichtlich der Bereitstellung von Gütern und der Auszahlung von Subventionen, so lange werden sich Eltern, die diese Gaben in Empfang nehmen, das Reinquatschen gefallen lassen müssen. Das ist bei der Gesundheitspolitik auch nicht anders.

--
Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau,
verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau.
(Reinhard Mey)

Werwohlf Offline




Beiträge: 997

28.02.2015 00:56
#38 RE: Impfpflicht oder was ? Antworten

Zitat von Fluminist im Beitrag #31
Eine Impfpflicht wäre allein epidemiologisch zu begründen: ohne Impfung eines gewissen Mindestprozentsatz des Bevölkerung ist eine sehr problematische Krankheit endemisch, mit Impfung ist sie praktisch weg. Das ist ein Nutzen für die Gemeinschaft. Hier schwingt ein kategorischer Imperativ im Hintergrund mit.
Und der Volkswirt sagt, praktisch im Reflex: meritorisches Gut.

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Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau,
verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau.
(Reinhard Mey)

adder Offline




Beiträge: 1.073

28.02.2015 07:27
#39 RE: Impfpflicht oder was ? Antworten

Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #34
Ich würde gern nochmal einen Blick auf die Ausgangslage werfen, warum überhaupt ein Zwang angezeigt sein soll.
Offenbar werden zu wenig Kinder geimpft um die gefährliche Krankheit einzudämmen.

Ist denn der Impfzwang die einzige Option? Was ist mit Information? Warum versuchen die Gesundheitsminister und das Bundesgesundheitsministerium nicht erst einmal mit einer Kampagne gegen den sich ausbreitenden Aberglauben vorzugehen?
Ist es nicht vielmehr so, dass der Zwang, das Verbot immer häufiger das Mittel der Wahl wird, wenn sich gesellschaftliche Probleme auftun?

Nehmen wir mal an, es gäbe eine Impfpflicht in Deutschland. Diese Pflicht müsste, um Wirkung zu entfalten, auch Sanktionsmaßnahmen beinhalten. Würden wir so weit gehen wie die Amerikaner und ungeimpfte Kinder vom Schulbesuch ausschließen? Nein? Natürlich nicht.
Und damit wäre die Impfpflicht eine gute Gelegenheit die Irrationalität der Impfgegner auf die Spitze zu treiben.

Die Masernpartys von Impfgegnern sind doch die logische Weiterentwicklung der Akzeptanz homöopathischer "Medikamente" und der Alternativmedizin. Auf einmal sind Konsequenzen dieser esoterischen Romantik zu spüren und reagiert wird - mit Zwang.

Man könnte es doch auch mit dem versuchen, was man einst Aufklärung nannte und heute vielleicht Werbung und Information genannt werden würde, aber womöglich fehlen dafür schon die Fachkräfte.



Dieser Ansatz wird von der Politik wie auch von den "Impfkritikern" nicht angenommen. Es gab einmal eine e-Petition für mehr Aufklärung und eine Informationskampagne durch Ärzte*. Die Diskussion um diese e-Petition wurde sehr schnell von Impfgegnern gekapert und der Petentent beschimpft und als Lakai der Impfstoffindustrie bezeichnet. Die Bundestagsverwaltung entschied sich gegen die Petition, weil bereits genug Informationsmaterial vorliegen und man lieber über andere Maßnahmen nachdenken würde.
Aber auch außerhalb der Politik hat dieser Ansatz nicht viele Chancen. Die Ärzte bemühen sich ja, gute Informationen zu geben. Sie kommen nur nicht zu den Impfkritikern durch und erreichen Impffaule nur selten, weil die auch insgesamt selten zum Arzt gehen. Notwendig wäre also eine Info-Kampagne in den Medien oder auf Schul-/Kita-Elternabenden. Da aber die Impfkritiker eine sehr laute Gruppe sind, ist auch da zu erwarten, dass informierende Ärzte als Lakaien der Impfstoffindustrie und geldgeil beschimpft werden und Horrorgeschichten über einzelne Impfzwischenfälle immer wiederholt werden, damit der Arzt erst gar nicht zum Reden kommt.

*der Ansatz war, Eltern vor empfohlenen Impfungen (also vor dem Zeitpunkt, an dem das Kind nach RKI-Empfehlungen geimpft werden sollte) per Brief zu Informationsgesprächen beim Arzt einzuladen. Optional war ein geringer Druck (finanzieller Druck oder über Kita-Aufnahme), falls die Beratungsgespräche mehrfach nicht in Anspruch genommen wurden.

adder Offline




Beiträge: 1.073

28.02.2015 07:39
#40 RE: Impfpflicht oder was ? Antworten

Zitat von Werwohlf im Beitrag #37
Zitat von Frank2000 im Beitrag #24
Denn wo soll da die Grenze gezogen werden?
Geht auch anders herum: Soll der Staat zusehen, wenn Eltern ihre Kinder verhungern lassen? Bei den wirklich wichtigen Dingen des Lebens ist es einfach so, dass einem keine Ideologie ein eindeutiges Rezept liefern kann. Das muss eine Gemeinschaft jeweils für sich entscheiden, welche Möglichkeiten des "Overrulings" sie für sich beansprucht. In unserer Rechtsordnung wimmelt es von allgemeinen Moralvorstellungen. Manchmal sind sie sogar formuliert, wie z.B. im Begriff des "ehrbaren Kaufmanns".

Eine liberale Gesellschaft wird Eltern vermutlich viele Abweichungen von dem zugestehen, was als allgemeine Norm gilt. Aber sobald sich konkrete Gefährdungen für Leib und Leben des Kindes manifestieren, wird man Eingriffe nur schwer argumentativ abwehren können.


Die Abwägung zwischen verschiedenen, wichtigen Gütern wie Freiheit der Eltern, Entscheidungen für ihr Kind zu treffen (welche Behandlung? Welche Schulbildung? Welche Vorsorge?), Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit (ist die Behandlung geeignet, diese zu erhalten oder wiederherzustellen? Ist die Vorsorge ausreichend?), Bildung, "pursuit of happiness", aber auch Recht anderer Kinder/Menschen auf körperliche Unversehrtheit oder Freiheit liefert für solche Einschränkungen der individuellen Freiheit, irgendetwas zu tun/lassen. Auch wenn er kein liberaler in eigentlichen Wortsinn war, liefert mir Oliver Wendell Holmes Ausspruch "The right to swing my fist ends where the other man's nose begins" da ein wichtiges Credo. Die Freiheit, etwas zu tun, endet dort, wo andere direkt geschädigt werden. Ich kann mit meinem Auto so fahren wie ich will, wenn ich es so unter Kontrolle halten kann, dass ich ausschließen kann, jemand anderen zu überfahren/sein Auto zu rammen - ohne dass dieser ausweichen/anhalten muss. Ich kann mit meiner Waffe tun, was ich will, solange ich ausschliessen kann, dass ein anderer durch sie zu Schaden kommt (der mich nicht angreift). etc. pp.

Zitat
In der Realität kommt allerdings erschwerend hinzu, dass wir keine liberale Gesellschaft haben. Und so lange der Staat meint, so etwas wie Bevölkerungspolitik machen zu müssen, mit entsprechenden Folgen hinsichtlich der Bereitstellung von Gütern und der Auszahlung von Subventionen, so lange werden sich Eltern, die diese Gaben in Empfang nehmen, das Reinquatschen gefallen lassen müssen. Das ist bei der Gesundheitspolitik auch nicht anders.



Es ist aber für Liberale nicht unbedingt sinnvoll, selbst in dieser nicht liberalen Gesellschaft Freiheitseinschränkungen auch noch zu forcieren.

Martin Offline



Beiträge: 4.129

28.02.2015 10:33
#41 RE: Impfpflicht oder was ? Antworten

Zitat von Widder im Beitrag #35
Nein, Zwang darf immer nur die letzte Option sein. Es gibt möglicherweise mildere Mittel. Aufklärung wäre ein Weg, würde m. E. aber die Impfgegner kaum überzeugen. Llarians Nudging-Ansatz geht übrigens in die richtige Richung. Nur würde ich keine Prämien befürworten, sondern es mit Sanktionen (Kindergeldkürzung, Kita-Ausschluss) versuchen.
Eine Lösung ist übrigens ein Kilo Linsen: http://blogs.faz.net/fazit/2012/11/02/wo...smus-hilft-625/ Leider würde es in Deutschland kaum etwas bringen.


http://www.rbb-online.de/politik/thema/f...rankheiten.html (sechs Flüchtlingsheime betroffen)

Vielleicht wäre es aber auch eine Lösung, die Aufnahme von Flüchtlingen staatlicherseits vernünftig zu organisieren, anstatt an der Impfbereitschaft der deutschen Bevölkerung herumzunörgeln. Ich darf diejenigen, die damit keine Erfahrung haben, daran erinnern, dass es Länder gibt, die für Reisende aus bestimmten Ländern zwingend bestimmte Impfungen vorschreiben. Bedingungen, wo dann Flüchtlinge eng zusammengepfercht in Notunterkünften 'hausen' dürften ganz und gar nicht der Seuchenbekämpfung dienen. Ein Teil dieser Flüchtlinge kommt ja auch schon aus langfristigen Lagerbedingungen zu uns. Heute sind es Masern, morgen vielleicht TBC. Ich habe den Eindruck, dass das Pferd mit der Diskussion um Liberalismus in diesem Fall vom Schwanz aufgezäumt wird.

Gruß, Martin

Dennis the Menace Offline




Beiträge: 459

28.02.2015 10:44
#42 RE: Impfpflicht oder was ? Antworten

Zitat von Paul im Beitrag #16
Zitat von Llarian im Beitrag #13

Irrational, für wen ? Wenn wir dem Staat das Recht undiskutierte Recht einräumen besser zu wissen, was gut für uns ist (Kinder eingeschlossen), zu definieren was rational ist und was irrational, dann sollten wir uns nicht länger liberal schimpfen, denn tatsächlich sind wir dann das Gegenteil davon. Ich stimme zu, dass es Extremfälle gibt, bei denen der Staat, nach intensiver rechtlicher Würdigung, zu einem solchen Schritt kommt. Ich kenne auch Fälle in denen sich Ärzte auf dem ganz kurzen Dienstweg schlicht über den Willen der Angehörigen hinweggesetzt haben. Aber das ist etwas gänzlich anderes als 8% der Bevölkerung für irrational, blöd, dumm oder sonstwas zu stempeln und über ihren Willen hinweg Körperverletzungen zu begehen. Davon mal ab gebe ich die dritte Gruppe zu bedenken: Es ist nicht zwangsläufig irrational sich asozial zu verhalten. Ein Recht des Staates zur Körperverletzung zum Wohle der Allgemeinheit finde ich vieles, aber sicher nicht liberal.


Ein wenig habe ich gezögert. Aber jetzt, lieber Llarian, stellt der dumme Paul doch mal eine dumme Frage:

Gibt es einen Extremliberalismus?

Wenn ja; was ist das?

Wenn Ihnen und anderen Zettelianern die Frage zu dumm ist:
Ignoriert sie.



Nee, lieber Paul, die ignoriere ich mitnichten, denn mir geht das auch so: Man kommt in der Tat schnell an das von Ihnen angesprochene Grundsätzliche bei diesem kniffligen Problem, das hier diskutiert wird.

Bei liberalen Rechtsvorstellungen muss es m.E. natürlich immer heißen: Das Individuum zuerst. Eine Art Axiom. Indessen bezieht sich das immer auf das Individuum in der Gesellschaft, denn ohne eine solche wären rechtliche Zustände überflüssig. Das Thema der liberalen Veranstaltung ist also der wechselseitige Respekt und mitnichten ein über allem schwebender Egotrip Einzelner. Das Individuum insular zu denken ist schön für die Studierstube; indessen kommt man damit "draußen im Lande", wie das Herr Kohl immer zu hübsch zu formulieren pflegte, arg schnell in die Bredouille.

Aber die Sorgfältigkeit der Argumente gerade hier in der Diskussion zeigt mir auch, worum es geht: Nämlich genau darum; um das sorgfältige Abwägen. Jedes gewichtige Einzelproblem rauf auf den Prüfstand der Vereinbarkeit von individueller Freiheit und Verantwortung andererseits - nicht nur in der Gesellschaft allgemein sondern auch im Hinblick auf die kleineren Mikrokosmen (Familie etc.).

Ein besseres Argument zum Thema als die zahlreichen, die hier schon angeführt wurden, fällt mir auch nicht ein. Voll befriedigend und über jeden Zweifel erhaben ist am Ende des Tages wahrscheinlich keins, weil – so richtig wohlfühlig mollig behaglich isses halt nur in der Studierstube, beim Lösen praktischer Probleme macht am sich womöglich immer die Hände schmutzig – jedenfalls 'n bissle. Wesentlich scheint mir aber u.a.: Sich nicht von medialer Sensationsmache verrückt machen lassen. Die Gesetzesmaschine anzuwerfen, weil die Medienindustrie rumkreischt, ist allemal keine gute Idee – wenngleich für Politiker verführerisch und aus deren Sicht durchaus eine vermeintlich gute Idee. Indessen sollte man politisch wesentlich auch statistisch denken, also bei exzeptionellen Einzelfällen – trotz Mediengeschrei – durchaus nicht unbedingt "handeln". Allen Einzelfällen Rechnung tragen geht politisch eh nicht. Leider gibt's für solche Abwägungsfragen kein Schma F aus dem Lehrbuch.


Zitat von Paul
Bei Homöopathie, Antrosophie und Impfverweigerern hört meine Liberalität auf.



Uiiii, ein Dissens an dieser Stelle , möglicherweise:

Denn für mich fängt an dieser Stelle die Liberalität erst richtig an – (bewusst hier, wie Sie, den Begriff "Liberalismus" vermeidend), denn das zeigt ja auch die Diskussion: Wenn 's schwierig und brenzlig wird, geht’s erst richtig los. Für konformistische Standards, also für das, was alle Leut sowieso so machen, braucht man die Veranstaltung eigentlich nicht. Konformismus geht einfacher, aber als Liberaler quält man sich doch genau damit rum, dass man genau das nicht haben will, oder?

Und ja, früher mal, also noch bis in die 60er, wurde die damalige Impfpflicht gegen Pocken von der Bevölkerung natürlich hingenommen. Aber doch wohl eher deswegen, weil die da oben schon wissen, was sie machen, es sich im Übrigen nicht gehört, gegen die da oben zu stänkern und der Herr Doktor von Gesundheitsamt schon deswegen recht hat, weil er der Herr Doktor vom Gesundheitsamt ist.

Inwieweit solche Auffassungen gesund sind, wäre auch noch zu klären.

Herzlichst
Dennis

Martin Offline



Beiträge: 4.129

28.02.2015 11:18
#43 RE: Impfpflicht oder was ? Antworten

Zitat von adder im Beitrag #17

Zitat
davon abgesehen hat unsere Tochter alle Standardimpfungen durchlaufen. Wir haben das einfach als 'good practice' gesehen, ohne uns wissenschaftlich mit Nutzen und Risiken auseinanderzusetzen. Wir haben unsere Tochter früh und intensiv im Straßenverkehr geschult (ca. 40% der Todesfälle im Mobilitätsbereich), das Schwimmen beigebracht (ca. 20% der Todesfälle durch Ertrinken), usw..., einfach aus einem fürsorglichen Impuls heraus.

Vorbildlich. Leider sind das nicht alle Eltern.



Lieber adder,

ich möchte diesen Punkt nochmal aufgreifen: Es geht nicht um 'vorbildlich' oder nicht. Genau genommen kann es auch das Gegenteil sein. Die Entscheidung, die Standardimpfprogramme zu absolvieren ist blindes Vertrauen in die aktuellen Empfehlungen und den behandelnden Arzt, sogar ohne Aufklärung über eventuelle Risiken. In unserem Fall liegt das in der Hand meiner Frau, die in der DDR 'sozialisiert' wurde. Sie hat grundsätzlich eine größere Bereitschaft staatliche Vorgaben ohne Bedenken umzusetzen. Und auch ein bisschen "dann kann man mir ja keinen Vorwurf machen' (scheint mir auch so ein DDR-Überbleibsel zu sein). Wir reden hier nicht von 'Vorbild' und 'Verantwortung', sondern von fast blindem Vertrauen und Pragmatismus. Kaum ein arbeitender Mensch kann alle Pros und Cons so nebenbei zur Kindererziehung durcharbeiten und verstehen. Wir reden also letztlich von Vertrauen in die Obrigkeit.

Diese Obrigkeit zerstört aber das in sie gesetzte Vertrauen, wenn sie über Zwangsmaßnahmen nachdenkt, Politiker in die Diskussion wirft, die deutlich schlechter informiert sind, als Eltern, die sich intensiv mit den Fragen zur Impfung auseinandergesetzt haben, und sie zerstört das Vertrauen, wenn sie von oben herab argumentiert. Vertrauen schafft man nur, indem man hohe Standards fordert und diese auch kontrolliert (woran es gelegentlich Zweifel gibt). Vertrauen schafft man auch nur, wenn man alternative Ansätze nicht gleich vom Tisch wischt, weil man gerade so eine schöne Lösung parat hat. Zwangsmaßnahmen sind oft nur Bequemlichkeit, sich kritischen Fragen zu stellen. Auf der einen Seite möchte man einen hohen Bildungsstand in der Bevölkerung, auf der anderen Seite ist er lästig.

Gruß, Martin

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

28.02.2015 11:23
#44 RE: Impfpflicht oder was ? Antworten

Zitat von adder im Beitrag #40
Es ist aber für Liberale nicht unbedingt sinnvoll, selbst in dieser nicht liberalen Gesellschaft Freiheitseinschränkungen auch noch zu forcieren.


Vielleicht verstehe ich Sie ja falsch, lieber adder, aber für mich klingt das so: Man soll als Liberaler nicht für eine Sache eintreten, die man als richtig und wichtig erkannt hat, sofern sie nicht im Einklang mit der reinen Lehre des Liberalismus steht, und zwar ganz besonders dann, wenn der Liberalismus nicht genügend Anhänger hinter sich vereint.

Klingt für mich ziemlich nach "Erst die Ideologie, dann das eigene Denken/die eigene Meinung", und da wird der Liberalismus für mich genauso dogmatisch wie jede andere Ideologie auch. Ob man das so sieht oder meint, der Kapitalismus könne nicht funktionieren weil er im Gegensatz zu den Prinzipien des Sozialismus steht, scheint mir dann nur noch eine Frage der persönlichen Präferenz zu sein.

Herzliche Grüße,
Andreas

adder Offline




Beiträge: 1.073

28.02.2015 14:01
#45 RE: Impfpflicht oder was ? Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #44
Zitat von adder im Beitrag #40
Es ist aber für Liberale nicht unbedingt sinnvoll, selbst in dieser nicht liberalen Gesellschaft Freiheitseinschränkungen auch noch zu forcieren.


Vielleicht verstehe ich Sie ja falsch, lieber adder, aber für mich klingt das so: Man soll als Liberaler nicht für eine Sache eintreten, die man als richtig und wichtig erkannt hat, sofern sie nicht im Einklang mit der reinen Lehre des Liberalismus steht, und zwar ganz besonders dann, wenn der Liberalismus nicht genügend Anhänger hinter sich vereint.


Nein. Für eine als richtig und wichtig erkannte Sache sollte man gerade als Liberaler eintreten - aber man sollte sich bewusst sein, dass die daraus resultierenden Freiheitseinschränkungen (so denn solche gibt) besser vernünftig begründet sein sollten. Und natürlich, dass es Freiheitseinschränkungen sind, und man dadurch eventuell die Büchse der Pandora weit aufsperrt. Ein bischen Schwanger geht genauso wenig wie ein bischen Etatismus.

Zitat
Klingt für mich ziemlich nach "Erst die Ideologie, dann das eigene Denken/die eigene Meinung", und da wird der Liberalismus für mich genauso dogmatisch wie jede andere Ideologie auch. Ob man das so sieht oder meint, der Kapitalismus könne nicht funktionieren weil er im Gegensatz zu den Prinzipien des Sozialismus steht, scheint mir dann nur noch eine Frage der persönlichen Präferenz zu sein.

Herzliche Grüße,
Andreas



Spielt nicht die eigene Ideologie (Liberalismus) in die eigene Meinung hinein?

dirk Offline



Beiträge: 1.538

28.02.2015 14:34
#46 RE: Impfpflicht oder was ? Antworten

Zitat von Werwohlf im Beitrag #38
Zitat von Fluminist im Beitrag #31
Eine Impfpflicht wäre allein epidemiologisch zu begründen: ohne Impfung eines gewissen Mindestprozentsatz des Bevölkerung ist eine sehr problematische Krankheit endemisch, mit Impfung ist sie praktisch weg. Das ist ein Nutzen für die Gemeinschaft. Hier schwingt ein kategorischer Imperativ im Hintergrund mit.
Und der Volkswirt sagt, praktisch im Reflex: meritorisches Gut.



eher öffentliches Gut

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

28.02.2015 16:21
#47 RE: Impfpflicht oder was ? Antworten

Zitat von dirk im Beitrag #46
Zitat von Werwohlf im Beitrag #38
Zitat von Fluminist im Beitrag #31
Eine Impfpflicht wäre allein epidemiologisch zu begründen: ohne Impfung eines gewissen Mindestprozentsatz des Bevölkerung ist eine sehr problematische Krankheit endemisch, mit Impfung ist sie praktisch weg. Das ist ein Nutzen für die Gemeinschaft. Hier schwingt ein kategorischer Imperativ im Hintergrund mit.
Und der Volkswirt sagt, praktisch im Reflex: meritorisches Gut.



eher öffentliches Gut

Keine Leseempfehlung! Nur zur Abschreckung gedacht!
http://www.boeckler.de/pdf_fof/S-2006-918-4-1.pdf

Viele Grüße, Erling Plaethe

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

28.02.2015 18:54
#48 RE: Impfpflicht oder was ? Antworten

Zitat von adder im Beitrag #45
Spielt nicht die eigene Ideologie (Liberalismus) in die eigene Meinung hinein?

Natürlich. Manchmal habe ich aber in Diskussionen (hier im Forum weniger, kommt aber auch vor) den Eindruck, daß es umgekehrt eine Art "inneren Fraktionszwang" gibt. Bei Sozen und ausgeprägt Konservativen erlebt man das sehr häufig. Wenn ein Thema auftaucht, dann wird erstmal innerlich gescannt, was "die Sozialdemokratie", "der Konservatismus" oder eben "der Liberalismus" wohl zu dem Thema für Positionen hat, und diese werden dann gleichsam abgespult; zuweilen kommt das ziemlich dogmatisch rüber und auch ein wenig "denkfaul". Natürlich will ich niemandem absprechen, daß er sich vollumfänglich-themenübergreifend und reflektiert-widerspruchsfrei in ausschließlich liberalen Positionen wiederfindet. Bewundernswert, aber für mich wohl nicht erreichbar und auch nicht wirklich ein attraktives Ziel. Ich bin der Meinung, daß "xy entspricht nicht dem Liberalismus (Konservatismus; Sozialdemokratie)" nichtmal den Hauch eines Argumentes in der Sache darstellt sondern eher eine Art Diskussionsverweigerung, die die Debattenkultur in Deutschland teilweise prägt. Manchmal (selten) gab es das auch hier im Forum; ich erinnere mich dunkel, daß es mal einen ellenlangen thread gegeben hat, in dem ein Zimmerleut dem anderen sozusagen das Recht abgesprochen hat, sich "liberal" zu nennen oder daß dieunddie Position von Liberalen nicht verteten werden könne usw. Da geht es dann um ideologische Fellpflege, und das befremdet mich immer ein wenig. Damit kann ich nichts anfangen. Das war jetzt übrigens alles nicht auf Sie gemünzt, lieber adder; auf niemanden Spezielles hier im Forum.
My 2 cents .

Herzliche Grüße,
Andreas

lois jane Offline



Beiträge: 662

28.02.2015 19:33
#49 RE: Impfpflicht oder was ? Antworten

Danke, Llarian, für diesen sehr interessanten und ausgewogenen Artikel.

Ich würde das ebenso sehen. Ohne sie strikt abzulehnen wäre mir eine Impfpflicht - auch als Nicht-liberale - unheimlich.

Der erste Schritt sollte Aufklärung sein und vielleicht braucht man dann gar keine weiteren Maßnahmen.

Zitat von R.A. im Beitrag #8
Zitat von Llarian im Beitrag #5
Die Vorstellung, dass der Staat mit polizeilicher Gewalt kommt und meinem Kind eine potentiell tödliche Injektion in den Arm spritzt, schickt mir Schauer den Rücken runter.

Dann müßtest Du noch viel mehr bei der Vorstellung schaudern, daß der Staat mit polizeilicher Gewalt kommt und Deinem Kind den Bauch aufschneidet. Mit potentiell tödlichem Verlauf der Operation.


Der Unterschied ist aber gewaltig:

Bei Blinddarmentzündung wird das Kind ohne Operation zwangsläufig sterben. Bei einer nichterfolgten Impfung ist das nicht der Fall.

"Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande!"
Und nimm den Staat weg, dann bleiben unorganisierte Räuber zurück!

hubersn Offline



Beiträge: 1.342

01.03.2015 01:04
#50 RE: Impfpflicht oder was ? Antworten

Zitat von lois jane im Beitrag #49
Der erste Schritt sollte Aufklärung sein und vielleicht braucht man dann gar keine weiteren Maßnahmen.



Ich gehöre zur Generation, die routinemäßig der 4-fach-Impfung Masern-Scharlach-Mumps-Windpocken unterzogen wurden. Ich habe keine Kinder. Ich interessiere mich eher wenig für Gesundheitsthemen. Mit anderen Worten: ich bin die maximal entfernte Zielgruppe. Und trotzdem weiß sogar ich recht genau Bescheid über das Masern-Problem und die Impfgegner und Impfmüden.

Ich fürchte, Aufklärung wird keinen signifikanten Fortschritt bringen. Impfgegner sind da wie Kernenergiegegner schon lange über den Punkt hinaus, an dem rationale Argumente helfen würden.

Trotzdem muss ich zugeben, dass mir der Gedanke an Impfpflicht einen Schauer über den Rücken jagt. Aber auch nicht mehr als bei anderen Zwangsbeglückungen des deutschen Staates.

Gruß
hubersn

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