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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
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Ulrich Elkmann Online




Beiträge: 14.425

14.12.2015 09:42
#126 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Zitat von Peter Zeller im Beitrag #125
Es gibt wohl Menschen, die auf das Stichwort Altruismus hochallergisch in einer ganz bestimmten vorgefaßten Weise reagieren. Mit Denken hat das nichts zu tun.


Daß sich der Altruismus - genauer: die Disposition zum altruistischen Verhalten - ganz schlicht biologisch erklären lässt, ohne Rekurs auf Transzendentes, irgendwelche Ziele oder einen moralischen Impetus - ist aber nun so neu auch nicht. Für die genetische Nähe hat das W. D. Hamilton am deutlichsten modelliert; der Begriff "reziproker Altruismus" stammt von Robert Trivers. Die Überlegung: daß gegenseitige Hilfe eine wesentliche Erweiterung der Handelsmöglichkeiten des Individuums und auch der Gruppe, in der es sich findet, darstellt,ist die Grundlage von Adam Smiths "Theory of Moral Sentiments" (1759). Seitdem war es immer ein Hauptstrang liberalen (und libertaristischen) Denkens, gegen die Parasitierung des Einzelnen durch diese Neigung anzugehen, wenn durch Ideologien, "den Staat", wildgewordene Höhere Ziele damit Schindluder getrieben wird. Die Religion eignet sich naturgemäß wg. ihres Höchstanspruchs, ihrer nicht widerlegbaren transzendenten Belohnungen (könnte man das "ultimative Gefangenendilemma" nennen) & ihres Gruppendrucks besonders dazu. Man muss aber auch sehen, dass viele Religionen (der Buddhismus; aber auch Luthers Auffassung von der Freiheit eines Christenmenschen) ganz immanent, ohne Rekurs auf Aufklärung von außen, hier Abwehrmechanismen entwickelt haben.

https://en.wikipedia.org/wiki/Altruism_(biology)



Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

14.12.2015 10:56
#127 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Lieber Peter Zeller,

es ist hochinteressant, im Vergleich zwischen agnostizistischem Humanismus und Religion(en)die Mängel des Religiösen auf dem Gebiet der Ethik zu diskutieren. Das ist ja alles Wasser auf meine Mühle. Warum unterscheide ich zwischen Religion und biblischem Glauben? Eben um die Mängel aus dem unzulänglich gelebten Christentum zu nennen und zu wünschen, dass sie sich beseitigen lassen.
Der verstorbene Gründer der Humanistischen Union und Schriftsteller Gerhard Szczesny (er trat allerdings aus dem Verein aus, als dieser per Postkastenwurf Aufforderungen zum Austritt aus den Kirchen für angemessen hielt) hat das Gespräch mit aufgeklärten Christen gesucht; er begann auch mit mir einen Briefwechsel und lud in sein Feriendomizil am Mittelmeer ein; er war tatsächlich viel menschlicher als mancher Christ; er wollte die buddhistische Philosophie in eine abendländische Denkform umwandeln; in diesem Mann begegnete ich dem Agnostiker, von dem man träumt. Dabei hätte er allen Grund gehabt, den Konkordatsfolgen böse zu sein, denn er war Leiter des Nachtstudios im Bayrischen Rundfunk und wurde dort entlassen, weil er als Atheist nicht in die Landschaft passte.
Außerdem lernte ich einige agnostische Israelis kennen, die hochmotivierte Ethiker sind.
Das bestätigt mir die These, eine Zusammenarbeit zwischen humanistischen Agnostikern und wirklich aufgeklärten Christen, ein Bünndis zwischen Menschenliebe und Vernunft auf beiden Seiten, wäre eine große Hilfe.
Ich kenne meine Kirche und weiß, wie wenige dazu fähig und bereit sind. Das ist auf der anderen Seite aber auch so. Doch die Welt lebt immer von Minderheiten. Der erwähnte Szczesny schrieb einmal, wegen der Schaulust der Menschen hätte diese Minderheit dennoch eine Chance. Warum fahren die Leute denn nach Venedig, nach Florenz?

Grüße
Ludwig Weimer

moise trumpeter Offline



Beiträge: 243

14.12.2015 23:34
#128 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Zitat von Peter Zeller im Beitrag #125
Es gibt wohl Menschen, die auf das Stichwort Altruismus hochallergisch in einer ganz bestimmten vorgefaßten Weise reagieren. Mit Denken hat das nichts zu tun.


Sie sind ganz eindeutig ein wahrer Aufklärer im Kampf gegen menschliche Dummheit und böswillige Obskuranten.

Peter Zeller Offline



Beiträge: 164

15.12.2015 16:26
#129 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Lieber Herr trumpeter,

nicht wirklich, ich kämpfe schon lange nicht mehr, dazu ist auch meine Zeit schon zu lange vorbei (und meine Möglichkeiten auch). Ich habs vor Dezennien in der Standespolitik versucht, das hat mich sehr schnell die Sinnlosigkeit meines Handelns gelehrt.

Peter Zeller Offline



Beiträge: 164

16.12.2015 16:58
#130 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Lieber Herr Weimer,

Steven Weinberg trifft gar nicht daneben; der Erb/Ur-Sünde-Bgriff einer kath. Kirche ist hier gar nicht relevant, denn Weinberg beschreibt den real existierenden "christlichen" Alltag. Die dort übliche professionelle Heuchelei ertrage ich nicht mehr.

Gruß PCZ

Simon Offline



Beiträge: 334

16.12.2015 18:05
#131 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Zitat
"...wurde dort entlassen, weil er als Atheist nicht in die Landschaft passte.
Außerdem lernte ich einige agnostische Israelis kennen, die hochmotivierte Ethiker sind.
Das bestätigt mir die These, eine Zusammenarbeit zwischen humanistischen Agnostikern und wirklich aufgeklärten Christen, ein Bünndis zwischen Menschenliebe und Vernunft auf beiden Seiten, wäre eine große Hilfe.
Ich kenne meine Kirche und weiß, wie wenige dazu fähig und bereit sind. Das ist auf der anderen Seite aber auch so.

Doch die Welt lebt immer von Minderheiten. Der erwähnte Szczesny schrieb einmal, wegen der Schaulust der Menschen hätte diese Minderheit dennoch eine Chance. Warum fahren die Leute denn nach Venedig, nach Florenz?

Grüße
Ludwig Weimer


So weit ist die Diskussion zur Frage "Wie wollen wir leben? (im Rahmen der in westlichen Demokratien garantierten Religionsfreiheit) inzwischen fortgeschritten. Mich beschäftigen aber immer noch die Feststellungen und Anfragen von "Fluminist" in seinem Beitrag #119, nur hatte ich keine Zeit, meine Gedanken zu ordnen und aufzuschreiben. Fluminist schildert in #119 an einer Stelle quasi sein Lebens- und Handlungs-(?)Modell - ein "religionsloses". Einen Humanismus - als Anfrage an das "eigentlich Christliche", das "religionslose Christentum" (sc. nach Karl Barth oder Dietrich Bonhöffer - Fenelon ...):

Zitat
" ...Natürlich wurde er (Fenelon) angefeindet. Er war aber die erste kath. Antwort auf die Frühaufklärung. Wenn man will: Religionsloses Christentum pur." (L. Weimer)


Fluminist sagt dazu:
"Das ist ein sehr interessantes Beispiel, und es freut mich, was Sie hier am aufregendsten finden: denn sehen Sie, ich fand das auch sehr aufregend - ich habe zwar kein Gästehaus, aber mutatis mutandis bin ich zu ganz gleichen Schlüssen und gleicher Praxis gekommen, und zwar ganz religionslos, ohne Annahme eines Weltenrichters oder eines ewigen Lebens, die hier sogar eher hinderlich wäre (was mich besonders gefreut hat, weil ich, aus der skeptisch-antiplatonischen Ecke kommend, mit Ewigem nicht so schnell bei der Hand bin). Das pure religionslose Christentum braucht dann auch keine Bibel und keinen Christus mehr, und wir wären beisammen.
- Daß Sie mir bis zu diesem Ende folgen, erwarte ich gar nicht, aber aus meiner persönlichen Erfahrung möchte ich denjenigen, die sich vielleicht davor fürchten, ihren Glauben zu verlieren, weil sie ohne ihn nichts mehr hätten, ermunternd zurufen: es gibt ein schönes, ethisches, menschenfreundliches, caritatives Leben außerhalb, als vollständiger, freier Mensch ohne durch Sakramente oder Erlösungsvorgänge zu beseitigende angeborene Makel ("Erbsünde" u. dgl.) und ohne göttliche Aufträge und Sanktionen"




Diesen Faden möchte ich gerne wieder aufnehmen. Denn es geht ja da um die Frage: heißt "religionslos" - ohne Gott; ohne "Sakramente" oder "Erlösungsvorgänge" ..., ohne "Bibel", ohne "Christus"...? - Natürlich heißt es das nicht. Aber es ist offensichtlich, dass der Begriff "religionslos" (auch) nicht gerade hilfreich ist. - Gerade weil wir als Bürger der westlichen Welt im Rahmen einer garantierten Religionsfreiheit handeln dürfen, ist es m.E. höchst notwendig zu klären, welche Freiheit garantiert ist - und wo sie womöglich endet(!). Vor allem ist weiterhin zu klären, was eigentlich "Religion" meint. - Der Normal-Bürger der "westlichen Welt" meint solchen Fragen nicht nachgehen zu müssen. Fluminist stellt aber in #119 die Frage:

Zitat
Ja - ist er (der ISLAM) nun (ggf. verderbter) "jüdisch-christlicher Glaube" (eine Häresie des chr. Glaubens)oder ist er "bloß Religion"?


Bei solch genauem Nachfragen wird offensichtlich, dass Etikette wie "Religion", "bloß Religion" nicht klären können, sondern nur verwirren. - Nun ist es aber bei den vielen verschiedenen Erscheinungsformen von "Religionen" höchst schwierig, einen einigermaßen befriedigenden Begriff von "Religion" zu gewinnen. Deshalb verlasse ich auch das schwierige Feld gleich wieder und wende mich noch einmal der Frage zu, ob bzw. inwiefern der ISLAM eine Häresie des Christentums ist. Dabei konzentriere ich mich auf einen Hauptpunkt: die Christologie und mache noch einmal darauf aufmerksam, dass bei einem Christentum, das sich selber "religionslos" nennt, der Eindruck entstehen kann, dass es wichtiger Glaubenskomponenten des Christentums (wie Christus, Sakramente, Kirche, Ämter ...) nicht mehr bedarf. Christologie schließt die Gottes-Lehre (Theologie) mit ein: Gott, sagt die christliche Lehre, habe sich in diesem jüdischen Menschen Jesus von Nazareth ganz offenbart und noch treffender: inkarniert: Gott habe in ihm den Plan seines Schöpferwillens verwirklicht gefunden; vor allem sein Wille - und das ist für unser Thema einschlägig - :Gottes Wille, wie der Mensch, sc. der Mensch als gesellschaftliches Wesen - ganz menschlich und zugleich gottgefällig zu leben vermag, sei sinnenfällig geworden.
Stellt man dieser Christologie (in Kurzform) einmal ebenso plakativ die "Gotteslehre" und die Verhaltensformen des Mohammed, seines Islams, und seines Korans, dem, was darin als wahr und verbindlich zu lesen ist, gegenüber, dann müsste eigentlich schnell erkannt werden können, dass dies dem Gottes- und Lebens-Modell, der Willens-Erklärung Gottes in der jüdischen und christlichen Bibel (AT und NT), "nachgestellt" ist. Entartet in zweierlei Hinsicht: im Hinblick a) auf die Gottesverehrung (religio - wenn man es mit dem schillernden Begriff ausdrücken will) und b) hinsichtlich des Lebensmodells.

a) wenn schon im AT (laut Bibel) GOTT sich als einer definiert, der eine Gesellschaft formen will und das zum Nutzen ("Segen") Aller ("aller Völker") und sich dieser "Quasi - Erziehungsprozess" über Jahrzehnte hin als ein Auf und Ab des Gelingens auf Seiten der jüdischen Gesellschaft, auf Seiten Gottes als "Erbarmen" zeigt, so fällt im Islam die Komponente "Erbarmen gegenüber den (ungehorsamen-ungläubigen) Völkern" weg. Das universale Erbarmen Gottes gegenüber allen wird pervertiert. - Gott wird im AT und NT nicht als unnahbar geschildert, sondern er "offenbart" sich, zeigt sich offen. Er "redet" mit Abraham, Mose, mit mannigfachen Propheten - Jesus erlebt ihn so, nicht anders. Jesus liest in der geschichtlichen Gotteserfahrung (Bibel) seines Volkes und erfährt daraus seinen Auftrag. - Der Gott des Korans bleibt merkwürdig abstrakt. Er "zeigt" sich nur indirekt ("religiös" durch einen Engel) und ausschließlich mit einer Botschaft allein an Mohammed, als letzten Propheten für eine Gesellschaft, die sozusagen aufräumen soll mit aller Gott-Unehrerbietigkeit und Gott-losigkeit. Die Gottesverehrung heißt demnach absolute Unterwerfung - auch rituell (mit Erbarmen noch für den Gläubigen , den Moslem, erbarmungslos gegen den, der sich gegen diese Form der Verehrung sträubt).

b) Gottes "Tora", in der dt. Übersetzung von Buber/Rosenzweig nicht mit "Gesetz", sondern als "Weisung" Gottes an den Menschen übersetzt, ist schon sehr menschen-, tier-, umwelt- und fremdenfreundlich: z.B. wird an ein Schutzgeländer auf dem Hausdach, an die Reinhaltung des Abtritts gedacht und ebenso an den Ochsen beim Dreschen und den Fremden, der einheiratet, im selben Land wohnt oder in ihm Schutz sucht. Das AT kennt zwar auch noch das kultische "Opfer" und den Tempel als Ort der Gottesverehrung, auch Riten und Speisegesetze; aber das alles erweist sich als offen und "vorläufig", reinigungs-bedürftig und - fähig, so dass die großen Propheten und dann Jesus in seiner Bergpredigt formulieren kann: wegen der "Hartherzigkeit" des Menschen war und ist dies und jenes so. Und dem fügt er sein Tun (in der Reflexion innerhalb des NT wird es mit einem Lamm, das zu Schlachtbank geführt wird) hinzu, das in der Vorausahnung und Vorausnahme seiner Todeshingabe gipfelt: Das ist (mein Leib (und mein Blut)), ...meine Lebenshingabe für alle. -
Allahs Anspruch ist- um es kurz zu sagen - despotisch. Und nicht anders sehen die Anweisungen seines Propheten aus. Gott bleibt zwar wie in der Sicht des AT und NT einzig unter möglichen Göttern und in seiner Größe und Ehrwürdigkeit über allem Erschaffenen, aber thront gleichsam in unerreichbarer Ferne. Dem "letzten" prophetischen Menschen - nach Jesus Christus, dem die Gottgleichheit abgesprochen und sein Prophetenrang degradiert wird - bringt ein Bote seinen Koran. Mohammed, obwohl mit seinen offensichtlichen menschlichen Unzulänglichkeiten und seinem kriegerischen Machtwillen behaftet, wird Vorbild für die Umma, das Volk der Gläubigen. - Dieses Volk war seit seinem Ursprung mit der staatlichen Macht verbunden. Politisch gesehen schaffte oder verschaffte es sich immer wieder Raum in Theokratien. Zu einer wirklichen Trennung zwischen staatlicher Macht und einem Schutzraum individueller Glaubensüberzeugung - vergleichbar in Europa - kam es darin nie. Entsprechend ist normalerweise auch das Denken eines Moslem (nicht erst des radikalen) von diesem Erfahrungs-Denken geprägt. - Um zum Schluss zu kommen: Hamed Abdel Samad, der seinen ISLAM genau kennt, er ist mein Zeuge, dass es nicht nur ein Spielchen ist, sich mit solchen Fragen auseinanderzusetzen. - Um es nochmals kurz zu machen: nur als aktuellstes Beispiel: Abdel Samad warnt (anders als wir freien unbehelligten Staats-Spieß-Bürger ständig unter Polizeischutz) nicht vor dem kleinen friedlichen Moslem, der vielleicht gerade schutzsuchend zu uns kommt - er warnt in seiner Geschichtskenntnis vor dem vielfach vom Westen verkannten, missbrauchten..., sich selbst in seiner Opferrolle sehenden und (deshalb) kampfbereiten Islam als einem Faschismus, der dem Hitlers (wörtlich) nicht nachsteht.
Ich bitte um Nachsicht, dass mein Beitrag lang geraten ist und der Schlussgedanke manchem vielleicht überzogen vorkommen mag. Mir ging es zunächst wirklich nur um ein Nach-denken - das aber ein Nachdenken nicht ausschließt!

Viele Grüße!
Simon

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

16.12.2015 18:19
#132 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Lieber PCZ,

Ihre Erfahrungen sind mehr als plausibel und wer sie nicht gemacht hat, stellt keinen Anspruch an die Mitmenschen und sich. Aber Leiden an den Heucheleien und Schwächen, die es doch immer gab und geben wird, soll nicht nur zu Bitterkeit führen, sondern auch zu Mitleid mit dem Lügner, der wir selber auch ein Stück weit sind. Ich schreibe diesen 'frommen' Spruch hin, um einen Zugang zu schaffen für das, was ich für die wirkliche Frage halte:
Es gab und gibt neben den eitlen Heuchlern auch die guten Heiden, wie Camus, und die heiligen Sünder, wie Bonhoeffer. Daraus die Frage: Warum nicht wir alle? Entweder rührt das so oder so vom Zufall oder von einer Entscheidung.

Nochmals zurück zur Frage des Altruismus. Sind die ehrenamtlichen Helfer an der Menschheit alle ethische Egoisten? Nicht Selbstlose, sondern Selbstbelohner? Ich las in der Zeitung, manche sagen einfach: "Weil es uns gut geht, aus Dankbarkeit". Nicht alle haben das Almosen-Syndrom. Ich selbst bin denen nicht böse, die auf einen Jenseitslohn setzen, finde es nur für mich unschicklich. Schon als ich noch Schüler war, hat mich der Satz gepackt: "Die Heiligen gehen in die Hölle", das hieß für mich: Lieber mit den Sündern in die Hölle als in einen Himmel.
In den dann folgenden 50 Jahren habe ich ganz langsam meine Meinung über die Kirchengeschichte ändern müssen. Zuerst war nur Kritik und Verurteilung; dann entdeckte ich so viel Eindrückliches, dass ich mir immer schäbiger vorkam. Wussten Sie, dass selbst ein Voltaire sagte, das einzig gelungene sozialistische Experiment sei die Arbeit der Jesuiten mit den Eingeborenen in Südamerika gewesen (leider gescheitert mehr durch die Eifersucht eines Franziskaners als durch das Macht- und Geldbedürfnis der Könige von Spanien und Portugal)? Ich lernte, dass Folter im Kirchenstaat verboten war und es nur etwa 30 Hinrichtungen von Hexen gab, durch europäiche Länder, abergläubische Bischöfe und Fürsten aber wohl 30 000 (nicht aber Millionen weiser Frauen, wie die Legende der Halbaufklärer behauptete). Heute finde ich, dass das Gute das Böse in der Kirchengeschichte überwiegt.
Ich entschloss mich nach meinem Studium, etwas für die Kirchenreform zu tun, Gesinnungsgenossen zu suchen. Dann schlossen wir uns solchen an, die schon weiter waren als wir. - Ich glaub nicht, dass ich die Dinge deshalb rosiger sehe, sondern dass ich sie besser sehe als vorher im Ungestüm des Kritikers.

Ich will Sie nicht beschwichtigen und kann Sie nicht trösten, aber muss doch etwas Helleres danebenstellen.
Nichts für ungut
Ludwig Weimer

Peter Zeller Offline



Beiträge: 164

17.12.2015 07:14
#133 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Zitat von Simon:
"Diesen Faden möchte ich gerne wieder aufnehmen. Denn es geht ja da um die Frage: heißt "religionslos" - ohne Gott; ohne "Sakramente" oder "Erlösungsvorgänge" ..., ohne "Bibel", ohne "Christus"...? - Natürlich heißt es das nicht."

Hallo, Simon.
Doch. Genau das heißt es. Oder reden wir kein Deutsch? Religionslos heißt: Ohne den ganzen Schmarrn, den uns die diversen Religionen aufbürden wollen, ohne deren Drohungen und postvitalen Angstszenarien. Vielleicht gefällt Ihnen 'religionsfrei' besser, mir auch. Denn 'religionslos' suggeriert einen Verlust, den es gar nicht gibt,'religionsfrei' zeigt dagegen auf die Freiheit, die der gewinnt,der der Macht einer bösartigen Kirche entkommt. Soviel dazu.

Irgendwo formulieren Sie "Gott sagt..."

Woher wissen Sie das? Hören Sie Stimmen? Kontaktieren Sie auch Außerirdische?

Gruß
Peter Zeller

xanopos ( gelöscht )
Beiträge:

17.12.2015 07:23
#134 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Zitat
Vielleicht gefällt Ihnen 'sexfrei' besser, mir auch. Denn 'sexlos' suggeriert einen Verlust, den es gar nicht gibt,'sexfrei' zeigt dagegen auf die Freiheit, die der gewinnt, der der Macht einer bösartigen Frau entkommt. Soviel dazu.

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

17.12.2015 12:02
#135 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Zitat von Simon im Beitrag #131
Bei solch genauem Nachfragen wird offensichtlich, dass Etikette wie "Religion", "bloß Religion" nicht klären können, sondern nur verwirren. - Nun ist es aber bei den vielen verschiedenen Erscheinungsformen von "Religionen" höchst schwierig, einen einigermaßen befriedigenden Begriff von "Religion" zu gewinnen.

Vielen Dank, lieber Simon, daß Sie das aufgreifen; das "bloß Religion" fand ich auch verwirrend und habe deshalb nachgefragt. Andererseits halte ich es nicht für so schwierig, einen befriedigenden allgemeinen Begriff von "Religion" zu gewinnen. Mein Bewußtseinsstand, mit dem ich in diese Diskussion gegangen bin, ist in etwa folgender:
Charakteristisch für Religion ist (wie eine Etymologie vom Wortstamm lig- nahelegt) das Herstellen und Bekräftigen eines Bundes mit einer oder mehreren Gottheiten oder assoziierten übernatürlichen Personen (z.B. Engeln, Boddhisattvas, Heiligen). So sprechen die Christen ja auch explizit vom Alten und Neuen Bund; aber das Konzept als solches gilt ganz allgemein für jede Religion.
Bei diesem Bund handelt es sich gewissermaßen um einen magischen Vertrag in der einen oder anderen, mehr oder weniger breit angelegten Form; von der sehr ursprünglichen (und z.B. im Katholizismus noch immer praktizierten) einzelnen Votivgabe, der persönlichen Anrufung der Gottheit, dem Ansuchen nach Fürbitte bei den untergeordneten übernatürlichen Personen, über ritualisierte, auch symbolische, Opfer bis hin zu gemeinschafts- und staatstragenden Kulthandlungen.
Absicht ist dabei in der Regel, durch Gedanken, Worte oder symbolische Handlungen eine natürliche (z.B. glimpflichen Ausgang einer Gefahrensituation, Erfolg einer Unternehmung) oder übernatürliche (z.B. persönliches Fortleben nach dem Tod in einer paradiesischen Welt) Wirkung zu erzielen.
(Das Alte Testament ist der Versuch, einen allgemein gefaßten Vertrag mit einer Gottheit aufzusetzen und auch für die allgemeine Regelung des Lebens der Menschen verbindlich zu machen; im Neuen Testament wird der Vertrag wieder in Frage gestellt und geändert. Im Islam, einer in dieser Hinsicht extremen und auch dürren Religion, wird der Bund zur totalen fatalistischen Unterwerfung des Menschen unter einen unabänderlichen göttlichen Willen.)

Unter diesem Aspekt bilden die Religionen insgesamt eher ein Kontinuum, ich sehe da keine starken Brüche, obwohl die einzelnen Ausprägungen und Gewichtsetzungen unterschiedlich ausfallen.
Herr Weimer hingegen scheint, wenn ich ihn recht verstehe, den Begriff "Religion" enger zu fassen als Beschreibung nur des organisierten Rituals und des dahinterstehenden Korpus von Kultfunktionären, und dies in Gegensatz zu einem "biblischen Glauben" zu setzen.
Nun wirkt im Lichte des Obigen nicht nur die Grenzziehung etwas willkürlich, wie ich schon in früheren Beiträgen angedeutet habe, sondern gerade der Bezug auf die Bibel recht problematisch. Diese ist ja im religiösen (d.h. über das bloß Literarisch-Erbauliche hinausgehenden) Sinne als Dokument eines Bundes mit der Gottheit aufzufassen. Solche heiligen Schriften (dazu auch allgemeinere Hagiographie, wie sie auch in Teilen der Bibel vorliegt) stehen aber immer in Symbiose zu der Organisation der Funktionäre, die als Autoren, Bewahrer und Interpreten wirken. Die Bibel hier als Grundlage eines unorganisierten, persönlicheren Glaubens herauslösen zu wollen ist daher möglicherweise absurd, zumindest überraschend und jedenfalls eine Neuerung.
Zitat von Simon im Beitrag #131
Gerade weil wir als Bürger der westlichen Welt im Rahmen einer garantierten Religionsfreiheit handeln dürfen, ist es m.E. höchst notwendig zu klären, welche Freiheit garantiert ist - und wo sie womöglich endet(!).

Staatliche Religionsfreiheit setzt nach meinem Dafürhalten in erster Linie eine Freiheit des Staates und seiner Organe von Religion voraus: ist der Staat durchweg säkular, dann kann er den einzelnen Bürgern freien Ausdruck ihrer Religion gewähren, freilich innerhalb der Schranken anderer Schutzordnungen (seinen Nachbarn zu opfern geht nicht). Stützt sich hingegen die Staatsordnung auf eine Religion (wie z.B. im Iran und in Saudi-Arabien), dann kann es keine Religionsfreiheit (außer natürlich für die Staatsreligion) geben. Hierbei ist allerdings noch von Bedeutung, ob die Staatsreligion zu den exklusiven oder den offenen gehört: die alte römische Religion hatte in Form von Opfern für Staats-Penaten auch eine politische Funktion, war aber so offen, daß sie auch andere Religionen (z.B. griechisches Heidentum und hellenistische Importe wie den Mithraskult) absorbieren oder tolerieren konnte, insofern sie nicht selbst im Widerspruch zu diesen staatlichen Opfern standen; die Verfolgung von Christen richtete sich nicht gegen deren Religion als solche, sondern nur gegen deren Ablehnung des Staatsopfers.
Als das Christentum unter Theodosius (auch so ein "Man of the Year", nein, "Man of Millennia", dem wir auch die permanente Teilung Europas in West und Ost verdanken) zur alleinigen Staatsreligion wurde, wurden alle anderen Religionen ziemlich restlos beseitigt; das war das Ende der Religionsfreiheit im römischen Reich.

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

17.12.2015 13:29
#136 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Stimmen Sie, lieber Fluminist,

mit mir darin überein, dass nicht nur die Christen durch das Aufhören der Verfolgung in eine gefahrvolle Euphorie gerieten, sondern dass auch die Kaiser nur eine solche Religion brauchen wollten, konnten, die als Staatsreligion allen zuzumuten war, und insofern gegen die Religionsfreiheit in den Evangelien bedenkenlos handelten?

Religionsgesetze = Staatsgesetze bedeutete wohl einen Druck auf die Christen, die Doktrin (Jesus als Gottes Organ in der Welt) zu vereinheitlichen, zu vervolkstümeln und schlussendlich antijüdisch zu missbrauchen. Allzufromme, aber auch eitle Häretiker gab es genug, die Gründe boten.
Die Folgen einer einseitig so oder so verkürzten Christologie für die Zeit bis zur Aufklärung und zum wissenschaftlichen historischen Denken waren zusammengefasst beurteilt eine intellektuelle Todsünde mitten in den Kirchen:
Kein gewöhnlicher Laie hörte jemals, dass jeder Ausdruck über Gott, da er doch sprachlich nur aus weltlichen Analogien gewonnen werden kann, weit unähnlicher ist als zutreffend (Lateranensische Formel von 1215; Joseph Ratzinger sagte einmal sogar "unendlich unähnlicher", was strenggenommen heißen würde: von Gott zutreffend reden ist unmöglich). So kam es fast zu Recht zu dem Vorwurf, Christen glaubten drei Götter.

Heute wissen wir, dass sich Christen und Juden erst im 3.-4. Jh. trennten, aber schon seit 95 fielen für manche Kaiser die Christen nicht mehr unter den Schutz, den Juden hatten, wie Sie auch ausführen. Waren sie auffälliger, rabiater und hielt sie Rom schon für eine Sekte, die aus dem Gesetz herausfiel, aber mit welchem Recht?? Viele gaben ja, um Leben zu retten, einen Zettel ab, das Opfer an den Kaiser geleistet zu haben, obwohl sie im Herzen nicht umfielen; und nach dem Friedensschluss mit der Kirche hatte man dann das Problem mit den lapsi: sie wiederaufnehmen mit Bußen oder im Blick auf die Märtyrer sie verdammen? Barmherzigkeit oder Gerechtigkeit - ein Problem bei anderen Fragen auch heute für den Papst und die Kirche.

Hinweisen will ich noch auf einen unbeachteten Punkt meiner Unterscheidung Religion / bibl. Glaube: Die Theologie der Kirchenväter behauptete, dass jegliche taugliche Weisheit und Vernunft der Völker und Religionen philosophisch und religionspädagisch in das Christentum bereits aufgenommen und mit ihm verschmolzen worden sei oder werden könne und müsse (Vieles hatten ja die Juden der Diaspora, z. B. in Alexandria, längst schon gelernt und angeheiratet). Glaubte deswegen ein philosophisch gebildeter chr. Kaiser, die verbliebenen Religionen verdrängen und die Religionsfreiheit opfern zu können, um der Einheit willen zu sollen??

Grüße, Ludwig Weimer

Emulgator Offline



Beiträge: 2.875

17.12.2015 14:48
#137 RE: „Wie wollen wir leben?" Antworten

Zitat von Fluminist im Beitrag #135
Vielen Dank, lieber Simon, daß Sie das aufgreifen; das "bloß Religion" fand ich auch verwirrend und habe deshalb nachgefragt. Andererseits halte ich es nicht für so schwierig, einen befriedigenden allgemeinen Begriff von "Religion" zu gewinnen. Mein Bewußtseinsstand, mit dem ich in diese Diskussion gegangen bin, ist in etwa folgender:
Charakteristisch für Religion ist (wie eine Etymologie vom Wortstamm lig- nahelegt) das Herstellen und Bekräftigen eines Bundes mit einer oder mehreren Gottheiten oder assoziierten übernatürlichen Personen (z.B. Engeln, Boddhisattvas, Heiligen). So sprechen die Christen ja auch explizit vom Alten und Neuen Bund; aber das Konzept als solches gilt ganz allgemein für jede Religion.
[...]
Unter diesem Aspekt bilden die Religionen insgesamt eher ein Kontinuum, ich sehe da keine starken Brüche, obwohl die einzelnen Ausprägungen und Gewichtsetzungen unterschiedlich ausfallen.
Herr Weimer hingegen scheint, wenn ich ihn recht verstehe, den Begriff "Religion" enger zu fassen als Beschreibung nur des organisierten Rituals und des dahinterstehenden Korpus von Kultfunktionären, und dies in Gegensatz zu einem "biblischen Glauben" zu setzen.

Finde ich gut, daß Sie für das Verständnis der Begriffe die Etymologie heranziehen. Als Lateiner kennt man den Begriff "religio" mit den Bedeutungen Ehrfurcht, Aberglaube, Glaube (etwas unbestimmt, ein inhaltlich bestimmter Glaube wäre fides), Verehrung (innere, die äußere Verehrungshandlung wäre cultus), Gewissenhaftigkeit. Machiavelli beispielsweise bezeichnete als Ursache der Deutschen, warum sie so brav Steuern zahlen und dem Herrscher gehorchen, daß sie sehr religiös seien (geschrieben am Vorabend der Reformation!). Ich glaube, daran hat sich trotz Kirchenaustrittswellen nichts geändert.
Ein Gottglaube wird bei "Religion" aber nicht vorausgesetzt. Deswegen können wir auch alle Spielarten des Buddhismus als Religion bezeichnen. Es wird auch nicht eine Ausschließlichkeit impliziert. Religion ist auch die Geisteshaltung, bestimmte Werte zu respektieren, obwohl rein immanent (für den homo oeconomicus) keine Notwendigkeit daran liegt ("Glaube (im Hebräerbrief allerdings als "fides" übersetzt, weil eben der christliche gemeint ist) ist ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht"). Und da wird es interessant:

Zitat von Fluminist im Beitrag #135
Staatliche Religionsfreiheit setzt nach meinem Dafürhalten in erster Linie eine Freiheit des Staates und seiner Organe von Religion voraus: ist der Staat durchweg säkular, dann kann er den einzelnen Bürgern freien Ausdruck ihrer Religion gewähren, freilich innerhalb der Schranken anderer Schutzordnungen (seinen Nachbarn zu opfern geht nicht). Stützt sich hingegen die Staatsordnung auf eine Religion (wie z.B. im Iran und in Saudi-Arabien), dann kann es keine Religionsfreiheit (außer natürlich für die Staatsreligion) geben.
Hier verwenden Sie selber Religion wieder im Sinne von Kultusgemeinschaft wie Ludwig Weimer. Nach Ihrer Definition (die für mich einfach zu sehr verengt ist auf die Offenbarungsreligionen; heidnische Religionen, bei denen keine richtigen Bünde geschlossen werden, sondern die Gottheiten eher "bestochen" werden, da seitens der Götter keine ausdrücklicher Wunsch der jeweiligen Götter überliefert ist, wären demzufolge keine Religionen) würde Religionsfreiheit bedeuten, daß für den Staat der Bundesschluß mit Gott keine Rolle spielen dürfe. Das tut er aber ohnehin nur, wenn der Staat sich irgendwie dafür verantwortlich fühlen müßte, etwa weil es Priesterkönige gibt, also wenn die Führer der Kultusgemeinschaft die Macht ausübt. Der Glaubensinhalt alleine veranlaßt keinen Staat, jemanden zu verfolgen. Ein Gedanke kann politisch nichts erzwingen, nur Menschen können das. Für die Religionsunfreiheit spielen also die genauen Details, ob Gott nun einen Bund geschlossen hat oder nicht, eigentlich keine Rolle. Der Andersgläubige wird dadurch auch nicht anders oder in einem geringerem Maße verfolgt.

Religionsfreiheit nach meinem Begriff wäre, wenn der Staat sich komplett auf die Reichweite eines Rechtsstaates beschränkt; insbesondere nicht auf die Religion (meine Definition, also nicht die äußerliche Kulthandlung sondern die Geisteshaltungen der Bürger) lenkenden Einfluß nimmt. Das würde aber bedeuten, daß das gegenwärtige Gerede von Werten kein Zeichen für Religionsfreiheit ist. Und da sage ich: Stimmt.
Wird mir vom Staat gesagt, wovor ich Ehrfurcht haben muß (Klimawandel? Gleichgeschlechtliche Lebenspartnerinnenschaften? Mülltrennung, wenn ich nicht weiß, ob der getrennte Müll nicht sowieso zusammengekippt wird?), was meine Werte zu sein haben, ist es weniger Freiheit, als wenn als machtloser Gedanke eine Heilsgeschichte mit einem Bundesschluß zu Gott als allgemeiner Glaube vorausgesetzt wird, und jedem Menschen individuell überlassen bleibt, welche Ehrfurcht er daraus folgere; ob er bestimmte Speisen meide, welche Feiertage er wie halte, usw. Genau diese Fragen läßt das Christentum explizit offen (wenn wir mal von kirchenrechtlichen Entwicklungen absehen, die man selbst in Rom nicht so gut erklären kann). Da ist das Christentum religionsfrei. Interessant ist aber, in welchem Bereich Jak. 1,26-27 gerade keine Religionsfreiheit einräumt. (Mir ist das auch erst während des Schreibens aufgegangen, als ich schauen wollte, wo von fides und wo von religio die Rede ist). Aber auch hier sind diese humanistischen Forderungen Gegenstand der persönlichen Gewissenhaftigkeit, es wird nicht gefordert, daß der Staat die Armenpflege durchführe oder seine Bürger dazu zwinge (schönen Gruß an die Sozialministerin!).

Noch ein Beleg: In den Discorsi schreibt Machiavelli, daß der Staat die Religion zu fördern habe, damit die Menschen sich auch dort gewissenhaft und nicht verschwörerisch oder korrupt verhalten, wohin der Arm des Gesetzes nicht mehr reicht. Als Belege führt er ausgerechnet auch die heidnischen Auspizien an, woran er selber ja definitiv nicht geglaubt hat. Nach diesem Rat Machiavellis ist es natürlich richtig, wenn der Staat die Verehrung bestimmter Werte fördert. Gegenwärtig fehlt mir aber einfach die "Dämpfungsschicht": Der Staat fordert direkt die Verehrung bestimmter Werte, normalerweise stellt diese Forderung die Geisteshaltung der (individuellen) Religion (Gewissenhaftigkeit), die ihrerseits vom Staat gefördert wird.

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

17.12.2015 15:52
#138 RE: „Wie wollen wir leben?" Antworten

Zitat von Emulgator im Beitrag #137
Ein Gottglaube wird bei "Religion" aber nicht vorausgesetzt. Deswegen können wir auch alle Spielarten des Buddhismus als Religion bezeichnen.

Der Buddhismus ist ein sehr interessanter Fall, an dem man meines Erachtens das meiste für Religionen Typische ganz gut erörtern kann; schon deshalb, weil im Laufe seiner chronologisch wie geographisch sehr weitläufigen Geschichte sehr diverse spirituelle Systeme unter seinem Dach liefen. Der angenommen ursprüngliche Kernbuddhismus des Shakyamuni (der am reinsten noch im Hinayana-Buddhismus fortlebt) ist als radikal-kritische Antwort auf den Hinduismus entstanden und hat, da er keine personifizierte Gottheit voraussetzt, einen atheistischen Charakter, auf den Sie sich wohl beziehen. Er ist im Grunde mehr eine Psychologie und nihilistisch-idealistische Philosophie und insofern mehr Lebensweisheit als Religion. Der Bund nimmt hier allenfalls die schwache Form eines zuversichtlichen Vertrauens in die Kontinuität der Gültigkeit des buddhistischen "Wegs des Gesetzes" und seiner Einmündung ins letztliche Nibbana an. Er ist mehr Antireligion als Religion, und, so wie ich es sehe, ein gerade außerhalb des Begriffs liegender Grenzfall.

Aber das sieht in verschiedenen Formen des Mahayana-Buddhismus ganz anders aus. Diese sind, auch wenn sie nicht von Gottheiten reden, durchaus Religion im Sinne der Definition, die ich gegeben habe; nämlich magische Verträge mit übernatürlichen Personen, den verschiedenen Buddhas und Boddhisattvas. Ein Gebet an Kannon = Avalokiteshvara Boddhisattva unterscheidet sich nur marginal von einem Gebet an die Jungfrau Maria. Im Versprechen des Buddha Amitabha, jeden, der aufrichtig an ihn glaubt, nach dem Tod in dieser Welt in sein Reines Land aufzunehmen, ist unschwer ein "sola fide" zu erkennen.
Zitat von Emulgator im Beitrag #137
Nach Ihrer Definition (die für mich einfach zu sehr verengt ist auf die Offenbarungsreligionen; heidnische Religionen, bei denen keine richtigen Bünde geschlossen werden, sondern die Gottheiten eher "bestochen" werden, da seitens der Götter keine ausdrücklicher Wunsch der jeweiligen Götter überliefert ist, wären demzufolge keine Religionen) ...

Hier mißverstehen Sie mich. Unter "Bund" will ich hier tatsächlich jegliche Absprache, wie einseitig und imaginär auch immer, mit einem übernatürlichen Wesen verstanden wissen, deshalb schreibe ich ja auch "magischer Vertrag". Ein Opfer an einen heidnischen Gott stellt für den Opfernden eine solche Kommunikation dar. Was der Gott wünscht und daß er es wünscht, wird aus seinen Attributen erraten oder per Überlieferung mitgeteilt; Religion ist ja in aller Regel eine soziale Tätigkeit, und der Einzelne erfindet sich seine Gottheiten nicht selber, sondern übernimmt sie von Eltern und/oder Gesellschaft: diese außerhalb des Einzelnen liegende begriffliche Existenz macht ja das wirksame Vorhandensein der Gottheit und die erhoffte Effektivität des Opfers, Gebets oder Rituals überhaupt erst glaubhaft.
Das heidnische Opfer ist ganz genau so eine Erneuerung und Bekräftigung eines magischen Bundes (oder eben, wenn Sie wollen, Bestechung) wie das Spenden einer Votivkerze oder die eucharistische Abendmahlfeier.
Eine Einengung der Definition auf die Offenbarungsreligionen, die sich von den anderen nur durch ein ausgearbeitetes und vor allem schriftlich fixiertes Vertragswerk mit der Gottheit unterscheiden, liegt gerade nicht in meiner Absicht.
Zitat von Emulgator im Beitrag #137
Religionsfreiheit nach meinem Begriff wäre, wenn der Staat sich komplett auf die Reichweite eines Rechtsstaates beschränkt; insbesondere nicht auf die Religion (meine Definition, also nicht die äußerliche Kulthandlung sondern die Geisteshaltungen der Bürger) lenkenden Einfluß nimmt.

Hier stimme ich Ihnen völlig zu; das hatte ich ja mit dem, was ich geschrieben habe, ausdrücken wollen. Deshalb sehe ich ja auch keinen eigentlichen Grund für eine verbriefte Religionsfreiheit (im Sinne der Freiheit, Religion auszuüben) über eine allgemeine, konsequent durchgesetzte Meinungsfreiheit hinaus. (Aber gerade auch letztere geht ja leider derzeit im Geschwurbel von Werten und Moral vor die Hunde.)

Daska Offline




Beiträge: 245

17.12.2015 19:34
#139 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #136

und nach dem Friedensschluss mit der Kirche hatte man dann das Problem mit den lapsi: sie wiederaufnehmen mit Bußen oder im Blick auf die Märtyrer sie verdammen? Barmherzigkeit oder Gerechtigkeit - ein Problem bei anderen Fragen auch heute für den Papst und die Kirche.



Ist dieses Argument nicht ein Eigentor? Die Kirche hat sich damals für die Barmherzigkeit entschieden, sowie später Franz von Assisi sich vom Papst zusprechen lassen musste: Das Menschenmögliche genügt. Und Papst Franziskus fährt wohl eine ähnliche Linie. Warum päpstlicher sein wollen als der Papst? Oder bedeutet religionsfrei kirchenfrei, d.h. in der Konsequenz freikirchlich?

adder Offline




Beiträge: 1.073

18.12.2015 07:04
#140 RE: „Wie wollen wir leben?" Antworten

Zitat von Emulgator im Beitrag #137
Religionsfreiheit nach meinem Begriff wäre, wenn der Staat sich komplett auf die Reichweite eines Rechtsstaates beschränkt; insbesondere nicht auf die Religion (meine Definition, also nicht die äußerliche Kulthandlung sondern die Geisteshaltungen der Bürger) lenkenden Einfluß nimmt. Das würde aber bedeuten, daß das gegenwärtige Gerede von Werten kein Zeichen für Religionsfreiheit ist. Und da sage ich: Stimmt.
Wird mir vom Staat gesagt, wovor ich Ehrfurcht haben muß (Klimawandel? Gleichgeschlechtliche Lebenspartnerinnenschaften? Mülltrennung, wenn ich nicht weiß, ob der getrennte Müll nicht sowieso zusammengekippt wird?), was meine Werte zu sein haben, ist es weniger Freiheit, als wenn als machtloser Gedanke eine Heilsgeschichte mit einem Bundesschluß zu Gott als allgemeiner Glaube vorausgesetzt wird, und jedem Menschen individuell überlassen bleibt, welche Ehrfurcht er daraus folgere; ob er bestimmte Speisen meide, welche Feiertage er wie halte, usw.


Ich möchte da einen leisen Widerspruch anbringen:
Es gibt einige 'Werte', wie "Gleichheit vor dem Gesetz", "Toleranz" (d.h. in diesem Sinne aber nicht Akzeptanz, sondern in Ruhe lassen), "Freiheit" ..., die in der Tat vom Staat, bzw. von der Gesellschaft aller Bürger, anzuwenden und auch zu 'lehren' sind. Tut die Gesellschaft/der Staat das nicht, dann wird sie/er schneller Beute von (religiösen oder ideologischen) Räubern als der Einzelne seine Waffen aus dem Schrank holen kann.
Vielleicht meinten Sie das ja auch mit "Reichweite eines Rechtsstaates" - wobei auch ein Rechtsstaat ja nicht zwingend liberale Grundwerte verteidigen muss (aber andererseits notwendig ist, um diese zu garantieren).
Natürlich ist das keine reine Staatsaufgabe, sondern immer auch eine Aufgabe für jeden Einzelnen, aber ein Staat sollte schon auf die Durchsetzung dieser elementaren Werte pochen. Und eine Religion, welche sich aktiv gegen diese elementaren Freiheits- und damit Menschenrechte ("Gleichheit vor dem Gesetz", "Freiheit", "dem anderen nicht seinen Willen aufzwingen=Toleranz", "Zwanglosigkeit", "Eigentumsrecht", "Freie Persönlichkeitsentfaltung", "Körperliche Unversehrtheit", "Meinungsfreiheit", "Rechtsgleichheit", "Freizügigkeit", "Freie Berufswahl" und "Sexuelle Selbstentfaltung" als Beispiel für die individuellen Freiheitsrechte...) stellen sollte - selbst wenn sie das nur "auf dem Papier" täte, dürfte keinen staatlichen Schutz geniessen - sondern müsste eigentlich Ziel von Aufklärungsmaßnahmen durch die Gemeinschaft der Bürger (nicht die Exekutive) sein...

Zitat
Noch ein Beleg: In den Discorsi schreibt Machiavelli, daß der Staat die Religion zu fördern habe, damit die Menschen sich auch dort gewissenhaft und nicht verschwörerisch oder korrupt verhalten, wohin der Arm des Gesetzes nicht mehr reicht. Als Belege führt er ausgerechnet auch die heidnischen Auspizien an, woran er selber ja definitiv nicht geglaubt hat. Nach diesem Rat Machiavellis ist es natürlich richtig, wenn der Staat die Verehrung bestimmter Werte fördert. Gegenwärtig fehlt mir aber einfach die "Dämpfungsschicht": Der Staat fordert direkt die Verehrung bestimmter Werte, normalerweise stellt diese Forderung die Geisteshaltung der (individuellen) Religion (Gewissenhaftigkeit), die ihrerseits vom Staat gefördert wird.



Niccolo hat hier durchaus recht, in dem Sinne, dass die Freiheits- und Menschenrechte einfach so wichtig sind, dass ihre Einhaltung zu fordern selbst dann richtig wäre, wenn der Staat direkt die (von Ihnen) "Verehrung" dieser Werte fordert. Außerdem hat auch er erkannt, dass die meisten alten europäischen Religionen eine strikte Einhaltung weltlicher Gesetze durchaus fördern, und das unabhängig von der Macht des Staates diese Einhaltung zu verlangen. Das gilt übrigens sogar für den Islam: nur ist in diesem auch klar festgelegt, WELCHE weltlichen Gesetze einzuhalten sind (nämlich all' diejenigen, die Mohammed für die Errichtung und Erhaltung seiner Macht erlassen hatte) und welche nicht (alle nicht-islamischen).

Zitat von Fluminist im Beitrag #138
Hier stimme ich Ihnen völlig zu; das hatte ich ja mit dem, was ich geschrieben habe, ausdrücken wollen. Deshalb sehe ich ja auch keinen eigentlichen Grund für eine verbriefte Religionsfreiheit (im Sinne der Freiheit, Religion auszuüben) über eine allgemeine, konsequent durchgesetzte Meinungsfreiheit hinaus. (Aber gerade auch letztere geht ja leider derzeit im Geschwurbel von Werten und Moral vor die Hunde.)


Letzteres ist in der Tat ein Problem. Unser jetziges System funktioniert nicht mehr, da Interessengruppen zusätzlich zu den tatsächlichen Notwendigkeiten an "Werten" (siehe oben) noch zusätzliche Wünsche und Interessen als allgemein gültige und vom Staat zu lehrende und durchzusetzende Wahrheiten durchgesetzt haben. Das fängt mit den ganzen neumodischen Grünen-Thesen an, geht aber weit, weit zurück: nämlich bis hin zu den ersten "Grundrechten" auf "menschenwürdiges Leben", welche dazu eingesetzt wurden, Geldflüsse zu etablieren, die Bedürftigen Sozialhilfezahlungen ermöglichten, und dem Recht auf "Gemeinschaftseigentum".

Emulgator Offline



Beiträge: 2.875

18.12.2015 12:09
#141 RE: „Wie wollen wir leben?" Antworten

Zitat von adder im Beitrag #140
Zitat von Emulgator im Beitrag #137
Religionsfreiheit nach meinem Begriff wäre, wenn der Staat sich komplett auf die Reichweite eines Rechtsstaates beschränkt; insbesondere nicht auf die Religion (meine Definition, also nicht die äußerliche Kulthandlung sondern die Geisteshaltungen der Bürger) lenkenden Einfluß nimmt. Das würde aber bedeuten, daß das gegenwärtige Gerede von Werten kein Zeichen für Religionsfreiheit ist. Und da sage ich: Stimmt.
Wird mir vom Staat gesagt, wovor ich Ehrfurcht haben muß (Klimawandel? Gleichgeschlechtliche Lebenspartnerinnenschaften? Mülltrennung, wenn ich nicht weiß, ob der getrennte Müll nicht sowieso zusammengekippt wird?), was meine Werte zu sein haben, ist es weniger Freiheit, als wenn als machtloser Gedanke eine Heilsgeschichte mit einem Bundesschluß zu Gott als allgemeiner Glaube vorausgesetzt wird, und jedem Menschen individuell überlassen bleibt, welche Ehrfurcht er daraus folgere; ob er bestimmte Speisen meide, welche Feiertage er wie halte, usw.


Ich möchte da einen leisen Widerspruch anbringen:
Es gibt einige 'Werte', wie "Gleichheit vor dem Gesetz", "Toleranz" (d.h. in diesem Sinne aber nicht Akzeptanz, sondern in Ruhe lassen), "Freiheit" ..., die in der Tat vom Staat, bzw. von der Gesellschaft aller Bürger, anzuwenden und auch zu 'lehren' sind. Tut die Gesellschaft/der Staat das nicht, dann wird sie/er schneller Beute von (religiösen oder ideologischen) Räubern als der Einzelne seine Waffen aus dem Schrank holen kann.
Vielleicht meinten Sie das ja auch mit "Reichweite eines Rechtsstaates" - wobei auch ein Rechtsstaat ja nicht zwingend liberale Grundwerte verteidigen muss (aber andererseits notwendig ist, um diese zu garantieren).
Natürlich ist das keine reine Staatsaufgabe, sondern immer auch eine Aufgabe für jeden Einzelnen, aber ein Staat sollte schon auf die Durchsetzung dieser elementaren Werte pochen.
Was Sie da ansprechen, ist die Theorie der Drittwirkung der Grundrechte im Unterschied zur Theorie, daß die Grundrechte ausschließlich Abwehrrechte gegen den Staat sind. In den USA gilt letztere Theorie, in der BRD gilt seit dem Lüth-Urteil des BVerfG die erstere Theorie. Dort ist auch der Begriff der Werteordnung verfassungsrechtlich erstmals aufgetreten.

Ich halte die Theorie von der Drittwirkung der Grundrechte für ein Übel und das Lüth-Urteil mit allen seinen Folgen für nichts anderes als einen handfesten Putsch des BVerfG. Hier wurde das Gericht rechtssetzend tätig. Das ist nicht seine Kompetenz und wird auch von Juristen kritisiert. Das BVerfG maßt sich dadurch immer mehr Rechtssetzungskompetenzen an, die sogar in die Vertragsfreiheit eingreifen.
Für mich zeigt das, daß man erstens nicht verstanden hat, was die Geschichte und der Gehalt der Grundrechte ist. Geschichtlich sind Verfassungen ursprünglich als Einschränkung der Staatsmacht verstanden, eben in Gegenbewegung zum Absolutismus. Entsprechend wurden auch die Grundrechte formuliert, etwa in der Paulskirchenverfassung, die ihrerseits die WRV und die wiederum das GG beeinflußt hat. Man kann nicht den Wortlaut dieser Abwehrrechte aus dem Zusammenhang reißen und ihnen eine Drittwirkung ohne historisches Vorbild zusprechen.

Beispiel mit der Gleichheit vor dem Gesetz: Sie gilt eben nicht vor Dritten, sondern nur vor dem Gesetz. Außergesetzliche Normen (insbesondere Verträge) brauchen darauf keine Rücksicht zu nehmen und es ist für den Staat gerade nicht geraten, sich unter dem Vorwand irgendwelcher Grundrechte in die Privatautonomie einzumischen. In diesem Punkt werden die Grundrechte, die Abwehrrechte waren, nämlich sogar zur Legitimation staatlicher Einmischung in das Leben der Bürger, quasi einer neuen Form des Absolutismus. Das sieht man auch an der Begründung der Drittwirkung. Sie fußt auf dem unzulässigen Analogieschluß, daß analog der Regulation des Machtgefälles zwischen Staat und Bürger auch das Machtgefälle zwischen unterschiedlichen Bürgern zu regulieren sei. Klingt das nicht marxistisch?

Damit behandelt das Gericht aber eben nicht mehr diese Bürger als vor dem Gesetz gleich, weil die Ungleichheit durch das behauptete Machtgefälle einbezogen wird. Die Ungerechtigkeit besteht nun darin, daß dieses behauptete Machtgefälle gar nichts mehr mit dem konkreten Gegenstand zu tun hat. Das ist ein Kontrast zum Wucher, wo wirklich der konkrete Gegenstand (aber eben auf rein zivilrechtlicher Basis, was bei identischem Zivilrecht und unterschiedlicher Verfassung identisch zu entscheiden ist) betrachtet wird. Im Lüth-Urteil ist z.B. gar nicht klar, wer denn nun der vom Machtgefälle benachteiligte ist: Der Senatsdirektor oder das Filmunternehmen?

Man kommt damit auf lauter neue Widersprüche. Perverserweise hat das BVerfG im Lüth-Urteil den ersten Widerspruch selber geschaffen.
Es hat nämlich erklärt, daß es ein Ausdruck der Meinungsfreiheit und nicht sittenwidrig sei, eine Ächtung gegen einen Menschen trotz rechtsstaatlichen Freispruchs auszusprechen. Dann gilt also die Meinungsfreiheit als Grundrecht gegen diesen Unschuldigen (Drittwirkung der Meinungsfreiheit). Andererseits gilt seitens des Unschuldigen dadurch eben nicht mehr das Rechtsstaatsprinzip gegenüber dem Ächtenden (Drittwirkung des Rechtsstaatsprinzips). Das ist ein Widerspruch.

Auch geht das Lüth-Urteil ellenlang inhaltlich auf die (angeblich) freie Meinungsäußerung Lüths ein. Der Witz an der Meinungsfreiheit ist eigentlich, daß sich der Staat eben nicht in die philosophie eine Meinung einmischen muß.

Zitat von adder im Beitrag #140
Unser jetziges System funktioniert nicht mehr, da Interessengruppen zusätzlich zu den tatsächlichen Notwendigkeiten an "Werten" (siehe oben) noch zusätzliche Wünsche und Interessen als allgemein gültige und vom Staat zu lehrende und durchzusetzende Wahrheiten durchgesetzt haben. Das fängt mit den ganzen neumodischen Grünen-Thesen an, geht aber weit, weit zurück: nämlich bis hin zu den ersten "Grundrechten" auf "menschenwürdiges Leben", welche dazu eingesetzt wurden, Geldflüsse zu etablieren, die Bedürftigen Sozialhilfezahlungen ermöglichten, und dem Recht auf "Gemeinschaftseigentum".
Genau das folgt aber aus der (falschen) Theorie der Drittwirkung der Grundrechte.

adder Offline




Beiträge: 1.073

18.12.2015 16:45
#142 RE: „Wie wollen wir leben?" Antworten

Zitat von Emulgator im Beitrag #141
Was Sie da ansprechen, ist die Theorie der Drittwirkung der Grundrechte im Unterschied zur Theorie, daß die Grundrechte ausschließlich Abwehrrechte gegen den Staat sind. In den USA gilt letztere Theorie, in der BRD gilt seit dem Lüth-Urteil des BVerfG die erstere Theorie. Dort ist auch der Begriff der Werteordnung verfassungsrechtlich erstmals aufgetreten.

Ich halte die Theorie von der Drittwirkung der Grundrechte für ein Übel und das Lüth-Urteil mit allen seinen Folgen für nichts anderes als einen handfesten Putsch des BVerfG. Hier wurde das Gericht rechtssetzend tätig. Das ist nicht seine Kompetenz und wird auch von Juristen kritisiert. Das BVerfG maßt sich dadurch immer mehr Rechtssetzungskompetenzen an, die sogar in die Vertragsfreiheit eingreifen.


Dann reden wir nicht so weit unterschiedlich: ich wollte vor allem darauf hinaus, dass die Abwehrrechte gegen den Staat natürlich auch von diesem zu verteidigen sind und dass diese Freiheitsrechte natürlich auch heißen, dass niemand eine Abschaffung dieser Freiheitsrechte durchsetzen könnte. Ich darf zwar privat oder auch geschäftlich intolerant sein - ich darf aber verlangen, dass der Staat diese Intoleranz auch zu seiner macht.
Genauso wie ich -gem. Vertragsfreiheit- Menschen unterschiedlich behandeln darf - aber die unterschiedliche Behandlung nicht vom Recht oder Staat verlangen darf. Wobei natürlich auch dort Grenzen sind, wo ich wiederum die Freiheit anderer einschränke - ich darf trotz Vertragsfreiheit keine Sklaven halten, z.B....

Zitat
Beispiel mit der Gleichheit vor dem Gesetz: Sie gilt eben nicht vor Dritten, sondern nur vor dem Gesetz. Außergesetzliche Normen (insbesondere Verträge) brauchen darauf keine Rücksicht zu nehmen und es ist für den Staat gerade nicht geraten, sich unter dem Vorwand irgendwelcher Grundrechte in die Privatautonomie einzumischen. In diesem Punkt werden die Grundrechte, die Abwehrrechte waren, nämlich sogar zur Legitimation staatlicher Einmischung in das Leben der Bürger, quasi einer neuen Form des Absolutismus. Das sieht man auch an der Begründung der Drittwirkung. Sie fußt auf dem unzulässigen Analogieschluß, daß analog der Regulation des Machtgefälles zwischen Staat und Bürger auch das Machtgefälle zwischen unterschiedlichen Bürgern zu regulieren sei. Klingt das nicht marxistisch?



Kein Widerspruch.

Der Staat hat zu garantieren, dass meine Rechte gegen ihn gewahrt bleiben, und ich meine Freiheiten in Bezug auf andere selbst verteidigen kann. D.h. er muss mich davor schützen, gegen meinen Willen und mit Gewalt zu etwas gezwungen zu werden, nicht aber, gegen eine vertraglich vereinbarte Bezahlung zu arbeiten, um mal zwei Extreme zu nennen.

Peter Zeller Offline



Beiträge: 164

20.12.2015 10:01
#143 RE: „Wie wollen wir leben?" Antworten

Hallo, Herr Weimer,

der Plural von Lapsus ist Lapsus (U-Deklination), nicht Lapsi.

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

20.12.2015 10:59
#144 RE: „Wie wollen wir leben?" Antworten

Zitat von Peter Zeller im Beitrag #143
Hallo, Herr Weimer,

der Plural von Lapsus ist Lapsus (U-Deklination), nicht Lapsi.

Nein, lieber Peter Zeller, im Zusammenhang ist klar, daß Herr Weimer nicht lapsûs (die Fehltritte), sondern lapsi (die Gestrauchelten) meint, Partizip Perfekt Plural von labi.

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

20.12.2015 11:31
#145 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #136

Stimmen Sie, lieber Fluminist,

mit mir darin überein, dass nicht nur die Christen durch das Aufhören der Verfolgung in eine gefahrvolle Euphorie gerieten, sondern dass auch die Kaiser nur eine solche Religion brauchen wollten, konnten, die als Staatsreligion allen zuzumuten war, und insofern gegen die Religionsfreiheit in den Evangelien bedenkenlos handelten?

Der Prämisse, daß überhaupt jemandem eine Staatsreligion zuzumuten ist, will ich nicht gerne zustimmen. Ansonsten haben Sie insofern recht, als bei dieser Globalisierung=Katholisierung politische Aspekte eine größere Rolle gespielt haben werden als inhaltliche Glaubensfragen. Die katholische Kirche hat sich ja zur Erleichterung des Vorgangs offensichtlich nicht gescheut, sich Heiligtümer und Festivitäten der indigenen Religionen anzueignen und im Sinne ihres eigenen mytho-/theologischen Systems umzudeuten, wobei Bibel und Evangelium weitgehend unbedeutend waren und hauptsächlich als Buch zum Besitzen und Draufschwören dienten. Das war ja einer der wesentlichen Vorwürfe der Reformatoren gegen die katholische Kirche.
Was den Kaiser dazu motiviert hat, die anderen Religionen zu verbieten, darüber können wir nun nur spekulieren. Politische Opportunität wird dabei eine gewisse Rolle gespielt haben; dadurch, daß man Anhänger anderer Religion oder Variante der eigenen Religion (im gegebenen Fall des Arianismus) zu Vogelfreien und Ketzern erklärt, kann man das Feld politischer Konkurrenten quasi "mit Gottes Hilfe" tüchtig dezimieren: so geschehen bei Konstantin und auch bei Theodosius - beide übrigens so erfolgreiche Schlächter, daß sie heutzutage heiße Anwärter für den Friedensnobelpreis wären.

Aber es ging ja nicht nur um eine Vereinfachung der Verwaltung durch Reduktion auf ein einziges spirituell-rituelles System, sondern um einen ganz fundamentalen geistigen Neuanfang. So wurden 391 ja nicht nur alle nichtchristlichen Tempel im Imperium geschlossen und das ewige Feuer der Vesta ausgelöscht (der Untergang des römischen Reiches ließ dann auch nicht mehr lange auf sich warten, soviel zu "Beweisen" göttlicher Wirksamkeit), sondern in guter Taliban-/ISIS-Manier auch die Bibliothek von Alexandria abgefackelt, um der Menschheit zu zeigen, daß sie fürderhin allein durch die Ministranz der allumfassenden Kirche selig zu werden hatte. Wie Sie sagen, eine Zumutung.
Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #136
Glaubte deswegen ein philosophisch gebildeter chr. Kaiser, die verbliebenen Religionen verdrängen und die Religionsfreiheit opfern zu können, um der Einheit willen zu sollen??

Theodosius war meines Wissens als Militarist aufgewachsen und hat sich zeitlebens mit Feldzügen beschäftigt - so ein riesiges Reich mit damaligen Kommunikations- und Reisemitteln zusammenhalten zu wollen, muß ja auch gewesen sein wie auf einen Sack Flöh aufzupassen -, philosophische Bildung wäre mir da neu. Treibende Kraft in Religionsfragen war ja wohl auch eher der Hl. Ambrosius, der sich u.a. durch Verfolgung von Juden, Arianern und Heiden hervorgetan hat - auch hier ist eher Ausgrenzung als Integration als Leitthema spürbar.

Ulrich Elkmann Online




Beiträge: 14.425

20.12.2015 14:24
#146 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Zitat von Fluminist im Beitrag #145
Was den Kaiser dazu motiviert hat, die anderen Religionen zu verbieten, darüber können wir nun nur spekulieren.


Wenn ich mal auf eine völlig unwissenschaftliche, aber eindrucksvoll geschriebene tour d'horizon wie Jacob Burckhardts Constantin-Buch zurückgreife, erscheint das zumindest nachvollziehbar.
http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-zei...grossen-4969/15

Natürlich schreibt JB nicht so sehr für als gegen; nämlich das Bild der "heiteren, durchsonnten Spätantike," das sich seit Edward Gibbon in den westlichen Köpfen festgesetzt hat (& von dem bis heute das Genre des historischen Romans zehrt). Aber diese sturzbachähnliche Auflistung von Dämonenfurcht, Aberglauben & Orientierungslosigkeit macht einem zumindest klar, aus welchen Quellen sich das speiste & was es ermöglicht hat. (Nb. "Quellen": es wird dabei wieder deutlich, wie immer beim Durchgang durch antike Zeiten, wie schütter die direkte Quellenlage ist, auf die man zugreifen kann. Ein nicht ganz unwesentlicher Teil von Burckhardts Färbung dürfte sich der Tatsache verdanken, daß die Quellen christliche Verdammungen widerspiegeln: es gibt oft schlicht keine anderen Zeugnisse. Was den Historikern, mindestens seit Ranke, eigentlich stets präsent ist, aber zu einer déformation professionelle führt. Was dann bei den "Gegenhistorien" ebenso der Fall ist, die die gleichen Grundlagen mit Vorsatz genau andersherum zu lesen versuchen. Spätergeborenen wie Peter Burke & Luigi Canfora, die hinter der Wasserscheide der Annales stehen, kommt das dann an, daß sie mitunter im Versuch, dem zu echappieren, über der Mikrohistorie & Metaquelleneinordnung das Große Ganze dessen, was sie eigentlich abhandeln wollten, völlig aus dem Blick verlieren.

Apropos Canfora.

Zitat
die Bibliothek von Alexandria abgefackelt



Der kleine Beckmesser will anmerken, daß diese Bibliothek während ihres ganzen Bestands nie ihrem Ziel & ihrem Ruf, als Quelle des gesamten verfügbaren Weltwissens zu dienen, gerecht geworden ist. Ausser der Erstellung der Septuaginta (& einigen Kommentaren zu Aristoteles) scheint daraus nichts von Fernwirkung hervorgegangen zu sein. Das hat diese Institution mit ihrer Neuauflage gemein. Aber dann merkt der besagte Beckmesser noch an, daß der modernen Menschheit vielleicht kein Schaden entstanden wäre, wenn - von Bibel & römischem Recht mal abgesehen * - die gesamte Antike spurlos verschütt gegangen wäre.

* und Lukrez, mal frei nach Stephen Greenblatt.



Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire

Emulgator Offline



Beiträge: 2.875

20.12.2015 14:42
#147 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #146
Aber dann merkt der besagte Beckmesser noch an, daß der modernen Menschheit vielleicht kein Schaden entstanden wäre, wenn - von Bibel & römischem Recht mal abgesehen * - die gesamte Antike spurlos verschütt gegangen wäre.
Völlig falsch! Für die Mathematik wäre es verheerend gewesen, und damit für alle Naturwissenschaft und Ingenieurskunst, die doch auf der Mathematik fußen.

Peter Zeller Offline



Beiträge: 164

20.12.2015 18:02
#148 RE: „Wie wollen wir leben?" Antworten

"Nein, lieber Peter Zeller, im Zusammenhang ist klar, daß Herr Weimer nicht lapsûs (die Fehltritte), sondern lapsi (die Gestrauchelten) meint, Partizip Perfekt Plural von labi."

Danke, lieber Fluminist, für die Erweiterung meines Wissens.

Ulrich Elkmann Online




Beiträge: 14.425

20.12.2015 18:08
#149 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Zitat von Emulgator im Beitrag #147
Völlig falsch! Für die Mathematik wäre es verheerend gewesen, und damit für alle Naturwissenschaft und Ingenieurskunst, die doch auf der Mathematik fußen.


Es gibt eine Denksportaufgabe, die ab & an id englischsprachigen Literatur auftaucht: Gesetzt, es brennt im letzten Museum der Menscheit, oder das letzte Shuttle vorm Meteoreinschlag darf keine Überlast haben: Sie haben die Wahl die Mona Lisa zu retten, die Unabhängigkeitserklärung oder das MS. der Habeas corpus, oder das einzig verbliebene Exemplar der Newtonschen Principia. Was würde auf jeden Fall ausgeschieden? Newton, weil das, unabhängig & per ardua wiederzugewinnen ist. Die Mathesis der Naturwissenschaften wird für die Stadien bis zur Mitte des 19. Jhdt.s allgemein überschätzt, wohl weil die Astronomie als Schwester der Geometrie das Paradigma für diese Art der Weltaneignung ist (mit dem hübschen Korollarium, daß beide Disziplinen schon im frühen 17. Jhdt. als Kennzeichen bürgerlicher Gediegenheit dienen, wenn man betont, davon nichts zu verstehen). Geradezu klassisch wird das id beiden Anwendungsfällen: für die Astronomie die Berechnung der Kometenbahnen; für Mathe das Infinitesimalkalkül, beide zeitgleich um 1690 zentriert. Bis gut 1820 sinds einzig die Werke zur Astronomie, wo der Werthe Leser mit Zahlenwust (gar in Tabellenform von >2 Sparten mit >5 Posten) behelligt wird. Die mathematischen Kenntnisse im universitären Bereich sind, bis ca.1850, nur als gruslig zu bezeichnen. Das führt dann zur Bildung der Technischen Hochschulen, weil die Industrialisierung halbwegs fähige Ingenieure benötigt; das Resultat der "zwei Kulturen" hat bis heute Spuren hinterlassen, wie in Erwin Chargaffs Rubrizierung von Crick & Watson als Banausen, die noch nicht mal Griechisch konnten.



Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

20.12.2015 18:35
#150 RE: „Wie wollen wir leben?“ Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #149
Bis gut 1820 sinds einzig die Werke zur Astronomie, wo der Werthe Leser mit Zahlenwust (gar in Tabellenform von >2 Sparten mit >5 Posten) behelligt wird.

Also nee, um Zahlenwust geht es hier doch gar nicht. Es geht um die Kegelschnitte des Apollonios, die den zündenden Gedanken und das exakte Rüstzeug für Kepler lieferten, und dann in der Nachfolge für Newtons Gravitationstheorie. Und vorher die heliozentrischen Mutmaßungen des Aristarchos, die Kopernikus auf eine Idee brachten. Es ist ja kein Zufall, daß der naturwissenschaftliche Fortschritt erst wieder in die Gänge kam, nachdem dieses alte Zeug fragmentarisch genug wieder ans Licht kam und die Dominanz der bücherwurmigen aristotelischen Naturlehre der Scholastik relativierte. Ohne den Apollonios würden wir immer noch meinen, Erde fiele herunter und Feuer steige auf, weil es eben so in ihrer Natur läge.

Und ferner: die Logik von Euklids Elementen. Die Hoffnung, eine folgerichtige, stabile Sprache auch für die Beschreibung der Natur finden zu können, statt nur immer in Verwirrspielen über die Bedeutung von Wörtern, aus der man irgendwie auf magischem Wege Realinformation zu destillieren sucht, hängenzubleiben wie die Scholastik.

Das ist alles kein Pappenstiel, und es ist auch nicht so ohne weiteres ersetzbar. Zwar saugen sich die Mathematiker alles a priori aus den Fingern, aber was dabei herauskommt, ist eben nicht so von vornherein klar. Das, was die Mathematik des 20. Jhdts hervorgebracht hat, z.B. Funktionalanalysis oder algebraische Topologie, hätte auch Gauß schon haben können oder Archimedes oder Euklid - aber sie hatten's eben noch nicht. Es gibt keinen intrinischen Grund, warum die Entwicklung der Mathematik Jahrhunderte dauert und nicht bloß ein paar Monate - alles wesentliche könnte man in ein paar Wochen zusammenstoppeln, wenn man eben wüßte, was es ist.

Aber die Frage des Nutzens geht ohnehin am Kernpunkt etwas vorbei: die absichtliche Vernichtung früheren Wissens und früherer Kultur dient der Beseitigung von Vergleichspunkten, die die neue, absolut gesetzte Weltordnung relativieren könnten. Außerdem ist sie auch, weniger reflektiert, Ausdruck und effektives Zeichen des eigenen Dominanzanspruchs. Die Ruinen von Palmyra und die Buddhas von Bamiyan hatten ja auch keinen wirklichen Zweck mehr; dennoch war ihre Zerstörung ein wirksames Signal.

PS.

Zitat
Gesetzt, es brennt im letzten Museum der Menscheit, oder das letzte Shuttle vorm Meteoreinschlag darf keine Überlast haben: Sie haben die Wahl die Mona Lisa zu retten, die Unabhängigkeitserklärung oder das MS. der Habeas corpus, oder das einzig verbliebene Exemplar der Newtonschen Principia. Was würde auf jeden Fall ausgeschieden?


Hätten Sie nur die Mona Lisa, die Unabhängigkeiterklärung und Habeas corpus in der Hand, wo bekämen Sie dann vor dem Meteoreinschlag ein Shuttle her?
Die Principia kommen als erstes in den Koffer.

PPS.
Der offensichtliche Kandidat für den Papierkorb ist natürlich die Declaration of Independence; denn dortselbst heißt es ja "We hold these truths to be self-evident,…", und offensichtliche Wahrheiten sollten mühelos rekonstruierbar sein.

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