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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
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Llarian Offline



Beiträge: 7.120

10.04.2017 22:16
#126 RE: Bottom up oder top down? Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #122
Sondern der Denkfehler liegt darin zu glauben, diese Fehler hätten ursächlich etwas mit der Tatsache zu tun, daß auf EU-Ebene entschieden wird und nicht weiter unten.

Das ist kein Denkfehler sondern eine bisweilen triviale Tatsache. (Politische) Fehler treten vor allem da auf, wo wenig bis gar keine Kontrolle mehr stattfindet. Auf kommunaler Ebene könnte die Kontrolle kaum näher dran sein, denn jeder Bürgermeister (umso kleiner umso mehr) sieht sich direkt mit den Folgen seiner Politik konfrontiert und muss dafür gerade stehen. Auf EU Ebene ist das nahezu völlig entkoppelt, Rechenschaft existiert kaum in der Theorie und am Ende hat es keinerlei negative Konsequenzen für die "Beschliesser" was sie da verbrechen. Passendes Zitat Juncker: "Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter - Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt." und natürlich das unvermeindliche: ""Wenn es ernst wird, muss man lügen."

Zitat
Es gibt ja nun wirklich genug miese Gesetze und Maßnahmen, die auf Ebene der Bundesregierung beschlossen werden.


Richtig. Aber für die hat es wenigstens minimale Konsequenzen. Wo ist die Konsequenz aus dem Glühbirnenverbot?

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

11.04.2017 10:13
#127 RE: Bottom up oder top down? Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #126
(Politische) Fehler treten vor allem da auf, wo wenig bis gar keine Kontrolle mehr stattfindet.

Das ist grundsätzlich richtig. Nur ist es selbst auf kommunaler Ebene fast nie so, daß jemand für irgendwelche Fehler gerade stehen müßte. Ich habe in 30 Jahren aktiver Kommunalpolitik viele Fehler gesehen, einige davon massiv, aber ein einziges Mal eine Nicht-Wiederwahl (was den Betreffenden nur mäßig getroffen hat).
Auf höheren Ebenen ist das auch extrem selten. Schröder ist für seine Fehlleistungen mit fetten Kreml-Geldern belohnt worden und Merkel dürfte auch nichts zu befürchten haben.

Auf EU-Ebene sind die Kontrollen eher besser ausgeprägt, weil schlecht arbeitende Kommissare durchaus mit Degradierung oder Ablösung rechnen müssen - sie können sich nicht darauf verlassen, durch Koalitionsarithmetik geschützt zu werden.

Zitat
... am Ende hat es keinerlei negative Konsequenzen für die "Beschliesser" was sie da verbrechen.


Wie auf allen Ebenen.

Zitat
Passendes Zitat Juncker


Nein, kein passendes Zitat. Weil Juncker nur ganz normales politisches Vorgehen beschreibt. Ist eine vernünftige Taktik für gewisse Themen (und paßt zur Mentalität von Juncker, andere Politiker gehen anders vor), typisch für die EU ist das nicht.

Zitat

Zitat
Es gibt ja nun wirklich genug miese Gesetze und Maßnahmen, die auf Ebene der Bundesregierung beschlossen werden.


Richtig. Aber für die hat es wenigstens minimale Konsequenzen. Wo ist die Konsequenz aus dem Glühbirnenverbot?


[/quote]
Wo ist die Konsequenz für die Nahles-Gesetze? Wo ist die Konsequenz für Blüms Realitätsverweigerung? Wo ist die Konsequenz für die Schuldenpolitik diverser deutscher Landesregierungen?

Es gibt wahrscheinlich in Relation mehr EU-Regeln die wieder zurückgenommen wurden als bei der nationalen Gesetzgebung, in der das die krasse Ausnahme ist.
Selbst die berüchtigte Gurkenkrümmungsverordnung ist schon längst wieder zurückgenommen worden, weil sie bei Unwissenden für Anti-EU-Vorwürfe mißbraucht wurde. Sie wird aber in der Branche weiterhin als informelle Norm angewendet, eben weil sie sinnvoll war.

Jedenfalls können "Kontrolle" oder gar "Konsequenzen bei schlechter Gesetzgebung" kaum Argumente für die deutsche Einheit sein. Es gibt so viele Beispiele für miese Bundesgesetze (siehe z. B. aktuell das Zensurgesetz von Maas), daß die EU-Gegner konsequenterweise auch die Rückabwicklung der Reichseinigung von 1871 fordern müßten.
Und wenn ich mir die Bilanz unseres Oberbürgermeisters anschaue, wäre die Eingemeindung meines Stadtteils auch zu überdenken.

dirk Offline



Beiträge: 1.538

11.04.2017 11:54
#128 RE: Bottom up oder top down? Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #127

Zitat
Passendes Zitat Juncker

Nein, kein passendes Zitat. Weil Juncker nur ganz normales politisches Vorgehen beschreibt. Ist eine vernünftige Taktik für gewisse Themen (und paßt zur Mentalität von Juncker, andere Politiker gehen anders vor), typisch für die EU ist das nicht.



Doch, denn diese Taktik ist in der EU besonders wirksam weil hier die Kontrolle durch eine gemeinsame Oeffentlichkeit fehlt und eine transparente, parlamentarische Gesetzgebung. Hinzu kommt die "Wir sind die progressiven Europaer und wissen besser was gut fuers Volk ist und wir schreiben Geschichte Mentalitaet".

Diese Blase und Arroganz wird noch gefoerdert durch die Ueberbezahlte Nieten (Jorgo Chatzimarkakis um nur einen zu nennen, die FDP hat(te) viele davon ), deren Rolle es ist ein Parlament zu simulieren, oder die in der Administration sitzen, die ohne EU nur einen Bruchteil verdienen wurde und so von der "Europaischen Idee" abhaengig sind.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

11.04.2017 12:52
#129 RE: Bottom up oder top down? Antworten

Zitat von dirk im Beitrag #128
diese Taktik ist in der EU besonders wirksam weil hier die Kontrolle durch eine gemeinsame Oeffentlichkeit fehlt

"Gemeinsam" ist die Öffentlichkeit noch fast nicht, aber öffentliche Kontrolle gibt es reichlich. Die Presse schaut der EU-Ebene viel kritischer auf die Finger als national üblich.
Es ist völlig normal daß regelmäßig Schlagzeilen gemacht werden mit irgendwelchen als kritikwürdigen EU-Vorlagen (Tenor: Die blöden Eurokraten wieder ...). Auch wenn diese Schlagzeilen oft gar nicht auf echten Plänen beruhen.
Siehe das Beispiel mit den Gurken: Eine sinnvolle und von der Branche gewünschte Normierung, die dann wegen dümmlich-populistischer Zeitungsattacken wieder gestrichen wurde.

Auf der nationalen Ebene gibt es viel weniger Kontrolle oder gar Kritik. Die meisten Gesetzesvorlagen in Berlin werden kommentarlos durchgelassen, selbst krasse Skandale wie das Zensurgesetz führen zu weniger veröffentlichter Empörung als irgendeine EU-Initiative zur Apfelwein-Bezeichnung.

Zitat
und eine transparente, parlamentarische Gesetzgebung.


Die EU-Gesetzgebung ist vorbildlich transparent. Alle Vorlagen werden in allen Zwischenschritten veröffentlicht und sind im Internet nachlesbar. So gut informiert kein nationales Parlament.

Zitat
Hinzu kommt die "Wir sind die progressiven Europaer und wissen besser was gut fuers Volk ist und wir schreiben Geschichte Mentalitaet".


Manche Politiker haben solche Ideen, andere nicht. Genau wie auf der nationalen Ebene.

Zitat
Diese Blase und Arroganz wird noch gefoerdert durch die Ueberbezahlte Nieten ...


Auch die gibt es mit mindestens so hohem Anteil in den nationalen Parlamenten. Von den Landtagen ganz zu schweigen ...

Es spricht überhaupt nichts dagegen, bessere Politiker ins EP zu wählen und dort bessere Entscheidungen zu fällen.
Aber ein Argument gegen die EU sind die typischen Mängel der parlamentarischen Demokratie nicht.

Emulgator Offline



Beiträge: 2.875

11.04.2017 13:35
#130 RE: Bottom up oder top down? Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #126
Passendes Zitat Juncker:
So zitierte Dirk Koch im Jahre 1999, als Juncker noch nationaler Regierungschef war. Von dem Rest in Kochs Artikel ist hernach nicht viel übriggeblieben. Weder gibt Europol Ermittlungsaufträge, noch gibt es eine 150.000 Mann EU-Streitmacht. Die Voraussage im Artikel, daß die Briten zur Eurozone dazustoßen würden, haben sich mit dem Brexit ja unstrittig erledigt. Goldig auch: "Mindestens 60 Prozent der deutschen Innenpolitik, sagt sogar Europaskeptiker Edmund Stoiber, werden heute in Brüssel gemacht." -- Der Europaskeptiker hat hernach selber eine Stelle bei der Kommission "zum Bürokratieabbau" angenommen (etwas, wofür er in Bayern nicht bekannt gewesen ist), und die 60% waren schon damals alternative Fakten.

Zitat von Llarian im Beitrag #126
Wo ist die Konsequenz aus dem Glühbirnenverbot?
Der Umweltminister, der das weltweit erste Glühbirnenverbot 2007 in Australien arrangiert hat, ist jetzt dort Premierminister (Malcolm Turnball, Liberal Party). Ziemlich wirr ist hierbei, daß 2007 Australien am Kyoto-Protokoll noch nicht teilnehmen wollte, die Glühbirnen aber wegen des Treibhauseffekts verboten wurden.
Der europäische Protagonist des Glühbirnenverbots hatte das Amt des deutschen Umweltministers inne und ist jetzt ebenda Minister für touristische Dienstreisen in reiche Länder sowie --was ich ihm vom Herzen gönne-- glücklicher Familienvater.

Werwohlf Offline




Beiträge: 997

14.04.2017 04:12
#131 RE: Bottom up oder top down? Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #129
Die Presse schaut der EU-Ebene viel kritischer auf die Finger als national üblich.
Es ist völlig normal daß regelmäßig Schlagzeilen gemacht werden mit irgendwelchen als kritikwürdigen EU-Vorlagen (Tenor: Die blöden Eurokraten wieder ...).
Im Verhältnis zu dem Mist, der dort aber tatsächlich verzapft wird, ist die Kritik trotz prominenter und z.T. wenig überzeugender Kritik aus meiner Sicht eher bescheiden. In der Regel ist es ja so, dass die deutsche Öffentlichkeit erst von in Brüssel/Straßburg längst Beschlossenem erfährt, wenn es in ein deutsches Gesetz umgesetzt werden muss. Und dann ist die Messe natürlich längst gelesen.

--
Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau,
verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau.
(Reinhard Mey)

Ulrich Elkmann Online




Beiträge: 14.542

18.04.2017 12:29
#132 RE: Bottom up oder top down? Antworten

http://www.spiegel.de/politik/ausland/th...-a-1143687.html

Zitat
Regierungschefin May will Neuwahlen im Juni

Großbritanniens Premierministerin Theresa May hat Neuwahlen zum Unterhaus angekündigt. Die Abstimmung soll am 8. Juni stattfinden. May erhofft sich ein klares Mandat für den Austritt aus der EU.



"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire

Florian Offline



Beiträge: 3.179

18.04.2017 14:45
#133 RE: Bottom up oder top down? Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #132
http://www.spiegel.de/politik/ausland/theresa-may-grossbritannien-soll-am-8-juni-vorzeitig-waehlen-a-1143687.html

Zitat
Regierungschefin May will Neuwahlen im Juni

Großbritanniens Premierministerin Theresa May hat Neuwahlen zum Unterhaus angekündigt. Die Abstimmung soll am 8. Juni stattfinden. May erhofft sich ein klares Mandat für den Austritt aus der EU.




Seltsam.
Die Notwendigkeit oder Sinnhaftigkeit eines "klaren Mandats durch Neuwahl" sehe ich zu diesem Zeitpunkt eigentlich nicht.

Das Mandat für die Austrittsverhandlungen hat die britische Regierung ja schon durch das Brexit-Referendum.

Man kann darüber streiten, ob dies auch bereits so gedeutet werden kann, dass das Volk durch das Brexit-Referendum bereits jedes mögliche Verhandlungsergebnis mandatiert hat.
Wenn man das nicht so sieht, dann wäre es ggf. sinnvoll gewesen, erst einmal zu verhandeln und dann mit dem Verhandlungsergebnis vor das Volk zu treten (entweder in Form eines neuen Referendums. Oder in Form von Neuwahlen und dann das neu gewählte Unterhaus den Vertrag ratifizieren zu lassen).

Durch die jetztigen Neuwahlen führt May ihr Land aber nun endgültig ins Chaos.

Nehmen wir mal an, eine Partei positioniert sich im Wahlkampf Brexit-kritisch und gewinnt die Wahl: Wie ist das dann zu interpretieren?
Ist das dann der Wähler-Auftrag, den Brexit doch nicht durchzuführen?
(Wohl kaum. Bei Wahlen gibt es immer ein buntes Wahlprogramm. Es gibt aber keine Verpflichtung für eine Partei, jeden einzelnen Punkt ihres Wahlprogramms eins zu eins umzusetzen. Während es bei einer Volksabstimmung nur um einen einzigen Punkt geht - und der muss dann aber auch umgesetzt werden.
Eine Unterhauswahl kann daher den Brexit-Beschluss m.E. nicht einfach aushebeln. Was somit auch das Ziel des "klaren Mandats" ad absurdum führt).

Außerdem: Die Brexit-Verhandlungen werden jetzt erst mal bis Juni auf Eis liegen. Falls dann Labour die Wahl gewinnt, müssen die neuen Minister sich erst mal in die Materie einarbeiten. Dann sind in Brüssel Sommerferien, so dass frühestens im September mit den Verhandlungen begonnen werden kann (realistischerweise erst im November, weil bis dahin Deutschland wegen der Bundestagswahl nicht handlungsfähig ist).
Wird also schon SEHR knapp, wenn man den Brexit-Zeitplan lt. EU-Vertrag noch einhalten will.
May wirft hier also einige Monate (April-August), in denen man gut und effizient hätte verhandeln können, einfach zum Fenster raus.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

18.04.2017 15:29
#134 RE: Bottom up oder top down? Antworten

Zitat von Florian im Beitrag #133
Die Notwendigkeit oder Sinnhaftigkeit eines "klaren Mandats durch Neuwahl" sehe ich zu diesem Zeitpunkt eigentlich nicht.

Die gibt es auch nicht.
May versucht hier schlicht die günstig erscheinende Lage noch auszunutzen, bevor den Wählern die vielen Probleme im Zusammenhang mit dem Brexit bewußt werden.

Zitat
Das Mandat für die Austrittsverhandlungen hat die britische Regierung ja schon durch das Brexit-Referendum.
Man kann darüber streiten, ob dies auch bereits so gedeutet werden kann, dass das Volk durch das Brexit-Referendum bereits jedes mögliche Verhandlungsergebnis mandatiert hat.


So war das Referendum natürlich nicht gemeint, das war ja immer nur als unverbindlicher Stimmungstest gedacht gewesen (und so stand es auch in der entsprechenden Parlamentsvorlage). Dieses "Das Volk hat verbindlich entschieden" ist eine nachträgliche Umdeutung durch die Brexiteers.

Zitat
Wenn man das nicht so sieht, dann wäre es ggf. sinnvoll gewesen, erst einmal zu verhandeln und dann mit dem Verhandlungsergebnis vor das Volk zu treten (entweder in Form eines neuen Referendums. Oder in Form von Neuwahlen und dann das neu gewählte Unterhaus den Vertrag ratifizieren zu lassen).


Exakt das und nur das wäre das sinnvolle Vorgehen gewesen. Die laufende Amtszeit des Parlaments und damit das Mandat der Regierung deckt die volle Verhandlungsdauer ab und mit dem Ergebnis hätte man eine valide Grundlage gehabt, erneut vors Wahlvolk zu treten.
Aber genau das will May natürlich nicht, weil sie sehr wohl weiß, daß das Ergebnis nicht zu den Erwartungen der Bürger passen wird.

Zitat
Durch die jetztigen Neuwahlen führt May ihr Land aber nun endgültig ins Chaos.


Nicht zwangsläufig, aber das hohe Risiko nimmt sie in Kauf.

Zitat
Nehmen wir mal an, eine Partei positioniert sich im Wahlkampf Brexit-kritisch und gewinnt die Wahl


Das ist ungeachtet der aktuellen Umfragen gar nicht so unwahrscheinlich. Weil das britische Wahlrecht ja erhebliche Verzerrungen zuläßt - es kommt nur auf die relativen Stärken in jedem Wahlkreis an. Auf jeden Fall werden die normalen Parteipräferenzen sehr durch die Brexit-Frage überlagert, wahrscheinlich sogar dominiert. Und da ist letztlich entscheidend, ob sich die Pro- bzw. Contra-Stimmen auf einen Kandidaten konzentrieren oder auf mehrere verteilen.

Zitat
Ist das dann der Wähler-Auftrag, den Brexit doch nicht durchzuführen?


Eigentlich schon. Denn das spätere Wählervotum schlägt das frühere, und die Volksabstimmung ging eben nur unverbindlich und um die Einreichung der Kündigung - das ist geschehen.

Zitat
Außerdem: Die Brexit-Verhandlungen werden jetzt erst mal bis Juni auf Eis liegen.


It's not a bug, it's a feature.
May kalkuliert offenbar auf den "hard brexit". Und der ist leichter zu begründen, wenn schlicht die zwei Jahre nicht gereicht haben. Ansonsten müßte man ja darlegen, warum man schlecht verhandelt hat.

Zitat
May wirft hier also einige Monate (April-August), in denen man gut und effizient hätte verhandeln können, einfach zum Fenster raus.


Was will sie denn "gut und effizient" verhandeln, wenn sie immer noch kein Konzept und Verhandlungsziel hat?





[/quote]

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

18.04.2017 16:14
#135 RE: Bottom up oder top down? Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #134
Zitat von Florian im Beitrag #133
Die Notwendigkeit oder Sinnhaftigkeit eines "klaren Mandats durch Neuwahl" sehe ich zu diesem Zeitpunkt eigentlich nicht.

Die gibt es auch nicht.
May versucht hier schlicht die günstig erscheinende Lage noch auszunutzen, bevor den Wählern die vielen Probleme im Zusammenhang mit dem Brexit bewußt werden.

Genau. Es gibt noch ein paar kleinere Nebenpunkte, die die Opportunität des Augenblicks verstärken, beispielsweise daß einige der konservativen Abgeordneten wegen Unregelmäßigkeiten wg. Wahlkampffinanzierung bei der letzten Runde (General Election 2015) vor den Kadi sollten, und daß der Hauptkonkurrent, die Labour-Partei, unter "Führung" ihres unseligen Vorsitzenden Corbyn, der zwar herumfaselt, was seine Linksrichtung im Lande "besser" machen würde, aber bei den konkreten Abstimmungen die Regierungslinie unterstützt, in sich gespalten ist und mit ihrem Schlingerkurs phänomenal schlechte Umfragewerte einfährt.*

Zitat von R.A. im Beitrag #134

Zitat
Nehmen wir mal an, eine Partei positioniert sich im Wahlkampf Brexit-kritisch und gewinnt die Wahl

Das ist ungeachtet der aktuellen Umfragen gar nicht so unwahrscheinlich. Weil das britische Wahlrecht ja erhebliche Verzerrungen zuläßt - es kommt nur auf die relativen Stärken in jedem Wahlkreis an. Auf jeden Fall werden die normalen Parteipräferenzen sehr durch die Brexit-Frage überlagert, wahrscheinlich sogar dominiert. Und da ist letztlich entscheidend, ob sich die Pro- bzw. Contra-Stimmen auf einen Kandidaten konzentrieren oder auf mehrere verteilen.


Im Prinzip ließe das "first past the post"-Wahlrecht einen Erdrutsch zu - wenn alle Remain-Wähler konsequent die stärkste Partei, die sich klar und ohne Wackeln gegen den Brexit positioniert hat, nämlich die Liberal Democrats, wählen würden, dann wären diese die nächste Regierungspartei. Praktisch aber steckt das Zwei-Parteien-System sowie auch das Prinzip, die Partei zu wählen, die man von seinen Großeltern geerbt hat (ein Relikt der Klassengesellschaft) zu sehr in den Köpfen. Für viele Wähler sieht die Alternative also nach "super hard Brexit" (Conservatives) vs. "somehow socialistically softened Brexit" (oder für was immer Labour nun tatsächlich stehen mag) aus. Eine Abstimmung über das Ergebnis der Brexit-Verhandlungen kann diese Wahl daher nicht wirklich ersetzen. Das will May selbstverständlich auch nicht, sie will eine durch die Labour-Schwäche konsolidierte Regierungsmehrheit (ggf. mit Elimination als "Remainer" verdächtiger konservativer MPs), die sie dann als "overwhelming mandate for Brexit" uminterpretieren kann.

Das Uminterpretieren sämtlicher politischer Prozesse und Ergebnisse ist ein auffälliges Charakteristikum der derzeitigen Geschehnisse im Vereinigten Königreich. Auch die am 4. Mai anstehenden Kommunalwahlen, bei denen es doch eigentlich um lokale Interessen gehen sollte, wurden bereits ganz unverfroren von der konservativen Partei ge-hijackt.

Zitat von Conservatives
A Conservative vote on Thursday 4 May is a vote for our Plan for Britain.


Irrsinn.

Zitat von R.A. im Beitrag #134

Zitat
Außerdem: Die Brexit-Verhandlungen werden jetzt erst mal bis Juni auf Eis liegen.

It's not a bug, it's a feature.
May kalkuliert offenbar auf den "hard brexit". Und der ist leichter zu begründen, wenn schlicht die zwei Jahre nicht gereicht haben. Ansonsten müßte man ja darlegen, warum man schlecht verhandelt hat.

Zitat
May wirft hier also einige Monate (April-August), in denen man gut und effizient hätte verhandeln können, einfach zum Fenster raus.


Was will sie denn "gut und effizient" verhandeln, wenn sie immer noch kein Konzept und Verhandlungsziel hat?



Exactly. Heute wurde klarer denn je, daß diese Regierung überhaupt keine Absicht hat, irgendetwas zu verhandeln.
Wie weit sie hierbei in die Zukunft geplant hat, darüber kann man spekulieren, aber eines steht fest: von solider, tüchtiger Regierungsarbeit kann hier hinten und vorne nicht einmal ansatzweise die Rede sein.

*Nachtrag: Jeremy Corbyn in seiner hartnäckigen Realitätsresistenz entblödet sich auch nicht, die Neuwahlen gutzuheißen. Interessant übrigens seine Wortwahl:

Zitat
...a government that will put the interests of the majority first


Die Interessen der Mehrheit an erste Stelle setzen? Das tun doch alle. Viel wichtiger wäre in der gegenwärtigen Situation massiver Spaltung, daß die Regierung auch die Interessen der (nicht gerade kleinen) Minderheiten ernst nimmt.

Emulgator Offline



Beiträge: 2.875

19.04.2017 00:11
#136 RE: Bottom up oder top down? Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #134
Zitat von Florian im Beitrag #133
Die Notwendigkeit oder Sinnhaftigkeit eines "klaren Mandats durch Neuwahl" sehe ich zu diesem Zeitpunkt eigentlich nicht.

Die gibt es auch nicht.
May versucht hier schlicht die günstig erscheinende Lage noch auszunutzen, bevor den Wählern die vielen Probleme im Zusammenhang mit dem Brexit bewußt werden.

"Klares Mandat" ist natürlich PR-Sprache. Gemeint ist eher die unklare Lage jetzt. May steht jetzt vor der Situation, daß sie ihr Great Repeal Bill durchs Parlament bringen muß und dabei erstens sachliche Ablehungen wegen Details erfährt und zum anderen schlichtweg erpressbar ist. Das ist eine ziemliche Zwickmühle. Normalerweise bleibt ein Gesetzesvorhaben einfach liegen, wenn es über wichtige Details keine Einigung gibt (z.B. Trumps Initiative gegen Obamacare). Man behält einfach den Status Quo. Normalerweise hat man aber auch nicht die Situation, daß ein Gesetz erlassen werden muß, weil die bestehenden, funktionierenden Regelungen ab Stichtag (Brexit-Day) ihre Geltung verlieren. Ich glaube, die Situation haben alle einfach unterschätzt. Es ist deswegen nachvollziehbar, wenn May jetzt einfach "die Karten neu mischen" lassen will, gewissermaßen andere (die Wähler) irgendetwas entscheiden läßt, weil sie selbst nichts besseres mehr weiß.

Ich glaube nicht, daß sie die günstig erscheinende Lage ausnutzen wolle, bevor die Probleme mit dem Brexit bewußt werden. Eine Wahl nach dem Brexit kommt ja (voraussichtlich) sowieso. Und womöglich werden die richtig ungünstigen Brexit-Folgen erst nach einiger Zeit bemerkbar sein.

Frankenstein Offline




Beiträge: 891

19.04.2017 01:20
#137 RE: Bottom up oder top down? Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #134
Zitat von Florian im Beitrag #133
Die Notwendigkeit oder Sinnhaftigkeit eines "klaren Mandats durch Neuwahl" sehe ich zu diesem Zeitpunkt eigentlich nicht.

Die gibt es auch nicht.
May versucht hier schlicht die günstig erscheinende Lage noch auszunutzen, bevor den Wählern die vielen Probleme im Zusammenhang mit dem Brexit bewußt werden.

Zitat
Nehmen wir mal an, eine Partei positioniert sich im Wahlkampf Brexit-kritisch und gewinnt die Wahl

Das ist ungeachtet der aktuellen Umfragen gar nicht so unwahrscheinlich. Weil das britische Wahlrecht ja erhebliche Verzerrungen zuläßt - es kommt nur auf die relativen Stärken in jedem Wahlkreis an. Auf jeden Fall werden die normalen Parteipräferenzen sehr durch die Brexit-Frage überlagert, wahrscheinlich sogar dominiert. Und da ist letztlich entscheidend, ob sich die Pro- bzw. Contra-Stimmen auf einen Kandidaten konzentrieren oder auf mehrere verteilen.


Also erstmal ist es legitim und richtig, dass May einen klaren Regierungsauftrag für ihre Politik will (man hätte sich auch in Deutschland Neuwahlen gewünscht angesichts Merkels an Landesverrat grenzender Flutung Deutschlands mit großenteils frauenfeindlichen, chauvinistischen, muslimischen Analphabeten aus zu Deutschland inkompatiblen Kulturkreisen).

Des Weiteren werden die Konservativen nicht nur von Labours Schwäche profitieren, sondern eben auch viele EU-kritische UKIP-Wähler zurückgewinnen können. Die sozialliberalen Liberaldemokraten werden sich zwar verbessern (zwangsläufig, angesichts des desaströsen Ergebnisses bei den vorangegangenen Wahlen), aber nie und nimmer in politisch signifikanten Ausmassen - da ist es sogar noch wahrscheinlicher, dass die SNP einige Mandate in Schottland wieder verliert.

Mit einer klaren konservativen Regierungsmehrheit können die EU-Schergen unter den Tories die Premierministerin nicht mehr ausbremsen und/oder ihr in den Rücken fallen. Darum dürfte es hier gehen.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

19.04.2017 11:32
#138 RE: Bottom up oder top down? Antworten

Zitat von Frankenstein im Beitrag #137
Also erstmal ist es legitim und richtig, dass May einen klaren Regierungsauftrag für ihre Politik will ...

Sie hat einen klaren Regierungsauftrag. Ihr Neuwahlplan ist legal, aber nicht legitim - sie verweigert weiterhin die Vorlage abstimmungsfähiger Konzepte, über die man im Wahlkampf streiten und entscheiden könnte.

Letztlich nutzt sie die desolate Lage Labours aus, um sich einen Blankoscheck fürs weitere Vorgehen zu besorgen. Was auch nur funktioniert, weil Labour-Chef Corbyn so unfaßbar unfähig und dumm ist und ihr die nötige Zweidrittelmehrheit vorbehaltlos schenkt.

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

19.04.2017 11:42
#139 RE: Bottom up oder top down? Antworten

Zitat von Frankenstein im Beitrag #137
Also erstmal ist es legitim und richtig, dass May einen klaren Regierungsauftrag für ihre Politik will...

Daß sie es will, mag ja richtig sein, aber daß ein "klarer Regierungsauftrag" jetzt auf einmal so wichtig sein soll, nachdem man uns 10 Monate lang ununterbrochen erklärt hat, daß eine "überwältigende Mehrheit" im Referendum den "Willen des Volkes" repräsentiere und ein "klares Mandat" für welchen Ausstieg auch immer konstituiere, und nachdem May auf Grundlage dieses angeblich so "klaren Mandats" schon die Austrittserklärung eingereicht hat, ist schon etwas seltsam. Die Methode ist auch nicht gerade die feine englische Art - mal eben so das Parlament auflösen, weil der Hauptkonkurrent in den Umfragen schlecht fährt und seine Oppositions-Rolle gerade nicht auf die Reihe kriegt, spricht nicht gerade für Wertschätzung der Demokratie.
Es ist ziemlich durchsichtig, daß May darauf hofft, hier einen leichten Sieg einzufahren, den sie dann als das Pro-Brexit-Votum verkaufen kann, welches sie in einem tatsächlichen spezifischen Referendum (bei dem sie statt hohlem Geschwafel endlich mal eine klare Vorstellung von Britanniens Situation außerhalb der EU vorlegen müßte) wahrscheinlich nicht erzielen würde.
Zitat von Frankenstein im Beitrag #137
Mit einer klaren konservativen Regierungsmehrheit können die EU-Schergen unter den Tories die Premierministerin nicht mehr ausbremsen und/oder ihr in den Rücken fallen. Darum dürfte es hier gehen.

"EU-Schergen", "in den Rücken fallen"... das ist Daily Mail-Speak in Reinkultur ("Crush the Saboteurs") und entspricht in keinster Weise der Realität. Sie redet schon seit Monaten von Einheit, wie das Land so schön hinter ihr zusammenrückt auf dem glorreichen Weg ins Nirwana - das ist bloße Rhetorik, um jede Kritik als Sabotage zu diskreditieren (wichtig, da nicht der geringste Vorteil des Brexit am Horizont aufschimmert und die großen Versprechungen inzwischen alle als Chimären entlarvt sind, während die seit langem vorgebrachten Kritikpunkte langsam Realität werden), und offenbart einen Wirklichkeitssinn und ein Demokratieverständnis von Honecker-Kaliber.

El País hat es treffend auf den Punkt gebracht:

Zitat von El País
Salvando las obvias diferencias, como por ejemplo que en Reino Unido no hay 150 periodistas en la cárcel, May se ha decantado por la opción turca.
Abgesehen von den offensichtlichen Unterschieden, wie z.B. daß im Vereinigten Königreich nicht 150 Journalisten im Gefängnis sitzen, hat sich May für die türkische Option entschieden.



Nachtrag:
Oder für den, der es etwas klassischer mag, hier Genosse Lenin:

Zitat von Fainsod, Hough: How the Soviet Union is Governed (1990)
When criticized for dissolving the assembly, Lenin replied:
"[...] The Constituent Assembly which failed to recognize the power of the people, is now dispersed by the will of the Soviet power ... All power to the Soviets! And we shall crush the saboteurs."


Großbritannien ist im Griff einer relativ kleinen Gruppe von Hardlinern, die jeden Trick ausnutzen, sich den Anschein einer Bevölkerungsmehrheit zu geben, und diese dann (so klein sie auch sein mag) als den Willen des Volkes ausgeben, was jeden Andersdenkenden als Abweichler und Saboteur ausgrenzt. Brekschewisten.

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

19.04.2017 13:07
#140 RE: Bottom up oder top down? Antworten

Zitat
Die Methode ist auch nicht gerade die feine englische Art - mal eben so das Parlament auflösen, weil der Hauptkonkurrent in den Umfragen schlecht fährt und seine Oppositions-Rolle gerade nicht auf die Reihe kriegt, spricht nicht gerade für Wertschätzung der Demokratie.


Ob die Art fein ist oder nicht, obliegt natürlich dem deutschen Arbitrarismus, und ob sie bezüglich der "Wertschätzung der Demokratie" den deutschen Vorzeigestandards genügt, kann man auch diskutieren; aber eines ist sie auf jeden Fall: englisch . Denn das englische Wahlsystem hat traditionell immer genau so funktioniert: Die Wahlperiode schrieb der PM lediglich vor, bis wann sie spätestens das Parlament aufzulösen (bzw von der Queen die Auflösung zu erbitten) und Neuwahlen zu veranstalten hatte. Wann sie das tat, war allein ihre Entscheidung, und alle PM bisher haben versucht, einen strategisch günstigen Zeitpunkt dafür zu finden.

2011 hat man versucht, das zu ändern ("Fixed term Parliaments Act") und feste Wahltermine einzuführen. Allerdings sind die Hürden, das zu umgehen und Neuwahlen anzusetzen, durchaus nicht unüberwindlich (das Parlament kann sich mit 2/3-Mehrheit selbst auflösen).

Jedenfalls liegt es in der DNA englischer Regierungen, Wahltermine zum eigenen Vorteil anzusetzen. Bestes Beispiel ist Thatchers Wahl 1983 (auch um über ein Jahr "vorgezogen").

Gruß Petz

Free speech is so last century. (Brendan O'Neill)

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

19.04.2017 14:42
#141 RE: Bottom up oder top down? Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #140
Ob die Art fein ist oder nicht, obliegt natürlich dem deutschen Arbitrarismus, und ob sie bezüglich der "Wertschätzung der Demokratie" den deutschen Vorzeigestandards genügt, kann man auch diskutieren; aber eines ist sie auf jeden Fall: englisch . Denn das englische Wahlsystem hat traditionell immer genau so funktioniert: Die Wahlperiode schrieb der PM lediglich vor, bis wann sie spätestens das Parlament aufzulösen (bzw von der Queen die Auflösung zu erbitten) und Neuwahlen zu veranstalten hatte. Wann sie das tat, war allein ihre Entscheidung, und alle PM bisher haben versucht, einen strategisch günstigen Zeitpunkt dafür zu finden.

2011 hat man versucht, das zu ändern ("Fixed term Parliaments Act") und feste Wahltermine einzuführen. Allerdings sind die Hürden, das zu umgehen und Neuwahlen anzusetzen, durchaus nicht unüberwindlich (das Parlament kann sich mit 2/3-Mehrheit selbst auflösen).

Jedenfalls liegt es in der DNA englischer Regierungen, Wahltermine zum eigenen Vorteil anzusetzen. Bestes Beispiel ist Thatchers Wahl 1983 (auch um über ein Jahr "vorgezogen").

Gruß Petz

Der Vergleich mit 1983 hinkt gewaltig. "Auch um über ein Jahr vorgezogen" stimmt nicht - 1983 waren es 47 Wochen, das war taktisch, aber noch nicht obszön. Aber hier geht es um satte 3 Jahre. Ist zwar legal, aber doch sehr fragwürdig, insbesondere in der derzeitigen, von dieser Regierung selbst herbeigeführten Situation.
Sicher, "englisch". Aber die britische Verfassung beruht eben auf Tradition, dem gentlemen's agreement. Und das, was May gerade abzieht, ist alles andere als sportlich.

Zum Punkt "Wertschätzung der Demokratie": wie ist uns nicht in den letzten Monaten immer vorgebetet worden, es dürfe auf keinen Fall ein weiteres Referendum zum Brexit geben (obwohl die eigentliche Form der britischen Zukunft im letzten Referendum noch gar nicht definiert war), weil das "die Demokratie" beschädigen würde. Aber nach kaum 2 Jahren Neuwahlen anzusetzen, um die ohnehin schwache Opposition auszuradieren, das beschädigt die Demokratie nicht?

hubersn Offline



Beiträge: 1.342

19.04.2017 15:49
#142 RE: Bottom up oder top down? Antworten

Zitat von Fluminist im Beitrag #139

El País hat es treffend auf den Punkt gebracht:

Zitat von El País
Salvando las obvias diferencias, como por ejemplo que en Reino Unido no hay 150 periodistas en la cárcel, May se ha decantado por la opción turca.
Abgesehen von den offensichtlichen Unterschieden, wie z.B. daß im Vereinigten Königreich nicht 150 Journalisten im Gefängnis sitzen, hat sich May für die türkische Option entschieden.



Was ist denn daran treffend? Ich sehe keinerlei Gemeinsamkeiten zwischen dem Ansetzen von Neuwahlen und gravierenden Verfassungsänderungen.

Gruß
hubersn

--
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Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

19.04.2017 16:43
#143 RE: Bottom up oder top down? Antworten

Zitat von hubersn im Beitrag #142
Zitat von Fluminist im Beitrag #139

El País hat es treffend auf den Punkt gebracht:

Zitat von El País
Salvando las obvias diferencias, como por ejemplo que en Reino Unido no hay 150 periodistas en la cárcel, May se ha decantado por la opción turca.
Abgesehen von den offensichtlichen Unterschieden, wie z.B. daß im Vereinigten Königreich nicht 150 Journalisten im Gefängnis sitzen, hat sich May für die türkische Option entschieden.



Was ist denn daran treffend? Ich sehe keinerlei Gemeinsamkeiten zwischen dem Ansetzen von Neuwahlen und gravierenden Verfassungsänderungen.

Gruß
hubersn


Ah, das tertium comparationis kommt etwas danach im Artikel:

Zitat
Al estilo del presidente Erdogan [...] lo que busca May es aniquilar la oposición parlamentaria y concentrar la máxima autoridad posible en sus manos.
Im Stil von Präsident Erdogan [...] versucht May die parlamentarische Opposition auszulöschen und maximale Macht in ihrer Hand zu konzentrieren.


Übrigens sind "gravierende Verfassungsänderungen" genau das, was May betreibt.
1. Der Austritt aus der EU, mit Verlust der EU-Staatsbürgerschaft für Briten, ist eine sehr einschneidende Verfassungsänderung.
2. Das Karfreitags-Agreement zu Nordirland steht und fällt mit der EU-Mitgliedschaft beider beteiligter Staaten; hier wird eine Verfassungs- und ggf. territoriale Änderung eine Folge des May-Kurses sein.
3. Das zur Implementierung der Anpassung der EU-Gesetze an eine auf das UK beschränkte Situation geplante Gesetz ("Repeal Bill") hat, wenn sich da nicht noch etwas wesentliches ändert, den Charakter eines Ermächtigungsgesetzes. Muß an sich nichts schlimmes sein, kann aber in den Händen einer Regierungschefin, deren Wort man, wie schon des öfteren und auch gerade gestern wieder gesehen, nicht trauen kann, verfassungsändernde Wirkung haben.
4. Die britische Verfassung steht nicht auf dem Papier, sondern definiert sich durch usus. Daher hat jede "originelle" Aktion der Regierung und/oder des Parlaments das Potential, verfassungsändernd zu wirken. Wenn May sich ohne Skrupel herausnimmt, was sie will, und niemand widerspricht, dann wird das als Präzedenzfall mehr oder weniger automatisch Teil der Verfassung. Deshalb ist die Unfähigkeit oder Unwilligkeit des Oppositionsführers, irgendeine Art von Opposition zu machen, über seine absehbar beschränkte Amtszeit hinaus katastrophal.

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

19.04.2017 16:46
#144 RE: Bottom up oder top down? Antworten

Zitat
Und das, was May gerade abzieht, ist alles andere als sportlich.


Gibt es eigentlich irgendeinen Hinweis, warum Corbyn zustimmt (Das muss er nämlich, um die 2/3 für die Neuwahl in den Commons zustandezubringen)? Obwohl er laut eigener Aussage den Brexit ja gar nicht abwenden, sondern nur irgendwie sozialistischer gestalten will?

So ist die ganze Neuwahl nämlich eine Farce: Der Brexit hat das Referendum sowie eine Parlamentsmehrheit von 85% hinter sich. Die Legitimation steht nicht in Frage. Was May will, ist klar, aber welchen Grund mag es geben, Labour zu wählen? Die Remainers müssen auf LibDem oder die SNP (was sie in Schottland bei der letzten Wahl schon getan haben) ausweichen, und die Brexiteers werden wohl eher zum Original tendieren, vor allem weil sie vermutlich auch sonst Corbyns Gewerkschaftssozialismus mehrheitlich wenig abgewinnen können.

Also wenn Corbyn auch nur für einen Penny politischen Restverstand hätte, müsste er alles daran setzen, mit seinen 229 Labour seats die Neuwahl zu verhindern. Stattdessen führt er seine Partei zur Schlachtbank.

Gruß Petz

Free speech is so last century. (Brendan O'Neill)

Dennis the Menace Offline




Beiträge: 459

19.04.2017 18:15
#145 RE: Bottom up oder top down? Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #144

Gibt es eigentlich irgendeinen Hinweis, warum Corbyn zustimmt (Das muss er nämlich, um die 2/3 für die Neuwahl in den Commons zustandezubringen)?


Gibt es: Er ist völlig verrückt und damit Mays engster Verbündeter so wie weiland Michael Foot für Mrs Thatcher.

Man kann ihr keinen Vorwurf machen, denn das Einkassieren von windfall profits is nix Verbotenes. Es ist auch nicht verboten, dass Labour eine zukünftige Regierungsübernahme gar nicht mehr anstrebt obwohl das das eigentliche Hauptgeschäft der Opposition wäre.

Zitat von Meister Petz im Beitrag #144
Also wenn Corbyn auch nur für einen Penny politischen Restverstand hätte, müsste er alles daran setzen, mit seinen 229 Labour seats die Neuwahl zu verhindern


Klar, das war auch der Sinn der Rechtsänderung, die in der früheren Koalition von den Liberals durchgesetzt wurde (wenigstens das, besser als nix ): Dem Premier diese traditionelle Bequemlichkeit zu entziehen, die eigentlich ein überkommenes Privileg aus monarchischer Zeit war.

Das mit dem Restverstand kann man allerdings abhaken. Vielmehr kann May es als selbstverständlich voraussetzen, dass Labour der Neuwahl, die Corbyn mit Pauken und Trompeten verlieren wird, jubelnd zustimmt. Ferner kann sie es sich leisten, schon vor der Abstimmung im Unterhaus eine ansonsten übliche Fernsehdebatte mit dem Witzkandidaten Corbyn auszuschlagen statt diese Demütigung erst nach der Abstimmung nachzuschieben.

Wesentlich für den Niedergang von Labour ist natürlich auch, dass sich deren frühere Hochburg Schottland, wo die Tories schon immer schwach waren, komplett erledigt hat und von der SNP übernommen wurde.


Zitat von Meister Petz im Beitrag #144

Stattdessen führt er seine Partei zur Schlachtbank.


Das ist offenbar die Absicht. Sie ist ihm wahrscheinlich zu systemnah. Der alte Quatsch der linken Hardliner. Indessen besteht kein Grund zur Beunruhigung. Mit Umsturz und so wird nix.

lich
Dennis

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

19.04.2017 18:33
#146 RE: Bottom up oder top down? Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #140
Ob die Art fein ist oder nicht, obliegt natürlich dem deutschen Arbitrarismus, ...

Eben nicht. Nach deutschem Verständnis ist ziemlich alles legitim, was irgendwie von den Regeln hergegeben wird. Deswegen haben wir ja so viele Regeln, weil es de facto keine weitere Bremse gibt.
Nach englischem Verständnis geben die Regeln nur einen groben Rahmen, und ansonsten gilt common sense, Tradition und Benimm. Und Mays Vorgehen verstößt gegen alle drei.

Und wie schon geschrieben wurde: So kurz nach einer Wahl und ohne echte Notwendigkeit schon wieder eine Neuwahl auszuschreiben ist völlig unüblich und eigentlich verfassungsändernd.

Zitat
2011 hat man versucht, das zu ändern ("Fixed term Parliaments Act") und feste Wahltermine einzuführen. Allerdings sind die Hürden, das zu umgehen und Neuwahlen anzusetzen, durchaus nicht unüberwindlich (das Parlament kann sich mit 2/3-Mehrheit selbst auflösen).


Eben. May geht eben nicht den traditionellen Weg, sondern wählt diese besondere neue Form der Parlamentsauflösung.
Was eben nur geht, weil Corbyn in taktischer Umnachtung mitmacht.

Zitat
Gibt es eigentlich irgendeinen Hinweis, warum Corbyn zustimmt


Ich habe bisher, auch in englischen Medien, keine Begründung gefunden, die nicht auf eine Variante von "völlig dumm" herausläuft.
Er hat ja nicht einmal versucht, sich seine Zustimmung zur Neuwahl durch gewisse Zugeständnisse abkaufen zu lassen (alleine ein Termin vier Wochen später wäre für die Opposition überaus wichtig). Er schmeißt seine (eingeschränkte) Veto-Macht durch spontane Twitter-Mitteilung fort und May erscheint als alleinige Herrin des Verfahrens. Wahrscheinlich hat es sie selber überrascht, daß er so bereitwillig ins Messer läuft.

Zitat
So ist die ganze Neuwahl nämlich eine Farce


Richtig.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

19.04.2017 18:41
#147 RE: Bottom up oder top down? Antworten

Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #145
Gibt es: Er ist völlig verrückt ...

Da hatten wir wohl parallel denselben Eindruck.

Zitat
Wesentlich für den Niedergang von Labour ist natürlich auch, dass sich deren frühere Hochburg Schottland, wo die Tories schon immer schwach waren, komplett erledigt hat und von der SNP übernommen wurde.


Was beim letzten Mal aber eher ein Zufall im Zusammenhang mit dem Schottland-Referendum war.
Durch die Neuwahl jetzt wird das wohl zementiert - die Tories werden wohl keinen Sitz mehr außerhalb von England und Wales behalten und die SNP Schottland weitgehend übernehmen.

Dadurch forciert May die Spaltung des Vereinigten Königreichs. Es wird dann völlig klar, daß der Brexit ein rein englisches Projekt ist, daß nur mit englischen MPs gegen die übrigen Landesteile durchgedrückt wird.

Zitat von Meister Petz im Beitrag #144

Zitat
Stattdessen führt er seine Partei zur Schlachtbank.

Das ist offenbar die Absicht. Sie ist ihm wahrscheinlich zu systemnah.


Exakt. Die Parlamentsfraktion ist ja stark gegen Corbyn eingestellt. Und diese Kräfte haben die Neuwahlen am meisten zu fürchten. Überleben werden im wesentlichen die linken Hochburgen, in denen die Corbyn-Fans übernommen haben.
Die neue Labour-Fraktion mag nur noch ein Bruchteil so stark sein wie die alte, aber sie wird krass links und Corbyn-treu sein.
In der Logik der parteiinternen Machttaktik macht Corbyn also durchaus etwas richtig. Daß die Partei und das Land dabei vor die Hunde gehen ist ihm in klassischer Sonthofen-Manier egal.

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

19.04.2017 21:16
#148 RE: Bottom up oder top down? Antworten

Zitat
ansonsten gilt common sense, Tradition und Benimm


Vor allem gilt "Kick and rush", "mind the gap" und gekochtes Lamm mit Pfefferminzsoße.

Wenn Du Dir folgende Liste anschaust, dann kommt das sowohl von der Kürze des Abstands als auch von dem Motiv des Stimmengewinns mehrfach vor.
https://en.wikipedia.org/wiki/Snap_election#United_Kingdom

Zitat
So kurz nach einer Wahl und ohne echte Notwendigkeit schon wieder eine Neuwahl auszuschreiben ist völlig unüblich und eigentlich verfassungsändernd.


Et tu, Brute...

Jetzt sag mir mal, worin der Verfassungsbruch (oder Gesetzesbruch, mangels Verfassung, liegt), wenn man 2011 ein Gesetz in beiden Häusern beschließt und es 2017 tatsächlich anwendet.

Gruß Petz

Free speech is so last century. (Brendan O'Neill)

Frankenstein Offline




Beiträge: 891

19.04.2017 22:53
#149 RE: Bottom up oder top down? Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #148

Zitat
ansonsten gilt common sense, Tradition und Benimm

Vor allem gilt "Kick and rush", "mind the gap" und gekochtes Lamm mit Pfefferminzsoße.

Wenn Du Dir folgende Liste anschaust, dann kommt das sowohl von der Kürze des Abstands als auch von dem Motiv des Stimmengewinns mehrfach vor.
https://en.wikipedia.org/wiki/Snap_election#United_Kingdom

Zitat
So kurz nach einer Wahl und ohne echte Notwendigkeit schon wieder eine Neuwahl auszuschreiben ist völlig unüblich und eigentlich verfassungsändernd.


Et tu, Brute...

Jetzt sag mir mal, worin der Verfassungsbruch (oder Gesetzesbruch, mangels Verfassung, liegt), wenn man 2011 ein Gesetz in beiden Häusern beschließt und es 2017 tatsächlich anwendet.

Gruß Petz



Den Unionsgenossen passt halt die ganze Richtung nicht, wenn's gegen verblendete EU-Gegner geht, darf man halt schon mal die Knüppel aus dem Sack holen.

Da wird dann eine von allen Parteien im Parlament abgesegnete Neuwahl zum unlauteren Verfassungsbruch hochstilisiert und eine integre liberale Konservative mit einem angehenden islamistischen Diktator gleichgesetzt.

Der heiligen EU nicht zu huldigen ist nunmal Kapitalverbrechen und unverzeihliches Sakrileg - wo zum Teufel ist eigentlich die spanische Inquisition, wenn man sie mal gebrauchen könnte?

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

19.04.2017 23:14
#150 RE: Bottom up oder top down? Antworten

Zitat
wo zum Teufel ist eigentlich die spanische Inquisition, wenn man sie mal gebrauchen könnte?


Die wappnet sich für die Schlacht um den Affenfelsen.

Aber mal allgemein: das eine hat mit dem Anderen nichts zu tun - ich halte den Brexit auch für nachteilig und bemühe mich trotzdem um eine zutreffende Beschreibung der englischen Gepflogenheiten.

Diese sich immer mehr breitmachende "Du bist für X also hasst Du Y und betest Z an"-Unsitte mag ich gar nicht gern mitmachen. Und R.A., wie ich ihn kenne, auch nicht

Gruß Petz

Free speech is so last century. (Brendan O'Neill)

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