Zitat von Frank2000 im Beitrag #150 Ich musste vermutlich erst so alt werden um zu begreifen, dass diese Jahre der absolute Höhepunkt der deutschen Geschichte waren und es weder theoretisch noch praktisch etwas besseres geben kann.
Das ist GROB abwegig, vor allem in Anbetracht dessen, dass die Periode gerade mal 30 Jahre her ist und die deutsche Geschichte so gute 2000 Jahre (+/-) ausmacht. Mit einer steilen Kurve nach oben. Was noch kommt weiß keiner und auch das dritte Reich hatte ein Ende.
Zitat Schattenseiten? Ja, sicher. Aus individueller Sicht.
Das ist am Ende die einzige die zählt. Und die Bonner Republik, so sehr ich sie vermisse, macht man nicht besser, wenn man sie in den Himmel hebt. Sie hatte auch für einige ganz gewaltige Nachteile. Vor allem für Individuen.
Zitat Und dieser Zustand ist gut oder böse - und nie etwas dazwischen.
Der Vorwurf der binären Weltsicht ist ein bischen erstaunlich, wenn man gerade ein Nonplusultra definiert hat.
Zitat In der Bonner Republik gab es immer das gemeinsame Gefühl: "Morgen wird es noch besser." Und: "Was heute noch nicht geht, wird Morgen möglich sein". Wann hat es das jemals gegeben in der Geschichte der Menschheit?
In der Renaissance beispielsweise. Auch im dritten Reich. In den Gründerjahren. Zur Zeit in China. Um nur ganz wenige Beispiele zu nennen. Nur weil das in Deutschland derzeit verloren gegangen ist, solltest Du weder auf andere noch auf die Geschichte verallgemeinern. Der Wunsch ein besseres Morgen zu schaffen ist eins der zentralen Motive der Geschichte überhaupt gewesen.
Zitat Jetzt erleben wir Verbotsorgien, CancelCulture und soziale Ausgrenzung, Entmenschlichung der Politik, völlig offene rotzfreche Klientelpolitik, Endzeitsekten & Todessehnsucht. Senkrechten Absturz unserer Wirtschaft. Verfallende Infrastruktur. Bildung auf 3. Welt-Niveau. Kann weg. Sollte besser auch weg.
Ich kann diese Danisch-Sprüche bald nicht mehr hören. Kann weg. Super. Und? Das ist doch keine Argumentation sondern wirklich sinnfreies Rumpötzen. Ist Dir mal in den Sinn gekommen, dass aus der Sicht eines schwulen Mannes die 60er Jahre, die Du für die Spitze der Menschheit hälst, eine echte Quälerei waren? Kann das dann auch weg? Sollte das besser dann auch weg?
Zitat von Johanes im Beitrag #148 Kann stimmen. Am Ende ist die CDU aber ein Kanzlerwahlverein. Sollte sich ein geeigneter Kandidat finden und Erfolg haben, gehen ich davon aus, dass die Merkelianer blitzschnell aufs Abstellgleis kommen, während andere Seilschaften sich freuen.
Das glaube ich nicht. Wenns Merz schon nicht schafft, wird es ein anderer kaum schaffen.
Zitat Die CDU war ja nie nur konservativ. Genausowenig wir nur wirtschaftsliberal. Da gab es immer verschiedene Störmungen. Im Idealfall eine Art Ausgleich bereits innerhalb der Partei. Was vielleicht auch ein Rezept dafür ist, wieso solche Parteien so groß werden konnten.
Das ist im Einzelfall richtig, aber in der Tendenz falsch. Denn die CDU hatte lange eine konservative Grundströmung, die sie heute nicht mehr hat. Seit Merkel hat die CDU 1/3 ihrer Mitglieder verloren (wobei man ehrlicherweise sagen muss, dass das nur eine Fortsetzung der vorher herrschenden Tendenz gewesen ist).
Zitat Von einem Studenten erwarte ich aber auch eine gewisse allgemeine Neugier, wie die Welt ist und wie alles funktioniert. Universitäten als Berufsausbildung finde ich nicht unbedingt gut.
Ich auch nicht. Dennoch lernt man auf Unis ursprünglich sehr viel, was man später nutzen kann. Bei Ingenieuren, Ärzten, Betriebswirtschaftlern (um bei meinen drei Beispielen zu bleiben) sieht man das ja auch deutlich. Aber jemand der Gender studiert, lernt nicht nur nichts, was man man beruflich irgendwie brauchen könnte (mal ab von den ganzen sinnfreien Gleichstellungsbeauftragten (die aber witzigerweise keine Männer sein dürfen, zumindest so lange sie sich nicht zur Frau erklären)), im Gegenteil, er "lernt" eher Dinge, die ihm beruflich nur schaden. Denn wenn ich auf den Krawall gebürstet bin, immer überall Ungerechtigkeiten erfinde, dann bin ich eher toxisch für den Arbeitsmarkt. Oder anders gesagt: Wenn eine Stelle keine besondere Qualifikation notwendig macht, aber ein Akademiker gewünscht ist, wird mit Sicherheit eher ein Jurist, Geologe oder sogar Theologe eingestellt, als ein Genderfuzzi. Der macht nämlich eher Ärger. Am Rande bemerkt: Genau das sehen wir auch in den USA sehr viel deutlicher als hier (weil der Arbeitsmarkt in den USA ehrlicher ist, als in Deutschland): Da studieren inzwischen so viele allen möglichen Driss, dass selbst ein Abschluss an einer Elite-Uni nichts mehr aussagt. Und dann wird nur noch geschaut was jemand wirklich kann, mit dem Erfolg, dass selbst Harvard-Absolventen nicht mehr mit Angeboten überschüttet werden. Ist viel ehrlicher als hier.
Mag sein, dass da die Lage der Hauptstadt irgendwas ausmacht. Es scheint mir aber, dass das nicht allein der Grund sein kann. Sie haben ja selbst das Beispiel einiger Zeiten im 19. Jahrhundert gebracht.
Zitat von Frank2000 im Beitrag #150Jetzt erleben wir Verbotsorgien, CancelCulture und soziale Ausgrenzung, Entmenschlichung der Politik, völlig offene rotzfreche Klientelpolitik, Endzeitsekten & Todessehnsucht. Senkrechten Absturz unserer Wirtschaft. Verfallende Infrastruktur. Bildung auf 3. Welt-Niveau.
Das existiert jetzt nur in Deutschland? Echt?
Zitat von Frank2000 im Beitrag #150Kann weg. Sollte besser auch weg.
Von der Formulierung abgesehen ist es ja, das, was ich im Beitrag sagen wollte: Aus individueller Sicht kann es trotzdem gut enden.
Zitat von Llarian im Beitrag #151Und die Bonner Republik, so sehr ich sie vermisse, macht man nicht besser, wenn man sie in den Himmel hebt. Sie hatte auch für einige ganz gewaltige Nachteile. Vor allem für Individuen.
Einige der Vorteile, die immer wieder nicht explizit genannt wurden waren die Vollbeschäftigung, steigendes Bildungsniveau, Wachstum, Wohlstand. Ein gewisser Teil der Nostalgie bezieht sich auch einfach auf das Gefühl von finanzieller Sicherheit, welches spätere Generationen zumindest nicht mehr automatisch hatten.
Ich glaube, wenn man den Grund für diese Nostalgie nachprüfen würde, würde diese schnöde Grund bei vielen Leuten rauskommen. Jedenfalls sofern überhaupt ein rationaler Grund vorliegt und nicht nur das Zurücksehen nach Jugendtagen oder die verständliche Täuschung, welche die Probleme von früher lösbarer erscheinen läst als die heutigen.
Zitat von Llarian im Beitrag #152Wenns Merz schon nicht schafft, wird es ein anderer kaum schaffen.
Von der CSU darf man leider auch nichts mehr erhoffen.
Zitat von LlarianDa studieren inzwischen so viele allen möglichen Driss, dass selbst ein Abschluss an einer Elite-Uni nichts mehr aussagt. Und dann wird nur noch geschaut was jemand wirklich kann, mit dem Erfolg, dass selbst Harvard-Absolventen nicht mehr mit Angeboten überschüttet werden. Ist viel ehrlicher als hier.
Kann ich mir ehrlich gesagt so nicht vorstellen. Also jemand studiert an der Harvard medical school und der Abschluss ist nichts mehr Wert? Ich denke, es dürfte eher stark vom Fach abhängen und ein Mathematiker hätte immer noch völlig andere Karten in der Hand als ein, sagen wir, Student der Filmwissenschaft. Auf der anderen Seite habe ich Stories gehört und mitbekommen... Ja, es gibt Leute, die sich sprichwörtlich durchs Studium gemogelt haben oder die mit Sache durchgewunken wurden. Aber grade die Naturwissenschaften bleiben aufgrund ihrer instrumentellen Nützlichkeit meist von allzutiefer Ideologisierung verschont. Mit Ausnahme der Biologie natürlich, da hier Implikationen auf das Menschenbild drohen.
Stand: 10.07.2022 Musk übernimmt Twitter doch nicht 03.08: Merz ist gegen Cancel Culture und "cancelt" selbst.
Echt jetzt? Ausgerechnet Homosexualität wird als Gegenbeispiel angebracht? Keine 10 Jahre später war ein Leben mit Homosexualität weitgehend möglich, wenn man nicht gerade darauf bestanden hat, in einem bayrischen Kuhdorf oder in der Eifel wohnen bleiben zu wollen.
Das ist doch gerade mein Argument: in der Bonner Republik gab es eine stetige Verbesserung der Freiheit und der individuellen Rechte und Möglichkeiten. Um die Bonner Republik zu verstehen, kann man sich nicht ein einzelnes Jahr raussuchen. Diesen Teil der deutschen Geschichte versteht man, wenn man die 60er mit den 50ern vergleicht. Und die 70er mit den 60ern.
HEUTE leben viele Homosexuelle wieder in Angst, weil die Berliner Republik mit Menschen flutet, die Homosexuelle als persönliche Beleidigung betrachten.
So muss man das sehen: die Bonner Republik kam aus verklemmten, schwierigen Zeiten - aber hat innerhalb kürzester Zeit das Leben der Homosexuellen verbessert. Die Berliner Republik ist grade dabei, das zurückzuschrauben.
Und was das Geld betrifft: so was von überhaupt nicht. Wenn ich an meine Kindheit und Jugend denke, spielt Wohlstand oder gar Luxus genau Null eine Rolle. Meine positiven Gefühle beruhen darauf, dass man quasi alles sagen durfte. Alles tun konnte. Wenn ich mich zurückerinnere, dann strotze die Welt von Subgruppen, Aussteigern, Minirevoluzzern, Paradisvögeln, Spinnern, Aktivisten und Exoten. Und jedem wurde irgendwie ein Platz zugestanden, wurde als Mensch betrachtet.
Vegetarier lebten MIT den Normalesseren. Kommune-Bewohner MIT den Eigenheim-Besitzern. Öko-Anhänger MIT den Autofahrern.
Manche werden jetzt das Stichwort "APO" im Kopf haben, die Ende der 70er Gewalt gegen Andersdenkende verübte. Wie wir heute wissen, war die APO nicht zu knapp durch die DDR gesteuert (wie später auch die RAF).
___________________ Verbote sind Freiheit. Meinungen sind Terror. Quoten sind Leistung. Linke Regierung ist Familie. (c) Rot-Grüne Allianz Prophezeiung: 2022, das Jahr in dem in Deutschland der Schleier für alle eingeführt wird. Nennt sich dann "Maske". "Warum halten sie Begriffe wie 'Zigeunersoße' für rassistisch, aber 'Schei** Juden' für harmlos?", Hamed Abdel-Samad
Zitat von Johanes im Beitrag #153 Einige der Vorteile, die immer wieder nicht explizit genannt wurden waren die Vollbeschäftigung, steigendes Bildungsniveau, Wachstum, Wohlstand. Ein gewisser Teil der Nostalgie bezieht sich auch einfach auf das Gefühl von finanzieller Sicherheit, welches spätere Generationen zumindest nicht mehr automatisch hatten.
Ist nur ein Teil davon. Finanziell sicher bin ich heute im Wesentlichen auch, trotz der Merkel-Inflation. Es fehlt dagegen an ganz anderer Sicherheit: Der Sicherheit im Winter keinen Stromausfall zu erleben zum Beispiel. Oder die Sicherheit meine Kinder ohne Aufsicht ins Freibad schicken zu können, ohne dass sie dort kulturell bereichert werden. Oder die Sicherheit dass aus einer Laune heraus Grundrechte außer Kraft gesetzt werden. Klar ist finanzielle Sicherheit was schönes. Aber die Zerstörungen der Republik Merkel gehen weit über Geld hinaus.
Was ich aber am meisten vermisse ist schon etwas, dass Frank angesprochen hat: Der Wille nach dem Morgen. Für meine Eltern, meine Großeltern, überhaupt die ganzen Kriegs- und Nachkriegsgenerationen war es selbstverständlich, dass es die Kinder einmal besser haben sollten. Alles sollte besser werden. Mehr Platz, mehr Essen, mehr Auto, mehr Reisen, mehr Leben, mehr konsumieren, mehr lernen, mehr können, mehr Möglichkeiten. Heute dagegen erlebt die deutsche Gesellschaft die Mentalität eines pensionierten Postboten: Alles wie immer, bloß nichts tun, Berufswunsch Beamter. Ich hatte auch schonmal einen Artikel dazu geschrieben, aber zusammengefaßt kann man sagen: Die Nachkriegsgeneration ist auf den Mond geflogen. Die jetzige Generation hält es für den wichtigsten Fortschritt neue Pronomen zu erfinden.
Zitat Von der CSU darf man leider auch nichts mehr erhoffen.
Ich glaube inzwischen von denen konnte man nie was erhoffen. Und im Moment ist es ganz dunkel.
Zitat Kann ich mir ehrlich gesagt so nicht vorstellen. Also jemand studiert an der Harvard medical school und der Abschluss ist nichts mehr Wert?
Medical school ist nochmal speziell, aber einem MBA oder science major würde ich heute nicht mehr automatisch vertrauen, weil er aus Harvard kommt.
Zitat Aber grade die Naturwissenschaften bleiben aufgrund ihrer instrumentellen Nützlichkeit meist von allzutiefer Ideologisierung verschont.
Das war mal so. Inzwischen ist es nicht mehr so. Das ging schon zu meinen Zeiten langsam los, aber heute gibt es Genderprofessuren in der Informatik.....
Zitat von Frank2000 im Beitrag #154Echt jetzt? Ausgerechnet Homosexualität wird als Gegenbeispiel angebracht? Keine 10 Jahre später war ein Leben mit Homosexualität weitgehend möglich, wenn man nicht gerade darauf bestanden hat, in einem bayrischen Kuhdorf oder in der Eifel wohnen bleiben zu wollen.
"Keine 10 Jahre" ? Das meinst Du ernst? 1969 wurde der 175 geändert (und erst 1994 aufgehoben, nebenbei), da war die Bonner Republik schon 20(!) Jahre alt. Und selbst wenn wir nur die 60er Jahre betrachten wollen, so sind das neun Jahre. Das ist eine Ewigkeit. Neun Jahre meiner Sexualität nicht nachgehen zu können ist ein satter Anteil des Lebens.
Zitat Das ist doch gerade mein Argument: in der Bonner Republik gab es eine stetige Verbesserung der Freiheit und der individuellen Rechte und Möglichkeiten. Um die Bonner Republik zu verstehen, kann man sich nicht ein einzelnes Jahr raussuchen. Diesen Teil der deutschen Geschichte versteht man, wenn man die 60er mit den 50ern vergleicht. Und die 70er mit den 60ern.
Und es ist ein schlechtes Argument. Denn genau das, was man als wichtig und toll an der Bonner Republik empfindet ist im selben Zeitverlauf auch immer weiter verloren gegangen. Mit der Steigerung der Individualrechte sind viele Sicherheiten verloren gegangen. Vieles (nicht alles) was wir heute als Vorbild innerhalb der Bonner Republik sehen, hat seine Ursache in einer massiven Gesellschaftskohäsion. Die steht aber im Widerspruch zu Individualrechten.
Zitat HEUTE leben viele Homosexuelle wieder in Angst, weil die Berliner Republik mit Menschen flutet, die Homosexuelle als persönliche Beleidigung betrachten.
Ich bin zwar nicht betroffen, aber ich bin mir absolut sicher, dass praktisch jeder Homosexuelle das heute der Realität der sechziger Jahre bei weitem vorzieht.
Zitat So muss man das sehen: die Bonner Republik kam aus verklemmten, schwierigen Zeiten - aber hat innerhalb kürzester Zeit das Leben der Homosexuellen verbessert.
Kurz? Da haben wir sehr unterschiedliche Vorstellungen. Sehr unterschiedliche. 20 Jahre sind fast eine Generation.
Zitat Und jedem wurde irgendwie ein Platz zugestanden, wurde als Mensch betrachtet.
Und das nun gerade ÜBERHAUPT nicht. Es ist ein deutliches Kennzeichen der frühen Bonner Republik, dass sie Abweichler so ganz und gar nicht geduldet hat. Weder Schwule, noch Feministen, noch Linke oder auch simpel Ausländer. Man kann das alles verdrängen, vor allem wenn man selber nicht davon betroffen war oder ist, aber ich weiß noch sehr, sehr gut, wie man in den siebziger Jahren über Randgruppen gesprochen hat. Die Bild Zeitung mit ihrem legendären "man darf nicht alles der Polizei überlassen" ist da ausgesprochen auf dem Zahn der Zeit. Und dabei ist es unerheblich wie viel die DDR dabei zugetragen hat, die Aggression, die gegen die "linken Gesellschaftsfeinde" zum Tragen kam, wusste davon nichts. Dutschke wurde nicht nieder geschossen, weil die APO durch die DDR gesteuert wurde. Die Argumentation ist auch mehr als fragwürdig: Wäre es okay, dass die Linke regelmäßig AfD Politiker zusammen tritt, wenn sich zeigen sollte, dass die Geld von Moskau bekommen? Ich denke eher nicht.
Es gibt eigentlich zwei wesentliche Unterschiede zwischen der Berliner und der Bonner Republik. Die Bonner Republik war politisch vernünftig und zukunftsorientiert, während die Berliner Republik rückwärsgewandt ist und irrational agiert. Aber was die gesellschaftliche Marginalisierung und Unterdrückung von Gruppen angeht, sind sich beide erstaunlich ähnlich, mit dem Unterschied, dass es damals gegen Linke und heute gegen Rechte geht.
Mag sein, dass da die Lage der Hauptstadt irgendwas ausmacht. Es scheint mir aber, dass das nicht allein der Grund sein kann. Sie haben ja selbst das Beispiel einiger Zeiten im 19. Jahrhundert gebracht.
Ich halte es für Unfug, daß die Lage der Hauptstadt einen relevanten Einfluss auf die politische und gesellschaftliche Entwicklung hat. Ich verstehe nicht einmal den Begriff "Bonner Republik". Was soll der beinhalten? Ich sehe rückbetrachtend die erfolgreichste, optimistischste, unternehmungsvollste, lebensbejahendeste, friedlichste und liberalste Dekade nach der Wende zwischen 1990 und 2000, gipfelnd in der hedonistischen Loveparade in und aus Berlin, die weltweit als Leuchtturm individueller Freiheit ausgestrahlt hat.
Die Entwicklungen, die der liberal-konservativ Gesinnte heute beklagt, sind doch nicht von Berlin ausgegangen, wären genauso auch über Bonn (oder Dresden) geschwappt. Man erachte nur mal die weltweiten Corona-Maßnahmen. Ein unseeliger Zeitgeist, ja, aber er kommt nicht unmittelbar aus Berlin über uns.
Nun hat die Love Parade ja in keiner Weise ausgestrahlt, und weltweit stilbildend gewirkt. Im Gegenteil: das war eine Groteske Beim-Wort-Nehmen-Umsettung des alten schw*chsinnigen Hippieslogans "All you need is love", nur mit Happy Pillen statt Haschpfeifchen und Stampfrhythmen mit 180 bpm statt California Dreamin'. Ein grotesker Solitär, der dann ja auch sein bezeichnendes Ende gefunden hat. (Übrigens waren zwei Gaststudentinnen aus meinem Fachbereich unter den Todesopfern.) In seiner Bizarrerie nahm das schon viel von dem typischen Beroliner Wahnsinn vorweg, der sich dann später Bahn brach.
Ich schrieb ja, dass mir unklar ist, was zu solchen Erscheinungen führt. Und meine Mutmaßung ist naturgemäß nur einer meiner üblichen Jeu d'esprits. Aber es fällt auf, DASS Berlin historisch ein ganz übler Genius Loci ist, vor dem man nur warnen kann. Und im Kontrollexperiment Bonn war der (zeitweise) Exorzismus geglückt.
"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire
Nun hat die Love Parade ja in keiner Weise ausgestrahlt, und weltweit auch in keiner Weise stilbildend gewirkt. Im Gegenteil: das war eine groteske Beim-Wort-Nehmen-Umsettzung des alten schw*chsinnigen Hippieslogans "All you need is love", nur mit Happy Pillen statt Haschpfeifchen und Stampfrhythmen mit 180 bpm statt California Dreamin'. Ein grotesker Solitär, der dann ja auch sein bezeichnendes Ende gefunden hat. (Übrigens waren zwei spanische Gaststudentinnen aus meinem Fachbereich unter den Todesopfern.) In seiner Bizarrerie nahm das schon viel von dem typischen Beroliner Wahnsinn vorweg, der sich dann später Bahn brach.
Ich schrieb ja, dass mir unklar ist, was zu solchen Erscheinungen führt. Und meine Mutmaßung ist naturgemäß nur einer meiner üblichen Jeu d'esprits. Aber es fällt auf, DASS Berlin historisch ein ganz übler Genius Loci ist, vor dem man nur warnen kann. Und im Kontrollexperiment Bonn war der (zeitweise) Exorzismus geglückt.
"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire
Frank hat ja gesagt, dass die Bonner Republik jedes Jahrzehnt besser geworden ist, so dass 90iger und frühe 2000ender sicher dann als Peak angesehen werden konnten. Man wusste jedenfalls noch, was einen Staat ausmacht und wie wichtig funktionieren ist. Schröder und Trittin haben da einige Weichen falsch gestellt, auch wenn wir das alles der Merkel anlasten.
In manchen Punkten ist auch heute besser als 90iger und Co, aber sind Sachen jenseits der Politik, wo noch die Technik dominiert. Wie Flugsicherheit, bin mal gespannt, ob das auch noch irgendwann gekapert wird (bei Boeing gab es da ein paar Sachen, aber das scheint unter Kontrolle). Da gibt es noch ein voran.
Zitat von Frank2000 im Beitrag #154Und was das Geld betrifft: so was von überhaupt nicht. Wenn ich an meine Kindheit und Jugend denke, spielt Wohlstand oder gar Luxus genau Null eine Rolle.
Die Verklärung der eigenen Kindheit liegt in der Natur des Menschen. Sie können sprichwörtlich jeden Fragen und sie werden fast immer irgendwie nostalgische Erinnerungen finden.
Dass ein Kind sich nicht um den finanziellen Aspekt sorgt, das ist normal.
Zitat von Frank2000 im Beitrag #154Meine positiven Gefühle beruhen darauf, dass man quasi alles sagen durfte. Alles tun konnte. Wenn ich mich zurückerinnere, dann strotze die Welt von Subgruppen, Aussteigern, Minirevoluzzern, Paradisvögeln, Spinnern, Aktivisten und Exoten. Und jedem wurde irgendwie ein Platz zugestanden, wurde als Mensch betrachtet.
Vielleicht, weil man selbst nicht zu den Leuten gehörte, die toleriert werden mussten oder die tolerieren mussten?
Zitat von Llarian im Beitrag #155Ist nur ein Teil davon. Finanziell sicher bin ich heute im Wesentlichen auch, trotz der Merkel-Inflation.
Klingt jetzt zwar wie Bullshit, aber ich tippe es dennoch: Für die Stimmung einer Zeit ist nicht die Situation des Einzelnen verantwortlich, sondern die größerer Gruppen, die auch wahrgenommen wird. Wenn heute viele Jugendlichen ein Problem damit haben, ihren Start zu finden oder wesentliche Gruppen im Mittelstand Angst vor sozialen Abstieg empfinden, wenn dann noch die soziale Unterschicht mit Neid und ohne Aussicht auf Verbesserung der Lage auf die Oberschicht schaut, dann wird sich eine eher negative Stimmung durchsetzen.
Zudem gibt es natürlich noch "weiche" Faktoren. In den 1950er Jahren dominierten "naive" Science Fiction und irgendwelche Heimatfilme. In der heutigen Zeit taucht man die Welt in der Fiktion eher in düstere Farben.
Ich denke dennoch, dass vieles von der Wirtschaft her kam. Wenn man sieht, wie es spürbar aufwärts geht und das eigene Leben sich verbessert, dann nimmt man vieles nicht so dringend wahr.
Zitat von LlarianEs fehlt dagegen an ganz anderer Sicherheit: Der Sicherheit im Winter keinen Stromausfall zu erleben zum Beispiel.[...]
Das lasse ich im Grunde kaum gelten. Soweit ich weiß wäre vieles, was für uns heute alltäglich ist, Anfang der 1980er Jahre ein Luxus gewesen.
Zitat von LlarianDer Wille nach dem Morgen. Für meine Eltern, meine Großeltern, überhaupt die ganzen Kriegs- und Nachkriegsgenerationen war es selbstverständlich, dass es die Kinder einmal besser haben sollten.
Das war eben Generation Vollbeschäftigung. Heute haben wir eine Generation von Jugendarbeitslosigkeit und in der sowas wie NEETismus ein Phänomen ist.
Der prozentuale Anteil der jungen Menschen, die in der Lage waren ein höhres Einkommen als ihre Eltern zu erzielen schrumpft. Gleichzeitig nimmt der Anteil der jungen Menschen tendenziell ab. Wir haben es hier mit einer Situation zu tun, in der Nostalgie quasi natürlich entsteht.
Zitat von LlarianDas war mal so. Inzwischen ist es nicht mehr so. Das ging schon zu meinen Zeiten langsam los, aber heute gibt es Genderprofessuren in der Informatik.....
Das Verhältnis zwischen der "herrschenden Ideologie" und den Wissenschaften ist sowieso kompliziert.
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #158Aber es fällt auf, DASS Berlin historisch ein ganz übler Genius Loci ist, vor dem man nur warnen kann. Und im Kontrollexperiment Bonn war der (zeitweise) Exorzismus geglückt.
Dann müsste Preußen oder das Kaiserreich ja auch schon "verflucht" sein.
Zitat von zwerg im Beitrag #160 Frank hat ja gesagt, dass die Bonner Republik jedes Jahrzehnt besser geworden ist, so dass 90iger und frühe 2000ender sicher dann als Peak angesehen werden konnten.
In mancher Hinsicht war es eine bessere Zeit. In anderer nicht.
Stand: 10.07.2022 Musk übernimmt Twitter doch nicht 03.08: Merz ist gegen Cancel Culture und "cancelt" selbst.
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #159Nun hat die Love Parade ja in keiner Weise ausgestrahlt, und weltweit auch in keiner Weise stilbildend gewirkt. Im Gegenteil: das war eine groteske Beim-Wort-Nehmen-Umsettzung des alten schw*chsinnigen Hippieslogans "All you need is love", nur mit Happy Pillen statt Haschpfeifchen und Stampfrhythmen mit 180 bpm statt California Dreamin'. Ein grotesker Solitär, der dann ja auch sein bezeichnendes Ende gefunden hat. (Übrigens waren zwei spanische Gaststudentinnen aus meinem Fachbereich unter den Todesopfern.)
So unterschiedlich sind die Bewertungen. Ich habe in der Loveparade den Anschluß an das Berlin der 20er Jahre gesehen. Individuelle Freiheit bei prosperisierender Wirtschaft durch gewaltigen, technischen Fortschritt. Hedonismus und auch Dekadenz, die den Erfolg, die Überlegenheit der eigenen Kultur gefeiert hat. Das konnte man sich leisten. Heute herrscht die freudlose Kultur des Verzichts, des Rückschritts. Das kommt aber nicht aus Berlin.
Der Todes-Tunnel aus Duisburg hat in diesen Betrachtungen nichts verloren. Nur insofern: Wäre die Loveparade mal in Berlin geblieben.
Zitat von Frank2000 im Beitrag #154Echt jetzt? Ausgerechnet Homosexualität wird als Gegenbeispiel angebracht? Keine 10 Jahre später war ein Leben mit Homosexualität weitgehend möglich, wenn man nicht gerade darauf bestanden hat, in einem bayrischen Kuhdorf oder in der Eifel wohnen bleiben zu wollen.
"Keine 10 Jahre" ? Das meinst Du ernst? 1969 wurde der 175 geändert (und erst 1994 aufgehoben, nebenbei), da war die Bonner Republik schon 20(!) Jahre alt. Und selbst wenn wir nur die 60er Jahre betrachten wollen, so sind das neun Jahre. Das ist eine Ewigkeit. Neun Jahre meiner Sexualität nicht nachgehen zu können ist ein satter Anteil des Lebens.
Zitat Das ist doch gerade mein Argument: in der Bonner Republik gab es eine stetige Verbesserung der Freiheit und der individuellen Rechte und Möglichkeiten. Um die Bonner Republik zu verstehen, kann man sich nicht ein einzelnes Jahr raussuchen. Diesen Teil der deutschen Geschichte versteht man, wenn man die 60er mit den 50ern vergleicht. Und die 70er mit den 60ern.
Und es ist ein schlechtes Argument. Denn genau das, was man als wichtig und toll an der Bonner Republik empfindet ist im selben Zeitverlauf auch immer weiter verloren gegangen. Mit der Steigerung der Individualrechte sind viele Sicherheiten verloren gegangen. Vieles (nicht alles) was wir heute als Vorbild innerhalb der Bonner Republik sehen, hat seine Ursache in einer massiven Gesellschaftskohäsion. Die steht aber im Widerspruch zu Individualrechten.
Lieber Llarian, lieber Frank2000,
bitte vergleichen Sie nicht die Bonner Republik der 60er Jahre mit der Berliner Republik von heute (ich weiss, ich weiss - natürlich kann man alles vergleichen!). Da schneidet bei den Freiheitsrechten natürlich die heutige Republik besser ab, und eben auch die heutige Gesellschaft. Aber wenn man die damalige Republik vergleicht mit anderen Staaten oder Gesellschaften, war sie schon erstaunlich liberal und "offen". Natürlich nicht in jedem Herrgottswinkel des Landes, aber im Großen und Ganzen ja doch schon. Das ist es vielleicht, was ich Frank2000's Argumentation entnehme - es war (aus heutiger Perspektive) nicht alles gut, aber aus damaliger Perspektive war auch nicht alles nur schlecht, und es gab einen klaren Trend zum "Besseren" und zum "Fortschritt"...
Zitat von Johanes im Beitrag #161 Vielleicht, weil man selbst nicht zu den Leuten gehörte, die toleriert werden mussten oder die tolerieren mussten?
Das ist ein sehr scharfer Punkt. Vielfach werden vergangene Zeiten vor allem deshalb als "liberal" missverstanden, weil man selber zur Mehrheitsgesellschaft gehörte. Aber die Bonner Republik, zumindest in ihrer ersten Hälfte, war vieles, aber nicht liberal. So durften verheiratete Frauen bis 1977(!!!) nicht frei entscheiden, ob sie arbeiten gehen durften, das hatte der Ehemann zu entscheiden. Bis 1973 war "Kuppelei" noch verboten, was nichts anderes bedeutete, dass man Sex nur innerhalb der Ehe haben sollte. Und bis 1997 (da war die Bonner Republik eigentlich schon Geschichte) war die Vergewaltigung innerhalb einer Ehe nicht strafbar, selbst bei getrennt lebenden Ehepartnern. Wie man mit Ausländern in den siebziger Jahren umging, wird vielleicht der eine oder andere noch erinnern und das linke Studenten nicht gerade frei ihre Meinung artikulieren konnten, haben nicht nur die Schüsse auf Rudi Dutschke hinreichend belegt. Die erste Hälfte der Bonner Republik war liberal für deutsche, heterosexuelle, weiße, nicht-linke Männer.
Zitat In den 1950er Jahren dominierten "naive" Science Fiction und irgendwelche Heimatfilme. In der heutigen Zeit taucht man die Welt in der Fiktion eher in düstere Farben.
Das ist aber gar nicht so unwichtig, es macht zentral was am Zeitgeist aus. Es ist ein gewaltiger zwischen dem ursprünglichen StarTrek und "StarTrek-Diversity", letzteres ist dunkel. Und schei.... (sorry). Gerade Science Fiction kann extrem positiv oder extrem negativ sein. Man kann eben Schrott wie "Discovery" produzieren oder positives wie "The Orville". Und das macht viel aus. Der Held meiner Kindheit ist Captain Future. Die Heldenfigur der heutigen Kinder ist Greta Thunberg. Der Unterschied könnte nicht größer sein.
Zitat Das lasse ich im Grunde kaum gelten. Soweit ich weiß wäre vieles, was für uns heute alltäglich ist, Anfang der 1980er Jahre ein Luxus gewesen.
Strom nicht. Sorry. Ich bin ja ein Kind der 80er Jahre (in den 70ern geboren), aber ich kann mich in meiner ganzen Jugend vielleicht an einen oder zwei Stromausfälle erinnern. Keiner dauerte länger als zwei Stunden. Die Vorstellung, dass man nicht wusste, wie man im nächsten Winter heizen sollte, war schlicht aberwitzig und abwegig. Wenn der Strom ausfiel, dann weil vielleicht eine Leitung beschädigt wurde. Nicht weil kein Strom da war. Das ist ja auch der Hohn der Sache: Vieles, was heute so alltäglich ist wie Handy oder der Latte Macchiato mögen in den 80er Jahren nicht vorhanden gewesen sein. Aber sie waren auch nicht überlebenswichtig. Das sind sie auch heute nicht. Aber Strom, Heizung, Nahrung, Wasser, das sind schon Dinge, die wir zum Überleben brauchen. Das ist kein(!) Luxus!
Zitat Das war eben Generation Vollbeschäftigung. Heute haben wir eine Generation von Jugendarbeitslosigkeit und in der sowas wie NEETismus ein Phänomen ist.
Die offizielle Arbeitslosigkeit ist heute nicht höher als vor 40 Jahren. Und was NEETismus sein soll weiß ich nicht.
Zitat von Llarian im Beitrag #164das linke Studenten nicht gerade frei ihre Meinung artikulieren konnten, haben nicht nur die Schüsse auf Rudi Dutschke hinreichend belegt.
*Räusper* Die Thesen des SDS waren gerade im TV weit verbreitet - nur gab es eben auch scharfen Einspruch von Löwenthal & Co. Das Gespräch mit Gaus hatte ziemlich hohe Einschaltquoten. https://www.rbb-online.de/zurperson/inte...schke_rudi.html
Der wirklich scharfe Widerspruch gegen den "linken Mob" war eine Spezialität von Springer - der ja für die Studenten der Inbegriff des darstellte. Und die Schüsse auf Dutschke verdankten sich genau nicht der aufgeheizten Stimmung, sondern der gezielten Tat eines Stasimanns, um den Kessel überkochen zu lassen.
Und wir sollten nicht vergessen, daß diese "Rebellen gegen das System" ganz offen mit der Maobibel umherzogen, daß auf jeder Demo "USA-SA-SS!" skandiert wurde, offen die Abschaffung des "Bonner Regimes" gefordert wurde, und den Vietnamkrieg in die Städte Westdeutschlands zu tragen. Das dampfte vor kreischender Gewaltverherrlichung.
Zitat verheiratete Frauen bis 1977(!!!) nicht frei entscheiden, ob sie arbeiten gehen durften
Das sind zwar immer wieder gern angeführte Beispiele, sie gehen aber an der Alltagspraxis meilenweit vorbei. Gewalt in der Ehe war zwar für sich genommen kein Strafdelikt (was nicht zuletzt mit dem gerichtsfesten Nachweis zusammenhing), aber es wurde vor jedem Gericht als Nachweis einer "zerrütteten Ehe" & damit als Scheidungsgrund anerkannt. Homosexualität war nie strafbewehrt, nur, in flagrante delicto erwischt zu werden; und eine nicht unwichtiges Motiv dahinter war der Jugendschutz. Und die erforderliche schriftliche Zustimmung des Ehemanns zur Erwerbstätigkeit seiner Frau hat ebenfalls praktisch keine Rolle gespielt. Etwas anderes war die soziale Ächtung; und das hing natürlich vom Milieu ab und davon, wie großstädtisch man wohnte. Selbst auf dem kleinsten Dorf hat man eine Metzgersfrau hinter der Theke nie schief angesehen. Es war aber schlicht die Erwartung, daß ein Mann seine Familie ernähren können sollte.
"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire
Zitat von Llarian im Beitrag #164Die erste Hälfte der Bonner Republik war liberal für deutsche, heterosexuelle, weiße, nicht-linke Männer.
Bei den Linken würde ich ein dahinter klemmen. Der Rest trifft wohl im Großen und Ganzen so zu.
Zitat
Zitat In den 1950er Jahren dominierten "naive" Science Fiction und irgendwelche Heimatfilme. In der heutigen Zeit taucht man die Welt in der Fiktion eher in düstere Farben.
Das ist aber gar nicht so unwichtig, es macht zentral was am Zeitgeist aus.
Es ist allerdings ein softerer Faktor. Nebenbei: Die erste große Düsternis-Welle kam meines Wissens in den 1980er Jahren auf. Da wurde die Zukunft zunehmend bedrohlich.
Zitat Der Held meiner Kindheit ist Captain Future. Die Heldenfigur der heutigen Kinder ist Greta Thunberg.
Das wage ich zu bezweifeln. Greta ist auf keinen Fall in der selben Art und Weise ein Held wie es Cap. Future war.
Zitat Das ist kein(!) Luxus!
Es gibt bis heute Gegenden, in denen es keinen direkten Anschluss an die Kanalisation oder ans Gas-Netz gibt.
Und es gibt auch Leute aus den 1980ern, die sich noch daran erinnern, ihr Wasser geheizt zu haben bevor sie sich baden konnten.
Zitat
Zitat Das war eben Generation Vollbeschäftigung. Heute haben wir eine Generation von Jugendarbeitslosigkeit und in der sowas wie NEETismus ein Phänomen ist.
Die offizielle Arbeitslosigkeit ist heute nicht höher als vor 40 Jahren. Und was NEETismus sein soll weiß ich nicht.
Das steht für Not in Education, Employment or Training.
Also quasi Jugendliche, die den Start ins Berufsleben verpasst haben.
Hier sollte man aufpassen: Das Phänomen wird sehr auf den Aspekt des Lockdowns reduziert. Was sicherlich eine Teilwahrheit beinhaltet. Es gibt aber schon Berichte darüber aus Italien vor einigen Jahren.
Meines Erachtens ein gesellschaftlicher "Klimakiller".
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #165Und wir sollten nicht vergessen, daß diese "Rebellen gegen das System" ganz offen mit der Maobibel umherzogen, daß auf jeder Demo "USA-SA-SS!" skandiert wurde, offen die Abschaffung des "Bonner Regimes" gefordert wurde, und den Vietnamkrieg in die Städte Westdeutschlands zu tragen. Das dampfte vor kreischender Gewaltverherrlichung.
Es werden aber nicht alle mit der Maobibel herumgelaufen sein.
Gewaltverherrlichung einmal beiseite, ist das ebenfalls teil Der Meinungsfreiheit. Und grade in der Beziehung gab es meines Wissens in dieser Zeit auch starke Befürworter.
Generell gesagt: Bloß weil eine Seite die Vergangenheit bewusst dämonisiert, um damit Legitimation für die eigene Agenda zu schaffen, heißt das nicht, dass wir die Vergangenheit unkritisch verklären sollten.
Das hieße, metaphorisch gesprochen, genau den Spielzug zu machen, welchen die Gegenseite einen Anbietet. Das kann man sich aber nur erlauben, wenn man sehr genau weiß, was man da tut.
Das mit dem "historische Zeiträume miteinander vergleichen" ist, vermute ich, sowieso so eine Sache sein. Die Menschen, die nicht wussten, wie ihr Leben anders oder besser sein kann, werden sich über einen schlechten Zustand nicht in der Art beklagen. Für uns heutige Menschen wäre eine Rückkehr zu den Verhältnissen von 1950 wesentlich schlimmer als es für die Menschen 1950 gewesen ist. Es liegt quasi in der menschlichen Natur, die Zustände, in die man hineingeboren wurde, als 0-Linie zu akzeptieren. Alles darunter ist eine Verschlechterung. Ein bisschen höher ist eine Verbesserung.
Interessant wäre natürlich das Gedankenspiel, das aus der fiktiven Literatur bekannt ist, einen Menschen der Vergangenheit in die Gegenwart zu versetzen und ihn mit den "Wundern" der moderne zu konfrontieren. E.A. Poe war einer der ersten, welche dies taten. In der Kurzgeschichte "Some Words with a Mummy". Und die Mumie liefert eine witzige Pointe.
In der Realität stehen uns leider weder Unsterbliche, noch Zeitreisende zur Verfügung, die wir befragen können. Daher gilt was Goethe schrieb: "Was ihr den Geist der Zeiten heißt | Das ist im Grund der Herren eigner Geist, | In dem die Zeiten sich bespiegeln.".
Versöhnlichst ,
Johanes.
Stand: 10.07.2022 Musk übernimmt Twitter doch nicht 03.08: Merz ist gegen Cancel Culture und "cancelt" selbst.
Da sind Sie aber schön den Verdrehungen der "Linken" auf den Leim gegangen, lieber Llarian!
Zitat von Llarian im Beitrag #164So durften verheiratete Frauen bis 1977(!!!) nicht frei entscheiden, ob sie arbeiten gehen durften, das hatte der Ehemann zu entscheiden.
Richtig ist: Bis 1958, also bis zur Änderung durch die CDU/CSU-Alleinregierung, hatte der Mann nach §1358 BGB das Recht, vom dem Vormundschaftsgericht die Kündigung eines Dienstverhältnisses seiner Frau zu bewirken, wenn ihr Arbeitsverhältnis ihre ehelichen Pflichten berührt. Was er dann natürlich dem Gericht beweisen muß. Nebenbei gab es von der Regelung ein Gegenstück: Die Frau war so fest für den Mann und sein Vermögen in Haushaltssachen vertretungsberechtigt, daß er vom Vormundschaftsgericht nur mit guten Gründen , die er dem Gericht beweisen muß, die Herrschaft über seine Habe zurückbekommen konnte.
1977 wurde nur der §1356 geändert. Jetzt dürfen Ehepartner auch einen Job annehmen, dessen Begleitumstände für den anderen Ehepartner untragbar sein können. Macht ja nichts, es gibt ja seither ebenfalls die Ehescheidung.
Insgesamt war die Ehe damals einfach ein engeres Rechtsverhältnis. Was 1977 und danach beschlossen wurde, waren keine Liberalisierungen, sondern Paradigmenwechsel, was die Rechtsinstitutionen eigentlich bedeuten sollen.
Zitat von Llarian im Beitrag #164Bis 1973 war "Kuppelei" noch verboten, was nichts anderes bedeutete, dass man Sex nur innerhalb der Ehe haben sollte.
Jein. Kuppelei war das Verbot, unverheirateten Paaren, von denen einer unter 18 ist, eine Gelegenheit zu überlassen, um dort Unzucht zu treiben (Hotelzimmer, Wohnung). Unzucht war also in dem Kontext letztlich Kindesmissbrauch sein. Waren beide über 18, lag Kuppelei nur dann vor, wenn jemand für die Unzucht entlohnt wurde (Prostituion). In dem Kontext wurde also die Förderung von Prostitution bestraft.
Sex konnte man auch außerhalb der Ehe haben. Sex zweier Verlobter konnte der Frau sogar den Anspruch auf das sogenannte Kranzgeld verschaffen, wenn die Ehe doch nicht eingegangen wird, sozusagen als Entschädigung dafür, als Nicht-mehr-Jungfrau es danach schwieriger auf dem Heiratsmarkt zu haben. Ist eine bessere Lösung, als die Frau von ihrer Familie umbringen zu lassen.
Zitat von Llarian im Beitrag #164Und bis 1997 (da war die Bonner Republik eigentlich schon Geschichte) war die Vergewaltigung innerhalb einer Ehe nicht strafbar, selbst bei getrennt lebenden Ehepartnern.
Das stimmt auch nicht. Sie unter einem anderen Tatbestand (Nötigung, Körperverletzung) durchaus strafbar. Der rechtssystematische Hintergrund bei dieser Änderung war, daß vorher das Rechtsgut, das unter "Vergewaltigung" geschützt wurde, einfach ein anderes war.
Zitat von Llarian im Beitrag #164und das linke Studenten nicht gerade frei ihre Meinung artikulieren konnten, haben nicht nur die Schüsse auf Rudi Dutschke hinreichend belegt.
Dutschke hat an die FU gewechselt, gerade weil er seine Meinung dort artikulieren konnte (und wie!) und durfte. Der Arbeiter, der an dieser Meinung Anstoß nahm, ist ein Beweis, wie wirksam Dutschke seine Meinung verbreiten konnte. Oder wollen Sie auch sagen, heutzutage können Regierungspräsidenten ihre Meinung nicht mehr artikulieren?
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #165Und die Schüsse auf Dutschke verdankten sich genau nicht der aufgeheizten Stimmung, sondern der gezielten Tat eines Stasimanns, um den Kessel überkochen zu lassen.
Das verwechseln Sie mit Benno Ohnesorg. Er wurde von einem Stasi-IM erschossen. Dutschke hatte es mit einem Arbeiter zu tun.
Zitat In den 1950er Jahren dominierten "naive" Science Fiction und irgendwelche Heimatfilme. In der heutigen Zeit taucht man die Welt in der Fiktion eher in düstere Farben.
Das ist aber gar nicht so unwichtig, es macht zentral was am Zeitgeist aus.
Es ist allerdings ein softerer Faktor. Nebenbei: Die erste große Düsternis-Welle kam meines Wissens in den 1980er Jahren auf. Da wurde die Zukunft zunehmend bedrohlich.
Das es hier ja um eins meiner zentralen Themen geht, und um dessen Kern, was ich den "Chronotop der Zukunft" genannt habe, ein kleiner Zwischenruf. Mine These ist ja, daß uns dieser Chronotop, die Vorstellung, das uns "die Zukunft," als Erwartungsraum, allein schon als Denkmöglichkeit, es könnte dort besser als in der Gegenwart werden, abhanden gekommen ist, darauf fußt, daß wir seit jetzt 3 vollen Generationen (mit der Generation FFF jetzt in der 4.), seit dem Zweiten Weltkrieg keine positv besetzten Zukünfte mehr präsentiert bekommen haben. "Captain Future" ist ein gutes Beispiel, "Raumschiff Enterprise" auch - das war zwar nicht düster, aber Kinderkram - Klamauk, den man als Erwachsener, dem es wirklich um die Trends der Gegenwart ging, keinen Moment ernst nehmen mußte. Auch das Groschenheft-Image der SF in den 50er & frühen 60ern hat dem entsprochen.
Wo eine Aussicht auf "das Jahr 2000" präsentiert wurde, die ernst genommen wurde, handelte es sich ausnahmslos um möglichst schwarz gemalte Warnungen, angefangen mit "1984," dann "Fahrenheit 451", der einzige Streifen im Kintopp, der nicht unter Monster+Fliegende Untertassen lief, war "On the Beach," in dem die Bombe alles leben außerhalb Australiens ausgelöscht hat & die auch nur auf ihr Ende warten. Ob das der "Große Bruder" war, die Entmenschlichung durch Automatisierung, die Umweltzerstörung, die Überbevölkerung, die Ressourcenerschöpfung oder den Großen Knall: es war immer Armageddon. Die komischen technischen Klapparaturen waren dagegen höchst schlicht & blass: was sind Flachbildschirme & Turbinenautos gegne die Vernichtung des Lebensgrundlagen? Hinzu kommt, daß wirklicher Fortschritt tatsächlich immer nur durch breite Anwendung solcher Technik ermöglicht wird, nicht, indem wir uns 20 neue Geschlechter ausdenken oder die menschliche Natur mal eben umdefinieren. Und beim Vorwegnehmen dieser Technik ist die menschliche Phantasie ausgesprochen dürftig; da werden Gegenwarterscheinungen schlicht 1:1 auf das Jahre X+100 weitergeschrieben, seit mehr als 120 Jahren. Darum fliegen die in Arthur Bremers "Die Welt in 100 Jahren" von 1908 im projizierten Jahr 2008 noch mit Rumplertauben herum, und darum sehen die Illustrationen für Gerard K. O'Neills L-5-Raumstationen exakt so aus wie wie eine amerikanische Gartenstadt von 1977. Das reichte vorn & hinten nicht aus, um die Schwarzmalerei zu konterkarieren.
"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire
Zitat von Krischan im Beitrag #163 bitte vergleichen Sie nicht die Bonner Republik der 60er Jahre mit der Berliner Republik von heute (ich weiss, ich weiss - natürlich kann man alles vergleichen!). Da schneidet bei den Freiheitsrechten natürlich die heutige Republik besser ab, und eben auch die heutige Gesellschaft.
Richtig.
Zitat Aber wenn man die damalige Republik vergleicht mit anderen Staaten oder Gesellschaften, war sie schon erstaunlich liberal und "offen". Natürlich nicht in jedem Herrgottswinkel des Landes, aber im Großen und Ganzen ja doch schon.
Außer man hatte das Pech schwul zu sein. Oder ein Ausländer. Oder eventuell eine Frau. Oder behindert.
Vielleicht um das klar zu stellen: Ich halte die Bonner Republik für deutlich besser als die Berliner Republik. Denn man konnte dort leben, vielleicht nicht maximal frei, aber man konnte leben. Und der Fortschritt war absehbar, die gesellschaftlichen Freiheiten nahmen zu (wenn auch langsam), die wirtschaftlichen Freiheiten nahmen dramatisch zu. Die Wissenschaft blühte, es wurden reichlich Kinder geboren und es wurde verdammt viel aufgebaut. Alles deutlich besser als die sklerotische Berliner Republik, die seit Jahren vor sich hin stirbt, die wirtschaftlich stagniert, die immer weniger Kinder bekommt und in der mehr verfällt auf aufgebaut wird, die den Rechtsstaat zerstört hat und ganz simpel gesprochen das Land vor die Wand fährt. ABER: Hier wurde die These aufgestellt, die Bonner Republik sei DER Hochpunkt gewesen. Und das ist falsch. Genauso hätten Leute zu Beginn des dritten Reiches auch argumentieren können. Der Beginn des dritten Reiches war für die Mehrheitsgesellschaft ein ordentlicher Hochpunkt: Die Wirtschaft brummte, es wurden viele Kinder geboren und noch mehr aufgebaut. Und danach kam der totale Absturz. Aber danach kam doch etwas besseres.
Ich finde die Bonner Republik weit besser als die Berliner Republik, aber die Bonner Republik hatte durchaus ihre gewaltigen Probleme. Und es ist nicht die Lösung sie "zurück zu holen", wie sich die AfD das vielleicht immer mehr vorstellt.
Zitat von Johanes im Beitrag #166 Nebenbei: Die erste große Düsternis-Welle kam meines Wissens in den 1980er Jahren auf. Da wurde die Zukunft zunehmend bedrohlich.
Ich will Ulrich nicht in sein Fachgebiet funken, aber düstere Science Fiction gab es wohl schon immer, sie wurde aber erst im Laufe der Zeit dominant, wie sie es heute ist. In gewissem Sinne spiegelt sie auch nur den Zeitgeist wieder, kann aber auch ein Vorbild sein. Für mich ist jedenfalls die aktuell erfolgreichste Science Fiction immer schon sehr bezeichnend für den Gesellschaftszustand gewesen.
Zitat Greta ist auf keinen Fall in der selben Art und Weise ein Held wie es Cap. Future war.
Greta ist überhaupt kein Held. Aber eine Identifikationsfigur. Und das hat sie mit Future gemeinsam. Das Kind oder der Jugendliche möchte sein wie xyz. Und das macht die beiden dann schon vergleichbar, auch wenn das eine eine reale Person und das andere nur eine Phantasie ist.
Zitat Es gibt bis heute Gegenden, in denen es keinen direkten Anschluss an die Kanalisation oder ans Gas-Netz gibt.
Das mag wohl sein, aber zum einen sind das sehr, sehr wenige, zum anderen ist man auch dort nicht darauf angewiesen, damit zu überleben. Eine Sickergrube mag nichts schöne sein, aber man kann damit leben. Unsere heutige Welt dagegen ist auf Strom aufgebaut. Wir können nicht ohne leben. Es wird zwar nicht der Form passieren, aber ganz real gesprochen: Wenn im Winter für drei Wochen der Strom ausfällt, werden Millionen(!) von Deutschen bereits tot sein. Ich glaube nicht, dass man das damit vergleich kann, dass man keinen Gas-Anschluss hat und halt mit Kohlen heizen muss.
Zitat Und es gibt auch Leute aus den 1980ern, die sich noch daran erinnern, ihr Wasser geheizt zu haben bevor sie sich baden konnten.
Wohl dem, der das noch kann. Es haben auch Leute vor 200 Jahren monatelang autonom gelebt, das bedeutet aber nicht, dass man vor 40 Jahren lange überlebt hätte, wenn es plötzlich keine Nahrung mehr zu kaufen gegeben hätte. Wir haben uns ja gesellschaftlich entwickelt. Und wir werden ohne Strom-, Gas- und Nahrungsversorgung sehr viel schneller sterben als Menschen vor 100 Jahren. Und nochmal: Überleben ist kein Luxus.
Zitat Und die Quote in Deutschland liegt noch relativ gut, was aber zum Teil schöngerechnet sein wird. Guckt man aber in andere Länder wie Italien, USA oder Japan, sehen die Zahlen anders aus
Aber genau hier beisst sich die Katze in den Schwanz. In Deutschland ist das Phänomen noch klein und trotzdem ist die Stimmung im Lande deutlich schlechter als den USA. Weil die Stimmung nicht rein vom Jetzt abhängt sondern von den Zukunftserwartungen. Und die sind in Deutschland DAS Problem. Was ja auch, angesichts der Gurkentruppe in Berlin, nicht einmal besonders schlecht eingeschätzt ist.
Zitat Der Held meiner Kindheit ist Captain Future. Die Heldenfigur der heutigen Kinder ist Greta Thunberg.
Das wage ich zu bezweifeln. Greta ist auf keinen Fall in der selben Art und Weise ein Held wie es Cap. Future war.
Aus meinem private Umfeld kann ich nur Anekdoten beitragen.
Was mir dort aber auffällt: Ich kenne einige Eltern, die grün wählen. Deren Kinder sind aber nicht auffallend extrem-grün. Sondern haben durchaus ihren eigenen Kopf. (Bei der letzten Bundestagswahl war bei den Erstwählern die FDP die stärkste Partei, nicht die Grünen!)
Nettes Beispiel: mit meiner 10-jährigen Nichte habe ich letzte Woche ein BMW-Werk besichtigt. Der Tour-Guide hat immer wieder erwähnt, dass der hier gezeigte Bau von Verbrennungsmotoren bald Geschichte sein werde und man voll auf Elektro (und z.T. Hybrid) setze. Am Ende der Tour habe ich meine Nichte dann gefragt, wie ihr die Tour gefallen hat. Ja, habe ihr alles toll gefallen, besonders die Roboter. Nur eines habe sie nicht verstanden: warum will BMW eigentlich nur noch Elektro-Autos bauen? Wo doch Strom jetzt so knapp wird? Fand ich eine ziemlich kluge Frage für eine 10-jährige. Und erkennbar quer gebürstet zu ihren Eltern, die Elektromobilität ganz klasse finden. Sie kommt jetzt übrigens ins Gymnasium. Und hat mir gesagt, dass sie sich da schon drauf freut, weil es da dann sicher weniger Ausländer geben wird als in ihrer Grundschulklasse. Auch das eine Aussage, die so ganz sicher NICHT von ihren Eltern aufgeschnappt hat... Ich würde mir da also erst mal keine Sorge machen, dass da nur noch Greta Thumbergs heranwachsen.
Ansonsten: Auch mein Kindheits-Held war Captain Future. Ich habe mir neulich sogar eine DVD mit den alten Folgen gekauft. Bei der (auch heute noch unheimlich modern klingende) Titelmusik hatte ich richtig Gänsehaut. Die Serie selbst ist aus heutiger Sicht übrigens unglaublich sexistisch. Der süßen Agentin der Weltraumpolizei (in die wir wohl alle verliebt waren) wird von Captain Future ständig erklärt, warum sie für einen gefährlichen Einsatz absolut ungeeignet ist usw.
Zitat von Llarian im Beitrag #171In gewissem Sinne spiegelt sie auch nur den Zeitgeist wieder, kann aber auch ein Vorbild sein.
Es hat da immer ein ziemliches Spektrum gegeben. Und die anspruchslosen Weltraumabenteuer haben immer einen große Teilmenge gebildet. Der Bereich, in dem das Genre wirklich anregend - intellektuell anregend gewesen ist, war immer schon recht klein: SF als Gedankenexperiment - oder aber, um die Möglichkeiten neuer Technik (eben auch neuer Gesellschaftstechniken) durchzudeklinieren. Die Schwiergikeiten beim zweiten gebiet liegen darin, daß das alles schon X-mal durchexeruziert worden ist: "Lebender Planet" à la Solaris gibt's dutzendfach - und zudem ist mit sehr vielen der "klassischen Versatzstücke" heute nicht mehr ernsthaft zu punkten. Es gibt auch keine "neuen Bewegungen," neue Stile & Obsessionen, die die Mode vorgeben. Und das war, seit das Genre mal seinen Namen bekam, alle 10 Jahre so regelmäßig der Fall, daß man die uhr danach stellen konnte. Das war zunächst primives Weltraumgeballer, E.E.SMith, dannn kam Campbell mit der Art von Stories, die ich in meinem Beitrag über Hal Clement kurz umrissen habe, Dann die erste Warnwelle und die Zeitgeistsatire, also Sachen wie Brian Aldiss, Robert Sheckley - und da kommt eben auch Philip K. Dick her. Dann die "New Wave," dann die Zeit, wo Genretitel tatsächlich Bestsellerstatus erreicht haben (der "Wüstenplanet" ist so eine Erblast) - zuletzt Cyberpunk, der auch nix sonderlich Originäres war, sondern eher Raymond Chandler in der virtuellen Welt. Aber mit ganz viel Finsternis. (Das ist dann mit "Matrix" gedeckelt worden). Und seitdem hat dieser Wechsel aufgehört. Da kommt nichts Innovatives mehr nach, sondern nur noch Rekombination, Remix.
Eine der Folge davon ist, daß der Zeitgeist da mittlerweile lähmend überhand genommen hat. Gefühlt jeder zweite Kurztext spielt nur noch "in einer Welt, die unter den Folgen der Klimakatasrophe leidet," das liest sich oft wie Greta-hat-gesagt! Und wenn da wer eine Kolonie auf dem Mars gegründet hat, dann, um den Folgen des Klimawandels zu entkommen. Und dann kommen Nasen wie Kim Stanely Robinson deaher & erklären, man müsse eine Bewegung lancieren, um den Lesern noch mehr von dem drohenden Kliemerwandel zu erzählen. Das kann bloße Staffage bleiben, aber ich bin diesen Krampf mittlerweile derart leid, daß ich das Buch nur noch an die nächste Wand werfe, sobald die Letternfolge "clime change..." erscheint. Das ist das neue "Klassenbewußtsein."
Im übrigen. Ich überlege gerade noch, ob ich was zu "SF als Überlebenshilfe ohne Strom" schreiben soll. Da wäre ein Lektüretipp Leigh Bracketts Roman "The Long Tomorrow" von 1955, jedenfalls die erste Hälfte des Buchs. Gab's bei uns mal als "Am Morgen einer anderen Zeit," ist auch 63 Jahre her. In dem Buch ist auch urplötzlich Ende Gelände; zeitbedingt, weil Die Bombe fällt. Und die Einzigen, die da einigermaßen gut über die Runden kommen, sind die Amischen. Und die sehen latürnich in der Art, wie das sündige neumodische Teufelswerk geendet hat, nicht gerade einen Anreiz, das jetzt wieder von neuem aufzubauen. (Ganz am Anfang wird so ein herumziehender Pferdedoktor, der dem jugendlichen Helden ein Buch darüber zusteckt, von der Dorfgemeinschaft an der Dorflinde aufgeknüpft). Das Problem ist: der Held hat erkannt, wie eng & stillstehend das ist, büxt aus, findet sogar die nur aus Gerüchten bekannte Militärbasis, an der die Technik noch läuft, und wo man an einem Raketenschutzschirm werkelt - und kehrt dann wieder in seinen Kuhstall zurück, nachdem er mit Warmduschen auch nicht froh geworden ist.
Zitat Aber eine Identifikationsfigur. Und das hat sie mit Future gemeinsam. Das Kind oder der Jugendliche möchte sein wie xyz.
Fast. Ich habe das ja mal versucht, auseinanderzupfriemeln, vor 3 Jahren auf dem Höhepunkt des Krötawahns. Da habe ich sie mit der Pucelle verglichen, Jeanne d'Arc - weil mir bei der Parallelführung so erstaunlich viele Übereinstimmungen aufgefallen sind: vom Kindchenschema über den erwachsenen "Entdecker," der das als Marke vermarktet & zur Gallionsfigur aufbaut, als Erlöserfigur in einer alles umfassenden Notlage (entweder gegen die Engländer nach 100 Jahren Dauerkrieg oder den Weltbrand - der bittschön buchstabengetreu gegenwärtig die Rolle des biblischen Armageddon übernommen hat; das ist auch der Grund, warum die Kirchenpfaffen da so begeistert mittun, nachdem ihnen ihr altes Fußvolk weggelaufen ist), das Kindchenschema, das Predigen vor den tauben Ohren der Mächtigen (wobei so getan wird, als hätten die nicht seit 30 Jahren alle auf dieser Klaviatur gespielt). Jeanne bekommt mit Einsetzen der Pubertät schizoide Schübe & hält sich an der Vision, ihr Land zu retten, halbwegs funktionsfähig. Greta bekommt mit Einsetzen der Pubertät existenzbedrohende paranoide Schübe und wird durch die Fixierung auf die CO2-Obsession halbwegs funktionsfähig; mit dem daraus resultierenden Zwang, diesen Wahn tätig ausleben zu müssen. Jeanne sieht die Muttergottes, Greta sieht das CO2. Jeanne reitet auf einem Esel nach Paris, Greta auf der Nußschale zum UN-Hauptquartier (nur zum Scheitanhaufen hat sie es noch nicht gebracht). Die beiden sind keine Identitifikationsfiguren, aber Fleischwerdungen, Inkarnationen der erklärten Ziele. Die sind mit Mana aufgeladen, mit magischer Weltrettungsessenz wie nur je ein Guru. An dessen Stelle möchte man auch nicht sitzen - aber man möchte was von dem Heiligenschein abbekommen.
"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire
Zitat von Florian im Beitrag #172 Sie kommt jetzt übrigens ins Gymnasium. Und hat mir gesagt, dass sie sich da schon drauf freut, weil es da dann sicher weniger Ausländer geben wird als in ihrer Grundschulklasse. Auch das eine Aussage, die so ganz sicher NICHT von ihren Eltern aufgeschnappt hat... Ich würde mir da also erst mal keine Sorge machen, dass da nur noch Greta Thumbergs heranwachsen.
Ich schon. Denn die Problematik steckt im ersten Satz. Es ist auch meine Erfahrung, dass Kinder im Grundschulalter oftmals politisch nicht allzu korrekte Dinge äußern. Auch und gerade deshalb, weil sie die Erfahrung der sozialen Ächtung noch nicht erfahren haben, und, weil in meiner Erfahrung die Grundschullehrer noch vergleichsweise zurück haltend sind. Schon zu meiner Zeit kamen die echten Ideologie-Spritzen erst im Gymnasium vor. Und die Frage, die sich stellt, ist eher, wie die Nichte drauf sein wird, wenn sie die neun Jahre Dauerpropaganda im Gymnasium hinter sich hat.
Zitat Ich habe mir neulich sogar eine DVD mit den alten Folgen gekauft.
Isch hann sie alle. :)
Zitat Bei der (auch heute noch unheimlich modern klingende) Titelmusik hatte ich richtig Gänsehaut.
Die übrigens lustigerweise gar nicht vom Original stammt. Im Rahmen der deutschen Übersetzung hat Captain Future eine völlig eigene, hier von Christian Bruhn komponierte, Musik erhalten. Die Originalmusik ist für deutsche Ohren eher gewöhnungsbedürftig.
Zitat Die Serie selbst ist aus heutiger Sicht übrigens unglaublich sexistisch. Der süßen Agentin der Weltraumpolizei (in die wir wohl alle verliebt waren) wird von Captain Future ständig erklärt, warum sie für einen gefährlichen Einsatz absolut ungeeignet ist usw.
Ich will nicht verhehlen, dass der Hauptzweck von Joan Landers der ist, sich möglichst oft von Future retten zu lassen und ihn permanent anzuhimmeln, aber ist das Sexismus? Denn auch wenn wir natürlich wissen, dass Future immer überleben wird, so sind die Dinge, die er so treibt, tatsächlich doch ziemlich gefährlich. Ist es dann falsch zu sagen, dass sie dafür nicht geeignet ist? Es ist ja auch kein Paternalismus, wenn Ken Scott ausgeschlossen wird, wenn Gefahr droht. Oder kurz gesagt: Joan Landers ist nicht Private Vasquez oder Ellen Ripley. :)
Zitat von Llarian im Beitrag #174Schon zu meiner Zeit kamen die echten Ideologie-Spritzen erst im Gymnasium vor. Und die Frage, die sich stellt, ist eher, wie die Nichte drauf sein wird, wenn sie die neun Jahre Dauerpropaganda im Gymnasium hinter sich hat.
Nun, zumindest bei Ihnen scheint die Gehirnwäsche nicht sonderlich gut funktioniert zu haben. Bei mir auch nicht, auch wenn ich mit meiner Opposition gegen den linksgrünen Blödsinn in der Schule (zur Einordnung: Abi-Jahrgang 2002) eher in der Minderheit war; allerdings auch einer relativ großen Minderheit.
Ich habe mich schon länger gefragt, ob und wie gut die politische Berieselung in der Schule funktioniert. Mein subjektiver Eindruck war, dass die Nummer vor allem bei - böse formuliert - charakterschwachen Mitläufern mit der Persönlichkeit eines feuchten Handtuchs verfangen hat. Die sind zwar recht zahlreich, aber bei weitem nicht alle. Und diese Leute würden vermutlich auch bei politisch neutralem Schulunterricht zu argumentativ bequemen Gutmenschenpositionen neigen, auch wenn diese kompletter Unsinn sind. Den Gruppendruck halte ich übrigens für vernachlässigbar; der spielt bei jüngeren Schülern zwar eine Rolle, das hat sich nach meiner Erfahrung aber in der Oberstufe alles relativiert, wenn die Schüler ihre Persönlichkeit ausbilden. Die Aussenseiter wählen sich ihren Status meist freiwillig, schon weil sie keine Lust haben, ihre Zeit mit Langweilern und SMV-Schwätzern zu verbringen. Da vollzieht sich dann die Trennung zwischen den Leuten, die innovativ sind und solchen, die in der Partei landen.
Heutzutage wird es vermutlich ähnlich sein. Möglicherweise ist die politische Propaganda heute noch aggressiver, aber erfolgreicher ist sie deshalb noch lange nicht, wie man aktuell bspw. in der Debatte über das Gendern feststellen kann. Würde mich nicht wundern, wenn man damit eher das Gegenteil erreicht, denn sobald die ganze Sache derart offensichtlich dumm wird, denkt auch der ein oder andere Mitläufer mal darüber nach, ob das der Weisheit letzter Schluss sein kann.
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