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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 166 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
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Abraham Offline



Beiträge: 174

23.08.2009 17:21
#101 RE: Marginalie: Armut in NRW und in Indien Antworten

In Antwort auf:
Was ist denn ein Arbeitsplatz auf Hartz-IV-Niveau ?

Ein Arbeitsplatz, mit dem man nicht mehr verdient als einem Hartz-IV einbringen würde.

Problem: Niedriglohnarbeitsplätze von Gewerkschaften nicht gewünscht.

Calimero Offline




Beiträge: 3.280

23.08.2009 17:23
#102 RE: Marginalie: Armut in NRW und in Indien Antworten

Zitat von Inger

Nur möchte ich doch zu bedenken geben, daß es inzwischen Initiativen gibt, die nicht "angeordnet" wurden, sondern aud echter Not heraus entstanden, nämlich die Tafeln, die nach relativ kaurzer Zeit ihres Bestehens erweitert werden müssen, weil sich doch immer mehr Menschen überwinden, ihre Armut zuzugeben.

Liebe Inger,

ich habe ja dies hier geschrieben:
Zitat von Calimero
Die Kohle, die in Hartz IV-Dynastien und ihre Versorgungs-SozPäds gesteckt wird, fehlt dann bei den wirklich unverschuldet in Not geratenen.

Und da liegt der Hase im Pfeffer. Dieses Land ist äußerst wohlhabend, verschleudert aber "sozial gerecht" jede Menge Geld an Leute, die eigentlich nicht wirklich bedürftig sind. Der traurige Rest der unverschuldet in Not geratenen muss dann vielleicht zu "den Tafeln".
Wobei ich diese Einrichtung für ganz hervorragend halte. Nicht nur für die Bedürftigen, sondern auch als sinnvolle Einrichtung gegen die Verschwendung von Lebensmitteln. Im Übrigen kenne ich persönlich keine solche Tafel und weiß nicht, welche Klientel dort anzutreffen ist. Ich kenne auch nur die Medienberichte darüber und, ehrlich gesagt, mein Vertrauen in die "Neutralität der Berichterstattung" sinkt seit einigen Jahren rapide. Das aber nur nebenbei.

Wenn sie jetzt sagen
Zitat von Inger
Früher konnte man sagen: "wer arbeiten will, findet auch Arbeit", das ist heue nicht mehr möglich.


...dann bin ich absolut bei ihnen, und es ärgert mich auch maßlos. Nur trägt die Schuld daran die gleiche Fraktion, die jetzt die relative Armut bejammert. Durch die überbordende Arbeitnehmer-, Jugendschutz- und Sozialgesetzgebung (jetzt auch noch das AGG) ist jede Neueinstellung ein unternehmerisches Risiko geworden.
Daraus resultierend wurde die Produktion immer weiter automatisiert, was wiederum eine enorme Effizienzsteigerung bewirkte. Dämlicher Nebenaspekt dabei ist allerdings, dass Fachkräfte sich extrem spezialisieren müssen und das schon teilweise in der Ausbildung geschehen muss.
Ich habe den Ausbilderschein der IHK machen müssen und war überrascht, welche Spezialisierungsrichtungen Azubis heutzutage einschlagen können. Das ist auch der Grund für die teilweise extrem überzogenen Ausbildungszeiten. Da soll am Ende eine fertig spezialisierte Fachkraft rauskommen, welche dann am Arbeitsmarkt Glück haben muss, dass ihre spezielle Ausbildung gerade gefragt ist.

Dieses ganze System ist Murks, weil es auf die Anstrengungen von Sozialklempnern zurückgeht. Eben die, die jetzt über relative Armut lamentieren.

Herzlich, Calimero

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... und im übrigen sollte sich jeder, der sich um die Zukunft Sorgen macht, mal zehn-, bis zwanzig Jahre alte Sci-Fi-Filme ansehen.

Abraham Offline



Beiträge: 174

23.08.2009 17:51
#103 RE: Mehrheit unserer Gesellschaft? Antworten

In Antwort auf:
Sie sprechen immer wieder von der "Mehrheit der Gesellschaft", gar von einem "gesellschaftliche[n] Empfinden und eine[r] kollektive Wertvorstellung".

Mich Kallias anschließend, möchte ich Sie fragen, a) woher Sie dieses "gesellschaftliche Empfinden" denn kennen und b) ob Sie so etwas eigentlich für wünschenswert halten.




a) Ich kenne das aus vielen Gesprächen und Auseinandersetzungen. Ich habe vor noch nicht allzu langer Zeit noch Ihren Standpunkt vertreten und habe buchstäblich niemanden gefunden, der meiner Meinung war. Zugegeben: mein persönliches Umfeld ist nicht repräsentativ. Schauen Sie sich also eine repräsentative Umfrage an: http://de.statista.com/statistik/daten/s...orgen-bereiten/
Ergebnis: 2009 fürchten sich 83% der Deutschen vor Armut;
Ich habe also keinen Grund, anzunehmen, dass sich das Verständnis von und die Besorgnis um relative Armut auf eine kleine Minderheit von Meinungsmachern in den "Mainstream-Medien" beschränkt.

b) Ja, ich halte das für wünschenswert, dass alle Menschen hier ein ernstes Problem sehen. Was als Normalverdienst angesehen wird, sollen möglichst alle haben. Nicht durch staatliche Umverteilung, sondern durch eigene Initiative der Betroffenen und günstige Randbedingungen, für die auch die Politik Verantwortung trägt, und auch durch Druck auf Arbeitsunwillige.

Calimero Offline




Beiträge: 3.280

23.08.2009 18:03
#104 RE: Marginalie: Armut in NRW und in Indien Antworten

Liebe Nola,

sie haben da etwas sehr Wichtiges angesprochen. Die unternehmerische Freiheit ist in diesem, unseren Lande *grins* unglaublich beschränkt. Siehe auch meine Antwort an Inger.

Ich sehe hier häufig junge Menschen mit orangenen Warnwesten am Straßenrand stehen und die Motorsense schwingen. Oder sie rennen mit Eimern und Aufpickequipment durch die Gegend und sammeln Müll auf. Da sehe ich keine verkrachten Existenzen, sondern durchaus "diskokompatible" junge Menschen, die einfach ihrer Arbeit nachgehen.
Es werden wohl 1-Euro-Jobber sein, die da rumwerkeln. Die könnten, wenn ich sie mir ansehe, aber durchaus auch was Anderes tun. Nur sind die Hürden wohl zu hoch.

Die "vom Tellerwäscher-zum-Millionär"-Story ist in Deutschland leider unmöglich geworden. Schade drum. :(


Herzlich, Calimero

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... und im übrigen sollte sich jeder, der sich um die Zukunft Sorgen macht, mal zehn-, bis zwanzig Jahre alte Sci-Fi-Filme ansehen.

Nola ( gelöscht )
Beiträge:

23.08.2009 18:47
#105 RE: Marginalie: Armut in NRW und in Indien Antworten

Lieber Calimero,

es ist ja mittlerweile bekannt, daß ich ein Faible für Sie habe. Ihren Beitrag aus der Familienbibliothek habe ich deshalb nicht kommentiert.

Sie treffen - für mein Empfinden - Volkesstimme immer auf den Kopf. Volkesstimme durchaus als ernst- und representativ gemeint, denn Volksabstimmungen zu wirklich das Volk bewegende Tendenzen gibt es hier ja nicht. Schade eigentlich. Wovor haben die Politiker da eigentlich Angst? Aja... jetzt würden wieder Allgemeinplätze folgen.

Einige der Mitdiskutanten hier wissen, aus meinen Postings, das ich mit Sicherheit kein "Mainstream-Zeitgenosse" bin und deshalb freue ich mich immer wieder Artikel von Ihnen zu lesen die mit drei Sätzen das auf den Punkt bringen, wofür ich mich zeilenweise abmühe. Sei's drum, Deutschland ist einfach nicht das Land, welches jungunternehmerische Visionen, die wir jetzt brauchen, unterstützen würde. Auf Kredite brauch ich in diesem Zusammenhang gar nicht hinzuweisen. Das allein ist schon wieder ein Thread für sich.

Was hat es nun dem Bürger in der Wirtschaftskrise gebracht, der letztlich dafür zahlt und bürgt, daß Milliarden in die Banken flossen, diese aber keine Kredite zu halbwegs annehmbaren Peisen bzw. meist gar keine geben? Damit sind wir wieder am Anfang der Diskussion, der Staat streut uns Sand in die Augen (ob mit Transferleistungen oder willkommene Billigung der Tafeln) und solange das nicht aufhört, ist ein Aufstieg der Gesellschaft von unten angefangen, nicht möglich. Abraham hats geschrieben, im Zweifelsfalle für die Freiheit. Stimmt. Nur diese wird immer mehr beschnitten. Außerdem, den Gedanken an nationaler dem Volk zugute kommender Weichenstellung können wir doch eh aufgeben. Jetzt hat wohl auch der letzte mitgekriegt, daß es um die EU geht. United EU und Merkel wird spätestens in der nächsten Legislaturperiode Oberhäuptling, daß ist ihr ganzes Sinnen und Streben. "Deutschland dienen" ich lach mich wech. Den deutschen Michel bis dahin auszusitzen ist wohl näher dran.

♥lich Nola

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

23.08.2009 19:54
#106 RE: Wertesysteme? Und was ist eigentlich Glück? Antworten

Zitat von Abraham
Vielleicht haben wir ja gar keine so unterschiedlichen Wertesysteme und Sie reagieren nur so allergisch auf den Begriff "relative Armut", weil Sie da immer gleich die sozialistischen Umverteiler um die Ecke wähnen.

Ich reagiere deshalb so ablehnend auf diesen Begriff, lieber Abraham, weil - ich habe das ja in diesem Artikel erläutert; vielleicht haben Sie ihn inzwischen gelesen - "Armut" ein hochgradig mit emotionalen Konnotationen versehenes Konzept ist. Wer arm ist, dem muß man helfen, er verdient Mitleid, man empört sich vielleicht über seine Armut.

Alles das trifft auf richtig definierte Armut, also absolute Armut, auch zu. Nichts trifft auf die sogenannte relative Armut zu. Sie ist in Wahrheit eine Ungleichheit der Einkommen. Man kann sie nur beseitigen, indem man die unteren Einkommen massiv anhebt, so daß sie nah an die mittleren Einkommen heranrücken.

Es ist ausgeschlossen, daß der Markt das zuläßt. Es würde dazu führen, daß einfache Arbeit nahezu genauso bezahlt wird wie qualifizierte Arbeit, und man würde im Bereich der unteren bis mittleren Einkommen jeden Anreiz beseitigen, sich weiter zu qualifizieren. Die Unternehmen würden dann für einfache Arbeit Löhne zahlen müssen, die nicht wettbewerbsfähig sind.

Also kann in der Tat nur staatliche Umverteilung die "relative Armut" beseitigen oder signifikant verringern. Ich habe Ihnen das ja schon einmal geschrieben, als Sie in Ihrem Rechenbeispiel einfach die unteren Löhne verdoppelt und verdreifacht haben.

Der Staat müßte dann entweder für die Unternehmen ruinöse Mindestlöhne festsetzen, oder es müßte eine gigantische Transfer-Maschinerie angeworfen werden, die aus dem Geld der Steuerzahler nicht nur Sozialhilfeempfänger und Niedrigrentner, sondern auch Geringerverdienende subventioniert. Das wäre in der Tat der Übergang zum Sozialismus.

Wie Sie, lieber Abraham, sich eine marktwirtschaftliche Beseitigung oder starke Verringerung der "relativen Armut" vorstellen, habe ich, glaube ich, immer noch nicht verstanden.

Herzlich, Zettel

Abraham Offline



Beiträge: 174

23.08.2009 20:25
#107 RE: Wertesysteme? Und was ist eigentlich Glück? Antworten

In Antwort auf:
Alles das trifft auf richtig definierte Armut, also absolute Armut, auch zu. Nichts trifft auf die sogenannte relative Armut zu. Sie ist in Wahrheit eine Ungleichheit der Einkommen. Man kann sie nur beseitigen, indem man die unteren Einkommen massiv anhebt, so daß sie nah an die mittleren Einkommen heranrücken.

Es ist ausgeschlossen, daß der Markt das zuläßt. Es würde dazu führen, daß einfache Arbeit nahezu genauso bezahlt wird wie qualifizierte Arbeit, und man würde im Bereich der unteren bis mittleren Einkommen jeden Anreiz beseitigen, sich weiter zu qualifizieren. Die Unternehmen würden dann für einfache Arbeit Löhne zahlen müssen, die nicht wettbewerbsfähig sind.

Also kann in der Tat nur staatliche Umverteilung die "relative Armut" beseitigen oder signifikant verringern. Ich habe Ihnen das ja schon einmal geschrieben, als Sie in Ihrem Rechenbeispiel einfach die unteren Löhne verdoppelt und verdreifacht haben.

(Hervorhebungen von mir)

Ich habe in meinem Rechenbeispiel (nachdem behauptet worden war, es sei rein mathematisch unmöglich, die relative Armut ohne absolute Gleichmacherei zu beseitigen) die unteren Einkommen stark erhöht. Das müssen nicht unbedingt Löhne sein. Es kann sich auch um den Ersatz von Arbeitslosenunterstützung durch richtige Löhne handeln. Wenn die relative Armut vor allem auf Arbeitslosigkeit beruht (ich denke, das ist bei uns der Fall), ist es doch nicht so schwer vorstellbar, wie die relative Armut stark reduziert werden könnte, ohne irgendwelche Löhne gewaltsam anzuheben. Ich denke nicht, dass ich das näher ausführen muss. Es könnte ja sogar ein leichtes Absinken der mittleren Einkommen zu einem formalen Rückgang der mathematisch definierten relativen Armut beitragen. Das wünsche ich mir natürlich nicht.

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

23.08.2009 20:38
#108 RE: Marginalie: Armut in NRW und in Indien Antworten

Zitat von Abraham
Aber Sie haben sicher auch die Beispiele von Stefanie gelesen.
Ja, habe ich, und ziehe auch überhaupt nicht in Zweifel, daß es vielen Geringverdienern schlecht geht. In Zweifel ziehe ich nur die Behauptung, daß der Begriff der "relativen Armut", wie er hier diskutiert wird, dieses Schlechtgehen irgendwie erfasst.

Man kann es auch so sehen: die Hartz-IV-Empfänger arbeiten ja i.d.R. nicht. Als arbeitsfähiger Mensch nicht arbeiten zu müssen kann man als geldwerten Vorteil ansehen, der den Hartzlern durch die Deckung des Grundbedarfs verschafft wird. Die Frage wäre jetzt, wie hoch man diesen Vorteil ansetzt. Naheliegend wäre der Median der Arbeitseinkommen. Somit würde vermutlich kein Hartz-IV-Empfänger unter die "relative Armutsgrenze" fallen.
Zitat von Abraham
Jedenfalls stimme ich Ihnen zu, dass wirklich arbeitsunwilligen "Stütze"-Empfängern Beine gemacht werden müssen.
Diese Forderung habe ich gar nicht erhoben.

Gruß,
Kallias

Abraham Offline



Beiträge: 174

23.08.2009 21:05
#109 RE: Wertesysteme? Und was ist eigentlich Glück? Antworten

In Antwort auf:
Glück hängt so gut wie nicht vom materiellen Wohlstand ab, sofern er eben nicht unterhalb der Schwelle zur Armut liegt.


Ich habe noch eine ganz interessante Studie der Frankfurter Universität zum Thema "Armut und Reichtum in Deutschland" gefunden, in dem in Abbildung 4 (Seite 9) der Zusammenhang zwischen der Einschätzunng der eigenen materiellen Lage und der Zufriedenheit mit dem Leben sehr deutlich gezeigt wird, ganz im Gegensatz zu Ihrer oben zitierten Annnahme:

http://www.boeckler.de/pdf/v_2009_02_10_becker_glatzer.pdf

Grüße, Abraham

p.s.: Ihren Einwand ahne ich schon. Der Vortrag wurde bei einer Veranstaltung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gehalten. Aber deshalb müssen ja nicht unbedingt die Studienergebnisse der Universität manipliert worden sein.

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.021

23.08.2009 21:21
#110 RE: Wertesysteme? Und was ist eigentlich Glück? Antworten

Zitat von Abraham
Zitat von Zettel
Also kann in der Tat nur staatliche Umverteilung die "relative Armut" beseitigen oder signifikant verringern. Ich habe Ihnen das ja schon einmal geschrieben, als Sie in Ihrem Rechenbeispiel einfach die unteren Löhne verdoppelt und verdreifacht haben.


Ich habe in meinem Rechenbeispiel (nachdem behauptet worden war, es sei rein mathematisch unmöglich, die relative Armut ohne absolute Gleichmacherei zu beseitigen) die unteren Einkommen stark erhöht. Das müssen nicht unbedingt Löhne sein. Es kann sich auch um den Ersatz von Arbeitslosenunterstützung durch richtige Löhne handeln. Wenn die relative Armut vor allem auf Arbeitslosigkeit beruht (ich denke, das ist bei uns der Fall), ist es doch nicht so schwer vorstellbar, wie die relative Armut stark reduziert werden könnte, ohne irgendwelche Löhne gewaltsam anzuheben. Ich denke nicht, dass ich das näher ausführen muss.

Sie müssen hier natürlich gar nichts

Aber ich habe Sie oben schon einmal gefragt und wiederhole die Frage gerne - in einem Thread dieser Länge geht einiges unter - was für liberale Maßnahmen stellen Sie sich denn vor, die die unteren Löhne stark ansteigen lassen (wir sprechen ja von Vervielfachungen!), gleichzeitig die mittleren und/oder hohen Löhne nahezu unverändert lassen?

Ich bin nämlich ganz Zettels Meinung: eine liberale Wirtschaftsordnung eröffnet allen Chancen und hat die besten Aussichten, der absolute Armut Herr zu werden - aber diese Chancen werden naturgemäß von den Qualifiziertesten noch viel besser genutzt als von den weniger Qualifizierten. Und damit wird Liberalität immer zu höherer Ungleichheit führen. Natürlich muss weiterhin höhere Ungleichheit nicht mit mathematischer Beweisbarkeit zu einem höheren Anteil von Einwohnern unterhalb von 60% des Medianeinkommens führen - aber die Tendenz ist sicherlich da.

Beispielsweise würde eine Lockerung des Kündigungsschutzes oder eine Abschaffung des AGG sicherlich dazu führen, dass Geringqualifizierte leichter eine Stelle bekommen - aber deren Arbeitgeber würden dann einen gewissen Mehrwert abschöpfen und somit ihrerseits von dieser Liberalisierung profitieren, und es ist mir überhaupt nicht klar, dass die Geringqualifizierten mehr profitieren würden als die Hochqualifizierten.

Also, Abraham: was für Maßnahmen würden Sie vorschlagen? Ich bin schon gespannt!

--
Ultramontan – dies Wort beschreibt vorzüglich die katholische Mentalität: mit einem kleinen Teil des Bewusstseins nicht Deutscher, nicht Zeitgenosse, nicht Erdenbürger zu sein. - Martin Mosebach, Spiegel 7/2009

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.021

23.08.2009 22:12
#111 RE: Mehrheit unserer Gesellschaft? Antworten

Zitat von Abraham
2009 fürchten sich 83% der Deutschen vor Armut;
Ich habe also keinen Grund, anzunehmen, dass sich das Verständnis von und die Besorgnis um relative Armut auf eine kleine Minderheit von Meinungsmachern in den "Mainstream-Medien" beschränkt.

Ich habe auch ein wenig umhergegoogelt. Leider habe ich mit Schlagworten wie "Armutsempfinden" nur Seiten gefunden, auf denen es darum geht, ob jemand seine eigene Situation als arm einschätzt. So wie die oben zitierte Statistik auch.

Viel interessanter fände ich eine Erhebung etwa folgender Art:
a) Wieviele Erwachsene, wieviele Kinder wohnen in Ihrem Haushalt?
b) Wie hoch ist Ihr Netto-Haushaltseinkommen?
c) Unterhalb welchen Netto-Haushaltseinkommens würden Sie jemanden mit Ihrem Haushalt als arm ansehen?

So etwas fände ich aussagekräftig. Kennt da jemand etwas?

--
Ultramontan – dies Wort beschreibt vorzüglich die katholische Mentalität: mit einem kleinen Teil des Bewusstseins nicht Deutscher, nicht Zeitgenosse, nicht Erdenbürger zu sein. - Martin Mosebach, Spiegel 7/2009

Abraham Offline



Beiträge: 174

23.08.2009 22:27
#112 RE: Wertesysteme? Und was ist eigentlich Glück? Antworten

In Antwort auf:
Beispielsweise würde eine Lockerung des Kündigungsschutzes oder eine Abschaffung des AGG sicherlich dazu führen, dass Geringqualifizierte leichter eine Stelle bekommen - aber deren Arbeitgeber würden dann einen gewissen Mehrwert abschöpfen und somit ihrerseits von dieser Liberalisierung profitieren, und es ist mir überhaupt nicht klar, dass die Geringqualifizierten mehr profitieren würden als die Hochqualifizierten.



Wenn die Arbeitgeber in dem von Ihnen beschriebenen Fall profitieren, schlägt sich das in den obersten Einkommenskategorien nieder, nicht in den mittleren. Also würden die untersten und die obersten Einkommen steigen, die mittleren nicht. Wie mehrfach dargestellt hat eine Steigerung der obersten Einkommen aber keinen Einfluss auf den Median der Einkommensverteilung. Folglich sinkt der Abstand zwischen Median-Einkommen und untersten Einkommen und die relative Armut geht zurück. Wenn auch noch Hochqualifizierte, die bisher arbeitslos waren, einen Job bekommen, könnte der von letzteren stammende Effekt neutral sein, denn einerseits gäbe es damit weniger Arme, andererseits würde der Median angehoben. Es sind aber in der Regel viel mehr Niedrigqualifizierte als Hochqualifizierte arbeitslos, so dass dies keine große große Rolle spielen dürfte.

Grüße, Abraham

Calimero Offline




Beiträge: 3.280

23.08.2009 22:39
#113 RE: Marginalie: Armut in NRW und in Indien Antworten

Lieber Kallias,

ihr Beitrag ist wohl irgendwie an mir vorbeigeflutscht. Wahrscheinlich, weil ein anderer Diskutant hier sehr engagiert und großflächig seine Argumentationen erklärt.

Sie scheinen mir da ein geselligerer Mensch zu sein als ich, denn ich kenne wirklich nicht einen H-IV-Bezieher. Ich hab 'ne Weile überlegt, aber da ist tatsächlich keiner. Wenn ich mir ihre Beispiele 1 und 2 angucke, bin ich da irgendwie "halbbegeistert", weil ich politisches und kulturelles Engagement gut finde, es aber nicht unbedingt anonym zwangsfinanzieren möchte.
Fall 3 braucht eigentlich keinen Kommentar. Schön für sie, dass unsere Gesellschaft (ungefragt) ihr Hobby finanziert.

Fall 4 ist richtig spaßig. Es geht ihm gut, ja? Warum eigentlich? Mit welchem Recht? Mit wessen Kohle?

Bei solchen Beispielen zieht es mir regelmäßig die Schuhe aus. Sowas muss sich eine Gesellschaft erstmal leisten können.

Uiuiui, Calimero

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... und im übrigen sollte sich jeder, der sich um die Zukunft Sorgen macht, mal zehn-, bis zwanzig Jahre alte Sci-Fi-Filme ansehen.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

23.08.2009 23:53
#114 RE: Wertesysteme? Und was ist eigentlich Glück? Antworten

Zitat von Abraham
In Antwort auf:
Glück hängt so gut wie nicht vom materiellen Wohlstand ab, sofern er eben nicht unterhalb der Schwelle zur Armut liegt.

Ich habe noch eine ganz interessante Studie der Frankfurter Universität zum Thema "Armut und Reichtum in Deutschland" gefunden, in dem in Abbildung 4 (Seite 9) der Zusammenhang zwischen der Einschätzunng der eigenen materiellen Lage und der Zufriedenheit mit dem Leben sehr deutlich gezeigt wird, ganz im Gegensatz zu Ihrer oben zitierten Annnahme:
http://www.boeckler.de/pdf/v_2009_02_10_becker_glatzer.pdf

p.s.: Ihren Einwand ahne ich schon. Der Vortrag wurde bei einer Veranstaltung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gehalten. Aber deshalb müssen ja nicht unbedingt die Studienergebnisse der Universität manipliert worden sein.

Nein, diesen Einwand habe ich überhaupt nicht, lieber Abraham. Die Daten wurden ja von Wissenschaftlern erhoben, die nicht der Hans-Böckler-Stiftung, sondern allein der Wahrheit verpflichet sind.

Ich danke Ihnen für diesen Fund; ich fand die Daten sehr interessant. Nur habe ich Zweifel, was die beiden Punkte angeht, die wir hier diskutieren.



Erstens, wie sieht es denn nun mit der Armut aus?

Auf Seite 5 heißt es:
Zitat von Glatzer & Becker
Sicherlich kann man nicht direkt danach fragen, ob sich jemand als arm fühlt, wenn man verzerrte Ergebnisse vermeiden will. In der Umfrageforschung wird häufiger die Frage nach der eigenen wirtschaftlichen Lage gestellt, die von sehr gut bis sehr schlecht beurteilt werden kann. Die Annahme ist naheliegend, dass die Bürger die Befriedigung ihrer öko-nomischen Bedürfnisse so weit beurteilen können, um sich mithilfe von Noten zwischen sehr schlecht und sehr gut adäquat einstufen zu können. Die eigene wirtschaftliche Lage bezeichneten im Jahr 2008 4 % der Bevölkerung als sehr schlecht und dies kann als strenge subjektive Armutsquote betrachtet werden. Die Beurtei-lung „schlecht“ und „sehr schlecht“ gaben 11 % der erwachsenen deutschsprachigen Be-völkerung ab und wir verstehen dies als milde subjektive Armutsquote.

Warum kann man nicht direkt fragen, ob sich jemand arm fühlt? (Man könnte vermuten, weil dann zum Entsetzen der Sozialwissenschaftler nur sehr wenige antworten würden, daß sie sich arm fühlen. ).

Also, man fragt das nicht, sondern man fragt nach der Einstufung der eigenen wirtschaftlichen Lage und "versteht" dann einfach die Selbsteinschätung "schlecht" als "milde subjektive Armut" und die Einschätzung "sehr schlecht" als "strenge subjektive Armut".

Ich halte das für, gelinde gesagt, Kaffeesatzleserei.

Ein Fabrikant, dem das Wasser bis zum Hals steht, kann seine wirtschaftliche Lage durchaus als "sehr schlecht" einstufen. Gehört er deshalb zu den Armen? Viele Landwirte sehen ihre wirtschaftliche Lage als schlecht. Sind sie also Teil des Heeres der Armen?

Viele Studenten und Lehrlinge werden wahrscheinlich ihre wirtschaftliche Lage nicht als schlecht oder sehr schlecht einstufen, obwohl sie weit weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens haben. Andere, die von Bafög leben, werden vielleicht ihre Lage als schlecht beschreiben - etwa, weil sie noch zusätzlich jobben müssen -, aber jemanden auslachen, der daraus den Schluß zieht, sie rechneten sich zu den Armen.

Was in dem Artikel völlig fehlt, das ist der Versuch, wenigstens die Armut durch konvergierende Operationen zu operationalisieren; also zu zeigen, daß es zwischen der Einschätzung der eigenen wirtschaftlichen Lage und dem Einkommen, in Prozent des Medians der Einkommen ausgedrückt, eine hohe Korrelation gibt.

Und dann verbietet doch nichts, auch direkt danach zu fragen, ob sich jemand als arm sieht. Auch da würde ich gern die Korrelation mit den beiden anderen Maßen sehen.



Zweitens, wie ist der Zusammenhang zwischen materiellem Wohlstand und Glück?

Nach Glück wurde in der Untersuchung nicht gefragt, sondern nach Lebenszufriedenheit. Leider wird der Wortlaut der Frage nicht mitgeteilt. Vielleicht lautete er ungefähr: "Wie zufrieden sind Sie insgesamt mit Ihrem Leben?"

Wenn man eine solche Frage im Kontext einer Befragung stellt, die ansonsten nur nach der wirtschaftlichen Situation, der Einkommensverteilung, sozialer Gerechtigkeit usw. fragt, dann liegt es nahe, daß die Befragten auch eine solche Frage in diese Richtung interpretieren. Daß sie dabei also daran denken, wie zufrieden sie mit ihrem Einkommen und ihrem Lebensstandard sind, aber nicht mit ihrer Partnerbeziehung, ihren Freunden, ihrer Gesundheit, ihren Erfolgserlebnissen; nicht mit ihren Hobbies, ihrer persönlichen Freiheit, dem Schutz vor dem Verbrechen, ihrem spirituellen Leben usw. Das alles gehört aber zu dem, was "Glück" ausmacht.

Wenn nun jemand bereits geantwortet hat, daß er seine wirtschaftliche Situation schlecht oder sehr schlecht findet, dann wird er logischerweise auch antworten, daß er mit seinem Leben in diesem Sinn unzufrieden ist. Die Korrelation, die in dieser etwas gewöhnungsbedürftigen Zwiebel in Abb. 4 dargestellt werden soll, dürfte also mindestens zum Teil ein Artefakt sein.

Über den Zusammenhang zwischen materiellem Wohlstand und Glück sagt also diese Befragung nichts aus. Erstens, weil gar nicht nach Glück gefragt wurde. Zweitens, weil gar nicht nach materiellem Wohlstand gefragt wurde, sondern danach, wie man seine wirtschaftliche Lage einschätzt.

Herzlich, Zettel

Abraham Offline



Beiträge: 174

24.08.2009 08:44
#115 RE: Wertesysteme? Und was ist eigentlich Glück? Antworten

In Antwort auf:
Zitat von Glatzer & Becker
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Sicherlich kann man nicht direkt danach fragen, ob sich jemand als arm fühlt, wenn man verzerrte Ergebnisse vermeiden will. In der Umfrageforschung wird häufiger die Frage nach der eigenen wirtschaftlichen Lage gestellt, die von sehr gut bis sehr schlecht beurteilt werden kann. Die Annahme ist naheliegend, dass die Bürger die Befriedigung ihrer öko-nomischen Bedürfnisse so weit beurteilen können, um sich mithilfe von Noten zwischen sehr schlecht und sehr gut adäquat einstufen zu können. Die eigene wirtschaftliche Lage bezeichneten im Jahr 2008 4 % der Bevölkerung als sehr schlecht und dies kann als strenge subjektive Armutsquote betrachtet werden. Die Beurtei-lung „schlecht“ und „sehr schlecht“ gaben 11 % der erwachsenen deutschsprachigen Be-völkerung ab und wir verstehen dies als milde subjektive Armutsquote.
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Warum kann man nicht direkt fragen, ob sich jemand arm fühlt? (Man könnte vermuten, weil dann zum Entsetzen der Sozialwissenschaftler nur sehr wenige antworten würden, daß sie sich arm fühlen. ).

Also, man fragt das nicht, sondern man fragt nach der Einstufung der eigenen wirtschaftlichen Lage und "versteht" dann einfach die Selbsteinschätung "schlecht" als "milde subjektive Armut" und die Einschätzung "sehr schlecht" als "strenge subjektive Armut".

Ich halte das für, gelinde gesagt, Kaffeesatzleserei.



Es ist doch nicht schwer zu erraten, lieber Zettel, warum nicht direkt nach "Armut" gefragt wird. Scham ist die Antwort. Die eigene materielle Lage als "schlecht" einzuschätzen, macht keine großen Probleme, sich als "arm" zu bezeichnen schon.

In Antwort auf:
Man könnte vermuten, weil dann zum Entsetzen der Sozialwissenschaftler nur sehr wenige antworten würden, daß sie sich arm fühlen.


Das steht aber im Widerspruch zu dem, was Sie oben geschrieben haben:

In Antwort auf:
p.s.: Ihren Einwand ahne ich schon. Der Vortrag wurde bei einer Veranstaltung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gehalten. Aber deshalb müssen ja nicht unbedingt die Studienergebnisse der Universität manipliert worden sein.
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Nein, diesen Einwand habe ich überhaupt nicht, lieber Abraham. Die Daten wurden ja von Wissenschaftlern erhoben, die nicht der Hans-Böckler-Stiftung, sondern allein der Wahrheit verpflichet sind.



In Antwort auf:
Ein Fabrikant, dem das Wasser bis zum Hals steht, kann seine wirtschaftliche Lage durchaus als "sehr schlecht" einstufen. Gehört er deshalb zu den Armen? Viele Landwirte sehen ihre wirtschaftliche Lage als schlecht. Sind sie also Teil des Heeres der Armen?



Eher unwahrscheinlich, dass solche Fälle die Statistik stark beeinflusst haben, einfach von den Zahlenverhältnissen (Arbeitslose, Niedriglohnempfänger / Fabrikanten und Landwirte in Schwierigkeiten) her.

In Antwort auf:
Viele Studenten und Lehrlinge werden wahrscheinlich ihre wirtschaftliche Lage nicht als schlecht oder sehr schlecht einstufen, obwohl sie weit weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens haben. Andere, die von Bafög leben, werden vielleicht ihre Lage als schlecht beschreiben - etwa, weil sie noch zusätzlich jobben müssen -, aber jemanden auslachen, der daraus den Schluß zieht, sie rechneten sich zu den Armen.



Darauf bin ich schon eingegangen. Als Student übt man Konsumverzicht als Investition in die Zukunft. Natürlich empfindet man das dann nicht als Armut und seine materielle Lage auch nicht als schlecht, auch wenn man viel weniger hat als andere. Man erwartet ja, dass man dafür bald um so mehr verdient.

In Antwort auf:
Was in dem Artikel völlig fehlt, das ist der Versuch, wenigstens die Armut durch konvergierende Operationen zu operationalisieren; also zu zeigen, daß es zwischen der Einschätzung der eigenen wirtschaftlichen Lage und dem Einkommen, in Prozent des Medians der Einkommen ausgedrückt, eine hohe Korrelation gibt.


Wäre interessant, aber bezweifeln Sie das wirklich, dass eine hohe Korrelation dabei herauskäme?

In Antwort auf:
Wenn man eine solche Frage im Kontext einer Befragung stellt, die ansonsten nur nach der wirtschaftlichen Situation, der Einkommensverteilung, sozialer Gerechtigkeit usw. fragt, dann liegt es nahe, daß die Befragten auch eine solche Frage in diese Richtung interpretieren. Daß sie dabei also daran denken, wie zufrieden sie mit ihrem Einkommen und ihrem Lebensstandard sind, aber nicht mit ihrer Partnerbeziehung, ihren Freunden, ihrer Gesundheit, ihren Erfolgserlebnissen; nicht mit ihren Hobbies, ihrer persönlichen Freiheit, dem Schutz vor dem Verbrechen, ihrem spirituellen Leben usw. Das alles gehört aber zu dem, was "Glück" ausmacht.Wenn nun jemand bereits geantwortet hat, daß er seine wirtschaftliche Situation schlecht oder sehr schlecht findet, dann wird er logischerweise auch antworten, daß er mit seinem Leben in diesem Sinn unzufrieden ist. Die Korrelation, die in dieser etwas gewöhnungsbedürftigen Zwiebel in Abb. 4 dargestellt werden soll, dürfte also mindestens zum Teil ein Artefakt sein.



Da muss ich Ihnen Recht geben, ein gutes Argument. Sicher hat das einen Einfluss auf das Resultat. Wenn sich die Lebenszufriedenheit zwischen denen mit sehr guter und denen mit sehr schlechter materieller Lage nur wenig unterscheiden würde, hätte dieser Unterschied nur geringe Aussagekraft. Aber der Unterschied ist massiv: 9 bzw. 6,1. Da müssten die Teilnehmer schon die Frage falsch verstanden haben, um die Differenz nur mit dem von Ihnen beschriebenen Effekt zu erklären.

Übrigens, interessant finde ich auch Abbildung 5 (Lebenszufriedenheit in Deutschland 1978 bis 2008). Es hat sich im Durchschnitt fast nichts geändert, obwohl die Einkommen seither gewachsen sind. Also kommt es bei der Zufriedenheit nicht so sehr auf das absolute Einkommen an, viel mehr auf das relative (das sich wahrscheinlich viel weniger verändert hat), wie die vorliegende Untersuchung zeigt.

Grüße,

Abraham

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

24.08.2009 09:18
#116 RE: Wertesysteme? Und was ist eigentlich Glück? Antworten

Zitat von Abraham
Es ist doch nicht schwer zu erraten, lieber Zettel, warum nicht direkt nach "Armut" gefragt wird. Scham ist die Antwort. Die eigene materielle Lage als "schlecht" einzuschätzen, macht keine großen Probleme, sich als "arm" zu bezeichnen schon.

Es gibt Standard-Methoden, um einem solchen möglichen response bias zu begegnen. Man kann beispielsweise anonym antworten lassen. Oder man kann die Frage indirekt stellen. Zum Beispiel: "Würden Sie sagen, daß jemand, der seine wirtsdchaftliche Lage als schlecht bezeichnet - daß derjenige arm ist?"

Jedenfalls wäre es essentiell gewesen, zu klären, wie "schlechte wirtschaftliche Lage" und "Armut" in den Augen der Betreffenden zusammenhängen Ich habe ja diverse Beispiele dafür genannt, daß jemand, der seine wirtschaftliche Lage als schlecht bezeichnet, deswegen sich keineswegs auch als arm empfinden muß.

Man kann doch, lieber Abraham, solche methodischen Schwierigkeiten als Wissenschaftler nicht dadurch umschiffen, daß man an die Stelle von Fakten einfach Behauptungen setzt.

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

24.08.2009 10:16
#117 RE: Wertesysteme? Und was ist eigentlich Glück? Antworten

Zitat von Zettel
Jedenfalls wäre es essentiell gewesen, zu klären, wie "schlechte wirtschaftliche Lage" und "Armut" in den Augen der Betreffenden zusammenhängen Ich habe ja diverse Beispiele dafür genannt, daß jemand, der seine wirtschaftliche Lage als schlecht bezeichnet, deswegen sich keineswegs auch als arm empfinden muß.

Dazu noch ein Gesichtspunkt, lieber Abraham, der Sie vielleicht überzeugen wird: Meist wird bei solchen Umfragen nciht nur nach der eigenen, sondern auch der allgemeinen wirtschaftlichen Lage gefragt. Ein Standardbefund ist, daß die eigene wirtschaftliche Lage besser eingeschätzt als die allgemeine. Ein beliebig herausgegriffenes Beispiel:
Zitat von Bettina Schausten
Zwar wird die allgemeine wirtschaftliche Lage von fast jedem Zweiten inzwischen als schlecht eingeschätzt, aber nicht mal jeder Sechste hält laut aktuellem Politbarometer auch seine persönliche wirtschaftliche Lage für schlecht.

Wenn jeder Zweite damals die allgemeine wirtschaftliche Lage als schlecht einschätzte - dann kann das doch nicht bedeuten, daß jeder Zweite die Deutschen in Ihrer Gesamtheit für arm hielt! Wörtlich dieselbe Frage wird in Bezug auf die persönliche wirtschaftliche Lage gestellt. Und da soll die Antwort "schlecht" auf einmal gleichbedeutend mit der Auskunft sein "ich bin arm"?

Herzlich,Zettel

Abraham Offline



Beiträge: 174

24.08.2009 11:17
#118 RE: Wertesysteme? Und was ist eigentlich Glück? Antworten

In Antwort auf:
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Zwar wird die allgemeine wirtschaftliche Lage von fast jedem Zweiten inzwischen als schlecht eingeschätzt, aber nicht mal jeder Sechste hält laut aktuellem Politbarometer auch seine persönliche wirtschaftliche Lage für schlecht.
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Wenn jeder Zweite damals die allgemeine wirtschaftliche Lage als schlecht einschätzte - dann kann das doch nicht bedeuten, daß jeder Zweite die Deutschen in Ihrer Gesamtheit für arm hielt! Wörtlich dieselbe Frage wird in Bezug auf die persönliche wirtschaftliche Lage gestellt. Und das soll die Antwort "schlecht" auf einmal gleichbedeutend mit der Auskunft sein "ich bin arm"?


Ein überraschendes Argument, lieber Zettel. Das Zitat beweist doch gerade, dass das Adjektiv "schlecht" für die Menschen ganz unterschiedliche Bedeutungen hat:

- die allgemeine wirtschaftliche Lage ist schlecht: kein Wachstum, Arbeitsplätze gefährdet etc.
- meine persönliche wirtschaftliche Lage ist schlecht (bei Arbeitnehmern): mein Einkommen reicht nicht aus, um meinen Bedarf zu befriedigen

Darum ist es ganz vernünftig (für Arbeitnehmer, Arbeitslose): "meine wirtschaftliche Lage ist schlecht" = "ich bin mehr oder weniger arm"

Bei Selbständigen ist das etwas anderes, aber die dürften ja nur einen kleinen Teil der Befragten ausgemacht haben.

Grüße, Abraham

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

24.08.2009 11:48
#119 RE: Wertesysteme? Und was ist eigentlich Glück? Antworten

Zitat von Abraham
Das Zitat beweist doch gerade, dass das Adjektiv "schlecht" für die Menschen ganz unterschiedliche Bedeutungen hat:
- die allgemeine wirtschaftliche Lage ist schlecht: kein Wachstum, Arbeitsplätze gefährdet etc.
- meine persönliche wirtschaftliche Lage ist schlecht (bei Arbeitnehmern): mein Einkommen reicht nicht aus, um meinen Bedarf zu befriedigen

Ja, vielleicht. Vielleicht ist gemeint: Ich kann mir den Urlaub dieses Jahr nicht leisten. Ich habe Angst davor, meine Arbeit zu verlieren. Ich mußte meine Ersparnisse ankratzen.

Oder was immer. Wir wissen es doch nicht.

Aber das alles, was Sie und ich jetzt vermuten, hat doch nix mit der Aussage zu tun: Ich sehe mich als jemanden, der arm ist.

Eine Grundregel wissenschaftlichen Arbeitens ist, daß man sauber zwischen Befunden und Hypothesen trennt. Die beiden Autoren verstoßen gröblich dagegen. Ihr Befund ist, daß soundso viele Prozent sagen, es ginge ihnen schlecht oder sehr schlecht. Die Hypothese , die die Autoren dazu haben, lautet, daß sie damit sagen wollen, sie seien arm; daß sie sich das aber nicht zu sagen trauen.

Von mir aus können sie ja eine solche Hypothese haben. Sie verkaufen sie aber als einen Befund. So etwas läßt man keinem Studenten im Experimentalpraktikum durchgehen.

Herzlich, Zettel

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

24.08.2009 12:21
#120 RE: Marginalie: Armut in NRW und in Indien Antworten

Lieber Calimero,

diese Fallbeispiele habe ich gebracht um zu zeigen, daß "Sich-arm-fühlen" nicht unbedingt mit dem berüchtigten 60%-Kriterium erfasst werden kann; wie Menschen ihre Lage sehen, hängt doch sehr davon ab, was sie daraus machen: daher die Einzelheiten. (Anders gesagt, die Klischee-Hartzler, die trübselig vor dem Fernseher hängen, leben - wenn man so will - in kultureller und nicht in materieller Armut.)

Ich habe jetzt ein schlechtes Gewissen, weil ich durch die arg vereinfachten Schilderungen zu einer Beurteilung dieser Personen eingeladen habe, von denen Nr. 1-3 noch dazu gute Freunde sind. Dabei wollte ich lediglich behaupten, daß sie für ihr eigenes und für mein Empfinden nicht arm sind, um zu begründen, wieso ich Abrahams These:

Zitat von Abraham
781 Euro im Monat. Ich denke, das ist nicht weit weg von der absoluten Armutsschwelle
nicht ohne weiteres schlucke.

Gruß,
Kallias

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

24.08.2009 12:26
#121 RE: Wertesysteme? Und was ist eigentlich Glück? Antworten

Zitat von Abraham
In Antwort auf:
Glück hängt so gut wie nicht vom materiellen Wohlstand ab, sofern er eben nicht unterhalb der Schwelle zur Armut liegt.

Ich habe noch eine ganz interessante Studie der Frankfurter Universität zum Thema "Armut und Reichtum in Deutschland" gefunden, in dem in Abbildung 4 (Seite 9) der Zusammenhang zwischen der Einschätzunng der eigenen materiellen Lage und der Zufriedenheit mit dem Leben sehr deutlich gezeigt wird, ganz im Gegensatz zu Ihrer oben zitierten Annnahme


Hier noch ein paar Texte, die das belegen, was ich geschrieben habe:

http://www.princeton.edu/main/news/archi...tion=topstories

http://www.bankrate.com/brm/news/advice/20060822a1.asp

http://timesofindia.indiatimes.com/NEWS/...how/4291094.cms

Nochmal gesagt: Wer in absoluter Armut lebt, der ist im Schnitt weniger glücklich als andere. Darüber hinaus gibt es es nur eine schwache Korrelation zwischen Einkommen und Glück. Das sagen jedenfalls die meisten Untersuchungen, obwohl einige andere eine etwas stärkere Korrelation gefunden haben.

Abraham Offline



Beiträge: 174

24.08.2009 13:02
#122 RE: Wertesysteme? Und was ist eigentlich Glück? Antworten

In Antwort auf:
Es gibt Standard-Methoden, um einem solchen möglichen response bias zu begegnen. Man kann beispielsweise anonym antworten lassen. Oder man kann die Frage indirekt stellen. Zum Beispiel: "Würden Sie sagen, daß jemand, der seine wirtsdchaftliche Lage als schlecht bezeichnet - daß derjenige arm ist?"

Jedenfalls wäre es essentiell gewesen, zu klären, wie "schlechte wirtschaftliche Lage" und "Armut" in den Augen der Betreffenden zusammenhängen Ich habe ja diverse Beispiele dafür genannt, daß jemand, der seine wirtschaftliche Lage als schlecht bezeichnet, deswegen sich keineswegs auch als arm empfinden muß.




Wenn Sie jemanden einerseits fragen, welchern Zusammenhang er zwischen wirtschaftlich schlechter Lage und Armut sieht" und ihn andererseits fragen, ob seine Lage schlecht ist, glauben Sie im Ernst, dass Sie damit vermeiden können, dass der Befragte aus Scham keine offene Antwort gibt? Der Zusammenhang wäre doch überdeutlich.

In Antwort auf:
Aber das alles, was Sie und ich jetzt vermuten, hat doch nix mit der Aussage zu tun: Ich sehe mich als jemanden, der arm ist.



Schauen wir uns doch noch mal die drei Resultate an, lieber Zettel, die die Frankfurter Forscher für die unterste Gruppe in Abbildung 4 angeben:

- 4% finden ihre eigene wirtschaftliche Lage "sehr schlecht"
- ihre Zufriedenheit rangiert mit 6,1 auf der 0-10-Skala weit unten
- 93% finden, dass sie nicht den gerechten Anteil an materiellen Gütern erhalten haben

Im Grunde ist es dann doch gar nicht so wichtig, ob man den Zustand, in dem sich Menschen so fühlen, als "relative Armut" bezeichnet. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass es sich aus der Sicht der Betroffenen um einen großen Mißstand handelt. Ich würde nicht unbedingt auf dem Terminus "relative Armut" bestehen, wenn Sie das so stört, aber "relative Armut" ist eben die gängige Ausdrucksweise in dem Forschungszweig, der sich mit diesem Problem beschäftigt. Und mit welchem anderen Wort könnte man denn den Zustand angemessener beschreiben?

Wie auch immer, Worte sind doch "Schall und Rauch". Wir sollten uns meiner Ansicht nach auf die Frage konzentrieren, ob ein Mißstand vorliegt, gegen den man etwas tun sollte.

Mir ist da übrigens eine Idee gekommen, wie man die Debatten in ZR bereichern könnte. Man könnte Experten einladen, z. B. versuchen, einen Armutsforscher dafür zu gewinnen, dass er sich den kritischen Fragen der ZR-Diskutanten stellt. Dann könnte man über solche methodischen Fragen diskutieren und bekäme wahrscheinlich befriedigendere Antworten. Sie sind doch ehemaliger Hochschullehrer und für Sie wäre es vielleicht nicht allzu schwer, so etwas zu organisieren.

Grüße, Abraham

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

24.08.2009 13:14
#123 RE: Wertesysteme? Und was ist eigentlich Glück? Antworten

Zitat von Abraham
Im Grunde ist es dann doch gar nicht so wichtig, ob man den Zustand, in dem sich Menschen so fühlen, als "relative Armut" bezeichnet.

Es wäre dann ziemlich egal, wenn man den Begriff der Armut nur dafür verwenden würde. Aber "arm" hat eben eine andere Bedeutung, wie nun schon oft gesagt.

Und es wäre egal, wenn es den Autoren nicht um die subjektive Befindlichkeit ginge. Sie wollen den Betreffenden ja attribuieren, daß sie sich arm fühlen, es bloß nicht sagen wollen.

Aber wie belegt man eine solche aus der Luft gegriffene Vermutung? Die Autoren machen noch nicht einmal den Versuch, sie zu belegen, sondern sie tun einfach so, als sei es gar keine Vermutung, sondern ein Befund.

Das ist schlechte, das ist miserable Wissenschaft.

Herzlich, Zettel

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

24.08.2009 13:51
#124 RE: Marginalie: Armut in NRW und in Indien Antworten

Zitat von Zettel
Bei Kindern ist es wohl in der Tat heute - ich glaube, das fing in den achtziger Jahren an - so, daß teure Statussymbole für den Rang in der Klasse von entscheidender Bedeutung sind.

Ich halte diese Diskussion für ein Medienphänomen.
Auch früher gab es das natürlich, daß irgendwelche materiellen Statussymbole bei Kindern (eigentlich eher bei Jugendlichen) in gewissen Cliquen eine Rolle spielten.
Und umgekehrt ist es heute nicht so, daß ALLE Jugendliche auf so etwas Wert legen.

Es kann gut sein, daß der Anteil derer, die sich durch materielle Symbole abgrenzen, mal höher und mal niedriger liegt (solche Schwankungen sind eigentlich bei allen sozialen Phänomenen zu erwarten). Ob er derzeit besonders hoch ist, kann ich nicht sagen, und ich bezweifele, daß das überhaupt jemand sicher sagen kann - es gibt dazu keine zuverlässigen Zahlen.

Die EINZIGE vernünftige Form damit umzugehen (wenn man es überhaupt als Problem ansieht) ist m. E., den Kindern vernünftige Wertmaßstäbe beizubringen und vor allem vorzuleben. Und ihnen klar zu machen, daß es immer Idioten geben wird, die sich über das Einkommen (der Eltern) Selbstwertgefühl verschaffen - und das es eben nicht cool ist, diese Maßstäbe anzuerkennen.

Die Diskussion über Schuluniformen etc. hilft da gar nichts. Mal abgesehen von den ganzen anderen Problemen mit diesem Thema - es schafft überhaupt keine Abhilfe, denn dann definieren sich die fraglichen Cliquen eben nicht mehr über Klamotten, sondern über anderen materiellen Konsum, die Möglichkeiten dazu sind beliebig.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

24.08.2009 13:54
#125 RE: Marginalie: Armut in NRW und in Indien Antworten

Zitat von Abraham
ich habe den Eindruck, dass wir alle ziemlich laienhaft herumdiskutieren. Gerade habe ich "entdeckt", ...

Ich möchte doch ganz unbescheiden darauf hinweisen, daß "wir alle" eben nicht zutrifft.
Einige Teilnehmer an dieser Diskussion haben ihr Wissen nicht gerade eben erst erworben (aber schon vor diesem Erwerb deutlichst Position bezogen), sondern sich schon länger mit dieser Thematik beschäftigt.

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