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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

09.12.2014 10:39
#726 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #725
Wenn ich was höre von "neutraler Position" verstehe ich nur noch NATO und EU-Austritt und Beitritt zur Eurasischen Union.
Ich diskutiere hier aus der Position eines Atlantikers und eines Menschen des Westens. Da gehört Deutschland m.E. hin. Wäre dies seit der Reichsgründung 1871 der Fall gewesen, hätte es womöglich die beiden Weltkriege gar nicht gegeben.

Hmmm - historische Spekulationen sind immer problematisch (um nicht das naheliegende, aber von Zettel verbotene U-Wort zu gebrauchen); aber hier sehe ich nicht, wie die Prämisse auch nur im entferntesten hätte erfüllt sein können, lieber Erling Plaethe. 1871 gab es keine "Atlantiker" und auch nicht "den Westen", die Gründung des preußisch dominierten (II.) Kaiserreichs war ersichtlich eine Aktion gegen Frankreich, ein Element im französisch-deutschen Antagonismus, der seit Napoleon in voller Schärfe vorlag und auch dem ersten Weltkrieg mit seinen um Frankreich und Deutschland gruppierten Bündnisblöcken zugrundelag.

Ich meine eher, wenn die europäischen Mächte 1914 das Konzept einer "neutralen Position" verinnerlicht hätten, dann hätte es den Weltkrieg nicht gegeben.



It is only by the collision of adverse opinions that the remainder of the truth has any chance of being supplied. - J. S. Mill

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

09.12.2014 10:46
#727 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von Fluminist im Beitrag #726
1871 gab es keine "Atlantiker" und auch nicht "den Westen"

Natürlich nicht in dieser Form - aber es hätte die Option gegeben, sich stärker an angelsächsischen Denkweisen anzulehnen. Das wäre sowohl innen- wie außenpolitisch deutlich klüger gewesen als die Orientierung an Rußland.

Zitat
Ich meine eher, wenn die europäischen Mächte 1914 das Konzept einer "neutralen Position" verinnerlicht hätten, dann hätte es den Weltkrieg nicht gegeben.


Wenn sich Deutschland und England einig gewesen wären, hätte es diesen Krieg nie gegeben.

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

09.12.2014 11:44
#728 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #727
... aber es hätte die Option gegeben, sich stärker an angelsächsischen Denkweisen anzulehnen. Das wäre sowohl innen- wie außenpolitisch deutlich klüger gewesen als die Orientierung an Rußland. ...
Wenn sich Deutschland und England einig gewesen wären, hätte es diesen Krieg nie gegeben.

Das ist ein guter Punkt. Wo kommt die Uneinigkeit zwischen Deutschland und England eigentlich her? Die Engländer sind ja nicht gerade natürliche Bundesgenossen der Franzosen, wenn man sich die Geschichte im Großen anschaut, und mit den Deutschen haben sie noch in Waterloo schön gegen die Franzosen zusammengearbeitet.



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R.A. Offline



Beiträge: 8.171

09.12.2014 12:01
#729 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von Fluminist im Beitrag #728
Wo kommt die Uneinigkeit zwischen Deutschland und England eigentlich her?

Das ist eine gute Fragen - und eigentlich sehr zentral für das Verständnis des letzten Jahrhunderts. Wird aber erstaunlicherweise in der Forschung nur nebensächlich behandelt.
Wobei es bei englischen Historikern inzwischen wohl Tendenzen gibt, das genauer anzuschauen.

Oberflächlich wird natürlich oft die Flottenfrage genannt, in der Deutschland ziemlich ungeschickt agierte. Aber das ist m. E. nicht ausreichend - die weltweiten Rivalitäten zwischen England und Rußland bzw. Frankreich waren eigentlich viel gravierender.
Eine Rolle hat wohl auch die Wirtschaftskonkurrenz gespielt.

Aber im wesentlichen war das wohl ein Versagen der Außenpolitik auf beiden Seiten (und beide Länder haben heftig dafür bezahlt).
Wobei schlechte Außenpolitik in Deutschland ja Tradition hat (und hier verstärkt wurde durch die reaktionären Kräfte im Inneren, die mit dem englischen Freiheitsvorstellungen nichts anfangen konnten). Umgekehrt erstaunt aber das Versagen der englischen Außenpolitik. Denn traditionell war die englische Diplomatie recht geschickt und erfolgreich.

Meine Vermutung ist, daß die englische Politik schlicht zu sehr in der Vergangenheit verwurzelt war (nach dem Motto: Lief ja bisher immer hervorragend, bloß nichts ändern) und glaubte, mit ein paar austarierenden Maßnahmen (z. B. Entsendung eines kleinen Expeditionsheeres) das gewohnte Kräftegleichgewicht in Europa halten zu können.

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 13.568

09.12.2014 12:37
#730 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #729
Denn traditionell war die englische Diplomatie recht geschickt und erfolgreich.


Wenn man Diplomatie als das Gegenteil von Außenpolitik nimmt. Da haben sich aber die jeweiligen Regierungen seit Jakob I. bis zur Ägide Disraeli immer gern mit der rosa Brille ausgeholfen. Da wo robuste Außenpolitik gefahren wurde (bzw. gefahren werden mußte, den Umständen entsprechend), fiel die Bilanz deutlich durchwachsener aus - 3 Seekriege gegen Holland, das desaströse Mitmachen im Spanischen Erbfolgekrieg, der Verlust der nordamerikanischen Kolonien (die aber nie eine Goldgrube waren; kein Schade drum) ... Erfolgreich war das da, wo man keine Rücksicht auf Konkurrenz beim Aufbau eines Kolonialreichs nehmen mußte & ansonsten auf Handel setzen konnte. Exemplarisch zeigt sich das ab 1870, als diese Konkurrenzsituation an 2 Fronten entsteht: im "Scramble for Africa" - gegen Frankreich - & im "Great Game" um völlig wahnhafte "Einflußsphären" in Innerasien (gegen Russland, dann China, dann die Deutschen), als die "Diplomatie" sich auf das Überreichen von signierten Photographien of Her Majesty & intarsierten Jagdflinten an lokale Nabobs beschränkte.

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

09.12.2014 13:30
#731 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #725
Liebe Nola, was mir beim ersten Zuhören auffiel (und mich abschreckte) ist die persönliche Verächtlichmachung eines Diskussionsteilnehmers.
Somit liegt diese Diskussion weit unter dem Niveau welches wir hier pflegen.

Es geht auch zivilisierter, siehe etwa diesen offenen Brief; ein kurzes Zitat daraus:

Zitat
Die Sucht nach Macht und Vorherrschaft ist nicht überwunden. 1990, am Ende des Kalten Krieges, durften wir alle darauf hoffen. Aber die Erfolge der Entspannungspolitik und der friedlichen Revolutionen haben schläfrig und unvorsichtig gemacht. In Ost und West gleichermaßen. Bei Amerikanern, Europäern und Russen ist der Leitgedanke, Krieg aus ihrem Verhältnis dauerhaft zu verbannen, verloren gegangen. Anders ist die für Russland bedrohlich wirkende Ausdehnung des Westens nach Osten ohne gleichzeitige Vertiefung der Zusammenarbeit mit Moskau, wie auch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Putin, nicht zu erklären.
[...]
Wir appellieren an die Medien, ihrer Pflicht zur vorurteilsfreien Berichterstattung überzeugender nachzukommen als bisher. Leitartikler und Kommentatoren dämonisieren ganze Völker, ohne deren Geschichte ausreichend zu würdigen.


usw. Ich empfehle aber den ganzen Text zu lesen.



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R.A. Offline



Beiträge: 8.171

09.12.2014 14:36
#732 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von Fluminist im Beitrag #731
Es geht auch zivilisierter, siehe etwa ...

Zivilisierter im Tonfall, aber leider nicht intelligenter.

Das sieht man schon am allersten Satz:

Zitat
Niemand will Krieg.


Wenn das wahr wäre, bräuchte man überhaupt keine Diskussion. Wenn keiner Krieg will, gibt es auch keinen Krieg. Das ist schließlich keine Naturkatastrophe, die völlig ohne menschliches Zutun von alleine kommt.

Wir haben aber aktuell Krieg in Europa, und der war gewollt. Von genau dem Putin, den die Initiatoren unterstützen wollen.
Im übrigen eine erstaunlich merkwürdige Gruppe an Initiatoren - lauter Politiker in Rente und ansonsten Künstler. Also durchweg Leute, die mit der aktuellen Realität nicht viel zu tun haben.
Die dafür in der typischen "Ausgewogenheit" solcher Initiativen Angreifer und Opfer gleichsetzen.

Ich empfehle diese sachkundige Erwiderung.

dari Offline




Beiträge: 189

09.12.2014 15:51
#733 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #732
Ich empfehle diese sachkundige Erwiderung.



oder auch diese erstaunliche Äußerung auf dem Blog der Heinrich-Böll-Stiftung, Moskau

http://russland.boellblog.org/2014/12/07...-niemand-krieg/


Zitat
Es gibt aber noch eine Sache, die die Aufrufunterzeichner/innen nicht wahrnehmen oder verschweigen. Das ist die Frage nach der Schuld an der gegenwärtigen gewaltsamen Eskalation. Hier nehmen sie eine Haltung ein, die ich opportunistische Äquidistanz nennen möchte. Sie werfen, gleich im ersten Satz, den USA, der EU und Russland gleichermaßen vor, nicht genug gegen eine, wie sie es nennen, „unheilvolle Spirale aus Drohung und Gegendrohung“ zu tun. Sie setzen den Einsatz des Militärs durch Russland mit den westlichen Sanktionen und der ausdrücklichen Absage an eine militärische Einmischung gleich. Und sie beschuldigen, indem sie die deutschen Medien auffordern, „ihrer Pflicht zur vorurteilsfreien Berichterstattung überzeugender nachzukommen“, diese implizit, eben das nicht zu tun.

Auf diesen Vorwurf hat Ina Ruck, lange Jahre Chefin des ARD-Büros in Moskau, Mitte November in einer Laudatio auf Reporter ohne Grenzen bei der Verleihung des Internationalen Friedenspreises die für mich bisher überzeugendste Antwort gegeben. Zum Schluss ihrer Rede, die ich ausdrücklich zur Lektüre empfehle, zitiert Ina Ruck den US-amerikanischen Journalisten David Cay Johnston: „Wenn jemand behauptet, die Erde sei eine Scheibe, dann kann das journalistische Fazit nicht sein, dass die Form der Erde nach wie vor umstritten ist“. Und auch nicht das politische, möchte ich hinzu fügen.

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 13.568

09.12.2014 17:07
#734 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von dari im Beitrag #733
„Wenn jemand behauptet, die Erde sei eine Scheibe, dann kann das journalistische Fazit nicht sein, dass die Form der Erde nach wie vor umstritten ist“.


Also, nach dem Koran ist die Erde eine Scheibe (Sure 15:19, 20:53, 43:10, 50:7 ff.).

http://www.skeptical-science.com/religio...ate-earth-flat/
The Quran does indeed assert that the earth is flat, and this is quite obviously wrong. The claim that the Quran is perfect and never wrong does not withstand any fact-based criticism. This of course is just one example, there are many other similar factual inaccuracies … humans are not made of clay, the moon never split in two, jinns are not real, the sun does not set in a muddy pool when it sets, and thunder is not an angel.

The real issue here is not that a text from the seventh century contains some archaic and factually wrong information, that is exactly what we would expect. Instead, the issue is that this exact same text which is full of mistakes, is claimed to be perfect and must be obeyed. The result of such obedience is homophobia, violence, and intolerance, and that is why the assertion of perfection needs to be challenged.

“The earth is flat. Whoever claims it is round is an atheist deserving of punishment.”
—Sheik Abdul-Aziz Ibn Baaz, supreme religious authority of Saudi Arabia, 1993

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

09.12.2014 17:20
#735 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von Fluminist im Beitrag #731
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #725
Liebe Nola, was mir beim ersten Zuhören auffiel (und mich abschreckte) ist die persönliche Verächtlichmachung eines Diskussionsteilnehmers.
Somit liegt diese Diskussion weit unter dem Niveau welches wir hier pflegen.

Es geht auch zivilisierter, siehe etwa diesen offenen Brief; ein kurzes Zitat daraus:

Zitat
Die Sucht nach Macht und Vorherrschaft ist nicht überwunden. 1990, am Ende des Kalten Krieges, durften wir alle darauf hoffen. Aber die Erfolge der Entspannungspolitik und der friedlichen Revolutionen haben schläfrig und unvorsichtig gemacht. In Ost und West gleichermaßen. Bei Amerikanern, Europäern und Russen ist der Leitgedanke, Krieg aus ihrem Verhältnis dauerhaft zu verbannen, verloren gegangen. Anders ist die für Russland bedrohlich wirkende Ausdehnung des Westens nach Osten ohne gleichzeitige Vertiefung der Zusammenarbeit mit Moskau, wie auch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Putin, nicht zu erklären.
[...]
Wir appellieren an die Medien, ihrer Pflicht zur vorurteilsfreien Berichterstattung überzeugender nachzukommen als bisher. Leitartikler und Kommentatoren dämonisieren ganze Völker, ohne deren Geschichte ausreichend zu würdigen.


usw. Ich empfehle aber den ganzen Text zu lesen.


Lieber Fluminist, ich bin auch auf diesen Brief eingegangen, den ich sofort nach Erscheinen gelesen habe. Der ist zivilisierter aber letztlich steckt auch in ihm der Spaltpilz. So wie der trotzige Blick der beiden Initiatoren Bände spricht. Das ganze Zitat ist eine einzige Anmaßung.
Natürlich verbannen wir den Krieg aus unserem Verhältnis und trotzdem verletzen die Russen den Luftraum unseres Bündnisses und drohen unseren Mitglieder mit dem gleichen Eroberungskrieg den es gegen die Ukraine führt. Der Westen dehnt sich nicht aus, sondern es gesellen sich freie Staaten zu ihm. Das ist etwas ganz anderes und etwas was in das russische Denken und derer die sich nach Osten orientieren offenbar gar nicht mehr in den Kopf geht. Sie projizieren die Aggressivität des Russlands unter Putins Führung auf den Westen. Sie wollen Europa zum Aggressor machen, weil wir Handel treiben möchten. Sie nennen Russland einen Nachbarn und behandeln Polen und die Balten wie eine Verfügungsmasse. Das erinnert so sehr an den Hitler-Stalin-Pakt dass man sich nur noch fremdschämen kann. Dieser Brief ist geeignet deutschen Interessen zu schaden und unsere Reputation bei unseren Partnern zu beschädigen.
Jeder der diesen Wisch unterschrieben hat, verhöhnt die Opfer der schmerzvollen Wiedervereinigung Europas und stellt sie unter die Gnade Russlands.

Ansonsten hat R.A. so geantwortet wie ich es getan hätte. Ich habe dem nichts mehr hinzufügen außer mich bei meinem Kollegen zu bedanken.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

09.12.2014 17:27
#736 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #735
Lieber Fluminist, ich bin auch auf diesen Brief eingegangen, den ich sofort nach Erscheinen gelesen habe. Der ist zivilisierter aber letztlich steckt auch in ihm der Spaltpilz. So wie der trotzige Blick der beiden Initiatoren spricht Bände. Das ganze Zitat ist eine einzige Anmaßung.

Das ist die zivilisierte Version. Gemeint ist das hier: http://dearputin.com/de/

Gruß Petz

"The problem with quotes from the Internet is that it is difficult to determine whether or not they are genuine" - Abraham Lincoln

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

09.12.2014 18:16
#737 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #736
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #735
Lieber Fluminist, ich bin auch auf diesen Brief eingegangen, den ich sofort nach Erscheinen gelesen habe. Der ist zivilisierter aber letztlich steckt auch in ihm der Spaltpilz. So wie der trotzige Blick der beiden Initiatoren spricht Bände. Das ganze Zitat ist eine einzige Anmaßung.

Das ist die zivilisierte Version. Gemeint ist das hier: http://dearputin.com/de/

Gruß Petz

Das ist kein Kommentar wert.
Nur wer hatte diesen Brief gemeint? Fluminist nicht. Und von wem wurde der geschrieben, wer sind die Organisatoren? Ist ja interessant was Du so aus dem Netz fischst aber sach mal, woher kommt das denn?

Viele Grüße, Erling Plaethe

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

09.12.2014 19:24
#738 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #737
Nur wer hatte diesen Brief gemeint? Fluminist nicht. Und von wem wurde der geschrieben, wer sind die Organisatoren? Ist ja interessant was Du so aus dem Netz fischst aber sach mal, woher kommt das denn?

Niemand aus dem Forum hat den gemeint. Was ich unterstellen wollte ist, dass einige der Unterzeichner des anderen Aufrufs zwar "zivilisiert" formulieren, aber in Wirklichkeit solches Gedankengut vertreten dürften wie in dem von mir verlinkten.

Die Geschichte dieses anderen Briefes ist interessant. Der ursprüngliche Inhalt stammt in den wesentlichen Zügen von einem holländischen Professor namens Cees Hamelink, hier das Original: http://orientalreview.org/2014/08/13/dut...he-netherlands/

Er wurde von einer holländischen Gruppe namens "de Ommekeer" ("die Umkehr", das sind so ein paar Knaller aus der Bitcoin-Ecke) noch einmal verschärft. Diese Seite ist aber gerade nicht erreichbar, und natürlich sind US Hacker oder der Mossad schuld: http://www.themoscowtimes.com/news/artic...hes/506500.html

Du hast inhaltlich recht, dass die Sache keinen Kommentar wert ist; aber 50.000 Leute machen sich damit gemein, und es gibt durchaus Medienecho, z.B. hier bei Radio Free Europe: http://www.rferl.org/content/online-peti...n/26724988.html

Gruß Petz

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Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

09.12.2014 19:42
#739 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #729
Zitat von Fluminist im Beitrag #728
Wo kommt die Uneinigkeit zwischen Deutschland und England eigentlich her?

Das ist eine gute Fragen - und eigentlich sehr zentral für das Verständnis des letzten Jahrhunderts. Wird aber erstaunlicherweise in der Forschung nur nebensächlich behandelt.
Wobei es bei englischen Historikern inzwischen wohl Tendenzen gibt, das genauer anzuschauen.

Oberflächlich wird natürlich oft die Flottenfrage genannt, in der Deutschland ziemlich ungeschickt agierte. Aber das ist m. E. nicht ausreichend - die weltweiten Rivalitäten zwischen England und Rußland bzw. Frankreich waren eigentlich viel gravierender.
Eine Rolle hat wohl auch die Wirtschaftskonkurrenz gespielt.

Aber im wesentlichen war das wohl ein Versagen der Außenpolitik auf beiden Seiten (und beide Länder haben heftig dafür bezahlt).
Wobei schlechte Außenpolitik in Deutschland ja Tradition hat (und hier verstärkt wurde durch die reaktionären Kräfte im Inneren, die mit dem englischen Freiheitsvorstellungen nichts anfangen konnten). Umgekehrt erstaunt aber das Versagen der englischen Außenpolitik. Denn traditionell war die englische Diplomatie recht geschickt und erfolgreich.

Meine Vermutung ist, daß die englische Politik schlicht zu sehr in der Vergangenheit verwurzelt war (nach dem Motto: Lief ja bisher immer hervorragend, bloß nichts ändern) und glaubte, mit ein paar austarierenden Maßnahmen (z. B. Entsendung eines kleinen Expeditionsheeres) das gewohnte Kräftegleichgewicht in Europa halten zu können.


Meiner Ansicht nach unterschätzte Deutschland die Auswirkungen des Flottenwettrüstens mit England ebenso wie die Bedeutung einer gewissen Überlegenheit auf See für ein Inselreich wie Großbritannien. Dieses Wettrüsten hat viel mehr als der wirtschaftliche Aufstieg Deutschlands für erhebliche Unsicherheit in England gesorgt. An diesem Punkt hätte Deutschland einen Ausgleich mit England suchen müssen, anstatt sich bei dieser Aufrüstung fast zu überheben. Für England waren Zweifel an Deutschlands Gründen was mit dem Aufbau der Kriegsflotte eigentlich bezweckt werden sollte, mit der deutschen Außenpolitik nicht mehr auszuräumen.
Das soll nicht heißen, dass England seinerseits die wirtschaftliche Stärke Deutschlands ein Dorn im Auge war. Aber mit mehr Verständnis für eine Verabredung zwischen den drei Kernstaaten Europas hätte Deutschland ebenso sein Ziel erreichen können europäische Großmacht zu werden und zu bleiben. Deutschland war nicht klar, dass sein Aufstieg vergleichsweise rasant war und Frankreich sowie England bedrohlich vorkommen musste.
Der Fehler war, dies nicht ernst genug zu nehmen und im Zweifel nachzugeben um aus Konkurrenz keine offene Feindschaft entstehen zu lassen.
Das hatte ich auch gemeint mit Westorientierung.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

09.12.2014 22:46
#740 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #738
Du hast inhaltlich recht, dass die Sache keinen Kommentar wert ist; aber 50.000 Leute machen sich damit gemein, ...

Na ja, wenn man sich vor Augen hält, daß diese Leute "Iosif Visarionovich Dzhugashvili", "Wiener Schnitzel", "Heinrich Himmler" (mindestens zweimal), "Adolf Deutchenshvein", "Mustbe Ajoke" usw. heißen und die Träger plausiblerer Namen das mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch nicht ernstgenommen haben, sind die 50.000 wohl eher geringer als die 60 Unterzeichner des anderen Briefs anzusetzen. Wobei man sich bei letzteren auch fragt. Der in der Zeit abgedruckte Brief ist tatsächlich sehr schludrig formuliert und argumentiert und (s. z.B. den ersten von mir zitierten Absatz) sehr oberflächlich auf Ausgewogenheit getrimmt.
Aber er faßt im wesentlichen und grob geschätzt die Kernpunkte, die in der von Nola verlinkten Fernsehdiskussion angesprochen wurden, zusammen (freilich nicht den Auftritt der beiden ukrainischen Betroffenheitsdamen, die "zufällig" Fragen aus dem Publikum stellen durften) und erspart so das Ansehen dieser Sendung.



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Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

10.12.2014 00:39
#741 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von Fluminist im Beitrag #740
Zitat von Meister Petz im Beitrag #738
Du hast inhaltlich recht, dass die Sache keinen Kommentar wert ist; aber 50.000 Leute machen sich damit gemein, ...

Na ja, wenn man sich vor Augen hält, daß diese Leute "Iosif Visarionovich Dzhugashvili", "Wiener Schnitzel", "Heinrich Himmler" (mindestens zweimal), "Adolf Deutchenshvein", "Mustbe Ajoke" usw. heißen und die Träger plausiblerer Namen das mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch nicht ernstgenommen haben, sind die 50.000 wohl eher geringer als die 60 Unterzeichner des anderen Briefs anzusetzen.

Habe ich zuerst auch vermutet, aber ich habe ungefähr 50 Unterzeichnerseiten durchgeklickt und vielleicht 10% deutlich als solches erkennbare Nicknames gefunden. Sonst hätte ich mich nicht getraut, das zu behaupten.

Gruß Petz

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R.A. Offline



Beiträge: 8.171

10.12.2014 13:21
#742 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #739
Meiner Ansicht nach unterschätzte Deutschland die Auswirkungen des Flottenwettrüstens mit England ebenso wie die Bedeutung einer gewissen Überlegenheit auf See für ein Inselreich wie Großbritannien.

Das ist sicher richtig.
Andererseits war die deutsche Aufrüstung auch willkommener Anlaß für Lobbykreise in England, mal wieder ordentlich Schiffsbaugelder genehmigt zu bekommen. Rein militärstrategisch war die deutsche Flotte für England deutlich weniger eine Bedrohung als die fast ähnlich großen Flotten der traditionellen Rivalen Frankreich und USA.

Vor allem: Das Thema hatte zwar im Vorfeld für Ärger gesorgt - aber mit dem englischen Rüstungsprogramm von 1909 und erst recht mit deutschen Verzicht auf weiteres Nachlegen 1912 war die Sache im Prinzip erledigt. England hatte seine Position behauptet und es gab im Prinzip keinen Konfliktstoff mehr.
Das beschreibt die Wikipedia ganz gut:

Zitat
In 1912, the German chancellor Bethmann Hollweg ended the naval arms race. His aim was to secure an understanding with the British to end the more and more isolated position of Germany. Besides, the increasing size of the Russian army compelled the Germans to spend more money on their army and -therefore- less on the navy. This initiative led to the Haldane Mission. Germany proposed a treaty in which Germany would accept British naval superiority in exchange of a British neutrality in a war in which Germany could not be said to be the aggressor. This proposal was rejected by Britain. For Britain there was nothing to gain by such a treaty, since their naval superiority was already secure. Besides, the British Foreign Secretary Sir Edward Grey favoured a more assertive policy toward Germany



Mit anderen Worten: Der Flottenstreit wird in seiner Bedeutung durch die verkürzte nachträgliche Sicht völlig überschätzt. Er war von deutscher Seite ein Fehler und er hätte ein Grund sein können, wenn es schon 1910 zum Krieg gekommen wäre - da war England noch auf den Barrikaden.

Aber 1914 war das längst Vergangenheit. Und es gab in dieser Hinsicht keinen echten Grund mehr für die englische Regierung, sich für Frankreichs Interessen zu verkämpfen.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

10.12.2014 13:34
#743 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #730
Zitat von R.A. im Beitrag #729
Denn traditionell war die englische Diplomatie recht geschickt und erfolgreich.

Wenn man Diplomatie als das Gegenteil von Außenpolitik nimmt.

Als Gegenteil vielleicht nicht - aber Du hast völlig recht, ich habe das hier verwechselt. Die englische Diplomatie mag Defizite gehabt haben (ich habe mich mit der nie besonders beschäftigt), aber die englische Außenpolitik war doch durchweg pragmatisch und vor allem erfolgreich. Bis 1914.

Zitat
Da wo robuste Außenpolitik gefahren wurde (bzw. gefahren werden mußte, den Umständen entsprechend), fiel die Bilanz deutlich durchwachsener aus - 3 Seekriege gegen Holland, das desaströse Mitmachen im Spanischen Erbfolgekrieg, der Verlust der nordamerikanischen Kolonien


Die Seekriege würde ich noch in die Anfangszeit setzen, als England überhaupt anfing Außenpolitik zu betreiben. Mit keinem überragenden Ergebnis, aber doch am Ende erfolgreich.
Beim spanischen Erbfolgekrieg gilt England als fast der Hauptgewinner, "desaströses Mitmachen" kann ich überhaupt nicht nachvollziehen.
Und das mit den Kolonien war verpfuschte Innenpolitik ...

Und der amerikanische Unabhängigkeitskrieg war ja die letzte Niederlage Englands bis heute. Wobei man 1918 und 1945 wohl eher in die Schublade Pyrrhussiege einsortieren kann.
Unterm Strich war die englische Außenpolitik von den Hannoveranern bis zum ersten Weltkrieg eine Erfolgsgeschichte.

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

10.12.2014 18:38
#744 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #742
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #739
Meiner Ansicht nach unterschätzte Deutschland die Auswirkungen des Flottenwettrüstens mit England ebenso wie die Bedeutung einer gewissen Überlegenheit auf See für ein Inselreich wie Großbritannien.

Das ist sicher richtig.
Andererseits war die deutsche Aufrüstung auch willkommener Anlaß für Lobbykreise in England, mal wieder ordentlich Schiffsbaugelder genehmigt zu bekommen. Rein militärstrategisch war die deutsche Flotte für England deutlich weniger eine Bedrohung als die fast ähnlich großen Flotten der traditionellen Rivalen Frankreich und USA.

Vor allem: Das Thema hatte zwar im Vorfeld für Ärger gesorgt - aber mit dem englischen Rüstungsprogramm von 1909 und erst recht mit deutschen Verzicht auf weiteres Nachlegen 1912 war die Sache im Prinzip erledigt. England hatte seine Position behauptet und es gab im Prinzip keinen Konfliktstoff mehr.
Das beschreibt die Wikipedia ganz gut:

Zitat
In 1912, the German chancellor Bethmann Hollweg ended the naval arms race. His aim was to secure an understanding with the British to end the more and more isolated position of Germany. Besides, the increasing size of the Russian army compelled the Germans to spend more money on their army and -therefore- less on the navy. This initiative led to the Haldane Mission. Germany proposed a treaty in which Germany would accept British naval superiority in exchange of a British neutrality in a war in which Germany could not be said to be the aggressor. This proposal was rejected by Britain. For Britain there was nothing to gain by such a treaty, since their naval superiority was already secure. Besides, the British Foreign Secretary Sir Edward Grey favoured a more assertive policy toward Germany


Mit anderen Worten: Der Flottenstreit wird in seiner Bedeutung durch die verkürzte nachträgliche Sicht völlig überschätzt. Er war von deutscher Seite ein Fehler und er hätte ein Grund sein können, wenn es schon 1910 zum Krieg gekommen wäre - da war England noch auf den Barrikaden.


Oder mit noch anderen Worten: Die deutsche Flottenpolitik hatte zum Ziel eine Neutralität Englands gegenüber Deutschland in einem Krieg zu erzwingen. Dies scheiterte. Da hatte Deutschland einfach sehr schlechte Karten, weil nun die Mittel zur notwendigen Aufrüstung des Heeres fehlten und weil man sich in seinem Größenwahn zu viele Feinde gemacht hatte. Bei einer Änderung der deutschen Flottenpolitik hätte England eine Neutralität gegenüber Deutschland zugesichert wenn Deutschland sich zur Passivität bereiterklärt hätte.
Die deutsche Flottenpolitik war insofern ursächlich für die Entfremdung beider Länder, als sie der veränderbare Punkt war, der das Blatt hätte wenden können. Das wirtschaftliche Erstarken Deutschland war kein solcher Punkt.
Haldane hatte gegenüber dem Kanzler, Tierpitz und dem Kaiser in den Verhandlungen 1912 klargemacht, dass die Flottenpolitik Deutschlands das weitere Verhalten GB bestimmt. Deutschlands Beharren auf bedingungsloser Neutralität Englands war mehr als nur ungeschickt, nachdem es das Wettrüsten verloren hatte.
Ab hier, zwei Jahre vor Kriegsausbruch des, manche sagen zweiten dreißigjährigen, Krieges, hatte Deutschland seinen wichtigsten Verbündeten verloren und die Isolation regelrecht gewählt.
Letztlich führte diese Isolation, verbunden mit der Stärke Deutschlands, zum zweimaligen Kriegseintritt Amerikas in Europa.
Europas Frieden, so könnte man aus der Geschichte schließen, hängt an der Westbindung Deutschlands. Wer es schafft, Deutschland herauszulösen, teilt auch Europa. Unter Inkaufnahme eines weiteren Krieges.
Damit spielt Putin.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 13.568

10.12.2014 21:08
#745 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #743
Beim spanischen Erbfolgekrieg gilt England als fast der Hauptgewinner, "desaströses Mitmachen" kann ich überhaupt nicht nachvollziehen.


Bezieht sich auf die unmittelbare Zeitperspektive (auf "lange Sicht" war das natürlich was andres): zum einen das Hineingezogenwerden durch die Bündnisverpflichtungen, ohne daß englische Kerninteressen in Gefahr gewesen wären, das sich im Lauf der Jahre verstärkende Gefühl in England, hier führe man anderer Leute Kriege, schließlich der Frieden von Utrecht 1713, der gegen alle expliziten Abkommen der Großen Allianz für England einen Separatfrieden erzielte. Begründet wird das - seit 1710 - mit dem unmittelbar drohenden Staatsbankrott durch die Kriegskosten (& Robert Walpole war in der Tory-Publizistik - "-propaganda" klingt leicht unfein) der persönliche Buhmann dafür, weil er das Monopol auf alle Ausrüstung hatte & angeblich nur Ausschußware geliefert hatte, um sich Millionen in die eigene Tasche stecken zu können (er ist ja auch, für ein halbes Jahr, im Tower gelandet). Soweit ich weiß, taucht hier zum ersten Mal der linke/pazifistische topos auf, nachdem Kriege nur Ergebnis plutokratischer Gier sind & zwengs Gewinnmaximierung in Verlängerung gehen müssen. Die Tory-Regierung unter Robert Harley ist nach Königin Annes Tod im Sommer 1714 stante pede in die Wüste geschickt worden.

Florian Offline



Beiträge: 3.136

10.12.2014 21:17
#746 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #742

Mit anderen Worten: Der Flottenstreit wird in seiner Bedeutung durch die verkürzte nachträgliche Sicht völlig überschätzt. Er war von deutscher Seite ein Fehler und er hätte ein Grund sein können, wenn es schon 1910 zum Krieg gekommen wäre - da war England noch auf den Barrikaden.

Aber 1914 war das längst Vergangenheit. Und es gab in dieser Hinsicht keinen echten Grund mehr für die englische Regierung, sich für Frankreichs Interessen zu verkämpfen.



Was übrigens Anfang August 1914 auch die Mehrheitsmeinung im englischen Kabinett war.

Dass England in den Krieg eintrat war im August 1914 wahrlich keine ausgemachte Sache.
Der Ablauf war ja wie folgt:
1. Konflikt Österreich mit Serbien => hier hatte England noch keinen Grund einzugreifen
2. Russische Kriegserklärung an Österreich => auch hier hatte England noch keinen Grund, einzugreifen. (Und wenn es in einem begrenzten Balkankrieg überhaupt interveniert hätte, dann auf jeden Fall NICHT zu Gunsten Russlands. Die Verhinderung eines russischen Zugangs zum Mittelmeer war eine Konstante der englischen Außenpolitik. Siehe z.B. der Krimkrieg).
3. Deutsche Kriegserklärung an Russland => auch hier gab es noch keinen Grund für eine englische Intervention. Erstens hatte England mit Russland keinen Bündnisvertrag, der eine Intervention vorgesehen hätte. Zweitens wäre in so einem Krieg zwischen dem reaktionären Russland und dem vergleichsweise gemäßigt-halbdemokratischen Deutschland auch die englische Öffentlichkeit kaum auf der Seite Russlands gestanden.
4. Deutsche Kriegserklärung an Frankreich. Für den Ersten Seelord Churchill war das natürlich die goldene Gelegenheit um Deutschland in die Schranken zu weisen. An dieser Stelle wurde erstmals im englischen Kabinett ein Kriegseintritt gegen Deutschland diskutiert. Allerdings mit dem Ergebnis, dass man NICHT (!) eingreifen wolle. Die Falken - allen voran Churchill - waren in der Kabinetts-Abstimmung deutlich in der Minderheit. Auch hier muss man sehen, dass es einen formellen Beistandspakt zwischen Frankreich und England nicht gab. Es gab zwar gewisse Verständigungen. Aber diese waren nicht Teil eines ratifizierten Vertrages. Insbesondere waren sie auch dem englischen Kabinett, geschweige denn dem Parlament, auch gar nicht bekannt.
5. Deutsche Invasion Belgiens. Und HIER ist die Sache gekippt. Denn gegenüber Belgien hatte England eindeutige Verteidigungsgarantien abgegeben. Und das war Deutschland auch bekannt. Zum einen fühlte sich England hier moralisch in der Pflicht. Und zweitens war für England auch wegen der eigenen Sicherheit indiskutabel, die belgische Kanalküste in deutscher Hand zu wissen. Die Folge: 2 Tage nach der Invasion kam die englische Kriegserklärung.


Der entscheidende deutsche Fehler war somit 5.
Oder eigentlich war auch 4. schon ein Fehler. Eigentlich handelte es sich ja im Kern um einen Balkankonflikt. Es bestand keine Notwendigkeit, Frankreich den Krieg zu erklären. (Eine Kriegserklärung hätte Deutschland problemlos den Franzosen überlassen können. Damit wäre man vor aller Welt - und auch vor der englischen Öffentlichkeit - dann ganz eindeutig nicht der Aggressor gewesen).

Im Nachhinein ist man natürlich immer schlauer. Aber die damals als militärisch "alternativlos" erklärte Invasion Belgiens war in der Rückschau auch militärisch ein Fehler. Eine kurze, leicht zu verteidigende, Militärgrenze zu Frankreich und gleichzeitige Offensive gegen Russland wäre die bessere Strategie gewesen.
Und sie hätte auch sicher den Sieg gebracht. Erstens wäre in einem solchen Szenario England ganz sicher nicht in den Krieg eingetreten. Zweitens in der Folge auch nicht die USA.

Emulgator Offline



Beiträge: 2.833

11.12.2014 00:00
#747 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von Florian im Beitrag #746
Oder eigentlich war auch 4. schon ein Fehler. Eigentlich handelte es sich ja im Kern um einen Balkankonflikt. Es bestand keine Notwendigkeit, Frankreich den Krieg zu erklären. (Eine Kriegserklärung hätte Deutschland problemlos den Franzosen überlassen können. Damit wäre man vor aller Welt - und auch vor der englischen Öffentlichkeit - dann ganz eindeutig nicht der Aggressor gewesen).

Im Nachhinein ist man natürlich immer schlauer. Aber die damals als militärisch "alternativlos" erklärte Invasion Belgiens war in der Rückschau auch militärisch ein Fehler. Eine kurze, leicht zu verteidigende, Militärgrenze zu Frankreich und gleichzeitige Offensive gegen Russland wäre die bessere Strategie gewesen.
Und sie hätte auch sicher den Sieg gebracht. Erstens wäre in einem solchen Szenario England ganz sicher nicht in den Krieg eingetreten. Zweitens in der Folge auch nicht die USA.
Der Krieg gegen Frankreich war ja als Präventivkrieg gedacht gewesen. Man hatte 1871 Frankreich doch zu stark gedemütigt und ausgebeutet, und nun hatte man allen Grund, französische Revenge zu fürchten. Überhaupt wurde das 2. Reich nur gegen Frankreich gegründet. Man war sich sicher, daß Frankreich angreifen würde, zumal es ein Bündnis mit Rußland hatte.

Uneingeschränkt richig ist, daß man mit der Niebelungentreue für Österreich einen großen politischen Fehler gemacht hat. Das war eine Art institutioneller Inkongruenz: Österreich-Ungarn konnte auf Kosten des dt. Reiches den Krieg anfangen. Da haben im Reich auch Militär und Außenministerium nicht miteinander geredet.

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 13.568

11.12.2014 00:43
#748 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von Emulgator im Beitrag #747
Da haben im Reich auch Militär und Außenministerium nicht miteinander geredet.


Das haben die noch nie getan, nirgendwo. Es handelt sich von Natur aus um 2 Universen ohne Schnittmenge.

Florian Offline



Beiträge: 3.136

11.12.2014 17:26
#749 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #748
Zitat von Emulgator im Beitrag #747
Da haben im Reich auch Militär und Außenministerium nicht miteinander geredet.


Das haben die noch nie getan, nirgendwo. Es handelt sich von Natur aus um 2 Universen ohne Schnittmenge.


Im Kaiserreich kam aber ein spezielles verfassungsrechtliches Problem dazu:
Das Militär war nicht dem Reichskanzler unterstellt.
Sondern in Kriegszeiten direkt dem Kaiser (und in Friedenszeiten sogar dem jeweiligen Landesherrn).
Es war dem Reichskanzler also schon rein rechtlich gar nicht möglich, eine einheitliche Außen- und Verteidigungs-Strategie zu formulieren. (Es gab im Kaiserreich auch kein gemeinsames Gremium wie etwas der "National Security Council", in dem man über die Gesamtstrategie hätte verhandeln können).
Es lag vielmehr ausschließlich in der Person des Kaisers (der sowohl Oberbefehlshaber war als auch "seinen" Reichskanzler frei bestimmen konnte), eine einheitliche Strategie zu gewährleisten. Und mit dieser Aufgabe war Wilhelm II. charakterlich einfach überfordert.

Konkret war der Reichskanzler (und übrigens auch der Kaiser) sehr überrascht, als er Ende Juli 1914 die Details des Schlieffenplans erfuhr. Insbesondere war ihm nicht klar gewesen, dass es für ein Szenario "Defensive im Westen, Krieg im Osten" schlicht keine Pläne im Generalstab gab.

adder Offline




Beiträge: 1.073

12.12.2014 07:14
#750 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von Florian im Beitrag #749
Konkret war der Reichskanzler (und übrigens auch der Kaiser) sehr überrascht, als er Ende Juli 1914 die Details des Schlieffenplans erfuhr. Insbesondere war ihm nicht klar gewesen, dass es für ein Szenario "Defensive im Westen, Krieg im Osten" schlicht keine Pläne im Generalstab gab.



Ohne jetzt die Militärs komplett in Schutz nehmen zu wollen, aber warum sollte sich die OHL denn einen solchen Plan machen? Russland war in den ersten Jahren des 2. Kaiserreiches ein Verbündeter und Bismarcks Außenpolitik war komplett auf die Isolation Frankreichs ausgelegt. Da brauchte man keinen Plan für eine Offensive im Osten. Russland war aber auch eines der ersten Länder, die aus dieser Isolation Frankreichs ausgebrochen sind. Und spätestens ab 1894, dem Bündnis zwischen Russland und Frankreich, war für das Militär klar, dass ein Krieg im Osten immer auch einen im Westen bedeuten würde - und umgekehrt. Daher hatte einzig die Gesamtbetrachtung beider Fronten Sinn.
Und - da militärisch gedacht - in einem solchen Fall war der Plan "Defensive im Westen, Offensive im Osten" vollkommen sinnlos, da man für die Niederwerfung Russlands länger gebraucht hätte als für die Niederwerfung Frankreichs (was auch der Kriegsverlauf bis zur Marneschlacht bewiesen hat, und auch der Kriegsverlauf des 2. Weltkrieges). Alleine die Heeresgrößen machten diesen Weg zwingend für die deutschen Militärs.
Ihre einzigen Fehler in dieser Betrachtung waren a) der Verzicht auf den massenhaften Aufkauf von Fahrzeugen, die die marschierenden Soldaten transportieren konnten* und b) die falsche Annahme, dass Russland lange für die Mobilisierung brauchen würde.
Hinzu kommt dann noch der Fehler von Moltkes, 2 Armeekorps aus dem Westen in den Osten zu verlegen. Er hätte besser seinen Feldzug im Westen wie geplant durchgezogen und danach sich an die Rückeroberung der im Osten verlorenen Gebiete gemacht. Selbst Berlin war eigentlich nicht wichtig genug, um dafür die Verlegung von 2 Armeekorps zu riskieren - wenn der Feldzug nicht ohnehin abgeschlossen gewesen wäre, bis die russischen Truppen dahin marschiert wären.

* Die US Army setzte 1916 zum ersten Mal in größerem Maßstab Trucks ein, die Britische Armee ebenfalls 1916. Gepanzerte Fahrzeuge waren sogar ab 1914 auf Seiten der Deutschen Armee im Einsatz - und auch bei den Briten. Leider war man vor 1916 anscheinend aber noch nicht reif für die Motorisierung des Heeres, sondern ließ seine Soldaten lieber 40 km am Tag marschieren. Ansonsten wäre der erste Weltkrieg deutlich kürzer ausgefallen und wir Deutschen hätten uns wohl einen Hitler erspart.

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