Das deckt sich ungefähr mit meinen halb verschütteten Erinnerungen aus dem Studium (Jura mit Wahlfachgrupppe Völker- und Europarecht und Neigung zum hum. Völkerrecht). Völkerrecht ist eh so eine Kiste, von der meistens ahnungsbefreit selbst in eigentlich gehobenen Blättern berichtet wird (Ausnahme z.B. R. Müller von der FAZ).
Döblinger, Gestern 20:51
Ich glaube aber, das war von DLF nicht so geplant:
Zitat von Kane im Beitrag #76Ich glaube aber, das war von DLF nicht so geplant
Als ich den Einwurf des Moderators hörte, man müsse aufgrund der schlechten Leitung das Gespräch abbrechen, war das auch mein erster Gedanke. Ich sah dabei vor meinem geistigen Auge einen wild gestikulierenden Redakteur durch das Studio toben.
Immerhin kann man das Interview aber noch auf dem Internetauftritt des DLF finden, auch wenn es möglicherweise der Redaktion im Inhalt nicht gefällt.
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Zitat von Martina im Beitrag #65Ich wünschte, es könnten sie alle diejenigen lesen, die man jetzt im Brustton der Überzeugung (nicht zum ersten Mal, aber jetzt wieder besonders laut) sagen hört: Man wird doch wohl noch die israelische Politik kritisieren dürfen, ohne gleich als Antisemit zu gelten!
Ach, das geht nicht?
Ich habe mir diese sehr einfach erscheinende Frage länger durch den Kopf gehen lassen und eine Antwort scheint mir sehr schwierig zu sein. Wahrscheinlich erzeugt dabei die Ursache dieser Schwierigkeit (die Frage zu beantworten) eine Ambivalenz, die alle sachbezogenen Argumentationsversuche in der ganzen Diskussion verschüttet.
Ich glaube derzeit wirklich, dass es nicht möglich ist in unserem Umfeld israelische Politik zu kritisieren, ohne als Antisemit zu gelten. Wichtig ist dabei die Frage, warum das so ist: Nach meiner Meinung nach ist es deswegen so, weil in letzter Zeit sehr viel Antisemitismus mit der Begründung es sei doch nur „Israelkritik“, gerechtfertigt wurde.
Eine Seite ist wirklich nicht in der Lage zu erkennen, wo Kritik aufhört und Stereotyp beginnt, die andere Seite unterstellt einfach jedem der Kritik übt, den Stereotyp. Diejenigen, die ernsthaft versuchen die Sache zu diskutieren, werden zwischen diesen beiden Positionen einfach zermahlen.
Es erinnert mich ein bisschen an den Umstand, das Wort „Neger“ aus Kinderbüchern, wie „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ streichen wollen. Auch da glaubt man Rassismus an Kriterien zu erkennen, die nicht dazu taugen, was eine wirkliche Diskussion über Rassismus zwischen unterschiedlichen Positionen nahezu unmöglich macht.
Der Kern des Problems ist (in beiden Fällen), dass die fehlende „erlaubte Differenzierung“ der Ausprägung eines Stereotyps eine „scharfe Begriffsdefinition“, in der sich alle einig sind, unmöglich macht. Warum eine Differenzierung nicht erlaubt ist, hat dabei möglicherweise die unterschiedlichsten Gründe.
Im Falle Israel und Antisemitismus sehe ich persönlich zwei Punkte, die die schwere des Problems deutlich machen, wobei der zweite lediglich eine Verdeutlichung des ersten Punktes darstellt.
1) Das Wort „Israelkritik“. Dieses Wort gibt es im Deutschen nur in Zusammenhang mit einem einzigen Land: Israel. Kein Mensch hat je etwas von Chinakritik, Türkeikritik, Frankreichkritik, Irankritik oder ähnlichem gehört. Man mag diese Singularität des „Kunstwortes Israelkritik“ für eine Lappalie halten, einen Zufall. Ich glaube aber es ist mehr als das. Ich glaube das Wort „Israelkritik“ ist als eine Art Katalysator entstanden, damit sich real existierender Antisemitismus in eine gesellschaftlich akzeptierte Form der Wortmeldung umwandeln kann. Was anders sollte der Grund für dieses Kunstwort sonst sein, dass in keinem anderen Zusammenhang entstanden ist? Denn zu kritisieren gibt es in der Welt wahrlich genug. Ein weiterer in meinen Augen äußerst wichtiger Aspekt dabei ist, dass man von Israelkritik im Sinne einer Kritk an Israel spricht. Man spricht eben oftmals nicht über eine Kritik an der "Politik Israels" - die eigentlich gemeint sein sollte (so wie der Begriff im zitierten Beitrag auch verwandt wurde). Man mag dies für Wortglauberei halten. Das ist es aber nicht. Dass es sich um eine Wortwahl handelt, die die Kritik an einem Land und seinen Menschen und nicht diejenige an seiner Politik und seiner Regierung in den Mittelpunkt rückt ist kein Zufall. Es muß so sein, sonst würde der Katalysator nicht funktionieren. Auch das ist im übrigen ein Beispiel für die von mir weiter oben bereits angesprochene "implizite und unbemerkte Wertung". Man sagt, "Man muß Israel kritisieren dürfen." und merkt garnicht mehr was man da sagt. Es muß heißten, "Man muß die israelische Politik kritisieren dürfen." Wer ein Land selbst kritisiert, hat schon ein Teil der Wegstrecke zur Bestreitung seines Existenzrechtes zurückgelegt. Meine Schlußfolgerung dabei ist, dass diejenigen die wirklichen Antisemitismus erkennen, der leider nun einmal derzeit weit verbreitet ist und teilweise sehr leichtfertig verharmlost wird, in ihrem Schrecken darüber oft die Fähigkeit der Differenzierung verlieren.
2) Die Tatsache, dass der Nahost Konflikt solche Aufmerksamkeit erfährt. Seien es der brutale syrische Bürgerkrieg, Terror in Afrika, chinesische Menschenrechtsverletzungen oder was auch immer, es gibt „viel mehr und größere Ungerechtigkeit“ als im Nahostkonflikt auf der Welt. Trotzdem herrscht der Nahostkonflikt unangefochten als Auslöser „gerechter Empörung“ in unserer Öffentlichkeit. Es mag dafür viele Gründe geben. Teilweise ganz sicher auch inhaltlich, sachlich absolut nachvollziehbare. Ich will und kann sie jetzt hier nicht alle beleuchten. Einen Punkt möchte ich aber herausstellen: Ähnlich wie das Kunstwort „Israelkritk“ dient in meinen Augen diese „gerechte Empörung“ ebenfalls als Katalysator, um Antisemitismus in eine gesellschaftlich akzeptierte Wortmeldung umzuwandeln.
In dieser Melange aus Emotion, Antisemitismus und einem unsäglichen Konflikt, in dem keine Partei jemals wird die Unschuld bewahren können, ist es wohl wirklich nicht möglich Kritik an israelischer Politik zu üben, ohne dass man sich dem Vorwurf des Antisemitismus ausgesetzt sehen wird. Ich halte das nicht für gut. Ebenfalls nicht für gut halte ich, wie wenig Empathie man für die Menschen in Israel hierzulande aufzubringen scheint. Meine Tochter hat mich heute Nacht zweimal geweckt. Ich wachte heute Morgen gerädert mit Kopfschmerzen auf. Ich mußte daran denken, wie ich mich wohl gefühlt hätte wenn ich durch Raketenalarm geweckt worden wäre anstatt von meiner Tochter und anstelle ans Bett meiner Tochter zu gehen in einen Luftschutzbunker gerannt wäre.
Für mich persönlich ist diese fehlende Empathie in der öffentlichen Kommentierung der Ereignisse, wie auch in der überwiegend wertenden Berichterstattung der Ursprung dafür, dass keiner mehr sachlich diskutieren mag. Zumindest mir geht das so.
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #78 Ich glaube derzeit wirklich, dass es nicht möglich ist in unserem Umfeld israelische Politik zu kritisieren, ohne als Antisemit zu gelten. Wichtig ist dabei die Frage, warum das so ist: Nach meiner Meinung nach ist es deswegen so, weil in letzter Zeit sehr viel Antisemitismus mit der Begründung es sei doch nur „Israelkritik“, gerechtfertigt wurde.
Lieber nachdenken_schmerzt_nicht,
natürlich ist es möglich, die israelische Politik zu kritisieren. Nur: Genau das tun die meisten nicht, wir Sie so schön in Ihrem Beitrag herausgearbeitet haben. Ein ganzes Land wird unter Generalverdacht gestellt, an einem kleinen, bescheidenen Land wird sich rauf und runter abgearbeitet. Und natürlich merkt man die Intention der vielen "Experten" und hauptamtlichen "Israelkritiker". Wo immer jemand auftaucht, der mit Gründen (ob gut oder nicht gut sei mal dahingestellt, das ist ja auch subjektiv) die israelische Politik, also das konkrete Handeln, auf den Prüfstand stellt, gehts ja doch meist sachlich zu. Bei der anderen Klientel, den "Hauptamtlichen", geht es nicht um Gründe. Es geht um die Wiederholung des Immergleichen, egal was geschieht. Hamas feuert Raketen? Israel hat das Land besetzt! Hamas baut Tunnel? Israel hat das Land besetzt! Hamas spottet der Grundrechte? Kein Wunder, Israel hat das Land ja besetzt. ISIS führt Beschneidung für Frauen zwischen 11 und 40+ im ISIS-Gebiet ein? Ja schlimm, aber kuck mal, was in Palästina passiert, ISRAEL HAT DAS LAND BESETZT. Am ewig gleichen Mantra kann man sie erkennen. Schließlich ist ja Israel dran schuld, dass alle anderen keine Ruhe geben. Schon klar, der Jude ist am Antisemitismus schuld, gäbs keine Juden, gäbe es auch keinen Antisemitismus. Dass in diesem Zusammenhang so sämtliche anstisemitischen Klischees auftauchen (Kindermord! Sinistres "Wem nützt es"! Waffenlobby! Bereicherung!), geschenkt und trotzdem immer wieder ein Fall für das Speibsackel.
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #78Ich glaube derzeit wirklich, dass es nicht möglich ist in unserem Umfeld israelische Politik zu kritisieren, ohne als Antisemit zu gelten. Wichtig ist dabei die Frage, warum das so ist: Nach meiner Meinung nach ist es deswegen so, weil in letzter Zeit sehr viel Antisemitismus mit der Begründung es sei doch nur „Israelkritik“, gerechtfertigt wurde.
Sagen wir es doch mal deutlicher: Was früher sich Antisemit nannte nennt sich heute Antizionist und wer heutzutage Israelkritik betreibt war früher (nach heutigem Sprachgebrauch) eben ein Judenkritiker.
Wenn ich - als Beispiel - die Wirtschaftspolitik der der heutigen französischen Regierung kritisiere (und da gibt es eine Menge) mache ich mir keine Gedanken um die Verbrechen von 1789 oder die Entstehung der 5. Republik. Die allermeisten Israelkritiker aber beziehen sich gerade auf die Verweigerung des Rechts von Juden da zu leben wo diese seit vorgeschichtlicher Zeit fast ununterbrochen (eben nur von 1948-1967 nicht) gelebt haben und diffamieren diese Forderung nach Judenreinheit mit dem Begriff Siedlungen - wobei diese sog. Siedlungen zu 90% in und um Jerusalem liegen. Letztlich kann man den allergrößten Teil der Israelkritik auf diese Forderung zu bestimmen wo Juden leben sollen und wo nicht zurückführen.
Es ist ja nur zu bezeichnend, daß in der öffentlichen Diskussion allen - auch den offensichtlichsten - Lügen der Israelkritiker von der Hamas uneingeschränkt geglaubt wird.
__________________________________________ Wegen der aktuellen Krise werde ich fortan Krimsekt, russischen Kaviar, russische Puppen, russische Eier und Boeuf Stroganoff boykottieren
Es wird gern mit "Anti/(beliebig einsetzbarer Begriff)" reagiert, um sich Diskussionen zu ersparen oder Fakten zu ignorieren.
Was "antisemitisch" anbelangt: Wird das nicht falsch gebraucht? Kenne mich zu wenig aus, aber sind die dortigen Araber nicht auch mehrheitlich "Semiten"? Die koennen dann doch gar nicht "antisemitisch" sein, oder? Wer jetzt bei uns die israelische Politik kritisiert, der meint doch nur die und keineswegs "alle" dort. Ebenso kann ein Israeli daher auch nicht "Antisemit" sein.
Bin ich jetzt "rechts" oder sonst was, wenn mir diese sprachliche Unschaerfe auffaellt? Muesste es nicht "antiisraelisch" bzw. "antijuedisch" heissen? Hier lese ich eine recht gute Diskussion, vermisse aber eine "Begriffserklaerung". Mir ist schon klar, das "Antisemitismus=Judenfeindlichkeit" ist bzw. so gebraucht wird. Das muss nicht bedeuten, dass der Begriff auch "richtig" benutzt wird. Wird der Begriff deshalb benutzt, weils intellektueller klingt als "Judenfeindlichkeit", oder weil es bequemer ist, als einen Unterschied zu machen gegenueber israelkritischen Stimmen? Nicht jeder Jude ist Israeli (ist jeder Israeli Jude?).
Zitat von crastro im Beitrag #82Was "antisemitisch" anbelangt: Wird das nicht falsch gebraucht? Kenne mich zu wenig aus, aber sind die dortigen Araber nicht auch mehrheitlich "Semiten"? Die koennen dann doch gar nicht "antisemitisch" sein, oder? Wer jetzt bei uns die israelische Politik kritisiert, der meint doch nur die und keineswegs "alle" dort. Ebenso kann ein Israeli daher auch nicht "Antisemit" sein.
Ezra Pound, der sich in Sachen Giftzwergigkeit von keinem die Butter vom Brot nehmen ließ, hat des öftern geunkt, daß jemand namens "Ezra" ja kein Antisemit sein könnte.
Historisch gesehen, wird umgekehrt ein Schuh daraus: http://de.wikipedia.org/wiki/Antisemitis..._AntisemitismusDer Begriff „Antisemitismus“ ist ein Antonym zu „Semitismus“. „Semit“ bedeutet „Nachfahre des Sem“, des ersten der drei Söhne Noahs neben Ham und Jafet in der Bibel (Gen 9,18 EU). Auf diese Ahnherren führt die „Völkertafel“ in Gen 10 EU alle aufgezählten Völker der Erde zurück. Sie teilt sie nur nach väterlicher Stammeslinie, Generationenfolge und Siedlungsgebieten ein, nicht nach sprachlichen oder sonstigen Merkmalen. Da Gen 11,9 EU eine ursprünglich einheitliche Weltsprache andeutet, lag es aber nahe, den Stammeslinien verwandte Sprachen zuzuschreiben und auf gemeinsame ethnische Abstammung zu folgern. Die biblische Exegese des Mittelalters ordnete die Semiten Asien, die Jafetiten Europa und Hamiten Afrika zu.
Im 18. Jahrhundert wichen manche Historiker und Orientalisten davon ab und bezogen die Stammlinien-Namen auf kontinentübergreifende Sprachfamilien. Im Gefolge von August Ludwig von Schlözer, der Hebräer, Araber und afrikanische Abessinier 1771 als „Semiten“ bezeichnete, ordnet die Sprachwissenschaft Hebräisch, Arabisch, Aramäisch und das in Äthiopien gesprochene Amharisch als semitische Sprachen ein. 1816 stellte Franz Bopp diesen die indogermanischen Sprachen gegenüber, deren Verwandtschaft er bewies. Um 1860 kam auch das Abstraktum „Semitismus“ für Fremdworte aus der Sprachfamilie der „Semiten“ auf. Diesen wurden auch europäische Juden zugeordnet, die in der Diaspora längst nicht mehr nur Hebräisch sprachen.
Der vehemente Antisemitismus - als koordinierte Bewegung, nicht als einzelne Pogrome - setzt im westlichen Europa im Hochmittelalter ein; das geht in Wellen hoch (obwohl immer ein deutliches Grundrauschen präsent ist). Die Islamfeindschaft setzt in dieser Art der Ausprägung eigentlich erst nach dem Ende des Byzantinischen Reiches ein; mit dem Verlust Südosteuropas, als "die Türken", "die Muselmanen" in Europa zur direkten Bedrohung werden. Während der Kreuzzüge und der Reconquista auf der iberischen Halbinsel fehlt diese vergiftete, reflexhafte Dämonisierung & Stigmatisierung, die ja das Wesen einer solchen Grundhaltung ausmacht. (Nb. gibt es im Islam über Jahrhunderte hinweg genau diese Haltung zum Christentum; eindrucksvoll z.B. bei Evliya Çelebi, wo sich in den 20 Bänden des Seyahatname Tausende Erwähnungen von Christen, ihren Ländern, Städten finden, jede einzelne mit dem stereotypen Zusatz "die verfluchten", "die Gott vernichten möge" pp.). Das wird aber nie gekoppelt: die Juden sind ein einheimisches Phänomen; der Orient ist weit weg (so sind auch die orientalischen Juden nie im Visier); sie werden also auch nicht "als Vorhut/fünfte Kolonne" des Orients, als direkte Bedrohung der eigenen Lebensweise ausgemacht, wie das beim Islam der Fall ist. Die Vorwände der antisemitischen Ausbrüche sind: ihre Abgeschottetheit; die Tatsache, daß sie sich der "wahren Religion" beharrlich verweigern (doppelt schlimm, weil sie ihnen doch offenbart worden ist) & der Geldhandel (der Kindermordvorwurf & die Brunnenvergiftungen & Hostienschändungen spielen immer nur als auslösende Gerüchte bei den Pogromen eine Rolle). Der Topos des organisierten Weltverschwörung, der dann in den "Protokollen der Weisen von Zion" gipfelt, kommt erst im Lauf des 19. Jahrhunderts hinzu.
Zitat von crastro im Beitrag #82Was "antisemitisch" anbelangt: Wird das nicht falsch gebraucht? Kenne mich zu wenig aus, aber sind die dortigen Araber nicht auch mehrheitlich "Semiten"? Die koennen dann doch gar nicht "antisemitisch" sein, oder? Wer jetzt bei uns die israelische Politik kritisiert, der meint doch nur die und keineswegs "alle" dort. Ebenso kann ein Israeli daher auch nicht "Antisemit" sein.
Kann, kann nicht... es gibt schließlich auch antideutsche Deutsche. Das alles schließt sich nicht aus und gerade die jüdische From des Selbsthasses wird ja mitunter schon als sprichwörtlich angesehen.
Zitat von crastro im Beitrag #82Muesste es nicht "antiisraelisch" bzw. "antijuedisch" heissen? Hier lese ich eine recht gute Diskussion, vermisse aber eine "Begriffserklaerung". Mir ist schon klar, das "Antisemitismus=Judenfeindlichkeit" ist bzw. so gebraucht wird. Das muss nicht bedeuten, dass der Begriff auch "richtig" benutzt wird. Wird der Begriff deshalb benutzt, weils intellektueller klingt als "Judenfeindlichkeit", oder weil es bequemer ist, als einen Unterschied zu machen gegenueber israelkritischen Stimmen?
Ursprünglich wohl ersteres. Sie liegen schon grundsätzlich richtig. Da den meisten Forumsteilnehmern bekannt ist, dass es sich um eine sprachliche Fehlbildung handelt, wird dies einfach als gegeben hingenommen, um sich nicht noch um Begriffe streiten zu müssen. Der Begriff 'Antisemitismus' geht auf Wilhelm Marr zurück, der Ende des 19. Jhds eine "antisemitische Bewegung" in Vereinsform gründete. Für diesen Zweck erschien ihm Judenhasser oder Judenfeind als Selbstbeschreibung wohl schlicht zu profan. Wie die Geschichte so spielt, hat sich der Begriff aber etabliert. Nichts desto trotz ist es natürlich jedem vorbehalten, statt von Antisemitismus von Judenfeindschaft zu sprechen. Möglicherweise hat sich der Antisemitismusbegriff auch deswegen verfestigt, da er heute eine gewisse Besonderheit herausstellt, die den Antisemitismus kennzeichnet; eine eigene Geschichte, spezifische Topoi und wiederkehrende Motive und Vorwürfe inklusive der Vernichtungsphantasien, die leider nicht bloß Phantasien geblieben sind.
Zitat von crastro im Beitrag #82 Was "antisemitisch" anbelangt: Wird das nicht falsch gebraucht? Kenne mich zu wenig aus, aber sind die dortigen Araber nicht auch mehrheitlich "Semiten"? Die koennen dann doch gar nicht "antisemitisch" sein, oder? Wer jetzt bei uns die israelische Politik kritisiert, der meint doch nur die und keineswegs "alle" dort. Ebenso kann ein Israeli daher auch nicht "Antisemit" sein.
Zum einen kann ein Jude (denn darum geht es ja) tatsächlich ein Antisemit sein, lieber crastro. Selbsthass ist auch unter deutschen Linken ("Deutschland verrecke!") nicht unbedingt so ungewöhnlich. Kognitive Dissonanz ist nicht unbedingt ungewöhnlich und für den menschlichen Geist auch nicht wirklich ein Problem. Zum anderen mag der Begriff nicht mehr dem Wortstamm entsprechen, aber auch das ist nicht unbedingt selten: So kann ein Schraubenzieher auch keine Schrauben ziehen, der technisch korrekte Ausdruck lautet Schraubendreher. Und dennoch werde ich in einem Laden eher einen Schraubenzieher kaufen können als einen Schraubendreher. Ein Zollstock hat auch kein Zoll mehr, richtig wäre es der Gliedermaßstab (viel Spass im Baumarkt). Ein Arbeitgeber ist jemand, der Arbeit kauft und nicht gibt, ein Arbeitnehmer dagegen verkauft die Arbeit. Die ganze Sprache ist voll davon. Entscheidend ist am Ende nur, was man darunter breitmehrheitlich versteht, so wie Sprache eben auch eine Konvention ist und keine Ansammlung von Definitionen. Die von Ihnen angedachte Differenzierung, und das werfe ich Ihnen, lieber crastro, explizit (!) nicht vor, wird aber oft verwendet von Leuten, die versuchen den arabischen Antisemitismus zu verneinen. Und das ist grundfalsch. Natürlich könnte man richtigerweise von Judenhass sprechen, oder von Judenfeindlichkeit. Nur sind diese Begriffe ungewohnt. Und Judenfeindlichkeit klingt in der deutschen Gesellschaft eben weniger schlimm als Antisemitismus. Genauso wie Menschenverachtung auch harmloser klingt als Faschismus. Obschon es im Kern das selbe ist.
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #782) Die Tatsache, dass der Nahost Konflikt solche Aufmerksamkeit erfährt. Seien es der brutale syrische Bürgerkrieg, Terror in Afrika, chinesische Menschenrechtsverletzungen oder was auch immer,
Es gibt leider kein gut funktionierendes Refugium vor dem Überschwappen der Bösartigkeiten. Ich lebe relativ zurückgezogen, aufgrund meiner schweren Erkrankung. Man sollte meinen, vor alltäglichen Anwürfen wär' ich gefeit. Dienstag war ein Elektriker bei mir. Beim Überprüfen meines Kabelsalats im meinem Schreibzimmer wurde er auf ein Bild auf meinem PC-Bildschirm aufmerksam, das einen ukrainischen Truppentransport zeigte. "Ukraine?" fragte er. "Ja", antwortete ich. Er seinerseits wurde nachdenklich... Dann, kopfschüttelnd, "Schlimm, was da passiert..." Kurze Pause. Dann: "Auch was Israel da macht..." So geht es zu, auch in den eigenen vier Wänden...
Zu der Frage des Antisemitismus, vulgo Judenhasses.
Die Auswahl des Juden als feindlichen Objektes fängt -- obwohl nur ansatzweise -- in der vorchristlichen Antike an, setzt sich vertiefend mit der Entstehung des Christentums, später der Festigung der Kircheninstitutionen, dann im eigentlichen Mittelalter fort, bis zu den damaligen bekannten Paroxismen. Die "Neue Zeit" hat sie mit neuen Akzenten übernommen. Den üblen Rest kennt jeder halbwegs Gebildeter.
Wir haben also mit einer Absonderung/Anfeindung zu tun, die tiefst in die kulturelle Überlieferung der westlichen Zivilisation eingeschrieben ist. Das heißt: Nixnull da mit Oberflächenphänomen. Geringe Auslöser können relativ leicht -- vor allem unter bestimmten Umständen -- ein wirkmächtiges Auflodern jenes alten/neuen Hasses bewirken. Je in verschiedenen Ländern und verschiedenen Subkulturen verschieden mächtig, tendenziell jedoch ubiquitär. Das heißt aber weiterhin: Selbstverständlich sind die Juden selbst, zumindest bis zu einem gewissen Grade, prinzipiell davon auch affiziert. Phänomene entsprechender Ambivalenz sind unter Fachleuten (ob Soziologen, Psychoanalytikern oder einigen Schriftstellern oder sonstigen "fachbeschlagener" Fauna) durchaus und seit langem bekannt, teilweise auch besprochen. Besonders das Phänomen bestimmter Veräußerungen eines weitestgehend kulturell induzierten (vor allem, aber nicht nur, öffentlichen) Masochismus sind eben auch ziemlich bekannt und von mehreren schon kommentiert. Bei der Frage der sogenannten "Israel-Kritik" ist eine solche soziale Masochismuserscheinung auch mal besonders virulent. Es gibt einige jüdische oder zusätzlich noch israelische Vorzeige-Masos, die sich beständig und mit erhobenem Zeigefinger darin suhlen, für die Weltöffentlichkeit den ewigen "Israel-Kritiker" bei jeder Wetterlage und jeder Gelegenheit ("Jews on demand") abzugeben. Einige Namen sind sattsam bekannt. (Ab einem gewissen Stadium der überhöhenden Weihe als "israelkritische Kassandra" handelt es sich natürlich auch um ein stark narzißtisches Phänomen.)
Was Deutsche und "Deutschland" angeht, haben wir es -- allerdings nur sehr partiell -- nach meiner Meinung mit einem Komplementärphänomen zu tun. Das heißt, ich stimme nicht mit der Einschätzung von Nola überein, wie ich sie aus seinem Einwurf vom 27.07, 14:26, herauslese: Ich glaube schon, daß heutige Deutsche in einem gewissen nicht bewußten Maße an den ungeklärten Ambivalenzen um ihre rezente Vergangenheit immer noch etwas laborieren. Wie denn?! Die politisch korrekten Bürger des besessenen "Nie Wieder"?! Die Vorzeige-Pazifistoiden?! Die bierernsten Mahner, Schüttler & Unker?! Bis zu einem gewissen Grade ja! Gerade das urkomisch Hartnäckige und Überhöhte an der weit verbreiteten Hypermoralinisierung im Auftreten läßt mich einige ambivalente Restverwicklungen im Umgang mit dem (doch letztlich irgendwie unangenehmerweise) nicht gänzlich dahingeschiedenen Ex-Opfern vermuten. Broder ist kein akademischer Fachmann für solche sonderbare Abgründe. Doch gerade seine wunderbaren Bonmots über die wohlgelittenen wunderbar integrierten Toten Juden und das kryptische Unbehagen an dem immer noch sehr lebendigen störrischen "Judenrest" loten, glaub' ich, diese Untiefe aus.
Lieber Llarian, Sie sprechen genau den Punkt an, der mir bei dieser sprachlichen Regelung so unwirklich vorkommt : Ein "Araber", der doch ebenfalls "Semit" ist, wird als "antisemitisch" bezeichnet, weil er die Juden hasst! Ist das nicht, mal das makabre an dieser Haltung widerwillig ausgeklammert, fast schon eine Art "Witz", wenn auch ein recht ekliger?
Sollten wir im Forum nicht mit etwas mehr sprachlicher Genauigkeit vorgehen und das so benennen, was es ist, naemlich Judenhass/Israelhass? Da halte ich "Antisemitismus" als Bezeichnung fast fuer beschoenigend! Daher dieser Vorschlag.
Will jetzt die schoene Diskussion wirklich nicht zerreden.
Zitat von crastro im Beitrag #89 Sie sprechen genau den Punkt an, der mir bei dieser sprachlichen Regelung so unwirklich vorkommt : Ein "Araber", der doch ebenfalls "Semit" ist, wird als "antisemitisch" bezeichnet, weil er die Juden hasst! Ist das nicht, mal das makabre an dieser Haltung widerwillig ausgeklammert, fast schon eine Art "Witz", wenn auch ein recht ekliger?
Lieber crastro, Erklären Sie doch mal einem beliebigen Araber, dass der Jude ja doch nicht nur sein Bruder im Geiste, sondern als Nachkomme Noahs auch tatsächlich eine gewisse Verwandtschaft besteht. Stellen Sie aber bitte sicher, dass die Ambulanz schnell kommt . Ich habe derlei Diskussionen schon geführt - das ist kein Picknick. In der Tat ist es egal, wer oder was Semiten sind - heute bezeichnet Antisemitismus nun mal Judenhass. Und ja, auch ein Muslim ist dazu fähig.
Zitat Sollten wir im Forum nicht mit etwas mehr sprachlicher Genauigkeit vorgehen und das so benennen, was es ist, naemlich Judenhass/Israelhass? Da halte ich "Antisemitismus" als Bezeichnung fast fuer beschoenigend! Daher dieser Vorschlag.
D'accord mit dem Vorschlag, es Judenhass zu nennen. Aber, wie gesagt: Antisemitismus ist nun mal äquivalent zu Judenhass, auch wenn die sprachliche Wurzel eine andere ist. Sprache ist nun mal durch Konventionen geprägt. Egal, ob man es nun so oder so nennt: Verabscheuungswürdig bleibt es in jedem Fall - da herrscht hoffentlich Einigkeit
Zitat Was Deutsche und "Deutschland" angeht, haben wir es -- allerdings nur sehr partiell -- nach meiner Meinung mit einem Komplementärphänomen zu tun. Das heißt, ich stimme nicht mit der Einschätzung von Nola überein, wie ich sie aus seinem Einwurf vom 27.07, 14:26, herauslese: Ich glaube schon, daß heutige Deutsche in einem gewissen nicht bewußten Maße an den ungeklärten Ambivalenzen um ihre rezente Vergangenheit immer noch etwas laborieren.
Lieber Abiz, welche Vergangenheitsdeutsche sollen daß denn sein? Die leben doch gar nicht mehr. Ich will mal versuchen, meine Einstellung und vermutlich die, der meisten Bürger so um meinen Jahrgang (1951) herum, etwas zu erklären. Ich bin, was das komplette Thema des Holocaust angeht, relativ "unbeschadet oder unbelastet" bis ins späte Jugendalter geblieben, was durchaus eine Naivität zur Folge haben mag, aber auch eine Unbefangenheit, die mich losgelöst von Wissen die Welt beobachten lies. In der Schule wurde, wenn überhaupt, alles nur am Rande gestreift, es wurde uns nicht nahe gebracht und wir Kinder hatten über den zweiten WK (aber auch diese nur spärlich) hinaus keine Hintergrundinformationen erhalten, das war so um 1959. Meine Eltern wählten FDP, waren aber - wie ich aus heutiger Sicht meine - relativ unpolitisch, aber gegen Gewerkschaften und Kommunismus und Sozialdemokraten.
In den folgenden Jahren sprach niemand explizit über den Holocaust, bis etwa 1968 (ich war 17), dann allerdings mit aller Schonungslosigkeit, die wir Nachkriegskinder gar nicht einordnen konnten. Pö a Pö erfuhr man die volle Wahrheit und in den Zeitungen wurden Vorwürfe gegen diverse Kriegsverbrecher benannt und angeprangert. Und wieder kamen neue Fakten des ganzen Ausmaßes der Judenvernichtung in den Lagern hinzu. Zu der Zeit war ich dann schon Mutter (1969) und habe das größte Augenmerk auf meine Familie gehabt und somit politisch weiterhin ziemlich unbedarft. Soweit knapp und kurz meine "Sozialisation" mit dem Thema Juden.
Die damals lebenden und mit Sicherheit auch z. großen Teil die Beteiligten des Holocaust sprachen weiterhin nicht darüber. Es war eine verschwiegene Gesellschaft, die vermutlich jegliche Erinnerung verbannen wollte und ich habe bis in mein "hohes Alter" wenig über Juden sprechen hören und auch niemanden in meinem Umfeld negativ über Juden sprechen hören, weder Junge noch Alte, auch nicht als mittlerweile die Information immer massiver und dementsprechend der Vorwurf an die Deutschen wurde. Ich habe weder in meiner Schulklasse noch im Berufsleben gewußt, wer Jude ist oder nicht. Das war überhaupt kein Kriterium, es hat uns gar nicht interessiert. Im Leben nicht hätte ich gedacht, was sich heute abspielen kann und darf.
Gehen wir davon aus, das die besagten Generationen zwischen 1920 bis 1930 geboren wurden (frühere leben eh nicht mehr und spätere Jahrgänge habens nicht mehr bewußt erlebt. Diese sind entweder tot oder müßten heute so um die 85 Jahre sein. An wem bitte schön sollen sie - vorausgesetzt ein Judenhass ist vorhanden - die Stafette für die Aufrechterhaltung von Judenhass weitergeben? Nein ich glaube nicht, das aus vergangenen Schuldgefühlen heraus eine Möglichkeit zum kompensieren dergestalt genutzt wird indem den Juden ihre Unfehlbarkeit genommen wird und dafür Kriegsgreuel an den Palistinensern engesetzt werden.
Diese Zweifel und eindeutige Parteinahme gegen die Juden im Gazakonflikt sind von den gleichen Menschen erschaffen worden, die jedem Deutschen rundumdieuhr den Mangel an Moral bescheinigen, weil die als Kapitalisten weit entfernt von der gelben Sonnenblume Strom beziehen und von den gleichen Hetzern, die als Unterstützung gern noch die fanatischen Parolen von Islamisten zur Hilfe nehmen. Es ist die selbsternannte linke Journalistenelite, die gar nicht mehr mit der Produktion von Heiligenscheinen hinterherkommt um sie in Anerkennung der "Überzeugungsarbeit" unter ihresgleichen zu verteilen.
Diese Menschen, die einen simplen Anspruch auf die alleingültige Moral erheben, diese Menschen, denen jedes Mittel recht ist dabei und wenn es die alten Judenvorwürfe bedient, dann ist das eben so. Sarkasmus on: Haben die deutschen Bürger doch selbst schuld. Warum erkennen sie nicht endlich die allgemein-gültig-sein-sollenden dunkelrotgrünkarierten Doktrin einer profilierungsgeilen, steinewerfenden, schotternden Idiotenliga an.(off) Und in der Tat, wir haben selbst schuld, denn unser GG gibt eine Einschreitung gegen diese Spinner her und wenn ein Bundestagsvizepräsident auf den Schienen sitzt, sich abtronsportieren läßt, dann will er damit auch den letzten Schildbürger überzeugen, wo die einzig wahrhaftige Moral zu finden ist.
Wenn ein paar "Neo-Nazi" und, wie man auch jetzt weiß, tatkräftig von Schlapphüten unterstützt werden "um auf dem laufenden zu sein", kann das für mich nicht zum gültigen Beweis eines wiedererstarkten Ressentiment der Deutschen gegen Juden führen. Nochmal, es sind für mich die gewissenlosen Medien und auch ihre Schreiber und vielleicht ein paar intellektuelle Spinner die hier das Großkapital bei den Juden verorten und den kommunistischen Irrgarten ihres Hirns nie verlassen konnten. Sie alle bringen ein ganzes Volk in Mißkredit weil sie genau um dessen Achillesferse wissen. Für mich ist das die wirkliche Schande, die wir nicht abgewendet haben.
♥lich Nola
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Status quo, nicht wahr, ist der lateinische Ausdruck für den Schlamassel, in dem wir stecken. Zettel im August 2008
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #78Ich habe mir diese sehr einfach erscheinende Frage länger durch den Kopf gehen lassen und eine Antwort scheint mir sehr schwierig zu sein.
Das merkt man, lieber nds, und wie fast immer deutet auch bei deinem Kommentar eine solch zurückhaltende Einleitung an, dass danach etwas sehr Lesenswertes folgt. Ich hätte mir die Antwort ja eher von Martina gewünscht, auf deren Bemerkung hin ich meinen Einwurf gemünzt hatte, aber wenn der der Anlass für deinen Kommentar war, dann ist es auch so gut.
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #78Ich glaube derzeit wirklich, dass es nicht möglich ist in unserem Umfeld israelische Politik zu kritisieren, ohne als Antisemit zu gelten. Wichtig ist dabei die Frage, warum das so ist: Nach meiner Meinung nach ist es deswegen so, weil in letzter Zeit sehr viel Antisemitismus mit der Begründung es sei doch nur „Israelkritik“, gerechtfertigt wurde.
Zunächst mal müssen wir ja ein paar Ebenen trennen: Ob man allgemein als Antisemit gilt, wenn man irgendetwas am Vorgehen Israels (ja nicht nur der Politik, sondern z.B. auch des Militärs) kritisiert, ob dies nur in bestimmten Kreisen zutrifft und ob wir hier in diesem Forum diese Art "Argumentation" übernehmen wollen. Mir scheint, du zielst auf ersteres ab. Und dem würde ich gleich widersprechen, denn noch ist es so, dass bei uns "Israelkritik" durchaus akzeptiert ist, während man dies von Antisemitismus zum Glück nicht sagen kann. Eben deswegen kommen ja diese Satzkonstruktionen, wie Martina sie angeführt hat, zustande. In einer bestimmten Social-Media-Filterblase hingegen sind die beiden Begriffe tatsächlich identisch. Wer Broder in der Blogroll hat, bei dem ist die Chance groß, dass er eben das meint. Und zu guter Letzt hege ich die Hoffnung, dass wir hier in diesem Forum Argumente als solche behandeln, ohne gleich - wie unter insbesondere linken Radikalinskis üblich - diese zum Anlass einer Generalbewertung desjenigen zu nutzen, der sie anführt.
Aber zurück zur "Israelkritik": Ich bin mir nicht sicher, ob es angemessen ist, den Begriff gegen diejenigen zu verwenden, die sich auf ihn berufen. Immerhin ist bei der Kritik des Vorgehens anderer Staaten ein dem Antisemitismus vergleichbarer Vorwurf nicht griffbereit zur Hand, so dass sich auch niemand Gedanken über eine besondere Bezeichnung machen muss: Im Prinzip ist es normal, dass ständig an irgendwas Kritik geübt Und ich bin auch der Meinung, dass eine kritische Einstellung zum Handeln von Israels Politik und Militär durchaus legitim ist. Ich glaube, da sind wir uns - hier zumindest - auch weitgehend einig. Deswegen meine Frage an Martina.
Auf der anderen Seite können wir tatsächlich beobachten, was du zu Recht anführst: Urteile werden hier meistens sehr einseitig gefällt. Hier einseitige Parteinahme für die Palästinenser, dort unkritisches Bejubeln auch noch der extremsten Auswüchse israelischer Politik und Militärmacht. Und beide Seiten können es nicht lassen, die Shoa für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Und in beiden Fällen werden Zwischenpositionen nicht zugelassen: Wer nicht zu 100% auf meiner Seite steht, ist gegen mich. Aber so sehr die betreffenden Gruppen sich auch bemühen, die Sache so darzustellen, so wenig muss man sich ihnen unterwerfen. Lassen wir doch wenigstens dieses Forum auch in diesem Fall den Ort des Abwägens und Diskutierens sein, als der er sich bei anderen Themen darstellt. Auch wenn es eindeutige Mehrheitsverhältnisse geben sollte.
Dass das Pendel der öffentlichen Meinung sehr oft und sehr schnell gegen Israel ausschlägt, muss dabei - entgegen des Mantras von Broder & Co. - keineswegs nur an Antisemitismus liegen. Gut, was als Verurteilung Israels von Rechtsaußen kommt, kann man sicher ohne großes Nachdenken darunte subsumieren. Und auch bei manch Linken geht die Kapitalismuskritik schon mal über den "jüdischen Wucherer". Aber im Prinzip haben wir hier doch ein Muster vorliegen, das eben nicht einzigartig ist: Die Welt wird in "westlich" und "nichtwestlich" geschieden. "Westlich" ist schlecht, "nichtwestlich" gut. Daher demonstrieren linke "Friedensfreunde" nur dann gegen Kriege, wenn ein westliches Land daran beteiligt ist, egal, welch grausame Gemetzel noch auf der Welt stattfinden. So ein bisschen christliche Selbstkasteiung mag da auch eine Rolle spielen. Weiterhin ist ein "Fehler" der Israelis, dass sie sich wehren können. Die Rollen von David und Goliath sind in diesem Konflikt also vergeben, und wer auf dieser Basis einmal sein emotionales Urteil gefällt hat, den wird auch nicht mehr interessieren, dass der David ein Psychopath ist und der Goliath einfach nur in Ruhe gelassen werden möchte.
Mit einem Wort: Alle Deppen-Reflexe dieser Welt treffen sich in diesem Konflikt. Aber wieder: Wir hier müssen uns dem ja nicht unterwerfen. Was ich mir aber wünschen würde, wäre, dass jeder, der sich an Diskussionen zu diesem Thema beteiligt, in der Lage wäre, Empathie für alle Opfer zu empfinden und nicht nur für die der von ihm präferierten Seite. So deutlich das jeweilige Urteil auch ausfallen möge. Und dass niemandem Motive unterstellt werden, zu denen er sich nicht selbst bekannt hat.
Wäre das was?
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat) Je länger das Dritte Reich tot ist, um so stärker wird der Widerstand gegen Hitler und die Seinen. (Johannes Gross)
Zitat Was ich mir aber wünschen würde, wäre, dass jeder, der sich an Diskussionen zu diesem Thema beteiligt, in der Lage wäre, Empathie für alle Opfer zu empfinden und nicht nur für die der von ihm präferierten Seite. So deutlich das jeweilige Urteil auch ausfallen möge. Und dass niemandem Motive unterstellt werden, zu denen er sich nicht selbst bekannt hat.
Wäre das was?Zitat:
Dazu hat m.E. nsn schon genügend gesagt und es lohnt sich, seine Gedanken komprimiert in Zettels Raum - brandneu eingestellt - zu studieren.
Hier noch der Hinweis auf das neueste Interview mit Amos Oz. - Es führt über das formale Distinguieren hinaus, gibt vor allem auch Broder und allen, die noch aus der Betroffenheit heraus (!) reden und mahnen können, den ihnen zustehenden "Ort" und Oz ist so frei, um weiterführende Gedanken zu äußern, sogar zu erträumen. - Außerordentlich wichtig finde ich, was Oz an verschiedenen Stellen zum real notwendigen Umgang mit der Gewalt aussagt. Von jüdisch-christlichen theologischen Standpunkt aus ist es dringend notwendig, zum "Hinhalten der Backe" distinguierend zu erwähnen, dass diese jesuanische Aussage aus der Bergpredigt eben nicht allgemein politisch gemeint ist, sondern als erneute Einschärfung der Lebensregel, die schon im AT unter den Angehörigen des Gottesvolkes als sog "Feindesliebe" galt - von den Propheten und eben auch Jesus über das bloße Gebot hinaus eingeschärft als freiwillige Verpflichtung, die allein den Weltzeit-Frieden - "Shalom" aufscheinen lassen kann. Wenn man so will als einzigartiger "Gottesbeweis". - Insofern hat Amos Oz ganz recht, wenn er auf der allgemeinen politischen Ebene seine Meinung so gerade heraus äußert. - Das Dilemma ist nur, dass auch für diesen bedeutenden jüdischen Dichter die Unterscheidungsebenen nicht deutlich aufgezeigt werden konnten. Ein Versäumnis. - Einem Teil der Nur-Gutmenschen (und das sind im Regelfalle in erster Linie leider ein hoher Prozentsatz der Christen) könnten dadurch vielleicht die Augen geöffnet werden. - Übrigens habe ich erst heute mit Freuden entdeckt, dass ein Jude mit seinem distinguierten Malefiznamen mit hohem Sachverstand und Humor unter uns und für uns schreibt - bereits 6 lesenswerte Beiträge geschrieben hat.
"Heutige Deutsche" sind in meinem Text "Deutsche von heute". Ich hoffe, das überrascht völlig fast jeden Leser, der mit Sicherheit in meinen "heutigen Deutschen" bisher eher Westgoten und Langobarden vermutet hat...
Ihre Argumentation und Ihre Erzählungen gehen an meinen Überlegungen vorbei: Wir besprechen dabei voneinander Verschiedenes. Sie besprechen (in diesem Punkt) Rationales und Bewußtes, dazu noch lebensgeschichtlich Erfahrenes. Ich bespreche (in diesem Punkt) mögliche (ob vorhanden oder nicht, darüber kann man brüten) "Memen" aus dem Bereich des Nicht-Rationalen und Nicht-Bewußten und kulturell "unterflurig" Überlieferten. Solche Einflüsse können -- je nach Gesellschaftsstruktur, bzw. kulturellen Wesensmerkmalen -- vielleicht sogar länger als tausend Jahre in je verschiedenen und geschichtlich je nachlassenden Ausgradungen -- nachwirken und prägen. Ein interessantes Einzel-Beispiel, leider lediglich aus dem Gedächtnis, da ich meine Notizen darüber nicht auftreibe: Bei Untersuchungen über latenten (den Einwohnern nicht bewußten) Antisemitismus wurde eine signifikant etwas höhere Virulenz in Landschaften aufgefunden, in denen mittelalterliche Judenpogrome stattgefunden hatten, als in den -- auch sehr -- benachbarten Regionen. Obwohl seitdem eine hohe Mobilität den Bevölkerungs-"Gemisch" "umgerührt" hat. (Die Beobachtungen sind nicht allzu lange her, maximal fünf Jahre, und erstreckten sich bei Städten auf solche mit einer Maximalgröße um die 200.000, ansonsten auf Städtchen und Landkreise.) Fernerhin kann ich sonst halt auf meine allgemeine private und berufliche Lebenserfahrung rekurrieren, und Ihnen nunmal leise persönlich versichern, daß außerhalb von Rationalität, Bewußtsein und geschichtlich Eigen-Erlebtem beim "Sapiens-Primaten" eine ganze Menge noch dazu wirksam (bis hochgradig wirksam ) zu sein scheint (unbeschadet der noch bei diesem Thema in der Wahrnehmung und persönlichen Verarbeitung hinzukommenden offenen Erzählungen/Bildern/Berichten/Überlieferungen/Traktaten). Sie müssen es mir nicht abnehmen. Ich will auch niemanden überzeugen. Aber mit den Ambivalenzen, die ich erwähne, hatte/hab' ich nicht allzu selten zu tun, hatte beruflich meine Brötchen verdient, hatten/haben Schreiberlinge aller Couleurs & Sprachen von jeher ein dankbares "Ausbeute"-Material vorliegen.
Zitat von Rayson im Beitrag #92Was ich mir aber wünschen würde, wäre, dass jeder, der sich an Diskussionen zu diesem Thema beteiligt, in der Lage wäre, Empathie für alle Opfer zu empfinden und nicht nur für die der von ihm präferierten Seite. So deutlich das jeweilige Urteil auch ausfallen möge. Und dass niemandem Motive unterstellt werden, zu denen er sich nicht selbst bekannt hat.
Wäre das was?
Lieber Rayson, du beschreibst in der Tat wie eine Diskussion aussehen sollte, wenn man den Nahost Konflikt fair diskutieren möchte und ich kann eigentlich nicht anders als dir Recht zu geben. -- Obwohl ich dir nicht Recht geben möchte, weil ich eigentlich garnicht fair sein will. Diesem Gefühl gilt es auf den Grund zu gehen.
Ich tätige jetzt einmal eine möglicherweise etwas seltsam anmutende Feststellung: Eigentlich möchte ich den Nahostkonflikt nicht diskutieren. Er interessiert mich im Kern nicht, bzw. seine Auswirkungen sind auf mein Leben derzeit so marginal, dass ich mir erlauben möchte keine Meinung dazu zu haben. Vielleicht muß ich mich nun als schlechter Mensch fühlen, dass mich das Leid anderer so wenig in ein Engagement und Interesse treibt, aber es ist wohl so - wenn ich mich selbst nicht belügen will muß ich das zugeben. Laß mich eine andere Frage stellen: Kann ein Mensch überhaupt Leidenschaft entwickeln, wenn er nicht selbst betroffen ist? Ich habe jetzt keine Belege für meine Behauptung, aber ich denken nein. Natürlich kan man Empathie empfinden, leid Teilen, helfen wollen: Aber man braucht einen persönlichen Bezug, sonst findet man nicht die Kraft sich persönlich zu engagieren.
Warum schreibe ich aber hier, warum engagiere ich mich in dieser Diskussion? Es scheint mich ja doch zu interessieren, persönlich zu betreffen. Das tut es auch. Ich fühle mich nämlich durchaus betroffen. Aber nicht durch den Konflikt selbst, sondern durch die Art und Weise wie er bei uns in Deutschland, in Europa, instrumentalisiert wird, bzw. die Art und Weise wie dabei in unserem eigenen Land ein Haß geschürt wird, welcher einmal Kennzeichen für die Barbarei war. Oder präziser gesagt: Wie ich empfinde, dass es geschieht. Andere mögen das anders sehen.
Genauso wie ich es habe, haben wahrscheinlich die meisten hierzulande ebenfalls lediglich ein Sekundärinteresse am Nahostkonflikt. Das wäre zumindest meine These. Was sollte das direkte Intersse auch sein? Wie solche Sekundärinteressen aussehen, darüber kann jeder spekulieren. Einige mögen sehr offentsichtlich sein, andere unerwartet. Aber darum geht es mir gar nicht.
Was ich über den Nahostkonflikt wahrnehme, soweit ich die Sachlage gesichtet habe und meinen Verstand bemühte, diese einzuornen, ist eine terroristische Organisation, die Verbrechen gegen ihre eigene Bevölkerung verübt, um einen verhaßten Feind zu bekämpfen. Sie führt dabei, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, einen rücksichtslosen Krieg gegen dessen Zivilbevölkerung und protegiert selbst eine Gesellschaftsform, welche aus meiner Sicht betrachtet zutiest alliberal, repressiv und menschnverachtend ist. Auf der anderen Seite steht ein, liberaler Rechtsstaat, der um das Leben seiner Bürger zu schützen in den Krieg zieht. Dabei verliert er seine Unschuld. Wie jeder Staat, der in den Krieg zieht, notwendiger Weise seine Unschuld verliert - obwohl er Zivilsten des Gegners in dem ihm bestmöglichen erscheinenden Maß versucht zu verschonen. Jeder seiner Versuche Frieden herbeizuführen, scheiterte bisher daran, dass sein Gegner nur seine Vernichtung akzeptiert, keine Form der Koexistenz.
Im Gegensatz dazu nehme ich das Bild war, dass unsere Medien größtenteils von diesem Konflikt zeichnen: Ein aggressives, schuldiges Israel. Ein Land, welches wütet unter seinen Gegnern. Das grausam ist gegen den Gegner. Kinder mordet, Kriegsverbrechen begeht. Und diese Bild wirkt in unserer Gesellschaft. Nicht einmal unbedingt bei denjenigen, denen ich ohnehin ein antisemitisches Weltbild attestieren würde, sondern bei der "ganz normalen Mitte".
Ich war und bin darüber entsetzt, welche Kommentare ich bisher aus meinem nächsten Umfeld (in dem ich keinen origiären Antisemiten vermute) in diesem Zusammenhang hören mußte. Israel wird im Extremfall als der grausame Kindermörder gesehen, als der Schuldige. Der Schuldbeladene. Dies von Menschen, die nichts anderes tun, als die Nachrichten zu schauen, einem Herrn Deppendorf an den Lippen zu hängen, ein Interview mit Herrn Todenhöfer im Morgenmagazin zu sehen und Qualitätsmedien zu lesen.
Genau an dieser Stelle entsteht meine persönliche Betroffenheit. Aus zweierlei Gründen: Ich empfinde es als grundsätzlich unlauter und ich Empfinde dieses Verhalten als den Aufbauversuch eines Stereotyps gegen die Juden. Warum und weshalb, darüber kann man jetzt sinnieren. Vielleicht ist ein Schuß Antiamerikanismus dabei, ein Schuß Antikapitalismus, so wie es schon immer war und vielleicht auch das Ringen mit der eigenen Geschichte. Aber das ist nicht der zentrale Punkt. Der Zentrale Punkt ist, so wie ich es wahrnehme, dass ein Stereotyp ensteht, fast möchte ich sagen gezüchtet wird. Ein bekannter Stereotyp. Der Antisemitismus. Man sucht Schuldige, die nach außen einen und man findet sie. Das geht so weit, dass man sogar völlig die Empathie mit den Israelis verliert. Und deswegen habe ich das auch beklagt, die fehlende Empathie mit Israel. Man ist in der Lage Menschen, die höchstwahrscheinlich in einen Konflikt getrieben werden, durch ihn viel Leid auferlegt bekommen, jede Empathie zu versagen. Für mich war der Kern der Barbarei, dass genau dies möglich war und deswegen beunruhigt mich, dass es aus meiner Sicht auch nun wieder zu geschehen scheint.
Wenn es Krieg gibt, wenn Menschen getötet werden, kann und muß man immer jede Seite kritisieren. Das man das frei tun darf ist eine der großen Errungenschaften unseres liberalen Rechtsstaates. Man kann und jeder Mensch sollte Empathie mit allen Opfern verspüren. Das ist selbstverständlich. Und wenn man das ausgewogen tut, die Rahmenbedingungen sachlich möglichst korrekt berücksichtigt, dann diskutiert man diesen Konflikt sinnvoll.
Für mich persönlich kann ich aber sagen: Ich möchte das gar nicht. Und ich glaube, dass ich da nicht der einzige bin.
Ich möchte nur thematisieren, dass es wieder möglich scheint in unserem Land einem ganzen Kollektiv an Menschen komplett die Empathie für widerfahrenes Leid zu versagen: Weil man sie dafür in genügendem maß für schuldig hält und vielleicht noch schlimmer, weil man glaubt, Schuld könne das Vorenthalten von Empathie moralisch rechtfertigen. Das ist eine Katastrophe - aus meiner persönlichen Sicht -, weil ich glaube, dass genau so die "Normalität der Barbarei" einmal ihren Anfang nahm.
Ich will nicht fair sein, lieber Rayson. Ich möchte garnicht sachlich diskutieren mit Leuten, die anderen jede Fairness verweigern aus Motiven die - soweit ich sie verstehe - verachte und die aus meiner Sicht auch sachlichen Argumenten garnicht zugänglich sind. Ich kann nur hoffen, dass Sie es nicht schaffen, "die Normalität unseres Landes an sich zu reißen" und das unser Rechtsstaat standhaft bleibt und ihn Politik und Gesellschaft weiterhin tragen werden. Kann man das verstehen?
Letztendlich diskutieren wir ja eigentlich auch alle hier gar nicht den Nahostkonflikt. Wir versuchen uns doch eher (direkt oder indirekt), die Frage zu beantworten, warum er uns alle so bewegt - zumindest wenn wir keinen direkten Bezug zu ihm haben. Oder schließe ich da nur von mir auf andere?
Auf jeden Fall danke für deine Einlassung, die mich wieder mal ein Stück weiter brachte. Und auch danke (an dieser Stelle, weil ich gerade dabei bin) für deinen Beitrag zu Herrn Fest in deinem Blog - welchen ich zunächst mit Widerwillen las, aber dann doch verstand und den ich letztendlich gut und wichtig fand, weil er mir Einsichten klar machte, die ich bisher möglicherweise verweigerte. Sachlichen Argumenten bin ich ja mitunter zugänglich - zumindest wenn es mir um die Sache geht.
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Zitat Zitat abifiz Ihre Argumentation und Ihre Erzählungen gehen an meinen Überlegungen vorbei: Wir besprechen dabei voneinander Verschiedenes. Sie besprechen (in diesem Punkt) Rationales und Bewußtes, dazu noch lebensgeschichtlich Erfahrenes. Ich bespreche (in diesem Punkt) mögliche (ob vorhanden oder nicht, darüber kann man brüten) "Memen" aus dem Bereich des Nicht-Rationalen und Nicht-Bewußten und kulturell "unterflurig" Überlieferten. Solche Einflüsse können -- je nach Gesellschaftsstruktur, bzw. kultureller Wesensmerkmalen -- vielleicht sogar länger als tausend Jahre in je verschiedenen und geschichtlich je nachlassenden Ausgradungen -- nachwirken und prägen.
Lieber Abifiz, so gesehen haben Sie natürlich recht. Zumal mir in dem von Ihnen geschilderten Bereich die Qualifikation fehlt, und damit wahrscheinlich auch die Einsicht, einen Ursprung hier zu verorten. Aber ich lerne gern immer wieder dazu und was für mich nicht erklärlich ist, möchte ich besser verstehen bzw. so gut es geht nachvollziehen. Dazu trägt ihre ausführliche Erklärung bei und dafür bedanke ich mich.
Wenn dieser Hass, und jetzt schreibe ich absichtlich, gerade in unserem Land über Tage so zum Ausbruch kommt, dann stimmt in diesem Land etwas ganz erheblich nicht und ich sehe zunächst die vermeintliche offensichtliche Erklärung und nicht die Nicht-Rationalen und Nicht-Bewußten Ursachen. Vielleicht haben Sie recht und wenn das so ist, dann sind wir niemals vor Wiederholung gefeit und das kann ich und will ich vermutlich nicht akzeptieren.
Lieber Abifiz, ich wünsche Ihnen eine gute Zeit
♥lich Nola
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Status quo, nicht wahr, ist der lateinische Ausdruck für den Schlamassel, in dem wir stecken. Zettel im August 2008
Zitat von Nola im Beitrag #91 Nein ich glaube nicht, das aus vergangenen Schuldgefühlen heraus eine Möglichkeit zum kompensieren dergestalt genutzt wird indem den Juden ihre Unfehlbarkeit genommen wird und dafür Kriegsgreuel an den Palistinensern engesetzt werden.
Und ich, liebe Nola, glaube nicht nur, dass diese Kompensation da ist, ich bin sogar fest davon überzeugt, und ich glaube, man kann es auch ganz gut belegen: Es ist natürlich richtig, dass von der Generation des Krieges heute nicht mehr viele übrig sind. Insofern sind die allermeisten "Deutschen" in diesem Sinne erst einmal absolut unschuldig. Nur: Die Väter, Mütter, Onkel, Tanten, Großväter, Großmütter, Großtanten, Großonkel, sind es oftmals eben nicht. Und wir alle machen uns die Taten und Leistungen unserer Vorfahren zu eigen. Man kann völlig unschuldig sein und trotzdem massiv unter einer grausamen Tat der eigenen Eltern leiden. Oder der Großeltern. Genauso wie man oft Stolz auf die Leistung der Vorfahren ist. Und daraus folgt eben die Konsequenz: Wer es für bedeutend hält im "Land der Dichter und Denker" zu leben, der muss eben auch damit klar kommen, dass er im "Land der Richter und Henker" lebt. Und Goethe ist schon eine Weile länger tot als Adolf. Schuld in dem Sinne ist kaum jemand, genausowenig wie in Israel heute noch viele direkte Opfer leben. Aber wir sind damit durch unsere Vorfahren, ja durch die eigene Familie, verknüpft, genauso wie viele Juden eben auch heute noch unter dem leiden, was ihren Eltern oder Großeltern angetan wurde. Es ist nicht damit vorbei, dass zwei Generationen seitdem vergangen sind, das wird wesentlich länger dauern. Und eben aus diesem Mechanismus heraus kommt das unbedingte Bedürfnis die eigenen Vorfahren (und damit sich selber) freizusprechen, bzw. die Schuld zu relatvieren. Platt umgesetzt bedeutet das so viel wie: "Mein Großvater war kein Monster." Und wenn heute mit dem Finger auf Israel gezeigt wird, dann ist das ebenso platt: "Mein Großvater kann gar kein Monster gewesen sein, "die" sind ja noch viel schlimmer. Und das heute. Haben die denn immer noch nichts gelernt ? Und mein armer Großvater musste sein Leben damit leben als Monster bezeichnet zu werden."
Zitat Diese Zweifel und eindeutige Parteinahme gegen die Juden im Gazakonflikt sind von den gleichen Menschen erschaffen worden, die jedem Deutschen rundumdieuhr den Mangel an Moral bescheinigen, weil die als Kapitalisten weit entfernt von der gelben Sonnenblume Strom beziehen und von den gleichen Hetzern, die als Unterstützung gern noch die fanatischen Parolen von Islamisten zur Hilfe nehmen. Es ist die selbsternannte linke Journalistenelite, die gar nicht mehr mit der Produktion von Heiligenscheinen hinterherkommt um sie in Anerkennung der "Überzeugungsarbeit" unter ihresgleichen zu verteilen.
Das ist einerseits berechtigt, andererseits greift das zu kurz. Das die Linke in Deutschland sich im Antisemitismus recht wohl fühlt, ist sicher richtig. Aber dieses Bewusstsein, das sich auch in Leserbriefen, Foren oder simpel auf der Strasse austobt, das ist nicht alleine dadurch entstanden. "Der Schoss aus dem dies kroch" ist immernoch fruchtbar. Und die Deutsche können mit ihrer Geschichte immernoch nicht richtig umgehen. Ich würde nicht so weit gehen wie nachdenken_schmerzt_nicht und bescheinigen, das nichts gelernt wurde. Aber ich stimme dem zu, dass es noch nicht genug ist.
Soll ich wirklich schreiben: "Hallo nachdenken-schmerzt_nicht?!" Oh je, oh je, oh jemmini...! Man gönne mir das Ungehörige: Ich schreibe gewagt, ja frech:
Hallo Nachdenkli.
Zu Ihren sehr lebendigen Überlegungen, bzw. auch zur Ausgangsfrage von Rayson hier ein Link aus der Jüdischen Allgemeinen: http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/19852 In dem verlinkten Artikel äußert sich Giordano Bruno in etwa zum gerade von Ihnen angerissenen Thema. Darüber hinaus spricht er auch die gern unterschlagene Wahrheit an: Die zivilen Opfer in Gaza sind gezielte und erwünschte Opfer der Hamas, ihres Vorgehens, ihrer Bösartigkeit. Die Hamas schlachtet sie in mehrfachem Sinne des Wortes gezielt "an und aus".
Es ist in der Tat sehr schmerzhaft, leidende Zivilisten -- mit ihren Kindern -- zu erleben.
Nicht zulässig dabei ist das Umfälschen des eigenen Wissens darüber, wer sie leiden läßt.
Hallo Simon.
Zur Feindesliebe gehört das zeitliche und inhaltliche Primat der Liebe zu sich selbst und den seinen. Nur wer sich selbst liebt, kann für den "Anderen" (den "Nächsten") etwas herausspringen lassen, wenn er ihn wie sich selbst liebt. Es würde sonst recht wenig für jenen herauskommen. Auch die Feindesliebe erwächst aus den Erweiterungen der ursprünglichen Liebe zu den seinen; aus der Öffnung des Herzens, die aus der hinreichend stabilen Erfahrung der Liebe (des Geliebt-Werdens und Liebens) entspringt. Diese erste grundlegende Erfahrung erwächst zunächst im/aus dem "Eigenen".
Gewaltanwendung ist manchmal ein direktes Gebot der Liebe, so schwierig es für heutige (Ex-)Christen und säkulare Bürger sein mag, solch ein angeblich "schräger" Gedanke zuzulassen. Daß dann die Praxis der Gewaltanwendung eine schwierige, dornige, verzwickte (auch verfluchte!) Praxis wird/ist auch dort, wo sie dem Liebens- und Lebensgebot direkt entspringt, versteht sich ja von selbst. Das Tragische ist mit das Antlitz des Lebens. Keine Verrenkung kommt um diese bittere Frucht der Erkenntnis. (Und sie gilt beileibe nicht nur für die Gewalt.)
Als ich heute morgen wach wurde, ging mir mein Beitrag von gestern abend noch durch den Kopf. Ich habe darüber nachgedacht, was das eigentlich ist: Antisemitismus. Es gibt sicher viele Versuche von Definitionen. gute und weniger gute. Meistens stellen sie darauf ab, aus welchem Grund jemand den Juden mit Vorwürfen begegnet, wie er sie formuliert oder ob er die Art seiner Vorwürfe auch gegen andere erhebt, bzw. wie er sie abgrenzt. Meine persönlichen Antennen für Antisemitismus schlagen da an, wo ich keine Empathie für Juden, für Israel wahr nehme. Der Grad der Verweigerung von Empathie mag dabei für mich ein Gradmesser zur Differenzierung der Heftigkeit des Antisemitismus sein. Möglicherweise ist dies auch ganz allgemein die Art und Weise wie ich versuche, Stereotype zu erkennen.
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Lieber Rayson, haben Sie zufällig am Mittwoch die Sendung von Anne Will gesehen? Da kann ein Jürgen Todenhöfer so ganz nebenbei bemerken: Israel sei doch nur so eine Art europäische Kolonie auf arabischem Boden - und keiner widerspricht! Prof. Michael Wolffsohn, der sich zu äußerster Zurückhaltung gezwungen sah, wies gerade mal darauf hin, dass 50% der Israelis nicht-europäischer Abstammung sind. Ich wußte nicht, wie ich meinem Entsetzen Ausdruck geben sollte und schaute in den Blog zur Sendung. Am liebsten hätte ich Frau Will angerufen und sie gefragt, ob ihr aufgefallen ist, dass sich Herr Todenhöfer damit praktisch die Position der Hamas zu eigen macht, dass Israel auf "arabischem Boden" nichts verloren habe (- die Kolonialzeit ist schließlich vorbei!). Aber in dem Anne-Will-Blog gab es schon rund 500 Beiträge zu der Sendung und was mir daraus größtenteils an dumpfem Judenhass entgegen schlug, vergrößerte nur noch mein Entsetzen. Ich wandte mich mit Grauen ab.
Mich hat sehr der große FAZ-Artikel von David Grossmann am 9.7. sehr berührt: "Unsere Verzweiflung ist unser Untergang". Die Regierung Netanjahu ist unfähig, eine Perspektive zur Überwindung der Gewalt-Spirale zu entwickeln. Das finde ich furchtbar und traurig.
Aber dass die Hamas die eigenen Leute als Schutzschilde mißbraucht, dass sie der Aggressor ist, dass sie jede Kriegspause in den vergangenen Jahren nur zur Neuaufrüstung genutzt hat, dass sie die Millionen von EU und UNO für den Ausbau des Tunnelsystems zweckentfremdet hat, durch das sie jetzt sehr wahrscheinlich einen israelischen Soldaten entführen konnte - das laut und deutlich zu sagen, sehe ich als Voraussetzung für eine realistische Einschätzung der Lage an!
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