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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
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Emulgator Offline



Beiträge: 2.833

27.11.2015 18:45
#51 RE: „Wie wollen wir leben?" Antworten

Zitat von Simon im Beitrag #49
Das Christentum mit seinem Bekenntnis zur Mensch-Werdung Gottes ist grundsätzlich nicht etwas, was ich als etwas Vernünftiges einsehen und dann etwa allen Menschen ebenso als das Vernünftigste auf der Welt als zu leben zumuten und schon garnicht vorschreiben darf.
Ja, denn sobald das geschieht, wird dieser Glaube eben nicht mehr aus freier Vernunfterkenntnis gelebt sondern aus Zwang. Der Unterschied ist wesentlich, weil ein aus freier Einsicht gewähltes Leben mit den individuellen Bedingungen anders umgehen kann, als ein erzwungener fremdgeplanter Lebensweg. Auch wenn das jetzt bloß eine Assoziation ist (allerdings eine für mich wichtige): In der Hinsicht ist der christliche Glaube (der nie erzwungen werden kann) wie eine Marktentscheidung, während der erzwungene Glaube wie eine Wirtschaftslenkung ist. Nur die marktwirtschaftlich erzielte Allokation geht auf die individuellen Bedingungen ein. Damit schließt sich wieder der Kreis, weil die Interaktion am Markt (Verträge = Bund, wie mit Gott, also etwas heiliges) wieder in der Essenz sozial und zwischenmenschlich ist, die Wirtschaftsdiktatur hingegen nicht.

Zitat von Simon im Beitrag #49
Es ist aus dem einzigartigen Monotheismus des Volkes Israels herausgewachsen. Jesus, der von den Christen, besser: der Gemeinschaft der Christen, der Kirche, als Christus/Messias Gottes bekennend ausgesagt wird, ist ohne die gesamte Geschichte dieses Volkes nicht denkbar.
Da kommt mir die 2. Samuel 7 in den Sinn. Als David sein Reich gesichert hat, beschließt er mit seinem Propheten Nathan, ein Gotteshaus zu bauen. Aber wie reagiert darauf Gott? Er betont, schon immer und während des Exodus inmitten des Volkes Israels gewohnt zu haben, und nie ein Haus gewollt zu haben. Im Gegenteil will Er selber David ein Haus bauen, was wir als eine Prophezeiung Jesu verstehen.
Da liegt eine radikale Umkehr des Begriffes "Gottesdienst" im Kontrast zu Religionen vor, denen es in erster Linie auf die vorschriftsmäßige Einhaltung von Riten ankommt, wie im Islam. Gott ist nicht der obenschwebende Boss, zu dem man "emporopfern" müsse, sondern Gott ist mitten unter uns. Und ich glaube, daß da eine entscheidende Identität vorkommt: Erstens ist Sein Reich mitten unter uns, und zweitens tut man alles, was man den Geringsten tut, Ihm selber. Ich weiß nicht, ob man das philologisch bestätigen kann, aber hier wird m.E. tatsächlich eine Identität formuliert und kein Vergleich. Es ist nicht so, als ob oder wie man es Ihm täte, sondern es ist genau so.

Simon Offline



Beiträge: 334

27.11.2015 20:25
#52 RE: „Wie wollen wir leben?" Antworten

Zitat von Nola im Beitrag #47

Zitat


... oder daß man schlichtweg nicht verstanden habe, worum es im Christentum geht.


Zitat von Fluminist

Hiermit mögen Sie recht haben. Es stellt sich aber dann doch die Frage, inwieweit Ihre ansprechend vernünftige humanistische Gottesauffassung christliches Allgemeingut ist. Wieviele Christen, in der Vergangenheit und heute, haben "nicht verstanden, worum es im Christentum geht"?



Wenn sich diese Menschen zusammen finden z.B. Weihnachten und feiern gemeinsam und verbringen eine besinnliche Zeit miteinander nicht zuletzt aufgrund neu gefasster Gedanken, die die Zeit der Muße meist hervorbringt, ist das dann nicht auch Bestandteil der christlichen Lehre. Und ist es dann nicht egal wieviel man davon versteht oder artikulieren kann, sondern nur wichtig das man die Nächstenliebe fühlt und lebt?





Liebe Nola, darf ich Sie so nennen und Ihnen antworten?
Selbstverständlich ist das, was Sie ins Wort heben, "Bestandteil der christlichen Lehre", ebenso der Tora des AT und Gott sei Dank noch sozusagen "westliches" Allgemeingut. Nur traute ich heute meinen Augen nicht, als ich in der heutigen Nummer von "Israel heute" las, dass - beispielsweise! - der kämpferische Islam in Afrika unterwegs ist, dummdreist unterwegs ist, um dortigen Christen weißzumachen, dass "Jesus ein Sklave Gottes gewesen sei..." mit der Konsequenz, "überzeugt" zum besseren Islam übertreten zu können. - Deshalb meine ich, dass bei aller Freiheit oder Möglichkeit, Christentum zu leben, zumindest der Grundsatz gelten sollte, sich eines bestimmten Kanons christlicher Allgemeinbildung nicht zu verschließen. -

Entschuldigen Sie, wenn ich so allgemein - nicht zu Ihrer oder anderer Belehrung - dafür Beispiele anführe:
Im Falle der oben genannten dreisten Argumentation kann es sich nur um die fundamentalistische Lesart von Stellen im AT und NT handeln. Z. B. nennt der Apostel Paulus sich und seinen Gefährten Timotheus, mit dem zusammen er um das Jahr 50 Bürgern einer römischen Koloniestadt in Kleinasien das Evangelium Jesu Christi bringen: "Sklaven Christi Jesu". Im gleichen Brief - an die Gemeinde in Philippi - zitiert Paulus Kap. 2,6-11 einen Liedtext, von dem die Exegeten sagen, dass er schon vor Abfassung des Briefes (um 50) existiert haben muss. Darin wird in ergreifender Weise geschildert, wie sich - wie es heißt - Jesus, der (geglaubte) Christus = (hebr. Messias) - sich nicht zu gut war, seine "Gottgleichheit" quasi zu verleugnen und (eine) Sklaven-Gestalt anzunehmen, um so "den Menschen gleich" zu werden. Und die Entäußerung wird noch weiter gesteigert, indem analog der Historie Jesu gesungen wird: "er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz." - Paulus war (er sagt es selbst an mehreren Stellen seiner Briefe) von seiner Verfolgung der ersten "Christen" bis vor Damaskus noch so bis ins Mark hinein erschüttert und beschämt, dass er sich den "Philippern", die wahrscheinlich Gasthörer einer örtlichen Synagoge waren und sich (aufgrund der Belehrung und Überzeugungsarbeit der beiden Apostel) zu einer Gemeinde formierten, im Brief neben seinem Namen nicht anders vorstellen mochte, als in Parallele zur Sklaven-Gestalt seines "HERRN". HERR ist der umschriebene Name für Christus, den Paulus, der Tora-Gelehrte(!) seit seinem Glaubens-Erlebnis vor Damaskus synonym für seinen (jüdischen) Gott gebraucht. Wenn ich von "Überzeugungsarbeit" gesprochen habe, dann bedeutete das in dieser frühen Missionierungs-Zeit nichts anderes, als dass der Gemeinde vorgelebt wurde, was es heißt Sklave seines HERRn zu sein. Es ist belegt, dass Paulus tagsüber sein gelerntes Handwerk eines Zeltmachers ausübte, und erst abends oder am Sabbat die Tora auf Christus hin auslegte. In solchem Zusammenhang kommt er dann in seinem Brief (an die Philipper) auch auf das Christus-Lied zu sprechen, indem er einleitend sagt: "Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben Christus Jesus entspricht (EÜ)". - - Die bekannteste Stelle vom "Sklaven Gottes" steht im
2. Jesaja-Buch, Kap 52,14 - 53,12: das sog. Vierte Lied vom Gottesknecht. Es bezieht sich ursprünglich auf das Los des zerschundenen Volkes Israel, das seines Landes verlustig ging und verhöhnt von den Siegern in die Verbannung getrieben wurde. In der katholischen Karfreitagsliturgie ist es der Leidensgeschichte Jesu vorangestellt. Es gilt als ziemlich sicher, dass die Verfasser eines Ur-Evangeliums sich (nach Rudolf Pesch vielleicht nur 3 Jahre nach dem Tod Jesu in Jerusalem) angesichts der Historie Christi u.a. an diesem Text orientiert haben.

Frohe und besinnliche Weihnachten! wünscht
Simon

Emulgator Offline



Beiträge: 2.833

27.11.2015 23:04
#53 RE: „Wie wollen wir leben?" Antworten

Zitat von Fluminist im Beitrag #46
Zitat von Emulgator im Beitrag #45
Wenn man also behauptet, der Gott des Christentums sei ein Wesen, das man sich nur einbilde, dann sagt man damit entweder, daß man sich selber für den einzigen Menschen auf der Welt halte und alle Mitmenschen nur Einbildungen seien, ...

Das, lieber Emulgator, folgt nicht, das kann ich Ihnen aus meiner eigenen täglichen Übung versichern.
Einem Atheisten wird es ja schwierig fallen, in den Menschen etwas göttliches zu sehen. Auf der anderen Seite ist es aber ganz natürlich und richtig und verständlich, sich selbst in seinem eigenen Leben für den wichtigsten Menschen zu halten (Anhänger von Sektengurus oder Diktatoren mögen freilich eine andere Sicht haben, aber wir sprachen ja von Atheisten). Also fehlt definitiv etwas, was die Empfindung einer "Auch-Herausgehobenheit" des Mitmenschen rechtfertigt.
Ich glaube, existenzielle Ereignisse, die eine Gruppe von Menschen zusammenschweißen (Meister Petz hatte ja neulich so ein Phänomen im Kontext von Terroranschlägen angesprochen) und zu rational-aufopferndem Verhalten bewegen, sind ein Zeichen dafür, daß zu dieser Art von Transzendenz, von Ich-Überschreitung, sehr viele Menschen angelegt sind. So ist bekannt, daß Menschen, die einer solchen Lage gewahr werden, durchaus zu schadensminimierenden Verhalten fähig sind, auch wenn es sie selber unter Risiko setzt ("Let's roll!"), und nicht in Panik oder reinen Egoismus verfallen. Man muß bedenken: Hier sehen die Leute dem Tod ins Auge. Dieses Bewußtsein scheint eine ganz eigene Weisheit zu erzeugen.

Zitat von Fluminist im Beitrag #46
Zitat von Emulgator im Beitrag #45
... oder daß man schlichtweg nicht verstanden habe, worum es im Christentum geht.

Hiermit mögen Sie recht haben. Es stellt sich aber dann doch die Frage, inwieweit Ihre ansprechend vernünftige humanistische Gottesauffassung christliches Allgemeingut ist. Wieviele Christen, in der Vergangenheit und heute, haben "nicht verstanden, worum es im Christentum geht"?
[/quote]Ich bin ziemlich sicher, daß in den Gesellschaften, in denen die Kirche Anhänger verliert, diese Auffassung außer Übung geraten ist. Es ist dann nur folgerichtig, sich von dieser Scharade, diesem Affenzirkus, als den sich das Christentum dann darstellt, abzuwenden.
Ebenso sicher bin ich, daß dieses Verständnis bei niemanden permanent oder stabil ist, sondern aus diversen "guten Gründen" aus der Übung kommt; gerade so wie bei manchen Autofahrern mit der Zeit auch die StVO-Treue schwindet. Die Herausforderung ist deswegen, sich nicht von diesen "guten Gründen" ablenken zu lassen, sondern immer seine Lebensübung zu überdenken und in diesem Sinne zu erneuern. Das wird mit dem Wort Metanoia, also Buße bezeichnet.

Zitat von Fluminist im Beitrag #48
Mein Einwand gegen den Spruch Emulgators war eher, daß die christliche Gottheit ja nicht nur eine Allegorie der genannten menschlichen Eigen- und Errungenschaften ist, sondern in der Regel noch mit einer ganzen Reihe anderer, weit darüber hinausgehender Eigenschaften ausgestattet wird: Schöpfer des Himmels und der Erde, kommender Richter der Lebenden und der Toten, Spender ewigen Lebens in Glückseligkeit etc. Wenn das nicht nur metaphorisch, sondern konkret und real gemeint ist, dann stellt es gegenüber Emulgators Worten deutlich höhere Anforderungen an die Glaubensfähigkeit.
Es ist zugleich metaphorisch, aber wird deswegen nicht weniger real geglaubt. Jesus sprach eben in Gleichnissen, was auch kaum anders geht, weil wesentliche Teile des Themas jenseits der immanenten Verständlichkeit liegen, für die wir normalerweise unsere Sprache verwenden.
Beispielsweise ist mit der Bezeichnung Richter eben nicht Jesus als normaler Richter "nur in Groß" gemeint. Betrachtet man die Ikonographie zum Jüngsten Gericht, dann erscheinen dort tatsächlich die bekannten Attribute der Rechtsprechung, etwa die Waage, die hier die Seelen wiegt, und das Schwert. Damit ist aber gerade nicht gesagt, daß es beim Jüngsten Gericht so aussehe. Es ist ja bekannt, daß diese Attribute nur metaphorisch gemeint sind. Auch in der Antike werden Waagen und Schwerter selten Anwendung vor Gericht gefunden haben. Gleichzeitig ist sichtbar, daß diese Attribute eines gewöhnlichen Gerichts wiederum abgewandelt werden: Die Abbildung, Seelen zu wägen, gibt es nur im eschatologischen Kontext. So ähnlich wie in der gewöhnlichen allegorischen Darstellung darf man nicht schließen, daß dort eine Gestalt mit einer Waage säße, aber ebenso klar drücken diese Attribute keine Gleichheit mit gewöhnlichen Gerichten mehr aus. Wir haben daher eine Allegorie in der Allegorie, die die Andersartigkeit hervorhebt. In dem Fall ist es insbesondere die Barmherzigkeit, die diesen Richter vom gewöhnlichen Richter, der "nur" ans Gesetz gebunden ist, unterscheidet.

Wie geht das jetzt mit dem Humanismus zusammen? Wenn wir die Identifikation von Gott und den Menschen im Hinterkopf behalten, dann vereinigen sich in gewisser Weise die Bedeutungsunterschiede, ob man nun durch oder wegen des Anderen oder ob man durch oder wegen der eigenen Taten "gerichtet" wird. In der Geschichte von Lazarus und dem reichen Prasser verlängert sich die Trennung zwischen beiden, die der Prasser bewirkt hat, weil er Lazarus die Tischgemeinschaft verweigert hat und dies nie korrigiert hat, einfach über beider Tod hinaus, und wird als "große Kluft" bezeichnet. Wo wird in der Geschichte ein Richter erwähnt? Hat der reiche Prasser ein Gesetz verletzt? Er war "nur" unbarmherzig, inhuman. Ein Zusammenwirken mit dem notleidenden Lazarus wollte er nicht.
Wie hätte man die Zeit nach dem Tode beider alternativ erzählen können? Man hätte sagen können, beide sind tot und existieren nicht mehr, damit ist die Sache erledigt. Es wäre nunmehr gegenstandslos, das Verhalten des Prassers unbarmherzig zu nennen. Ab dem Tod ist alles egal, also kann er alles aussitzen.
Man hätte auch sagen können, er hätte die Kluft noch überwinden können. Auch dann ist die Frage nach der Barmherzigkeit gegenstandslos, weil er ja jederzeit sich umentscheiden könnte. Und jeder, der schon mal eine Rechnung eintreiben wollte, weiß: Was ohne Frist gefordert wird, geschieht nie!

Barmherzigkeit, Nächstenliebe, Humanismus wäre also bloßes Wortgeklingel ohne Folgen geworden. Daß an diese Folgenlosigkeit in Fällen existenzieller Herausforderung nicht geglaubt wird, obwohl sie dort sogar den kurzfristig höchsten Preis haben können, habe ich oben angedeutet. Hier haben wir einen Hinweis darauf, daß es eine Hälfte unserer Existenz gibt, die wir zwar nicht immanent erkennen, aber die trotzdem existent genug ist, tiefgreifende Entscheidungen von uns zu bestimmten. Es bedauern auch viele Menschen, sich mit einem anderen nicht mehr versöhnt zu haben, weil er zu plötzlich gestorben ist. Es ist offenbar existenziell wichtig, sich mit Menschen versöhnt zu haben, selbst wenn sie eigentlich nicht mehr existieren und die Versöhnung deswegen für den Lebenden und den Toten belanglos sein müßte. Genau das reflektiert die Geschichte von Lazarus in ihren metaphorischen Worten.

Nun wieder eine Bemerkung zum (modernen) Islam. Dort sind Unterscheidungen, was eine Metapher ist und was wörtlich gemeint ist, unpopulär. Wenn dort gesagt wird, für Gebete, Fasten usw. würde man von Allah belohnt werden, dann wird es durchaus wörtlich verstanden, wie ein Arbeitgeber auch belohnt, weil es ja so im Koran steht. Eigentlich ist das so nicht zulässig zu glauben, weil man so Allah anthropomorph versteht, was er als absolutes Wesen nicht sei. Hier liegt ein Bruch vor. Das einzige, was faßbar bleibt, ist das Schema aus Wohlverhalten und Belohnung. Aber freie Kooperation und Zusammenwirken ist das genau nicht.

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

27.11.2015 23:35
#54 RE: „Wie wollen wir leben?" Antworten

Zitat von Emulgator im Beitrag #53
Zitat von Fluminist im Beitrag #46
Zitat von Emulgator im Beitrag #45
Wenn man also behauptet, der Gott des Christentums sei ein Wesen, das man sich nur einbilde, dann sagt man damit entweder, daß man sich selber für den einzigen Menschen auf der Welt halte und alle Mitmenschen nur Einbildungen seien, ...

Das, lieber Emulgator, folgt nicht, das kann ich Ihnen aus meiner eigenen täglichen Übung versichern.
Einem Atheisten wird es ja schwierig fallen, in den Menschen etwas göttliches zu sehen. Auf der anderen Seite ist es aber ganz natürlich und richtig und verständlich, sich selbst in seinem eigenen Leben für den wichtigsten Menschen zu halten (Anhänger von Sektengurus oder Diktatoren mögen freilich eine andere Sicht haben, aber wir sprachen ja von Atheisten). Also fehlt definitiv etwas, was die Empfindung einer "Auch-Herausgehobenheit" des Mitmenschen rechtfertigt.
Ich glaube, existenzielle Ereignisse, die eine Gruppe von Menschen zusammenschweißen (Meister Petz hatte ja neulich so ein Phänomen im Kontext von Terroranschlägen angesprochen) und zu rational-aufopferndem Verhalten bewegen, sind ein Zeichen dafür, daß zu dieser Art von Transzendenz, von Ich-Überschreitung, sehr viele Menschen angelegt sind. So ist bekannt, daß Menschen, die einer solchen Lage gewahr werden, durchaus zu schadensminimierenden Verhalten fähig sind, auch wenn es sie selber unter Risiko setzt ("Let's roll!"), und nicht in Panik oder reinen Egoismus verfallen. Man muß bedenken: Hier sehen die Leute dem Tod ins Auge. Dieses Bewußtsein scheint eine ganz eigene Weisheit zu erzeugen.

Gerade dieses letztere wollte ich hie und da schon andeuten. Die Einsicht in die Beschränktheit und Endlichkeit des eigenen Lebens und das Ende der persönlichen Existenz einerseits und in die Schicksalsgemeinschaft aller Wesen, die eben genau diesem selben Gesetz des Werdens und Vergehens unterliegen (daher die '"Auch-Herausgehobenheit" des Mitmenschen' und darüber hinaus aller Wesen und Dinge: da fehlt nichts!) andererseits führt ganz logisch und folgerichtig zur Ich-Überschreitung durch soziales Denken und Handeln. Wenn man richtig verinnerlicht, daß es nach dem eigenen Tode kein anderes Leben gibt als das Leben der Anderen, dann sieht man die Welt viel bescheidener und behutsamer und wird geradezu dazu gedrängt, den Anderen zu helfen.
Sehen Sie, dafür brauche ich kein Versprechen von einem transzendenten Paradies und keine Gottheit, die dafür bürgt. Eine Moral, die per überirdischer Belohnung bzw. Bestrafung an den Egoismus und mit einem Versprechen "ewiger Existenz" (welch hastige Extrapolation!) an ein absurd überhöhtes Selbstwertgefühl des Individuums appelliert, erscheint aus dieser Warte betrachtet primitiv und armselig.

Nola Offline



Beiträge: 1.719

27.11.2015 23:53
#55 RE: „Wie wollen wir leben?" Antworten

Zitat
Deshalb meine ich, dass bei aller Freiheit oder Möglichkeit, Christentum zu leben, zumindest der Grundsatz gelten sollte, sich eines bestimmten Kanons christlicher Allgemeinbildung nicht zu verschließen. -




Richtig, stimme ich Ihnen zu. Wahrscheinlich wird auch dieser Dialog zukünftig in unserem Umfeld geführt werden.

Lieber Simon, haben Sie herzlichen Dank für Ihre Ausführungen, die überhaupt nicht belehrend sondern zum besseren Verständnis führten.

Auch ich wünsche Ihnen eine gute Weihnachtszeit

♥lich Nola

---------------------------

Status quo, nicht wahr, ist der lateinische Ausdruck für den Schlamassel, in dem wir stecken.
Zettel im August 2008

Simon Offline



Beiträge: 334

28.11.2015 12:28
#56 RE: „Wie wollen wir leben?" Antworten

Zitat
"Wahrscheinlich wird auch dieser Dialog zukünftig in unserem Umfeld geführt werden.

Lieber Simon, haben Sie herzlichen Dank für Ihre Ausführungen, die überhaupt nicht belehrend sondern zum besseren Verständnis führten.

Auch ich wünsche Ihnen eine gute Weihnachtszeit"





Liebe Nola:
Das alles zusammen freut mich sehr!

Simon

Johanes Offline




Beiträge: 2.414

28.11.2015 14:54
#57 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Zitat von Peter Zeller im Beitrag #39
[...]


Danke für die Darstellung. Es handelt sich ja offensichtlich um einen Ausschnitt aus einer Datei, die auf ihrer Festplatte liegt, deshalb noch mal besonderer Dank, dass wir hier im Forum Einblick in dieses Dokument erhalten dürften.

Was den Inhalt angeht, so halte ich den wiederholten Vergleich zwischen dem heutigen Islam und der mittelalterlichen Kirche und den Katholizismus für etwas problematisch. Es suggereriert, der Islam befinde sich in einem vorreformatorischen Stadium der Entwicklung, irgendwann werde es auch in ihn eine Reformation geben und dann werde werde sich eine ähnliche Entwicklung ereignen, wie wir sie aus der Geschichte des Christentums im Abendland kennen.
Dieser Vorstellung möchte ich aus zwei Gründen widersprechen. Erstens denke ich nicht, dass Kulturen immer eine ähnliche Entwicklung nehmen, so wie Spengler das vielleicht angenommen hat. Zweitens sind die Voraussetzungen doch ganz andere. Zur Zeit von Luther und den übrigen Reformatoren entstand grade der Buchdruck, große Bevölkerungskreise konnten nicht mal richtig lesen und schreiben und die abendländische Kirche hatte eine komplett andere Vorstellung. Dort gab es, den Verhältnissen vor Ort geschuldet (kaum jemand sprach Latein, kaum jemand konnte Lesen, oft noch heidnische Vorstellungen usw.), die Idee, dass der Priester den Gläubigen die Heilige Schrift auslegen sollte. Dass das einfache Volk die Heilige Schrift lesen sollte, wurde als nicht notwendig und vielleicht sogar schädlich angesehen, denn es hatte ja weder die priesterliche Weihe, noch die universitäre Ausbildung (Theologie), um die Heilige Schrift richtig zu deuten.
In so einem Umfeld hat ein Reformator, der die Heiligen Schriften in eine für das Volk lesbare Sprache übersetzt und darauf hinweist, dass viele kirchliche Institutionen wie Ablassbriefe und ähnliches sich nicht offensichtlich aus der Schrift rechtfertigen lassen, natürlich eine gewaltige Wirkung.
Auch sollte man nicht vergessen, dass die mittelalterliche und frühneuzeitliche Kirche, bei aller Kritik, durchaus nicht fundamentalistisch war. Für die Thomisten gilt Vernunft und Glaube als vereinbar, erst durch die Reformation trat der Zug auf, sich allein auf die Schrift zu beziehen ("sola scriptura").

Im heutigen Islam dagegen sind die Verhältnisse doch andere. Die Gläubigen sollen, zumindest theoretisch, arabisch lernen um die Heilige Schrift im Orginal lesen zu können. Eine Übersetzung gilt nicht als die Heilige Schrift in einer anderen Sprache, sondern bestenfalls als eine Interpretation dieser.
Auch ist unklar, ob ein "sola scriptura" im Islam so ohne Weiteres möglich ist. Soweit ich weiß, ist es für die Auslegung gewisser Suren (aus Sicht der herrschenden Kleriker) sehr wichtig den Kontext zu berücksichtigen, in welchen sie herabgesandt wurden.
Auch würde diese "sola scriptura" zunächst sogar den Fundamentalismus stärken, es gibt dort eben keine Kirche von Klerikern, die man durch strenge Rückführung auf die Heilige Schrift in ihren Handlungsfähigkeiten einschränken könnte. Verschiedene Schulen, die um die Korrekte Auslegung streiten, haben wir auch jetzt schon.


Ich hoffe, lieber Peter Zeller, ich habe diese Suggestion nicht gegen ihre Intention aus den Text herausgelesen. Selbst wenn schaden meine obigen Ausführungen unter diesen Gesichtspunkt nicht, denn die Vorstellung, dass der Islam quasi noch im Mittelalter ist und sich vom dort weiterentwickelt wie das Christentum, ist weit verbreitet. Man findet sie gelegentlich in der Presse und der Literatur und nicht selten auch durch Personen im Internet verbreitet. Dazu passt ja schön, dass wir uns nach dem islamischen Kalender erst im Jahre 1437 befinden.

Meines Erachtens entwickeln sich verschiedene Kulturen auf unterschiedliche Weise, je nach dem unter welche Bedingungen ihre Entwicklung abläuft. Das soll kein Bekenntnis zum Kulturrelativismus sein.

Unter einen anderen Gesichtspunkt schaden meine obigen Ausführungen vielleicht doch, nämlich durch die Fehler, die sie wahrscheinlich beinhalten. Allerdings habe ich in Zettels Raum die Zuversicht, dass die engagierten Zimmerleute diese schon richtigstellen werden.

Simon Offline



Beiträge: 334

30.11.2015 19:43
#58 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Darf ich mich an dieser Stelle an die Techniker dieses Blogs wenden?

In neuerer Zeit werden mir meine Schreibrechte genommen, wenn ich per Mail darüber informiert werde, dass eine neue Antwort eingegangen sei. Genauer ausgedrückt: Wenn ich über den angebotenen Link in den Diskussionsraum gehe, sind die Schreibrechte weg. Wähle ich mich dagegen über das Internet ein, indem ich z. kl. z. aufrufe etc. sind meine Schreibrechte unangetastet.

Danke fürs Lesen. Und noch mehr Dank, wenn dieser Defekt behoben werden kann.

Simon

Simon Offline



Beiträge: 334

01.12.2015 21:10
#59 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Am 01.12.2015 um 20:19 schrieb zettel@techemail.com:
> Hier können Sie sie lesen:
> http://83273.homepagemodules.de/
Vielen Dank.
Aber lesen konnte oder kann ich sie ja ohnehin. Wie jeder andere auch. Es geht um die schon angemeldeten Schreibrechte dessen, der seine Bitte mit "Simon" unterzeichnet hat.
Übrigens: Ich wiederhole es noch einmal. Wenn ich über das Internet in den Blog hineingehe, funktioniert offenbar die Technik. Mir wird angezeigt, dass ich als "Simon" willkommen bin. Benutze ich dagegen den Link, der mir gesendet wird, wenn eine neue Nachricht für mich, eine "Antwort" eingegangen ist, oder wie es genau heißt, dann - ja dann wird mir gesagt, dass ich mich hier (neu) anmelden kann. - Kann man das beheben?

Dank im voraus.

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

02.12.2015 12:54
#60 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Zitat von Simon im Beitrag #59
Wenn ich über das Internet in den Blog hineingehe, funktioniert offenbar die Technik. Mir wird angezeigt, dass ich als "Simon" willkommen bin. Benutze ich dagegen den Link, der mir gesendet wird, wenn eine neue Nachricht für mich, eine "Antwort" eingegangen ist, oder wie es genau heißt, dann - ja dann wird mir gesagt, dass ich mich hier (neu) anmelden kann. - Kann man das beheben?
Ich vermute, nein. Wenn ich nur wüsste, was genau auf Ihrem Rechner vor sich geht!

Lassen Sie mich raten: vermutlich haben Sie für Email und Internet zwei verschiedene Programme. Das eine, für Email, heißt vielleicht "Outlook Express" (oder "Windows Mail"), das andere, für Internet, heißt vielleicht "Internet Explorer". (Bei mir heißt das Emailprogramm "Thunderbird" und das Internetprogramm heißt "Firefox". Ich habe das bei Ihnen auftretende Problem leider nicht. Das ist auch der Hauptgrund, warum ich vermute, dass es sich nicht beheben läßt, jedenfalls nicht von mir.)

Wenn Sie nun ein E-Mail bekommen mit einem Link auf eine Seite in ZkZ, und Sie diesen Link anklicken, was passiert dann?

Öffnet sich dann die Seite in einem Fenster Ihres Emailprogramms oder in einem Fenster, das zu Ihrem Internetprogramm gehört? (Ich habe mir gerade ein paar Screenshots von Windows in der Wikipedia angesehen und es scheint mir, dass diese Frage nicht ganz leicht zu beantworten ist, aber irgendwie wird es doch in Windows möglich sein, festzustellen, zu welchem Programm ein bestimmtes Fenster gehört?)

Im ersten Fall, also wenn die Seite vom Emailprogramm angezeigt wird, könnte ich mir vorstellen, woran Ihr Problem liegt. Im zweiten Fall wäre ich allerdings ratlos.


Herzliche Grüße,
Kallias

Hatten vielleicht noch andere Mitglieder dieses Problem?

Peter Zeller Offline



Beiträge: 164

02.12.2015 21:55
#61 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Hallo.

Meine Bemerkungen zum Islam ruhen auf drei Säulen: 1. eine extreme Verkürzung 2. die Nachwirkung der Lektüre von V. S. Naipaul 3. weil man viele Parallelen findet zwischen der Kirche im MA und dem heutigen Islam, so daß eine gewisse Ähnlichkeit plausibel erscheint, wenngleich ich mir bewußt bin, daß eben diese Plausibilität verdächtig ist - was alles war nicht schon plausibel in Geistesgeschichte und Wissenschaft.

Ich hatte den Eindruck, vllt täusche ich mich, daß manche hier meinen, der Mensch könne nur mit Religion ein guter Mensch sein. Für diesen Fall hätte ich als Ergebnis meiner Bestandsaufnahme ein paar Lektüre-Ideen:

Antireligions- und Atheistische Literatur

Russell Bertrand: Why I’am not a Christian.
Der Klassiker.
In: Al Seckel [ed.]: Bertrand Russel on God and Religion. pp 57-71 Prometheus Books New York 1986
Enthält eine Liste aller Bücher von Bertrand Russell.

Russell Bertrand: Religion and Science. 254 pages Oxford University Press Oxford New York 1961, 1997
_________________________________________________________________________

Boghossian Peter: A Manual for Creating Atheists. 278 pages Pitchstone Publishing 2013

Cap, Ferdinand: Des Ende der Religionen. Naturwissenschaftliche und religiöse Weltbilder. 3. erw. Aufl. 223 Seiten Studienverlag Innsbruck 2005
An den Inhalt kann ich mich leider nicht mehr erinnern, ich weiß noch, daß es mir sehr gut gefallen hat. Cap widmet sein Buch seinen ‚Freunden und Förderern Arthur March, Erwin Schrödinger, Hans Thirring.’

Dawkins Richard: The Selfish Gene. Oxford University Press 1989
Dawkins Richard: Gipfel des Unwahrscheinlichen. Wunder der Evolution. rororo science Hamburg 2001 (Original: Climbing Mount Improbable. Viking, Penguin Group 1996)
Dawkins Richard: Unweaving the Reinbow. Penguin Books 1999, 2006
Dawkins Richard: The Blind Watchmaker 3440 pages Penguin Books 2006
Dawkins Richard: The God Delusion. 463 pages Black Swan books 2007

Bücher von Richard Dawkins:
1. The Selfish Gene 1976, 1989
2. The Extended Phenotype 1982
3. The Blind Watchmaker 1986, Penguin 1988
4. River Out of Eden 1995
5. Climbing Mount Improbable 1997, Penguin 1998
6. Unweaving the Rainbow 1999
7. The Ancestor’s Tale 2004

Dennett Daniel C.: Breaking the Spell. Religion As Natural Phenomenon. 448 pages Penguin Books New York 2007


Flasch Kurt: Warum ich kein Christ bin. Bericht und Argumentation. 280 Seiten 5. Aufl. 2014 C.H.Beck München
Diese Buch sollte sich jeder gönnen, weil das Lesen ein Genuß ist. Flasch schreibt ohne zu eifern, ganz sachlich. Als anerkannter Mediävist kennt er sich in den Methoden der unabhängigen kritischen Geschichtsforschung bestens aus, für den Leser erhellend.

Freud Sigmund: Die Zukunft einer Illusion.91 Seiten Nachdruck des Originals von 1927 durch Outlook Paderborn

Harris Sam: The End of Faith. Religion, Terror, and the Future of Reason. 348 pages W.W. Norton & Company New York 2004

Harris Sam: Letter to a Christian Nation. 120 pages Vintage Books 2008
Interessant bzw. typisch die Reaktion des “Christlichen Amerika”: Sie beschimpften, diffamierten und bedrohten ihn. Am Ende seines Buches empfiehlt er 10 weitere Bücher.
Harris’ Bücherliste:
1. The God Delusion – Richard Dawkins
2. Breaking The Spell – Daniel C. Dennett
3. Misquoting Jesus – Bart D. Ehrman
4. Kingdom Coming – MichelleGoldberg
5. The End of Days – Gershom Gorenberg
6. Freethinkers – Susan Jacoby
7. Extraordinary Popular Delusions and the Madness of Crowds – Charles Mackay
8. Why I Am Not a Chrstian – Betrand Russell
9. God, the Devil and Darwin – Niall Shanks
10. Atheism: The Case Against God – George H. Smith

Harris Sam: The Moral Landscape. How Science Can Determine Human Values. 307 pages Free Press Simon & Schuster New York 2010

Harris Sam: Lying.

Harris Sam: Free Will. 83 pages Free Press Simon & Schuster New York 2012

Harris Sam: Waking Up. A Guide to Spirituality Without Religion. 245 pages Simon & Schuster New York 2014

Hitchens Christopher: God is not great.How Religion poisons everything. 377 pages Verlag 12Twelfe, Hachette Book Group 2008

Thonhauser Johannes: Das Unbehagen am Monotheismus. Der Glaube an den einen Gott als Urspung der religiösen Gewalt?
Eine präzise und kompakte Darstellung der Diskussion um Jörn Assmanns These zur „Mosaischen Unterscheidung.“

Stenger Victor J.: Has Science Found God? The Latest Results in the Search for Purpose in the Universe. 373 pages Prometheus Books New York 2003

Stenger Victor J.: God the Failed Hypothesis. How Science shows that God does not exist. 300 pages Prometheus Books New York 2008

Wielenberg Erik J.:Value and Virtue in a Godless Universe. 193 pages Cambridge University Press 2003


Ich meine, es war Steven Weinberg: Der Mensch ist von Natur aus gut; damit er schlecht wird, dazu braucht es Religion.

Sinngemäß halt. Frohen Bücherkauf.

Dennis the Menace Offline




Beiträge: 459

03.12.2015 11:32
#62 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Diese umfangreiche Liste, lieber Herr Zeller, erinnert mich an unseren verehrten Altbundeskanzler Helmut Kohl, der anlässlich eines Besuches der Frankfurter Buchmesse etwas entnervt geäußert haben soll:

Mein Gott, wer soll das alles lesen.

(Man beachte des Gottesbezug ). Aber o.k. ,momentan haben wir ja die klassische Lesezeit.

Um das Maß voll zu machen, meinerseits noch ein bescheidener Hinweis auf:

Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft,

wo gleich im allerersten Satz der Vorrede folgendes zu vernehmen ist:

Zitat von Kant
Die Moral, so fern sie auf dem Begriffe des Menschen, als eines freien, eben darum aber auch sich selbst durch seine Vernunft an unbedingte Gesetze bindenden Wesens, gegründet ist, bedarf weder der Idee eines andern Wesens über ihm, um seine Pflicht zu erkennen, noch einer andern Triebfeder als des Gesetzes selbst, um sie zu beobachten.

.

Es wird dann weiterhin ziemlich kompliziert und führt zu seinem zeittypischen deistischen Verständnis.

Im Übrigen gehört Moral m.E. nicht zum Gründungsakt von Religion sondern zum Kleingedruckten, zu den Ausführungsbestimmungen, an denen Advokaten ja gerne dran rumfummeln und die Dinge mal so und mal anders sehen. Der Gründungsakt indessen wird wesentlich durch die hässliche Tatsache gekennzeichnet, dass wir uns mit unserem Tod nicht anfreunden können sowie der kaum minder hässlichen, dass unsere mühevollen empirischen Explorationen ("Wissenschaft") keine einzige Sinnfrage beantworten, die wir aber doch so gerne beantwortet hätten.

So, womöglich muss man jetze die ganzen Bücher gar nicht mehr lesen .

....Ach doch, Camus sollte man noch in Betracht ziehen. Der intelligentesten aller Atheisten einer; auch dadurch, dass er - im Gegensatz zu manch anderen - keine Dreckkübel über Gläubige ausleert bzw. letztere nicht für doof erklärt.

lich
Dennis

Simon Offline



Beiträge: 334

03.12.2015 16:22
#63 RE: „Wie wollen wir leben?" Antworten

Zitat von Emulgator im Beitrag #51
Zitat von Simon im Beitrag #49
Das Christentum mit seinem Bekenntnis zur Mensch-Werdung Gottes ist grundsätzlich nicht etwas, was ich als etwas Vernünftiges einsehen und dann etwa allen Menschen ebenso als das Vernünftigste auf der Welt als zu leben zumuten und schon garnicht vorschreiben darf.
"Ja, denn sobald das geschieht, wird dieser Glaube eben nicht mehr aus freier Vernunfterkenntnis gelebt sondern aus Zwang. Der Unterschied ist wesentlich, weil ein aus freier Einsicht gewähltes Leben mit den individuellen Bedingungen anders umgehen kann, als ein erzwungener fremdgeplanter Lebensweg. Auch wenn das jetzt bloß eine Assoziation ist (allerdings eine für mich wichtige): In der Hinsicht ist der christliche Glaube (der nie erzwungen werden kann) wie eine Marktentscheidung, während der erzwungene Glaube wie eine Wirtschaftslenkung ist. Nur die marktwirtschaftlich erzielte Allokation geht auf die individuellen Bedingungen ein. Damit schließt sich wieder der Kreis, weil die Interaktion am Markt (Verträge = Bund, wie mit Gott, also etwas heiliges) wieder in der Essenz sozial und zwischenmenschlich ist, die Wirtschaftsdiktatur hingegen nicht."


Lieber Emulgator, Ihre Analogie aus dem marktwirtschaftlichen Bereich finde ich reizvoll und beachtenswert, eine Bemerkung, die nicht unbeantwortet bleiben sollte.
Soweit ich mich als Nichtfachmann auf diesem Gebiet schlau machen konnte, handelt es sich zumindest bei der Anwendung des Begriffs allocare (in Ihrem Sinne) um ein Zuteilen von schon oder noch real Vorhandenem. In der theologischen Reflexion dagegen handelt es sich beim jüdisch-christlichen Glauben nur sehr bedingt um so etwas. Der Schöpfungs- und Heilswille dieses Gottes ist grenzenlos. Das Vehikel der Verwirklichung desselben sehr präzis. Eine von M. Buber überlieferte Geschichte kann dies auf paradoxe oder dialektische Art ein wenig illustrieren. Es wird erzählt, dass Gott seine Tora allen Völkern wie wohlfeile Äpfelchen angeboten habe. Aber nur eines habe zugegriffen und daran (mehr oder weniger) festgehalten - dem Gespött und den Angriffen des Völker - eigenständig - ausgesetzt. Das Adverb steht nicht so wörtlich in der Geschichte, ist aber in ihrer Dialektik enthalten.


Zitat von Simon im Beitrag #49
Es ist aus dem einzigartigen Monotheismus des Volkes Israels herausgewachsen. Jesus, der von den Christen, besser: der Gemeinschaft der Christen, der Kirche, als Christus/Messias Gottes bekennend ausgesagt wird, ist ohne die gesamte Geschichte dieses Volkes nicht denkbar.
Da kommt mir die 2. Samuel 7 in den Sinn. Als David sein Reich gesichert hat, beschließt er mit seinem Propheten Nathan, ein Gotteshaus zu bauen. Aber wie reagiert darauf Gott? Er betont, schon immer und während des Exodus inmitten des Volkes Israels gewohnt zu haben, und nie ein Haus gewollt zu haben. Im Gegenteil will Er selber David ein Haus bauen, was wir als eine Prophezeiung Jesu verstehen.
Da liegt eine radikale Umkehr des Begriffes "Gottesdienst" im Kontrast zu Religionen vor, denen es in erster Linie auf die vorschriftsmäßige Einhaltung von Riten ankommt, wie im Islam. Gott ist nicht der obenschwebende Boss, zu dem man "emporopfern" müsse, sondern Gott ist mitten unter uns. Und ich glaube, daß da eine entscheidende Identität vorkommt: Erstens ist Sein Reich mitten unter uns, und zweitens tut man alles, was man den Geringsten tut, Ihm selber. Ich weiß nicht, ob man das philologisch bestätigen kann, aber hier wird m.E. tatsächlich eine Identität formuliert und kein Vergleich. Es ist nicht so, als ob oder wie man es Ihm täte, sondern es ist genau so.



Knüpft man an die chassidischen Geschichte (vgl. oben) an, dann - Philologie hin oder her - dann ist eher die Frage, wo denn solch ein "Haus" für einen solch "un-religiösen" Gottes-Dienst vorfindbar und verwirklicht oder wenigstens verwirklichbar ist. Im allgemein humanistischen Bereich? Es ist denkbar. Warum nicht? (Der gegenwärtige Papst scheint dafür zu werben). - Sie setzen als Prämisse voraus: ohne Zwang, freiwillig, wie in einer Form der Marktwirtschaft, die nicht Plan-, Gelenkte-, Zwangs-Wirtschaft, ist. Aber, ich habe nachgelesen, dass das - meist - ohne Nachdruck in der ganz freien Allocation schon nicht funktioniert. - Also glauben wir an Wunder! ? - Die katholische Theologie sagt: Das Wunder sei (bereits) geschehen: in Form der Lösung: Erlösung durch und Glaube an Jesus Christus, den Gott-Menschen, in Gemeinschaft mit ihm. Und die Schrift sagt, Glaube könne Berge versetzen. --- Wie leben? - Die Antwort darf wohl heißen: in einem Wettlauf: die Religionen dürfen sich (weiter) um die Lösung bemühen, ebenso der freie Humanismus, ebenso das jüdische Volk, das Volk der Christen. - Die einen mit einem religiösen Gott ..., die anderen mit einem Gott, der dem Menschen entgegenkommt: im Glauben eines bestimmten Volkes und in einem bestimmten Menschen ihm entgegen gekommen ist und um existentielle Solidarität wirbt; aber - doch nicht zuletzt alle Menschen guten Willens.

Oh Gott, ich wollte nicht predigen. Der Vergleich aus der Markwirtschaft war´s, der mich zum Reden brachte. Peter Zeller möge mir verzeihen!

Übrigens, Peter Zeller, wenn ich die breit zitierten Bücherlisten anschaue und das Bonmot lese:

Zitat
Ich meine, es war Steven Weinberg: Der Mensch ist von Natur aus gut; damit er schlecht wird, dazu braucht es Religion.

Sinngemäß halt. Frohen Bücherkauf.


werde ich den Verdacht nicht los: Der muss Buchhändler sein.

Simon

Daska Offline




Beiträge: 245

03.12.2015 17:37
#64 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Sehr geehrter Herr Zeller,

Zitat von Peter Zeller im Beitrag #61


Flasch Kurt: Warum ich kein Christ bin. Bericht und Argumentation. 280 Seiten 5. Aufl. 2014 C.H.Beck München
Diese Buch sollte sich jeder gönnen, weil das Lesen ein Genuß ist. Flasch schreibt ohne zu eifern, ganz sachlich. Als anerkannter Mediävist kennt er sich in den Methoden der unabhängigen kritischen Geschichtsforschung bestens aus, für den Leser erhellend.




Kurt Flasch pflegt in seinen Büchern, die allesamt von hohem wissenschaftlichem Niveau sind, wirklich sehr verständlich zu schreiben. Meine Wertschätzung gegenüber der Theologie und Philosophie des Mittelalters verdanke ich teilweise seinen Büchern über Meister Eckhart und Nikolaus Cusanus. Dass er beziehungsweise sein letztes Buch als Kronzeuge gegen das Christentum aufzutreten scheint, überrascht mich. Ich habe das Buch noch nicht gelesen, mich würden aber die Grundthesen interessieren. Seine Eltern hatten ihm zufolge seinerzeit klar Stellung gegen die Nationalsozialisten beozgen. Da war ihm, wie er selbst einmal erwähnt, der Dom zu Mainz eine feste Burg und ein Gegenpol zu den Nazis. Wendet er sich dann am Ende seines Lebens ab vom Christentum aufgrund akademisch-intellektueller Reflexionen oder aufgrund persönlicher (negativer?) Erfahrungen? Ob jemand, der das Buch gelesen hat, wohl etwas hierzu ausführen könnte? Das würde mich brennend interessieren.
Beste Grüße
Daska

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

04.12.2015 10:18
#65 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Meine Erfahrung ist:

Solche Autoren kann man gar nicht verurteilen oder loben, wenn sie einen vergangenen Denker aus der Kirchenväterzeit oder dem Mittelalter beschreiben. Man kann nur nicken und sich denken: Er sieht mit seinen postaufgeklärten Augen auf den alten Autor, er las ihn in dem scheußlichen Nebel seiner schlechten Erlebnisse mit einem Christentum, das keines mehr ist. Er kritisiert ganz zu Recht, aber demonstriert es am falschen Kandidaten. Er schiebt ihm nämlich die Schuld an all dem denkerischen Leid zu, dem er begegnet ist (das aber gar nicht unbedingt von dem alten Autor und dessen Mitschuld stammen muss).
Zum Beispiel war das Mittelalter eine der hellsten Stunden des Christentums.

Am Beispiel des Thomas von Aquin: Ein sehr erkenntniskritisches hermeneutisches Axiom lautet: „Was verstanden wird, ist nach der Weise des Aufnehmenden aufgenommen“ („Quidquid recipitur, ad modum recipientis recipitur“). Dies muss nicht eine Beschränkung seiner Wahrheit bedeuten, aber meint einen bestimmenden subjektiven Anteil. Das von der Wirklichkeit gemachte Bild, das im Denken des betreffenden Wahrnehmenden existiert, ist nicht die Sache selbst und bildet sie nicht vollständig ab, zumal, wenn es um göttliche Dinge geht, sondern nähert sich ihr auf menschliche Weise. Interessant wird es, wenn die Theologie unsichtbare transzendente Sachverhalte benennen will. Sie muss es metaphorisch, in analoger Sprache versuchen, also mit diesseitigen Dingen und Worten dafür Gottes Gedanken beschreiben, die man aus der Geschichte mit ihm zu erfahren gehofft hatte.

Thomas von Aquin korrigierte daher in einem entscheidenden Punkt die Meinung des Pseudo-Dionysius (eines Mönchstheologen), der menschliche Geist könne an Hand des Stofflichen zur Erkenntnis des Himmlischen und Stofflosen geführt werden. Er argumentiert:
„Wir können von den stofflichen Dingen zu einer gewissen, jedoch nicht zu einer vollkommenen Erkenntnis stoffloser Dinge aufsteigen; denn es gibt keine hinreichende Übereinstimmung (comparatio) zwischen den stofflichen Dingen und dem Stofflosen; sondern die Ähnlichkeiten (similitudines), die man etwa aus dem Stofflichen nimmt, um das Stofflose zu erkennen, sind, wie Dionysius sagt, sehr unähnlich (multum dissimiles)“ (STh I,q.88,a.2, ad 2.)
Thomas von Aquin hat z. B. in seiner Antrittsvorlesung in Paris 1256 den Psalmvers „Du tränkst die Berge aus deinen Kammern“ (Ps 104,13) auf die von Gott belehrten Lehrer der Theologie hin ausgelegt, die wie dem Himmel nahe Berge in der Kirche dastehen müssen und das Licht aus der Höhe brauchen. „Den metaphorischen Sinn ordnet Thomas dem Literalsinn zu. (…) Denn durch Worte kann etwas im eigentlichen und im bildlichen Sinn bezeichnet werden. Der Literalsinn liegt dann nicht im Bild selbst, sondern in dem, was durch das Bild bezeichnet wird. Als Beispiel nennt Thomas die Rede von ‚Gottes Arm‘ in der Schrift. Dieser steht nicht für ein leibliches Glied, sondern für seine handelnde Kraft (virtus operativa).“ (Michael Estler, Rigans montes (Ps 104,13). Die Antrittsvorlesung des Thomas von Aquin in Paris 1256, (Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk 2015), 147.)

Eine große Wirkung hat in der Gegenwart die Formel, die kurz vor Thomas vom großen Papst Innozenz III. beim 4. Konzil im Lateran 1215, also vor 800 Jahren, eingebracht wurde: „Vom Schöpfer und Geschöpf kann keine Ähnlichkeit ausgesagt werden, ohne dass sie eine größere Unähnlichkeit zwischen beiden einschlösse.“ Die Formel entstand fast beiläufig als Nebensatzbemerkung im Dekret über die Häresien des Abtes Jochim von Fiore (can. 2) im Zusammenhang mit der Frage, was die Einheit im Gebet Jesu in Joh 17,22 für das Vollkommenheitsideal in Mt 5,48 verlange: „Seid vollkommen wie der himmlische Vater“ bedeutet demnach: „Seid vollkommen in Vollkommenheit der Gnade, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist in Vollkommenheit der Natur, jegliche in ihrer Art“.

Der Papst untersagte beim Konzil auch die Anerkennung von Gottesurteilen durch Kleriker mit der Begründung, niemand solle Gott versuchen, und fand die revolutionär-aufklärende Begründung: „Zwischen den Eigenschaften des Wassers oder Feuers und dem Gewissen kann es kein gemeinsames Maß geben“ (can. 18). Er argumentierte: Wenn Gott beim Zweikampf oder bei der Feuer- oder Wasserprüfung dem Recht hülfe, hätte man längst alle Richter abschaffen müssen und es hätte keine falschen Urteile mehr gegeben.

Papa emeritus Benedikt XVI. interpretierte übrigens den Satz über Metaphern und Analogien in seiner Regensburger Vorlesung von 2006 noch schärfer: nämlich dass „die Unähnlichkeiten unendlich größer sind als die Ähnlichkeiten“. Wir Theologen dürfen also die Sprachbilder der Bibel und der Dogmen kühn in ihre Grenzen verweisen und entsprechend neu auslegen!

Eine Zeit mit einer solchen Verstehenslehre, die quasi schon im 13. Jh. auf Kant antwortete, kann man nicht 'dunkles Mittelalter' nennen.
Dunkel wurde es erst, als die Kirchentheologen die Europäische Aufklärung entweder übernahmen oder bekämpften und eben für 300 Jahre keine Synthese von Glaube und Vernunft mehr fanden. Und diese Vorgeschichte hat unsere 8ojährigen Autoren geprägt. Ich kann sie daher fast nur entschuldigen und bitten:

Informiert euch über die alten Autoren und lest sie selber und nicht die wutschnaubenden oder zumindest zynisch angehauchten Luftholübungen von Leten, die gar nicht jene Autoren beschreiben, sondern den Ungeist, der ihre eigene Jugend enttäuscht hat.

Guten Advent weiterhin
Ludwig Weimer

Daska Offline




Beiträge: 245

04.12.2015 20:48
#66 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #43
Die Diskussion zum Gedanken, Gott zu definieren durch seine Menschenfreundlichkeit, finde ich fruchtbar. Zur Menschenfreundlichkeit gehören ja auch: Glaubensfreiheit und Vernünftigkeit. Gott kann z. B. nicht einen Menschen bestrafen, der sein agnostisches Eigenleben führt, und die Kraft zum kritischen Denken kann den Gottesbegriff von allem Götzenhaften reinigen, gehört also zur Entfaltung des Glaubens.


Ein christlicher Denker aus dem 4. Jahrhundert merkt hierzu an:

Zitat
Er, der den Menschen zur Teilnahme an seinen Gütern erschuf und ihm die Keime zu allen Vorzügen in die Natur einpflanzte, damit durch jeden von ihnen unser Verlangen nach der entsprechenden verwandten Vollkommenheit in Gott entzündet werde, wollte uns gewiss nicht das edelste und wertvollste Gut vorenthalten: ich meine die Gnadengabe der Selbstbestimmung und der Freiheit unserers Willens. (Gregor von Nyssa, Große Katechesen, Texte der Kirchenväter I/271-272)


Hier wird im Rahmen von denkerischen Bedingungen der Spätantike formuliert, inwiefern dem Menschen die Gabe der Selbstbestimmung und Willensfreiheit zukomme. Dass Glaube und Vernunft zusammengehören, verdeutlicht der folgende Abschnitt, in dem jeder Satz mit einer begründenden Konjuntkion eingeleitet wird:

Zitat
Denn würde der Zwang der Notwendigkeit über dem menschlichen Leben walten, so wäre das Abbild nach dieser Seite missraten, insofern es durch diese Unähnlichkeit zu sehr vom Urbild abstechen würde. Denn wie könnte eine gewissen Notwendigkeiten unterworfene und von ihnen geknechtete Natur ein getreues Abbild jener sein, die da königlich herrscht und regiert? Daher musste der Mensch, weil in allen Stücken zur Ähnlichkeit mit Gott berufen, des Selbstbestimmungsrechtes und der Freiheit teilhaftig werden. Infolgedessen ist allerdings auch die Erlangung aller Güter als Kampfpreis an die Tugend geknüpft.


Der dreigeteilte Textabschnitt schließt mit einem Gedanken über Gut und Böse:

Zitat
Wie kommt es nun, wirst du fragen, dass der Mensch, nachdem er in allen Stücken so herrlich ausgestattet war, doch das Schlimmste an Stelle des Guten eintauschte? Der Grund auch dafür liegt offen zutage. Im Willen Gottes nahm auch nicht das Geringste Böse seinen Anfang. Keine Schuld könnte das Böse treffen, falls Gott als dessen Ursache und Vater betrachtet werden könnte. Nein, das Böse sprosst irgendwie aus unserem inneren hervor, indem es durch die freie Entscheidung unseres Willens entsteht, sobald ein Abgehen unserer Seele vom Guten stattfindet.


Die Freiheit des menschlichen Willens als Wurzel vom Bösen oder die Religion? Freiheit und vernunftgeleitetes Argumentieren erst seit der Zeit der Konfessionalisierung oder gar erst seit Kant?

Danke für die Ermunterung:

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #65
Informiert euch über die alten Autoren und lest sie selber und nicht die wutschnaubenden oder zumindest zynisch angehauchten Luftholübungen von Leuten, die gar nicht jene Autoren beschreiben, sondern den Ungeist, der ihre eigene Jugend enttäuscht hat.

Peter Zeller Offline



Beiträge: 164

04.12.2015 21:32
#67 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Sehr geehrter Herr Weimer,

Ihre Erfahrung trifft auf den Inhalt von Flaschs Buch nicht zu, der hat zwar ein Buch geschrieben über das Denken im Mittelalter,aber hier erklärt er, warum er kein Christ mehr sein kann. Daß Kirche für einen Fünfzehnjährigen ein Halt sein konnte am Ende dieses schrecklichen Krieges, ist trivial, aber kein Gegenargument.

PC Zeller

Peter Zeller Offline



Beiträge: 164

05.12.2015 06:39
#68 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Wenn ich Sätze lese wie "Gottes Güte ...", dann wird mir schlecht.

Wenn ich mich danach wieder erholt habe, frage ich mich , was will der Urheber dieses Satzes anderen verkaufen? Wen will er bescheißen?

PC Zeller

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

05.12.2015 10:41
#69 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Sie möchten weiterdiskutieren.
Ich teile Ihre Wut.
Ihr Problem mit der Sprache der 'anstößig Frommen' ist ein allgemeines, auch ich teile Ihre Gefühle. Gerade das Theologiestudium brachte mich an den Rand des Atheismus, daher nahm ich ein zweites Fach hinzu und beschloss damals, Lehrer zu werden und der Jugend rechtzeitig den Weg zu weisen, "Gott" sei eine Vokabel der frühen Menschheit und dem Osterhasen gleichzuachten. Darum unterscheide ich, seit ich 1965 Karl Barths Römerbriefauslegung und den Abschnitt in seiner 13bändigen Dogmatik: Religion sei Unglaube, gelesen hatte, zwischen unaufgeklärter Religion und aufgeklärtem Glauben.Dann fand ich eine aufgeklärte wirkliche Gemeinde, natürlich unverstanden von dem Kirchgängerrest und manchen Bischöfen.
Ich habe nun bald 5 Jahrzehnte darüber gelehrt, jetzt schrieb ich gerade 4 Lehrbriefe für ein Fernstudium (insgesamt 26 Lehrbriefe von vonzusammenarbeitenden Theologen) über diese Unterscheidung. Es wird nächsten Herbst mit einem Probelauf in Deutsch losgehen und dann in Englisch offiziell laufen.

Man kann herausfinden, dass schon die jüdische Bibel unterscheidet: Der Mensch allein (neben Vulkanen müsste er ja nicht bauen) hat die Verantwortung, das Böse zu bekämpfen und das Gute zu tun; er ist "Mit"-arbeiter Gottes in dem Sinn, dass er alles tun muss nach dem Maß, das "Gottes Befreiungswille" heißt. Das bedeutet, der Mensch muss die Güte Gottes verkörpern und dem Nächsten gegenüber leben.
Dann ist der richtige Gottesglaube nicht mehr ein Opium, sondern eine sozialethische Aufgabe; er ist Aufklärung des Menschen: Du bist nicht Gott, der Kaiser ist kein Gott, der Staat ist kein Gott, kein Mensch darf Sklave sein, denn der Mensch ist "Ebenbild Gottes" und zwar Mann und Frau, wie das Buch Genesis sagt (darum ist der Gottesglaube sinnvoll, als Letztverankerung).

Die Theodizee wird also zur Anthropodizee, wir müssen unser selbstgemachtes Unheil erklären und ändern. In Auschwitz fehlte nicht Gott, sondern die Christen fehlten und versagten. Sie waren abgefallen in eine 'Religion'.

Das Neue Testament ist deswegen die "Vollendung" dieser Aufklärungsgeschichte, weil sein Held, Jesus, sowie die Jünger und Autoren alles auf die Verwirklichung abstellen: Liebe ist erst, wenn sie Tat wurde. Jesus benutzte Ketzer (Samaritanergleichnis) und Heiden (Ninives Umkehr) als Vorbild gegen die vermeintlich Rechtgläubigen. Er wurde getötet, so geht es eben der Wahrheit in unserer Welt! So ging es auch Sokrates. Nur Mohammed konnte das nicht kapieren.
Das griechische NT griff zu einem ganz seltenen fremden Wort (agape), um den Unterschied zum verbrauchten Wort Liebe (eros, amor) zu bezeichnen.
Paulus im Brief an die Gemeinde in Korinth: "... und wenn ich meinen ganzen Besitz verschenkte, und wenn ich meinen Leib dem Feuer übergäbe, hätte aber die agape nicht, wäre alles umsonst" (1 Kor 13,3). Ziemlich fern von der jetzigen Diskussion um Zuckerberg. Im nächsten Kapitel gebraucht Paulus 5 mal das griech. Wort oikodome/in, um zu sagen worin das Entscheidende besteht: das Werkzeug zu schaffen, die Gemeinde, um sozial wirksam in die Gesellschaft hineinwirken zu können (denn als Einzelner bin ich überfordert, ohnmächtig).

Ich teile Ihre Wut, aber ich hatte das Glück, eine Antwort zu finden.
Aber schnell werden Sie Ihr Leiden an den falschen Christen nicht los, denn diese überleben beharrlich.
Mitleidend

Ludwig Weimer

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

05.12.2015 11:30
#70 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #69
Der Mensch allein (neben Vulkanen müsste er ja nicht bauen) hat die Verantwortung, das Böse zu bekämpfen und das Gute zu tun; er ist "Mit"-arbeiter Gottes in dem Sinn, dass er alles tun muss nach dem Maß, das "Gottes Befreiungswille" heißt. Das bedeutet, der Mensch muss die Güte Gottes verkörpern und dem Nächsten gegenüber leben.
Dann ist der richtige Gottesglaube nicht mehr ein Opium, sondern eine sozialethische Aufgabe; er ist Aufklärung des Menschen: Du bist nicht Gott, der Kaiser ist kein Gott, der Staat ist kein Gott, kein Mensch darf Sklave sein, denn der Mensch ist "Ebenbild Gottes" und zwar Mann und Frau, wie das Buch Genesis sagt (darum ist der Gottesglaube sinnvoll, als Letztverankerung).

Diese humanistische Gottesdefinition hat schon Emulgator gebracht. Aber wenn das Göttliche einfach das Beste im Menschen ist, dann kann man nach Ockham* den Gottesbegriff auch wegrasieren. Die 'Letztverankerung' ist schließlich nur das ängstliche Festhalten an einem gründlich rationalisierten Wunschdenken mit anschließendem Fehlgriff der petitio principii: der kindliche Wunsch, eine über allem stehende Vaterfigur möge Sinn und Ziel vorgeben und die Ausführung überwachen, verbunden mit dem erleichternden Auffinden von Indizien für seine Existenz, sei es auch nur in alten Traumschriften. Ein emanzipierter, seiner beschränkten und doch völlig signifikanten Rolle als Agent der fortwährenden Schöpfung der Welt bewußter Mensch braucht sie eigentlich nicht mehr.

NACHTRAG: *genauer gesagt: nach dem Prinzip von "Ockham's Rasiermesser", s.u.

Simon Offline



Beiträge: 334

05.12.2015 12:43
#71 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Zitat von Fluminist im Beitrag #70
Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #69
Der Mensch allein (neben Vulkanen müsste er ja nicht bauen) hat die Verantwortung, das Böse zu bekämpfen und das Gute zu tun; er ist "Mit"-arbeiter Gottes in dem Sinn, dass er alles tun muss nach dem Maß, das "Gottes Befreiungswille" heißt. Das bedeutet, der Mensch muss die Güte Gottes verkörpern und dem Nächsten gegenüber leben.
Dann ist der richtige Gottesglaube nicht mehr ein Opium, sondern eine sozialethische Aufgabe; er ist Aufklärung des Menschen: Du bist nicht Gott, der Kaiser ist kein Gott, der Staat ist kein Gott, kein Mensch darf Sklave sein, denn der Mensch ist "Ebenbild Gottes" und zwar Mann und Frau, wie das Buch Genesis sagt (darum ist der Gottesglaube sinnvoll, als Letztverankerung).

Diese humanistische Gottesdefinition hat schon Emulgator gebracht. Aber wenn das Göttliche einfach das Beste im Menschen ist, dann kann man nach Ockham den Gottesbegriff auch wegrasieren. Die 'Letztverankerung' ist schließlich nur das ängstliche Festhalten an einem gründlich rationalisierten Wunschdenken mit anschließendem Fehlgriff der petitio principii: der kindliche Wunsch, eine über allem stehende Vaterfigur möge Sinn und Ziel vorgeben und die Ausführung überwachen, verbunden mit dem erleichternden Auffinden von Indizien für seine Existenz, sei es auch nur in alten Traumschriften. Ein emanzipierter, seiner beschränkten und doch völlig signifikanten Rolle als Agent der fortwährenden Schöpfung der Welt bewußter Mensch braucht sie eigentlich nicht mehr.


Dazu:
Es sei wohl gestattet zum besseren Verständnis des oben Gemeinten, aus Wikipedia einen kleinen Ausschnitt einzublenden:

Zitat


Die bekannteste Formulierung des ockhamschen Prinzips stammt von dem Philosophen Johannes Clauberg (1622–1665). Er schrieb 1654: „Entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem [oder: sine necessitate]“ (deutsch: „Wesenheiten dürfen nicht über das Notwendige hinaus vermehrt werden.“)[1] In der Form „non sunt multiplicanda entia sine necessitate“ findet sich der Satz schon 1639 bei dem Scotisten Johannes Poncius, der ihn als scholastische Maxime zitiert.

Die Bezeichnung Occam's Razor für dieses Sparsamkeitsprinzip taucht erst im 19. Jahrhundert bei dem britischen Mathematiker William Rowan Hamilton auf und erlangte in der von John Stuart Mill geführten Diskussion um dessen Wissenschaftstheorie Verbreitung. Der mittelalterliche Philosoph Wilhelm von Ockham hat das Prinzip zwar nie explizit formuliert, es aber implizit in seinen Schriften angewendet. So forderte er: „Nichts darf man ohne eigene Begründung annehmen, es sei denn es sei evident oder aufgrund von Erfahrung gewusst oder durch die Autorität der Heiligen Schrift gesichert.“ (In I. Sent d 30, q 1)[2]



Die Ausnahmen, das was Ockham hier von "seiner" Regel neben dem Evidenten ausnimmt, erscheint interessant: die Erfahrung und die Heilige Schrift. Nun könnte man meinen, für die letztere Ausnahme, die Autorität der Heiligen Schrift, gehört sich das so für einen Theologen. Aber er hebt auch hervor, dass das durch Erfahrung Gewusste keiner eigenen Begründung bedarf. Warum?
Ludwig Weimer spricht in seinem Beitrag von beidem. Dagegen Einspruch zu erheben, ist nur natürlich. Aber auf Ockham berufen kann sich solcher Einspruch nicht.

Viele Grüße!
Simon

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

05.12.2015 13:03
#72 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Zitat von Simon im Beitrag #71

Zitat
So forderte er: „Nichts darf man ohne eigene Begründung annehmen, es sei denn es sei evident oder aufgrund von Erfahrung gewusst oder durch die Autorität der Heiligen Schrift gesichert.“

Die Ausnahmen, das was Ockham hier von "seiner" Regel neben dem Evidenten ausnimmt, erscheint interessant: die Erfahrung und die Heilige Schrift. Nun könnte man meinen, für die letztere Ausnahme, die Autorität der Heiligen Schrift, gehört sich das so für einen Theologen. Aber er hebt auch hervor, dass das durch Erfahrung Gewusste keiner eigenen Begründung bedarf. Warum?
Ludwig Weimer spricht in seinem Beitrag von beidem. Dagegen Einspruch zu erheben, ist nur natürlich. Aber auf Ockham berufen kann sich solcher Einspruch nicht.


Vielen Dank für die Erläuterung! "Nach Ockham" hatte ich allerdings nicht im Sinne einer direkten Berufung auf den mittelalterlichen Franziskaner gemeint, sondern mutatis mutandis: die Autorität der Heiligen Schrift ist da nicht mehr mit eingeschlossen. Ich hatte nur an "Ockham's Rasiermesser" gedacht, in der folgenden Form:

Zitat von wikipedia
Die bekannteste Formulierung des ockhamschen Prinzips stammt von dem Philosophen Johannes Clauberg (1622–1665). Er schrieb 1654: „Entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem [oder: sine necessitate]“ (deutsch: „Wesenheiten dürfen nicht über das Notwendige hinaus vermehrt werden.“) In der Form „non sunt multiplicanda entia sine necessitate“ findet sich der Satz schon 1639 bei dem Scotisten Johannes Poncius, der ihn als scholastische Maxime zitiert.
Die Bezeichnung Occam's Razor für dieses Sparsamkeitsprinzip taucht erst im 19. Jahrhundert bei dem britischen Mathematiker William Rowan Hamilton auf und erlangte in der von John Stuart Mill geführten Diskussion um dessen Wissenschaftstheorie Verbreitung.


Die Zuschreibung an Ockham war also etwas irreführend, das hätte ich besser formulieren müssen.

Simon Offline



Beiträge: 334

05.12.2015 17:01
#73 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

mmm

Zitat von Fluminist im Beitrag #72
Zitat von Simon im Beitrag #71
Zitat:So forderte er: „Nichts darf man ohne eigene Begründung annehmen, es sei denn es sei evident oder aufgrund von Erfahrung gewusst oder durch die Autorität der Heiligen Schrift gesichert.“

...
"Nach Ockham" hatte ich allerdings nicht im Sinne einer direkten Berufung auf den mittelalterlichen Franziskaner gemeint, sondern mutatis mutandis: die Autorität der Heiligen Schrift ist da nicht mehr mit eingeschlossen. Ich hatte nur an "Ockham's Rasiermesser" gedacht, in der folgenden Form:

Zitat von wikipedia
Die bekannteste Formulierung des ockhamschen Prinzips stammt von dem Philosophen Johannes Clauberg (1622–1665). Er schrieb 1654: „Entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem [oder: sine necessitate]“ (deutsch: „Wesenheiten dürfen nicht über das Notwendige hinaus vermehrt werden.“) In der Form „non sunt multiplicanda entia sine necessitate“ findet sich der Satz schon 1639 bei dem Scotisten Johannes Poncius, der ihn als scholastische Maxime zitiert.
Die Bezeichnung Occam's Razor für dieses Sparsamkeitsprinzip taucht erst im 19. Jahrhundert bei dem britischen Mathematiker William Rowan Hamilton auf und erlangte in der von John Stuart Mill geführten Diskussion um dessen Wissenschaftstheorie Verbreitung.

Die Zuschreibung an Ockham war also etwas irreführend, das hätte ich besser formulieren müssen.



Lieber Fluminist,
daraufhin muss ich gleich noch einmal intervenieren.
In einem Wissenschaftsbegriff mutatis mutandis, der sich auch nur irgendwie auf Ockham beruft, dürfte neben der Ausnahme "Autorität der Heiligen Schrift" keinesfalls das bei ihm erwähnte " oder aufgrund von Erfahrung gewusst" unterschlagen werden. Genau das spielt bei Weimer - wenn ich mich hier zu seinem Interpreten machen darf - eine ähnliche Rolle wie beim in seinem Jahrhundert Wissenschaft betreibenden Franziskaner. Wenn dieser ausdrücklich zu seiner Zeit "Theologie" lehrte und nicht nur eine andere Wissenschaft unter den artes, dann musste es sich - so würde ich es in einem wissenschaftlichen Sinne der Neuzeit verlangen - um eine Wissenschaft aufgrund von Erfahrungen handeln, in einem ähnlichen Kontext ebenfalls erlebbar und nachvollziehbar.
Soviel im Augenblick, um die Diskussion im Fluss zu halten.

Simon

Daska Offline




Beiträge: 245

05.12.2015 18:31
#74 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Zitat von Simon im Beitrag #73
Erfahrungen
Mystische oder empirische Erfahrungen? Beides könnte ich – wenn ich Fluminists Argumentation richtig verstehe – auch rein innerweltlich erklären, deuten. Oder?

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

05.12.2015 18:38
#75 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Zitat von Simon im Beitrag #73
Soviel im Augenblick, um die Diskussion im Fluss zu halten.

Die Diskussion fließt, allerdings ins Abseits.
Es ging ja eigentlich nicht um Wissenschaft (in den empirischen Wissenschaften ist das hier seit Jahrhunderten Standard, sonst wären wir nicht so weit), sondern darum, wie weit die von Ludwig Weimer angedeutete Gottesauffassung trägt:

Zitat
Der Mensch allein (neben Vulkanen müsste er ja nicht bauen) hat die Verantwortung, das Böse zu bekämpfen und das Gute zu tun; er ist "Mit"-arbeiter Gottes in dem Sinn, dass er alles tun muss nach dem Maß, das "Gottes Befreiungswille" heißt. Das bedeutet, der Mensch muss die Güte Gottes verkörpern und dem Nächsten gegenüber leben.


Diesem kann ich nämlich (bei leicht abgewandelter Formulierung) auch zustimmen, ohne eine persönliche Gottheit mit den im Christentum (oder ähnlichen Religionen) angenommenen Attributen vorauszusetzen. Das hatte ich gemeint, deshalb schreibe ich es noch einmal ohne Ockham her:

Wenn das Göttliche einfach das Beste im Menschen ist, dann kann man auf den Gottesbegriff auch verzichten und allein einen aufs Diesseits bezogenen Humanismus pflegen. Die 'Letztverankerung' ist schließlich nur das ängstliche Festhalten an einem gründlich rationalisierten Wunschdenken mit anschließendem Fehlgriff der petitio principii: der kindliche Wunsch, eine über allem stehende Vaterfigur möge Sinn und Ziel vorgeben und die Ausführung überwachen, verbunden mit dem erleichternden Auffinden von Indizien für seine Existenz, sei es auch nur in alten Traumschriften. Ein emanzipierter, seiner beschränkten und doch völlig signifikanten Rolle als Agent der fortwährenden Schöpfung der Welt bewußter Mensch braucht sie eigentlich nicht mehr.

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