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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 179 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
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Zettel Offline




Beiträge: 20.200

28.10.2011 10:54
#101 RE: Verhandlungen Antworten

Zitat von Martin
ich glaube man sollte in dieser Verhandlungssituation auch sehen, dass manche Positionen bewusst an die Öffentlichkeit getragen werden, nicht um eigene Überzeugungen zu verkünden und diese zu zementieren, sondern um die Öffentlichkeit für die eigene Position zu mobilisieren. Verhandlungstaktisch sind die Medien und die Öffentlichkeit allgemein die Kanonen, die in Stellung gebracht werden. Wir hatten hier (glaube ich mich zu erinnern) vor kurzem irgendwo die Frage gestellt, ob die griechischen Proteste gegen die Regierung nicht den Regierenden willkommen sind. Ohne Proteste und Feuer auf den Straßen wäre die Verhandlungsposition der Regierung gegenüber der Troika deutlich schwächer.

Ja, das hatte ich hier einmal zu bedenken gegeben.

Ich stimme Ihnen völlig zu. In der Politik hängt die Verhandlungsposition wesentlich auch von der Öffentlichkeit ab, die man für seine Ziele mobilisieren kann, die diesen aber auch im Weg stehen kann. Oder die, wie jetzt im Griechenland, zwar gegen die Regierung protestiert, aber gerade dadurch deren Verhandlungsposition stärkt.

Übrigens ist das, wie man zum Beispiel den Memoiren von Politkern entnehmen kann, ein beliebtes Druckmitteln in Verhandlungen: Darauf hinzuweisen, daß man dies und jenes im eigenen Parlament oder gegenüber der eigenen Öffentlichkeit ja gar nicht durchsetzen könne.

Zitat von Martin
In dieser Sitaution macht die Diskussion über Lüge oder nicht absolut keinen Sinn. Das Dumme ist, eine Regierung kann den obigen Mechanismus nicht artikulieren, weil er genau in diesem Moment an Wirkung verlöre.

Ja, das ist so eine Dialektik; so, wie Placebos ihre Wirkung verlieren, sobald man deren Mechanismus kennt (wenigstens zum Teil ihre Wirkung verlieren; Konditionierung kann bestehen bleiben).

Die Kanzlerin muß so tun, als seien Positionen unverrückbar, von denen sie doch schon weiß, daß sie diese räumen muß. Würde sie das aber nicht behaupten, dann könnte sie für das Räumen keine Gegenleistung mehr bekommen.

Wer das nicht verstanden hat, der ruft "Lüge!". Steinmeier versteht es natürlich, aber er mußte im Bundestag, wenn auch leise, doch "Lüge!" rufen; das war seines Amtes.

Und setzte noch eins drauf auf die Dialektik: Steinmeier "log" natürlich auch, wenn er sich über die angeblichen Unwahrheiten der Kanzlerin echauffierte. Von daher das Lächeln der Kanzlerin, als er das vortrug.

Zitat von Martin
1. Auch ich kann Frau Merkel nichts abgewinnen, wenn sie im weitesten Sinne Krieg und Frieden ins Spiel bringt (es sei denn Herr Sarkozy hätte ihr damit gedroht). Ich hätte es eher akzeptiert, wenn sie die Nutzen / Risiko Abwägung zwischen den Positionen die zur Debatte standen transparent gemacht hätte, z.B. eine Bewertung der Position eines Herrn Schäffler.

Die Kanzlerin ist für einen Politiker ungewöhnlich wenig demagogisch.

Selbst der heute so abgeklärte Helmut Schmidt war in seiner aktiven Zeit demagogischer (ich erinnere mich an eine TV-Diskussion, in der er Helmut Kohl mit einem üblen Trick hereingelegt hat; das würde Merkel niemals machen).

Aber auch sie muß natürlich gelegentlich auf die Emotionen der Menschen achten. Sie tut das weniger als jeder andere führende Politiker in Deutschland, aber sie hat es eben in diesem Fall einmal a bisserl getan.

Es ist ja doch nicht falsch, daß die Europäische Einigung uns eine beispiellose Epoche des Friedens gebracht hat. Die Historiker im Forum können mich vielleicht korrigieren: Ich kann auf Anhieb überhaupt keine Epoche nennen, in der es in ganz Nord-, West-, Mittel- und Südeuropa 65 Jahre lang keinen einzigen Krieg gegeben hat (nur den in Südosteuropa).

Und das ist nicht selbstverständlich und muß nicht so bleiben. Daß es immer wieder Kriege gibt, ist der Normalfall, seit es menschliche Kultur gibt. Mit am grausamsten übrigens oft dort, wo "der Mensch im Einklang mit der Natur lebt"; sagen wir, auf Typee.

Also wird es auch in Europa wieder Kriege gehen, falls die EU zerfällt. Das ist eine Prognose, die alle Erfahrung für sich hat.

Herzlich, Zettel

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

28.10.2011 11:21
#102 RE: Zitat des Tages: Die Leistung der Kanzlerin Antworten

Zitat von Reisender

Zitat von Erling Plaethe

Der eigentliche Sinn der EU ist: Deutschland soll es auf Dauer unmöglich gemacht werden Alleingänge vorzunehmen. Jeder Sonderweg und jede Überlegenheit stößt auf massiven Wiederstand und wir haben in unserem eigenen Interesse keine andere Wahl als uns zu arrangieren. Das ist die Basis auf der wir eigene nationale Interessen verfolgen können.



Wenn dies so ist, dann bedeutet es das Scheitern der EU, weil nicht mit-, sondern gegeneinander gearbeitet wird. Eine Zwangsgemeinschaft wird keinen dauerhaften Bestand haben.



Ich wäre mir da nicht so sicher. Adenauer wollte ja die Westbindung. Sie bot Sicherheit im Rahmen der NATO im Angesicht der sich entwickelnden Blockkonfrontation. Und sie bot gute Geschäfte und wirtschaftliches Wachstum im Angesicht eines sich entwickelnden europäischen Binnenmarktes. Eine Neutralität Deutschlands war nach dem zweiten Weltkrieg gar nicht realisierbar, sonst hätte es die Spaltung gar nicht gegeben.
Der Zwang zur Gemeinschaft resultierte also nicht nur durch Druck von unseren europäischen Partnern sondern vielmehr durch die Tatsachen die der Weltkrieg geschaffen hatte.
M.E. ist die wichtigste Vorraussetzung für Frieden in Europa die Westbindung Deutschlands. Das lehrt die Geschichte Europas.
In der Stratfor Analyse "Wohin geht Europa" hat Zettel einen ganz hervorragenden Beitrag übersetzt und zusammengefasst.
In Europa war ja bald jeder einzelne Staat irgendwann in seiner Geschichte einmal Groß-oder Weltmacht. Viel nationaler Stolz ist also im Spiel wenn diese "Zwangsgemeinschaft" immer enger zusammenwächst. Da bisher so ein Zusammenwachsen von ehemaligen Großmächten noch nicht vollzogen wurde, betreten wir Neuland wie die Kanzlerin in ihrer Rede sagte. Das ist kein Pathos sondern die ungeschönte Realität.
Es wird, etwas sarkastisch gesprochen, ausgelotet wie weit gegangen werden kann mit dem Zusammenwachsen. Dieses angewandte Trial and Error-Prinzip ist sehr schmerzhaft und kostet viel Geld, und wahrscheinlich ist es schon überreizt worden. Aber bei solch einem Prozess nicht ans Limit zu gehen heißt auch weniger Erkenntnisse zu gewinnen.
Man kann diese Sicht verdammen und für irrational halten aber ich habe hier in diesem Forum immer wieder eine tiefe Abneigung gegenüber jeder Art von Verschwörungstheorie erfahren und die beginnen alle damit einer Gruppe oder einer Person ausschliesslich negative Motivationen für ihr Handeln zu unterstellen. Also versuche ich Beweggründe zu unterstellen die abseits der absoluten Verdammung liegen.

Viele Grüße, Erling Plaethe

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

28.10.2011 11:42
#103 RE: Verhandlungen Antworten

Zitat von Zettel
Können Sie sich gar nicht vorstellen, daß die Kanzlerin verantwortungsvoll handelt?


Aber sicher.
Beim Start der Krise (als sie noch alle Optionen hatte), da wollte sie wahrscheinlich auch verantwortungsvoll handeln. Aber sie ist von Sarkozy über den Tisch gezogen worden - oder weder Sarkozy noch Merkel haben begriffen, welches Faß sie aufmachen. Da damals alles in ziemlicher Hektik entschieden wurde, wäre das auch nicht überraschend.

Zitat
Können Sie sie nur als eine - sagen wir - böse Hexe sehen, die an nichts als an ihrer persönlichen Macht interessiert ist?


Das ist viel zu hoch gehängt.
Ich sehe hier eine ganz normale Politikerin, die kurz nach der "Rettung" feststellen mußte, daß sie einen kapitalen Fehler gemacht hat. Und die seitdem hektisch alle möglichen Mittel ausprobiert, um die Lage wieder in den Griff zu bekommen.
Wobei sich an der Sachlage eigentlich recht wenig geändert hat, alle wesentlichen Fakten waren schon Anfang 2010 bekannt. Es gibt also keine wirkliche "Entwicklung der Krise" im Sinne, daß neue Probleme auftauchen würden. Sondern nur die stufenweise Erkenntnisfortschritte der Politik, daß die bisher probierten Maßnahmen nicht funktionieren.

Übrigens sollte es Ihnen zu denken geben, lieber Zettel, daß bei der EZB bereits zwei ganz hochrangige Experten und Merkel-Vertraue zurückgetreten sind - ganz offensichtlich, weil sie Merkels Handeln ähnlich kritisch sehen wie ich.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

28.10.2011 11:46
#104 RE: Verhandlungen Antworten

Zitat von Zettel
In der internationalen Presse wird das Verhandlungsergebnis der vergangenen Nacht als großer Erfolg Deutschlands und der Kanzlerin persönlich beurteilt.


Jetzt mal unabhängig davon, wie man generell die Fähigkeit von Journalisten beurteilt, diese komplexe Materie zu verstehen: Selbstverständlich wird es international positiv gesehen, wenn Deutschland zahlt. Je mehr, desto besser.

Und auch bei der "Bankenbeteiligung" ist es für die Banken natürlich besser, wenn sie staatlich garantiert 50% bekommen als bei einer (ohne Merkels Zahlungsbereitschaft fälligen) Insolvenz Griechenlands weniger bis nichts.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

28.10.2011 11:50
#105 RE: Verhandlungen Antworten

Zitat von Zettel
Man weiß ja fast nie, ob ein Brand nicht doch noch zu löschen ist.


Richtig.
Aber Merkel und Co. "löschen" den Brand mit Benzin.
Da weiß man sicher, daß es nicht funktionieren kann.

Popeye Offline



Beiträge: 207

28.10.2011 11:50
#106 Gewissheiten Antworten

Lieber Zettel, bitte lesen Sie die Beiträge zum Thema bei AchGut, Freunde der offenen Gesellschaft, Bissige Liberale ohne Gnade, den Blog des Liberalen Institutes und den vielen dort verlinkten liberalen Blogs. Mich als Laie haben diese Texte mehr überzeugt als die der Rettungsschirmbefürworter.
Auch wird dort die Frage nach der Gewissheit in einer komplexen Welt beantwortet, gewiss ist nämlich, dass eine kleine Gruppe von Menschen niemals das Wissen generieren kann wie der Markt mit seinen vielen Teilnehmern.
Nicht nur, dass sich die Regierungen anmaßen, dieses Wissen zu haben, nein, Frau Merkel negiert durch ihr "alternativlos" auch andere Lösungsansätze, vom Umgang mit Kritikern dieses Vorgehens ganz zu schweigen. Vor ein paar Wochen kam sogar mal die Idee einer europäischen Wirtschaftsregierung auf, haben wir denn nicht schon genug schlechte Erfahrungen mit Zentralismus und der Aushebelung des Subsidiaritätsprinzip erlebt?
Der Staat muss endlich dafür sorgen, dass die Freiheit, Risiken einzugehen mit der Verantwortung einhergeht, für Verluste einzustehen, das gilt für alle Marktteilnehmer, egal ob privat oder staatlich.
Das dieser Weg schmerzhaft sein wird, ist keine Frage, es wird massive Anstrengungen (und Steuergeld) kosten, die Folgen abzufedern, doch ist es allemal besser als ein Schrecken ohne Ende.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

28.10.2011 11:59
#107 RE: Zitat des Tages: Die Leistung der Kanzlerin Antworten

Zitat von Erling Plaethe

Zitat
„Das Frankreich Sarkozys ist zum Juniorpartner Deutschlands bei europäischen Verhandlungen abgestiegen“, sagte der frühere sozialistische Europaminister Pierre Moscovici, der Hollandes Vorwahlkampagne leitete.


Und das ist beileibe nicht die einzige internationale Stimme die Deutschland in Verhandlungen wie diesen einen großen Einfluss zugesteht.



Aber lieber Erling Plaethe, das ist die Stimme eines Wahlkämpfers, der gegen die aktuelle französische Regierung polemisiert. Das kann man in diesem Kontext nicht als Beleg nehmen.

Mir fehlen weiter Belege für die These, daß Deutschland eine "Führungsrolle" errungen hätte. Der Einfluß Deutschlands beschränkt sich darauf, in beschränktem Maße mitzubestimmen, wie deutsches Geld ausgegeben wird. Ansonsten sehe ich keine greifbaren Erfolge.


Das hatten wir ja schon damals auf Basis des Stratfor-Kommentars diskutiert.
Es ist grundsätzlich möglich, daß ein Staat wie Deutschland mit Geld Einfluß kauft. Eine ganz alte, valide Strategie. Und deshalb vermutete Stratfor auch, daß Deutschland dies vorhat bzw. durchführt.

De facto ist aber der Einfluß Deutschlands innerhalb Europas nicht gestiegen und bleibt weiterhin unter seinen Möglichkeiten. U. a. auch deswegen, weil es eine langfristige und zielgerichtete außenpolitische Strategie nur rudimentär gibt. Man kann ja nur durchsetzen, was man auch anstrebt.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

28.10.2011 12:08
#108 RE: Verhandlungen Antworten

Zitat von Zettel
Wie stellen Sie sich, lieber Urlauber, ein Zusammenbrechen der französischen Banken vor, das keine Auswirkungen auf das deutsche Bankensystem hätte?


Auswirkungen gibt es natürlich immer.
Aber wenn einige französische Banken Probleme bekommen würden ("Zusammenbruch aller Banken" ist ein unrealistisches Szenario) ist es halt in erster Linie Frankreich, das gefordert ist.
Deutschland kann da Hilfestellung leisten, da bin ich auch gar nicht puristisch.

Aber eine Mithilfe bei der Refinanzierung einzelner Banken liegt finanziell um Größenordnungen unter der jetzigen Dimension von Finanzzusagen.

Zitat
Innerhalb des gemeinsamen Bemühens ging und geht es darum, wer welche Lasten zu tragen hat. In diesem Poker hat die Kanzlerin, mit der Entschließung aller demokratischer Parteien im Bundestag im Rücken, ein für Deutschland ausgezeichnetes Ergebnis erzielt.


Auf welcher Basis kommen sie zur Beurteilung "ausgezeichnetes Ergebnis"?

Die französischen Banken haben 8 Milliarden Griechenland-Ausstände.
http://www.handelsblatt.com/politik/inte...d-/5116682.html

Am Anfang der Krise war es mehr - aber auf jeden Fall nur ein zweistelliger Milliardenbetrag.
Bei einem Totalausfall Griechenlands hätten manche Banken den kompletten Verlust nicht tragen können, man hätte also zuschießen müssen (einen niedrig zweistelligen Milliardenbetrag).
Frankreich hätte das alleine schultern können, aber eine Mithilfe Deutschlands wäre möglich gewesen.

Dagegen stellt Deutschland in Merkels Lösung 211 Milliarden, und jetzt mit Hebel deutlich mehr.

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

28.10.2011 12:28
#109 RE: Verhandlungen Antworten

Zitat von R.A.

Aber lieber Erling Plaethe, das ist die Stimme eines Wahlkämpfers, der gegen die aktuelle französische Regierung polemisiert. Das kann man in diesem Kontext nicht als Beleg nehmen.

Mir fehlen weiter Belege für die These, daß Deutschland eine "Führungsrolle" errungen hätte. Der Einfluß Deutschlands beschränkt sich darauf, in beschränktem Maße mitzubestimmen, wie deutsches Geld ausgegeben wird. Ansonsten sehe ich keine greifbaren Erfolge


Das mit dem französischen Oppositionsführer war volle Absicht. Nur so als Vergleich.

Hier ein Beleg des Telegraph

Zitat
Angela Merkel’s stern speech to Germany’s Bundestag yesterday was less an exercise in democratic accountability than an assertion of raw power: this was a German Chancellor mandated by Germany’s MPs and people laying down the law to the rest of Europe, especially France.
“The world is watching Germany and Europe to see if we are ready and able to take responsibility. If the euro fails, Europe fails,” she said.
Chancellor Merkel’s victorious vote combined with her shrill insistence on severe haircuts for private investors holding Greek debt and an ultimatum that the European Central Bank should not even appear to intervene in the crisis are direct challenges to Paris.
France is terrified that write-downs on Greek debt will hit its banks, forcing bail-outs and jeopardising its “untouchable” AAA rating.
Nicolas Sarkozy, the French president, is desperate to involve the ECB to shore up the euro and, indirectly, French banks.
As well as a vehicle for renewed power politics between Germany and France, the EU has emerged as a new force of compulsion, making previously sovereign states adopt fiscal disciplines drafted in Brussels.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Martin Offline



Beiträge: 4.129

28.10.2011 12:28
#110 RE: Verhandlungen Antworten

Zitat von Zettel
Es ist ja doch nicht falsch, daß die Europäische Einigung uns eine beispiellose Epoche des Friedens gebracht hat. Die Historiker im Forum können mich vielleicht korrigieren: Ich kann auf Anhieb überhaupt keine Epoche nennen, in der es in ganz Nord-, West-, Mittel- und Südeuropa 65 Jahre lang keinen einzigen Krieg gegeben hat (nur den in Südosteuropa).

Und das ist nicht selbstverständlich und muß nicht so bleiben. Daß es immer wieder Kriege gibt, ist der Normalfall, seit es menschliche Kultur gibt. Mit am grausamsten übrigens oft dort, wo "der Mensch im Einklang mit der Natur lebt"; sagen wir, auf Typee.

Also wird es auch in Europa wieder Kriege gehen, falls die EU zerfällt. Das ist eine Prognose, die alle Erfahrung für sich hat.

Herzlich, Zettel



Lieber Zettel,

angenommen, Griechenland würde aus dem Euro-System austreten, oder es gäbe den berühmten Haircut: Warum sollte das, für sich allein betrachtet, die Grundlage für eine EU oder auch ein Euro-System zerstören. Das Gegenteil wäre der Fall. Es würde die regulatorischen Aspekte stärken, die 'moralische Gefahr' ('moral hazard') wäre geringer.

So bleibt die Frage, ob die Gefahr für die EU nicht aus der französischen Ecke kommt: Müssen wir damit rechnen, dass der deutsch-französische Kernblock zerbricht, wenn die französischen Banken unter den Folgen des haircuts zerbrechen? Ich hätte ja gerne Mäuschen gespielt, als Sarkozy und Merkel sich tagelang zofften. Ich bin aber auch so sicher, dass Sarkozy eine gewaltige Drohkulisse aufgebaut hat, ob wegen der drohenden wirtschaftlichen Folgen begründet oder nicht. Jedenfalls würde ich mir, anstatt mich vor der Tastatur allzu sehr über Frau Merkel zu mokieren, eher fragen, was letztlich hinter den Kulissen abgelaufen ist. Frau Merkel dürfte wohl auch hinter den Kulissen (per SMS?) Herrn Steinmeier auf dem Laufenden gehalten haben. Ich denke auch nicht, dass Frau Merkel hier in irgendeiner Form unverantwortlich handelt - sie kann letztlich auch nur so handeln wie sie die Sache überschaut.

Bei ihrer Entscheidung zum Stop der alten AKWs sehe ich ihre Rolle dagegen ganz anders, da kann ich ihre Entscheidung bis heute nicht auch nur annähernd verstehen.

Gruß, Martin

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

28.10.2011 17:29
#111 RE: Verhandlungen Antworten

Zitat von Martin

Lieber Zettel,

angenommen, Griechenland würde aus dem Euro-System austreten, oder es gäbe den berühmten Haircut: Warum sollte das, für sich allein betrachtet, die Grundlage für eine EU oder auch ein Euro-System zerstören. Das Gegenteil wäre der Fall. Es würde die regulatorischen Aspekte stärken, die 'moralische Gefahr' ('moral hazard') wäre geringer.

So bleibt die Frage, ob die Gefahr für die EU nicht aus der französischen Ecke kommt: Müssen wir damit rechnen, dass der deutsch-französische Kernblock zerbricht, wenn die französischen Banken unter den Folgen des haircuts zerbrechen? Ich hätte ja gerne Mäuschen gespielt, als Sarkozy und Merkel sich tagelang zofften. Ich bin aber auch so sicher, dass Sarkozy eine gewaltige Drohkulisse aufgebaut hat, ob wegen der drohenden wirtschaftlichen Folgen begründet oder nicht. Jedenfalls würde ich mir, anstatt mich vor der Tastatur allzu sehr über Frau Merkel zu mokieren, eher fragen, was letztlich hinter den Kulissen abgelaufen ist. Frau Merkel dürfte wohl auch hinter den Kulissen (per SMS?) Herrn Steinmeier auf dem Laufenden gehalten haben. Ich denke auch nicht, dass Frau Merkel hier in irgendeiner Form unverantwortlich handelt - sie kann letztlich auch nur so handeln wie sie die Sache überschaut.

Bei ihrer Entscheidung zum Stop der alten AKWs sehe ich ihre Rolle dagegen ganz anders, da kann ich ihre Entscheidung bis heute nicht auch nur annähernd verstehen.

Gruß, Martin


Interessante Theorie, wäre auch eine gute Erklärung für die beiden vorzeitigen deutschen Abgänge aus der EZB. Ich stimme Ihnen zu lieber Martin.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

28.10.2011 17:34
#112 RE: Verhandlungen Antworten

Zitat von R.A.

Zitat von Zettel
In der internationalen Presse wird das Verhandlungsergebnis der vergangenen Nacht als großer Erfolg Deutschlands und der Kanzlerin persönlich beurteilt.


Jetzt mal unabhängig davon, wie man generell die Fähigkeit von Journalisten beurteilt, diese komplexe Materie zu verstehen: Selbstverständlich wird es international positiv gesehen, wenn Deutschland zahlt. Je mehr, desto besser.


Aber so wird es ja eben nicht gesehen, lieber R.A.

Es wird so gesehen, daß die Kanzlerin weitgehend die deutschen Interessen durchsetzen konnte. Ich kenne keinen - wirklich keinen - Artikel aus der heutigen internationalen Presse, in dem das Ergebnis so analysiert wird, daß Deutschland der Verlierer ist.

Nur in Deutschland gibt es Kommentare, die das behaupten. Auch eine Art von nationalem Masochismus.

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

28.10.2011 17:50
#113 RE: Verhandlungen Antworten

Zitat von Martin
angenommen, Griechenland würde aus dem Euro-System austreten, oder es gäbe den berühmten Haircut: Warum sollte das, für sich allein betrachtet, die Grundlage für eine EU oder auch ein Euro-System zerstören. Das Gegenteil wäre der Fall. Es würde die regulatorischen Aspekte stärken, die 'moralische Gefahr' ('moral hazard') wäre geringer.

Warum sollte Griechenland das tun? Hinauswerfen geht bekanntlich schon rechtlich nicht.

Ich habe gerade eine Marginalie geschrieben, in der ich zu zeigen versuche, wie sehr die jetzige Situation in einer einer Tradition von fast zweihundert Jahren steht.

Die Griechen wären doch mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn sie just jetzt, wo sie dringend wieder einmal die Hilfe Europas brauchen, sich aus der jahrhundertelangen Abhängigkeit lösen würden.

Angenommen, sie täten es doch - was wären die Folgen? Die Schulden würden dadurch ja um keinen Cent geringer werden. Wie sollten die Griechen sie je tilgen?

Was passiert mit dem französischen, dem europäischen Bankensystem, wenn die Griechen einfach bankrott gehen und ihre Staatspapiere danach noch so viel wert sind wie heute die Aktien der Bagdad-Bahn?

Herzlich, Zettel

Llarian Offline



Beiträge: 7.115

28.10.2011 17:53
#114 RE: Verhandlungen Antworten

Zitat von Zettel
Es wird so gesehen, daß die Kanzlerin weitgehend die deutschen Interessen durchsetzen konnte. Ich kenne keinen - wirklich keinen - Artikel aus der heutigen internationalen Presse, in dem das Ergebnis so analysiert wird, daß Deutschland der Verlierer ist.


Was genau sind eigentlich "die deutschen Interessen" wenn man mal so ganz doof fragen darf. Wo soll es denn im deutschen Interesse sein, anderen zu sagen, wie sie haushalten sollen ? Das mag im Interesse von Zentralisten sein, aber ich kann kein "deutsches Interesse" daran erkennen. Das einzige was ich sehe ist einen grotesken Schuldenberg mit tausenden von Euro pro Bundesbürger. Ist das das deutsche Interesse ? Zahlen bis einem das Wasser aus den Augen läuft ?

Ich meine die Frage absolut toternst: Welches "deutsche Interesse" wurde denn hier durchgesetzt ?

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

28.10.2011 17:56
#115 RE: Verhandlungen Antworten

Zitat von Zettel
Ich kenne keinen - wirklich keinen - Artikel aus der heutigen internationalen Presse, in dem das Ergebnis so analysiert wird, daß Deutschland der Verlierer ist.


Weil da schon längst vorausgesetzt wurde, daß Deutschland die Milliarden zahlt - darüber wird ja überhaupt nicht mehr verhandelt!
Es geht nur noch um Detailregelungen, wie das deutsche Geld verwendet wird. Und da mag Merkel durchaus Teil"erfolge" erzielen - die sich aber meist kurze Zeit später schon als Phyrrus-Siege herausstellen. Denn ihre "Erfolge" bestehen in der Regel nur darin, Aufschub zu erreichen, um dann bei der nächsten Verhandlungsrunde doch noch Zugeständnisse nachzuschieben.

Bei jeder einzelnen Verhandlungsrunde gab es natürlich einen Kompromiß. Deutschland wollte wenig geben, andere (vor allem Frankreich) sehr viel bekommen. Je nachdem, ob das Ergebnis mehr an der einen oder anderen Ausgangsposition liegt, kann man jeweils einen "Erfolg" sehen.
Aber in der Gesamtschau hat Deutschland immer nur nachgegeben, immer mehr Positionen geräumt, vor allem immer mehr Geld nachgeschoben.

Oder können Sie mir mal sagen, in welchen Punkten Deutschland heute mehr Einfluß oder Vorteile hat als vor zwei Jahren? Welche Gegenleistungen hat Merkel denn für einige hundert Milliarden eingekauft?

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

28.10.2011 17:59
#116 RE: Verhandlungen Antworten

Zitat von Llarian
Ich meine die Frage absolut toternst: Welches "deutsche Interesse" wurde denn hier durchgesetzt ?

Das Interesse des deutschen Steuerzahlers gegen das der Banken:

http://www.nytimes.com/2011/10/28/world/...&pagewanted=all

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

28.10.2011 18:00
#117 RE: Verhandlungen Antworten

Zitat von Zettel
Was passiert mit dem französischen, dem europäischen Bankensystem, wenn die Griechen einfach bankrott gehen ...


Lieber Zettel, jetzt bin ich etwas enttäuscht.

Genau diese Frage habe ich in diversen Diskussionen schon mehrfach beantwortet. Falls diese Beiträge unverständlich oder in irgendwelchen Punkten falsch gewesen sein sollten, bin ich ja gerne zur Diskussion oder Korrektur bereit.

Aber ich habe den Eindruck, daß Sie diese Antworten einfach ignorieren, um das von Merkel beschworene Gespenst der gigantischen Europa-Gefährdung nicht in Frage stellen zu müssen. Und "ignorieren" würde eigentlich nicht zum Diskussionsstil gehören, den wir von Ihnen gewohnt sind.

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

28.10.2011 18:01
#118 RE: Verhandlungen Antworten

Zitat von Zettel
Ich kenne keinen - wirklich keinen - Artikel aus der heutigen internationalen Presse, in dem das Ergebnis so analysiert wird, daß Deutschland der Verlierer ist.



Dafür gibt es einige Kommentare, die ganz nüchtern konstatieren, dass mit diesen Beschlüssen nichts gelöst ist. Und das ist das eigentliche Problem - nicht wer aus irgendwelchen Unpolitikscharmützeln als Sieger oder Verlierer hervorgeht. Sowas interessiert nur die Yellow Press.

--
L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

28.10.2011 18:04
#119 RE: Verhandlungen Antworten

Zitat von Zettel

Zitat von Llarian
Ich meine die Frage absolut toternst: Welches "deutsche Interesse" wurde denn hier durchgesetzt ?

Das Interesse des deutschen Steuerzahlers gegen das der Banken:

http://www.nytimes.com/2011/10/28/world/...&pagewanted=all



Ich finde im Artikel nichts zu deutschen Interessen. Und schon gar nicht zu den Interessen des deutschen Steuerzahlers (der den ganzen Spaß bezahlen muß).
Da geht es nur um griechische und italienische Interessen vs. die der Banken.

Llarian Offline



Beiträge: 7.115

28.10.2011 18:04
#120 RE: Verhandlungen Antworten

Okay, jetzt müssen Sie nur noch erläutern, warum es im "deutschen Interesse" ist, dass die Banken nicht die Verluste tragen, die sie verspekuliert haben. Ich kann das aus ihrem Artikel nicht entnehmen, ganz im Gegenteil, was ich wahrnehme ist, dass die Banken 50% von etwas bekommen, wovon ihnen genau 0 zusteht. Wo ist nun das deutsche Interesse ?

PS. Das letzte mal, als ich nachgesehen habe, wurde die deutsche Regierung von den Steuerzahlern gewählt und nicht von den Banken.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

28.10.2011 18:04
#121 RE: Verhandlungen Antworten

Zitat von R.A.
Oder können Sie mir mal sagen, in welchen Punkten Deutschland heute mehr Einfluß oder Vorteile hat als vor zwei Jahren? Welche Gegenleistungen hat Merkel denn für einige hundert Milliarden eingekauft?

Lieber R.A., ich habe gerade in der Antwort an Llarian einen Artikel der NYT verlinkt. Wenn ich Zeit habe (was im Augenblick ungewiß ist), dann mache ich mal eine kleine internationale Presseschau.

Ich habe wirklich den Eindruck, daß in Deutschland in einem Anfall von nationalem Masochismus das, was überall als großer Verhandlungserfolg der Kanzlerin gesehen wird, in sehr deutscher Manier bejammert wird.

Und seien Sie mir bitte nicht böse, liebe langjähriger Diskussionspartner R.A.: Dieser Attitüde, daß immer wir Deutschen die Dummen sind und für die anderen zahlen müssen, kann ich überhaupt nichts abgewinnen.

Wir zahlen, weil wir davon Vorteile für uns haben. Allein aus diesem Grund. Und wenn jemand jemanden über den Tisch zieht, dann sitzt auf der ziehenden Seite meist die Kanzlerin Merkel und lächelt unschuldig.

Herzlich, Zettel

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

28.10.2011 18:05
#122 RE: Verhandlungen Antworten

Zitat von Zettel
Das Interesse des deutschen Steuerzahlers gegen das der Banken



Der Schuldenschnitt ist keine Leistung, sondern unvermeidlich. Dass er so lange hinausgezögert wurde, hat den deutschen Steuerzahler schon viel zu viel gekostet.

--
L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

28.10.2011 18:06
#123 RE: Verhandlungen Antworten

Zitat von R.A.
Und "ignorieren" würde eigentlich nicht zum Diskussionsstil gehören, den wir von Ihnen gewohnt sind.

Ich diskutiere, so gut ich kann, lieber R.A.

Eine Beschwerdestelle, die dafür sorgt, daß säumige Diskutanten ihren Verpflichtungen nachkommen, gibt es in diesem Forum leider nicht.

Herzlich, Zettel

Llarian Offline



Beiträge: 7.115

28.10.2011 18:06
#124 RE: Verhandlungen Antworten

Zitat von Zettel
Und wenn jemand jemanden über den Tisch zieht, dann sitzt auf der ziehenden Seite meist die Kanzlerin Merkel und lächelt unschuldig.


Warum musste ich hier direkt an das deutsche Volk denken, dass da gezogen wird ?

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

28.10.2011 18:08
#125 RE: Zitat des Tages: Die Leistung der Kanzlerin Antworten

Zitat von R.A
Ich finde die Euro-Einführung nach wie vor gut. Und die Verträge waren auch in Ordnung. Denn da war klar definiert, daß die Schulden von Staaten ihre Privatsache sind und es eben keine Bail-Outs gibt. Mit anderen Worten: Schon der Euro-Vertrag sah die "geordnete Insolvenz" vor.
Nur leider wurde dieser Vertrag 2010 gebrochen - seitdem haben wir die Krise.



Verträge, deren Einhaltung von wesentlichen Vertragspartnern nicht beabsichtigt ist und zu deren Durchsetzung es keinen wirksamen Mechanismus gibt, sind ihr Papier nicht wert.

--
L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)

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