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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
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Nola Offline



Beiträge: 1.719

12.12.2014 14:15
#751 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #723
Zitat von Nola im Beitrag #722
Lese- bzw. Hörbefehl!

Den Spruch mit dem "Lesebefehl" kann ich ja noch aushalten (auch wenn ich nie besonders originell fand).

Aber "Hörbefehl" geht gar nicht.


Nun ja, da es sich um die Wiedergabe einer TV-Sendung handelt, kann ich schlecht von "Lesebefehl" sprechen, auch nicht von "Sehbefehl", denn damit wäre der Inhalt ja auch nicht 'rübergekommen. Und weil es eben ein Video war, schrieb ich in Anlehnung des von Ihnen, lieber R.A., gerade noch tolerierten Lesebefehl: "Lese- bzw. Hörbefehl". Demnächst setze ich dann den freundlichen dahinter.

Ich hätte nicht gedacht, daß es einmal von Wichtigkeit wäre, hier im Forum derartige "Richtigstellungen" zu schreiben.

Zitat
Ich tue mir keine youtube-Schnipsel an, aus dem Kontext gerissen, mit irgendwelchen Äußerungen obskurer Leute.



Auch hier muß ich wiedersprechen. Keine "Schnipsel und nicht aus dem Kontext" gerissene Äußerungen und schon gar nicht "Obskure" Leute:


Herr Eric Frey vom Standard, Journalist
Wolfgang Petritsch, österreichischer Spitzendiplomat
Johannes Voggenhuber, ehemaliger Abgeordneter des EU-Parlaments, Die Grünen
Dirk Müller (Börsenexperte) http://de.wikipedia.org/wiki/Dirk_Mü...ouml;rsenmakler)

Zitat
Für mich zählen nur schriftliche und damit nachprüfbare Äußerungen.



Was ist denn authentischer als das gesprochene Wort eines Menschen, dem man dabei in die Augen und auf den Mund schauen kann? (Gildet natürlich nur für Gespräche welche nicht einen Übersetzer benötigen, so wie in diesem Video)

Lieber R.A., ich meine, Wahrheitsfindung zur Meinungsbildung kann und muß vielfältig erworben werden und nicht nur einseitig ÖR-gesteuerte Maßstäbe zugrunde legen, auch wenn Sie selbst das Prädikat "das tue ich mir nicht an" hier vergeben wollen.

Zitat
Insbesondere wenn da angebliche Vertragspassagen zitiert werden.



Einiges kann man hier nachlesen :


Zitat

http://de.wikipedia.org/wiki/Assoziierun...und_der_Ukraine

Verschiebung des wirtschaftlichen Teils des Assoziierungsabkommens bis zum 31. Dezember 2015
EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle klärte vor dem EU-Parlament in Straßburg den Hintergrund der Entscheidung auf. Die Ukraine selbst habe um die Verschiebung des wirtschaftlichen Teils des Abkommens gebeten: "Der Aufschub ist kein Ergebnis einer russischen Erpressung". Damit reagierte Füle auf die Äußerungen mehrerer EU-Abgeordneter, die unterstellten, die Verschiebung sei durch Druck Russlands zustande gekommen, die EU habe diesem Druck nachgegeben und damit ihre eigentlichen Zielsetzungen verraten.[38]

Politische Bewertungen
Das Verhalten der Europäischen Union wurde international von Politikern kritisiert. Das Freihandelsabkommen der EU (DCFTA) schließe intensive wirtschaftliche Beziehungen der Ukraine zu ihren bedeutendsten Wirtschaftspartnern in der von Russland geführten Zollunion weitgehend aus. Damit habe man der Ukraine nur ein „Entweder-oder“ angeboten, also die Ukraine nicht als Brücke zwischen der EU und Russland verstanden. Auf diese Weise habe man die derzeitige politische Krise in der Ukraine mitverursacht.

unter anderem:
Altkanzler Helmut Schmidt bezeichnete in einem Interview im Mai 2014 die Politik der EU-Kommission als unfähig und größenwahnsinnig. Sie mische sich in die Weltpolitik ein und provoziere damit die Gefahr eines Krieges. Die Bürokraten in Brüssel hätten die Ukraine vor die "scheinbare Wahl" gestellt, sich zwischen West und Ost entscheiden zu müssen.[60]

Der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher forderte, an der Idee einer gemeinsamen Freihandelszone mit Russland festzuhalten. "Es wäre schön, wenn daraus etwas geworden wäre. Dann wäre die Frage der Assoziierung der Ukraine mit der EU möglicherweise anders eingeschätzt worden."[64]



Insgesamt ein guter Artikel, auch wenn es sich hierbei "nur" um Deutsche Wikipedia handelt.

♥lich Nola

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Zettel im August 2008

JeffDavis Offline



Beiträge: 448

12.12.2014 15:56
#752 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zu diesem Diskussionsstrang ein Blick auf einige Fakten:

1. Im Kaiserreich unterstand die Kaiserliche Marine dem Reichsmarineamt, an dessen Spitze ein Staatssekretär stand. Dieser war dem Reichskanzler untergeordnet. Die operative Führung der Seestreitkräfte oblag dem Oberkommando der Flotte, später dem Chef der Hochseeflotte. Diese Verhältnisse wechselten mehrfach, nominell war auch der Kaiser Oberbefehlshaber, de facto aber war die Marine dem Reichskanzler gegenüber verantwortlich.

2. Im Frieden war der Große Generalstab für die militärisch-strategische Planung zuständig. Dazu gehörten neben dem preuß Generalstab auch Generalstabsoffiziere der Armeen der anderen deutschen Staaten. Alle deutschen Staaten waren durch Militärkonventionen mit Preußen verbunden. Lediglich Bayern blieb selbständig, während Sachsen und Württemberg sich nur gewisse Selbständigkeiten vorbehielten. Die Einzelheiten können hier nicht alle aufgeführt werden, jedoch gilt es festzuhalten, daß Ausbildung und Ausrüstung, militärische Planung und Mobilmachung nicht etwa in jedem Bundesstaat anders organisiert waren, sondern das Heft war fest in der Hand des Gr.GenStabs.

3. Kaiser Wilhelm II. hatte nur ornamentale Funktion als Oberbefehlshaber, praktisch lag die Verantwortung bei den Militärs. Auf angebliche oder tatsächliche Charaktermängel des Kaisers kam es daher bei der Planung und Entscheidung nicht oder nur am Rande an.

Es gab also Stellen in D, die eine einheitliche Verteidigungsstrategie entwickeln konnten. Es ist nicht dem Militär anzulasten, wenn die zivilen Politiker der Lage nicht gewachsen sind.

4. Keine europäische Armee war im 1.WK motorisiert, auch wenn die Alliierten mit längerer Kriegsdauer mehr und mehr die Vorteile der Motorisierung nutzten, während den Deutschen die Rüstungskapazitäten dafür fehlten. Keines der Länder hätte 14-18 über genügend Kolonnenraum verfügt, auch nur größere Teile der Infanterie zu motorisieren. Der deut GenStab hat keinen Fehler begangen, als er 1914 nicht 'massenweise Lkw aufkaufte', weil es in D gar nicht genügend Lkw gab. Abgesehen davon transportiert man die Infanterie im Gefecht nicht mit Lkw, die gegen Beschuß in keiner Weise geschützt sind. Lkw wären daher beim Vormarsch im Westen völlig sinnlos und beim Nachschub wesentlich besser aufgehoben gewesen. Komplett unbeachtet bleibt auch die Frage, woher das ganze Benzin, Motoröl, die Ersatzteile und die Mannschaften für die massenhaften Lkw kommen sollten. Komplett unbeachtet bleibt weiter die Frage, wie die Wartung und Instandsetzung der Lkw erfolgen soll, woher kommen zB. die ganzen KfzMechaniker? Im strapaziösen Kriegseinsatz schnellt die Zahl der reparaturbedürftigen Fahrzeuge rasant nach oben. Bei einem Vormarsch im Westen wären, berücksichtigt man den Stand der Fahrzeugtechnik der damaligen Zeit, nach 3-4 Wochen mind. die Hälfte der Lkw nicht mehr einsatzbereit gewesen. Also, wie die alle warten und reparieren?

Selbst im 2.WK, den die Briten und Amerikaner vollmotorisiert bestritten, kämpfte deren Infanterie zu Fuß, Lkw dienten nur dem Transport. Nur Panzergrenadiere mit SPW konnten vom Fahrzeug aus kämpfen und selbst das war nur in Ausnahmefällen sinnvoll.


5. Der Große GenStab war selbstverständlich auf die verschiedenen Varianten eines Krieges vorbereitet, sowohl auf den Zweifrontenkrieg gegen F und RUS, als auch auf getrennte Kriege gegen F oder RUS. Für alle Varianten gab es Aufmarschpläne und es wurden jährlich Generalstabsreisen und Stabsübungen abgehalten, um diese zu üben, Das war übliche Praxis schon Jahrzehnte vor 1914. Die neuen militärischen Entwicklungen wurden berücksichtigt, soweit bekannt, und die Pläne entsprechend angepaßt.

Es ist daher falsch zu behaupten, für ein Szenario 'Defensive im Westen, Krieg im Osten' habe es keine Pläne gegeben.

Nicht gegeben hat es ferner den Schlieffenplan. Dazu ist seit fast 15 Jahren ein heftiger Streit ausgebrochen, nachdem der amerikanische Berufsoffizier und Historiker Terence Zuber aufgrund bisher nicht ausgewerteter und verschollen geglaubter Originalquellen nachweisen konnte, daß der angebliche Schlieffenplan so nicht existierte. Erwartungsgemäß ist er auf den erbitterten Widerstand vieler etablierter Historiker gestoßen, die mit bewährter Methode (totschweigen, diffamieren, so wenig Argumentation in der Sache wie möglich) vorgehen.

Ich kann hier nicht den ganzen Streit wiedergeben, stattdessen der Link zu Zuber selbst und zum englischen Wiki-Artikel.

https://en.wikipedia.org/wiki/Schlieffen...Schlieffen_myth

http://terencezuber.com/schlieffen.html#text

Die Originalquellen sprechen für sich, selbst wenn man Zuber nicht in allen Einheiten folgen will.

D hat auch 1914 keinen Präventivkrieg gegen F geführt, sondern ist der erkannten und zeitlich aufeinander abgestimmten franz und russ Offensive mit einer darauf abgestimmten Gegenoffensive begegnet. Man wollte die franz Offensive durch Umfassung stoppen, den Franzosen verlustreiche Niederlagen in den Grenzschlachten beibringen und danach den Schwerpunkt in den Osten verlegen, also die innere Linie, das bessere Eisenbahnnetz und die taktische Überlegenheit der deutschen Truppen ausnutzen, um erst den einen, dann den anderen Gegner zu stoppen. Die weitere Fortführung des Krieges hing von den Ergebnissen der Kämpfe ab und war nicht vorauszuplanen. Von einem vollständigen Sieg über F durch 'den rechten Flügel' war nie die Rede.

Nola Offline



Beiträge: 1.719

12.12.2014 16:20
#753 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #725
Liebe Nola, was mir beim ersten Zuhören auffiel (und mich abschreckte) ist die persönliche Verächtlichmachung eines Diskussionsteilnehmers.
Somit liegt diese Diskussion weit unter dem Niveau welches wir hier pflegen.


Nun, die Moderation lag ja nicht in Ihrer Hand, es fällt also nicht auf Sie zurück, es war ja nicht unsere Diskussion. Ein Diskussionsniveau, wie erst kürzlich bei "Illner-Will-Talk-Runden" zu sehen, bleibt uns ja gottseidank auch erspart, auch wenn es von uns allen finanziert wird und als ganz sicher seriös gildet.

Zitat

Und was mir zur Sache immer wieder auffällt und was auch bei Herrn Steinmeier immer wieder durchkommt:
Diesen Krieg nicht als solchen zu bezeichnen und ihn stattdessen als einen Konflikt anzusehen mit dem wir Europäer nichts zu tun haben weil er ein amerikanisch/russischer ist. Es handelt sich um einen russischen Eroberungskrieg gegen die Ukraine.



Ich halte es für zu kurz gesprungen, das Ergebnis langjähriger Verfehlungen seitens der EU aussen vor zu lassen und als einzig verursachenden Tatbestand einen "russischen Eroberungskrieg" zu benennen. Das wird dem komplexen Thema nicht gerecht. Aber genauso wenig Weitblick haben eben auch die europäischen "Diplomaten" gezeigt, sonst wäre es nicht so weit gekommen.

Was amerikanische Interessen angeht, ob nun ein Stützpunkt mehr oder die abgeschlossenen Verträge zur Gewinnung von Rohstoffen, bleibt Sache der Ukraine. Die Verteidigung von daraus resultierenden Ansprüchen der USA, lägen damit aber durchaus im Bereich des Möglichen, wenn auch nur unterstützend versteckterweise. Aber das ist Spekulation.

Zitat

Ich bin sehr froh, dass Amerika sich nicht aus allem heraushält womit wir als Europäer ohne unseren wichtigsten Verbündeten und ohne die NATO ganz schön alt aussehen würden. Russland versucht mit seinen Helfern einen Keil in den Westen zwischen Amerika und Europa zu treiben und ist leider gerade in Deutschland damit recht erfolgreich.



Diese Einteilung halte ich schon im Ansatz für falsch. Es kann ja nicht eine Entscheidung "zwischen" sondern es muß "sowohl als auch" heißen im verhandeln über Wirtschaftsabkommen. Militärische Befindlichkeiten gäbe es dann keine, weil das eine das andere bedingt. Eine "moralische" Gegenüberstellung - hier die guten Amerikaner und da der böse Russe - ist mir einfach zu simpel. Ich beteilige mich weder in der einen noch zur anderen Richtung an den Klischees, die mir jeden Tag als seriöse Info im ÖR TV und den Großteil unserer Medien daherkommt. Tagesformabhängig wird uns im TV serviert wen oder was wir zu mögen haben. Da gilt kein Tabu, keine höhere Diplomatie und auch keine Moral.

Zitat

Wenn ich was höre von "neutraler Position" verstehe ich nur noch NATO und EU-Austritt und Beitritt zur Eurasischen Union.
Ich diskutiere hier aus der Position eines Atlantikers und eines Menschen des Westens. Da gehört Deutschland m.E. hin. Wäre dies seit der Reichsgründung 1871 der Fall gewesen, hätte es womöglich die beiden Weltkriege gar nicht gegeben.



Aus Ihrem Blickwinkel, lieber Erling Plaethe, kann ich das noch verstehen. Ich bin hier im Westen aufgewachsen und habe direkt an der Schaffung größter Wirtschaftserfolge teilgehabt, habe ein freies Land im Handeln und Denken mit geschaffen, darin gut gelebt, immer eine Perspektive gehabt und immer Vertrauen in Politik und Gesetzgebung. Ich habe nie die Nachkriegs-Unterstützung der Amerikaner und das uns entgegengebrachte Wohlwollen vergessen. Aber, das darf nicht in allen Belangen zu einem kritiklosen Vogel-Strauß-Empfinden führen, genauso wenig wie die "böse Sowjetmacht", die ebenso zu meiner frühesten Sozialisation gehörte, und, die ich nun auf ewig verdammen müßte.

Im Laufe von Jahrzehnten haben sich Politik und Ausführende hunderttausendmal gewendet und die Drehtür schlackert nur so hin und her. Jede Hochzeit beinhaltet neue Liebe, neues Glück, neues Vertrauen bis zum besseren Wissen und dann geht's irgendwann den Bach runter und von vorne los.

Die Nato bleibt so lange ein Unsicherheitsfaktor, bis man die Türkei bzw. Erdogan im Griff hat und wieder als verläßlicher Partner fungiert. Unter dem Schutz dieses Natomitglieds machen es sich Mörder wie der IS "gemütlich" und keiner kann etwas dagegen tun. Raus schmeißen kann man die Türkei nicht aus der Nato, darf man auch nicht, sonst ist jegliche Kontrolle verloren.(Stützpunkte natürlich auch) Und das wissen nicht nur Eu-Politiker. Den Verbleib der EU in der Nato habe ich nie angezweifelt und auch nicht negiert. Eher das die Nato den Interessenskonflikten zum Opfer fällt. Einer der fehlerhaften "Schnellschüsse" war z.B. Putin auszuladen vom G-8 Gipfel.

Konkurrenzkampf um Märkte, Rohstoffe und Absatzgebiete werden zukünftig noch mehr Politik bestimmen und bis jetzt stehen dem zu unterzeichnenden Freihandelsabkommen mit den USA nicht mal mehr der "böse Russe" als Energiepartner im Wege, im Gegenteil.
Wie günstig - nicht wahr?

♥lich Nola

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Zettel im August 2008

adder Offline




Beiträge: 1.073

12.12.2014 18:35
#754 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von JeffDavis im Beitrag #752

4. Keine europäische Armee war im 1.WK motorisiert, auch wenn die Alliierten mit längerer Kriegsdauer mehr und mehr die Vorteile der Motorisierung nutzten, während den Deutschen die Rüstungskapazitäten dafür fehlten. Keines der Länder hätte 14-18 über genügend Kolonnenraum verfügt, auch nur größere Teile der Infanterie zu motorisieren. Der deut GenStab hat keinen Fehler begangen, als er 1914 nicht 'massenweise Lkw aufkaufte', weil es in D gar nicht genügend Lkw gab. Abgesehen davon transportiert man die Infanterie im Gefecht nicht mit Lkw, die gegen Beschuß in keiner Weise geschützt sind. Lkw wären daher beim Vormarsch im Westen völlig sinnlos und beim Nachschub wesentlich besser aufgehoben gewesen. Komplett unbeachtet bleibt auch die Frage, woher das ganze Benzin, Motoröl, die Ersatzteile und die Mannschaften für die massenhaften Lkw kommen sollten. Komplett unbeachtet bleibt weiter die Frage, wie die Wartung und Instandsetzung der Lkw erfolgen soll, woher kommen zB. die ganzen KfzMechaniker? Im strapaziösen Kriegseinsatz schnellt die Zahl der reparaturbedürftigen Fahrzeuge rasant nach oben. Bei einem Vormarsch im Westen wären, berücksichtigt man den Stand der Fahrzeugtechnik der damaligen Zeit, nach 3-4 Wochen mind. die Hälfte der Lkw nicht mehr einsatzbereit gewesen. Also, wie die alle warten und reparieren?


Grundsätzlich ist das alles richtig. Mir ging es auch weniger um den direkten Vormarsch, sondern vor allem um den Nachschub und die Nachrückung. Die marschierenden Infanteristen sind ja auch nicht in Feindesnähe in Kolonne marschiert - wohl aber dann, wenn kein Feind in der Nähe war. Insbesondere die Nachschubfrage hat den Westfeldzug am Anfang schwierig gemacht - und natürlich die Erschöpfung nach einigen hundert Kilometern Fussmarsch.
Die deutsche Militärdoktrin hat bereits im 2. Kaiserreich - ach was, bereits in den Befreiungskriegen - gut bis hervoragend ausgebildete und ausgestattete, sowie hochmobile Truppen vorgesehen. Aus der Lage (zweifrontig bedroht, kaum natürliche Barrieren, personell besser bestückte Nachbarn) und der deutlich flexibleren Ausbildungsart (Auftragstaktik) eine absolut vernünftige Sache.
Nur in WK1 hat man diese geforderte, hohe Mobilität nicht ausspielen können (da die Geschütze der vorrückenden deutschen Truppen denen der verteidigenden Franzosen unterlegen waren und die Truppen wie oben geschildert erschöpft in die entscheidende Schlacht der ersten Kriegsphase geschickt wurden). Moltkes größter Fehler war wohl, zwei Armeekorps abzuziehen. Sein zweiter, weniger großer Fehler, war es, die Truppen sich erschöpfen zu lassen. Auch da war der Abzug zweier Korps ein Problem, da die übrigen damit mehr Terrain abdecken mussten. Der dritte Fehler war es, die Truppen nicht mit motorisierter oder mechanisierter Unterstützung (die in anderen Armeen zum Zeitpunkt 1914 bereits teilweise genutzt wurde) zumindest für den Nachschub und das von anderen Einheiten gedeckte Vorrücken zu bestücken.
Der größte Fehler der Deutschen Regierung und Militärplanung war es allerdings wohl, den Krieg durch einen angekündigten Angriff auf Belgien zu beginnen. Wären die Truppen einfach reinmarschiert und durchmarschiert, ohne vorher bei den Belgiern nachzufragen, hätten diese wohl stillgehalten und die Briten wohl auch. Dazu gibt es natürlich unterschiedliche Standpunkte, aber die britische Propaganda hätte sich deutlich schwerer getan, einen Krieg gegen ein Deutschland zu rechtfertigen, welches eben nicht als Kriegsverbrecher und Aggressor darstellbar gewesen wäre.

Zitat
Selbst im 2.WK, den die Briten und Amerikaner vollmotorisiert bestritten, kämpfte deren Infanterie zu Fuß, Lkw dienten nur dem Transport. Nur Panzergrenadiere mit SPW konnten vom Fahrzeug aus kämpfen und selbst das war nur in Ausnahmefällen sinnvoll.



Selbst heute, wo auch die Bundeswehr vollmotorisiert und teilmechanisiert ist, kämpft Infanterie noch zu Fuß. LKW dienen auch heute noch dem Transport und selbst Panzergrenadiere kämpfen häufiger abgesessen als aufgesessen. Allerdings geht Infantrie heute (und ging eben auch in Teilen im 2.WK) ausgeruhter in die Schlacht. Die deutschen Panzerspitzen / die "armoured spearhead"-Taktik, ging ja nur auf, weil die Panzer von ebenso hochmobiler Infantrie begleitet werden konnten, die gleich nach dem Durchbruch durch die feindlichen Linien wieder auf den LKW, den Kübelwagen/Jeep oder das Krad sprangen und zur nächsten Schlacht fuhren. Die Wehrmacht hatte übrigens nur recht wenige motorisierte oder mechanisierte Einheiten, die meisten Infanteristen liefen auch im 2.WK noch zu Fuss und transportierten Nachschub per Pferde-Karren.
Das ganze spricht eben sehr für die deutlich bessere Ausstattung der US Army und der Royal Guards. Bessere Panzer hatten die vielleicht gerade eben nicht - aber die insgesamt bessere Ausstattung - insbesondere im Bereich Mechanisierung und Luftdeckung.

Zitat
5. Der Große GenStab war selbstverständlich auf die verschiedenen Varianten eines Krieges vorbereitet, sowohl auf den Zweifrontenkrieg gegen F und RUS, als auch auf getrennte Kriege gegen F oder RUS. Für alle Varianten gab es Aufmarschpläne und es wurden jährlich Generalstabsreisen und Stabsübungen abgehalten, um diese zu üben, Das war übliche Praxis schon Jahrzehnte vor 1914. Die neuen militärischen Entwicklungen wurden berücksichtigt, soweit bekannt, und die Pläne entsprechend angepaßt.



Der Generalstab mag Pläne gehabt haben - solche Planspiele dienen vor allem dem Erarbeiten von Fähigkeiten. Aber die einzigen ernsthaft verfolgten Pläne der deutschen Militärs umfassten vor allem den Krieg gegen beide Staaten (F und RUS). Denn aus verschiedenen Gründen war es absolut unwahrscheinlich, dass es zu einem Einfrontenkrieg gekommen wäre.

Zitat
Es ist daher falsch zu behaupten, für ein Szenario 'Defensive im Westen, Krieg im Osten' habe es keine Pläne gegeben.



Gut, lassen Sie mich präzisieren: es gab für dieses Szenario keine ernstzunehmenden Pläne.

Zitat
Nicht gegeben hat es ferner den Schlieffenplan. Dazu ist seit fast 15 Jahren ein heftiger Streit ausgebrochen, nachdem der amerikanische Berufsoffizier und Historiker Terence Zuber aufgrund bisher nicht ausgewerteter und verschollen geglaubter Originalquellen nachweisen konnte, daß der angebliche Schlieffenplan so nicht existierte. Erwartungsgemäß ist er auf den erbitterten Widerstand vieler etablierter Historiker gestoßen, die mit bewährter Methode (totschweigen, diffamieren, so wenig Argumentation in der Sache wie möglich) vorgehen.(...)



Moltke selbst hat in verschiedenen Punkten seines Lebens zugegeben, dass seine Annahme als Befehlshaber war, dass die französischen Truppen eine Offensive gegen die Stellungen im Elsass und Lothringen beginnen würden. Diese sollte von einigen Armeekorps abgefangen und zerschlagen werden, während andere Armeekorps nach Frankreich marschierten, um a) die Umfassung der Truppen zu ermöglichen und damit die wichtigsten und kampfstärksten französischen Einheiten zu neutralisieren und b) die Hauptstadt Paris zu bedrohen. Das Ziel war es, Frankreich entweder aus dem Krieg zu werfen (best case) oder weit in Frankreich gelegene Stellungen zu beziehen und weiterhin Paris zu bedrohen, von Positionen aus, die einen taktischen und strategischen Vorteil boten (base case). Dieses Ziel wurde ja (fast) erreicht - ohne den Abzug zweier Armeekorps hätte das eventuell sogar funtkionieren können. Nach der Neutralisation des französischen Heeres hätte man sich dann um die - in der militärischen Betrachtung - schwerer zu schlagenden russischen Truppen gekümmert.

Zitat
D hat auch 1914 keinen Präventivkrieg gegen F geführt, sondern ist der erkannten und zeitlich aufeinander abgestimmten franz und russ Offensive mit einer darauf abgestimmten Gegenoffensive begegnet. Man wollte die franz Offensive durch Umfassung stoppen, den Franzosen verlustreiche Niederlagen in den Grenzschlachten beibringen und danach den Schwerpunkt in den Osten verlegen, also die innere Linie, das bessere Eisenbahnnetz und die taktische Überlegenheit der deutschen Truppen ausnutzen, um erst den einen, dann den anderen Gegner zu stoppen.



Das sage ich ja (siehe oben). Ob dieser Plan nun von Moltke oder von Schlieffen gemacht wurde und nur von Moltke den tatsächlichen Begebenheiten angepasst und somit verbessert wurde... - who cares? Es gab zumindest für Moltke anscheinend keinen besseren Plan.
Und für Falkenhayn, besonders aber für Hindenburg und Ludendorff war es immer sehr wichtig Moltke als den Schuldigen auszumachen (bzw. Falkenhayn selbst als Schuldigen für die Blutmühle von Verdun darzustellen). Da kommt natürlich so ein "genialer Plan", den Moltke nicht richtig umsetzen konnte, gerade richtig. Ich halte Moltke für den eindeutig besten Befehlshaber dieser vier, und Falkenhayn für besser als Ludendorff (und wohl auch Hindenburg) - aber Fehler hat er eben auch gemacht.

JeffDavis Offline



Beiträge: 448

12.12.2014 21:36
#755 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von adder im Beitrag #754
Grundsätzlich ist das alles richtig. Mir ging es auch weniger um den direkten Vormarsch, sondern vor allem um den Nachschub und die Nachrückung. Die marschierenden Infanteristen sind ja auch nicht in Feindesnähe in Kolonne marschiert - wohl aber dann, wenn kein Feind in der Nähe war. Insbesondere die Nachschubfrage hat den Westfeldzug am Anfang schwierig gemacht - und natürlich die Erschöpfung nach einigen hundert Kilometern Fussmarsch.


Alle Armeen ließen ihre Truppen zu Fuß marschieren, motorisierte Infanterie gab es nicht. Die Erschöpfung betraf daher alle Kriegführenden, denn auch die Briten und Franzosen zogen sich nicht per Eisenbahn zurück. Die Nachschubfrage war ein Problem, aber nicht wegen der fehlenden Lkw, sondern wegen der zerstörten Eisenbahnlinien. Allerdings haben weder Erschöpfung noch Nachschubprobleme im August/September 1914 den Ausschlag gegeben. Wie gesagt, in ganz D gab es damals nicht annähernd genug Lkw, um damit die Infanterie oder den Nachschub zu transportieren, abgesehen von den von mir angeführten praktischen Problemen. Ein Fehler des deut GenStabs liegt nicht vor.

Zitat von adder im Beitrag #754
Die deutsche Militärdoktrin hat bereits im 2. Kaiserreich - ach was, bereits in den Befreiungskriegen - gut bis hervoragend ausgebildete und ausgestattete, sowie hochmobile Truppen vorgesehen. Aus der Lage (zweifrontig bedroht, kaum natürliche Barrieren, personell besser bestückte Nachbarn) und der deutlich flexibleren Ausbildungsart (Auftragstaktik) eine absolut vernünftige Sache.
Nur in WK1 hat man diese geforderte, hohe Mobilität nicht ausspielen können (da die Geschütze der vorrückenden deutschen Truppen denen der verteidigenden Franzosen unterlegen waren und die Truppen wie oben geschildert erschöpft in die entscheidende Schlacht der ersten Kriegsphase geschickt wurden).


'Hochmobil' ist, mit Verlaub, ein nichtssagendes Schlagwort. Die Truppen können nicht mobiler sein, als es die Technik erlaubt. Wenn es keine Transportflugzeuge, Hubschrauber, Lkw oder Schützenpanzer gibt, können die Truppen damit nicht ausgestattet werden. Nicht nur Infanterie und Nachschub, auch die Artillerie war bespannt, nur einige der schwersten Geschütze wurden im Motorzug transportiert. Das war bei den Franzosen und Engländern nicht anders.

Die deut Truppen besaßen mit den KavDiv und den Jägerbtl besondere mobile Einheiten und die Marschleistungen selbst der aus Reservisten aufgestellten Einheiten war enorm und 'mobil' genug. 40,50km pro Tag in der sommerlichen Hitze waren nicht selten.
Die Erschöpfung betraf alle Parteien, die Deutschen waren immerhin von den erfolgreichen Grenzschlachten beflügelt, die Franzosen und Briten hatten es da schwerer. An der Erschöpfung hat es jedenfalls nie gelegen.

Auch war die deutsche Artillerie den Alliierten in dieser Phase deutlich überlegen. Zwar war die franz 7,7cm Feldkanone besser als das deut Gegenstück, dafür war die Feuerleitung und -disziplin der deut Artillerie wesentlich besser, die Wirkung des Feuers daher erheblich stärker. An schwerer Artillerie waren die Deutschen ebenfalls sehr stark überlegen.

Diese Argumente von Ihnen stimmen also nicht.


Zitat von adder im Beitrag #754
Moltkes größter Fehler war wohl, zwei Armeekorps abzuziehen.

Moltkes größter Fehler war, daß er die Armeebefehlshaber und deren Generalstabschefs nicht im Griff hatte und nicht straff genug führte. Er ließ es zu, daß diese ihre eigenen Ziele verfolgten und nach den Siegen in den Grenzschlachten den Vormarsch nach Westen fortsetzten. Moltke hätte nach den ursprünglichen Planungen die gesamte strategische Situation im Auge behalten und mind 10 oder 12 Korps in den Osten verlegen, im Westen aber zur Verteidigung übergehen müssen. Die zwei Korps, die er dann tatsächlich unter Fortsetzung des Vormarsches im Westen verlegte, kam für die Entscheidung in Ostpreußen zu spät und fehlten später im Westen.


Zitat von adder im Beitrag #754
Sein zweiter, weniger großer Fehler, war es, die Truppen sich erschöpfen zu lassen.

Das war kein Fehler v Moltke. Erstens erreicht jede Offensive irgendwann ihren Kulminationspunkt, darauf hatte er keinen Einfluß, zweitens war die Erschöpfung allseits und hat den deutschen Rückzug nicht verschuldet.

Zitat von adder im Beitrag #754
Der dritte Fehler war es, die Truppen nicht mit motorisierter oder mechanisierter Unterstützung (die in anderen Armeen zum Zeitpunkt 1914 bereits teilweise genutzt wurde) zumindest für den Nachschub und das von anderen Einheiten gedeckte Vorrücken zu bestücken.

Nein, kein Fehler von Moltke. Keine Armee hat 1914 'motorisierte oder mechanisierte Unterstützung' genutzt, siehe oben. Es gab einige motorisierte oder leicht gepanzerte MG-Wagen (z.B. Rolly Royce Armoured Car), ein paar Dampftraktoren oder Zugmaschinen bei der schwersten Artillerie, und einige Lkw-Kolonnen im Nachschub und Sanitätswesen. Das war 1914 alles.

Oder Sie bringen mal Zahlen und Fakten, wie und in welchem Umfang die Alliierten 1914 in einem Umfang mot und mech Unterstützung genutzt haben sollen, die sie von den Deutschen unterschied.

Für die geplante Offensive hat die Mobilität der deut Truppen vollauf gereicht.


Zitat von adder im Beitrag #754
Der größte Fehler der Deutschen Regierung und Militärplanung war es allerdings wohl, den Krieg durch einen angekündigten Angriff auf Belgien zu beginnen. Wären die Truppen einfach reinmarschiert und durchmarschiert, ohne vorher bei den Belgiern nachzufragen, hätten diese wohl stillgehalten und die Briten wohl auch. Dazu gibt es natürlich unterschiedliche Standpunkte, aber die britische Propaganda hätte sich deutlich schwerer getan, einen Krieg gegen ein Deutschland zu rechtfertigen, welches eben nicht als Kriegsverbrecher und Aggressor darstellbar gewesen wäre.

D hätte also nicht als Aggressor dagestanden, wenn es ohne zu fragen die belgische Neutralität verletzt hätte? Während umgekehrt, wenn sie fragen und zB den Belgiern damit die Chance einräumen, einem Durchmarsch zuzustimmen, sie ein Kriegsverbrecher sind? Und bestimmt hätten Briten und Belgier stillgehalten? Das gehört in das Reich freier Phantasie und Spekulation.



Zitat von adder im Beitrag #754
Der Generalstab mag Pläne gehabt haben - solche Planspiele dienen vor allem dem Erarbeiten von Fähigkeiten. Aber die einzigen ernsthaft verfolgten Pläne der deutschen Militärs umfassten vor allem den Krieg gegen beide Staaten (F und RUS). Denn aus verschiedenen Gründen war es absolut unwahrscheinlich, dass es zu einem Einfrontenkrieg gekommen wäre.

Das ist so nicht richtig. Die Stabsübungen und Generalstabsreisen dienten zwar auch der weiteren Ausbildung nach der Kriegsakademie, aber in erster Linie dem Durchspielen der verschiedenen Möglichkeiten für einen Aufmarsch oder Krieg. Daneben gab es die konkreten, jährlich aktualisierten Aufmarschanweisungen, Mobilmachungspläne usw.. Ich kann nur empfehlen, Zubers 'The Real German Warplan 1904-1914' zu lesen, wo er die Entwicklung der deutschen Planungen, die Einschätzungen der Gegner und deren Planungen Jahr für Jahr bespricht, und zwar anhand der Originalquellen.

Seit 1894 rechnete der deut GenStab mit einem Zweifrontenkrieg und zunehmender zahlenmäßiger Unterlegenheit, insofern stellte die Planung schwerpunktmäßig darauf ab, besonders ab etwa 1910. Dennoch wurden die anderen Pläne ebenso auf dem aktuellen Stand gehalten. Der Schlieffenplan, von dem Jahrzehnte die Rede war, hat damit nichts zu tun.


Zitat von adder im Beitrag #754
Gut, lassen Sie mich präzisieren: es gab für dieses Szenario keine ernstzunehmenden Pläne.

Nach den Originalquellen waren die Pläne sehr ernst gemeint und konkret, nur die militärische und politische Lage machte einen Zweifrontenkrieg viel wahrscheinlicher. Oder wissen Sie mehr als die Orignalquellen?

Zitat von adder im Beitrag #754
Moltke selbst hat in verschiedenen Punkten seines Lebens zugegeben, dass seine Annahme als Befehlshaber war, dass die französischen Truppen eine Offensive gegen die Stellungen im Elsass und Lothringen beginnen würden. Diese sollte von einigen Armeekorps abgefangen und zerschlagen werden, während andere Armeekorps nach Frankreich marschierten, um a) die Umfassung der Truppen zu ermöglichen und damit die wichtigsten und kampfstärksten französischen Einheiten zu neutralisieren und b) die Hauptstadt Paris zu bedrohen. Das Ziel war es, Frankreich entweder aus dem Krieg zu werfen (best case) oder weit in Frankreich gelegene Stellungen zu beziehen und weiterhin Paris zu bedrohen, von Positionen aus, die einen taktischen und strategischen Vorteil boten (base case). Dieses Ziel wurde ja (fast) erreicht - ohne den Abzug zweier Armeekorps hätte das eventuell sogar funtkionieren können. Nach der Neutralisation des französischen Heeres hätte man sich dann um die - in der militärischen Betrachtung - schwerer zu schlagenden russischen Truppen gekümmert.


Das stimmt so nicht. Die ursprünglichen deutschen Planungen sahen weder eine Bedrohung von Paris noch weit in F gelegene Stellungen vor. Sie sollten erst recht nicht dazu führen, F aus dem Krieg zu werfen. Dazu schätzte man die Franzosen richtig als viel zu stark ein. Etwa am 24.08.1914 hatte man die Ziele dieser Planungen erreicht, die franz Offensive war unter enormen Verlusten zurückgeschlagen, die franz Offensivfähigkeit vorläufig dahin und die vorgesehene Verlegung der Korps in den Osten hätte beginnen können. Moltke ließ allerdings die Zügel schleifen, schwankte, zauderte und konnte sich zu keiner klaren Entscheidung durchringen. DAS war sein entscheidender Fehler.


Zitat von adder im Beitrag #754
Da kommt natürlich so ein "genialer Plan", den Moltke nicht richtig umsetzen konnte, gerade richtig.

Da es den 'genialen Schlieffenplan' nicht gab, konnte Moltke ihn auch nicht falsch umsetzen (mit seinen angeblichen Fehlern, die Sie mehrfach anführen). Seine Fehler sind ganz andere, siehe oben.

Zitat von adder im Beitrag #754
Ich halte Moltke für den eindeutig besten Befehlshaber dieser vier, und Falkenhayn für besser als Ludendorff (und wohl auch Hindenburg) - aber Fehler hat er eben auch gemacht.

Und ich halte nichts von derartigen Hitparaden. Ob Falkenhayn, Hindenburg oder Ludendorff im August 1914 eine bessere Figur abgegeben hätten, oder Moltke 1916 oder 1918, weiß niemand und bleibt Spekulation.

Techniknörgler Offline



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13.12.2014 00:05
#756 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat

1. Im Kaiserreich unterstand die Kaiserliche Marine dem Reichsmarineamt, an dessen Spitze ein Staatssekretär stand. Dieser war dem Reichskanzler untergeordnet. Die operative Führung der Seestreitkräfte oblag dem Oberkommando der Flotte, später dem Chef der Hochseeflotte. Diese Verhältnisse wechselten mehrfach, nominell war auch der Kaiser Oberbefehlshaber, de facto aber war die Marine dem Reichskanzler gegenüber verantwortlich.

[...]

3. Kaiser Wilhelm II. hatte nur ornamentale Funktion als Oberbefehlshaber, praktisch lag die Verantwortung bei den Militärs. Auf angebliche oder tatsächliche Charaktermängel des Kaisers kam es daher bei der Planung und Entscheidung nicht oder nur am Rande an.



Das die Kontrolle de facto beim Generalstab lag und hier die Entscheidungen getroffen wurden entspricht auch meinem Kenntnisstand. Wenn von Charaktermängeln des Kaisers die Rede ist, ist allerdings nicht die konkrete Planung und Strategie im Kriegsfall gemeint, sondern genau dieses entgleiten der Kontrolle, die falsche Auswahl der Funktionsträger in Militär und ziviler Verwaltung durch den Kaiser, denn am Ende lag die Verantwortung hierbei direkt oder indirekt beim Kaiser, dem Gegenüber der Reichskanzler und das Militär verantwortlich war. Und dadurch hatte die Person des Kaisers und sein Charakter (bzw. was andere auf Grund seines bisherigen Verhaltens von ihm erwarteten) natürlich auch Einfluss auf das Verhalten der Funktionsträger.

Zitat

Es gab also Stellen in D, die eine einheitliche Verteidigungsstrategie entwickeln konnten. Es ist nicht dem Militär anzulasten, wenn die zivilen Politiker der Lage nicht gewachsen sind.



Welche konkreten Quellen deuten denn darauf hin, dass jegliche Verantwortung hier bei den zivilen Politikern lag? Gerade auch, da der Reichskanzler keine formale Befehlsgewalt gegenüber den Militärs hatte, wäre hier eher das Verhältnis der obersten Militärs und des Kanzlers interessant.

So einfach würde ich die Militärs nicht aus der Verantwortung nehmen. Es gab sicherlich für viele eventualitäten irgendwelche Gedankenspiele/Pläne, wie durchdacht sie waren, steht auf einem anderen Blatt.

______________________________________________________________________________

“Being right too soon is socially unacceptable.”
― Robert A. Heinlein

adder Offline




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13.12.2014 09:11
#757 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von JeffDavis im Beitrag #755
Zitat von adder im Beitrag #754
Alle Armeen ließen ihre Truppen zu Fuß marschieren, motorisierte Infanterie gab es nicht. Die Erschöpfung betraf daher alle Kriegführenden, denn auch die Briten und Franzosen zogen sich nicht per Eisenbahn zurück. Die Nachschubfrage war ein Problem, aber nicht wegen der fehlenden Lkw, sondern wegen der zerstörten Eisenbahnlinien. Allerdings haben weder Erschöpfung noch Nachschubprobleme im August/September 1914 den Ausschlag gegeben. Wie gesagt, in ganz D gab es damals nicht annähernd genug Lkw, um damit die Infanterie oder den Nachschub zu transportieren, abgesehen von den von mir angeführten praktischen Problemen. Ein Fehler des deut GenStabs liegt nicht vor.
(...)
Nein, kein Fehler von Moltke. Keine Armee hat 1914 'motorisierte oder mechanisierte Unterstützung' genutzt, siehe oben. Es gab einige motorisierte oder leicht gepanzerte MG-Wagen (z.B. Rolly Royce Armoured Car), ein paar Dampftraktoren oder Zugmaschinen bei der schwersten Artillerie, und einige Lkw-Kolonnen im Nachschub und Sanitätswesen. Das war 1914 alles.

Oder Sie bringen mal Zahlen und Fakten, wie und in welchem Umfang die Alliierten 1914 in einem Umfang mot und mech Unterstützung genutzt haben sollen, die sie von den Deutschen unterschied.


Genau das (also das die Entente sich in diesem Punkt von den Deutschen unterschied) habe ich nicht behauptet.
Fakt ist, dass die Belgische Armee in der Schlacht an der Yser gepanzerte Fahrzeuge (diese hier) eingesetzt hat.
Fakt ist auch, dass Italien bereits in 1912 gepanzerte Fahrzeuge im Krieg gegen das Osmanische Reich eingesetzt hat.
Kanadische Truppen in WK1 haben bereits ab August 1914 eine vollständig motorisierte Einheit aufgebaut.

Mir ging es aber in der Tat nicht um diese Fälle, die alle einen Einsatz motorisierter Einheiten in Kampfhandlungen betreffen. Mir ging es um die Nachschubversorgung (wie Sie richtig festgestellt haben, waren die Eisenbahnlinien nicht dafür benutzbar, da weitgehend beim Rückzug zerstört), die mittels motorisierter Einheiten besser gewesen wäre, und um das Nachrücken nicht in Kämpfe verwickelter Truppen.
Infanteristen, die 40 oder gar 50 km am Tag marschieren, sind nicht "im Kampf", sondern marschieren in Kolonnen mit zügiger Marschgeschwindigkeit. Und sie erschöpfen dabei stark. Ich habe 30 km Märsche in meiner Militärzeit mitgemacht. Selbst diese waren anstrengend - und ich hätte nicht auch nur eine Woche lang jeden Tag einen solchen Marsch zurücklegen wollen. Wenn man aber jeden zweiten Tag transportiert wird, ist das schon eher denkbar. Und das hätten auch einige tausend LKW leisten können.
Natürlich haben Sie recht, dass 1914 der Aufkauf von LKW nicht zu machen war. So etwas hätte man im Vorraus planen und bereits früher beginnen müssen. Ich weiss aber auch aus meiner Militärzeit, dass die Bundeswehr sogar Daten von zivilen LKW pflegt, die als Reserve einberufen werden können (Wortwahl ist Absicht: dieses System funktioniert genauso wie ein menschlicher Reservist).

Zitat
Zitat von adder im Beitrag #754
Die deutsche Militärdoktrin hat bereits im 2. Kaiserreich - ach was, bereits in den Befreiungskriegen - gut bis hervoragend ausgebildete und ausgestattete, sowie hochmobile Truppen vorgesehen. Aus der Lage (zweifrontig bedroht, kaum natürliche Barrieren, personell besser bestückte Nachbarn) und der deutlich flexibleren Ausbildungsart (Auftragstaktik) eine absolut vernünftige Sache.
Nur in WK1 hat man diese geforderte, hohe Mobilität nicht ausspielen können (da die Geschütze der vorrückenden deutschen Truppen denen der verteidigenden Franzosen unterlegen waren und die Truppen wie oben geschildert erschöpft in die entscheidende Schlacht der ersten Kriegsphase geschickt wurden).


'Hochmobil' ist, mit Verlaub, ein nichtssagendes Schlagwort.


Diese Nomenklatur habe ich nicht selbst erdacht. Sie stammt vom Oberkommando der Reichswehr (Hans von Seeckt und Kurt von Hammerstein-Equord haben diese Formulierung in die Richtlinien der Führung eingebracht). Die Zielrichtung, mit sehr gut ausgebildeten Truppen, die dem Stand der Technik entsprechend schnell verlegt werden können, einem zahlenmäßig überlegenen Angreifer, der zudem seine Kräfte nicht in adequater Weise konzentrieren kann, entgegen zu treten, die kam bereits in den Befreiungskriegen auf, und wurde im weiteren Verlauf von den preussischen Truppen, später vom Militär des ND-Bundes und 2.Kaiserreiches - und nach der Niederlage in WK1 auch von der Reichswehr weiterentwickelt.
Innerhalb Deutschlands wurden die Truppen durch ein hochentwickeltes Eisenbahnnetz mobil gehalten. LKW waren 1910-14 durchaus noch nicht gemeinhin als Alternative zum Pferdefuhrwerk als eisenbahnunabhängigem Transportmittel zu sehen. Allerdings waren sie ausgereift genug, um vom Militär entsprechend erkannt zu werden. Immerhin gab es bereits motorisiert gezogene Artillerie und auch die US Army hat ja das Potential erkannt und 1916 gegen Pancho Villa genutzt.

Zitat:Die Truppen können nicht mobiler sein, als es die Technik erlaubt. Wenn es keine Transportflugzeuge, Hubschrauber, Lkw oder Schützenpanzer gibt, können die Truppen damit nicht ausgestattet werden.



Das ist alles richtig, habe ich auch nicht bezweifelt. LKW gab es aber. Und für den Transport abseits der Eisenbahnlinien waren sie nicht weniger geeignet als Pferdefuhrwerke (sondern deutlich besser, da der Nachschubbedarf ein geringeres Volumen hatte, und die nutzbare Zeit etwas höher war).

Zitat
Nicht nur Infanterie und Nachschub, auch die Artillerie war bespannt, nur einige der schwersten Geschütze wurden im Motorzug transportiert. Das war bei den Franzosen und Engländern nicht anders.



Habe ich behauptet, das die Französische Armee oder die Britische Armee allgemein mechanisiert war? Dennoch: der Großteil der Truppen konnte bei denen noch auf Nachschub via Eisenbahn zurückgreifen, da die Eisenbahnlinien ja erst im Verlauf des Rückmarsches zerstört wurden.

Zitat
Die deut Truppen besaßen mit den KavDiv und den Jägerbtl besondere mobile Einheiten und die Marschleistungen selbst der aus Reservisten aufgestellten Einheiten war enorm und 'mobil' genug. 40,50km pro Tag in der sommerlichen Hitze waren nicht selten.



Das ist alles richtig. Aber marschieren Sie mal selbst 30 oder 40 km in sommerlicher Hitze mit 12 bis 15kg Gepäck und Helm. So erschöpft man die Truppen.

Zitat
Auch war die deutsche Artillerie den Alliierten in dieser Phase deutlich überlegen. Zwar war die franz 7,7cm Feldkanone besser als das deut Gegenstück, dafür war die Feuerleitung und -disziplin der deut Artillerie wesentlich besser, die Wirkung des Feuers daher erheblich stärker. An schwerer Artillerie waren die Deutschen ebenfalls sehr stark überlegen.


Die 7,7cm Feldkanone hatte eine höhere Reichweite. Und die schwere Artillerie der Deutschen hatte am Ende der ersten Phase des Westfeldzugs mit Nachschubmangel zu kämpfen.

Zitat
Diese Argumente von Ihnen stimmen also nicht.


Sie haben einige verzerrt und damit falsifiziert, wo ich gar nicht diese von Ihnen unterstellte Aussage getroffen habe. Andere habe ich entsprechend belegt.

Zitat
Zitat von adder im Beitrag #754
Moltkes größter Fehler war wohl, zwei Armeekorps abzuziehen.

Moltkes größter Fehler war, daß er die Armeebefehlshaber und deren Generalstabschefs nicht im Griff hatte und nicht straff genug führte.



Das Argument habe ich erwartet - allerdings sehe ich das nicht so. Vielleicht hätte er den einen oder anderen besser kontrollieren müssen (d.h. Kluck, Bülow und Hentsch). Generell kommt Moltke dabei aber nicht aus der Verantwortung: er hat die Ziele vorgegeben. Und das Ziel hieß eben auch, Vormarsch.
Ich will mit Ihnen aber nicht darüber streiten, ob jetzt Zubers 'The Real German Warplan 1904-1914', oder Janusz Piekałkiewiczs "Der Erste Weltkrieg" oder gar Holger Afflerbachs "Die militärische Planung im Deutschen Reich" die Begebenheiten korrekter darstellt.

Zitat
Er ließ es zu, daß diese ihre eigenen Ziele verfolgten und nach den Siegen in den Grenzschlachten den Vormarsch nach Westen fortsetzten. Moltke hätte nach den ursprünglichen Planungen die gesamte strategische Situation im Auge behalten und mind 10 oder 12 Korps in den Osten verlegen, im Westen aber zur Verteidigung übergehen müssen. Die zwei Korps, die er dann tatsächlich unter Fortsetzung des Vormarsches im Westen verlegte, kam für die Entscheidung in Ostpreußen zu spät und fehlten später im Westen.



Letzlich überlebt jeder Plan nicht den Erstkontakt mit der Realität. Deshalb wäre es selbst dann, wenn diese von Ihnen geschilderte Variation der tatsächliche Aufmarschplan war, richtig gewesen, den Krieg nach Frankreich hinein zu tragen. Falsch war es, überhaupt so früh Armeeeinheiten wieder von der einen zur anderen Front zu verlegen, obwohl die nie und nimmer rechtzeitig dort eingetroffen wären, bevor es zu Kampfhandlungen gekommen ist, und auch nach einer Niederlage in diesen Kampfhandlungen keinen Unterschied mehr gemacht hätten.

Zitat
Seit 1894 rechnete der deut GenStab mit einem Zweifrontenkrieg und zunehmender zahlenmäßiger Unterlegenheit, insofern stellte die Planung schwerpunktmäßig darauf ab, besonders ab etwa 1910. Dennoch wurden die anderen Pläne ebenso auf dem aktuellen Stand gehalten. Der Schlieffenplan, von dem Jahrzehnte die Rede war, hat damit nichts zu tun.



Sehen Sie, genau das sage ich doch. Das Oberkommando hat sich den Realitäten angepasst: Zweifrontenkrieg, zahlenmäßige Unterlegenheit. Dass man auch andere Pläne hatte, heißt ja nicht, dass diese auch vom Oberkommando für einen solchen Konflikt als ernsthaft oder geeignet angesehen werden.
Wenn ich das ungenau formuliert hatte, entschuldigen Sie das bitte - war nicht meine Absicht.

Zitat
Zitat von adder im Beitrag #754
Da kommt natürlich so ein "genialer Plan", den Moltke nicht richtig umsetzen konnte, gerade richtig.

Da es den 'genialen Schlieffenplan' nicht gab, konnte Moltke ihn auch nicht falsch umsetzen (mit seinen angeblichen Fehlern, die Sie mehrfach anführen). Seine Fehler sind ganz andere, siehe oben.



Meine Güte. Haben Sie verstanden, was ich mit diesem Satz sagen wollte? Wenn ich als Oberbefehlshaber meinem Vorgänger die Schuld für den verlorenen Krieg geben will, gibt es zwei Möglichkeiten: entweder ich sage, dass seine Pläne falsch waren (dann darf ich aber nicht selbst ähnliche Pläne in der Schublade haben und auch nicht vorher schon die Pläne gut gefunden haben), oder ich sage, dass es einen tollen Plan gegeben hat, der von einem anderen, "genialen" Strategen entworfen wurde, den mein Vorgänger eben nicht richtig umgesetzt hat.
Falkenhayn, besonders aber Hindenburg und Ludendorff haben sich für letzteres entschieden. Ob der Plan nun tatsächlich von Schlieffen erdacht wurde, oder von Moltke entworfen wurde, oder die Nachfolger einfach nur die Realität etwas verändert als "Plan" dargestellt haben... ist dann letztlich irrelevant.

Zitat
Zitat von adder im Beitrag #754
Ich halte Moltke für den eindeutig besten Befehlshaber dieser vier, und Falkenhayn für besser als Ludendorff (und wohl auch Hindenburg) - aber Fehler hat er eben auch gemacht.

Und ich halte nichts von derartigen Hitparaden. Ob Falkenhayn, Hindenburg oder Ludendorff im August 1914 eine bessere Figur abgegeben hätten, oder Moltke 1916 oder 1918, weiß niemand und bleibt Spekulation.



Natürlich. Falkenhayn hat aber zumindest direkt nach seiner Berufung erkannt, dass der Krieg bereits verloren war. Das haben Hindenburg und Ludendorff bis 1918 noch geleugnet.

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

13.12.2014 12:34
#758 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von Nola im Beitrag #753
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #725
Liebe Nola, was mir beim ersten Zuhören auffiel (und mich abschreckte) ist die persönliche Verächtlichmachung eines Diskussionsteilnehmers.
Somit liegt diese Diskussion weit unter dem Niveau welches wir hier pflegen.


Nun, die Moderation lag ja nicht in Ihrer Hand, es fällt also nicht auf Sie zurück, es war ja nicht unsere Diskussion. Ein Diskussionsniveau, wie erst kürzlich bei "Illner-Will-Talk-Runden" zu sehen, bleibt uns ja gottseidank auch erspart, auch wenn es von uns allen finanziert wird und als ganz sicher seriös gildet.

Ich habe das eher so gemeint, dass eine Diskussion die bei der ersten Gegenmeinung von dem Kritisierten von der Sachebene auf eine persönliche, herabsetzende herunter gebrochen wird, sinkt mein Interesse.

Zitat von Nola im Beitrag #753
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #725

Und was mir zur Sache immer wieder auffällt und was auch bei Herrn Steinmeier immer wieder durchkommt:
Diesen Krieg nicht als solchen zu bezeichnen und ihn stattdessen als einen Konflikt anzusehen mit dem wir Europäer nichts zu tun haben weil er ein amerikanisch/russischer ist. Es handelt sich um einen russischen Eroberungskrieg gegen die Ukraine.


Ich halte es für zu kurz gesprungen, das Ergebnis langjähriger Verfehlungen seitens der EU aussen vor zu lassen und als einzig verursachenden Tatbestand einen "russischen Eroberungskrieg" zu benennen. Das wird dem komplexen Thema nicht gerecht. Aber genauso wenig Weitblick haben eben auch die europäischen "Diplomaten" gezeigt, sonst wäre es nicht so weit gekommen.

Ich bin keinesfalls neutral bei der Betrachtung. Ich verteidige das Vorgehen der EU, auch dann, wenn es (auch von mir so gesehene) berechtigte Kritik daran gibt.
Was aber zu weit geht und wo für mich der Bereich der Propaganda beschritten wird, ist, eine für Russland zwingende Annektierung von Gebieten der Ukraine aus dem Engagement der EU abzuleiten. Die Ukraine nähert sich seit ihrer wiedererlangten Souveränität an Europa an - ganz unabhängig ob sie von einem der Russen genehmen Staatschef geführt wurde oder nicht.

Zitat von Nola im Beitrag #753
Was amerikanische Interessen angeht, ob nun ein Stützpunkt mehr oder die abgeschlossenen Verträge zur Gewinnung von Rohstoffen, bleibt Sache der Ukraine. Die Verteidigung von daraus resultierenden Ansprüchen der USA, lägen damit aber durchaus im Bereich des Möglichen, wenn auch nur unterstützend versteckterweise. Aber das ist Spekulation.

Was für die EU gilt, gilt auch für die USA aus meiner Sicht. Mit der Einschränkung, dass die USA und die EU natürlich als wirtschaftliche Konkurrenten in der Ukraine auftreten.

Zitat von Nola im Beitrag #753
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #725

Ich bin sehr froh, dass Amerika sich nicht aus allem heraushält womit wir als Europäer ohne unseren wichtigsten Verbündeten und ohne die NATO ganz schön alt aussehen würden. Russland versucht mit seinen Helfern einen Keil in den Westen zwischen Amerika und Europa zu treiben und ist leider gerade in Deutschland damit recht erfolgreich.


Diese Einteilung halte ich schon im Ansatz für falsch. Es kann ja nicht eine Entscheidung "zwischen" sondern es muß "sowohl als auch" heißen im verhandeln über Wirtschaftsabkommen. Militärische Befindlichkeiten gäbe es dann keine, weil das eine das andere bedingt. Eine "moralische" Gegenüberstellung - hier die guten Amerikaner und da der böse Russe - ist mir einfach zu simpel. Ich beteilige mich weder in der einen noch zur anderen Richtung an den Klischees, die mir jeden Tag als seriöse Info im ÖR TV und den Großteil unserer Medien daherkommt. Tagesformabhängig wird uns im TV serviert wen oder was wir zu mögen haben. Da gilt kein Tabu, keine höhere Diplomatie und auch keine Moral.

Schade, dann werden wir in diesem Punkt wohl nie einer Meinung sein. In meinem Ramelow-Artikel bin ich auf die außenpolitische Zielrichtung der Ex-SED eingegangen. Und genau diese möchte Deutschland in eine neutrale und später eher nach Osten orientierte Bündnispolitik rücken.
Ich werde niemals in dieser Frage neutral sein. Ich bin ohne Abstriche für eine ganz starke Westbindung Deutschlands. Damit meine ich vor allem GB und die USA. Das sind m.E. die wichtigsten Bündnispartner Deutschlands. Danach kommt Frankreich und die EU.
Aber mir ist schon klar, dass ich damit eine Minderheitenmeinung vertrete.

Zitat von Nola im Beitrag #753
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #725

Wenn ich was höre von "neutraler Position" verstehe ich nur noch NATO und EU-Austritt und Beitritt zur Eurasischen Union.
Ich diskutiere hier aus der Position eines Atlantikers und eines Menschen des Westens. Da gehört Deutschland m.E. hin. Wäre dies seit der Reichsgründung 1871 der Fall gewesen, hätte es womöglich die beiden Weltkriege gar nicht gegeben.


Aus Ihrem Blickwinkel, lieber Erling Plaethe, kann ich das noch verstehen. Ich bin hier im Westen aufgewachsen und habe direkt an der Schaffung größter Wirtschaftserfolge teilgehabt, habe ein freies Land im Handeln und Denken mit geschaffen, darin gut gelebt, immer eine Perspektive gehabt und immer Vertrauen in Politik und Gesetzgebung. Ich habe nie die Nachkriegs-Unterstützung der Amerikaner und das uns entgegengebrachte Wohlwollen vergessen. Aber, das darf nicht in allen Belangen zu einem kritiklosen Vogel-Strauß-Empfinden führen, genauso wenig wie die "böse Sowjetmacht", die ebenso zu meiner frühesten Sozialisation gehörte, und, die ich nun auf ewig verdammen müßte.

Im Laufe von Jahrzehnten haben sich Politik und Ausführende hunderttausendmal gewendet und die Drehtür schlackert nur so hin und her. Jede Hochzeit beinhaltet neue Liebe, neues Glück, neues Vertrauen bis zum besseren Wissen und dann geht's irgendwann den Bach runter und von vorne los.

Meiner Einschätzung liegen Ansichten zugrunde, die bereits vor Ende des zweiten WK getroffen wurden und haben nur wenig mit dem wirtschaftlichen Wiederaufstieg Deutschlands zu tun. Sie sind auch recht unabhängig davon, wer Russland regiert.
Es geht um das Modell der westlichen Demokratie, der freien Marktwirtschaft und der Stellung der Grundrechte. Ich bin davon überzeugt, dass dieses Modell das Beste von allen ist. Ohne Konkurrenz. Und ohne existierende Alternative. Ich sag das ganz bewusst.
Umso bedingungsloser ein Land für diese Werte eintritt, umso näher möchte ich es mit Deutschland verbunden sehen.
Sollte russische Gesellschaft und seine Regierungen mal diesen Weg beschreiten, wäre ich auch für eine stärkere Bindung. Das ist aber nicht mal im Ansatz in Sicht. Nicht nur dort nicht. Es gibt viele Gegenden in der Welt wo dies für mich schwer vorstellbar ist.
Russland ist Verbündeter der übelsten Diktaturen in der Welt, von Nordkorea über Syrien bis zum Iran. Im Vergleich dazu ist die Türkei ein vergleichsweise kleines Problem und eben als "Verbündeter" ertragbar.
Darüber hinaus ist der Türkei m.E. ist schon bewusst, dass der IS auch ihr Gegner ist. Wenn sich hierzulande Politiker darüber Gedanken machen, doch lieber nicht die Bundeswehr im Irak sehen zu wollen um den IS nicht zu "provozieren", ist diese Einstellung gar nicht so weit entfernt von der der Türkei.

Zitat von Nola im Beitrag #753
Konkurrenzkampf um Märkte, Rohstoffe und Absatzgebiete werden zukünftig noch mehr Politik bestimmen und bis jetzt stehen dem zu unterzeichnenden Freihandelsabkommen mit den USA nicht mal mehr der "böse Russe" als Energiepartner im Wege, im Gegenteil.
Wie günstig - nicht wahr?

Ja, finde ich auch. Super.

Viele Grüße, Erling Plaethe

JeffDavis Offline



Beiträge: 448

13.12.2014 14:27
#759 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Adder schrieb "Genau das (also das die Entente sich in diesem Punkt von den Deutschen unterschied) habe ich nicht behauptet."

Natürlich haben Sie das:
„Der dritte Fehler war es, die Truppen nicht mit motorisierter oder mechanisierter Unterstützung (die in anderen Armeen zum Zeitpunkt 1914 bereits teilweise genutzt wurde) zumindest für den Nachschub und das von anderen Einheiten gedeckte Vorrücken zu bestücken. „

Bitte: Wenn Sie nicht wollen, dass man Sie missversteht, dann drücken Sie sich nicht immer so schwammig aus, sondern präzise, und verwenden bitte korrekte Begriffe (es gibt z.B. weder ein 'Oberkommando der Reichswehr' noch 'Royal Guards') und den üblichen Sprachgebrauch (im deutschen Heer bis zur NVA gab es keine 'mechanisierten', sondern 'gepanzerte' Einheiten, Truppen werden nicht mit mot oder mech Unterstützung 'bestückt', sondern - wenn Sie die Fahrzeugausstattung meinen - 'ausgerüstet')

Im Übrigen bestätigen Ihre neuerlichen Beispiele meine Ausführungen: Eine Handvoll gepanzerter Automobile, ein paar Traktoren, in geringem Umfang Lkw. Bei allen Kriegführenden. Nichts von motorisierten Transport- oder Nachschubeinheiten, nichts, was die Infanterie oder Artillerie hätte motorisieren und entlasten können.

Mir ist z.B. keine Regimentsgeschichte, keine Schlachtenmonographie oder Feldzugsbeschreibung bekannt, in Erschöpfung und Nachschubmangel im August 1914 als entscheidende Faktoren angeführt hätten. Alle Truppen waren mehr oder weniger erschöpft und nicht optimal versorgt, und trotzdem wurde angegriffen, marschiert und gekämpft. Von den körperlichen Leistungen der damaligen Infanterie im Bewegungskrieg macht man sich heute kaum richtige Vorstellungen, aber sie wurden erbracht.

Es ist mE wenig hilfreich, wenn Sie laufend zwischen den Befreiungskriegen, dem 1.WK und der Bundeswehrzeit hin und her springen, stets an der Oberfläche bleibend. Hier geht es um Ihre ursprüngliche Aussage:

„Ihre einzigen Fehler in dieser Betrachtung waren a) der Verzicht auf den massenhaften Aufkauf von Fahrzeugen, die die marschierenden Soldaten transportieren konnten...“

Es lag, das dürfte klar sein, kein Fehler der deutschen Militärs vor, da es nicht annähernd genug Lkws dafür gab und alle sonstigen Voraussetzungen für den Einsatz tausender von Lkw fehlten.



Weiter Ihre Aussage: „Ich will mit Ihnen aber nicht darüber streiten, ob jetzt Zubers 'The Real German Warplan 1904-1914', oder Janusz Piekałkiewiczs
"Der Erste Weltkrieg" oder gar Holger Afflerbachs "Die militärische Planung im Deutschen Reich" die Begebenheiten korrekter darstellt.“

Das sollten Sie aber, denn die korrekte Darstellung der Fakten ist unverzichtbar. Man kann die These eines Berufsoffz mit 20 Jahren Erfahrung und ausgebildeten Historikers, entwickelt anhand neu aufgefundener Originalqullen, nicht mit Büchern von Piekalkiewicz vergleichen, der ein populärwissenschaftlicher Vielschreiber ist. Historiker, die - wie z.B. Mombauer, Herwig oder Afflerbach - die neuen Dokumente ignorieren und am angeblichen Schlieffenplan festhalten, müssen sich zumindest den Vorwurf gefallen lassen, das sie, aus welchen Gründen auch immer, sich mit den Originaldokumenten nicht auseinandersetzen wollen, offenbar weil ihnen das Ergebnis nicht gefällt.



Weiter 'Natürlich haben Sie recht, dass 1914 der Aufkauf von LKW nicht zu machen war. So etwas hätte man im Vorraus planen und bereits früher beginnen müssen.'

In D gab es so etwas durchaus. Das Militär erstattete 20% des LKW-Kaufpreises, wenn ein militärisch geeignetes Nutzfahrzeug gekauft und instand gehalten wurde. Die Lkw wurden auf Ihre Kriegstauglichkeit geprüft. Am 01.08.2014 standen der deutschen Heeresführung ca. 5.000 LKW nach den Subventionsrichtlinien zur Verfügung.

[url] https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte...n_1895_bis_1945 [/url]

5.000 Lkw für das gesamte Militär! Für den Transport auch nur eines Bruchteils der Infanterie hätte das nie genügt.



Adder: "Deshalb wäre es selbst dann, wenn diese von Ihnen geschilderte Variation der tatsächliche Aufmarschplan war, richtig gewesen, den Krieg nach Frankreich hinein zu tragen. Falsch war es, überhaupt so früh Armeeeinheiten wieder von der einen zur anderen Front zu verlegen, obwohl die nie und nimmer rechtzeitig dort eingetroffen wären, bevor es zu Kampfhandlungen gekommen ist, und auch nach einer Niederlage in diesen Kampfhandlungen keinen Unterschied mehr gemacht hätten."

Da wissen Sie mehr als die Generalstabsoffiziere und phantasieren frei im Raum herum. Warum es richtig gewesen wäre, den 'Krieg nach F hinein zu tragen', obwohl der deut Führung klar war, daß man F nicht mit einer einzigen Offensive aus dem Krieg drängen kann und es der ursprüngliche Plan folgerichtig gar nicht vorsah, begründen Sie ebensowenig wie ihre Behauptung, die verlegten Einheiten wären im Osten zu spät gekommen, um nützlich zu sein.


Adder "Dass man auch andere Pläne hatte, heißt ja nicht, dass diese auch vom Oberkommando für einen solchen Konflikt als ernsthaft oder geeignet angesehen werden."

Sie behaupten also, der GrGenStab hätte spaßige oder ungeeignete Pläne entwickelt?



Und schließlich Adder:"Ob der Plan nun tatsächlich von Schlieffen erdacht wurde, oder von Moltke entworfen wurde, oder die Nachfolger einfach nur die Realität etwas verändert als "Plan" dargestellt haben... ist dann letztlich irrelevant."

Ein derart salopper Umgang mit Fakten und methodischen Rüstzeug ist meine Sache nicht. Auf der Basis läßt sich auch nicht sinnvoll diskutieren. Ich kann Interessierten nur empfehlen, sich mit Zubers These und dem Streit darüber zu beschäftigen. Die These, es habe keinen Schlieffenplan gegeben, ist nicht nur durch Originaldokumente belegt, sondern vor dem Hintergrund von Clarks 'Schlafwandler' geschichtlich von großem Interesse. Der Streit zeigt - ähnlich wie seinerzeit der Historikerstreit - wie die etablierte Geschichtsschreibung bestimmte 'Tatsachen' unkritisch übernimmt, fortschreibt und ´sich dann gegen Außenseiter nicht mit sachlichen Argumenten verteidigt, sondern mit Diffamierung und Schweigen.

Fluminist Offline




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13.12.2014 16:33
#760 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von Nola im Beitrag #753
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #725
Zitat:Und was mir zur Sache immer wieder auffällt und was auch bei Herrn Steinmeier immer wieder durchkommt:
Diesen Krieg nicht als solchen zu bezeichnen und ihn stattdessen als einen Konflikt anzusehen mit dem wir Europäer nichts zu tun haben weil er ein amerikanisch/russischer ist. Es handelt sich um einen russischen Eroberungskrieg gegen die Ukraine.

Ich halte es für zu kurz gesprungen, das Ergebnis langjähriger Verfehlungen seitens der EU aussen vor zu lassen und als einzig verursachenden Tatbestand einen "russischen Eroberungskrieg" zu benennen. Das wird dem komplexen Thema nicht gerecht. Aber genauso wenig Weitblick haben eben auch die europäischen "Diplomaten" gezeigt, sonst wäre es nicht so weit gekommen.

Liebe Nola, vielen Dank für den deutlichen Beitrag, dem ich uneingeschränkt zustimmen kann.

Die Bezeichnung dessen, was gerade in der Ostukraine abläuft, als "russischer Eroberungskrieg" erscheint mir nicht nur deshalb verfehlt, weil damit einem sehr komplexen Vorgang mit vielen in mehr oder weniger hohem Maße Beteiligten ein sehr vereinfachendes Etikett aufgepappt wird, sondern auch deshalb, weil es eben kein Eroberungskrieg ist - im Moment jedenfalls; es kann natürlich noch einer werden.

Auf der Krim gab es keinen Krieg, sondern eher einen bewaffneten Staatsstreich mit anschließender Annexion. Ein unschöner und fragwürdiger Vorgang, aber kein Krieg.
Im Osten der Ukraine findet schon ein Krieg statt, aber kein "russischer Eroberungskrieg". Wenn Rußland einen Eroberungskrieg hätte führen wollen, dann hätte jetzt Rumänien eine gemeinsame Grenze mit Rußland. Die russische Aktion in der Ukraine ist eine destabilisierende militärische Intervention mit inoffiziellen Truppen, so ein Herumpfuschen von außen, wie es in den letzten Jahren auch in Nordafrika, dem Nahen und Mittleren Osten stattgefunden hat (dort natürlich mit den allerbesten Absichten). Das Ziel ist dabei nicht die Eroberung von Territorien, sondern die Regierung des Landes unter Druck zu setzen und weniger handlungsfähig zu machen. Daß das einem friedlichen Zusammenleben der Völker und Nationen nicht gerade dienlich ist, liegt auf der Hand, aber es ist offenbar fester Bestandteil der Palette internationaler Gestaltungsmittel, und, so leid es mir tut, die USA haben sich dieser Mittel ausgiebig und regelmäßig bedient und sie somit hoffähig gemacht. Daß dann weniger demokratische Staaten auch weniger Hemmungen haben, damit ans Werk zu gehen, ist eine unschöne, aber unvermeidliche Folge.

Das ist eben der gravierende Nachteil einer "moralgetriebenen" Außenpolitik, bei der man den Zweck die Mittel heiligen läßt: die so geheiligten Mittel dienen dann ebensogut einem unheiligen Zweck.



It is only by the collision of adverse opinions that the remainder of the truth has any chance of being supplied. - J. S. Mill

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

13.12.2014 20:27
#761 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Liebe Nola, lieber Fluminist,

die Ostukraine wird zur Zeit von Russland erobert. Von Beginn an waren russische Angehörige des Militärs und des Geheimdienstes als "grüne Männchen" beteiligt. Dass dieser Krieg verdeckt ist, ändert nichts daran dass damit territoriale Eroberungen einhergehen, incl. des Hissens der russischen Flagge auf öffentlichen Gebäuden als sichtbares Zeichen dieser Eroberung.
Genau das Gleiche geschah auch auf der Krim.
Dies nicht als Eroberung anzusehen, wie auch die Gebiete des sogenannten Neurusslands, ist eine Lesart die mir völlig unverständlich bleiben wird und die der Ukraine das Recht auf Souveränität und Respektierung seiner Staatsgrenze abspricht.
Oder mit noch deutlicheren Worten: Sie stellt die europäische Friedensordnung in Frage.
Es ist gelinde gesagt geschmacklos die USA, welche diese Ordnung in Europa erst schufen und die Freiheit der Völker garantierten, auf eine Stufe mit einem Aggressor zu stellen, der die Völker Osteuropas jahrzehntelang in Knechtschaft hielt und deren Befreiung aus ebendieser für seine größte Katastrophe hält.

Und, lieber Fluminist, ein "so leid es mir tut" klingt dann in meinen Ohren wie Hohn. Das tut mir nicht leid dies so deutlich sagen zu müssen, sondern ärgert mich.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

13.12.2014 21:59
#762 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #761
Und, lieber Fluminist, ein "so leid es mir tut" klingt dann in meinen Ohren wie Hohn. Das tut mir nicht leid dies so deutlich sagen zu müssen, sondern ärgert mich.

Lieber Erling Plaethe, es ist mir bewußt, daß "so leid es mir tut" auch eine Floskel ist, die oft ironisch verwendet wird. Das war aber hier nicht der Fall. Es tut mir wirklich leid, daß die USA, die ich von Kindheit an als Garant der Freiheit und Demokratie gegen den schlimmen Iwan im Osten erlebt und wahrgenommen habe, eine Menge internationaler Aktionen unternommen haben - ob es Fehler, schlechte Entscheidungen waren oder wirklich nicht anders ging, weiß ich nicht, das sei dahingestellt -, die es halbseidenen Figuren wie Putin erlauben, sich hinzustellen und zu behaupten, daß er im Grunde auch nichts anderes tut als die USA.

Ich bedaure das sehr, da ich meine, jeder muß sich an seinen eigenen Maßstäben messen lassen; aber vielleicht bin ich ja naiv zu hoffen, daß man das Positive, die Freiheit und Demokratie, ohne das Negative, die Bespitzelei und die "shock and awe"-Aktionen, haben könne. Vielleicht stimmt es, daß ich in meinem kindlichen Bild von den USA als den Guten befangen und deshalb von der Einsicht, daß auch sie bisweilen krumme Touren drehen, enttäuscht bin, während Sie realistischere und erwachsenere Erwartungen an die USA haben: etwa wie Arnold Schwarzenegger in "Terminator 2", wir sind froh, daß er auf uns aufpaßt, auch wenn er dabei eine Spur der Verwüstung hinterläßt.

Wir gehen mit Selbstverständlichkeit davon aus, daß ein Polizist bewaffnet herumläuft und nötigenfalls von der Waffe Gebrauch macht, während das einen anderen zum Verbrecher macht. Polizist und Verbrecher stehen natürlich nicht auf einer Stufe. Aber es besteht kein grundsätzlicher Unterschied zwischen der Person des Polizisten und anderen; wird er korrupt und/oder schießwütig, dann wandelt er sich zum gemeinen Banditen. In einer Situation, in der jeder zum Polizisten wird, der sich dazu berufen fühlt - diese Situation liegt zwischen Staaten vor, wenn an den Vereinten Nationen vorbei gehandelt wird -, kann sich dann auch schon einmal ein Bandit zum Polizisten erklären und herausfordernd die Frage stellen, worin sich denn der andere Polizist von ihm unterscheide. Wenn jener andere dann auch keine weiße Weste hat, dann fallen die Masken und das häßliche Antlitz des Rechts des Stärkeren werden offenbar.

Ärgern wollte ich Sie nicht, schon gar nicht jetzt in der Adventszeit. Sit in terra pax hominibus* et gloria in excelsis Deo.

* im Original steht da noch bonae voluntatis - und mit dieser Qualifikation geht dann die Streiterei schon los.



It is only by the collision of adverse opinions that the remainder of the truth has any chance of being supplied. - J. S. Mill

Emulgator Offline



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13.12.2014 22:51
#763 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von Fluminist im Beitrag #762
In einer Situation, in der jeder zum Polizisten wird, der sich dazu berufen fühlt - diese Situation liegt zwischen Staaten vor, wenn an den Vereinten Nationen vorbei gehandelt wird -, kann sich dann auch schon einmal ein Bandit zum Polizisten erklären und herausfordernd die Frage stellen, worin sich denn der andere Polizist von ihm unterscheide. Wenn jener andere dann auch keine weiße Weste hat, dann fallen die Masken und das häßliche Antlitz des Rechts des Stärkeren werden offenbar.
Das ist das entscheidende. Deswegen wird Völkerrecht ein genossenschaftliches Recht genannt, und all die schönen Dinge wie Checks and balances und Rechtssicherheit gibt es dort nicht. Selbst von den demokratischen und freiheitlichen Staaten werden diese Rechtsgüter regelmäßig nur nach Innen gewährt.

Wenn man die Situation zwischen Запад und Rußland in der Ukraine diskutieren will, muß man deswegen sich klar darüber sein, daß maßgeblich nur die Dinge sind, über die schon Machiavelli geschrieben hat. Es hat keinen Sinn, dort irgendeine moralische Meßlatte anlegen zu wollen. Vielmehr ist es sogar so, daß man als Bürger ausgerechnet den Kriegstreibern auf den Leim geht, wenn man sich auf solche Argumentationen einläßt. Deswegen noch ein Widersprich an Sie:

Zitat
Daß das einem friedlichen Zusammenleben der Völker und Nationen nicht gerade dienlich ist, liegt auf der Hand, aber es ist offenbar fester Bestandteil der Palette internationaler Gestaltungsmittel, und, so leid es mir tut, die USA haben sich dieser Mittel ausgiebig und regelmäßig bedient und sie somit hoffähig gemacht. Daß dann weniger demokratische Staaten auch weniger Hemmungen haben, damit ans Werk zu gehen, ist eine unschöne, aber unvermeidliche Folge.


Das spielt keine Rolle und stimmt so auch gar nicht ganz. Rußland selber hat angefangen, eigenständig "Friedenstruppen" zu stellen. Gut, faktisch waren das inklusive der Kasernen geerbte Truppen aus der Sowjetzeit, die einfach nicht nach Rußland zurückverlegt wurden (weil dort auch z.T. bis heute die Unterbringungsmöglichkeiten fehlen), aber der politische Nutzen und die politische Legitimierung nach außen war dieselbe.

Wenn die USA vor dem Kosovokrieg Friedenstruppen gestellt haben, dann waren das auch tatsächlich welche im Rahmen der UN. Wenn die USA außerhalb solcher Mandate Militäraktionen durchgeführt haben, dann haben sie sich damals (Grenada, Panama) nicht so viel Mühe gegeben, den Eigennutz daran durch das Wort "Friedenstruppe" zu verschleiern.

Erling Plaethe Offline




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14.12.2014 20:58
#764 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von Nola im Beitrag #753

Konkurrenzkampf um Märkte, Rohstoffe und Absatzgebiete werden zukünftig noch mehr Politik bestimmen und bis jetzt stehen dem zu unterzeichnenden Freihandelsabkommen mit den USA nicht mal mehr der "böse Russe" als Energiepartner im Wege, im Gegenteil.
Wie günstig - nicht wahr?

Eine viel bessere Antwort als ich hätte geben können ist hier zu finden:
Wem hohe Energiepreise nutzen

Viele Grüße, Erling Plaethe

Frank2000 Offline




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14.12.2014 21:24
#765 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von Fluminist im Beitrag #760

sondern auch deshalb, weil es eben kein Eroberungskrieg ist - im Moment jedenfalls; es kann natürlich noch einer werden.



Relativismus war mir schon immer verhasst. Eine Vergewaltigung ist keine Vergewaltigung, wenn sich die Frau nicht genug gewehrt hat. Antisemitismus ist keiner, wenn nicht wenigstens ein paar hunderttausend Juden sterben. Eine Eroberungskrieg ist keiner, wenn nicht wenigstens zwei Panzerarmeen die Hauptstadt in Schutt und Asche legen. In diesem Sinne ist auch Tibet nicht einem Eroberungskrieg erlegen, sondern nur an das "historische Mutterland angeschlossen worden". Heim ins Reich - dieser perverse These scheint manchen immer noch als Legitimationsmuster zu genügen.

Zitat von Fluminist im Beitrag #760

Das Ziel ist dabei nicht die Eroberung von Territorien, sondern die Regierung des Landes unter Druck zu setzen und weniger handlungsfähig zu machen. Daß das einem friedlichen Zusammenleben der Völker und Nationen nicht gerade dienlich ist, liegt auf der Hand, aber es ist offenbar fester Bestandteil der Palette internationaler Gestaltungsmittel, und, so leid es mir tut, die USA haben sich dieser Mittel ausgiebig und regelmäßig bedient und sie somit hoffähig gemacht. Daß dann weniger demokratische Staaten auch weniger Hemmungen haben, damit ans Werk zu gehen, ist eine unschöne, aber unvermeidliche Folge.



Zwei Fehler - und zwar zwei offensichtliche Fehler:

1. Es ist offensichtlich Unsinn, die Handlungen von Diktaturen aus den Handlungen von zivilisatorisch höher stehenden Nationen ableiten zu wollen. Völliger Quark. Was genau behaupten Sie da eigentlich? Das Diktaturen von ihren Eroberungsplänen, Unterdrückungsmechanismen und Zerstörungen ablassen, wenn ein paar Länder ein "gutes Beispiel von freundlicher Nachbarschaft" vorführen? Das glauben Sie doch nicht selbst, oder? Die Pläne von Diktaturen können mit netten Beispielen nicht aufgehalten werden, sondern nur mit der Waffe in der Hand. Wer was anderes glaubt, lebt in einer anderen Realität als ich. Es mag sein, dass Diktaturen es als bequeme Ausrede nutzen, wenn sie auch Demokratien Machtpolitik nachweisen können. Aber die Behauptung, die tatsächliche Handlung von Diktaturen wäre höflicher und toleranter, wenn Demokratien völlig abgestumpfte, wehrlose Schießbudenfiguren werden würden, ist durch nichts zu begründen.

2. Wie andere schon betont haben: Machtpolitik wird nicht erschaffen, Machtpolitik IST DA. Existiert einfach. Untrennbar mit dem Mensch-sein verbunden. Angeboren. Ob man Machtpolitik gut oder schlecht findet, hängt also allein vom Ziel ab. Die Machtpolitik von Staaten wie den USA, Frankreich, Groß Britannien usw führt dazu, dass historisch einzigartige Demokratien entstehen und bestehen, die den Menschen im Inneren nie zu vor in der Geschichte gekannte Freiheiten und Wohlstand bescheren. Die Machtpolitik von Staaten wie Nord-Korea, Kuba, Russland... aber auch Ägypten, Saudi-Arabien und drei Dutzend weiteren Staaten führen dazu, die Freiheit zu zerbrechen, die Menschen zu unterdrücken, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur zu fesseln. Scheinbar können Sie den Unterschied nicht erkennen, aber ich schon: Machtpolitik zum Schutz der Demokratie finde ich gut und zum Schutz von Diktaturen finde ich schlecht. Da können Sie so viel Sophistik betreiben wie Sie wollen.

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Kommunismus mordet.

Emulgator Offline



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14.12.2014 23:17
#766 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von Frank2000 im Beitrag #765
Machtpolitik wird nicht erschaffen, Machtpolitik IST DA. Existiert einfach. Untrennbar mit dem Mensch-sein verbunden. Angeboren. Ob man Machtpolitik gut oder schlecht findet, hängt also allein vom Ziel ab.
Was meinen Sie mit Machtpolitik? Macht ist ja kein Selbstzweck; außer vielleicht bei Max Weber. Ich gehe mal davon aus, daß Sie mit Machtpolitik meinen, militärisch-politische Methoden abseits von beiderseitigen fairen Verhandlungen ohne Erpressungen zu benutzen, um ein Ziel zu erreichen. Da sind wir uns alle einig, das existiert einfach, weil es außer Gott keinen Richter über die beteiligten Akteure gibt. Das hat so ja auch @Fluminist gemeint.
Nun ob man das gut oder schlecht findet. Das kann nicht vom Ziel abhängen. Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Das ist auch vernünftig so, denn es ist ja bekannt, daß das nach Außen kommunizierte Ziel nicht wirklich das wahre Ziel ist. Das wahre Ziel dient dem Politikern selber, also allenfalls Freiheit und Wohlstand im eigenen Land. Das ist ja auch nicht falsch. Der PotUS ist nicht für die Belange des Irak, Chiles, Panamas oder Grenadas zuständig. Das hätte er auch schlecht gemacht. Er ist für seinen eigenen Staat verantwortlich, für dessen Interessen und muß auf die Stimmungen seines eigenen Wahlvolkes reagieren. Kein Verfassungsartikel verpflichtet irgendeine Regierung zum Demokratieexport.

R.A. Offline



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15.12.2014 11:36
#767 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von Nola im Beitrag #751

Zitat
Für mich zählen nur schriftliche und damit nachprüfbare Äußerungen.

Was ist denn authentischer als das gesprochene Wort eines Menschen, ...


Natürlich sind das authentische Äußerungen - aber in einem Forum wie hier kann man eigentlich nur vernünftig über Formulierungen diskutieren, wenn die auch als Text vorliegen.
Es tut mir leid, wenn meine Ablehnung etwas harsch rüberkam, meine persönlichen Vorlieben oder Abneigungen sind natürlich keine Forumsregeln. Ich wollte nur begründen warum ich nicht inhaltlich auf das eingehe, was in so einem Youtube-Ausschnitt gezeigt wird.

Nola Offline



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15.12.2014 13:13
#768 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von Frank2000 im Beitrag #765



2. Wie andere schon betont haben: Machtpolitik wird nicht erschaffen, Machtpolitik IST DA. Existiert einfach. Untrennbar mit dem Mensch-sein verbunden. Angeboren. Ob man Machtpolitik gut oder schlecht findet, hängt also allein Staaten führen dazu, die Freiheit zu zerbrechen, die Menschen zu unterdrücken, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur zu fesseln. Scheinbar können Sie den Unterschied nicht erkennen, aber ich schon: Machtpolitik zum Schutz der Demokratie finde ich gut und zum Schutz von Diktaturen finde ich schlecht. Da können Sie so viel Sophistik betreiben wie Sie wollen.



Nun das hat mit Sophistik nix zu tun. Andere Meinung, OK, akzeptiert. Aber ein Land, welches Geschäfte macht, mit extrem despotischer Staatsführung, auf den gleichen Level wie dieses zu setzen, kann nur auf den moralischen Aspekt abheben, der aber bekanntlich (siehe auch deutsche Geschäfte mit dem Iran trotz Embargo oder auch Waffenlieferungen in Kriegsgebiete bzw. dessen Unterstützer) nicht unbedingt mit Handel unter einen Hut zu bringen ist.

Ansonsten gebe ich Ihnen natürlich recht. Ich sehe aber auch die Gefahr, das man zukünftig sich mit dem kleineren Übel besser verständigen sollte, damit meine ich nun nicht Korea oder den Iran, um das gleich vorweg zu nehmen. Denn wenn wir uns die Freiheit erhalten wollen, ohne die Menschen zu unterdrücken, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur voran zu bringen, werden wir uns mit starken Partnern verbinden müssen und das trotz Vertrauen in die USA.

♥lich Nola

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Zettel im August 2008

Ulrich Elkmann Offline




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15.12.2014 18:31
#769 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Von wegen "Obervolta mit Atomraketen":

"Russia’s Bond Yield Higher Than Rwanda’s"

Quote TAI, 2014-12-15


It’s expensive to be poor: Russia’s 10 year bond yield, the key marker of international borrowing costs, rose above Rwanda’s. It’s up 14 basis points to a 6.75% yield, while it was at 4.6% last year, according to the FT.

In other words: an energy exporting state with no debt has a debt cost higher than does Rwanda. Sanctions, plummeting oil prices, a successful campaign to render Russia an international pariah, or whatever, something is going right.

Fluminist Offline




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16.12.2014 10:29
#770 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von Frank2000 im Beitrag #765
Zitat von Fluminist im Beitrag #760

sondern auch deshalb, weil es eben kein Eroberungskrieg ist - im Moment jedenfalls; es kann natürlich noch einer werden.

Relativismus war mir schon immer verhasst. Eine Vergewaltigung ist keine Vergewaltigung, wenn sich die Frau nicht genug gewehrt hat. Antisemitismus ist keiner, wenn nicht wenigstens ein paar hunderttausend Juden sterben. Eine Eroberungskrieg ist keiner, wenn nicht wenigstens zwei Panzerarmeen die Hauptstadt in Schutt und Asche legen. In diesem Sinne ist auch Tibet nicht einem Eroberungskrieg erlegen, sondern nur an das "historische Mutterland angeschlossen worden". Heim ins Reich - dieser perverse These scheint manchen immer noch als Legitimationsmuster zu genügen.

Lieber Frank2000, so wie ich die Sache sehe, kann von Legitimation überhaupt keine Rede sein. Dennoch sind nicht alle Verbrechen gleich, und es kann doch nur zur Klärung beitragen, die Dinge differenziert zu benennen. Klar, wenn man den Fall schnell in der geistigen Schublade wegsortieren will, dann gibt man ihm ein mehr schlecht als recht passendes Etikett und der Fall ist erledigt. Inklusive einer flotten Schuldzuweisung, deren Funktion weniger darin besteht, einen offenkundig Schuldigen zu benennen, als vielmehr andere möglicherweise Beteiligte ruckzuck reinzuwaschen. Dann hat man auch eine klare Handhabe, ohne Zögern und Zweifel zuzuschlagen. Na gratuliere.

Zitat von Frank2000 im Beitrag #765
Zitat von Fluminist im Beitrag #760

Das Ziel ist dabei nicht die Eroberung von Territorien, sondern die Regierung des Landes unter Druck zu setzen und weniger handlungsfähig zu machen. Daß das einem friedlichen Zusammenleben der Völker und Nationen nicht gerade dienlich ist, liegt auf der Hand, aber es ist offenbar fester Bestandteil der Palette internationaler Gestaltungsmittel, und, so leid es mir tut, die USA haben sich dieser Mittel ausgiebig und regelmäßig bedient und sie somit hoffähig gemacht. Daß dann weniger demokratische Staaten auch weniger Hemmungen haben, damit ans Werk zu gehen, ist eine unschöne, aber unvermeidliche Folge.


Zwei Fehler - und zwar zwei offensichtliche Fehler:

1. Es ist offensichtlich Unsinn, die Handlungen von Diktaturen aus den Handlungen von zivilisatorisch höher stehenden Nationen ableiten zu wollen. Völliger Quark. Was genau behaupten Sie da eigentlich?

Daß Putin sagt, Intervention in anderen Staaten zu humanitären Zwecken, zum Schutz von ethnischen Minderheiten, einschließlich militärischer Hilfe auch ohne UNO-Mandat und Unterstützung von Rebelleneinheiten sei ein Verfahren, das die USA und mit ihnen alliierte Staaten seit Jahren anwenden; wenn sich also diese Staaten gegen Rußland richten, nur weil dieses dergleichen auch einmal tut, wenn es notwendig ist, dann sei das unfair und Ausdruck eines allgemeinen Ressentiments gegen Rußland.
Klar, bei Ihnen kommt er mit dieser Argumentation nicht durch, aber - und das ist mit Verlaub für seinen Machterhalt viel wichtiger - sein eigenes Volk kann er damit zumindest zum größeren Teil überzeugen.



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Ulrich Elkmann Offline




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16.12.2014 11:12
#771 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

In der Süddeutschen heute ein Reisebericht von Cathrin Kahlweit aus "Neurussland":

Zitat "Niemandsland" (16.12.)


"Tatsächlich fehlt es überall an allem. Am Straßenrand in diesem Niemandsland, irgendwo bei Krasnoarmijsk, stapft eine alte Frau durch den Schnee, sie trägt schwer an einer großen Tasche. „Wir leben von Kartoffeln und Wasser“, sagt die Greisin. Arbeit gebe es hier nicht mehr. ... Anfang November hatte Kiew die finanzielle Unterstützung für das Gebiet eingestellt, das die prorussischen Aufständischen für sich, vielleicht aber auch für Russland reklamieren. Kurz darauf wurden die letzten staatlichen Einrichtungen der Ukraine abgezogen, die Banken geschlossen. Wer an seine Rente kommen will oder an Geld, muss das von den Separatisten kontrollierte Territorium verlassen oder auf die Post vertrauen. ... Überall in der Stadt stehen Menschen für Lebensmittelpakete an, die der eigentliche Eigentümer des abtrünnigen Donbass, der Oligarch Rinat Achmetow, austeilen lässt. Donezk war einer seiner wichtigsten Produktionsstandorte, Achmetow hatte seinerzeit Ex-Präsident Janukowitsch finanziert und groß gemacht. Er selbst hat sich seit Monaten nicht mehr in der Stadt blicken lassen. Vielerorts gibt es seit Monaten weder Strom noch Gas, in der Gebietshauptstadt immerhin funktionieren an den meisten Tagen die Heizungen wieder. Wenn nicht die Rohre eingefroren sind. ... Draußen vor der Tür herrscht Kriegsrecht. Anstelle der regulären Justiz urteilen Militärtribunale jene ab, die von den Milizen aufgegriffen werden. Gerichtsverfahren, Verteidiger – gibt es nicht. Wer in Untersuchungshaft landet, bleibt bis auf Weiteres dort. Im Sommer gab es hier und da „Volksgerichte“, Todesurteile wurden ausgesprochen."


Kremlastrologie oder Anpassung an die Wirklichkeit?

Zitat
"Die russische Nowaja Gaseta berichtet, im Kreml überlege man wegen drohender Erfolglosigkeit der Projekte LNR und DNR, diese quasi an die Ukraine zurückzugeben – unter der Prämisse, dass sie eine extrem weitreichende Autonomie zugesichert bekommen. Die Idee von „Neurussland“ sei nicht mehr populär unter Putinisten, heißt es, weil die Massen in anderen ukrainischen Städten, in Charkiw, Cherson oder Odessa, nicht zum Aufstand zu bewegen gewesen seien."

Nola Offline



Beiträge: 1.719

16.12.2014 13:27
#772 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #771
In der Süddeutschen heute ein Reisebericht von Cathrin Kahlweit aus "Neurussland":

Zitat "Niemandsland" (16.12.)
"Tatsächlich fehlt es überall an allem. Am Straßenrand in diesem Niemandsland, irgendwo bei Krasnoarmijsk, stapft eine alte Frau durch den Schnee, sie trägt schwer an einer großen Tasche. „Wir leben von Kartoffeln und Wasser“, sagt die Greisin. Arbeit gebe es hier nicht mehr. ... Anfang November hatte Kiew die finanzielle Unterstützung für das Gebiet eingestellt, das die prorussischen Aufständischen für sich, vielleicht aber auch für Russland reklamieren. Kurz darauf wurden die letzten staatlichen Einrichtungen der Ukraine abgezogen, die Banken geschlossen. Wer an seine Rente kommen will oder an Geld, muss das von den Separatisten kontrollierte Territorium verlassen oder auf die Post vertrauen. ... Überall in der Stadt stehen Menschen für Lebensmittelpakete an, die der eigentliche Eigentümer des abtrünnigen Donbass, der Oligarch Rinat Achmetow, austeilen lässt. Donezk war einer seiner wichtigsten Produktionsstandorte, Achmetow hatte seinerzeit Ex-Präsident Janukowitsch finanziert und groß gemacht. Er selbst hat sich seit Monaten nicht mehr in der Stadt blicken lassen. Vielerorts gibt es seit Monaten weder Strom noch Gas, in der Gebietshauptstadt immerhin funktionieren an den meisten Tagen die Heizungen wieder. Wenn nicht die Rohre eingefroren sind. ... Draußen vor der Tür herrscht Kriegsrecht. Anstelle der regulären Justiz urteilen Militärtribunale jene ab, die von den Milizen aufgegriffen werden. Gerichtsverfahren, Verteidiger – gibt es nicht. Wer in Untersuchungshaft landet, bleibt bis auf Weiteres dort. Im Sommer gab es hier und da „Volksgerichte“, Todesurteile wurden ausgesprochen."


Kremlastrologie oder Anpassung an die Wirklichkeit?

Zitat
"Die russische Nowaja Gaseta berichtet, im Kreml überlege man wegen drohender Erfolglosigkeit der Projekte LNR und DNR, diese quasi an die Ukraine zurückzugeben – unter der Prämisse, dass sie eine extrem weitreichende Autonomie zugesichert bekommen. Die Idee von „Neurussland“ sei nicht mehr populär unter Putinisten, heißt es, weil die Massen in anderen ukrainischen Städten, in Charkiw, Cherson oder Odessa, nicht zum Aufstand zu bewegen gewesen seien."


Mich wundert das nicht. Ich habe schon darauf gewartet, ich denke, Putin ging es wohl primär um die Krim.

♥lich Nola

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Zettel im August 2008

Fluminist Offline




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16.12.2014 21:03
#773 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von Nola im Beitrag #772

Zitat
"Die russische Nowaja Gaseta berichtet, im Kreml überlege man wegen drohender Erfolglosigkeit der Projekte LNR und DNR, diese quasi an die Ukraine zurückzugeben – unter der Prämisse, dass sie eine extrem weitreichende Autonomie zugesichert bekommen. Die Idee von „Neurussland“ sei nicht mehr populär unter Putinisten, heißt es, weil die Massen in anderen ukrainischen Städten, in Charkiw, Cherson oder Odessa, nicht zum Aufstand zu bewegen gewesen seien."


Mich wundert das nicht. Ich habe schon darauf gewartet, ich denke, Putin ging es wohl primär um die Krim.


Wundert mich auch überhaupt nicht. Nachdem die sogenannten neurussischen Volksrepubliken im Mai ihre Volksabstimmung durchgeführt hatten und dann unmittelbar um Beitritt zur russischen Föderation ansuchten (obwohl das explizit nicht im Text der Volksabstimmung vorgesehen war), wurde dieses Ansuchen einfach ignoriert. Soweit ging die Analogie zur Krim eben doch nicht, denn hier ging es nicht um Annexion, sondern um einen Fuß in der ukrainischen Tür.
Auch ist das, was oben zitiert wird, keine Kehrtwende, denn die offizielle Position war schon damals und immer, daß Rußland die ukrainischen Ostgebiete beim Streben um weitgehende Autonomie - Föderalisierung - innerhalb der Ukraine unterstützt.



It is only by the collision of adverse opinions that the remainder of the truth has any chance of being supplied. - J. S. Mill

Erling Plaethe Offline




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16.12.2014 23:33
#774 RE: Putins Russland ist auch eine Bedrohung für Europa Antworten

Zitat von Fluminist im Beitrag #773
Zitat von Nola im Beitrag #772

Zitat
"Die russische Nowaja Gaseta berichtet, im Kreml überlege man wegen drohender Erfolglosigkeit der Projekte LNR und DNR, diese quasi an die Ukraine zurückzugeben – unter der Prämisse, dass sie eine extrem weitreichende Autonomie zugesichert bekommen. Die Idee von „Neurussland“ sei nicht mehr populär unter Putinisten, heißt es, weil die Massen in anderen ukrainischen Städten, in Charkiw, Cherson oder Odessa, nicht zum Aufstand zu bewegen gewesen seien."


Mich wundert das nicht. Ich habe schon darauf gewartet, ich denke, Putin ging es wohl primär um die Krim.

Wundert mich auch überhaupt nicht. Nachdem die sogenannten neurussischen Volksrepubliken im Mai ihre Volksabstimmung durchgeführt hatten und dann unmittelbar um Beitritt zur russischen Föderation ansuchten (obwohl das explizit nicht im Text der Volksabstimmung vorgesehen war), wurde dieses Ansuchen einfach ignoriert. Soweit ging die Analogie zur Krim eben doch nicht, denn hier ging es nicht um Annexion, sondern um einen Fuß in der ukrainischen Tür.
Auch ist das, was oben zitiert wird, keine Kehrtwende, denn die offizielle Position war schon damals und immer, daß Rußland die ukrainischen Ostgebiete beim Streben um weitgehende Autonomie - Föderalisierung - innerhalb der Ukraine unterstützt.


Aha, Sie meinen also die Benennen sich jetzt wieder um? Also nicht mehr Neurussland, sondern wieder Ukraine?
Was mich nicht wundert, ist, dass es in den sogenannten Volksrepubliken zugeht, wie dies in sehr vielen Volksrepubliken der Fall ist. Nur wenn man nicht die Gründe zur Kenntnis nehmen will, die zum Einmarsch Russlands in die Ukraine geführt haben und statt dessen die von Putin genannten übernimmt, kommt man darauf, dass Russland die Menschen in den Gebieten ihrer neurussisch gegründeten Despotien "unterstützte".

Viele Grüße, Erling Plaethe

Fluminist Offline




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17.12.2014 22:11
#775 Das paßt irgendwie auch hierher (Achtung: "Relativismus"!) Antworten

Im BBC News Magazine schreibt Jeffrey Sachs folgendes.

Zitat
1914 and 1989 are "hinge moments", decisive points of history on which subsequent events turn. How nations both great and small behave at such hinge moments determine the future course of war and peace.
I participated directly and personally in the events of 1989, and saw this lesson in play - positively in the case of Poland and negatively in the case of Russia.
[...]
One morning, in September 1989, I appealed to the US Government for $1bn for Poland's currency stabilisation. By evening, the White House confirmed the money. No kidding, an eight-hour turnaround time from request to result. Convincing the White House to support a sharp cancellation of Poland's debts took a bit longer, with high-level negotiations stretching out for about a year, but those too proved to be successful.
The rest, as they say, is history. Poland undertook very strong reform measures, based in part on recommendations that I had helped to design. The US and Europe supported those measures with timely and generous aid. Poland's economy began to restructure and grow, and 15 years later it became a full-fledged member of the European Union.
I wish that I could stop my reminiscing here, with this happy story. But alas, the story of the end of the Cold War is not only one of Western successes, as in Poland, but also one of great Western failure vis-a-vis Russia. While American and European generosity and the long view prevailed in Poland, American and European actions vis-a-vis post-Soviet Russia looks were much more like the horrendous blunders of Versailles. And we are paying the consequences to this day.
[...]
In the spring of 1991, I worked with colleagues at Harvard and MIT to assist Gorbachev to obtain financial support from the West as part of his efforts at political reform and economic overhaul. Yet our efforts fell flat - indeed they failed entirely.
Gorbachev left the G7 summit that summer of 1991 and returned to Moscow empty-handed. When he returned to Moscow with no results, a conspiracy attempted to oust him in the notorious August Putsch, from which he never recovered politically. With Boris Yeltsin ascendant, and the dissolution of the Soviet Union now on the table, Yeltsin's economic team again asked me for assistance, both in the technical challenges of stabilisation, and in the quest to obtain vital financial assistance from the US and Europe.
I predicted to President Yeltsin and his team that help would soon be on the way. After all, emergency help for Poland was arranged in hours or weeks. Surely the same would happen for the newly independent and democratic Russia. Yet I watched in puzzlement and growing horror that the needed aid was not on the way.
Where Poland had been granted debt relief, Russia instead faced harsh demands by the US and Europe to keep paying its debts in full. Where Poland had been granted rapid and generous financial aid, Russia received study groups from the IMF but no money. I begged and beseeched the US to do more. I pleaded the lessons of Poland, but all to no avail. The US government would not budge.
In the end, Russia's malignant financial crisis overwhelmed the efforts at reform and normality. The reform government of Yegor Gaidar fell from grace and from power. I resigned after two hard years of trying to help, and of accomplishing very little indeed. A few years later, Vladimir Putin replaced Yeltsin at the helm.
[...]
It took me 20 years to gain a proper understanding of what had happened after 1991. Why had the US, which had behaved with such wisdom and foresight in Poland, acted with such cruel neglect in the case of Russia? Step by step, and memoir by memoir, the true story came to light. The West had helped Poland financially and diplomatically because Poland would become the Eastern ramparts of an expanding Nato. Poland was the West, and was therefore worthy of help. Russia, by contrast, was viewed by US leaders roughly the same way that Lloyd George and Clemenceau had viewed Germany at Versailles - as a defeated enemy worthy to be crushed, not helped.
[...]
By making these observations I do not mean to exonerate Putin of responsibility for Russia's recent illegal, cynical, and dangerous acts of violence in Ukraine. But I do mean to help explain them. The shadow of 1989 looms large.


1914 und 1989 sind "Schlüsselmomente", entscheidende Punkte der Geschichte, von denen die nachfolgenden Ereignisse abhängen. Wie die großen und kleinen Nationen sich in solchen Momenten verhalten, bestimmt die Zukunft von Krieg und Frieden.
Ich nahm direkt und persönlich an den Ereignissen von 1989 teil und sah diese Lehre in Aktion: positiv im Falle Polens und negativ im Falle Rußlands.
[...]
Eines Morgens im September 1989 appellierte ich um 1 Mrd Dollar an die US-Regierung zwecks Stabilisierung der polnischen Währung. Am Abend stellte das Weiße Haus das Geld zur Verfügung. In der Tat, nur 8 Stunden zwischen Anfrage und Ergebnis. Das Weiße Haus von einem scharfen Schuldenschnitt für Polen zu überzeugen, dauerte etwas länger; die Verhandlungen auf hoher Ebene zogen sich etwa ein Jahr hin, waren aber am Ende ebenfalls erfolgreich.
Der Rest ist Geschichte, wie man so sagt. Polen führte durchgreifende Reformmaßnahmen durch, zum Teil auf Grundlage der Empfehlungen, die ich mit ausgearbeitet hatte. Die USA und Europa unterstützten diese Maßnahmen mit rechtzeitiger und großzügiger Hilfe. Die polnische Wirtschaft begann sich umzustrukturieren und zu wachsen, und 15 Jahre später wurde Polen ein vollwertiges Mitglied der EU.
Ich wünschte, ich könnte meine Erinnerungen hier, mit dieser glücklichen Geschichte, abschließen. Aber leider ist die Geschichte vom Ende des Kalten Kriegs nicht nur eine der westlichen Erfolge, wie in Polen, sondern auch großen westlichen Versagens gegenüber Rußland. Während in Polen amerikanische und europäische Großzügigkeit und Weitsicht zum Einsatz kamen, sahen die amerikanischen und europäischen Handlungen gegenüber Rußland den schrecklichen Fehlern von Versailles viel ähnlicher. Und die Folgen sehen wir noch heute.
[...]
Im Frühjahr 1991 arbeitete ich mit Kollegen von Harvard und MIT daran, Gorbatschow dabei zu helfen, finanzielle Hilfe vom Westen als Teil seiner Bemühungen um politische Reform und wirtschaftlichen Umbau zu erhalten. Doch unsere Bemühungen waren vergebens - sogar ein völliges Versagen.
Im Sommer 1991 kehrte Gorbatschow vom G7-Gipfel mit leeren Händen nach Moskau zurück. Da versuchte eine Verschwörung ihn im berüchtigten Augustputsch abzusetzen, von dem er sich politisch nie mehr erholte. Mit Boris Jelzins Aufstieg und der Auflösung der Sowjetunion auf dem Tisch bat mich Jelzins Wirtschaftskommittee wieder um Hilfe, sowohl bei den technischen Fragen der Stabilisierung als auch bei der Suche nach so wesentlicher finanzieller Hilfe von den USA und Europa.
Ich sagte Präsident Jelzin und seinen Mitarbeitern, daß die Hilfe bald kommen würde. Schließlich war Nothilfe für Polen innerhalb von Stunden bzw. Wochen organisiert worden. Sicher würde dasselbe auch für das neue unabhängige und demokratische Rußland geschehen. Doch mit Bestürzung und wachsendem Schrecken mußte ich sehen, daß die notwendige Hilfe nicht kam.
Während Poland Schuldenerlaß gewährt worden war, stellten die USA und Europa harte Forderungen an Rußland, seine Schulden in voller Höhe zu bezahlen. Während Polen rasche und großzügige Finanzhilfe gewährt worden war, erhielt Rußland Arbeitsgruppen vom IWF, aber kein Geld. Ich bat die USA dringend, mehr zu tun. Ich hielt das gute Beispiel von Polen vor, aber ohne Erfolg. Die US-Regierung ließ sich nicht bewegen.
Am Ende überwältigte Rußlands bösartige Finanzkrise die Bemühungen um Reform und Normalität. Die Reformregierung Jegor Gajdars verlor die Macht. Nach zwei Jahren harter Bemühungen gab ich auf, ohne viel bewirkt zu haben. Einige Jahre später übernahm Wladimir Putin das Ruder.
[...]
Ich habe 20 Jahre gebraucht, um zu verstehen, was eigentlich nach 1991 passiert ist. Warum haben die USA, die in Polen so viel Weisheit und Voraussicht gezeigt hatten, im Falle Rußlands so brutal nachlässig gehandelt? Schritt für Schritt, Memorandum um Memorandum, kam die Wahrheit ans Licht. Der Westen hat Polen finanziell und diplomatisch geholfen, weil Polen das östliche Bollwerk einer wachsenden NATO wurde. Polen war Westen, also hilfswürdig. Rußland hingegen sahen die Köpfe der US-Regierung etwa in derselben Weise wie Lloyd George und Clemenceau Deutschland in Versailles gesehen hatten: als einen besiegten Feind, der nicht Hilfe verdient hatte, sondern Zermalmung.
[...]
Damit, daß ich diese Beobachtungen äußere, will ich nicht Putin von der Verantwortung für Rußlands illegale, zynische und gefährliche Gewalttaten in der Ukraine freisprechen. Aber ich will dabei helfen, sie zu verstehen. 1989 wirft einen langen Schatten.



Wichtigtuer , Relativierer , Rußlandversteher ? (Keynesianer ist er jedenfalls, das macht ihn mir unsympathisch.)



It is only by the collision of adverse opinions that the remainder of the truth has any chance of being supplied. - J. S. Mill

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