Zitat von Florian im Beitrag #75Entweder ist das einfach englische Arroganz gegenüber der Peripherie.
Eigentlich habe ich keine andere Erklärung. Außer vielleicht der generellen Abneigung der Brexiteers, irgendwelche möglichen Nachteile des Brexits überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Noch nicht einmal, um deren Effekte minimieren zu können. Das ist schon ein ziemlich geschlossenes Weltbild.
Zitat Zumindest in Wales wird die Union mit England m.W. von niemandem ernsthaft in Frage gestellt.
So kann man das nicht sagen. Die Waliserpartei Plaid Cymru ist schon länger gegen diese Union und vertritt immerhin etwa 20% der Wähler. Das ist natürlich viel schwächer als in Schottland, die schwache Mehrheit in Wales war sogar für den Brexit. Aber überraschenderweise ist die walisische Identität in manchen Punkten ziemlich stark - es gibt (obwohl Wales viel kleiner ist) etwa 10-mal so viel Leute, die walisisch sprechen, als es schottisch oder irisch Sprechende gibt. Im Prinzip ist Wales sehr heterogen. Die Westküste würde sehr gerne selbständig werden (hat auch den Brexit abgelehnt), die alten Bergbaugebiete im Süden sind sehr stark englisch geprägt, bevölkerungsstark - und sehr arm, dort wurde Brexit gewählt.
Derzeit sehe ich auch nicht, daß Wales wirklich selbständig werden wird. Aber wenn sich die in den Brexit gesetzten Erwartungen nicht erfüllen, könnte das anders werden. Das Gefühl der Vernachlässigung durch London ist auf jeden Fall schon lange stark da. Und das scheint nicht besser zu werden.
Zitat Und was Norirland betrifft: Da ist die Situation wohl in der Tat sehr verworren.
Das kann man wohl sagen. Da sind die ländlichen Katholiken für Irland und die EU, die ländlichen Protestanten fürs UK und gegen die EU, und die wirtschaftlich dominante Hauptstadtregion Belfast fürs UK und für die EU. Die gegenwärtige Situation ist komplex, aber sie funktioniert irgendwie und es ist endlich friedlich. Jede Störung des Gleichgewichts kann die Lage wieder zum Kippen bringen - der Nordirlandkonflikt hatte über 3000 Opfer gefordert. Falls das wg. Brexit wieder eskaliert, wäre für Farage und Genossen ein ausgedehntes Waterboarding angebracht ...
Zitat von Florian im Beitrag #75Entweder ist das einfach englische Arroganz gegenüber der Peripherie.
Eigentlich habe ich keine andere Erklärung. Außer vielleicht der generellen Abneigung der Brexiteers, irgendwelche möglichen Nachteile des Brexits überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Noch nicht einmal, um deren Effekte minimieren zu können. Das ist schon ein ziemlich geschlossenes Weltbild.
Soweit wäre das ja verständlich. Aber auch die Gegenseite (also das "Remain-Lager") thematisiert soweit ich das mitbekomme die "keltische Frage" nicht oder nur schwach.
Sofern unsere Außenwahrnehmung stimmt, dass die Zukunft der britischen Union durchaus fraglich ist, finde ich die Unbekümmertheit überraschend.
Wenn ich da nach Erklärungen suchen müsste, würde mir einfallen:
- Allgemeine politische Unbekümmertheit: Möglichkeiten am Horizont nimmt man oft nicht Ernst genug, selbst wenn sie schwerwiegend sind. Auch in der EU herrschte bis kurz vor Schluss große Unbekümmertheit ob der Möglichkeit des Brexit. Warum sollte es also innerhalb Großbritanniens so viel anders sein. Zumal Großbritannien innerhalb der EU ähnlich viel Gewicht hat wie Schottland+Nordirland innerhalb Großbritanniens.
- Großbritannien hat in den letzten 100 Jahren viel Erfahrung gehabt mit der Auflösung des eigenen Imperiums. Abschmelzungen ist man gewohnt, da kommt es auf ein paar zusätzliche Gebiete auch nicht mehr an. (Auch auf den britischen Inseln selbst wäre es ja nicht die erste Abspaltung. Als sich die Republik Irland abspaltete war das zahlenmäßig bedeutender als eine jetzt drohende Abspaltung von Nordirland).
- Selbst im Falle einer schottischen Unabhängigkeit bliebe immer noch ein Band: nämlich das Königshaus. Schottland bliebe womöglich weiterhin Monarchie und Elisabeth bliebe schottische Monarchin. (Also eine ähnliche Regelung wie bei den Kanalinseln: Elisabeth ist auch deren Königin, obwohl sie nicht Teil des Vereinigten Königreichs sind). Die Engländer haben viel Erfahrung mit solchen seltsamen Verfassungskonstruktionen, so dass die Auflösung der Union mit Schottland sie vielleicht weniger tief trifft als es bei uns der Fall wäre wenn z.B. Sachsen aus der Bundesrepublik austreten würde. Letzteres können wir uns nur als "echten Schnitt" vorstellen, die Engländer denken verfassungsrechtlich eher in unterschiedlich engen Bindungen, die die einzelnen Besitzungen der Krone zusammenhalten.
Zitat von Florian im Beitrag #77- Allgemeine politische Unbekümmertheit: Möglichkeiten am Horizont nimmt man oft nicht Ernst genug, selbst wenn sie schwerwiegend sind. Auch in der EU herrschte bis kurz vor Schluss große Unbekümmertheit ob der Möglichkeit des Brexit. Warum sollte es also innerhalb Großbritanniens so viel anders sein.
Da ist wohl was dran. Man neigt immer wieder dazu, die Dummheit zu unterschätzen. Die üblichen politischen Entscheidungen fallen zwischen Varianten, die emotional etwa gleichwertig sind - und dann kann man mit Sachargumenten etwas bewirken. Aber die Erfahrung zeigt: Wenn sich die Entscheidung auf Bauch vs. Kopf zuspitzt, dann gewinnt fast immer der Bauch. Anders ist z. B. der Aufstieg der Grünen überhaupt nicht zu erklären. Und ähnlich laufen diese "exit"-Sachen. Da verläßt sich eine Seite auf die Sachargumente und glaubt "so blöde können die Leute ja nicht sein". Sind sie aber, und die Sachargumente werden gar nicht zur Kenntnis genommen, wenn die Angst regiert.
Zitat - Großbritannien hat in den letzten 100 Jahren viel Erfahrung gehabt mit der Auflösung des eigenen Imperiums. Abschmelzungen ist man gewohnt, da kommt es auf ein paar zusätzliche Gebiete auch nicht mehr an.
Da bin ich skeptischer. Die meisten Engländer würden wohl problemlos auf Nordirland verzichten, viel Ärger und wenig Ertrag. Und Wales wird wohl auch nicht unabhängig werden. Mit Schottland ist das wohl deutlich anders. Ohne die Schotten wäre die Idee des "Great" Britain erledigt und England zurückgeworfen auf seinen mittelalterlichen Kern. Da hilft dann auch keine monarchische Hilfskonstruktion, Meister Petz hat zu Recht auf die Beispiele in Übersee verwiesen.
Zitat von SPON, 21.03.2017Die britische Industrie blickt kurz vor dem EU-Austrittsantrag so zuversichtlich in die Zukunft wie seit 22 Jahren nicht mehr. Das Barometer für die Erwartungen an die Produktion in den kommenden drei Monaten stieg im März um drei Punkte auf 36 Zähler, wie aus einer am Dienstag veröffentlichten Firmenumfrage des Industrieverbands CBI hervorgeht.
Vor allem die Exportbranche hat demnach Grund zum Optimismus: Die Bestellungen aus dem Ausland legten der Erhebung zufolge so kräftig zu wie seit Dezember 2013 nicht mehr.
Zitat von SPON, 21.03.2017Die britische Industrie blickt kurz vor dem EU-Austrittsantrag so zuversichtlich in die Zukunft wie seit 22 Jahren nicht mehr. Das Barometer für die Erwartungen an die Produktion in den kommenden drei Monaten stieg im März um drei Punkte auf 36 Zähler, wie aus einer am Dienstag veröffentlichten Firmenumfrage des Industrieverbands CBI hervorgeht.
Vor allem die Exportbranche hat demnach Grund zum Optimismus: Die Bestellungen aus dem Ausland legten der Erhebung zufolge so kräftig zu wie seit Dezember 2013 nicht mehr.
ich habe verstanden: Sie sind ein großer Fan des Brexit. (Warum auch immer. Welchen Vorteil Deutschland vom Brexit haben soll, erschließt sich mir schon mal nicht).
Aber um es klar zu sagen: die von Ihnen verlinkte Nachricht ist KEIN Argument dafür, dass der Brexit eine gute Idee ist.
Erstens: Vorläufig ist das UK noch in der EU. Daran wird sich die nächsten 3 Monate auch nichts ändern. Für alle Exporte die in diesem Zeitraum getätigt werden, gelten also noch die EU-Regeln. Die Entwicklung der nächsten drei Monate ist NULL Indikator für die Entwicklung nach Brexit-Vollzug.
Zweitens: Nach der Brexit-Abstimmung hat das GBP deutlich gegen den EUR abgewertet. (Was für sich genommen übrigens ein Zeichen dafür ist, dass die Märkte negative Folgen für die britische Wirtschaft erwarten). Die Folge einer Abwertung ist, dass britische Exporte günstiger werden. Dass daraufhin der Export zunimmt ist nun nicht allzu überraschend.
Die britische Export-Industrie ist im Moment also in der schönen Situation, dass das GBP bereits abgewertet hat, dass aber die negativen Folgen des Brexit für den britischen Außenhandel noch nicht wirken (weil das UK eben noch in der EU ist). Diese Situation wird aber nicht andauern. Auf eine allgemein segensreiche Wirkung des Brexit kann man deshalb aus einem kurzfristigen Export-Boom nicht schließen.
Zitat von Florian im Beitrag #81Welchen Vorteil Deutschland vom Brexit haben soll, erschließt sich mir schon mal nicht.
Vielleicht diesen hier:
Zitat von Business Insider UK LONDON — Frankfurt is emerging as the preferred location for UK-based banks looking to relocate jobs to Europe post-Brexit, according to the Financial Times. UBS, JPMorgan, Morgan Stanley, and Bank of America Merrill Lynch are all considering relocating roles to Frankfurt, according to the FT. Frankfurt lobbyist Hubertus Väth told the FT he believes the city is in "pole position" to win Brexit jobs and expects to lure 10,000 jobs.
Wäre ja gewissermaßen auch ein "Export-Erfolg" für Großbritannien.
Zitat von Fluminist im Beitrag #82Wäre ja gewissermaßen auch ein "Export-Erfolg" für Großbritannien.
Da wird einiges passieren. Wobei Frankfurt m. E. nur einen kleinen Teil des Kuchens abbekommen wird. Sehr viel wird nach Amsterdam und Dublin gehen, etwas auch nach Paris. Wesentlicher als der direkte Arbeitsplatzexport dürften aber die organisatorischen Auswirkungen sein. Ich habe ja viel mit der Londoner Finanzwirtschaft zu tun: Seit Monaten machen die eigentlich keine Produktentwicklung mehr, weil alle nur noch über Brexit-Szenarien und den Umgang damit reden. Es ist schon schwierig, überhaupt mal einen normalen Gesprächstermin zu finden.
Zitat von Florian im Beitrag #75Entweder ist das einfach englische Arroganz gegenüber der Peripherie.
Eigentlich habe ich keine andere Erklärung. Außer vielleicht der generellen Abneigung der Brexiteers, irgendwelche möglichen Nachteile des Brexits überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Noch nicht einmal, um deren Effekte minimieren zu können. Das ist schon ein ziemlich geschlossenes Weltbild.
Werter R. A.,
ich bin genuin überrascht wie sehr Sie - zumindest gefühlt - die Mitgliedschaft im Irrenhaus EU für alternativlos zu halten scheinen und andere Ansichten mehr oder weniger pauschal als irrational bzw. emotional verwerfen.
Damit verunglimpfen Sie ja indirekt auch einen Großteil rational denkender konservativ-liberaler Briten, die politisch-ökonomisch den hier in Zettels Raum vertretenen Standpunkten ziemlich nahe stehen (und von denen sich die hiesige real existierende FDP sich eine dicke Scheibe abschneiden könnte).
Ich verstehe ja, dass die EU - wg. Adolf Hitler - in Deutschland zur Staats- und Parteiräson gehört, dennoch muss es doch möglich sein zu akzeptieren, dass es auch sehr gute Gründe dafür gibt, aus dieser immer ökosozialistischer anmutenden Sowjetunion light auszusteigen.
An anderer Stelle ging es ja um die Schweiz: Denken Sie wirklich, Lebensstandard, Freiheit und Sicherheit in der Schweiz wären höher, wenn diese Mitglied der EU wäre?
Zitat von Frankenstein im Beitrag #84 die Mitgliedschaft im Irrenhaus EU für alternativlos zu halten scheinen und andere Ansichten mehr oder weniger pauschal als irrational bzw. emotional verwerfen.
Nichts davon habe ich geschrieben. Selbstverständlich gibt es Alternativen zur EU (die auf der "Irrenhaus"-Skala einen ganz normalen Mittelplatz einnimmt, die Bundesregierung liegt deutlich drüber). Und andere Ansichten sind nicht pauschal irrational. Wir diskutieren hier aber über eine konkrete Alternative, nämlich Mays Chaoskurs, und über ganz konkrete Ansichten, nämlich die der prominenten Brexiteers. Und ja, die halte ich aus hier vielfach dargestellten Gründen für höchst irrational.
Zitat Damit verunglimpfen Sie ja indirekt auch einen Großteil rational denkender konservativ-liberaler Briten
Von denen gibt es in jedem Lager welche, bei den Brexiteers eher weniger. Eben weil die Brexit-Kampagne so irrational angelegt ist. Im übrigen wurde ja dargelegt, daß die Brexiteers speziell die Thatcher'sche EU-Politik mit Füßen treten. Und Thatcher ist für mich ein Musterbeispiel für eine rational denkende konservativ-liberale Britin.
Zitat Ich verstehe ja, dass die EU - wg. Adolf Hitler - in Deutschland zur Staats- und Parteiräson gehört
So schnell der Godwin? Mit solchen Raisons habe ich wenig am Hut, und mit Hitler noch weniger. Die EU ist einfach eine vernünftige Lösung - aber natürlich weder fehlerfrei noch ohne die üblichen Defizite einer Demokratie.
Zitat An anderer Stelle ging es ja um die Schweiz: Denken Sie wirklich, Lebensstandard, Freiheit und Sicherheit in der Schweiz wären höher, wenn diese Mitglied der EU wäre?
Sicher. Der Unterschied wäre natürlich marginal, denn de facto ist die Schweiz ja EU-Mitglied. Sie verzichtet nur weitgehend auf Mitbestimmungsrechte und leistet sich einige Sonderlocken. Mit einer normalen Mitgliedschaft würde sie minimal besser stehen.
Sie hatten, werter R.A., an anderer Stelle sogar noch deutlicher geschrieben, dass Ihr politisches Globalziel und Ihr persönlicher Wunschtraum die "vereinte Erde" sei. Ein einziger Staat, der alle Menschen als Bürger habe.
Und ja, dass IST naiv und gefährlich. Und wie Sie sich mit solchen sozialistischen (Alp)Träumen "Liberal" nennen können, erschließt sich mir auch nicht.
Ein Staat soll und darf sich nur dann gründen, wenn eine gemeinsame Identität eine Zentralinstanz rechfertigt.
Damit ist absolut eindeutig bewiesen, dass ein weltweiter Zentralstaat a) entweder eine faschistoide Diktatur wäre oder b) zur Voraussetzung hätte, dass man vorher die Vielfalt der menschlichen Kulturen ausgelöscht hätte.
Auch der europäische Zentralstaat geht in diese Richtung. Mangels europäischer Identität entstehen diktatorische Elemente und gleichzeitig wird versucht, nationale Eigenheiten auszulöschen. Echt liberal, wirklich.
Es gibt überhaupt keine Gründe für die EU in der derzeitigen Form, dieses Gebilde ist ineffizient, diktatorisch und antidemokratisch. Früher haben Sie da auch vorsichtiger argumentiert und eher auf Merkel gemacht: jetzt ist die EU halt mal da, und jetzt kriegt man sie auch nicht mehr weg, ist also "alternativlos"...
___________________ Kommunismus mordet. Ich bin bereit, über die Existenz von Einhörnern zu diskutieren. Aber dann verlange ich außergewöhnlich stichhaltige Beweise.
Zitat von R.A. im Beitrag #85Und Thatcher ist für mich ein Musterbeispiel für eine rational denkende konservativ-liberale Britin.
Hm. Bei dem liberal hält zumindest der Political Compass einigermaßen dagegen was Thatcher betrifft. Es mag Wortklauberei sein, aber Thatcher war wohl eher weniger liberal, als eine recht authoritäre Verfechterin marktwirtschaftlicher Regeln. Könnte jetzt natürlich der These Auftrieb geben, dass es eine starke, authoritäre Hand braucht, um Choaos wegzuräumen,
Interessant übrigens auch die Lagereinschätzung der Brexiters/ non Brexiters beim Political Compass.
Zitat von R.A. im Beitrag #85die Bundesregierung liegt deutlich drüber
Ganz sicher tut sie das. Glaubt jemand wir hätten Energiesparlampen, Duschköpfe aus denen kein Wasser mehr kommt und kastrierte Staubsauger, wenn Deutschland nicht in wesentlichen Teilen die Politik der EU beeinflsussen würde? In meinen Augen dürfen sich viele von der EU bevormundet fühlen. Deutschland aber nun sicherlich am wenigsten.
Wenn man es zugespitzt und polemisch ausdrücken möchte, ist die EU (auch) der Versuch, in wie weit man "deutsche Volksbeglückung" auf Europa ausdehenen kann.
Zitat von R.A. im Beitrag #85Bei dem Sie verzichtet nur weitgehend auf Mitbestimmungsrechte
Sie verzichtet sicher aber auch auf die formale Aufgabe der Unabhängigkeit, auf (Transfer)zahlungen und darauf, dass in solchen Situationen, wie dem von Merkel angerührten Migrationschaos, die Bundesregierung auch über die EU formalen Druck ausüben kann. Gnaz wertlos erscheint mir dieser "Verzicht" nicht zu sein.
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Zitat von Frank2000 im Beitrag #86... dass Ihr politisches Globalziel und Ihr persönlicher Wunschtraum die "vereinte Erde" sei.
Na ja, in ganz weiter Ferne.
Zitat solchen sozialistischen (Alp)Träumen
Nichts an einer solchen Idee ist per se "sozialistisch". Egal ob es um einen kleinen oder großen oder ganz großen Staat geht - den kann man liberal oder sozialistisch oder sonstwie organisieren.
Zitat Ein Staat soll und darf sich nur dann gründen, wenn eine gemeinsame Identität eine Zentralinstanz rechfertigt.
Das sehe ich nicht so. "Gemeinsame Identität" ist ja schon bei vielen bestehenden Nationalstaaten nur mühsam gegeben und für eine politische Struktur auch nicht nötig. Nötig ist eine gewisse Basis an gemeinsamen Interessen, und nur für diese gemeinsamen Interessen sollte die entsprechende politische Struktur dann auch zuständig sein.
Ich sehe z. B. durchaus ein weltweites Interesse an Sicherheit und einem Minimum an vernünftigem Umgang miteinander. Ob man das als Staatenbund oder Bundesstaat organisiert oder ob man das überhaupt nicht Staat nennen will halte ich für nebensächlich. Entscheidend ist, daß zur Wahrung dieser gemeinsamen Interessen auch eine gemeinsame Exekutive (und Judikative) existiert, die dieses Minimum gewährleisten kann. D.h. also auch Durchgriffsrecht gegen Verstöße und die Verantwortlichen dafür hat. Das ist dann das Level, wo man üblicherweise "Staat" sagt.
Zitat Damit ist absolut eindeutig bewiesen, dass ein weltweiter Zentralstaat a) entweder eine faschistoide Diktatur wäre oder b) zur Voraussetzung hätte, dass man vorher die Vielfalt der menschlichen Kulturen ausgelöscht hätte.
Das halte ich für grotesk übertrieben und keineswegs für bewiesen. Selbstverständlich würde ich auch beide Optionen vehement ablehnen.
Zitat Auch der europäische Zentralstaat geht in diese Richtung.
Überhaupt nicht. Nicht einmal ansatzweise.
Zitat Mangels europäischer Identität entstehen diktatorische Elemente
Eventuelle "diktatorische Elemente" (die ich nicht sehe) hätten überhaupt nichts damit zu tun, ob es nun eine europäische Identität gibt oder nicht. Diktatur funktioniert jederzeit auch mit Identität.
Zitat und gleichzeitig wird versucht, nationale Eigenheiten auszulöschen.
Überhaupt nicht. Nicht einmal ansatzweise. Der üblicherweise diskutierte Blödsinn à la Glühbirnenverbot hat nichts mit irgendwelchen nationalen Eigenheiten zu tun.
Zitat Es gibt überhaupt keine Gründe für die EU in der derzeitigen Form ...
Natürlich gibt es Gründe. Ich bin ja noch gerne bereit darüber zu diskutieren, ob man nun mehr Vor- oder mehr Nachteile sieht. Aber "überhaupt keine Gründe" ist so weit weg von der Realität, das kann man nicht diskutieren.
Zitat dieses Gebilde ist ineffizient, diktatorisch und antidemokratisch.
Es ist unvermeidlicherweise ineffizient - wir reden hier von Politik. Aber die Eu ist weder diktatorisch noch antidemokratisch.
Zitat Früher haben Sie da auch vorsichtiger argumentiert ...
Früher gab es auch noch nicht diese haßerfüllte Pauschalablehnung der EU. Da hat man über diverse Fehlentwicklungen und Probleme diskutiert - und da gibt es auch viel Gesprächsstoff.
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #87... aber Thatcher war wohl eher weniger liberal, als eine recht authoritäre Verfechterin marktwirtschaftlicher Regeln.
Da würde ich zustimmen (auch wenn ich den political compass hier nicht wirklich für brauchbar halte).
Es ging mir hier aber um Thatchers Haltung speziell zu Brexit-relevanten Punkten. Und es ist halt auffällig, daß die Brexiteers ganz zentral die vier Freiheiten attackieren, die von Thatcher durchgesetzt wurden. Thatcher wollte die politische Union nicht und hätte deswegen wohl auch dem Sonderweg zugestimmt, den GB seit vielen Jahren in der EU fährt (vor allem beim Euro). Aber sie wäre bestimmt nicht für den Brexit gewesen. Die angeführten "rationalen konservativ-liberalen Briten" à la Thatcher sind nicht typisch für die Brexiteers.
Zitat Glaubt jemand wir hätten Energiesparlampen, Duschköpfe aus denen kein Wasser mehr kommt und kastrierte Staubsauger, wenn Deutschland nicht in wesentlichen Teilen die Politik der EU beeinflsussen würde?
Richtig. Und ich finde es absurd, daß gerade die deutschen EU-Gegner der EU die Maßnahmen vorwerfen, die Deutschland dort durchgesetzt hat.
Zitat Sie verzichtet sicher aber auch auf die formale Aufgabe der Unabhängigkeit, auf (Transfer)zahlungen und darauf, dass in solchen Situationen, wie dem von Merkel angerührten Migrationschaos, die Bundesregierung auch über die EU formalen Druck ausüben kann.
Sie behalten die formale Unabhängigkeit (das ist auch der wesentliche Grund - reine Bauchentscheidung ohne reale Auswirkung), aber bei den Transferzahlungen sind die Schweizer nach normalen EU-Regeln dabei. Und beim Migrationschaos hat Merkel Druck versuch, aber die EU-Regeln haben ihr da natürlich nichts ermöglicht. Und deswegen konnten sich die anderen EU-Partner nach eigenem Belieben verhalten, wie die Schweizer auch.
Zitat von Frank2000 im Beitrag #86Ein Staat soll und darf sich nur dann gründen, wenn eine gemeinsame Identität eine Zentralinstanz rechfertigt.
Bevor ich mich in Ihre Diskussion mit R.A. einmische: Ich finde diese Frage, wann sich ein Staat gründen solle und dürfe ziemlich gegenstandslos. Tatsächlich finden wir stets die staatlichen Strukturen nur vor. Es ist wie ein Erbe, mit dem man irgendwie klarkommen muß, etwa ein geerbter Hund, den man aus irgendwelchen Gründen nicht loswerden kann. Dann soll dieser Hund wenigstens gut erzogen sein und durch irgendeinen Nutzen seine Futterkosten rechtfertigen.
Es gibt schlichtweg keine Aufzeichnungen eines aus der Staatslosigkeit heraus gegründeten Staates, so daß sich überhaupt nie die Frage gestellt hat, ob eine Staatsgründung angemessen sei. Was wir in der Geschichte haben, sind entweder nur Abspaltungen aus einem existierenden Staatswesen heraus (USA als Abspaltung aus dem britischen Kolonialreich, Schweiz als Abspaltung vom Habsburgerreich) oder Scheingründungen, bei denen ein Erobererstaat durch die Vielzahl der einverleibten Staaten oder ehemals freien Menschen sich so verändert hat, daß der/die Machthaber eine Neugründung vorgaben (China, aber im Prinzip auch Italien und Deutschland).
Zitat von R.A. im Beitrag #88Nötig ist eine gewisse Basis an gemeinsamen Interessen, und nur für diese gemeinsamen Interessen sollte die entsprechende politische Struktur dann auch zuständig sein.
Ich sehe z. B. durchaus ein weltweites Interesse an Sicherheit und einem Minimum an vernünftigem Umgang miteinander. Ob man das als Staatenbund oder Bundesstaat organisiert oder ob man das überhaupt nicht Staat nennen will halte ich für nebensächlich. Entscheidend ist, daß zur Wahrung dieser gemeinsamen Interessen auch eine gemeinsame Exekutive (und Judikative) existiert, die dieses Minimum gewährleisten kann. D.h. also auch Durchgriffsrecht gegen Verstöße und die Verantwortlichen dafür hat. Das ist dann das Level, wo man üblicherweise "Staat" sagt.
Da gehen auch Sie, lieber R.A., von einer Art Staatsgründungsübereinkommen aus der Freiheit heraus aus, das so historisch nirgends greifbar ist. Gerade das Beispiel der Staatsgründungen durch Abspaltungen zeigen, daß der Staat Sicherheit nur verspricht, wenn er zugleich den Fluch bringt, seinerseits eine Gefahr für seiner Bürger zu werden. Wenn dieser Fluch unerträglich wird, kommt es zur Rebellion und zur Abspaltung.
Das liegt in der Natur der Sache: Staaten sind charakterisiert durch ihr "Gewaltmonopol", also der Ausschaltung aller Möglichkeiten, wie seine Staatsangehörigen sich ohne ihn oder gegen ihn Recht verschaffen können. Mit diesem Gewaltmonopol kann man einerseits eine Gewaltherrschaft erzeugen, andererseits wirkt es --selbst in einer geordneten Demokratie-- zur Bereitstellung von öffentlicher Sicherheit wie ein gewöhnliches Monopol, d.h. das Monopolprodukt (Sicherheit) wird zu teuer oder zu knapp produziert.
Erst eine Europäische Union, die den Bürgern die Möglichkeit gibt, die nationalstaatlichen Gewaltmonopole teilweise zu brechen, indem sie sich ihrem (Besteuerungs)Zugriff durch Abwanderung in einen anderen Unionsstaat entziehen, wäre ein wirksames Mittel gegen die Janusköpfigkeit des Staates. Die EU fördert die Mobilität der EU-Bürger in der Union, und so hat man einen positiven Wettbewerb zwischen den Nationalregierungen um die Bürger. Für uns verbessern sich die Konditionen: Für dieselbe öffentliche Sicherheit müssen wir nicht mehr so viel Besteuerung oder Freiheitseingriffe hinnehmen, auch hätten es Diktatoren schwieriger (ist es ein Wunder, daß sich ausgerechnet unter den EU-Skeptikern Menschen befinden, die eine gewisse Sympathie zu autoritären Herrschern zeigen, sei es aus der Vergangenheit oder aus Rußland?). Eine Nationalregierung kann sich mit seinem Volk nicht zum Krieg gegen einen Nachbarstaat verbünden, um sich dessen Wohlstand anzueignen, wenn das eigene Volk an diesem Wohlstand durch Abwanderung und ehrliche Arbeit viel risikoloser teilhaben kann. Und ähnlich wie auf einem Markt, wo gar nicht alle Nachfrager preiselastisch sein müssen, damit sich ein für alle niedrigerer Preis bildet, reichen schon ein paar mobile Europäer aus, damit sich die Nationalstaaten auch für die weniger mobilen Bürger verbessern.
So hat die Europäische Union einen Sinn und ist eine brilliante Idee. Leider werden die legislativen Mittel, mit denen die EU die Bürgermobilität steigern soll, von bestimmten Fraktionen zweckentfremdet, Anliegen durchzusetzen, für die es in manchen Ländern keine Zustimmung gibt. Diese Fraktionen haben immer noch die Hauptsorge, daß der Staat nicht genug Macht habe, obwohl es gerade staatliche Machtvollkommenheit war, die Regierungsprojekte wie den Zweiten Weltkrieg oder die Jugoslawienkriege möglich gemacht hat.
Die Aufgabe des Einstimmigkeitsprinzips im EU-Rat durch den Vertrag von Lissabon war deswegen ein Fehler. Man hätte lieber die Einstimmigkeit behalten sollen und dem EU-Rat dafür keine inhaltliche Mitsprache, sondern nur eine Mitsprache in der Form geben sollen, welche Institution etwas machen darf oder nicht machen darf. So wäre es faktisch unmöglich, daß es EU-weit einheitliche Steuern, Strafgesetze oder sonstwas gäbe. Gleichzeitig wäre mobilitätsfördernde Ordnungspolitik weiterhin möglich.
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #87... aber Thatcher war wohl eher weniger liberal, als eine recht authoritäre Verfechterin marktwirtschaftlicher Regeln.
Nach ihrem Antritt als Premierministerin hat Thatcher bei einem Meeting (meines Wissens als ein Teilnehmer vom Weg der goldenen Mitte schwafelte) Hayeks 'The Constitution of Liberty' auf den Tisch geknallt mit den Worten "This is what we believe!".
Thatcher war durch und durch liberal (den Bürgern ein freies selbstbestimmtes Leben ermöglichen ohne staatliche Gängelung) - aber eben kein Stück linksliberal (Gesellschaftsklempnerei).
Zitat von Frankenstein im Beitrag #91Nach ihrem Antritt als Premierministerin hat Thatcher bei einem Meeting (meines Wissens als ein Teilnehmer vom Weg der goldenen Mitte schwafelte) Hayeks 'The Constitution of Liberty' auf den Tisch geknallt mit den Worten "This is what we believe!".
Straight from the horse's mouth:
Zitat In The Constitution of Liberty Hayek had added a famous appendix explaining "why I am not a conservative". His objection was that "by its very nature it cannot offer an alternative to the direction in which we are moving". Joseph shocked and angered many by developing the insight in 1975, suggesting that the problem was that Conservatives hadn't been conservative: "it was only in April 1974 that I was converted to Conservatism. (I had thought that I was a Conservative but I now see that I was not really one at all.)" One might easily see this as the moment the Thatcherites caught up with Hayek and began consciously to offer an alternative direction, redefining the party creed as radical in purpose. There is a story to similar effect, beloved of biographers and documentary makers and perhaps a little too perfect to be actually true, that as Leader of the Opposition MT once cut short a presentation by a leftish member of the Conservative Research Department by fetching out a copy of The Constitution of Liberty from her bag and slamming it down on the table, declaring "this is what we believe".
There are indeed echoes of The Constitution of Liberty in MT's thinking. The book gave centrality to the rule of law, the exclusion of the arbitrary and the personal in favour of the open and equal application of rules. But Hayek had no copyright over that idea. The Oxford jurist A.V. Dicey gave the concept currency in Britain generations before - and MT knew her Dicey far better than her Hayek. Whether she ever really slammed his book on the table, MT was not in plain fact a Hayekian, and certainly never a slavish follower of any thinker.
Zitat von Frankenstein im Beitrag #91Nach ihrem Antritt als Premierministerin hat Thatcher bei einem Meeting (meines Wissens als ein Teilnehmer vom Weg der goldenen Mitte schwafelte) Hayeks 'The Constitution of Liberty' auf den Tisch geknallt mit den Worten "This is what we believe!".
Straight from the horse's mouth:
Zitat:In The Constitution of Liberty Hayek had added a famous appendix explaining "why I am not a conservative". His objection was that "by its very nature it cannot offer an alternative to the direction in which we are moving". Joseph shocked and angered many by developing the insight in 1975, suggesting that the problem was that Conservatives hadn't been conservative: "it was only in April 1974 that I was converted to Conservatism. (I had thought that I was a Conservative but I now see that I was not really one at all.)" One might easily see this as the moment the Thatcherites caught up with Hayek and began consciously to offer an alternative direction, redefining the party creed as radical in purpose. There is a story to similar effect, beloved of biographers and documentary makers and perhaps a little too perfect to be actually true, that as Leader of the Opposition MT once cut short a presentation by a leftish member of the Conservative Research Department by fetching out a copy of The Constitution of Liberty from her bag and slamming it down on the table, declaring "this is what we believe".
Hmmm, es ist schon ein paar Jahre her, dass ich ihre Autobiographie gelesen habe (meiner trügerischen Erinnerung nach bezog sich die Anekdote auf den Zeitpunkt nach ihrem Amtsantritt).
In ihren Memoiren erwähnt sie übrigens auch Hayeks Ideen zu freien konkurrierenden Währungen äusserst wohlwollend - ist da also quasi auf Schäffler-Linie (klassisch liberal).
Wird Zeit, dass ich Charles Moores Biographie mal endlich weiterlese - aktuell fesselt mich jedoch die Cicero-Trilogie von Harris zu sehr ;)
Zitat von Frank2000 im Beitrag #86Ein Staat soll und darf sich nur dann gründen, wenn eine gemeinsame Identität eine Zentralinstanz rechfertigt.
Bevor ich mich in Ihre Diskussion mit R.A. einmische: Ich finde diese Frage, wann sich ein Staat gründen solle und dürfe ziemlich gegenstandslos.
Da bin ich völlig bei Ihnen. Mir liegen solche theoretischen Diskussionen ohnehin nicht. In der Praxis findet sich tatsächlich keine echten "Staatsgründungen" mit Übereinkommen. Das läuft eher so wie mit den Marktregeln bei "emerging order": Es gibt dabei eine Menge Zufälligkeiten, aber es setzt sich nur durch, was auch halbwegs funktioniert. Staaten ohne ein gewisses Minimum an gemeinsamen Interessen zerfallen, andere können erstaunlich stabil sein, weil die Gemeinsamkeiten stark genug vorhanden sind, obwohl man sie vielleicht nicht so leicht erkennt.
Zitat Die Aufgabe des Einstimmigkeitsprinzips im EU-Rat durch den Vertrag von Lissabon war deswegen ein Fehler. Man hätte lieber die Einstimmigkeit behalten sollen und dem EU-Rat dafür keine inhaltliche Mitsprache, sondern nur eine Mitsprache in der Form geben sollen, welche Institution etwas machen darf oder nicht machen darf. So wäre es faktisch unmöglich, daß es EU-weit einheitliche Steuern, Strafgesetze oder sonstwas gäbe. Gleichzeitig wäre mobilitätsfördernde Ordnungspolitik weiterhin möglich.
Das ist eine interessante Denkrichtung. In der Praxis ist es aber m. W. so, daß alle wichtigen Dinge ohnehin einstimmig entschieden werden. Mehrheitsentscheidung kommt zum Zuge, wenn es bei eher nebensächlichen Details nur noch darum geht, ob man nun links oder rechts um den Baum geht. Oder wenn eine Regierung überstimmt werden will, um zu Hause ihre Standhaftigkeit zu demonstrieren.
Mir wäre z. B. kein einziger Punkt bekannt, den die Brexiteers gegen die EU ins Feld führen und der nicht mit der Zustimmung des UK beschlossen worden wäre.
Zitat von R.A. im Beitrag #79Mit Schottland ist das wohl deutlich anders. Ohne die Schotten wäre die Idee des "Great" Britain erledigt und England zurückgeworfen auf seinen mittelalterlichen Kern. Da hilft dann auch keine monarchische Hilfskonstruktion, Meister Petz hat zu Recht auf die Beispiele in Übersee verwiesen.
Interessant in dem Kontext, daß May auf den Antrag des neuen schottischen Unabhängigkeitsreferendums nur gesagt hat, es sei nicht der richtige Zeitpunkt und verbindet es mit der Brexit-Frage. Sie könnte auch sagen, daß es keines geben werde; die Befugnis hätte London. Man kann daraus schließen, daß May die Zugehörigkeit Schottlands zum Vereinigten Königreich tatsächlich opfern würde. Denkbar wäre es, daß Schottland das Unabhängigkeitsreferendum gegen die Zustimmung zum Great Repeal Bill bekäme, wo er in die Zuständigkeit des schottischen Regionalparlaments fällt.
Zitat von R.A. im Beitrag #94Da bin ich völlig bei Ihnen. Mir liegen solche theoretischen Diskussionen ohnehin nicht. In der Praxis findet sich tatsächlich keine echten "Staatsgründungen" mit Übereinkommen.
Zustimmung, dass es die "reine Lehre" einer Staatsgründung durch freien Entschluss der Bürger in der politischen Praxis nie gab. Aber es gab durchaus Dinge, die dem nahe kamen. Zum Beispiel die Frankfurter Reichsverfassung von 1849: Da wurde durch die Abgeordneten (d.h. mittelbar durch das Volk) ein Staat beschlossen, den es zuvor nicht gegeben hatte. Das war auch nicht "nur" ein Zusammenschluss bereits bestehender Staaten zu einem neuen Staat sondern eine komplette Neugründung, die vom Volk ausging. (Erkennbar daran, dass die Verfassung von der Nationalversammlung beschlossen wurde, ohne Beschluss oder Zustimmung der einzelnen Teilstaaten, auf deren Gebiet der neue Staat entstehen sollte).
Zitat von R.A. im Beitrag #94In der Praxis ist es aber m. W. so, daß alle wichtigen Dinge ohnehin einstimmig entschieden werden. Mehrheitsentscheidung kommt zum Zuge, wenn es bei eher nebensächlichen Details nur noch darum geht, ob man nun links oder rechts um den Baum geht.
Exkurs:
Dazu steht interessantes in "die Getriebenen". Als Merkel ihre Idee einer europaweiten Verteilung von Flüchtlingen durchsetzen wollte war es tatsächlich das erste Mal, dass bei einer so grundsätzlichen Frage die "Brechstange" heraus geholt wurde um eine sich wehrende Minderheit zu überstimmen. Was übrigens auch wieder zeigt, wie verbohrt Merkel in dieser Frage war. Alles war aus ihrer Sicht besser als eine deutsche Grenzschließung. Für einen rein symbolischen Beschluss (der letzten Endes ja nur toter Buchstabe bliebt) entzweit man sehenden Auges die EU. Die Folge war logischerweise Verbitterung auf der unterlegenen Seite. Eine weitere Folge war, dass daraufhin in Polen die bisherige PO-Regierung (die Merkels Spiel mitgemacht hatte) mit massiven Verlusten abgewählt wurde.
In der Zwischenzeit hat sich nennenswertes getan, wie sich der Brexit wohl darstellen wird. Hier verknüpfe ich das "white Paper" der Regierung in London, wie sie sich den Brexit im innerstaatlichen Recht vorstellt, damit Brexit-Befürworter endlich ihr Lob über den "Great Repeal Bill" schreiben können.
Mir wurde hier zwar schon erzählt, daß man so ein Gesetz gar nicht so dringend machen müsse, also aus der EU austreten könne wie ein Kaninchenzüchter aus einem Kaninchenzüchterverein, allerdings scheint die Regierung schon zu glauben, daß das UK einen lückenloseren Rechtsrahmen braucht als ein Kaninchenstall.
Ich kenne die Hintergründe nicht so genau. Aber wieso genau glaubt die EU jetzt, Großbritannien Gibraltar abnehmen zu können? Dieses Gebiet gehört seit 300 Jahren zu GB - wer ist jetzt da eigentlich der Brandstifter, da irgendeinen Diskussionsbedarf zu sehen?
___________________ Kommunismus mordet. Ich bin bereit, über die Existenz von Einhörnern zu diskutieren. Aber dann verlange ich außergewöhnlich stichhaltige Beweise.
Zitat von Frank2000 im Beitrag #98Ich kenne die Hintergründe nicht so genau. Aber wieso genau glaubt die EU jetzt, Großbritannien Gibraltar abnehmen zu können? Dieses Gebiet gehört seit 300 Jahren zu GB - wer ist jetzt da eigentlich der Brandstifter, da irgendeinen Diskussionsbedarf zu sehen?
Der Reihe nach: Großbritannien (GB) = England, Wales, Schottland Territorium des Vereinigten Königreichs: GB + Nordirland, aber ohne Überseegebiete des UK Besitzungen der Krone (Isle of Man, Kanalinseln) gehören ebenfalls nicht zum UK. Überseegebiete und Kronbesitz gelten nur als abhängige Gebiete des UK. Das ist keine reine Frage des Innenverhältnisses. Beispielsweise gehören die Falklandinseln auch nicht zum NATO-Gebiet, so daß der Falklandkrieg keine NATO-Angelegenheit war. Die Behandlung solcher abhängiger Gebiete in internationalen Verträgen geschieht immer mit Sondervereinbarungen.
Gibraltar ist nun das einzige Überseegebiet des UK, das zur EU gehört. Es gehört aber nicht zum Schengenraum und auch nicht zur Zollunion. Gibraltar ist also eine "Sondervereinbarung" des UK mit der EU. Hier ist eine Übersicht, welche Teile des EU-Vertragswerkes in welchem Teil welches Staates gelten. Auf diverse rechtliche und geographische Besonderheiten in den Einzelstaaten wird im EU-Recht schon immer Rücksicht genommen.
So, wie Gibraltar per Sondervereinbarung zur EU gekommen ist, formal unabhängig vom UK, weil es ja nicht dessen Teil ist, so müßte prinzipiell auch der Austritt gesondert erwähnt werden. In Mays Austrittserklärung kommt Gibraltar aber gar nicht vor. Was nun? Soll Gibraltar bei der EU bleiben (gewissermaßen als EU-Gebiet, das nur Stimme im EP hätte, aber keine Regierung im Europäischen Rat?) angesichts der Tatsache, daß ja auf Gibraltar 97% sowieso gegen den Brexit waren? Oder soll Gibraltar ausgetreten werden? Da muß London noch nachliefern. Kann ja sein, daß man Gibraltar schlichtweg vergessen hat.
Zitat von Frank2000 im Beitrag #98Ich kenne die Hintergründe nicht so genau. Aber wieso genau glaubt die EU jetzt, Großbritannien Gibraltar abnehmen zu können? Dieses Gebiet gehört seit 300 Jahren zu GB - wer ist jetzt da eigentlich der Brandstifter, da irgendeinen Diskussionsbedarf zu sehen?
Alles viel harmloser.
Die Hintergründe sind so:
Die "Brexit-Verhandlungen" sollen die Beziehungen EU-UK für die Zeit NACH dem Austritt festlegen.
Jedes EU-Mitglied hat das Recht aus der EU auszutreten. Dafür braucht es auch gar keine Verhandlungen. Nur: Durch die Brexit-Verhandlungen will man zu neuen Vereinbarungen kommen, wie das Verhältnis zwischen EU und UK aussehen soll. Andernfalls wäre man zwischen EU und UK in einem "vertragslosen Zustand". Und das wäre für beide Seiten gar nicht gut. Denn man will ja auch in Zukunft miteinander leben.
In den Brexit-Verhandlungen werden nun also in den nächsten 2 Jahren zu Tausenden einzelnen Details neue Vereinbarungen getroffen werden. (Nur mal ein kleines Beispiel: es gibt in der EU Regelungen für die zivile Luftraumüberwachung. Gelten diese Regelungen weiter? Falls ja: Zahlt Großbritannien in Zukunft einen Beitrag für die entsprechende EU-Agentur, die die Überwachung managt? Wenn ja: wie viel? Solche Fragen gibt es viele Tausend.)
Und solche Vereinbarungen wird es auch bezüglich dem Spezialfall Gibraltar geben müssen. Ist soweit auch komplett harmlos.
Nun hat aber Spanien erreicht, dass es für alle Regelungen die Gibraltar betreffen, bei den EU-internen Abstimmungen ein Veto-Recht hat. Es steht nun die Gefahr im Raum, dass Spanien dieses Veto-Recht missbraucht. Also konkret: deutlich mehr spanischen Zugriff auf Gibraltar durchsetzen will und sonst sein Veto einlegt. Und wenn es keine Einigung bezüglich Gibraltar gibt, dann gibt es letztlich keine Einigung über den gesamten Brexit. Also hat Spanien hier ein Druckmittel.
Aber letztlich ist das immer nur ein Druckmittel INNERHALB der Verhandlungen. Wenn Großbritannien Gibraltar mit unverändertem Status behalten will, dann kann es das natürlich. Nur bekommt es dann halt unter Umständen nicht die vielen anderen Vereinbarungen mit der EU, die es dringend braucht.
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