Zitat Mir scheint das sehr eindeutig zu sein: Liegt Täuschung vor, dann kann die Prüfung nachträglich als nicht bestanden erklärt werden. Liegen andere Mängel vor, dann sind diese durch das Bestehen der Prüfung geheilt.
Tertium datur! Ich verstehe die Regelungen so, daß es nach Abschluß des Promotionsverfahrens drei mögliche Fälle gibt:
a) Der Doktorand hat getäuscht, d.h. absichtlich gegen wissenschaftliche Standards verstoßen, z.B. durch ein bewußtes Plagiat. In diesem Fall wird der Grad aberkannt.
b) Bestimmte "Voraussetzungen für die Zulassung zur Promotion" waren "nicht erfüllt", ohne daß der Doktorand täuschen wollte. In diesem Fall werden die Mängel duch das erfolgreiche Durchlaufen des Verfahrens geheilt. Ich verstehe das so, daß es hier auschließlich oder primär um formale Punkte geht, z.B. wenn ein Kandidat über einen exotischen ausländischen Grad auf B.A.-Niveau verfügt, der eigentlich nicht zu einer Promotion berechtigt.
c) Wesentliche Voraussetzungen für die Verleihung waren nicht gegeben. Das wäre m.E. der Fall, wenn zu Guttenbergs Version der Geschichte stimmte. Er hätte dann (ohne daß ihm oder einem der Gutachter dies aufgefallen wäre) einen Text abgeliefert, der keine Dissertation im Sinne der Promotionsordung darstellt. Folge wie in Fall a) Verlust des Grades, aber eben keine Täuschungsabsicht.
In vielen Promotionsordnungen, die ich mir in den letzten Tagen angeschaut habe, findet sich genau die erwähnte Formulierung "Täuschung oder Nichtvorliegen einer wesentlichen Voraussetzung", und das scheint mir auch eine sinnvolle Regelung zu sein. Wenn eine Täuschung eine bestimmte Absicht voraussetzt, diese aber (der Natur eines mentalen Zustandes entspechend) nicht direkt nachgewiesen werden kann, dann kann man sich mit einer solchen Regelung die Spekulation um die Frage "Gravierende Fehler oder Täuschung" ersparen und den Grad unabhängig von den Intentionen des Doktoranden entziehen.
P.S. Wie sorgt man eigentlich dafür, daß bei Zitaten aus anderen Beiträgen automatisch der Urheber genannt wird? Mit dem Quote-Button wird immer nur ein Standardzitat erzeigt.
Zitat von DrNickP.S. Wie sorgt man eigentlich dafür, daß bei Zitaten aus anderen Beiträgen automatisch der Urheber genannt wird? Mit dem Quote-Button wird immer nur ein Standardzitat erzeigt.
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Zur Sache: Mir leuchtet Ihre Argumentation schon ein, lieber DrNick; ich vermute, daß Sie Jurist sind,während ich von der Juristerei keinen Schimmer habe.
Ich frage mich nur, warum dieser dritte Fall dann nicht im § 16 geregelt ist, wohl aber die beiden anderen Fälle. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Zitat von Zettel Zur Sache: Mir leuchtet Ihre Argumentation schon ein, lieber DrNick; ich vermute, daß Sie Jurist sind,während ich von der Juristerei keinen Schimmer habe.
Ich frage mich nur, warum dieser dritte Fall dann nicht im § 16 geregelt ist, wohl aber die beiden anderen Fälle. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Ich vermute mal, daß man man dachte, es sei ausreichend, auf ein bestehendes Gesetz zu verweisen. Andererseits hätte es dann natürlich nahegelegen, sich nur auf das Gesetz zu beziehen. So sind einige Kriterien für die Aberkennung sozusagen doppelt geregelt.
Ich bin übrigens kein Jurist (sondern Philosoph), ich habe aber seit meiner Zeit als Mittelbauvertreter im Fakultätsrat ein gewisses Faible für hochschulrechtliche Fragen entwickelt. Wenn man einmal gemerkt hat, wie hilfreich die genaue Lektüre von Gesetzestexten sein kann, ist das schon recht motivierend.
In der konkreten Frage kann ich natürlich auch komplett daneben liegen, aber mir scheint schon einiges für die von mir favorisierte Lesart zu sprechen. Es ist natürich nicht sehr plausibel, daß zu Guttenberg die Sache im Bundestag korrekt dargestellt hat; ich wüßte allerdings auch nicht so recht, wie man ihm das bewußte Abschreiben wirklich nachweisen will, und das müßte ich ja, wenn nur eine Täuschung i.e.S. zählt.
Zitat von ZettelDann darf ich Ihren Avatar so interpretieren, daß Sie sich das Grenzgebiet zwischen Mathematik und Philosophie interessieren?
Ich interessiere mich für vieles, von der Philosophie der Mathematik bis hin zur Wirtschaftsethik, tätig bin ich aber v.a. im Bereich Sprachphilosophie und Philosphische Logik, aber auch dort hat ja der gute alte Frege einiges geleistet.
Darüber hinaus scheint mir Frege (womit wir schon fast wieder beim Thema Guttenberg sind) auch in Sachen wissenschaftliches Ethos ein echtes Vorbild zu sein: Ein wissenschaftliches Projekt, an dem man Jahrzehnte gearbeitet hat, aufgrund eines einzigen Einwandes beiseite zu legen, obwohl man den Einwand zumindest formal hätte entkräften können - wer das schafft, ist jemand, dem es um Wahrheit und nicht um Titel, Posten, Macht oder Drittmittel geht.
Zitat von ZettelIch frage mich nur, warum dieser dritte Fall dann nicht im § 16 geregelt ist, wohl aber die beiden anderen Fälle. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Ich vermute mal, daß man man dachte, es sei ausreichend, auf ein bestehendes Gesetz zu verweisen. Andererseits hätte es dann natürlich nahegelegen, sich nur auf das Gesetz zu beziehen. So sind einige Kriterien für die Aberkennung sozusagen doppelt geregelt.
Gut möglich. Andererseits: Ich habe auch an der einen oder anderen Promotionsordnung, Diplomprüfungsordnung und dergleichen mitgearbeitet und weiß, wie gründlich geprüft wir.
Das geht ja alles zum Justiziar, der es (so habe ich es wenigstens erlebt) peinlich genau prüft. Es wird dann noch einmal von den Juristen im Ministerium geprüft (wurde es wenigstens; kann sein, daß das mit der zunehmenden Autonomie der Hochschulen teilweise jetzt anders ist). Im allgemeinen ist das Ergebnis einwandfrei, auch was die innere Logik angeht.
Wie auch immer: Mir scheint, daß sich die Uni Bayreuth sehr vernünftig verhält. Hätte man den Ausgang eines Aberkennungsverfahren nach §16 abgewartet, dann hätte Guttenberg bis zu dessen Ergebnis den Titel behalten.
Und man wird gründlich prüfen; man kann ja nicht ins Prüfungsergebnis schreiben "siehe GuttenPlag Wiki".
Es wird vor allem darum gehen, ob man die Schutzbehauptung Guttenbergs entkräften kann, das sei ihm alles ohne Absicht passiert. Man hat ja angekündigt, ihn ggf. dazu sogar mündlich hören zu wollen. Da müssen Indizien geprüft werden; vielleicht gelangt ja meine kleine Handreichung irgendwie an die Uni Bayreuth.
Also hat man erst einmal den schnellen Weg über die Zurücknahme eines Verwaltungsakts gewählt. Vermutlich hätte man das nicht gemacht, wenn Guttenberg nicht dazu schon sein Einverständnis erklärt gehabt hätte; ein anderer wäre vielleicht sofort vors Verwaltungsgericht gezogen.
Jetzt kann man in Ruhe prüfen; und ich glaube nicht, daß das Ergebnis Guttenberg freuen wird.
Alle diese Spekulationen über CSU-Verbindungen, Rhön-Klinikum und so weiter erscheinen mir aus der Luft gegriffen. Das ist die typische linke Denke (und auch Denke am rechtspopulistischen Rand), daß überall nur gelogen und betrogen wird.
Herzlich, Zettel
Edit: Statt "am rechtspopulistischen Rand" hatte ich zuerst "rechtsextrem" geschrieben. Das erschien mir beim Wiederlesen zu ... extrem.
Zitat von DrNickIch interessiere mich für vieles, von der Philosophie der Mathematik bis hin zur Wirtschaftsethik, tätig bin ich aber v.a. im Bereich Sprachphilosophie und Philosphische Logik, aber auch dort hat ja der gute alte Frege einiges geleistet.
Wahrlich. Ich bin auf ihn schon ziemlich am Anfang meines Studiums aufmerksam geworden, und zwar über Russel.
Für ihn hatte ich mich begeistert, weil ich mich für Leibniz interessiert hatte; und Russels Leibniz-Buch ist auch aus meiner heutigen Sicht ein Klassiker der fairen Auseinandersetzung mit einem der Riesen, auf deren Schultern wir stehen.
Zitat von DrNickDarüber hinaus scheint mir Frege (womit wir schon fast wieder beim Thema Guttenberg sind) auch in Sachen wissenschaftliches Ethos ein echtes Vorbild zu sein: Ein wissenschaftliches Projekt, an dem man Jahrzehnte gearbeitet hat, aufgrund eines einzigen Einwandes beiseite zu legen, obwohl man den Einwand zumindest formal hätte entkräften können - wer das schafft, ist jemand, dem es um Wahrheit und nicht um Titel, Posten, Macht oder Drittmittel geht.
Sie meinen das Russel'sche Paradox? Hat Frege denn die Begriffsschrift beiseite gelegt? Wenn ich mich rechtt erinnre, hat er nur ein Nachwort oder so etwas geschrieben, wo er rückhaltlos anerkennt, daß Russels Einwand berechtigt ist.
Wie er ihn dann selbst zu bewältigen versucht hat, weiß ich nicht. Ich jedenfalls, lieber DrNick habe damals als 20jähriger buchstäblich nachts geträumt von dem Barbier, der alle rasiert, die sich selbst nicht rasieren.
Vielleicht interessiert Sie, was hier gelegentlich zur Philosophie diskutiert wurde; in letzter Zeit leider kaum noch. Zum Beispiel die Diskussion zur Willensfreiheit (zu der meines Erachtens Kant viel weiter vorgedrungen ist als die meisten, die das heute diskutieren). Oder zum Kreationismus, in dem in Gestalt des Bauchnabel-Arguments ja auch ein logisches Problem steckt.
Immer mal wieder beziehe ich mich auf Kant; eine der Kant-Diskussionen - vor allem mit Herr - beginnt hier
Kant wird meines Erachtens in der analytischen Philosophie und der Philosophy of Mind zu wenig gewürdigt; und zwar schlicht, weil man ihn zu wenig kennt. Ins Englische übersetzt ist er ungenießbar; und wer in der Liga von Dennett, Searle, Dretske kann schon deutsch? (Dennett hat einmal fröhlich erklärt, daß er sogar kein Griechisch kann - für einen Meisterphilosophen bemerkenswert. Er ist aber ein brillanter Kopf; ich hatte einmal das Vergnügen, am Rand einer Konferenz mit ihm eine längere Diskussion zu haben. Bemerkenswert, wie er sich in naturwissenschaftliche Details einarbeitet).
Und wenn Sie sich das auch noch antun wollen: Es gab mal eine sehr intensive Diskussion zu Hegel, mit Gomez. Sie beginnt hier.
Zitat von ZettelSie meinen das Russel'sche Paradox? Hat Frege denn die Begriffsschrift beiseite gelegt? Wenn ich mich rechtt erinnre, hat er nur ein Nachwort oder so etwas geschrieben, wo er rückhaltlos anerkennt, daß Russels Einwand berechtigt ist.
Die "Begriffsschrift" als logisches Werk ist natürlich keinen grundsätzlichen Einwänden ausgesetzt, aber für Frege war sie ja letztlich nur ein Instrument, um das zu leisten, was er später in seinen dicken "Grundgesetzen" durchgeführt hat: nämlich aufzuzeigen, daß Arithmetik nichts anderes als Logik ist. Und als Russell ihn auf die Antinomie hinwies, die sich aus Freges "Grundgesetz V" ergibt, hat er das gesamte logizistische Projekt, an dem er ja fast sein ganzes Leben gearbeitet hat, sofort als gescheitert betrachtet.
Das ist insofern tragisch (aber eben auch ein Beleg für Freges unglaubliche Redlichkeit), als er diesen Defekt sehr einfach hätte heilen können. Das "Grundgesetz V", das ja im wesentlichen besagt, daß man zu jedem Begriff F eine entsprechende Menge konstruieren kann, wird von Frege eigentlich nur benötigt, um "Humes Prinzip" abzuleiten, demzufolge die Anzahl der F-Dinge genau dann identisch mit der Anzahl der G-Dinge ist, wenn es eine Bijektion zwischen den beiden Mengen gibt.
Auf der formalen Ebene hätte Frege also auf den Russell-Einwand so reagieren können: "Na gut, Russell, Du hast da ein kleines Problemchen aufgedeckt, aber das ergibt sich ja nur dadurch, daß ich versucht habe, das Fundament zu tief zu legen. Humes Prinzip ist aber doch genauso evident wie mein "Grundgesetz V", aus dem sich die Antinomie ableiten läßt, also verwende ich einfach Humes Prinzip als Grundlage meines Systems."
Frege war sich nun über diesen möglichen Ausweg völlig klar, er hat ihn aber letztlich aus philosophischen Skrupeln nicht gewählt (während heute etliche "Neo-Fregeaner" meinen, er hätte genau so vorgehen sollen).
Zitat von Zettel Kant wird meines Erachtens in der analytischen Philosophie und der Philosophy of Mind zu wenig gewürdigt; und zwar schlicht, weil man ihn zu wenig kennt. Ins Englische übersetzt ist er ungenießbar; und wer in der Liga von Dennett, Searle, Dretske kann schon deutsch? (Dennett hat einmal fröhlich erklärt, daß er sogar kein Griechisch kann - für einen Meisterphilosophen bemerkenswert. Er ist aber ein brillanter Kopf; ich hatte einmal das Vergnügen, am Rand einer Konferenz mit ihm eine längere Diskussion zu haben. Bemerkenswert, wie er sich in naturwissenschaftliche Details einarbeitet).
Bei den Themen, mit denen Dennett sich beschäftigt, ist das ja vielleicht noch legitim. Ich wundere mich eher darüber, daß im angelsächsischen Raum zunehmend auch philosophiehistorische Arbeiten (und zwar bei angesehenen Verlagen) erscheinen, in denen die Autoren über Kant, Hegel, Frege oder Wittgenstein schreiben, ohne auch nur ein bißchen Deutsch zu können. Ich kann mir nicht vorstellen, daß man an einer deutschen Universität einen Doktorvater für eine Arbeit über, sagen wir, Aristoteles finden würde, wenn man kein Griechisch kann. (Bei der Gelegenheit: Es war in der Bundestagsdebatte nett zu beobachten, wie sich Trittin über zu Guttenbergs "verschwurbeltes" Vorwort lustig machte, ohne sich vorher einmal über die Betonung des Wortes "kairós" aufklären zu lassen.)
Bei Kant ist das - da haben Sie völlig recht - besonders problematisch. Mich hat einmal ein amerikanischer Philosoph gefragt, was sich denn hinter dem deutschen Wort verbirgt, das in den üblichen englischen Kant-Übersetzungen mit "intuition" wiedergegeben wird. Er war recht überrascht, daß das Wort "Anschauung" überhaupt nichts Mysteriöses an sich hat.
Zitat von DrNickIch interessiere mich für vieles, von der Philosophie der Mathematik bis hin zur Wirtschaftsethik, tätig bin ich aber v.a. im Bereich Sprachphilosophie und Philosphische Logik, aber auch dort hat ja der gute alte Frege einiges geleistet.
Wahrlich. Ich bin auf ihn schon ziemlich am Anfang meines Studiums aufmerksam geworden, und zwar über Russel.
Für ihn hatte ich mich begeistert, weil ich mich für Leibniz interessiert hatte; und Russels Leibniz-Buch ist auch aus meiner heutigen Sicht ein Klassiker der fairen Auseinandersetzung mit einem der Riesen, auf deren Schultern wir stehen.
Zitat von DrNickDarüber hinaus scheint mir Frege (womit wir schon fast wieder beim Thema Guttenberg sind) auch in Sachen wissenschaftliches Ethos ein echtes Vorbild zu sein: Ein wissenschaftliches Projekt, an dem man Jahrzehnte gearbeitet hat, aufgrund eines einzigen Einwandes beiseite zu legen, obwohl man den Einwand zumindest formal hätte entkräften können - wer das schafft, ist jemand, dem es um Wahrheit und nicht um Titel, Posten, Macht oder Drittmittel geht.
Sie meinen das Russel'sche Paradox? Hat Frege denn die Begriffsschrift beiseite gelegt? Wenn ich mich rechtt erinnre, hat er nur ein Nachwort oder so etwas geschrieben, wo er rückhaltlos anerkennt, daß Russels Einwand berechtigt ist.
Wie er ihn dann selbst zu bewältigen versucht hat, weiß ich nicht. Ich jedenfalls, lieber DrNick habe damals als 20jähriger buchstäblich nachts geträumt von dem Barbier, der alle rasiert, die sich selbst nicht rasieren.
Vielleicht interessiert Sie, was hier gelegentlich zur Philosophie diskutiert wurde; in letzter Zeit leider kaum noch. Zum Beispiel die Diskussion zur Willensfreiheit (zu der meines Erachtens Kant viel weiter vorgedrungen ist als die meisten, die das heute diskutieren). Oder zum Kreationismus, in dem in Gestalt des Bauchnabel-Arguments ja auch ein logisches Problem steckt.
Immer mal wieder beziehe ich mich auf Kant; eine der Kant-Diskussionen - vor allem mit Herr - beginnt hier
Kant wird meines Erachtens in der analytischen Philosophie und der Philosophy of Mind zu wenig gewürdigt; und zwar schlicht, weil man ihn zu wenig kennt. Ins Englische übersetzt ist er ungenießbar; und wer in der Liga von Dennett, Searle, Dretske kann schon deutsch? (Dennett hat einmal fröhlich erklärt, daß er sogar kein Griechisch kann - für einen Meisterphilosophen bemerkenswert. Er ist aber ein brillanter Kopf; ich hatte einmal das Vergnügen, am Rand einer Konferenz mit ihm eine längere Diskussion zu haben. Bemerkenswert, wie er sich in naturwissenschaftliche Details einarbeitet).
Und wenn Sie sich das auch noch antun wollen: Es gab mal eine sehr intensive Diskussion zu Hegel, mit Gomez. Sie beginnt hier.
Herzlich, Zettel
Edit: Natürlich Russell. Daß mir der Verschreiber gleich mehrfach passiert ist, ist mir peinlich.
Dank an Leibniz, der mich diskret aufmerksam gemacht hat.
Zitat von DrNickDie "Begriffsschrift" als logisches Werk ist natürlich keinen grundsätzlichen Einwänden ausgesetzt, aber für Frege war sie ja letztlich nur ein Instrument, um das zu leisten, was er später in seinen dicken "Grundgesetzen" durchgeführt hat: nämlich aufzuzeigen, daß Arithmetik nichts anderes als Logik ist. Und als Russell ihn auf die Antinomie hinwies, die sich aus Freges "Grundgesetz V" ergibt, hat er das gesamte logizistische Projekt, an dem er ja fast sein ganzes Leben gearbeitet hat, sofort als gescheitert betrachtet. Das ist insofern tragisch (aber eben auch ein Beleg für Freges unglaubliche Redlichkeit), als er diesen Defekt sehr einfach hätte heilen können.
Erstens, wenn es "sehr einfach" gewesen wäre hätte der größte Logiker seit Aristoteles oder Russell das wohl auch schnell mal erledigt.
Zweitens, dass Frege das "sofort als gescheitert betrachtet" ist nicht richtig. Frege arbeitet sofort an einer Rettung und schlägt eine im Anhang des zweiten Bands der Grundgesetze auch vor. Russell schrieb zur gleichen Zeit die Principles und sagt zu Freges Rettungsversuch: "As it seems very likely that this is the true solution.." Nach Erscheinen beider Bücher wurde indessen schnell klar, dass der Rettungsversuch gescheitert war.
Drittens, Freges 'unglaubliche Redlichkeit' wird jedem Mathematikern bei jedem seiner Sätze abverlangt, das ist täglich Brot, da gibt es keine Diskussionen, das Dingens ist entweder richtig oder falsch. Und Frege hat an dieser Stelle wie ein Mathematiker reagiert (und ich verkneife mir jetzt zu sagen 'und nicht wie ein Philosoph', obwohl es einige Philosophen gibt, die an solch einer Stelle in ein unendliches Labern zu verfallen pflegen.)
Nochmal zur Sache selbst: Das grundlegende Problem der Fregeschen Grundlagen der Arithmetik lässt sich so zusammenfassen:
For anything like Frege's program to succeed, it must at some point assert (as an axiom or theorem) the existence of (logical) objects of some kind. [1]
Und das ist ganz typisch für die Probleme, die entstehen, wenn mathematische und philosophische Sachverhalte zusammenstoßen. Dabei sind dem Mathematiker Fragen zur Existenz reichlich gleichgültig; und der Philosoph kann das überhaupt nicht verstehen ;-)
Zitat von LeibnizUnd das ist ganz typisch für die Probleme, die entstehen, wenn mathematische und philosophische Sachverhalte zusammenstoßen. Dabei sind dem Mathematiker Fragen zur Existenz reichlich gleichgültig; und der Philosoph kann das überhaupt nicht verstehen ;-)
Hm, sind sie Mathematikern wirklich gleichgültig?
Ich habe mich damit nur einmal am Rande befaßt, und es ist auch schon lange her. Ich hatte damals Diskussionen mit einem Mathematiker, der bei Andreas Speiser promoviert hatte. Diesem ging es offenbar zentral um die Frage des Platonismus in der Mathematik.
Kann man dem wirklich entgehen? Speiser war Zahlentheoretiker. Wie kann man Aussagen über Zahlen machen, wenn es diese gar nicht gibt?
Wenn ich mich recht erinnere (ich habe das jetzt nicht nachgelesen), hat Russell die Zahl N als die Menge aller Mengen definiert, die N Elemente enthalten. Aber was meinen wir mit N Elementen? Existieren diese Elemente, oder gibt es sie gar nicht?
Ich glaube, lieber Leibniz, eher nicht, daß die Mathematik um die Ontologie herumkommt. Man kann sie natürlich ausklammern, aber damit verschwinden Fragen ja nicht.
Herzlich, Zettel
Edit: Das vergessene, aber nicht unerhebliche Wort "nicht" nachgetragen.
Zitat von ZettelWenn ich mich recht erinnere (ich habe das jetzt nachgelesen), hat Russell die Zahl N als die Menge aller Mengen definiert, die N Elemente enthalten. Aber was meinen wir mit N Elementen? Existieren diese Elemente, oder gibt es sie gar nicht?
Für die natürlichen Zahlen gibt es viele Konstruktionen. Mir wurde seinerzeit folgende vermittelt: wir setzen die Existenz der leeren Menge axiomatisch voraus; diese leere Menge nennen wir 0. Aus der 0 konstruieren wir eine Menge namens 1 als Vereinigungsmenge der leeren Menge und derjenigen Menge, die die leere Menge als einziges Element enthält. Und so weiter. Die nötigen Axiome für diese Konstruktion sind in allen Axiomatiken enthalten, beispielsweise ZFC, die sich erst dann unterscheiden, wenn es um interessante Dinge geht, wie das Auswahlaxiom und derlei Exoten.
Und schon müssen wir nur die Existenz der leeren Menge postulieren, dazu einige Axiome, und den Rest überlassen wir den Philosophen...
-- Margot Käßmann erhält für ihren Rücktritt nach einer betrunkenen Autofahrt den Europäischen Kulturpreis für Zivilcourage. - Der Spiegel, nicht am 1. April
Zitat von WikipediaFür Leibniz galt die Devise: „Ohne Gott ist nichts.“ Deshalb setzte er für Gott die Eins und für das Nichts die Null.
Absolut genial, wie ich finde. Weil Leibniz zwei Zahlen an den Anfang stellt und daraus das Dualsystem aufbaut hat er damit sofort alle (natürlichen) Zahlen. Ästhetisch der schönste Aufbau den ich kennen. In der Mathematik wird aber heute so nicht vorgegangen. Da geht man so vor wie Gorgasal es beschreibt.
Um in der façon de parler von Leibniz zu bleiben, man verzichtet auf die Eins (Gott) und fängt (ähnlich wie Gott) mit dem Nichts an. Diese 'Null' wird Nullmenge oder 'leere Menge' genannt. Deren Existenz muss man postulieren, axiomatisch. (In einer voll entwickelten Axiomatik noch nicht einmal das, da folgt sie sogar aus dem Unendlichkeitsaxiom und weiteren Axiomen.)
Jedenfalls haben wir jetzt die Nullmenge und hier ist ihr Bezeichnung: {}. Zwischen den geschweiften Klammern steht nichts -- eben. Vereinfachen wir die Schreibweise und wählen wir dazu Zeichen die uns vertraut sind, so schreiben wir 0.
So, jetzt betrachten wir {{}}. Das ist eine Menge, die die leere Menge {} enthält. Bezeichnen wir sie mit 1.
Sie ahnen bereits, wie es weitergeht. Jetzt betrachten wir {{},{{}}}. Das ist die Menge, welche die mit 0 und die mit 1 bezeichnete Menge enthält. Bezeichnen wir sie mit 2.
Jetzt abstrakt und allgemein: man identifiziert eine Zahl mit der Menge ihrer Vorgänger. Das klingt zwar ähnlich wie die Russell-Whitehead Definition der Principia, aber da gibt es einen großen Unterschied.
Zitat von ZettelWenn ich mich recht erinnere (ich habe das jetzt nicht nachgelesen), hat Russell die Zahl N als die Menge aller Mengen definiert, die N Elemente enthalten.
"Die Menge aller Mengen definiert, die N Elemente enthalten" ist 'zu groß' als dass sie eine Menge sein könnte. 'Zu groß' heißt hier, dass man spezielle Vorkehrungen treffen müsste, damit sie kein Unheil anrichtet (sprich zu Widersprüchen führt).
Diese Vorkehrungen (wie sie zum Beispiel Russell-Whitehead getroffen haben) sind ziemlich kompliziert. Deshalb wird dieser Weg seit Ernst Zermelo und Abraham Fraenkel nicht mehr beschritten.
Sie können das gerne als eine ontologische Entscheidung der Mathematiker im Sinne des Ockhamschen Rasiermessers interpretieren.
Zitat von Zettel Ich glaube nicht, [...] daß die Mathematik um die Ontologie herumkommt. Man kann sie natürlich ausklammern, aber damit verschwinden Fragen ja nicht.
Natürlich nicht. Sehen Sie es vielleicht so: Mit dem vom Mathematiker angestrebten ontologischen Minimalismus will er dem Philosophen die Arbeit erleichtern: dieser braucht dann nicht mehr über so vieles nachzudenken. Den Rest muss der Philosoph dann aber schon selber schaffen ;)
Zitat von Leibniz Zweitens, dass Frege das "sofort als gescheitert betrachtet" ist nicht richtig.
Da habe ich mich in der Tat etwas mißverständlich ausgedrückt: Frege hat das Problem sofort als echten Einwand betrachtet und sehr schnell das ganze Projekt aufgegeben, und letzteres hätte er ja nicht tun müssen. Der zweite Band der Grundgesetze erschien 1903, und Frege ist 1925 gestorben. Andere Wissenschaftler hätten diese Zeit wahrscheinlich für Reparaturmaßnahmen genützt, um ihr Lebenswerk zu retten. Frege hat den ganzen Ansatz ad acta gelegt, obwohl es verschiedene Möglichkeiten gegeben hätte, den Logizismus gegen Einwände zu immunisieren. Genau deswegen hatte ich von großer Redlichkeit gesprochen.
Zitat von Leibniz Drittens, Freges 'unglaubliche Redlichkeit' wird jedem Mathematikern bei jedem seiner Sätze abverlangt, das ist täglich Brot, da gibt es keine Diskussionen, das Dingens ist entweder richtig oder falsch. Und Frege hat an dieser Stelle wie ein Mathematiker reagiert (und ich verkneife mir jetzt zu sagen 'und nicht wie ein Philosoph', obwohl es einige Philosophen gibt, die an solch einer Stelle in ein unendliches Labern zu verfallen pflegen.)
Dazu zwei Punkte:
a) Freges "Grundgesetz V" und äquivalente Axiome führen in der Tat zu Widersprüchen. Soweit gilt in der Tat: "entweder richtig oder falsch". Die Frage ist aber, was hieraus wiederum folgt. Frege hat an dieser Stelle eben nicht gesagt: "Nun gut, wir brauchen eben eine nicht-naive Mengentheorie, und jetzt basteln wir so lange rum, bis es funktioniert"; vielmehr hat er sein logizistisches Projekt insgesamt aufgegeben, und der Grund dafür war, daß er sehr genaue Vorstellungen davon hatte, was als eine philosophisch akzeptable Fundierung der Arithmetik gelten kann (in seinen Grundlagen der Arithmetik finden sich seine Überlegungen zu diesen Punkten.)
b) Die Fragen, mit denen sich Frege beschäftigt hat (v.a. "Was sind Zahlen?" und "Wie sind uns Zahlen gegeben?") sind zumindest aus heutiger Sicht philosophische (genauer: ontologische bzw. erkenntnistheoretische) Probleme. Ich weiß aber nicht, ob es historisch angemessen ist, in bezug auf die Debatten um 1900 so klar zwischen Philosophie und Mathematik zu unterscheiden. Cantors Arbeiten wurden von vielen mathematischen Zeitgenossen zunächst nicht als genuine Mathematik, sondern als eine Art von schlechter Metaphysik betrachtet, und noch in den 1920 Jahren haben wir die Dabatte um den Intuitionismus, die wiederum erkenntnistheoretische und ontologische Fragen aufgriff.
Rieble stellt dort die These auf, daß die Universität Bayreuth in der Sache völlig korrekt gehandelt hat und auch gar nicht mehr das Recht hat, das Vorliegen einer Täuschung zu überprüfen.
Gerade vor diesem Hintergrund scheint mir übrigens die "Erklärung von Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern zu den Standards akademischer Prüfungen" (http://www.hausdorff-research-institute..../Erklaerung.pdf), in der das Vorgehen der Universität Bayreuth explizit gerügt wird, recht problematisch.
Rieble stellt dort die These auf, daß die Universität Bayreuth in der Sache völlig korrekt gehandelt hat und auch gar nicht mehr das Recht hat, das Vorliegen einer Täuschung zu überprüfen.
Ich finde Riebles Argumentation schlüssig; aber vermutlich gilt auch für sie: Zwei Juristen, drei Meinungen.
Zitat Gerade vor diesem Hintergrund scheint mir übrigens die "Erklärung von Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern zu den Standards akademischer Prüfungen" (http://www.hausdorff-research-institute..../Erklaerung.pdf), in der das Vorgehen der Universität Bayreuth explizit gerügt wird, recht problematisch.
Mir auch; ich habe sie deshalb nicht unterschrieben.
Das Problem ist, soweit ich sehe, daß mit der Aberkennung des Doktorgrads als Zurücknahme eines Verwaltungsakts die Promotionskommission aus dem Spiel ist; also §16 nicht mehr herangezogen werden kann.
Wenn nun andererseits, wie Rieble argumentiert, auch die Ethikkommission nicht zuständig ist - was mir einleuchet -, dann ist üblerweise Guttenberg aus dem Schneider; dann wird an der Uni Bayreuth niemand formal feststellen, daß er ein Plagiator ist.
Zitat von Zettel Wenn nun andererseits, wie Rieble argumentiert, auch die Ethikkommission nicht zuständig ist - was mir einleuchet -, dann ist üblerweise Guttenberg aus dem Schneider; dann wird an der Uni Bayreuth niemand formal feststellen, daß er ein Plagiator ist.
Das ist unschön.
Die Universität Bayreuth scheint ja anderer Ansicht zu sein als Rieble. Man hat sich dort schon darauf festgelegt, daß die Kommission zur Selbstkontrolle in der Wissenschaft die Angelegenheit auch im Hinblick auf die Frage "Plagiat oder Fehler" untersucht. In der Erklärung des Präsidenten (http://www.uni-bayreuth.de/presse/info/2011/Ablauf.pdf) heißt es ausdrücklich:
Zitat "Denn der Rücktritt hat nichts daran geändert, dass die Arbeit der Kommission zur Selbstkontrolle in der Wissenschaft an der Universität Bayreuth unabdingbar bleibt", so Präsident Bormann weiter. Die Kommission werde insbesondere der Frage nachgehen, ob Herr zu Guttenberg bei seiner Doktorarbeit vorsätzlich getäuscht hat und welche internen Konsequenzen zu ziehen sind.
Auf der Homepage der Universität findet sich übrigens auch eine FAQ zu der Affäre (http://www.uni-bayreuth.de/presse/info/2011/faq1.pdf), die eine m.E. überzeugende Antwort enthält, warum man den Grad aberkannt hat, ohne die Täuschungsfrage zu untersuchen. Es wird auch kurz die hier schon diskutierte Möglichkeit angesprochen, die Aberkennung über den Verweis auf das "Gesetz über die Führung akademischer Grade" zu bewerkstelligen:
Zitat Die Promotionskommission hat alle rechtlichen Wege eingehend diskutiert, die sich aus der Promotionsordnung der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth ergeben. Sie hat insbesondere die relevante Rechtsprechung ausgewertet und ist zu dem Schluss gekommen, dass der Weg der Rücknahme (Art. 48 VwVVfG), der sich aus der Promotionsordnung der Rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth ergibt, der juristisch verlässlichste Weg, sozusagen die juristisch "wasserdichte" Lösung ist. Der Nachweis der inneren Tatseite geht immer mit einem "Restrisiko" einher. Die Promotionskommission wollte einen absolut sicheren Weg wählen, den Titel abzuerkennen. Die Rücknahmemöglichkeit nach Art. 48 VwVfG ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz und kann durch die (niederrangige) Promotionsordnung nicht verdrängt werden. Die Anwendbarkeit des Art. 48 VwVfG wird vor allem auch durch Art. 69 BayHSchG bestätigt. Im Übrigen geht unsere Promotionsordnung durch ihren (mittlerweile ins Leere gehenden) Verweis auf das inzwischen außer Kraft getretene AkadGrG in § 16 Abs.5 seit jeher davon aus, dass es neben der Täuschung (Abs. 2) auch andere Aberkennungsgründe gibt.
Zitat von Zettel Wenn nun andererseits, wie Rieble argumentiert, auch die Ethikkommission nicht zuständig ist - was mir einleuchet -, dann ist üblerweise Guttenberg aus dem Schneider; dann wird an der Uni Bayreuth niemand formal feststellen, daß er ein Plagiator ist.
Das ist unschön.
Die Universität Bayreuth scheint ja anderer Ansicht zu sein als Rieble. Man hat sich dort schon darauf festgelegt, daß die Kommission zur Selbstkontrolle in der Wissenschaft die Angelegenheit auch im Hinblick auf die Frage "Plagiat oder Fehler" untersucht.
Ich könnte mir denken, daß der Casus Stoff für manche Disseration wird, vielleicht ist auch die eine oder andere Habil drin.
Vielleicht noch einmal eine kleine Überlegung zur "Erklärung von Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern zu den Standards akademischer Prüfungen". Es ist nicht nur der juristische Aspekt problematisch; ich habe auch den Eindruck, daß hier viele einmal die günstige Gelegenheit nützen, sich moralisch ins rechte Licht zu rücken, während man normalerweise nicht ganz so streng ist, was Plagiate der Kollegen angeht.
In meiner Disziplin gibt es einen Plagiatsfall, der vor rund 20 Jahren große Aufmerksamkeit erregte, nämlich die Dissertation von E. Ströker, über die man sich in der Wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Elisabeth_Str%C3%B6ker) informieren kann. Frau Ströker ist im wesentlichen genau so vorgegangen wie zu Guttenberg: Es wurden Texte übernommen, ohne daß dies deutlich gemacht worden wäre. Als die Sache aufflog, gab es aber nicht etwa eine Empörung über das Plagiat. Vielmehr wurde die Sache von der Universität wie auch von den Kollegen relativiert: In den 50ern habe man das alles noch nicht so eng gesehen, es habe als erstrebenswert gegolten, den Duktus eines Autors, mit dem man sich auseinandersetzet, nachzuahmen usw. Zahlreiche Philosophen haben damals einen offenen Brief unterschrieben, in dem man sich vor Frau Ströker stellte und den Plagiatsvorwurf als unfair zurückwies. Eigenartigerweise gibt es mindestens einen Namen der sowohl auf dem damaligen offenen Brief als auch auf der jetzigen Erklärung auftaucht.
"Leider kein Einzelfall", könnte man mit Eduard Zimmermann sagen. Ich würde einiges darauf wetten, daß in den Geistes- und Sozialwissenschaften fast jeder, der ein bißchen länger dabei ist, mal über ein Plagiat dieser Art gestolpert ist oder von Fällen gehört hat, in denen sich Professoren schamlos von Studenten oder ihren Mitarbeitern "zuarbeiten" lassen. (Letzteres ist, wie man so hört, auch in den Naturwissenschaften nicht so ganz selten.) Darüber lästert man vielleicht, wenn man unter sich ist, aber niemand hängt es an die große Glocke, weil man sich es nicht mit einflußreichen Leuten verscherzen will, die (oder deren Netzwerk) vielleicht einmal über eine Berufung, einen DFG-Antrag o.ä. zu befinden haben. Die wenigen Fälle, die öffentlich bekannt werden, dürften dann auch eher als Ausfechten einer privaten Fehde mittels eines Plagiatsvorwurfs eingestuft werden.
Zitat von DrNickIn meiner Disziplin gibt es einen Plagiatsfall, der vor rund 20 Jahren große Aufmerksamkeit erregte, nämlich die Dissertation von E. Ströker, über die man sich in der Wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Elisabeth_Str%C3%B6ker) informieren kann.
. Interessanter Hinweis, lieber DrNick. Ich erinnere mich dunkel an den Fall, habe ihn damals aber nicht verfolgt. Jetzt habe ich diese Darstellung gelesen, die mir vertrauenswürdig erscheint.
Eine Beurteilung traue ich mir danach nicht zu. Es geht, wenn ich es richtig verstehe, um Stellen über Cassirer, Nicolai Hartmann, Bertrand Russell. Wenn sie diese referiert hat und sich dabei eng an deren Originaltexte hielt, dann erscheint mir ein grundsätzlich anderer Fall vorzuliegen als bei Guttenberg. Natürlich ist das nicht sauber; sie hätte Anführungszeichen setzen sollen, wo sie hingehören. Aber sie würde das ja dann nicht als ihre eigene geistige Leistung ausgegeben haben, sondern eben als Darstellung dieser Autoren.
Ganz änders lägen die Dinge, wenn sie - sagen wir - sich zu Leibniz geäußert und dabei aus dem Leibniz-Buch von Russell abgeschrieben hätte; oder wenn sie sich über symbolische Formen geäußert und dabei von Cassirer abgeschrieben hätte. Ob das der Fall war, kann ich nicht beurteilen.
Zitat "Leider kein Einzelfall", könnte man mit Eduard Zimmermann sagen. Ich würde einiges darauf wetten, daß in den Geistes- und Sozialwissenschaften fast jeder, der ein bißchen länger dabei ist, mal über ein Plagiat dieser Art gestolpert ist oder von Fällen gehört hat, in denen sich Professoren schamlos von Studenten oder ihren Mitarbeitern "zuarbeiten" lassen. (Letzteres ist, wie man so hört, auch in den Naturwissenschaften nicht so ganz selten.)
Es gibt eine breite Grauzone; wobei in den Naturwissenschaften ein häufiger Fall ist, daß man von jemandem einen Gedanken, ein Argument, eine Versuchsidee übernimmt, ohne ihn zu zitieren.
Ein Hauptunterschied zur Situation von zB Frau Ströker ist, daß es für jedes Gebiet weltweit genug Fachleute gibt, daß das jemandem auffallen würde. Es ist kurzsichtig, so etwas zu machen; es ruiniert den Ruf.
Was das "Zuarbeiten" angeht, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten viel verändert. Ich habe es in den sechziger Jahren auch noch erlebt, daß ein Institutsdirektor ein Buch schrieb und das halbe Institut damit befaßt war, Rohtexte zu entwerfen. Als Autor des Buchs trat aber nur dieser eine Mann auf; der aber im Vorwort allen mit Namen dankte, die "auf mannigfaltige Weise" oder so ähnlich mitgearbeitet hätten. Man war eben noch wirklich "Assistent"; man arbeitete dem Chef ganz offiziell zu.
Das hat sich erst mit der Universitätsreform in den siebziger Jahren geändert, die den Mittelbauern eine ungleich stärkere Stellung gab als zuvor. Hinzu kam, daß in den Naturwissenschaften immer mehr internationale Standards galten.
Heute taucht im allgemeinen jeder Wissenschaftler als Mitautor auf, der mitgearbeitet hat. In den letzten Jahren bürgert es sich auch zunehmend ein, daß in der Fußnote mitgeteilt wird, was jeder beigetragen hat: Die Experimente entwickelt, sie durchgeführt und ausgewertet, welchen Teil des Ms geschrieben usw.
Die Zahl der Autoren pro Artikel ist (auch) dadurch sehr gewachsen; Gorgasal hat das kürzlich erwähnt.
Zitat von Zettel Es geht, wenn ich es richtig verstehe, um Stellen über Cassirer, Nicolai Hartmann, Bertrand Russell. Wenn sie diese referiert hat und sich dabei eng an deren Originaltexte hielt, dann erscheint mir ein grundsätzlich anderer Fall vorzuliegen als bei Guttenberg. Natürlich ist das nicht sauber; sie hätte Anführungszeichen setzen sollen, wo sie hingehören. Aber sie würde das ja dann nicht als ihre eigene geistige Leistung ausgegeben haben, sondern eben als Darstellung dieser Autoren.
Vorweg: Ich habe weder die Dissertation noch die Kritik an dieser gelesen, muß mich also auf Berichte aus der Presse verlassen. Es gibt z.B. einen zeitgenössischen Bericht in der Zeit (http://pdfarchiv.zeit.de/1990/44/huebsch-geklaut.pdf), wo man folgendes lesen kann:
Zitat Neben Russell sind es vor allem Schriften von Ernst Cassirer, die ihr als Vorlage dienten. Namentlich zitiert sie Cassirer nur in mageren sieben Fußnoten. Aber allein von ihm hat sie, so zählte Marion Soreth, 266 Textstellen benutzt, viele wörtlich übernommen. Bei solcher Kompilation sei der Sachzusammenhang oft auf der Strecke geblieben.
Wenn das eine korrekte Darstellung ist, dann ist die Sache nicht anders als bei zu Guttenberg einzuschätzen: Zahlreiche (verschleierte) Plagiate und einige Bauernopfer, und bei einer Länge der Dissertation von 147 Seiten (https://portal.d-nb.de/opac.htm?method=s...rrentPosition=2) läge die Plagiatquote wohl auch im Guttenberg-Bereich.
Noch interessanter als der eigentliche Plagiatsfall scheint mir aber die Reaktion innerhalb der "scientific community" zu sein: man hat nicht etwa einen offenen Brief geschrieben, in dem man die Einhaltung wissenschaftlicher Standards anmahnt, vielmehr wurde das Plagiat als harmlos eingestuft, und der Aufdeckerin des Falles wurde vorgehalten, sie sei ja nur neidisch, weil sie keine C4-Stelle habe (woran sich, wenn ich das richtig sehe, auch nie etwas geändert hat).
Zitat von Zettel Was das "Zuarbeiten" angeht, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten viel verändert. Ich habe es in den sechziger Jahren auch noch erlebt, daß ein Institutsdirektor ein Buch schrieb und das halbe Institut damit befaßt war, Rohtexte zu entwerfen. Als Autor des Buchs trat aber nur dieser eine Mann auf; der aber im Vorwort allen mit Namen dankte, die "auf mannigfaltige Weise" oder so ähnlich mitgearbeitet hätten. Man war eben noch wirklich "Assistent"; man arbeitete dem Chef ganz offiziell zu.
Es gibt einige Hochschullehrer, die diese klassische Arbeitsweise aus den sechziger Jahren auch heute noch sehr schätzen.
Zitat Was das "Zuarbeiten" angeht, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten viel verändert. Ich habe es in den sechziger Jahren auch noch erlebt, daß ein Institutsdirektor ein Buch schrieb und das halbe Institut damit befaßt war, Rohtexte zu entwerfen. Als Autor des Buchs trat aber nur dieser eine Mann auf; der aber im Vorwort allen mit Namen dankte, die "auf mannigfaltige Weise" oder so ähnlich mitgearbeitet hätten. Man war eben noch wirklich "Assistent"; man arbeitete dem Chef ganz offiziell zu.
Nach gut 10 Jahren der Mitarbeit in einem DFG-Projekt (als SHK, WHK und Wiss. Mitarb.) stellte sich zur Überraschung aller - teils ebenso langjährigen - Mitarbeiter heraus, dass mein Chef genau diese Ansicht vertrat: Er und seine beiden Professorenkollegen sind Verfasser, und die Mitarbeitern an drei Standorten, ohne die das Werk nicht in Ansätzen möglich gewesen wäre, stehen im Vorwort dankend und den von ihnen erarbeiteten Teilen erwähnt. Nach langen Protesten wurden dann die tatsächlich aktiv Beteiligten mit aufs Titelblatt genommen als "unter Mitarbeit von ..." - aber nur unter der Bedingung, dass dann der Nachweis der Beteiligung im Detail im Vorwort oder in Fußnoten, wie von Zettel beschrieben, entfällt. Eine von allen Betroffenen als unbefriedigend empfundene Lösung, bei denen der unangenehme Nachgeschmack nach Jahren der gemeinsamen Arbeit blieb: Wer Professor ist, entscheidet, wer ein Verfasser ist.
Zitat von GansguoterNach gut 10 Jahren der Mitarbeit in einem DFG-Projekt ... Wer Professor ist, entscheidet, wer ein Verfasser ist.
Nach meinem Empfinden ist das, was Sie da schildern, Plagiarismus + Amtsmissbrauch und gehört sanktioniert. Im Vergleich dazu ist Guttenberg wirklich nur ein armes 'Doktorandenwürstchen'.
Zitat von Gansguoter Nach langen Protesten wurden dann die tatsächlich aktiv Beteiligten mit aufs Titelblatt genommen als "unter Mitarbeit von ..." - aber nur unter der Bedingung, dass dann der Nachweis der Beteiligung im Vorwort entfällt. Eine von allen Betroffenen als unbefriedigend empfundene Lösung, bei denen der unangenehme Nachgeschmack nach Jahren der gemeinsamen Arbeit blieb: Wer Professor ist, entscheidet, wer ein Verfasser ist.
Das fände ich auch deswegen unbefriedigend, weil ich nie richtig verstanden habe, was für einen Status ein "unter Mitarbeit von ..." hat. Man ist kein richtiger Autor und auch kein Herausgeber - handelt es sich also nur um eine Art Danksagung auf dem Titelblatt? Ich wüßte auch nicht, wie man eine solche Mitarbeit in seiner Publikationsliste aufführt.
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