das ist wirklich eine großartige Beschreibung des Liberalismus. Vor allem, dass Verbote immer an das egoistische Kalkül der Menschen appellieren, war mir nicht bewusst.
In Antwort auf:Zitat von str1977, 4.8.2008Mit "Liberalismus" meinte ich die Ideologie, die meint einfach alles zulassen zu dürfen ohne Rücksicht auf irgendwelche Werte oder Konsequenzen.
Es gibt ja die berühmte These "Wenn Gott tot ist, ist alles erlaubt". Es kommt aber darauf an, wie wir ihn töten. Wenn wir es aus nihilistischen Motiven (wie Kirillow) tun oder weil wir unsere Vernunft über alles andere Stellen (68er oder die modernen Atheisten um Dawkins) ist das sicher wahr.
Der Liberalismus tötet Gott aber auf andere Weise. Wenn überhaupt. Denn er tötet ja nicht den Glauben an Gott sondern die Anmaßung im Namen der Wahrheit Staat zu machen. Deswegen ist gerade nicht alles erlaubt. Im Gegenteil. Solche Anmaßungen oder Einschränkungen der Freiheit anderer sind mit dem Liberalismus nicht vereinbar.
str1977
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29.11.2008 11:24
#78 RE: Zettels Meckerecke: Die Verbieter sind überall
Zitat von dirkEs gibt ja die berühmte These "Wenn Gott tot ist, ist alles erlaubt". Es kommt aber darauf an, wie wir ihn töten.
Dostojewki's Zitat heißt: "Wenn es keinen Gott gibt, dann ist alles erlaubt." Die Behauptung, Gott sei tot, stammt von Nietzsche. Dabei ist es eine gedankliche Albernheit, daß man Gott töten könne. Aber das nur nebenbei.
In Antwort auf:Der Liberalismus tötet Gott aber auf andere Weise. Wenn überhaupt. Denn er tötet ja nicht den Glauben an Gott
Nein, er tötet nicht sondern hölt aus.
In Antwort auf:... sondern die Anmaßung im Namen der Wahrheit Staat zu machen. Deswegen ist gerade nicht alles erlaubt.
Als ob der Liberalismus selbst keinen Wahrheitsanspruch erhöbe, als ob er noch nie Staat gemacht habe für diese Wahrheit. Und ja, indem er in der Tradition der Aufklärung letztlich auch die Wahrheit abräumt, macht er jedes Verhalten zu einer Frage von Macht und Opportunität.
In Antwort auf:Solche Anmaßungen oder Einschränkungen der Freiheit anderer sind mit dem Liberalismus nicht vereinbar.
Ein Hohn jenen, die z.B. unter dem Kulturkampf und ähnlichem zu leiden hatten.
Und außerdem: hier ist wieder die liberale Obsession mit Freiheitseinschränkungen seitens des Staats. Der Staat hat eine Aufgabe und wenn er sich aufgrund liberaler Ideologie zurückzieht, dann sind gerade die Schwächsten dem Stärkeren ausgeliefert. Aber man kann ja die Ode auf die Freiheit dazu singen.
Gruß, str1977
Faschismus und Antifaschismus sind nicht dasselbe, genausowenig wie Libanon und Antilibanon. Aber beide sind aus Stein gemacht.
Laissez faire, laissez aller, laissez abimer.
Liberalismus ist die Ideologie, die, wenn etwas zu verderben droht, nicht nur nichts unternimmt, sondern auch anderen von Gegenmaßnahmen abrät, um anschließend das verfaulte Resultat zum Ideal zu erklären.
str1977
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29.11.2008 11:42
#79 RE: Zettels Meckerecke: Die Verbieter sind überall
Zitat von KalliasFreiheit ist der höchste Wert, weil sie den Menschen die Möglichkeit gibt, im Sinne ihrer Werte und aufgrund eigener Einsicht zu leben. Wird mir nämlich vorgeschrieben, was ich zu tun habe, dann folge ich nicht meinen Werten, sondern denen meines Vormundes, und ich orientiere mich nicht an der Sache, sondern an den Vorgaben.
Das mögen Sie so sehen. Aber es muß nicht so sein.
Natürlich ist die Entscheidungsfreiheit die Grundlage jedweder moralischen Handlung, denn wenn ich gezwungen bin ist es nicht wirklich meine Handlung. Ich würde daher Freiheit eher als eine basale Gegebenheit ansehen denn als höchster Wert.
Wäre Freiheit der höchste Wert müßte man solche, die unrefklektiert das gute tun schelten, solche die freiwillig das böse tun (z.B. Osama bin Ladin) belobigen. Sie folgen schließlich den eigenen Werten.
Mal abgesehen davon, daß das Reden von Werten hier etwas seltsam ist. Geht es hier doch nur um das Tun des eigenen Willens.
In Antwort auf:Vor die Frage, was richtig und gut ist, schiebt sich die Frage, was ich tun muß, um Strafe zu vermeiden. Die Herrschaft zwingt den Untertanen in diesem Sinne eine egoistische Perspektive auf, die mit dem Schaden kalkuliert. Daß sie Werte zum Maßstab des Handelns nehmen und Konsequenzen beachten kann man nur von freien Menschen erwarten.
Nur haben Sie denn Bereich der Moral völlig übersprungen. Staatliche Verbote kommen erst ganz am Ende in nur sehr wenigen Bereichen.
In Antwort auf:Noch in einem anderen Sinn wird der Untertan auf sich selbst zurückgeworfen: um das Gute kümmert sich die Obrigkeit; was dem Untertan zu tun übrig bleibt, ist nach seinen privaten Lastern zu sehen.
Das ist natürlich Quatsch. Untertanen sind wir so oder so (ja, auch im modernen Staat). Dies bedingt aber nicht unbedingt eine Staatsgläubigkeit, wie Sie sie beschreiben.
In Antwort auf:Und dort wird er alsbald von den Verbietern verfolgt, die ihn zu seinem Glück zwingen wollen, so als ob sie wüssten, worin dieses besteht, und als sei es noch ein Glück, wenn man zu ihm gezwungen wird.
Man kann sehr wohl zu seinem Glück gezwungen werden. Klar, wenn man pubertierend gegen Autorität rebelliert, wird man es nicht einsehen. Aber später vielleicht doch. Vielleicht ist der Liberalismus auch einfach nur die ewige Pubertät des menschlichen Geistes? Vielleicht gehen liberale Parteien dort, wo sie gesiegt haben, zugrunde.
In Antwort auf:Wer frei ist, ist durchaus fähig, rücksichtslos und unmoralisch zu handeln. Das ist auch den Liberalen bekannt: "Anarchie ist schön, aber unpraktisch" meinte Dahrendorf dazu.
Ich hielt Dahrendorf immer nur für dröge und langweilig. Hier zeigt er sich von seiner ekelhaften Seite. Ich will ihm nichts böses, aber er sollte mal drei Tage in seiner schönen Anarchie verbringen.
In Antwort auf:Jeder Liberalismus spricht von Gesetzen, deren Einhaltung von einer politischen Macht zu gewährleisten sei. Kennen Sie einen anderen?
In Antwort auf:Um den Höchstwert der Freiheit nicht aufzugeben, aber doch die kruden Realitäten des menschlichen Lebens angemessen zu berücksichtigen, wird die Freiheit des einen nur im Interesse der Freiheit anderer eingeschränkt, nicht aber im Sinne von deren Wertvorstellungen.
Manchmal. Solange der Liberalismus es nicht versteht, die anderen wegzudefinieren. Im übrigen ist es Heuchelei, "nicht im Sinne von deren Wertvorstellungen" ist genau die liberale Wertvorstellung, die er jedem absolut aufgezwängt wird. (Und nur nebenbei, Sie mögen diese Wertvorstellung haben, aber das GG teilt sie nicht.)
In Antwort auf:Beachten Sie die subtile Ausgewogenheit der liberalen Ideologie.
Subtil heißt nicht ausgewogen. Ein Marxist könnte ähnliches behaupten.
And if King Edward be as true and just As I am subtle, false and treacherous, This day should Clarence closely be mew'd up
Gruß, str1977
Faschismus und Antifaschismus sind nicht dasselbe, genausowenig wie Libanon und Antilibanon. Aber beide sind aus Stein gemacht.
Laissez faire, laissez aller, laissez abimer.
Liberalismus ist die Ideologie, die, wenn etwas zu verderben droht, nicht nur nichts unternimmt, sondern auch anderen von Gegenmaßnahmen abrät, um anschließend das verfaulte Resultat zum Ideal zu erklären.
Ich hoffe, es geht in Ordnung, dass ich mich gewissermaßen in die Diskussion "einmische". Wenn nicht: a wurscht
In Antwort auf:Zitat von str1977
Natürlich ist die Entscheidungsfreiheit die Grundlage jedweder moralischen Handlung, denn wenn ich gezwungen bin ist es nicht wirklich meine Handlung. Ich würde daher Freiheit eher als eine basale Gegebenheit ansehen denn als höchster Wert.
Als Bastion des Einzelnen gegen äußere Zwänge und als Ausgangspunkt moralischen Handelns geltend, ist persönliche Freiheit keine Gegebenheit, muss sie doch beständig und mit größtmöglicher Anstrengung gegen die zahlreichen Versuche der Beschneidung und Beeinflussung verteidigt werden.
In Antwort auf:Zitat von str1977
Wäre Freiheit der höchste Wert müßte man solche, die unrefklektiert das gute tun schelten, solche die freiwillig das böse tun (z.B. Osama bin Ladin) belobigen. Sie folgen schließlich den eigenen Werten.
Freiheit ist nicht gleichbedeutend mit Moral und Tugendhaftigkeit. Doch ist sie die conditio sine qua non. Weil persönliche Freiheit außerdem das Verständnis dafür voraussetzt, dass sie nur so lange Gültigkeit haben kann, wie der Einzelne die private Sphäre des Nächsten unberührt lässt, kann jemand, der dieser Notwendigkeit zuwiderhandelt, diese Bedingung gar mit allen Kräften zu zerstören sucht, nicht Adressat von Lob sein.
Terroristen trachten danach, eben jene Versuchung zu bestärken, die sich gegen die persönliche Freiheit selbst richtet: Sie versetzen die Menschen als Zielscheibe der psychologischen Kriegsführung in einen Zustand allgegenwärtiger Angst. In einer solchen Ausnahmesituation neigt das Individuum dazu, den Ruf nach verschärften Sicherheitsmaßnahmen erschallen zu lassen. Und so wird der Staat, der als solcher ja ohnehin stets danach trachtet, seine Macht auszudehnen, tätig, um im Namen von mehr öffentlicher Sicherheit die private Sphäre und damit auch die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen auszuhöhlen. Der Terrorist kalkuliert mit den Implikationen von Furcht, die den Verstand vernebelt.
In Antwort auf:Zitat von str1977
Staatliche Verbote kommen erst ganz am Ende in nur sehr wenigen Bereichen.
Was Kallias sehr treffend beschrieben hat, ist der Irrglaube, man könne mit Verbotspolitik bessere Sitten der Bürgerinnen und Bürger erzwingen. Das ist schlicht falsch: Dem Menschen noch das letzte Laster auszutreiben, ist ein aussichtsloses Unterfangen. Noch dazu ein Unterfangen, das nichts mehr mit der eigentlichen Aufgabe des Staates gemein hat, sondern ebendiese Aufgabe, nämlich die Sicherung der Unversehrtheit und Freiheit der Bürger, sogar konterkariert. Die Obsession, jedem Übel mit einem Gesetz zu begegnen, hat sich in allzu vielen Politikerhirnen festgesetzt und erscheint auch vielen Zeitgenossen als nachgerade unvermeidlich. Dabei ist für jeden Liberalen offensichtlich, dass das Trachten der Obrigkeit, den individuellen Lebensstil der Einzelnen zu einem einheitlichen zu modellieren, ein wesentlicher Schritt hin zur grundsätzlichen Gleichmachung ist - und demnach bekämpft werden muss.
In Antwort auf:Zitat von str1977 Untertanen sind wir so oder so (ja, auch im modernen Staat). Dies bedingt aber nicht unbedingt eine Staatsgläubigkeit, wie Sie sie beschreiben.
Kein Liberaler bei Verstand wird leugnen, dass es immer gewisser Regeln des zwischenmenschlichen Zusammenlebens bedürfen wird, deren Einhaltung von einer Institution mit diesbezüglichem Durchsetzungsmonopol zu gewährleisten ist - das hat Kallias ja auch mit anderen Worten geschrieben. Doch die Tatsache, Rechtsunterworfener zu sein, bedeutet nicht, dass der Unterworfene zu allem nur Ja und Amen zu sagen hätte, was die Obrigkeit vorschreibt. Wenn der Mensch alles mit sich geschehen ließe, was ihm die Herrschenden aufoktroyieren wollen, dann wäre es wohl nicht mehr weit hin mit der Freiheit. Der Hinweis aus der liberalen Perspektive, dass das Selbstverständnis vieler Rechtsunterworfener problematische Auswirkungen zeitigt, bedeutet nicht die Negation der Tatsache, dass man so wie jeder dem Recht unterworfen ist.
In Antwort auf:Zitat von str1977
Man kann sehr wohl zu seinem Glück gezwungen werden. Klar, wenn man pubertierend gegen Autorität rebelliert, wird man es nicht einsehen.
Man kann. Bleibt die Frage nach Mitteln, Sinn und Zweck. Im Zweifelsfall ist in der Abwägung die persönliche Freiheit stets der Bevormundung vorzuziehen.
In Antwort auf:Zitat von str1977 Vielleicht ist der Liberalismus auch einfach nur die ewige Pubertät des menschlichen Geistes? Vielleicht gehen liberale Parteien dort, wo sie gesiegt haben, zugrunde.
Liberalismus ist zu allererst der unerschütterliche Respekt vor der Einzigartigkeit des Menschen, vor dessen indivuellen Bedürfnissen, Begabungen und Neigungen. Ein gedeihliches gesellschaftliches Leben ohne unverhältnismäßige Bevormundung zu ermöglichen, wo die individuelle Möglichkeit des Strebens nach Glück Fortschritt garantiert, ist das grundlegende liberale Ansinnen. Liberalismus verlangt eine Reife, die den Einzelnen dazu auffordert, Eigenverantwortung zu tragen und die Konsequenzen für sein Handeln zu übernehmen. Insofern empfinde ich es geradezu als absurd, den überzeugten Liberalen als unverbesserlichen, ewigen Pubertierenden zu beschreiben.
In Antwort auf:Als ob der Liberalismus selbst keinen Wahrheitsanspruch erhöbe, als ob er noch nie Staat gemacht habe für diese Wahrheit. Und ja, indem er in der Tradition der Aufklärung letztlich auch die Wahrheit abräumt, macht er jedes Verhalten zu einer Frage von Macht und Opportunität.
Nein, das tut er eigentlich nicht. Es gibt zwar die Formulierung der "self-evident truths", aber die Gleichheit, das Recht auf Leben , Freiheit und Streben nach Glück sind keine Wahrheiten in dem Sinne. Hier werden keine Werte für wahr erklärt sondern, im Gegenteil, Freiheitseinschränkung im Namen von Werten ausgeschlossen. Es ist ein Postulat der Bescheidenheit, nicht der Anmaßung.
In Antwort auf:Und außerdem: hier ist wieder die liberale Obsession mit Freiheitseinschränkungen seitens des Staats. Der Staat hat eine Aufgabe und wenn er sich aufgrund liberaler Ideologie zurückzieht, dann sind gerade die Schwächsten dem Stärkeren ausgeliefert. Aber man kann ja die Ode auf die Freiheit dazu singen.
Können sie ein Beispiel nennen?
str1977
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02.12.2008 10:41
#82 RE: Zettels Meckerecke: Die Verbieter sind überall
Zitat von str1977Natürlich ist die Entscheidungsfreiheit die Grundlage jedweder moralischen Handlung, denn wenn ich gezwungen bin ist es nicht wirklich meine Handlung. Ich würde daher Freiheit eher als eine basale Gegebenheit ansehen denn als höchster Wert.
Als Bastion des Einzelnen gegen äußere Zwänge und als Ausgangspunkt moralischen Handelns geltend, ist persönliche Freiheit keine Gegebenheit, muss sie doch beständig und mit größtmöglicher Anstrengung gegen die zahlreichen Versuche der Beschneidung und Beeinflussung verteidigt werden.
Ja. Weshalb ich ja auch nicht von "Gegebenheit" sprach sondern von der Grundlage. Ohne die geht es nicht, so wie etwa ein Blinder nicht autofahren kann. Aber ist das Sehvermögen der höchste Wert des Autofahren?
Zitat von Philipp
Zitat von str1977Wäre Freiheit der höchste Wert müßte man solche, die unrefklektiert das gute tun schelten, solche die freiwillig das böse tun (z.B. Osama bin Ladin) belobigen. Sie folgen schließlich den eigenen Werten.
Freiheit ist nicht gleichbedeutend mit Moral und Tugendhaftigkeit. Doch ist sie die conditio sine qua non. Weil persönliche Freiheit außerdem das Verständnis dafür voraussetzt, dass sie nur so lange Gültigkeit haben kann, wie der Einzelne die private Sphäre des Nächsten unberührt lässt, kann jemand, der dieser Notwendigkeit zuwiderhandelt, diese Bedingung gar mit allen Kräften zu zerstören sucht, nicht Adressat von Lob sein.
Ihr erster Satz ist genau mein Punkt von oben: sine qua non.
Zum zweiten: ja, das sehe ich auch so, nur ist das nicht selbstverständlich das andere das so sehen. Und was den Liberalismus angeht, dieser anerkennt zwar (meistens) diese Schranke, setzt diese aber absolut und will nichts anderes akzeptieren, in der Meinung nur so konsequent zu bleiben und Freiheit als den Höchstwert und letztlich einzigen Wert hochzuhalten. Das GG z.B. anders.
Lassen wir das Terroristenbeispiel. Sie könnten für Osama auch einen anderen schlechten Menschen einsetzen. Dieser übt jedenfalls auch seine Freiheit aus.
Zitat von Philipp
Zitat von str1977Staatliche Verbote kommen erst ganz am Ende in nur sehr wenigen Bereichen.
Was Kallias sehr treffend beschrieben hat, ist der Irrglaube, man könne mit Verbotspolitik bessere Sitten der Bürgerinnen und Bürger erzwingen. Das ist schlicht falsch: Dem Menschen noch das letzte Laster auszutreiben, ist ein aussichtsloses Unterfangen.
Und wer will bitte "das letzte Laster" austreiben? Es ist doch in Wahrheit so, daß der Liberalismus am Ende gar keine Laster mehr kennt sondern nur Präferenzen.
Man kann vielleicht durch Verbote den Menschen nicht verbessern, aber 1. ist der Zweck von Verboten nicht die Besserung der Menschen sondern das Verhindern von bestimmtem Verhalten (der Mordparagraph will nicht den Mörder bessern, sondern ihn und andere abschrecken) und 2. die Abwesenheit bzw. Ablehnung jedweder Verbote macht auf lange Sicht die Menschen noch schlimmer.
Zitat von PhilippNoch dazu ein Unterfangen, das nichts mehr mit der eigentlichen Aufgabe des Staates gemein hat, sondern ebendiese Aufgabe, nämlich die Sicherung der Unversehrtheit und Freiheit der Bürger, sogar konterkariert.
Noch so eine liberale Obsession. Der Liberale meint, die Wahrheit gefunden zu haben und nun dekretierten zu können, was denn die "eigentliche" Aufgabe des Staates ist. Da er aber nur in der Dimension "Freiheit" denken kann, muß er diese wiederum in "Sicherung der Freiheit" umdefinieren. Wie wäre es mit Gerechtigkeit nach innen und Sicherheit nach außen? (Wobei ich Gerechtigkeit im ganz altmodischen Sinne verstehe, nicht als "jeder kriegt gleichviel")
In Antwort auf:Die Obsession, jedem Übel mit einem Gesetz zu begegnen, hat sich in allzu vielen Politikerhirnen festgesetzt und erscheint auch vielen Zeitgenossen als nachgerade unvermeidlich.
Die Obsession, gegen Verbote, Gesetze und Regeln anzurennen, ist leider in vielen Liberalenhirnen eingepflanzt. Das Verbot ist nunmal ein (nicht perfektes aber) ziemlich effektives Mittel, unerwünschtes Verhalten einzuschränken. (Und über die Definition von unerwünschtem Verhalten müßte man dann sicherlich reden.)
Was tatsächlich moderne Politiker umtreibt ist es, neue Verbote einzuführen und alte abzuschaffen. Sie darin aber nur Teil und Schatten des Liberalismus. Es ist ja die Moderne (seit dem Absolutismus), die meint Gesetze ändern zu müssen (und zur Not dafür Abstimmungsregeln zu vergewaltigen, wie Herr Schäuble).
In Antwort auf:Dabei ist für jeden Liberalen offensichtlich, dass das Trachten der Obrigkeit, den individuellen Lebensstil der Einzelnen zu einem einheitlichen zu modellieren, ein wesentlicher Schritt hin zur grundsätzlichen Gleichmachung ist - und demnach bekämpft werden muss.
So so. Hier fliegen die Vorsätze von oben, Grenzen der Freiheit etc. zum Fenster hinaus. [Sarkasmus ein] Dieses allgemeine Mordverbot ist ja nur Gleichmacherei. Laßt doch tausend Blumen blühen.[Sarkasmus aus]
Und mal ernsthaft: wenn es ihm paßt, hält sich der Liberalismus nicht daran. Wo waren denn die Überzeugung, man dürfe nicht "den individuellen Lebensstil der Einzelnen zu einem einheitlichen zu modellieren", als die Nationalliberalen den Kulturkampf veranstalteten?
Zitat von Philipp
Zitat von str1977 Untertanen sind wir so oder so (ja, auch im modernen Staat). Dies bedingt aber nicht unbedingt eine Staatsgläubigkeit, wie Sie sie beschreiben.
Kein Liberaler bei Verstand wird leugnen[(quote]
So weit er bei Verstand ist. Leider kann man das nicht immer voraussetzen.
In Antwort auf:Doch die Tatsache, Rechtsunterworfener zu sein, bedeutet nicht, dass der Unterworfene zu allem nur Ja und Amen zu sagen hätte, was die Obrigkeit vorschreibt.
Natürlich nicht. Die Gedanken sind frei. Der nicht-totalitäre Staat verlangt keine innere Zustimmung, sondern nur Gehorsam.
Aber der Liberalismus ist ja nicht mit dem Dagegensein zufrieden. Wie Sie selbst oben demonstriert haben, wird gleich ein absoluter Wahrheitsanspruch aufgerichtet, wo definiert wird, was denn der wahre Zweck des Staates ist und blahblahblah.
Und das geht dann bis ins kleinster herunter. Dann "darf" (!) der Staat dies nicht und das nicht und jenes nicht.
In Antwort auf:Wenn der Mensch alles mit sich geschehen ließe, was ihm die Herrschenden aufoktroyieren wollen, dann wäre es wohl nicht mehr weit hin mit der Freiheit.
Und sobald die Übeltäter darüber entscheiden, welche Gesetze sie befolgen wollen, ist es ohnehin vorbei.
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich sehe Dialektik der Sache schon, nur ist eben der Liberalismus nicht die Antwort darauf.
In Antwort auf:Der Hinweis aus der liberalen Perspektive, dass das Selbstverständnis vieler Rechtsunterworfener problematische Auswirkungen zeitigt, bedeutet nicht die Negation der Tatsache, dass man so wie jeder dem Recht unterworfen ist.
Ja, nur eben klang das noch ganz anders. Da durfte der Mensch es nicht mit sich geschehen lassen.
Zitat von Philipp [quote="str1977"] Man kann sehr wohl zu seinem Glück gezwungen werden. Klar, wenn man pubertierend gegen Autorität rebelliert, wird man es nicht einsehen.
Man kann. Bleibt die Frage nach Mitteln, Sinn und Zweck. Im Zweifelsfall ist in der Abwägung die persönliche Freiheit stets der Bevormundung vorzuziehen.
Da stimmen wir also überein bis auf den letzten Satz. Nicht daß das nicht stimmen könnte. Aber in der Praxis wird aus dem Zweifelsfall bald ein "immer".
Zitat von Philipp
Zitat von str1977 Vielleicht ist der Liberalismus auch einfach nur die ewige Pubertät des menschlichen Geistes? Vielleicht gehen liberale Parteien dort, wo sie gesiegt haben, zugrunde.
Liberalismus ist zu allererst der unerschütterliche Respekt vor der Einzigartigkeit des Menschen, vor dessen indivuellen Bedürfnissen, Begabungen und Neigungen. Ein gedeihliches gesellschaftliches Leben ohne unverhältnismäßige Bevormundung zu ermöglichen, wo die individuelle Möglichkeit des Strebens nach Glück Fortschritt garantiert, ist das grundlegende liberale Ansinnen. Liberalismus verlangt eine Reife, die den Einzelnen dazu auffordert, Eigenverantwortung zu tragen und die Konsequenzen für sein Handeln zu übernehmen. Insofern empfinde ich es geradezu als absurd, den überzeugten Liberalen als unverbesserlichen, ewigen Pubertierenden zu beschreiben.
Und wir bei diesem Lobgesang auch ziemlich übel. Mal abgesehen davon, Sie reden von "Reife". Der Staat ist aber nicht für Engel gemacht sondern für Menschen.
Gruß, str1977
Faschismus und Antifaschismus sind nicht dasselbe, genausowenig wie Libanon und Antilibanon. Aber beide sind aus Stein gemacht.
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02.12.2008 10:48
#83 RE: Zettels Meckerecke: Die Verbieter sind überall
In Antwort auf:Als ob der Liberalismus selbst keinen Wahrheitsanspruch erhöbe, als ob er noch nie Staat gemacht habe für diese Wahrheit. Und ja, indem er in der Tradition der Aufklärung letztlich auch die Wahrheit abräumt, macht er jedes Verhalten zu einer Frage von Macht und Opportunität.
Nein, das tut er eigentlich nicht. Es gibt zwar die Formulierung der "self-evident truths", aber die Gleichheit, das Recht auf Leben , Freiheit und Streben nach Glück sind keine Wahrheiten in dem Sinne. Hier werden keine Werte für wahr erklärt sondern, im Gegenteil, Freiheitseinschränkung im Namen von Werten ausgeschlossen. Es ist ein Postulat der Bescheidenheit, nicht der Anmaßung.
Doch das tut er zuweilen. Als ob der Liberalismus noch nie Macht gehabt hätte und diese zur Durchsetzung seiner Ideologie gebraucht hätte, z.B. im Kulturkampf.
Übrigens, die "self-evident truths" sind ja eben nicht Ausdruck des Liberalismus. Aber es ist übliche liberale Praxis bestimmtes für sich zu reklamieren oder sich selbst zur unterhinterfragbaren Norm zu erklären. Die Unabhängigkeitserklärung wird liberal vereinnahmt, der freiheitliche Staat zu einem liberalen Staat umdeklariert etc.
Das Zitiertes nicht so unbedingt liberal ist, zeigt sich schon daran, daß Sie sich gleich davon distanzieren müssen, "(h)ier werden keine Werte für wahr erklärt". Doch das werden Sie und das ist zumindest dem heutigen Liberalen ein Graus.
In Antwort auf:Und außerdem: hier ist wieder die liberale Obsession mit Freiheitseinschränkungen seitens des Staats. Der Staat hat eine Aufgabe und wenn er sich aufgrund liberaler Ideologie zurückzieht, dann sind gerade die Schwächsten dem Stärkeren ausgeliefert. Aber man kann ja die Ode auf die Freiheit dazu singen.
Können sie ein Beispiel nennen?[/quote]
Da gäbe es die Privatisierung bestimmter heikler Funktion wie z.B. Luftsicherheit und Altersvorsorge - aber es wäre auch denkbar bei einer Privatisierung von Ordnungskräften wie der Polizei oder Gefängnissen. Oder auf einem dramatischeren Niveau, die ganze Abtreibungsproblematik.
Gruß, str1977
Faschismus und Antifaschismus sind nicht dasselbe, genausowenig wie Libanon und Antilibanon. Aber beide sind aus Stein gemacht.
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Liberalismus ist die Ideologie, die, wenn etwas zu verderben droht, nicht nur nichts unternimmt, sondern auch anderen von Gegenmaßnahmen abrät, um anschließend das verfaulte Resultat zum Ideal zu erklären.
Zitat von dirkEs gibt ja die berühmte These "Wenn Gott tot ist, ist alles erlaubt".
Ja, das ist schon ein wunderlicher Satz, so wie er dasteht geradezu lächerlich absurd; mit einfacher Logik würde ja aus ihm zum Beispiel folgen: "Gibt es Gott nicht, wäre Handspiel sogar im Strafraum erlaubt". So kann es nicht gemeint sein! Welche Regeln gelten, was erlaubt und was verboten ist, entscheidet nicht die Religionsphilosophie, sondern darüber bestimmen Sitten und Gebräuche, Erfahrung, Gesetzgeber und gelegentlich auch Sportverbände.
Doch wenn sich der Satz nicht auf die praktischen Regeln, Normen und Gesetze beziehen soll, mit denen wir als gesellige Wesen miteinander auszukommen versuchen, sondern auf einen moralischen Anspruch, der uns aus transzendenten Sphären entgegenkommt, dann klingt er plötzlich lächerlich banal: Wenn Gott nicht existiert, dann gibt es keine göttlichen Verbote, sondern nur menschliche. Wie auch anders?
Wie kann man den Satz nur verstehen, ohne daß er entweder absurd oder trivial ist?
Schließlich hat der Satz des Christen Dostojewski noch einen eigenartig unchristlichen Klang. Der springende Punkt bei dem Christentum ist doch, daß die Härte des moralischen Müssens durch Gottes barmherzige Liebe zwar nicht aufgehoben, aber relativiert wird. "Liebe, und tu was du willst" - auf dieser Grundlage läßt sich doch eine Gesellschaft aufbauen, die mit wenig ausdrücklichen Verboten auskommt, während umgekehrt die atheistische Staaten des 20. Jahrhunderts nicht gerade durch Permissivität aufgefallen sind (was Dostojewski natürlich noch nicht wissen konnte).
Zitat von dirkDenn [der Liberalismus] tötet ja nicht den Glauben an Gott sondern die Anmaßung im Namen der Wahrheit Staat zu machen.
Zitat von str1977Und außerdem: hier ist wieder die liberale Obsession mit Freiheitseinschränkungen seitens des Staats. Der Staat hat eine Aufgabe und wenn er sich aufgrund liberaler Ideologie zurückzieht, dann sind gerade die Schwächsten dem Stärkeren ausgeliefert. Aber man kann ja die Ode auf die Freiheit dazu singen.
Können sie ein Beispiel nennen?
Danke für die Steilvorlage! Ich bin blond, ich bin männlich, abstrakte Diskussionen sind mir immer zu kompliziert, ich mag's konkreter.
Neben den Beispielen, die str1977 schon gebracht hat, würde mich die konkrete Anwendung liberaler Prinzipien auf die Ehe interessieren.
Zitat von Dirk FriedrichEs ist das große Verdienst des Liberalismus, unter den Geschäften der Menschen nicht nur ihre wirtschaftliche Tätigkeit zu verstehen, sondern auch ihre privaten Belange. Die Welt wird sich weiterdrehen, selbst wenn man nicht versucht, die Ehe zu regulieren.
Wie das in praxi aussehen kann, habe ich unlängst in diesem Forum verlinkt:
Zitat von GorgasalZusammenfassend wurden in Großbritannien kürzlich Shariagerichte zugelassen, die in Zivilsachen bei Zustimmung beider Parteien bindende Urteile aussprechen dürfen. Grundsätzlich habe ich nun den Eindruck, dass die Sharia bei Zwistigkeiten z.B. im ehelichen Bereich strukturell nicht zur gleichberechtigten Berücksichtigung von Mann und Frau neigt, sondern die Frau eher benachteiligt (das mein uninformierter Eindruck - ich kann mich irren).
Der Liberale in mir spricht dann: "Ei fein, wenn sich beide Parteien auf ein Shariagericht einigen, dann kann man ihnen diesen ihren Willen doch schlecht verwehren, oder? Es sind schließlich beides Erwachsene! Wie kommt ein Außenstehender dazu, ihnen vorzuschreiben, nach welcher Rechtstradition sie ihren Zwist austragen sollen?"
Der Konservative hingegen erklärt: "Auf dem Papier mögen sich beide Parteien auf das Shariagericht geeinigt haben, aber wenn die Frau eine frisch importierte Cousine aus Pakistan ist, die ihr Mann kaum auf die Straße lässt, dann ist es mit dem freien Einverständnis ihrerseits wohl nicht weit her. Hier müssen wir wirklich die Frau schützen, indem wir nur die gewachsene westliche Rechtstradition zulassen."
Disclaimer: möglicherweise habe ich die Sharia völlig falsch verstanden, und tatsächlich führt sie zu keiner Ungleichbehandlung zwischen Mann und Frau.
Aber nehmen wir jetzt einmal an, der Staat ziehe sich immer weiter aus der Regulierung der Ehe zurück und überlasse die Gestaltung der Ehe der Vertragsfreiheit von Einzelnen. Ich habe kein Problem damit, dass ein Muslim seinen vier Frauen vertraglich das Recht einräumt, ihn im Krankenhaus so zu besuchen, wie es momentan nur einem Ehepartner verbindlich seitens des Krankenhauses einzuräumen ist. Mein Problem fängt an, wenn vier Hinterbliebenenrenten ausbezahlt werden. Wo soll man da die Grenze ziehen?
Der wahre Liberale wird sich dann dafür aussprechen, dass das staatliche Rentensystem privatisiert wird, der Idee bin ich auch nicht abhold. Aber realiter wird das auf absehbare Zeit nicht der Fall sein. Nun kämpfen aber Liberale in der Tat dafür, das staatliche Monopol auf die Definition von "Ehe" abzuschaffen. Und solange das über das Rentensystem an meinen Steuern hängt, habe ich ein Interesse daran, dass wir hier konservativ bleiben, weil ich sonst (wieder wertend, das gebe ich gerne zu!) einen Missbrauch sehe.
Ein weiteres Problem hinsichtlich des Rückzugs des Staates aus der Regulierung der Ehe ist das Steuerwesen. Solange wir noch nicht im steuerfreien Anarchokapitalismus leben, besteht die Frage, wie eheähnliche Gemeinschaften besteuert werden sollen. Soll jede Einzelperson besteuert werden und umgekehrt Sozialleistungen beanspruchen? Das würde dazu führen, dass die Managergattinhausfrau Hartz IV beziehen könnte. Oder sollen ganze Haushalte zusammen besteuert werden, wie aktuell Ehen? Das würde wahrscheinlich sehr schnell zu einem ganz neuen Gefühl der Nachbarschaft führen, wenn sich ganze Mietshäuser zu WGs zusammenschließen und die Steuerersparnis aufteilen.
Oder will man doch beim gewachsenen Konstrukt "Ehe" bleiben, wie es in Mitteleuropa die letzten 2000 Jahre verstanden wurde? Meine Einstellung dazu ist, dass ich bei allem Liberalismus (und ich verstehe mich als liberalkonservativ) glaube, dass lange etablierte Institutionen und deren Regulation durch verbindliche Institutionen (Staat oder Kirchen - aber eine kirchliche Kontrolle über die Ehe, wie sie vor dem Kulturkampf Usus war, würde die Liberalen wahrscheinlich mindestens so sehr auf die Palme bringen wie die derzeitige staatliche Kontrolle) nicht sinn- und grundlos entstanden sind, und dass eine fundamentale Änderung solcher tief verwurzelten Institutionen, die weit verzweigt mit der gesamten Gesellschaft wechselwirken, nach dem law of unintended consequences zu Auswirkungen führen könnten, die nicht einmal die heutigen Liberalen gern sehen würden.
Kommentare?
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El cristiano no tiene nada que perder en una catástrofe. - Nicolás Gómez Dávila
Zitat von dirkEs gibt ja die berühmte These "Wenn Gott tot ist, ist alles erlaubt".
Ja, das ist schon ein wunderlicher Satz, so wie er dasteht geradezu lächerlich absurd; mit einfacher Logik würde ja aus ihm zum Beispiel folgen: "Gibt es Gott nicht, wäre Handspiel sogar im Strafraum erlaubt". So kann es nicht gemeint sein!
Von wem, lieber Kallias, stammt denn dieser in der Tat wunderliche Satz? Sie schreiben ihn Dostojewski zu. Aber welcher seiner Figuren? Dem Atheisten Iwan Karamasow?
Ich habe das eben kurz nachzusehen versucht. Es scheint, daß der Satz nicht in den "Brüdern Karamasow" steht; wohl aber hat das Sartre so formuliert und Dostojewski zugeschrieben.
In Antwort auf:Wie kann man den Satz nur verstehen, ohne daß er entweder absurd oder trivial ist?
Ich glaube das kommt darauf an, welche Vorstellung man von "Gott" hat und was es heisst, dass Gott nicht existiere. Stellt man ihn sich so vor, wie Kinder es meist tun, nämlich als Person, dann haben Sie recht. Eine Person kann Verbote aussprechen und wenn sie nicht gibt, dann eben nicht.
Aber für viele ist Gott keine Person sondern ein abstraktes Konstrukt. Für mich zum Beispiel (Zettel ist jetzt bestimmt genervt, weil ich diese Version schon ein paar mal in sein Forum schrieb.) ist der Glaube an ein übernatürliches, allwissendes und allmächtiges Wesen äquivalent zum Glauben an die Fehlbarkeit und Schwäche des Menschen. Der Glaube an Gott ist eine Art Bescheidenheit.
Und in diesem Sinne wären bei "Gottes Tod" der Anmaßung und Selbstherrlichkeit Tür und Tor geöffnet. (wie wir es ja auch erlebt haben und erleben). Insofern ist an dem Satz "Wenn Gott ist, ist alles erlaubt" etwas dran. Aber nicht weil er als nicht existente Person uns keine Verbote mehr auferlegen kann, sondern weil der Mensch in seiner Selbstherrlichkeit Sitten und Tugenden missachten würde.
Wenn das aber die Interpretation des Satzes ist, dann besteht überhaupt kein Widerspruch zum Liberalismus. Im Gegenteil, denn auch der Liberalismus ist ein Aufruf zur Bescheidenheit und gegen die "Anmaßung von Wissen". Liberalismus und Glauben wären zwei Seiten der selben Medaille.
Zitat von str1977Im übrigen ist es Heuchelei, "nicht im Sinne von deren Wertvorstellungen" ist genau die liberale Wertvorstellung, die er jedem absolut aufgezwängt wird.
Das klingt wie der Vorwurf: "Du zwingst mir auf, von dir in Ruhe gelassen zu sein." (Oder wie in dem alten Witz - Masochist: "Quäl mich!" Sadist: "Nein!")
Und der Vorwurf trifft nicht mal zu. In einer liberalen Gesellschaft ist die Freiheit so groß, daß sogar jeder, der einen Vormund braucht, sich einen frei aussuchen kann. Niemand wird gezwungen, ein selbstständig denkendes und handelndes liberales Musterindividuum zu sein. Man darf ruhig kritiklos einem Guru folgen, wenn man das denn will. Nur Gurus, die sich aus eigener Machtvollkommenheit ungefragt anderen aufdrängen, gibt es da nicht; man muß sich schon seinen Führer selber suchen. So hart bedrückt die Freiheit die Menschen dann doch, das muß ich zugeben.
Zitat von str1977
Zitat von Kallias...subtile Ausgewogenheit...
Ein Marxist könnte ähnliches behaupten.
Jaja, jeder lobt seinen eigenen Quark. Aber im Ernst: Auch dem Marxismus ist nicht beizukommen, indem man diesen oder jenen Satz von Marx zerpflückt.
Zitat von str1977Wo waren denn die Überzeugung, man dürfe nicht "den individuellen Lebensstil der Einzelnen zu einem einheitlichen zu modellieren", als die Nationalliberalen den Kulturkampf veranstalteten?
Bei Eugen Richter zum Beispiel, der das als unliberal ablehnte. Gegen den Liberalismus, lieber str1977, argumentieren Sie gerne auch mal mit liberalen Argumenten, das freut mich. Das ist doch schon die halbe Miete!
In Antwort auf:Der wahre Liberale wird sich dann dafür aussprechen, dass das staatliche Rentensystem privatisiert wird, der Idee bin ich auch nicht abhold. Aber realiter wird das auf absehbare Zeit nicht der Fall sein. Nun kämpfen aber Liberale in der Tat dafür, das staatliche Monopol auf die Definition von "Ehe" abzuschaffen. Und solange das über das Rentensystem an meinen Steuern hängt, habe ich ein Interesse daran, dass wir hier konservativ bleiben, weil ich sonst (wieder wertend, das gebe ich gerne zu!) einen Missbrauch sehe.
Und mal wieder ein schönes Beispiel dafür, dass der Sozialstaat und die durch ihn aufgezwungen finanziellen Verflechtungen, der rationale Kern hinter der Intoleranz sind.
In Antwort auf:Der wahre Liberale wird sich dann dafür aussprechen, dass das staatliche Rentensystem privatisiert wird, der Idee bin ich auch nicht abhold. Aber realiter wird das auf absehbare Zeit nicht der Fall sein. Nun kämpfen aber Liberale in der Tat dafür, das staatliche Monopol auf die Definition von "Ehe" abzuschaffen. Und solange das über das Rentensystem an meinen Steuern hängt, habe ich ein Interesse daran, dass wir hier konservativ bleiben, weil ich sonst (wieder wertend, das gebe ich gerne zu!) einen Missbrauch sehe.
Und mal wieder ein schönes Beispiel dafür, dass der Sozialstaat und die durch ihn aufgezwungen finanziellen Verflechtungen, der rationale Kern hinter der Intoleranz sind.
Als "intolerant" lasse ich mich nicht ungern bezeichnen, es gibt durchaus Dinge, die ich nicht ertragen will.
Aber ich möchte doch darauf hinweisen, dass ich oben noch einige andere Punkte genannt hatte, seien es die frei gewählte (frei?) Shariagerichtsbarkeit oder die steuerliche Behandlung von eheähnlichen Gemeinschaften. Ich würde mich freuen, wenn wir das Rentensystem als Nebenkriegsschauplatz betrachten könnten.
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El cristiano no tiene nada que perder en una catástrofe. - Nicolás Gómez Dávila
Zitat von ZettelVon wem, lieber Kallias, stammt denn dieser in der Tat wunderliche Satz? Sie schreiben ihn Dostojewski zu. Aber welcher seiner Figuren? Dem Atheisten Iwan Karamasow?
Uff, sieh an! Dieser Satz entstammt wohl nur der Folklore über Dostojewski - wieder was gelernt. Es ist allerdings einer jener Sätze, die sich so viele Menschen zu eigen gemacht haben, daß es gar nicht mehr besonders wichtig ist, was an dem Ursprungsmythos dran ist; man zitiert das ja meistens - so auch in diesem Thread - nicht, um über Dostojewski zu diskutieren, sondern um sich über ethische Fragen zu zerstreiten.
(Ein anderer Satz dieses Kalibers ist Adornos "Es gibt kein richtiges Leben im Falschen." Was dieser Satz in hunderttausenden von Hirnen angerichtet hat, ist viel wichtiger als die Frage, was Adorno, falls er ihn wirklich geäußert hat, damit gemeint haben könnte.)
In Antwort auf: es gibt durchaus Dinge, die ich nicht ertragen will.
Und das ist Intoleranz. Das ist ja gar nicht mal als Vorwurf gemeint. Zitat: Ich würde mich freuen, wenn wir das Rentensystem als Nebenkriegsschauplatz betrachten könnten.
Das Rentensystem haben Sie doch ins Spiel gebracht als Grund für ihren Wunsch regulierter Ehen. ?!?!
Zitat von dirkEs gibt ja die berühmte These "Wenn Gott tot ist, ist alles erlaubt".
Ja, das ist schon ein wunderlicher Satz, so wie er dasteht geradezu lächerlich absurd; mit einfacher Logik würde ja aus ihm zum Beispiel folgen: "Gibt es Gott nicht, wäre Handspiel sogar im Strafraum erlaubt". So kann es nicht gemeint sein! Welche Regeln gelten, was erlaubt und was verboten ist, entscheidet nicht die Religionsphilosophie, sondern darüber bestimmen Sitten und Gebräuche, Erfahrung, Gesetzgeber und gelegentlich auch Sportverbände.
Und was ist daran wunderlich, wenn man sich Gedanken darüber macht, was passiert, wenn alle Regeln, alles was erlaubt und verboten ist, durch Gesetzgeber oder Sportverbände festgelegt wird? (so viele Kommata in einem Satz...)
Wenn alles nur noch letzten Endes durch den Gesetzgeber festgelegt wird (weil wir im Sinne des Liberalismus jedem seine Freiheit lassen wollen und das Gewissen entsprechend auch nur noch rein subjektiv ist und keinerlei Verbindlichkeit über jeden einzelnen hinaus besitzt), wer bestimmt dann beispielsweise das Objekt der Tätigkeit des Gesetzgebers? Wieder der Gesetzgeber selbst? In der Demokratie: der Wähler? Ganz konkret (wie gesagt, blond und männlich), wenn wir als Maxime beispielsweise die Freiheit eines jeden dort enden lassen, wo die Freiheit eines anderen anfängt, wer bestimmt dann, wo "ein anderer" anfängt? Wenn Gott tot ist, wer hindert dann den Gesetzgeber daran, die "Herstellung" von Chimären zu verbieten? Oder das Klonen von menschlichen Ersatzteillagern ("Ich habe da noch einen Klon auf Eis, falls mir die Nieren versagen")?
Sicherlich ist es auch möglich, die Menschenwürde ohne Gott zu postulieren. Allerdings kommt man relativ schnell zu einem Regress, bei dem ein Unbewegter Beweger eine recht ansprechende ethische Grundlage ist - mir persönlich kommen andere Fundierungen der Ethik immer etwas holperig vor.
Aber in diesem Thread geht es ja "eigentlich" eher um das Verhältnis von Liberalismus und Konservatismus, daher sind theologische Diskussionen hier vielleicht etwas fehl am Platz. Ich wollte mich nur dagegen wehren, dass Kallias diesen Satz von Dostojewski so mir nichts, dir nichts als "wunderlich ... geradezu lächerlich absurd" abtut. Ich glaube, darüber kann man mehr nachdenken.
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In Antwort auf: es gibt durchaus Dinge, die ich nicht ertragen will.
Und das ist Intoleranz. Das ist ja gar nicht mal als Vorwurf gemeint. Zitat: Ich würde mich freuen, wenn wir das Rentensystem als Nebenkriegsschauplatz betrachten könnten.
Das Rentensystem haben Sie doch ins Spiel gebracht als Grund für ihren Wunsch regulierter Ehen. ?!?!
Ja, werter dirk, das habe ich. Zusammen mit mindestens zwei anderen Gründen. Ich würde mich freuen, wenn Sie auch noch auf diese beiden eingehen.
Und dabei, dass das staatliche Rentensystem ein gewaltiger Fehler war und ist, da haben Sie mich weitgehend auf Ihrer Seite. Was allerdings nichts daran ändert, dass ich es für unverantwortlich halte, im System "Rente-Ehe-werweißwasnoch" ausgerechnet am ältesten etablierten Baustein die Axt zuerst anzusetzen.
Zu guter Letzt: ich glaube, mit der kurzen knackigen Aussage "Und mal wieder ein schönes Beispiel dafür, dass der Sozialstaat und die durch ihn aufgezwungen finanziellen Verflechtungen, der rationale Kern hinter der Intoleranz sind." haben Sie zwar die logische Stringenz auf Ihrer Seite, aber ein überzeugendes Plädoyer für den kompromisslosen ef-Liberalismus im konkreten Deutschland des Jahres 2008 ist das meines Erachtens nicht. Viel weniger radikale Einschnitte als die Privatisierung des deutschen Rentensystems haben im Russland der neunziger Jahre zu allem anderen als einer freiheitlichen Gesellschaft geführt.
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Also das wörtliche Zitat finde ich nicht, vielleicht existiert es auch gar nicht. Aber sinngemäß ist es die Meinung von Smerdjakov. Als er Iwan in seinem letzen Treffen zum Haupttäter erklärt, sagt er zu Iwan(Seite 837, DTV Ausgabe)
In Antwort auf:Ich hatte früher den Gedanken, dass ich mit einer solchen Summe [die vom Vater gestohlen wurde] ein neues Leben beginnen könnte, in Moskau oder vielleicht gar im Ausland. Diesen Traum hatte ich hauptsächlich deshalb, weil 'alles erlaubt' ist. Sie haben mich das wirklich gelehrt und mir damals viele derartige Dinge gesagt; doch wenn es keinen ewigen Gott gibt, so gibt es auch keine Tugend, und man braucht sie dann auch gar nicht. So habe ich gedacht
In Antwort auf: Ja, werter dirk, das habe ich. Zusammen mit mindestens zwei anderen Gründen. Ich würde mich freuen, wenn Sie auch noch auf diese beiden eingehen.
Das Steuerrecht und was noch?
Die Kirche kann meinetwegen einen Mustervertrag zwischen Mann und Frau ausarbeiten, dieses "Produkt" Ehe nennen und den Markennamen "Ehe" schützen lassen. Habe ich nix dagegen.
Aber es muss möglich sein, dass gleichgeschlechtliche Paare oder wer auch immer Verträge mit den gleichen rechtlichen Konsequenzen eingehen können. Wo sehen sie da ein Problem? Wenn ein Mann mit vier Frauen zusammen leben will, soll er es doch tun dürfen (vorausgesetzt die Frauen wollen auch). Okay, der Staat verzichtet dann vielleicht auf Transferzahlungen an drei nachrangige Frauen.
Zitat von Gorgasal Ja, werter dirk, das habe ich. Zusammen mit mindestens zwei anderen Gründen. Ich würde mich freuen, wenn Sie auch noch auf diese beiden eingehen.
Das Steuerrecht und was noch?
Das Steuerrecht und die Shariagerichtsbarkeit in Zivilsachen in UK, siehe oben.
Zitat von dirkDie Kirche kann meinetwegen einen Mustervertrag zwischen Mann und Frau ausarbeiten, dieses "Produkt" Ehe nennen und den Markennamen "Ehe" schützen lassen. Habe ich nix dagegen.
Aber es muss möglich sein, dass gleichgeschlechtliche Paare oder wer auch immer Verträge mit den gleichen rechtlichen Konsequenzen eingehen können. Wo sehen sie da ein Problem?
Nirgends, solange wir im zivilrechtlichen Bereich zwischen assimilierten und gleichberechtigten Individuen bleiben. Pflichtteile beim Erbe sind auch mir ein Graus. Ich bin auch nicht der Meinung, dass sich der Staat in die Lebensgestaltung der jungen Grünenwähler einmischen sollte.
Zitat von dirkWenn ein Mann mit vier Frauen zusammen leben will, soll er es doch tun dürfen (vorausgesetzt die Frauen wollen auch). Okay, der Staat verzichtet dann vielleicht auf Transferzahlungen an drei nachrangige Frauen.
Nun, bei Ihrer Nebenbemerkung "vorausgesetzt die Frauen wollen auch" habe ich nun einmal Schwierigkeiten. Wenn sich beispielsweise in UK ein eingewanderter Pakistani seine sechzehnjährige Cousine aus Pakistan als Ehefrau nachschicken lässt, die kein Wort Englisch spricht, die er dann nicht auf die Straße lässt, dann kann sie von mir aus so lange sie will "einwilligen", dass ihre Eheprobleme vor einem Shariagericht diskutiert werden - Sie werden mich nicht davon überzeugen können, dass hier kein eklatantes Machtgefälle vorläge. Und genau deswegen habe ich Schwierigkeiten mit dem Rückzug des Staates aus einigen Bereichen, wo Liberale ihn lieber nicht hätten.
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Zitat von KalliasUff, sieh an! Dieser Satz entstammt wohl nur der Folklore über Dostojewski - wieder was gelernt.
Ich glaube, ich habe jetzt gefunden, wo er herkommt. Es ist tatsächlich Sartre, der ihn Dostojewski zugeschrieben hat, und offenbar hat niemand sich die Mühe gemacht, das nachzuprüfen. Ob Sartre es als wörtliches Zitat gemeint hat, ist freilich unklar. Jedenfalls schreibt er es nicht einer Figur von Dostojewski zu, sondern diesem selbst.
Stehen tut es in dem Aufsatz "L'existentialisme est un humanisme":
Zitat von Jean-Paul Sartre Dostoïevski avait écrit : "Si Dieu n’existait pas, tout serait permis." C’est la le point de départ de l’existentialisme. En effet, tout est permis si Dieu n’existe pas, et par conséquent l’homme est délaissé, parce qu’il ne trouve ni en lui, no hors de lui, une possibilité de s’accrocher. Il ne trouve d’abord que pas d’excuses. Si en effet, l’existence précède l’essence, on ne pourra jamais l’expliquer par référence à une nature humaine donnée et figée; autrement dit, il n’y a pas de déterminisme, l’homme est libre, l’homme est liberté. Si d’autre part, Dieu n’existe pas, nous ne trouvons pas en face de nous de valeurs ou des ordres qui légitimeront notre conduite.
Dostojewski hatte geschrieben: "Wenn Gott nicht existierte, wäre alles erlaubt". Genau das ist der Ausgangspunkt des Existenzialismus. In der Tat ist alles erlaubt, wenn Gott nicht existiert, und folglich ist der Mensch verlassen, denn er findet weder in sich selbst noch außerhalb von sich einen Halt. Vor allem findet er keine Entschuldigungen mehr. Wenn in der Tat die Existenz der Essenz vorausgeht, kann man sie niemals in Bezug auf ein vorgegebenes und starres Wesen des Menschen erklären; anders gesagt, es gibt keinen Determinismus, der Mensch ist frei, der Mensch ist Freiheit. Wenn andererseits Gott nicht existiert, dann befinden wir uns nicht gegenüber von Werten oder Anweisungen, die unser Verhalten legitimieren würden.
Das ist so ziemlich der Kern der Sartre'schen Philosophie. Ich habe den Text jetzt aus dem Web kopiert, aber irgendwo muß ich auch noch das kleine, beige Heftchen haben.
Mich hat das damals tief beeindruckt, wie viele in den fünfziger, sechziger Jahren. Ich habe sogar mal einen Besinnungsaufsatz geschrieben, in dem ich Sartre untergebracht und mit Freuds Determinismus kontrastiert habe.
Also, es ist Sartre und nicht Dostojewski. Aber Sie haben sicherlich recht:
Zitat von KalliasEs ist allerdings einer jener Sätze, die sich so viele Menschen zu eigen gemacht haben, daß es gar nicht mehr besonders wichtig ist, was an dem Ursprungsmythos dran ist; man zitiert das ja meistens - so auch in diesem Thread - nicht, um über Dostojewski zu diskutieren, sondern um sich über ethische Fragen zu zerstreiten.
Zitat von KalliasEin anderer Satz dieses Kalibers ist Adornos "Es gibt kein richtiges Leben im Falschen." Was dieser Satz in hunderttausenden von Hirnen angerichtet hat, ist viel wichtiger als die Frage, was Adorno, falls er ihn wirklich geäußert hat, damit gemeint haben könnte.
Da kann ich zufällig mit einer Aufklärung dienen. Martin Walser hat es in einem kleinen Aufsatz oder Vortrag mal erwähnt: Der Satz bezieht sich auf die moderne Wohnkultur!
Es ist die falsche Wohnumgebung, die Adorno laut Walser meinte (nachgeprüft habe ich es nicht). Und in WimS war mal zu lesen "Es gibt kein richtiges leben im Valschen"; vermutlich von Gernhardt.
Der Satz ist der reine Blödsinn; entweder trivial oder sinnleer. Aber man kann schön drüber dischbudiere, wie man in Tübingen sagte, wo ich mal meine ersten Versuche zum Dischbudiere gemacht habe.
Herzlich, Zettel
str1977
(
gelöscht
)
Beiträge:
02.12.2008 22:32
#100 RE: Zettels Meckerecke: Die Verbieter sind überall
Zitat von dirkEs gibt ja die berühmte These "Wenn Gott tot ist, ist alles erlaubt".
Ja, das ist schon ein wunderlicher Satz, so wie er dasteht geradezu lächerlich absurd; mit einfacher Logik würde ja aus ihm zum Beispiel folgen: "Gibt es Gott nicht, wäre Handspiel sogar im Strafraum erlaubt". So kann es nicht gemeint sein! Welche Regeln gelten, was erlaubt und was verboten ist, entscheidet nicht die Religionsphilosophie, sondern darüber bestimmen Sitten und Gebräuche, Erfahrung, Gesetzgeber und gelegentlich auch Sportverbände.
Tja, anscheinend haben Sie den Satz wirklich nicht verstanden. Oder aber das grundlegende philosophische Problem.
Es geht hier nicht um Verstöße gegen Spielregeln in einem Spiel. Ein Spiel besteht aus verschiedenen Mitspielern, die sich letztlich nur auf ein paar Regeln einigen müssen. Sie könnten auch das Handspiel (was im Fußball übrigens nicht nur im Strafraum verboten ist) erlauben. Das haben sie auch getan und das Ergebnis war Rughy.
Aber ich schweife ab. Es ist ja trivial das es große und kleine Regeln gibt, die unser Zusammenleben regeln. Aber die Frage ist, woher diese Regeln denn ihre Berechtigung haben. Im Spiel ist das (s.o.) einfach, denn dort geht es um nichts. Aber im reellen Zusammenleben?
Letzendlich gibt es hier zwei Möglichkeiten:
1. Es gibt ein Naturrecht, welches bestimmte Grundprinzipien vorgibt. An diesen müssen sich dann positive Regeln messen.
2. Es gibt keine naturrechtlichen Vorgaben, sondern die Handlungsfreiheit von einzelnen Individuen. Die positiven Regeln bestimmen dann jene, die die Macht dazu haben, Sie durchzusetzen. Es heißt auch, das die Regeln einzig auf dem Prinzip Strafe bei Verstoß basieren. Und wenn man nur mächtig genug ist, kann man sich über die Regeln hinwegsetzen. Dies haben z.B. die Sophisten vertreten und die Position hat sich seither nicht geändert.
In Antwort auf:Doch wenn sich der Satz nicht auf die praktischen Regeln, Normen und Gesetze beziehen soll, mit denen wir als gesellige Wesen miteinander auszukommen versuchen, sondern auf einen moralischen Anspruch, der uns aus transzendenten Sphären entgegenkommt, dann klingt er plötzlich lächerlich banal: Wenn Gott nicht existiert, dann gibt es keine göttlichen Verbote, sondern nur menschliche. Wie auch anders?
Ja, nur gibt es dann auch keine feste Grundlage für diese menschlichen Regeln. Sie können jederzeit zu gunsten der Mächtigen und ihrer Interessen verändert werden.
Der Satz ist also nicht absurd und, zumindest für Sie, nicht trivial, sondern spricht eine Grundwahrheit aus, um die sich viele heutzutage herumdrücken.
Es ist nicht so, daß alle Gläubigen gute Menschen wären und alle Atheisten böse. Nur, der Atheist hat für sein gutes Handeln keinen vernünftigen Grund, spätestens dann nicht, wenn das gute Handeln ihm persönlich Nachteile einbringt, z.B. wenn er einem Schwächeren gegen einen Angriff beisteht oder auch nur ein Unfallopfer versorgt und deshalb zur spät zur Arbeit kommt.
(PS. Gott stehe in diesem Fall für eine höhere Macht im allgemeinen, und Atheismus für die Leugnung derselben.)
In Antwort auf:Schließlich hat der Satz des Christen Dostojewski noch einen eigenartig unchristlichen Klang. Der springende Punkt bei dem Christentum ist doch, daß die Härte des moralischen Müssens durch Gottes barmherzige Liebe zwar nicht aufgehoben, aber relativiert wird.
Was sollte daran unchristlich sein? Es geht eben doch darum, daß es ohne Gott überhaupt keine Moral, die diesen Namen verdient hätte und befolgenswert wäre. Und nein, im Christentum wird das moralische Sollen (nicht Müssen) eben nicht relativiert. Durch die Gnade wird dem Menschen ermöglicht, umzukehren und sein Verhältnis zu Gott wieder ins Reine zu bringen. Das ist eben keine Ausnahmegenehmigung vom moralischen Verhalten.
In Antwort auf:"Liebe, und tu was du willst" - auf dieser Grundlage läßt sich doch eine Gesellschaft aufbauen, die mit wenig ausdrücklichen Verboten auskommt, während umgekehrt die atheistische Staaten des 20. Jahrhunderts nicht gerade durch Permissivität aufgefallen sind (was Dostojewski natürlich noch nicht wissen konnte).
Leider kommt man mit "Liebe und tu was du willst" nicht weit, denn was ist denn "liebe" und was "will" man denn? Wieviel Untaten wurden schon aus Liebe getan? Mielke liebte doch auch alle Menschen.
Und da sieht man halt, die moralischen Pflichten gelten ja für alle und binden gerade jene, die die Macht hätten, auch anders zu handeln. Insofern waren die atheistischen Staaten allesamt extrem permissiv - sich selbst gegenüber und haben sich allerhand erlaubt.
Der Satz mag eine gute Zusammenfassung sein, so wie "Liebe Gott ... und deinen Nächsten wie dich selbst. Das ist das ganze Gesetz und die Propheten." Der Rest nur Kommentar. Aber der Kommentar ist trotzdem nötig - er darf nur die Zusammenfassung nicht überwuchern oder verdrängen.
Gruß, str1977
Faschismus und Antifaschismus sind nicht dasselbe, genausowenig wie Libanon und Antilibanon. Aber beide sind aus Stein gemacht.
Laissez faire, laissez aller, laissez abimer.
Liberalismus ist die Ideologie, die, wenn etwas zu verderben droht, nicht nur nichts unternimmt, sondern auch anderen von Gegenmaßnahmen abrät, um anschließend das verfaulte Resultat zum Ideal zu erklären.
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