Genuswechsel sind im Wechsel der Sprachen das Alltäglichste & eine beständige Zumutung (vgl. id 70ern die Mofa/das Mofa. aktuell die Koexistenz der femininen wie maskulinen FN). Anständige Sprachen verzichten deshalb auf Artikel.
Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire
"Wie schön Blumen auf Weide blühen, wo Kühe jedoch Blüten mit Zunge rupfen oder mit Hufen zertreten; und dort, wo sie sich zum Wiederkäuen niederlegen oder seichen, schwinden Blumen und entsteht so genannte Lagerflur." Verständlich ist es, wirkt sogar fast poetischer, vielleicht solange sowas fremd ist. Sollen wir ohne die Vereinfachung weiterleben? Ludwig Weimer
Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #153Versuchen wir's mal ohne Artikel:
"Wie schön Blumen auf Weide blühen, wo Kühe jedoch Blüten mit Zunge rupfen oder mit Hufen zertreten; und dort, wo sie sich zum Wiederkäuen niederlegen oder seichen, schwinden Blumen und entsteht so genannte Lagerflur." Verständlich ist es, wirkt sogar fast poetischer, vielleicht solange sowas fremd ist. Sollen wir ohne die Vereinfachung weiterleben? Ludwig Weimer
Ein hübsches Beispiel (auch wenn sich im "zum" doch noch ein Artikel hinterlistig versteckt hat)! Aber der Stein des Anstoßes ist hier ja nicht der Artikel, sondern allgemeiner das grammatikalische Geschlecht: sogenannter Lagerflur? sogenanntes Lagerflur? Man kommt natürlich prinzipiell ganz ohne aus, z.B. auf englisch oder chinesisch. Aber spätestens seit dem Debakel mit der Rechtschreibreform sollten wir gelernt haben, Sprachverstümmelungen vom Reißbrett skeptisch gegenüberzustehen...
Zitat von Peter Zeller im Beitrag #151Müßte* es nicht der Kalkül heißen, von calculus?
Die Analysis. So steht es auf den Lehrbüchern, deren englisches Gegenstück mit "Calculus" betitelt ist. Infinitesimalrechnung oder Kalkül sagt man heute im Deutschen nicht mehr, weil die Idee mit den Infinitesimalen (wie bei Leibniz und Newton) mathematisch nicht korrekt ist. Es ist Dedekinds Leistung gewesen, die reellen Zahlen entdeckt und formalisiert zu haben, mit denen erst Integral- und Differentialrechnung "more geometrico" erlaubt ist.
Kalkül verwendet man heute entweder mathematikhistorisch (dann tatsächlich maskulinum, und das ändert sich nicht) oder im übetragenden Sinne, dann ist neuerdings neutrum.
Zitat "In seiner Dankrede für den Büchnerpreis hat Rainald Goetz als ein Schriftsteller, der das „Reich der Finsternis“ zu benennen habe, jüngst das beschrieben, worüber die Politiker und die Sonntagsredner schweigen. Er gebrauchte die Worte „gigantische Kaputtheit“, „totale Banalität“,„der Maßstab ist verschwunden“, und er bestritt die „Welterfassungskompetenz des Journalismus“. Im Namen des Außenseiters Büchner schloss er die Rede mit der Frage aus seinem Literaturverständnis: „Wie wollen wir leben?“
Es gibt auch bei uns zwei Adressaten und Subjekte, die handeln müssen. Das eine sind alle politisch verantwortungsvoll denkenden Bürger, das andere sind die Christen unter ihnen. Was die Politiker und Bürger tun können, ist wachsam sein. Was die Christen als Mehr tun müssten, ist: der geistigen Auseinandersetzung mit dem Fundamentalismus eine treffliche Waffe zu liefern, nämlich den gelebten Hinweis, dass sie die am Westen vermissten Werte besser leben als sie im Islam gelebt werden. Die Not macht die Schwäche der passiven, aber auch unserer aktiven Kirchenmitglieder offenbar. „Kreuzzüglernation“ sind die Namenschristen nicht mehr. Aber leider auch allermeist keine Nachfolger Jesu mehr, die ihr Kreuz schultern. Sie verlassen sich wie alle auf den Staat und die Polizei und nicht darauf, dass sie durch den Lebensstil des erlösten Menschen die schießenden muslimischen Gotteskämpfer beschämen könnten."
Wie wollen wir leben? - Antworten darauf waren: n i c h t geistes-gestört, von Dritten gemaßregelt, von einer Religion eingeengt, von einem Glauben bevormundet, in Richtlinien eingesperrt, übervorteilt.... Klar. Wer möchte so etwas? - Wenn ich die Zeilen von Herrn Weimer noch einmal lese, dann frage ich mich: Sind das nicht vorschnelle oder gar absolute Abwehrmechanismen gegenüber dem, was von uns, dem wachsamen "verantwortungsvoll denkenden" Bürger oder dem Christen, von dem (noch) ein Mehr verlangt sei? Versteckt sich dahinter nicht gerade das, was Rainald Goetz mit - "totale Banalität", "der Maßstab ist verschwunden" in seiner Rede zu benennen versuchte? - Sicher möchte niemand im Ernst bestreiten, dass noch ein Unterschied besteht zwischen dem, was jemand denkt und was er tut. Aber was ist, wenn es ernst wird - wenn es (wieder) ernst wird? - Wie im Fall von Veit Harland: der Goebbels (dessen Tagebuch beweist es!) zu willen war und es später bestreitet - der gleichgesinnte Zeugen oder gar Richter ...findet? Welches Recht gilt denn nun: das von der Justiz gesprochene oder das im Sinne der Wahrheit? Welches Recht gilt es zu verteidigen? Rechtsbetrachtungen dazu sind nicht uninteressant. Aber helfen sie im Ernstfall? - Das Christentum noch einmal vor die Nase gesetzt zu bekommen als eine alle Bürger verpflichtende Staats-"Religion" - wer will das, wer soll das, wem soll so etwas noch einmal zugemutet werden? Wer spricht davon? - An einer Stelle fragt Ludwig Weimer nach:
Zitat #136 RE: „Wie wollen wir leben?“
"Stimmen Sie, lieber Fluminist,
mit mir darin überein, dass nicht nur die Christen durch das Aufhören der Verfolgung in eine gefahrvolle Euphorie gerieten, sondern dass auch die Kaiser nur eine solche Religion brauchen wollten, konnten, die als Staatsreligion allen zuzumuten war, und insofern gegen die Religionsfreiheit in den Evangelien bedenkenlos handelten?"
Daraufhin beginnt eine (erneute) Diskussion über "Religion". Überhört wird, dass es "in den Evangelien" so etwas wie Religionszwang Vorschriften für alle (sc. weder damals im röm. Kaiserreich noch jemals) garnicht gibt (vom Geist des Evangeliums her, das nur seine Jünger - die Gläubigen - verpflichtet, garnicht gibt)! Sich eventuell für die Evangelien (für das in der ganzen Bibel Gemeinte) zu interessieren ist noch einmal eine andere Frage- Allein so etwas in Ruhe wahrzunehmen, wäre doch schon ein Gewinn.
Und ist die Diskussion nicht irgendwo im Straßengraben gelandet, wenn nach so etwas wie: mit oder ohne Artikel etc. nachgefragt wird?!
Zitat von Simon im Beitrag #157Wie wollen wir leben? - Antworten darauf waren: n i c h t geistes-gestört, von Dritten gemaßregelt, von einer Religion eingeengt, von einem Glauben bevormundet, in Richtlinien eingesperrt, übervorteilt.... Klar. Wer möchte so etwas? - Wenn ich die Zeilen von Herrn Weimer noch einmal lese, dann frage ich mich: Sind das nicht vorschnelle oder gar absolute Abwehrmechanismen gegenüber dem, was von uns, dem wachsamen "verantwortungsvoll denkenden" Bürger oder dem Christen, von dem (noch) ein Mehr verlangt sei? Versteckt sich dahinter nicht gerade das, was Rainald Goetz mit - "totale Banalität", "der Maßstab ist verschwunden" in seiner Rede zu benennen versuchte? - Sicher möchte niemand im Ernst bestreiten, dass noch ein Unterschied besteht zwischen dem, was jemand denkt und was er tut. Aber was ist, wenn es ernst wird - wenn es (wieder) ernst wird? - Wie im Fall von Veit Harland: der Goebbels (dessen Tagebuch beweist es!) zu willen war und es später bestreitet - der gleichgesinnte Zeugen oder gar Richter ...findet? Welches Recht gilt denn nun: das von der Justiz gesprochene oder das im Sinne der Wahrheit? Welches Recht gilt es zu verteidigen? Rechtsbetrachtungen dazu sind nicht uninteressant. Aber helfen sie im Ernstfall? - Das Christentum noch einmal vor die Nase gesetzt zu bekommen als eine alle Bürger verpflichtende Staats-"Religion" - wer will das, wer soll das, wem soll so etwas noch einmal zugemutet werden? Wer spricht davon?
Ja, da werden gewissermaßen Strohmänner bekämpft. Die richtig brisanten Fragen sind subtiler. So ist nicht die Frage interessant: "Soll die Regierung die Medien beaufsichtigen?" Sondern viel subtiler: Darf man etwas über jemanden veröffentlichen, wenn dadurch doch die Gruppe von Menschen diskreditiert werden könnte, der er angehört (aus einem anderen Forenstrang)? Brauchen wir ein "richtiges Maß an Meinungsfreiheit" (Zitat einer Bundesministerin)? Wird Meinungsfreiheit eingeschränkt oder wirksam, wenn sich an ihren Gebrauch zivilrechtliche oder soziale Folgen binden?
In Bezug darauf, ob nun das justitielle oder das soziale Recht gelte: Wie realistisch und üblich ist es, daß man nach einem Zivilprozeß mit seinem Kontrahenten wieder ein ganz normales, friedliches und geschäftiges Verhältnis führt? Die Vermögensfrage ist doch eigentlich durch den Prozeß geklärt, da kann doch wieder alles wie normal sein, oder? Wie realistisch und üblich ist es, daß jemand nach einem strafprozeßlichen Freispruch oder dem Verbüßen seiner Gefängnisstrafe wieder ein ganz normales Verhältnis zu dem hat, der den Straftatsverdacht angezeigt hat bzw. geschädigt wurde? Dem Geschädigten ist doch genuggetan und der Sträfling wurde resozialisiert (das ist schließlich der gesetzliche Haftgrund, die Resozialisation), oder?
Im Kontrast dazu macht das Christentum der Aposteln zum Zentrum seiner Religion eine gesellige Gemeinschaftshandlung, nämlich gemeinsam etwas zu essen. Was verrät uns das über Rechtsstaat und Christentum? Wo hat was einen Mangel? Und was ist im Kontrast dazu mit einer Religion, deren Hauptinhalt die Durchsetzung von Ritual- und Rechtsbestimmungen in einer Rigidität und Totalität ist, wie wir es weder in Antike, Mittelalter noch den neuzeitlichen Diktaturen kennen?
Ich glaube, daß Christentum und Rechtsstaat komplementär zueinander sind, einen Zusammenklang bildet. Weder darf man den Staat überhöhen, indem man eine staatliche Werteordnung als Religionsersatz erfindet (so wie das BVerfG) und damit rechtsstaatliche Prinzipien letztlich doch aushöhlt, noch darf man das Christentum pervertieren, indem man es staatstragend-juristisch macht, und somit Barmherzigkeit und Gnade aushöhlt. Das ist freilich nur meine Antwort. Aber ich glaube, sie ist gut begründet.
Zitat von Emulgator im Beitrag #158Brauchen wir ein "richtiges Maß an Meinungsfreiheit" (Zitat einer Bundesministerin)? Wird Meinungsfreiheit eingeschränkt oder wirksam, wenn sich an ihren Gebrauch zivilrechtliche oder soziale Folgen binden?
Zitat Wherever the issue [of free speech] arises, the dominant response has been to warn about the dangers of allowing ‘too much’ free speech and the need to restrict, rather than defend and extend our most precious liberty. […] free speech is supposed to be Free. That’s free as in ‘free as a bird’, to soar as high as it can and swoop as low as it chooses. Not as in ‘free-range chicken’, at liberty to scratch in the dirt within a fenced-in pen and only an executive decision away from the chopping block. Here is the terrible truth about free speech: it is an indivisible liberty that we defend for all or none at all.
Immer wenn die Frage [der Redefreiheit] zur Sprache kommt, ist die Antwort überwiegend eine Warnung vor den Gefahren, wenn man "zuviel" Redefreiheit zuläßt, und die Notwendigkeit diese unsere wertvollste Freiheit einzuschränken, statt zu verteidigen und zu erweitern. […] Freie Rede muß frei sein. Nämlich frei wie in "frei wie ein Vogel", so hoch zu steigen wie sie kann und so niedrig zu sinken wie sie will. Nicht wie in "Freilandhuhn", das die Freiheit hat, in einem eingezäunten Bereich im Dreck herumzukratzen, und immer nur eine Exekutiventscheidung weit vom Hackblock entfernt ist. Das ist die schreckliche Wahrheit über Redefreiheit: sie ist eine unteilbare Freiheit, die wir entweder für alle verteidigen oder für keinen.
Zitat von Simon im Beitrag #157An einer Stelle fragt Ludwig Weimer nach:
Zitat #136 RE: „Wie wollen wir leben?“
"Stimmen Sie, lieber Fluminist,
mit mir darin überein, dass nicht nur die Christen durch das Aufhören der Verfolgung in eine gefahrvolle Euphorie gerieten, sondern dass auch die Kaiser nur eine solche Religion brauchen wollten, konnten, die als Staatsreligion allen zuzumuten war, und insofern gegen die Religionsfreiheit in den Evangelien bedenkenlos handelten?"
Daraufhin beginnt eine (erneute) Diskussion über "Religion". Überhört wird, dass es "in den Evangelien" so etwas wie Religionszwang Vorschriften für alle (sc. weder damals im röm. Kaiserreich noch jemals) garnicht gibt (vom Geist des Evangeliums her, das nur seine Jünger - die Gläubigen - verpflichtet, garnicht gibt)!
Lieber Simon, wir müssen da schon unterscheiden zwischen dem, was Sie hier und jetzt aus der Bibel herauslesen, und dem, was ein- bis anderthalb tausend Jahre Kirchen- und Staatsgeschichte waren. Sicher, Sie sehen jetzt keinen Zwang, aber das ändert nichts an der Tatsache, daß z.B. die Geschichte mit Adam und Eva, die Herr Weimer einmal erwähnt hat, eben doch lange Zeit als Beweis der Erbsünde galt und die dieser Interpretation entsprechende Unvollständigkeit und Erlösungsbedürftigkeit des naturbelassenen Menschen als Grundlage für die Notwendigkeit der Kirche und ihrer Sakramente und auch als göttlicher Auftrag für eine z.T. mit recht robusten Mitteln durchgeführte Heidenmission in aller Welt aufgefaßt worden sind. Eine Einschätzung der Ereignisse um 391 (hierbei ging es bei der zitierten Frage) ist eine geschichtliche Frage, für die es unerheblich ist, was wir jetzt im Evangelium lesen, sondern nur, inwieweit z.B. die Ansichten und Handlungen des Ambrosius nach seiner Auffassung dadurch gedeckt waren.
Umgekehrt kann man sich natürlich auch auf den Standpunkt stellen - und da stelle ich mich gerne dazu -, daß das alles Schnee von vorgestern ist und uns nur die Frage, wie wir jetzt leben wollen, zu interessieren braucht. Dann können wir uns aber das Schönreden der Geschichte und Spekulationen über den philosophischen Weitblick von Kaisern wie Theodosius auch schenken. Dieser ahistorische, apriorische Ansatz hat seine Vorzüge, allerdings den Nachteil, nicht aus den Fehlern der Vergangenheit lernen zu können. Wir begeben uns da leicht in die Situation der hartgesottenen Sozialisten, denen die katastrophalen Mißerfolge sozialistischer Gesellschaftsklempnerei im 20. Jahrhundert offenbar nicht den kleinsten Schatten auf ihre optimistischen Weltverbesserungsaussichten werfen.
Zitat Und ist die Diskussion nicht irgendwo im Straßengraben gelandet, wenn nach so etwas wie: mit oder ohne Artikel etc. nachgefragt wird?!
Das ist so ein bißchen comic relief zur Auflockerung und kommt schon recht, das Kleine Zimmer ist ja nicht der Reichstag von Worms.
Also ich fand die Erklärung der Verwendung des Wortes Kalkül sehr erhellend.
Ich komme aber gern auf die eigentliche Diskusion zurück mit der Frage:
"Welchen Gottesbegriff haben eigentlich Weimer und Simon?"
Das habe ich in der ganzen bisherigen Diskussion nicht kapiert. Bislang dachte ich, daß der Begriff eines personalen Gottes mega out sei, eine Zumutung für denkende Menschen.
Derzeit lese ich Klemperer, Dezember 1944. Er ist meiner Meinung.
Für meinen Teil möchte ich in der gebotenen Kürze so antworten:
Mein Gottesbegriff ist der Gottesbegriff des Jesus von Nazareth, und da dieser Jude war, ist es also der jüdische. Der jüdische Gottesbegriff stammt aus einer 1000jährigen Prüfung der Götterbilder der Vorgeschichte von etwa 40 000 Jahren im Vorderen Orient und der Götterbilder Kanaans und der Umwelt z. Z. des alten Israel. Es war eine Geistesarbeit, also eine religionskritische Prüfung mittels der Vernunft, aber ebenso wichtig ist: die Reflexion fußte auf einer existentiellen Erfahrung einer langen Generationenkette, wobei in der frühen Königszeit vielleicht 30 000, in der Spätzeit unter Alexander d. Gr. und dann den Römern mehr als eine Million Juden beteiligt waren. Was meint hier existentielle Erfahrung? Man versuchte ein Stück Land und Staat ohne einen menschlichen Herrscher zu gestalten, mit 'Gott' als König (natürlich gelang das meistenteils nicht). Man definierte das Wollen Gottes, indem man die Lösung für das menschliche Elend suchte und sagte: das muss Gott also wollen. Man entdeckte auf diesem Weg "Geschichte" und "Erinnerung" als Ort der Erfahrung in dieser Sache. D.h., man blickte auf die Fehler und das Gutgemachte der Vergangenheit und suchte daraus den nächsten Schritt in die Zukunft zu gehen, um diesen dann wieder kritisch zu betrachten und gegebenenfalls zu korrigieren (in Jesaja 30 finden Sie dazu etwas). Rückwärts gehend wie der Ruderer.
Aus den Ergebnissen: Die Gestirne sind keine Götter (wie die Jägerkulturen glaubten), Sonne und Mond sind nur Lampen (Genesis 1); die Welt ist nicht Gott, auch der Mensch ist nicht Gott (daher waren die Juden gegen Pharao, die Christen gegen den Cäsarenwahn). Wer ist dann Gott? Der Schöpfer der Natur? Gott kann nur einer sein; (nach einigen Jahrhunderten dann: Die Götter sind Nichtse, es kann nur einen wahren Gott geben, also Monotheismus). Dieser Weltgott sucht ein neues Volk zu sammeln, um in der Welt handeln zu können. Das winzige Israel hat diese Aufgabe, die eine Last ist, zu lösen.
Aber was können Menschen sicher wissen? Wenn Gott die Welt wollte, wollte er auch, dass wir ihn finden?; bedeutet also sein und unser Geist die Kommunikationsfähigkeit? Juden dürfen nur sagen: Gott ist das Geheimnis, wir dürfen ihn nicht abbilden, weil alle Analogien nicht treffen, wir dürfen nicht einmal einen Namen für ihn aussprechen (Juden lesen JHWH mit der Umschreibung Aonai=der Herr). Die Christen haben diesen jüdischen Gott dann definiert mit Jesus und dessen Geistesart. Jesus legte das gewordene Judentum so religionskritisch von der Vernunft und der Weisheit her und von seinem Gefühl für die Schwächen her aus, dass der Tempel und der Adel im Hohen Rat diese Wahrheit nicht ertrugen und ihn unter dem Vorwand, er wolle selber König werden, von den Römern mit zwei Zeloten zusammen töten ließen.Deswegen definierten seine Jünger das echte Gottesbild mit der Lehre und dem Leben und Sterben dieser Person (in den Analogien 'Menschensohn' und 'Sohn Gottes', 'Logos'=WORTGottes und weiteren Titeln wie 'Lamm Gottes' und 'Erlöser').
Griechen und Römer empfanden die Juden und Christen als Atheisten und bezeichneten sie so, weil sie die Ablehung der üblichen Verbindung von Politik und Religion nicht verstanden. (Nicht nur China denkt noch heute so.)
Heute verstehen viele Christen Jesus nur noch als einen Rabbi und Wunderheiler. Daher habe ich begrifflich ungewohnt, aber in der Sache traditionell (d.h. im Sinn des Glaubens meiner kath. Kirche)formuliert.
Das muss fürs Erste reichen. Mit Grüßen Ludwig Weimer
Ich komme aber gern auf die eigentliche Diskusion zurück mit der Frage:
"Welchen Gottesbegriff haben eigentlich Weimer und Simon?"
Das habe ich in der ganzen bisherigen Diskussion nicht kapiert. Bislang dachte ich, daß der Begriff eines personalen Gottes mega out sei, eine Zumutung für denkende Menschen.
Derzeit lese ich Klemperer, Dezember 1944. Er ist meiner Meinung.
Sehr geehrter Herr Zeller, Sie fragen sehr unpersönlich ins kleine Zimmer hinein und erwarten eine Antwort. Vielleicht einen Widerhall Ihrer Frage?
Victor Klemperer ist nicht meiner Meinung. Victor Klemperer wollte als Jude (verheiratet mit einer nicht-jüdischen Deutschen) nichts anderes als "Deutscher" sein - zeitlebens (auch nach seiner Rückkehr nach 1945 ins neue alte Leben). Um diesen Status auch existentiell zu erreichen und zu sichern, schüttelte er sein Judentum ab, nahm er 2(!) Taufen (als Bekenntnis zum Deutschtum! und nicht zum protestantischen christlichen Bekenntnis, vgl. Tagebucheintrag von 1942) in Kauf. Hitler und sein NS-Regime störten sein Bild vom "Deutschen" nur, obwohl er daran beinahe zugrunde ging. - V. Kl. registrierte als historisch besessener Wissenschaftler alles, was um ihn vorging - nicht erst und nicht zuletzt in der NS-Zeit. Doch behielt er dabei- merkwürdigerweise, jedoch nicht als Ausnahmefall unter Juden im deutschen Sprachraum - diese Schere im Kopf: das Deutschtum(!) ist es. Und dies trübt seinen Blick: z. B. sieht er - eben noch lebend davongekommen - in den Amerikanern einerseits die "Rache Gottes an den Henkersknechten des 3. Reichs" und die "Befreier", andererseits aber die Deutschen, mit denen er sich voll identifiziert, als die von ihnen Gedemütigten. Diese indirekte Antwort mag um diese Nachtzeit genügen.
Zitat von Peter Zeller im Beitrag #161Bislang dachte ich, daß der Begriff eines personalen Gottes mega out sei, eine Zumutung für denkende Menschen.
Derzeit lese ich Klemperer, Dezember 1944. Er ist meiner Meinung.
Klemperer war wahrscheinlich auch ein bißchen Kind seiner Zeit, wie @Simon angedeutet hat. Entsprechend eine andere zeitgenössische Meinung, die an einen personalen Gott nicht glauben wollte:
Zitat Wenn wir [...] von einer Gottgläubigkeit sprechen, dann verstehen wir unter Gott nicht, wie die naiven Christen und ihre geistlichen Nutznieße, ein menschenähnliches Wesen, das irgendwo in der Sphäre herumsitzt. Wir müssen vielmehr den Menschen die Augen öffnen, daß es neben unserer kleinen, im großen Weltall höchst unbedeutenden Erde noch eine unvorstellbar große Zahl weiterer Körper im Weltall gibt [...] Die naturgesetzliche Kraft, mit der sich alle diese unzähligen Planeten im Weltall bewegen, nennen wir die Allmacht oder Gott. Die Behauptung, diese Weltkraft könne sich um das Schicksal jedes einzelnen Wesens, jeder kleinsten Erdenbazille kümmern, könne durch sogenannte Gebete ider andere erstaunliche Dinge beeinflußt werden, beruht auf einer gehörigen Dosis Naivität oder auf einer geschäftigen Unverschämtheit. -- Rundschreiben von Martin Bormann an alle Gauleiter der NSDAP vom 9.06.1941.
Der Nichtglauben an einen personalen Gott geht bei Bormann und Komplizen ganz unumwunden mit einer Ignoranz gegenüber persönlichen Belangen der Menschen einher; das ist klar.
Im Kontrast dazu stand der Märtyrer Alfred Delp, der als Vision für den Kreisauer Kreis von einem "personalen Sozialismus" schrieb und sich gegen die "Vermassung" der kollektivistischen Ideologien des roten und nationalen Sozialismus gewendet hat. Delp glaubte natürlich an einen personalen Gott. Im Grunde entsprach sein "personaler Sozialismus" eher der ordoliberalen Marktwirtschaft der späteren Bundesrepublik. (Delp und der Kreisauer Kreis waren wiederum noch so weit Kinder ihrer Zeit, daß sie sich nicht unverblümt für Marktwirtschaft und so eine Demokrati aussprechen konnten, wie es sie in anderen demokratischen Ländern Europas schon gab -- die waren ja nicht deutsch und wirtschaft irgendwie kapitalistisch igitt. So erging es aber auch dem Parlamentarischen Rat und der Bundesrepublik, die sogar bis heute ganz gemütlich mit diversen Hitler-Gesetzen lebt, die andernorts im demokratischen Europa vom inhalt her undenkbar wären.)
Zitat von Emulgator im Beitrag #164Der Nichtglauben an einen personalen Gott geht bei Bormann und Komplizen ganz unumwunden mit einer Ignoranz gegenüber persönlichen Belangen der Menschen einher; das ist klar.
Das ist klar. Aber ebenso wie etwas nicht wahr ist, nur weil es in der Bibel steht, ist etwas anderes noch nicht falsch, nur weil Martin Bormann es geschrieben hat. Demagogen aller Art machen ihre ideologischen Pillen mit einem Zuckermantel aus ersichtlichen Wahrheiten leichter schluckbar.
Zitat von Emulgator im Beitrag #164Der Nichtglauben an einen personalen Gott geht bei Bormann und Komplizen ganz unumwunden mit einer Ignoranz gegenüber persönlichen Belangen der Menschen einher; das ist klar.
Das ist klar. Aber ebenso wie etwas nicht wahr ist, nur weil es in der Bibel steht, ist etwas anderes noch nicht falsch, nur weil Martin Bormann es geschrieben hat. Demagogen aller Art machen ihre ideologischen Pillen mit einem Zuckermantel aus ersichtlichen Wahrheiten leichter schluckbar.
Man muß es vom anderen Ende anfassen: Nicht das Pantheon prägt die Gewissenshaltung, sondern die Gewissenshaltung wird durch das Pantheon ausgedrückt. Steht für mich der Mensch im Mittelpunkt, dann muß Gott personal sein. Steht für mich ein Naturprinzip im Mittelpunkt, dann ist Gott ein unpersonales Naturprinzip. Das sollte für Konfessionslose doch recht leicht zu verstehen sein, weil bei ihnen eher die Gewissenshaltung die Konstante ist und nicht die Religionszugehörigkeit oder das Glaubensbekenntnis. Entsprechend wird ja argumentiert: Die Kirche macht die schlechte Sache XY, deswegen glaube ich nicht mehr an Gott. Nur sollte man nicht bei der Negation stehenbleiben, sondern sich um eine eigene richtige Anschauung bemühen: Wenn ich YX eine gute Sache finde, wie sieht dann mein Gott aus?
Zitat von Emulgator im Beitrag #164Der Nichtglauben an einen personalen Gott geht bei Bormann und Komplizen ganz unumwunden mit einer Ignoranz gegenüber persönlichen Belangen der Menschen einher; das ist klar.
Das ist klar. Aber ebenso wie etwas nicht wahr ist, nur weil es in der Bibel steht, ist etwas anderes noch nicht falsch, nur weil Martin Bormann es geschrieben hat. Demagogen aller Art machen ihre ideologischen Pillen mit einem Zuckermantel aus ersichtlichen Wahrheiten leichter schluckbar.
Angesichts der offensichtlichen Borniertheit und Hetze, die aus dem ausgewählten Bormannzitat spricht, finde ich es schon äußerst befremdlich, um nicht zu sagen kaltschnäuzig, im Diskussions-Zusammenhang - formale Logik einfordernd - mit "Demagogen aller Art" im Argumentationsgefüge zu operieren.
Zitat von Emulgator im Beitrag #164Der Nichtglauben an einen personalen Gott geht bei Bormann und Komplizen ganz unumwunden mit einer Ignoranz gegenüber persönlichen Belangen der Menschen einher; das ist klar.
Das ist klar. Aber ebenso wie etwas nicht wahr ist, nur weil es in der Bibel steht, ist etwas anderes noch nicht falsch, nur weil Martin Bormann es geschrieben hat. Demagogen aller Art machen ihre ideologischen Pillen mit einem Zuckermantel aus ersichtlichen Wahrheiten leichter schluckbar.
Angesichts der offensichtlichen Borniertheit und Hetze, die aus dem ausgewählten Bormannzitat spricht, finde ich es schon äußerst befremdlich, um nicht zu sagen kaltschnäuzig, im Diskussions-Zusammenhang - formale Logik einfordernd - mit "Demagogen aller Art" im Argumentationsgefüge zu operieren.
Simon
Lieber Simon, ich habe das Gefühl, daß Sie meine Absicht etwas mißverstanden haben. Ist es Ihnen noch nicht aufgefallen, daß Politiker gerade eher extremer Richtung gerne viele ziemlich offensichtliche und allgemein bekannte Wahrheiten wiederholen, um die Zustimmung des Publikums zu erheischen, das dann die mit eingestreuten Giftworte nickend mit aufnimmt und sagt: "Hat sie nicht recht?" Das ist eine ziemlich allgemeine rhetorische Masche, gegenwärtige Beispiele findet man leicht bei Linken wie Front National (daher "aller Art"), und Bormann tat da desgleichen. Natürlich mit standesgemäßem pseudowissenschaftlichem Geschwurbel ("Die naturgesetzliche Kraft, mit der sich alle diese unzähligen Planeten im Weltall bewegen, nennen wir die Allmacht oder Gott.") im Sinne seines immer von der "Vorsehung" schwadronierenden Genossen. Diese mörderischen, okkultistischen Spinner einfach so in einen Zusammenhang mit aufgeklärten Atheisten oder Agnostikern zu stellen, wegen deren "Nichtglauben an einen personalen Gott", das finde ich nun wiederum befremdlich bis kaltschnäutzig.
Wenn Sie die "Demagogen aller Art" auf sich oder jemanden, der Ihnen lieb und teuer ist, beziehen wollen, dann tun Sie das nicht in meinem Sinne.
Die Kälte eines gottlosen Universums hat viel früher ein viel begabterer und über den Verdacht der Hetze weit erhabener Dichter gezeichnet:
Zitat Christus fuhr fort: »Ich ging durch die Welten, ich stieg in die Sonnen und flog mit den Milchstraßen durch die Wüsten des Himmels; aber es ist kein Gott. Ich stieg herab, soweit das Sein seine Schatten wirft, und schauete in den Abgrund und rief: ›Vater, wo bist du?‹ aber ich hörte nur den ewigen Sturm, den niemand regiert, und der schimmernde Regenbogen aus Wesen stand ohne eine Sonne, die ihn schuf, über dem Abgrunde und tropfte hinunter. Und als ich aufblickte zur unermeßlichen Welt nach dem göttlichen Auge, starrte sie mich mit einer leeren bodenlosen Augenhöhle an; und die Ewigkeit lag auf dem Chaos und zernagte es und wiederkäuete sich. – Schreiet fort, Mißtöne, zerschreiet die Schatten; denn Er ist nicht!« Die entfärbten Schatten zerflatterten, wie weißer Dunst, den der Frost gestaltet, im warmen Hauche zerrinnt; und alles wurde leer. Da kamen, schrecklich für das Herz, die gestorbenen Kinder, die im Gottesacker erwacht waren, in den Tempel und warfen sich vor die hohe Gestalt am Altare und sagten: »Jesus! haben wir keinen Vater?« – Und er antwortete mit strömenden Tränen: »Wir sind alle Waisen, ich und ihr, wir sind ohne Vater.« Da kreischten die Mißtöne heftiger – die zitternden Tempelmauern rückten auseinander – und der Tempel und die Kinder sanken unter – und die ganze Erde und die Sonne sanken nach – und das ganze Weltgebäude sank mit seiner Unermeßlichkeit vor uns vorbei – und oben am Gipfel der unermeßlichen Natur stand Christus und schauete in das mit tausend Sonnen durchbrochne Weltgebäude herab, gleichsam in das in die ewige Nacht gewühlte Bergwerk, in dem die Sonnen wie Grubenlichter und die Milchstraßen wie Silberadern gehen. Und als Christus das reibende Gedränge der Welten, den Fackeltanz der himmlischen Irrlichter und die Korallenbänke schlagender Herzen sah, und als er sah, wie eine Weltkugel um die andere ihre glimmenden Seelen auf das Totenmeer ausschüttete, wie eine Wasserkugel schwimmende Lichter auf die Wellen streuet: so hob er groß wie der höchste Endliche die Augen empor gegen das Nichts und gegen die leere Unermeßlichkeit und sagte: »Starres, stummes Nichts! Kalte, ewige Notwendigkeit! Wahnsinniger Zufall! Kennt ihr das unter euch? Wann zerschlagt ihr das Gebäude und mich? – Zufall, weißt du selber, wenn du mit Orkanen durch das Sternen-Schneegestöber schreitest und eine Sonne um die andere auswehest, und wenn der funkelnde Tau der Gestirne ausblinkt, indem du vorübergehest? – Wie ist jeder so allein in der weiten Leichengruft des Alles! Ich bin nur neben mir – O Vater! o Vater! wo ist deine unendliche Brust, daß ich an ihr ruhe? – Ach wenn jedes Ich sein eigner Vater und Schöpfer ist, warum kann es nicht auch sein eigner Würgengel sein?... Ist das neben mir noch ein Mensch? Du Armer! Euer kleines Leben ist der Seufzer der Natur oder nur sein Echo – ein Hohlspiegel wirft seine Strahlen in die Staubwolken aus Totenasche auf euere Erde hinab, und dann entsteht ihr bewölkten, wankenden Bilder. – Schaue hinunter in den Abgrund, über welchen Aschenwolken ziehen – Nebel voll Welten steigen aus dem Totenmeer, die Zukunft ist ein steigender Nebel, und die Gegenwart ist der fallende. – Erkennst du deine Erde?«
Zitat von Fluminist im Beitrag #169... Aber ebenso wie etwas nicht wahr ist, nur weil es in der Bibel steht, ist etwas anderes noch nicht falsch, nur weil Martin Bormann es geschrieben hat.
Da steht es doch, worauf ich heftig reagiert habe. - Ich habe doch nichts gegen Agnostiker und dgl., nichts gegen einen modernen Propheten. Ich verabscheue allerdings Feststellungen über wahr und falsch an ungeeigneten Beispielen.
Verstehen Sie mich - auch ohne lange Gegentexte? - Ich hoffe doch, lieber Fluminist.
Zitat von Fluminist im Beitrag #169... Aber ebenso wie etwas nicht wahr ist, nur weil es in der Bibel steht, ist etwas anderes noch nicht falsch, nur weil Martin Bormann es geschrieben hat.
Da steht es doch, worauf ich heftig reagiert habe. - Ich habe doch nichts gegen Agnostiker und dgl., nichts gegen einen modernen Propheten. Ich verabscheue allerdings Feststellungen über wahr und falsch an ungeeigneten Beispielen.
Verstehen Sie mich - auch ohne lange Gegentexte? - Ich hoffe doch, lieber Fluminist.
Simon
Ach so. Nein, damit wollte ich ja noch gar nichts über wahr und falsch gesagt haben, sondern mich nur gegen ein argumentum ad verecundiam wehren. Gemeint hatte ich, würde man das Zitierte ebenso interpretieren, wenn darunter nicht Bormann stünde, sondern z.B. Richard Dawkins (mit dem man nicht übereinstimmen muß - tue ich auch nicht -, der aber ein ehrenwerter Mann ist, der sich allerdings zu so einem Blödsinn wie den von mir zuletzt zitierten Satz über die "naturgesetzliche Kraft" kaum herabließe)?
Zitat von Fluminist im Beitrag #169Die Kälte eines gottlosen Universums hat viel früher ein viel begabterer und über den Verdacht der Hetze weit erhabener Dichter gezeichnet:
Zitat Christus fuhr fort: »Ich ging durch die Welten, ich stieg in die Sonnen und flog mit den Milchstraßen durch die Wüsten des Himmels; aber es ist kein Gott.
Kleine OT-Fußnote zur "Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab" von 1797. Von diesem Denkbild war Jean Paul, zumindest eine Zeitlang, schwer umgetrieben (man kann auch sagen besessen): immerhin hat es das drei Mal gestaltet (wenn man die Erstfassung, die "Rede des todten Shakespeare in der Kirche vor todten Zuhörern" hnzunimmt, vier Mal): im "Traum über das All" (als Kapitel im "Komet", 1822) - der ersten literarischen "Universumstour" überhaupt, in der der körperlose Erzählpunkt das All bis an die äußerte Grenze des noch Vorstellbaren ausmisst; und in der "wunderbaren Gesellschaft der Neujahrsnacht", 1802 als Appendix zum "Siebenkäs"; wo er das gleiche bis zum Ende der Zeit durchdekliniert - ganz knapp über ein Dutzend Seiten weg die zukünftige Geschichte der Menschheit, ihr Ende, und schließlich das Ende der Erde & das Verlöschen der Sonne. Bei allen Versionen wird das, nota bene, am Ende zurückgebogen auf die alte Tröstlichkeit: nach dem immer schwindelerregenderen Flug durch ein gestirntes All ohne jeden Funken von Leben findet der Erzähler Trost im Bild des Muttergottes, die über der Erde aufsteigt (übrigens ein Bild, das fast wie eine Vorwegnahme des Schlußtableaus aus Kubricks 2001 erscheinen könnte); die Rede des toten Christus dient explizit als Warnung vor der Versuchung, den Atheismus als Denkmöglichkeit anzunehmen; & die Gesellschaft erweist sich als bezechte Punschvision. Andererseits wird das Vorhergehende mit solchen Intensität ausgemalt, daß man (ich zumindest) Herrn Richter nicht so recht glaube. Jean Pauls rhetorische Strategie besteht ja darin, in den Guirlanden & Kaskaden seiner Bilder ein Ungefähr, eine ziemlich confuse Associitis des Sowohl-als-Auch, des vom 100sten-ins-1000ste in die Luft zu werfen, daß man oft das Gefühl von zuviel buntem Seifenblasenrausch hat (die oft unvermittelt einschießende heftige Sentimentalität ist auch nicht gerade hilfreich). In diesen Texten ist nichts davon. Jean Paul ist nicht der einzige seiner Zeit: die "Nachtwachen von Bonaventura" leben (sit venia verbo) auch davon - was neben ihrer Strickart, die von J.P. entlehnt ist, zu ihrer Zuschreibung an ihn beigetragen haben dürfte.
Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #172...die Rede des toten Christus dient explizit als Warnung vor der Versuchung, den Atheismus als Denkmöglichkeit anzunehmen...
Schlimmer noch ist es, wenn er dann im Kampanertal im Detail ausmalt, wie schrecklich es wäre, wenn die Seele des Menschen nicht unsterblich wäre - was auf einen skeptischen Positivisten, der sich zur Annahme einer unsterblichen Seele logischerweise & schlechterdings nicht durchringen kann und sich darüber im klaren ist, daß auch ein berechtigter Wunsch noch keine Wirklichkeit zusichert, leicht deprimierend wirkt.
Zitat von Fluminist im Beitrag #171Nein, damit wollte ich ja noch gar nichts über wahr und falsch gesagt haben, sondern mich nur gegen ein argumentum ad verecundiam wehren. Gemeint hatte ich, würde man das Zitierte ebenso interpretieren, wenn darunter nicht Bormann stünde, sondern z.B. Richard Dawkins
Richard Dawkins ist kein Zeitgenosse Victor Klemperers. Darum ging es mir ja. Meine Aussage war, daß die Ablehnung eines personalen Gottes damals sehr weit verbreiteter Zeitgeist war; so weit verbreitet, daß sie von Klemperer bis zum völlig gegensätzlichen Bormann reichte. Damit wollte ich ein wenig relativieren, daß da ein Konsens aller "denkenden Menschen" bestünde.
Es ging mir an dieser Stelle noch nicht um die Bewertung, ob diese Ablehnung schlecht sei. Es ist zutreffend, daß auch ein Martin Bormann etwas richtiges sagen kann. Wie man zu einem personalen Gott steht, sollte deswegen nicht von Martin Bormann, sondern von dieser Überlegung abhängen.
Übrigens habe ich das Bormann-Zitat so ausgewählt, daß keine Hetze darin vorkommt. Erstens mußte Bormann seine NSDAP-Gauleiter nicht mehr extra aufhetzen, zweitens ist es nur folgerichtig, daß man nur Naivität oder Geschäftemacherei als Grund für einen Glauben sieht, den man selbst für evident falsch hält. Solche Bewertungen durch Andersgläubige muß man aushalten können.
Ich weiß, daß die Namen von Naziführern immer ein Aufregungsauslöser sind, lieber @Simon. Aber lieber mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit unsachliche Aufregung riskieren als eine Epoche totschweigen und ganz sicher nicht mehr aus ihr zu lernen!
Zitat von Fluminist im Beitrag #171(mit dem man nicht übereinstimmen muß - tue ich auch nicht -, der aber ein ehrenwerter Mann ist, der sich allerdings zu so einem Blödsinn wie den von mir zuletzt zitierten Satz über die "naturgesetzliche Kraft" kaum herabließe)?
Dawkins macht sich nicht die Mühe, Reden von Gott so zu interpretieren, daß auch er von Gott reden könnte. Für Dawkins ist damit der Begriff "Gott" wertlos. Bormann hingegen füllt den Begriff, der ja nun mal da ist, mit einer Bedeutung, die in seiner Weltanschauung Sinn hat. Jedes hat andere Nachteile für die Diskussion. Dawkins hat z.B. sehr wohl eine "religio", die sich zwar nicht auf einen Gott richtet, sehr wohl aber ihm Wertvorstellungen vermittelt. Dadurch kann man nicht über die Gottesvorstellung reden, um die Wertevorstellungen klären. Bei Bormann kommt hingegen sehr deutlich zum Ausdruck, daß die Wertvorstellungen an der Gottesvorstellung kristallisieren, allerdings darf man nicht übersehen, daß er etwas ganz anderes Gott nennt, als was die Christen meinen (wobei man auch diskutieren kann, ob Gott in bestimmten christliche Bekenntnisströmungen wirklich noch personale Merkmale hat).
Zitat von Emulgator im Beitrag #174Dawkins macht sich nicht die Mühe, Reden von Gott so zu interpretieren, daß auch er von Gott reden könnte. Für Dawkins ist damit der Begriff "Gott" wertlos.
Da ist auch richtig so. Dawkins spricht als Biologe, mit dem Ziel, die naturwissenschaftliche Optik, das Prinzip des Reduktionismus zur Erfassung ihrer Gesetzmäßigkeiten zur Eschließung der Welt möglichst weit zum Tragen zu bringen. Gerade die Biologie hat es ja mit der Eskamotierung aller Höheren Prinzipien, aller Ziele & Planmäßigkeiten am weitesten gebracht, aber auch am schwersten gehabt. Die Annahme des Vorhandenseins einer transzendenten Dimension, die irgendeinen Einfluss auf das Leben haben könnte, wirkt aus einem solchen Blickwinkel wie eine verschärfte Annahme eines élan vital, einer vis plastica. Freilch steht Dawkins im Weg, daß sein Argument oft die Form der verschärften Polemik annimmt; das hat er mit vielen Aufklärern, nicht nur Voltaire, gemein; das teilt er auch mit Sam Harris. Bei Daniel Dennett (in Breaking the Spell) fehlt dieses Element. Das hat zur Folge, daß man, als schon lange überzeugter Atheist, das Buch achselzuckend aus der Hand legt, wie wenn jemand heute noch die Kugelgestalt der Erde nachweisen würde. Man ist nicht mehr Zielgruppe nicht nur dieses Buchs, sondern der gesamten Debatte. Von Gott oder Transzendenz zu sprechen lässt sich dann nur noch in ideengeschlichtlicher Hinsicht, als bildliche Projektion moralischer Richtschnur (das würde sich mit Bonhoeffer treffen); aber darum ging es Dawkins eben nicht, sondern um die praktisch-faktische Gegebenheit außerhalb kollektiver Wünsche & Traditionen. Bei der Ablehnung der explizit polemisch asgerichteten Vorstellung des Alten-Manns-mit-langem-Bart reichte schon der Rekurs auf viele christliche Mystiker, die das Mysterium tremendum der unmittelbaren Gotteserfahrung als unbeschreibbar betonen, als über die Zuschreibung jeglicher Attribute, über die Möglichkeiten jeder Sprache hinaus, betonen. Das ist auch die Konsequenz einer explizit theistischen Einstellung, die ja eine Gottesvorstellung bejaht, sie aber über die partikulären Religionen stellt. Problem: je distanzierter & "neutraler" das wird, desto weniger funktioniert es als gelebte Religion; es fällt auch auf, daß, je abstrakter die Idee von Gott betont wird, desto hartnäckiger Vorstellungen & Untertöne eines personell Handelnden einschießen. Im Islam ist das wohl in Reinkultur zu sehen; nicht allein in der - theoretischen - Abgeschlossenheit der Offenbarung durch den letzten Propheten, das - eigentlich - eine Verweltlichung, ein "Schweigen der Orakel" zur Folge haben sollte wie in den beiden anderen Monotheismen (Stichwort: Gott wandelt nicht mehr auf Erden; die Folge ist die Verweltlichung sämtlicher Affären der Menschen untereinander); aber gerade dadurch anfällig wird für politisch handelndes Eiferertum in fanatischer Unbeschränktheit.
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