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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
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R.A. Offline



Beiträge: 8.171

18.07.2017 15:13
#176 RE: Moments bloguicaux: Der Mehltau schwindet - Hamburg als ein Köln der anderen Art Antworten

Zitat von Emulgator im Beitrag #171
Das ist nicht die Frage. Wie Sie im verlinkten Artikel lesen können, hat die Regierung May schon jetzt keine Probleme mit der Zuständigkeit des EUGH für die anhängigen Fälle.

Das stimmt, meine Einschränkung auf die schon anhängigen Fälle war eine Fehlinterpretation.
Es geht aber trotzdem nur um eine Übergangsregelung, weil es die Beibehaltung schon bestehender Rechte betrifft.

Zitat
May meint nun, daß deswegen dies- und jenseits des Kanals am Austrittstag dasselbe materielle Recht gelte, zu diesem Zeitpunkt es also wurscht sei, welches Gericht über dasselbe Recht urteile.


Was ja als Ausgangspunkt für eine Verhandlung durchaus akzeptabel ist, auch die daraus gefolgerte Logik.
Brüssel sieht das wie von Ihnen dargestellt etwas anders (und m. E. richtiger) - aber letztlich ist das ein typischer Punkt, wo man eben verhandeln und eine gemeinsame Lösung finden muß und wird.

Wichtig ist m. E. dabei: Es geht NICHT wie von manchen EU-Gegnern unterstellt darum, daß die EU auch nach dem Brexit noch die rechtliche Oberhoheit über das UK beanspruchen will.
Sondern es geht um vernünftige Übergangsregelungen. Grundsätzlich sind die Positionen beider Seiten nachvollziehbar und zumutbar. Und das wird dann auch für den Kompromiß gelten, den man finden wird.

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

18.07.2017 15:54
#177 RE: Moments bloguicaux: Der Mehltau schwindet - Hamburg als ein Köln der anderen Art Antworten

Zitat von Emulgator im Beitrag #171
Es würde nämlich entgegen Mays Behauptung zum Austrittszeitpunkt kein identisches materielles Recht gelten. Für Streitsachen, die nach dem Brexit anhängig werden, aber in identischem EU-UK-Recht entstanden sind, müßten britische Gerichte anders entscheiden als es unter EUGH-Rechtsprechung wäre. Das ist der unkoordinierte Bruch der Rechtssicherheit, das der Withdrawal Bill eigentlich verhindern sollte. Der Brexit wäre also eine über den Wechsel der zuständigen Rechtsprechung vollzogene rückwirkende Änderung des materiellen Rechts.
Für Streitsachen, die nach dem Brexit anhängig werden... sind dann eben britische Gerichte zuständig. Das ist kein "unkordinierter Bruch der Rechtssicherheit", da die Zuständigkeit in allen Fällen beim selben Datum wechselt (eben dem Zeitpunkt, an dem der Brexit in Kraft tritt).

Dadurch wird auch nichts "rückwirkend" geändert. Für die alten Fälle bleiben ja die früher zuständigen Gerichte zuständig.

Emulgator Offline



Beiträge: 2.833

18.07.2017 17:22
#178 RE: Moments bloguicaux: Der Mehltau schwindet - Hamburg als ein Köln der anderen Art Antworten

Zitat von Kallias im Beitrag #177
Dadurch wird auch nichts "rückwirkend" geändert. Für die alten Fälle bleiben ja die früher zuständigen Gerichte zuständig.
Ich habe versehentlich auf den falschen Artikel verwiesen. Der richtige ist hier. Der entscheidende Teil ist folgendes:

Zitat von Daniel Sarmiento
In Kušionová, the Court of Justice was faced with an unfair term in a consumer credit contract, in which the guaranteed asset was the consumer’s home. When she faced the risk of an eviction and loss of her home, Mrs. Kušionová argued that the fundamental right to accommodation, as recognized in article 7 of the Charter, protected the consumer from procedures of enforcement that would entail her eviction, the auction of the property and, as a result, the loss of her home. The Court of Justice agreed and ruled that the enforcement could not carry on as a result of the Directive 93/13 (which says nothing about extrajudicial enforcements), as interpreted in light of the Charter. By relying on the Charter, the Court of Justice interpreted Directive 93/13 in a way that created a new provision, a rule of judicial creation, coherent with the Directive 93/13, but not included by the legislature in the articles of the legal text.

With the Great Repeal Bill, Mrs. Kušionová’s case would still apply in the UK because Directive 93/13 and the UK implementing legislation will be interpreted in light of the Court of Justice’s pre-Brexit case-law. And the judgment is Kušionová was rendered in 2014, so it will remain as part of UK law.

However, this will not be the case when it comes to interpret the 2014 Mortgage Credit Directive, which has not been interpreted yet by the Court of Justice (and will not be interpreted before Brexit). This Directive will be incorporated into UK Law as a result of the Great Repeal Bill, but it will be introduced with no case-law of the Court of Justice attached to it. Therefore, the right to protect the consumer’s home will be ensured when the substantial applicable rules are those under Directive 93/13 (Kušionová), but the consumer will be left all alone, in the hands of internal UK Law, when the same risk appears but the consumer can only rely on the Mortgage Credit Directive.



Es ist also nicht bloß die Zuständigkeit, sondern mit den unterschiedlichen Rechtstraditionen und nur stückweise übernommenen EU-Regelungen (insbes. Aussparung der Grundrechtecharta) entstehen materiellrechtliche Unterschiede -- Unterschiede, die im UK (!) zu unlogischen Urteilen führen.

Emulgator Offline



Beiträge: 2.833

18.07.2017 17:50
#179 RE: Moments bloguicaux: Der Mehltau schwindet - Hamburg als ein Köln der anderen Art Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #176
Wichtig ist m. E. dabei: Es geht NICHT wie von manchen EU-Gegnern unterstellt darum, daß die EU auch nach dem Brexit noch die rechtliche Oberhoheit über das UK beanspruchen will.
Richtig. Im zitierten Artikel der Ostsee-Zeitung wird auch gezeigt, daß die Meinung über den EUGH auch davon bestimmt wird, daß man dem EUGH Urteile des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte des Europarates zuschreibt. Nur ändert der Brexit ja nichts an der Mitgliedschaft im Europarat, dem z.B. auch die Türkei, Island und die Ukraine angehören. Da wachsen mäßig komplexe Unterscheidungen (EUGH gegen EGMR) der UK-Regierung schon arg über den Kopf.

Zitat von R.A. im Beitrag #176
Sondern es geht um vernünftige Übergangsregelungen.
Die freilich sehr lange Bestand haben können: Grob gesagt gilt jedes EU-Recht (einschließlich Präzedenz-Gerichtsurteile) fort, bis neue nationale Gesetzgebung als Ersatz erlassen wird.

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

18.07.2017 18:19
#180 RE: Moments bloguicaux: Der Mehltau schwindet - Hamburg als ein Köln der anderen Art Antworten

Zitat von Emulgator im Beitrag #178
Es ist also nicht bloß die Zuständigkeit, sondern mit den unterschiedlichen Rechtstraditionen und nur stückweise übernommenen EU-Regelungen (insbes. Aussparung der Grundrechtecharta) entstehen materiellrechtliche Unterschiede -- Unterschiede, die im UK (!) zu unlogischen Urteilen führen.
Ja, sicherlich entstehen materiellrechtliche Unterschiede, indem nicht alle EU-Gesetze übernommen werden. (Ob das bei der Grundrechtecarta der Fall ist, weiß ich nicht, Sarmientos Beispiele klingen wenig überzeugend: Rechte wie "das Recht auf Würde und Teilhabe" scheinen mir überhaupt wenig materiell zu sein.)

So unmöglich es ist, innerhalb von zwei Jahren ein völlig neues Rechtssystem aus dem Boden zu stampfen, so wenig folgt daraus, dass zum Zeitpunkt des Austritts sämtliche Gesetze zu 100% übernommen werden müssen. Wenn hier und da schon mal ein Gesetz entfällt, dann ist das nichts anderes als eine ganz normale Rechtsänderung, wie sie ohnehin von den fleissigen Parlamenten unaufhörlich vorgenommen werden.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

18.07.2017 18:22
#181 RE: Moments bloguicaux: Der Mehltau schwindet - Hamburg als ein Köln der anderen Art Antworten

Zitat von dirk im Beitrag #175
Auch die Zustaendigkeit des EUGH muesste ja in britischem Recht geregelt sein und koennte somit - ebenso wie saemtliche andere Gesetze - vom Parlament jederzeit wieder entzogen werden.

Selbstverständlich wäre es möglich, daß GB schlichten Vertragsbruch betreibt. Aber das wäre schon eine ganz andere Lage, als wenn einfach UK-Gerichte bestehendes EU-Recht interpretieren.

Generell ist es bei dieser Debatte auch nebensächlich, welcher juristischen Argumentation man nun genau folgen möchte. Wesentlich ist hier nur, daß die alle grundsätzlich berechtigt sind und es sinnvoll ist, hier eine Lösung zu verhandeln.

Dsa ist also alles KEIN Beispiel für die These, daß die EU monströse Forderungen stellen oder gar das UK "mobben" würde. In dieser Frage wird von beiden Seiten fair und vernünftig argumentiert, und hoffentlich auch so entschieden.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

18.07.2017 18:30
#182 RE: Moments bloguicaux: Der Mehltau schwindet - Hamburg als ein Köln der anderen Art Antworten

Zitat von Kallias im Beitrag #180
So unmöglich es ist, innerhalb von zwei Jahren ein völlig neues Rechtssystem aus dem Boden zu stampfen, so wenig folgt daraus, dass zum Zeitpunkt des Austritts sämtliche Gesetze zu 100% übernommen werden müssen.

Es geht ja nicht wirklich um ein "völlig neues" Rechtssystem. Sondern de facto soll ja das UK exakt das heute geltende Rechtssystem behalten. Das wäre eigentlich redaktionell auch nicht schwer zu machen. Probleme entstehen ja nur, weil May eben nicht die gültige Rechtslage 1:1 übernehmen will, sondern Änderungen vornimmt. Theoretisch kann das sinnvoll sein (auch wenn ich persönlich das beim Verzicht auf die Grundrechte nicht sehe). Aber irgendwelche Schwierigkeiten bei der praktischen Umsetzung liegen dann eben an diesen politisch gewollten Abweichungen, nicht daran, daß man das in zwei Jahren nicht könnte.

Zitat
... so wenig folgt daraus, dass zum Zeitpunkt des Austritts sämtliche Gesetze zu 100% übernommen werden müssen.


Man müßte nicht. Aber die 100%-Fiktion ist ja die Idee von May, um die Frage des Rechtsschutzes zu klären. Auch dieser Ansatz ist nicht per se falsch - aber sie hält ihn eben nicht durch.

Das ist bei vielen Brexit-Problemen so: Es gibt verschiedene funktionsfähige Varianten. Aber die britische Regierung kann sich nicht entscheiden und versucht immer wieder inkompatible Sachen zusammen zu bringen.

dirk Offline



Beiträge: 1.538

18.07.2017 18:37
#183 RE: Moments bloguicaux: Der Mehltau schwindet - Hamburg als ein Köln der anderen Art Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #181
Zitat von dirk im Beitrag #175
Auch die Zustaendigkeit des EUGH muesste ja in britischem Recht geregelt sein und koennte somit - ebenso wie saemtliche andere Gesetze - vom Parlament jederzeit wieder entzogen werden.

Selbstverständlich wäre es möglich, daß GB schlichten Vertragsbruch betreibt. Aber das wäre schon eine ganz andere Lage, als wenn einfach UK-Gerichte bestehendes EU-Recht interpretieren.


Es ging ja in dem verlinkten Blog-Beitrag explizit nicht darum, dass UK Gerichte die gleichen Gesetze unterschiedlich interpretieren koennen.
Sondern darum, dass das UK-Recht nach dem UK Gerichte urteilen geandert werden kann.

Nur kann auf ebensolche Art und Weise das britische Parlament die Zustaendigkeit des EUGH widerrufen. Das "Argument" des Blog-Beitrages aendert also nichts am grundsaetzlichen Problem, dass jedes Verhaeltnis zwischen souveraenen Staaten auf Vertraegen beruht und nur beruhen kann, nicht aber auf "Recht" im Sinne durchsetzbarer Ansprueche.

vielleichteinlinker Offline



Beiträge: 504

19.07.2017 08:39
#184 RE: Moments bloguicaux: Der Mehltau schwindet - Hamburg als ein Köln der anderen Art Antworten

Zitat
Wie gesagt scheint mir diese Sicht Frau Merkel etwas weniger Verantwortung zuzuschreiben, als sie tatsächlich hat. Es gab und gibt heute mehr denn je Kritik an der Energiewende. Aber Merkel bleibt Stur bis hin zum ideologischen Starrsinn.



Ja, und dennoch hat R.A. recht. Die Mehrheit in diesem Land will die Energiewende. Sie wollte sie schon lange und sie war unzufrieden damit, dass Schwarz-Gelb sie halbherzig zurückgedreht hat. Und das sind zwei Sachen, die man trennen können muss. Nämlich: Ist die Energiewende gut/richtig/notwendig/machbar? Und: Wollen die Deutschen mehrheitlich die Energiewende? Letzteres kann man mit ja beantworten. Bei ersterem kann man streiten.

Übrigens, der Achgut-Artikel ist der Hammer. Beste Stelle: ALLES! Der Autor gibt Zitate von Politikern wieder, die ihm "unter drei" gesteckt wurden. Was genau "unter drei" heißt, versteht er nicht. Sonst würde er nicht zitieren. Behauptet aber, seine "Katzenklappe" sei üblich. Dann zitiert er fünf (sic!) Politiker/Lobbyisten. Und damit er die handvoll zusammenkriegt, muss er ein vermeintliches Gabriel-Zitat aus einer Lokal-Seite in Nordhessen mitnehmen. Gut, dass hat der Gabriel wahrscheinlich nicht gesagt. Auch nicht im Vertrauen. Und schon gar nicht ihm. Aber was soll's, passt inhaltlich halt super.

Lügen für die Sache. Zeichen für ideologische Verblendung.

Wow. Wenn das der bessere Journalismus ist, dann weiß ich, warum ich Achtgut-leser so selten erstnehmen kann.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

19.07.2017 10:58
#185 RE: Moments bloguicaux: Der Mehltau schwindet - Hamburg als ein Köln der anderen Art Antworten

Zitat von vielleichteinlinker im Beitrag #184
Behauptet aber, seine "Katzenklappe" sei üblich.

Und da hat er recht. Auch Äußerungen "unter drei" werden ja getätigt, damit sie journalistisch Wirkung zeigen. Sie sollen bloß nicht einer Quelle zugeordnet werden können, eben weil sie politisch unbequem sind. Und das Gabriel-Zitat war ja nicht unter drei.

Ich halte die Zitate auch alle für glaubwürdig. Es gibt selbstverständlich eine Reihe von Leuten in Verbänden und Politik, die die Energiewende kritisch sehen.

Das Problem bei diesem Artikel ist ein Anderes. Aus diesen anekdotischen Einzelmeinungen schließt der Autor: "Was bedeutet es eigentlich, dass fast die gesamte wirtschaftliche und politische Elite weiß, dass sich das teuerste Projekt der deutschen Nachkriegsgeschichte zu einer fulminanten Katastrophe entwickelt, ...".
Und dieser Schluß ist nicht belegt und er ist m. E. auch falsch.
Es ist eben leider nicht so, daß "fast die ganze ... Elite" kapiert hätte, daß die Energiewende nicht klappen wird, nicht klappen kann. Die meisten Entscheider in der Politik und fast alle Journalisten sind immer noch völlig überzeugt, daß das Ziel richtig und machbar ist - es werden maximal einige Details der Umsetzung kritisiert.

vielleichteinlinker Offline



Beiträge: 504

19.07.2017 11:11
#186 RE: Moments bloguicaux: Der Mehltau schwindet - Hamburg als ein Köln der anderen Art Antworten

Zitat
Und da hat er recht. Auch Äußerungen "unter drei" werden ja getätigt, damit sie journalistisch Wirkung zeigen. Sie sollen bloß nicht einer Quelle zugeordnet werden können, eben weil sie politisch unbequem sind. Und das Gabriel-Zitat war ja nicht unter drei.



Nicht ganz (eher gar nicht, wenn, dann sehr indirekt und ... wenn Sie das interssiert, kann ich dazu mehr sagen). Das wäre "unter zwei". Das sind die Fälle, die mit "aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen" oder "ein enger Regierungsmitarbeiter" eingeleitet werden. Also ein Zitat, dessen Urheber nicht genannt werden will, mit seinem Gesagten aber politische Wirkung erzielen möchte. "Unter drei" sind reine Hintergrundinfos, "off the record", also Sachen, von denen der Sagende will, dass der Journalist sie weiß aber nicht, dass er sie weitergibt.

Was der Autor hier macht ist: Er macht aus "Unter drei" einfach "Unter zwei" und tut so, als sei das üblich. Das ist es nicht. Denn es würde eine Quelle verbrennen und das machen Zeitungen nur dann, wenn sie das auch wollen. Dann ist es aber keine "Katzenklappe" sondern dann nennt man Ross und Reiter.

Und dass das "Gabriel-Zitat" (Ich sehe keinen Grund anzunehmen, es sei ein Zitat. Da hat sich ein Kleinstschreiber einfach wichtig machen wollen) war nicht "unter drei", wird aber vom Autor so verkauft.

Und zu dem weiteren Einwand: Der Artikel hat so viele Probleme, da ist Platz für mehrere. Ja, es stimmt, dass der Autor aus Einzelmeinungen ein Stimmungsbild macht. Mich stört aber, dass er dieses Stimmungsbild zum Beweis nimmt, dass die Stimmungen stimmen.

Wie gesagt: Top-Journalismus. Achgut halt.

Martin Offline



Beiträge: 4.129

19.07.2017 11:33
#187 RE: Moments bloguicaux: Der Mehltau schwindet - Hamburg als ein Köln der anderen Art Antworten

Zitat von vielleichteinlinker im Beitrag #186


Was der Autor hier macht ist: Er macht aus "Unter drei" einfach "Unter zwei" und tut so, als sei das üblich. Das ist es nicht. Denn es würde eine Quelle verbrennen und das machen Zeitungen nur dann, wenn sie das auch wollen. Dann ist es aber keine "Katzenklappe" sondern dann nennt man Ross und Reiter.
Ich verstehe das Problem nicht. Wenn Wendt journalistische Grundsätze verletzt bekommt er eben keine Gespräche zu dritt mehr.

Und dass das "Gabriel-Zitat" (Ich sehe keinen Grund anzunehmen, es sei ein Zitat. Da hat sich ein Kleinstschreiber einfach wichtig machen wollen) war nicht "unter drei", wird aber vom Autor so verkauft. [/quote]

Das habe ich aber so nicht verstanden, es soll eine rausgerutschte Bemerkung gewesen sein. Das sieht nicht nach gezielter Information aus.

Gruß, Martin

nachdenken_schmerzt_nicht Offline




Beiträge: 1.994

19.07.2017 11:36
#188 RE: Moments bloguicaux: Der Mehltau schwindet - Hamburg als ein Köln der anderen Art Antworten

Zitat von vielleichteinlinker im Beitrag #186
Ja, es stimmt, dass der Autor aus Einzelmeinungen ein Stimmungsbild macht. Mich stört aber, dass er dieses Stimmungsbild zum Beweis nimmt, dass die Stimmungen stimmen.


Zitat von vielleichteinlinker im Beitrag #186
Wie gesagt: Top-Journalismus. Achgut halt.


Machen Sie doch auch!?

Herzlich


nachdenken_schmerzt_nicht

"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

19.07.2017 11:37
#189 RE: Moments bloguicaux: Der Mehltau schwindet - Hamburg als ein Köln der anderen Art Antworten

Zitat von vielleichteinlinker im Beitrag #186
Was der Autor hier macht ist: Er macht aus "Unter drei" einfach "Unter zwei" und tut so, als sei das üblich. Das ist es nicht. Denn es würde eine Quelle verbrennen und das machen Zeitungen nur dann, wenn sie das auch wollen. Dann ist es aber keine "Katzenklappe" sondern dann nennt man Ross und Reiter.
Das sehe ich auch so. Diese Unter-drei-Zitate zu bringen, ist ein Vertrauensbruch.
Zitat von vielleichteinlinker im Beitrag #186
Ja, es stimmt, dass der Autor aus Einzelmeinungen ein Stimmungsbild macht. Mich stört aber, dass er dieses Stimmungsbild zum Beweis nimmt, dass die Stimmungen stimmen.
Er bezieht sich auf Veröffentlichungen des Bundesrechnungshofes, der Bundesnetzagentur und des Wirtschaftsministeriums. Ob man dergleichen als "Wissen" bezeichnen soll, sei dahingestellt. Aber solche Gutachten stellen die Grundlage dar, auf der politische Entscheidungen getroffen werden. Was jedoch im Fall der E-Wende inzwischen nicht mehr geschieht. Das ist vor allem gut für den vormaligen Energiewendeminister Gabriel, der bekanntlich 2013 angetreten ist, um in den Verhau der "unkoordinierten, uneinheitlichen und redundanten Maßnahmen" aus der Altmeierzeit Ordnung zu bringen.
Zitat von vielleichteinlinker im Beitrag #186
Wie gesagt: Top-Journalismus. Achgut halt.
Ach manchmal ist das gut dort, ach manchmal schlecht.

nachdenken_schmerzt_nicht Offline




Beiträge: 1.994

19.07.2017 12:00
#190 RE: Moments bloguicaux: Der Mehltau schwindet - Hamburg als ein Köln der anderen Art Antworten

Zitat von vielleichteinlinker im Beitrag #184
Und damit er die handvoll zusammenkriegt, muss er ein vermeintliches Gabriel-Zitat aus einer Lokal-Seite in Nordhessen mitnehmen. Gut, dass hat der Gabriel wahrscheinlich nicht gesagt. Auch nicht im Vertrauen. Und schon gar nicht ihm. Aber was soll's, passt inhaltlich halt super.

Lügen für die Sache. Zeichen für ideologische Verblendung.
Hier im Wort, hier in bewegtem und vertontem Bild (ab 0:40).

Herzlich


nachdenken_schmerzt_nicht

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Frankenstein Offline




Beiträge: 888

19.07.2017 12:03
#191 RE: Moments bloguicaux: Der Mehltau schwindet - Hamburg als ein Köln der anderen Art Antworten

Zitat von vielleichteinlinker im Beitrag #186

Zitat
Und da hat er recht. Auch Äußerungen "unter drei" werden ja getätigt, damit sie journalistisch Wirkung zeigen. Sie sollen bloß nicht einer Quelle zugeordnet werden können, eben weil sie politisch unbequem sind. Und das Gabriel-Zitat war ja nicht unter drei.


Nicht ganz (eher gar nicht, wenn, dann sehr indirekt und ... wenn Sie das interssiert, kann ich dazu mehr sagen). Das wäre "unter zwei". Das sind die Fälle, die mit "aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen" oder "ein enger Regierungsmitarbeiter" eingeleitet werden. Also ein Zitat, dessen Urheber nicht genannt werden will, mit seinem Gesagten aber politische Wirkung erzielen möchte. "Unter drei" sind reine Hintergrundinfos, "off the record", also Sachen, von denen der Sagende will, dass der Journalist sie weiß aber nicht, dass er sie weitergibt.

Was der Autor hier macht ist: Er macht aus "Unter drei" einfach "Unter zwei" und tut so, als sei das üblich. Das ist es nicht. Denn es würde eine Quelle verbrennen und das machen Zeitungen nur dann, wenn sie das auch wollen. Dann ist es aber keine "Katzenklappe" sondern dann nennt man Ross und Reiter.

Und dass das "Gabriel-Zitat" (Ich sehe keinen Grund anzunehmen, es sei ein Zitat. Da hat sich ein Kleinstschreiber einfach wichtig machen wollen) war nicht "unter drei", wird aber vom Autor so verkauft.

Und zu dem weiteren Einwand: Der Artikel hat so viele Probleme, da ist Platz für mehrere. Ja, es stimmt, dass der Autor aus Einzelmeinungen ein Stimmungsbild macht. Mich stört aber, dass er dieses Stimmungsbild zum Beweis nimmt, dass die Stimmungen stimmen.

Wie gesagt: Top-Journalismus. Achgut halt.


Achgut ist doch ein Blog unabhängiger Autoren zur Verbreitung mainstreamkritischer Mejnungen und Polemiken und keine Tageszeitung. So ganz erschließt sich mir daher ihr Versuch, ein komplettes Blog aufgrund des Beitrags eines unabhängigen Autors aus dem Jahre 2014 zu diskreditieren, nicht. Ich muss zugegebenermaßen aber auch nicht alles verstehen.

Gabriels Zitat hingegen erscheint mir durchaus als im Bereich des Möglichen zu liegen. Ich bin kein großer Fan von ihm, muss aber konzedieren, dass bei Gabriel - in Relation zu anderen hochrangigen Politikern - die Neigung zu politisch unbequemen Klartext-Ansagen deutlich ausgeprägter ist als bei anderen Politikern, was ja auch genau der Grund des Fremdelns zwischen ihm und der Basis ist. Müsste ich den berufsbedingten Grundkonflikt von Politikern - also die massive Differenz zwischen ihren öffentlichen Aussagen und ihren eigentlichen Überzeugungen bzw. ihrem Hintergrundwissen um die realen Verhältnisse - personifizieren, so würde meine Wahl auf Gabriel fallen. Er hat meiner Erinnerung nicht gerade selten die Geduld mit auf ideologische Verblendung beruhenden politischen und ökonomischen Illusionen verloren und sich entsprechend zu nicht-opportunen Äußerungen hinreißen lassen.

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

19.07.2017 12:10
#192 RE: Moments bloguicaux: Der Mehltau schwindet - Hamburg als ein Köln der anderen Art Antworten

Zitat von Frankenstein im Beitrag #191
aus dem Jahre 2014
Meine Güte, das hatte ich übersehen. Damals war diese Art der Kritik an der Energiewende ziemlich weit verbreitet. Der Schluss, der daraus gezogen wurde, lautete allerdings nicht "Aufhören!", sondern "Besser organisieren!"

vielleichteinlinker Offline



Beiträge: 504

19.07.2017 13:14
#193 RE: Moments bloguicaux: Der Mehltau schwindet - Hamburg als ein Köln der anderen Art Antworten

Zitat
So ganz erschließt sich mir daher ihr Versuch, ein komplettes Blog aufgrund des Beitrags eines unabhängigen Autors aus dem Jahre 2014 zu diskreditieren, nicht.


Ja, das mache ich auch nicht. Für mich ist die Qualität des Beitrags nur nicht überraschend. Von Achgut kann man solch schlechten Journalismus (Ja, das will es sein!) eben erwarten.

Und meine Kritik an dem Gabriel-Zitat ist ja die, dass ich nicht glaube, dass er das so gesagt hat. Das stimmt wohl auch. Zumindest nicht so, wie es Wendt behauptet.

Es ist ihm nänmlich nicht rausgerutscht, er hat es in seiner Rede gesagt. Was 2014 völlig plausibel ist. Damals war er ja auf Tour, die SchwarzRoten Änderungen an der SchwarzGelben Wende von der SchwarzGelben Wende von der RotGrünen Wende zu verteidigen. Da macht es Sinn zu sagen, die Energiewende steht kurz vor dem Aus (Weil der Altmeier seine Finger dranhatte). Deswegen muss ich jetzt besser machen. Es ist also kein Zitat, dass die Energiewende in Frage stellt. Sondern eine Aussage über die richtige Umsetzung.

vielleichteinlinker Offline



Beiträge: 504

19.07.2017 13:17
#194 RE: Moments bloguicaux: Der Mehltau schwindet - Hamburg als ein Köln der anderen Art Antworten

Zitat
Meine Güte, das hatte ich übersehen. Damals war diese Art der Kritik an der Energiewende ziemlich weit verbreitet. Der Schluss, der daraus gezogen wurde, lautete allerdings nicht "Aufhören!", sondern "Besser organisieren!"



So würde ich das auch sehen. Zumal Gabriel damals recht frisch im Amt war und die Politik seines Vorgängers gleichzeitig verteidigen und kritisieren muss.

Emulgator Offline



Beiträge: 2.833

19.07.2017 14:09
#195 RE: Moments bloguicaux: Der Mehltau schwindet - Hamburg als ein Köln der anderen Art Antworten

Zitat von Kallias im Beitrag #180
Ja, sicherlich entstehen materiellrechtliche Unterschiede, indem nicht alle EU-Gesetze übernommen werden. (Ob das bei der Grundrechtecarta der Fall ist, weiß ich nicht, Sarmientos Beispiele klingen wenig überzeugend: Rechte wie "das Recht auf Würde und Teilhabe" scheinen mir überhaupt wenig materiell zu sein.)

Materielles Recht ist das, was außergerichtlich gelten soll im Gegensatz zum Verfahrensrecht. Das Verfahrensrecht ist ja auch von Traditionen geprägt, wie man am UK besonders gut sieht (sogar mit Unterschieden innerhalb des UK, etwa Besonderheiten Schottlands oder Nordirlands). Mit dem britischen Verfahrensrecht hatte die EU nie Probleme, was man auch daran sieht, daß für EU-Bürger im EU-Ausland selbstverständlich die Gerichte der Einheimischen vorgesehen waren (bei den Investitionsschutzgerichten in den Freihandelsabkommen à la CETA und vielleicht dem, was zwischen EU und UK kommt, wird es tatsächlich Spezialgerichte für Ausländer geben!). Daran kann man auch erkennen, daß es nicht um schiere Eitelkeit der EU geht, daß die Zuständigkeit des EUGH für die im UK fortgeltenden EU-Normen beibehalten werden soll.

Materielles und Verfahrensrecht sind ja oft miteinander verschränkt. So verstecken sich in den sprachlich auffälligen doppelten Verneinungen im BGB Bestimmungen zur Beweislast. Damit diese Verschränkung keine bizarren Ergebnisse bringt, ist es notwendig, beides zueinander passend zu haben. Deswegen wurde der EUGH extra für die einheitliche Auslegung Europäischen Rechts geschaffen. Die nationalen Gerichte brauchen europäisches Recht nicht auszulegen und der EUGH nicht nationales Recht. Eine saubere Trennung! In der Informatik hat man es ja auch, daß ein Programm nicht auf den Speicherinhalt eines anderen Programmes zugreift, sondern daß man definierte Schnittstellen verwendet. Im Recht sind die Vorabentscheidungen des EUGH eine solche Schnittstelle.

Jetzt, mit dem Brexit, wird diese Verschränkung von materiellem und Verfahrensrecht unpassend. Im konkreten Beispiel von Sarmiento sind es Pfändungen der als Sicherheit hinterlegten Wohnung. Bei ansonsten materiell völlig analoger Rechtssituation wäre im einen Fall das als Sicherheit angebotene Haus nicht pfändbar, weil eine alte Auslegung der Grundrechtecharta es verbietet, und im anderen Fall wäre es pfändbar, weil so eine Auslegung zum Brexit-Stichtag noch nicht stattgefunden hat (aber zweifellos stattgefunden hätte). Es ist grober Pfusch, wenn die Rechtslage zu solcher Ungleichbehandlung ansonsten gleicher Sachverhalte führt.

Im britischen Case Law sieht solcher Pfusch nochmal schlimmer aus. Deutsche Gerichte etwa können die Entscheidungen anderer (deutscher) Gerichte schon immer ignorieren, sie könnten solche ungleiche Rechtslagen einfach ungleich aburteilen, weil sie ja nur ans Gesetz gebunden sind. Für britische Gerichte ist das aber richtiges Chaos.

Zitat von Kallias im Beitrag #180
So unmöglich es ist, innerhalb von zwei Jahren ein völlig neues Rechtssystem aus dem Boden zu stampfen, so wenig folgt daraus, dass zum Zeitpunkt des Austritts sämtliche Gesetze zu 100% übernommen werden müssen. Wenn hier und da schon mal ein Gesetz entfällt, dann ist das nichts anderes als eine ganz normale Rechtsänderung, wie sie ohnehin von den fleissigen Parlamenten unaufhörlich vorgenommen werden.
Ja, wenn es so wäre! Allerdings sieht der Withdrawal Bill eine sogenannte Heinrich VIII.-Klausel vor, durch die die Regierung Gesetze in Umgehung des Parlamentes erlassen kann.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

19.07.2017 14:44
#196 RE: Moments bloguicaux: Der Mehltau schwindet - Hamburg als ein Köln der anderen Art Antworten

Zitat von vielleichteinlinker im Beitrag #186
Das wäre "unter zwei". Das sind die Fälle, die mit "aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen" oder "ein enger Regierungsmitarbeiter" eingeleitet werden. Also ein Zitat, dessen Urheber nicht genannt werden will, mit seinem Gesagten aber politische Wirkung erzielen möchte.

Und zwar als Teil einer aktuellen Debatte!
Wenn die "engen Regierungsmitarbeiter" etwas loslassen, dann soll das am nächsten Tag in der Zeitung stehen und zu Reaktionen führen. Und trotz der Anonymität können sich die Betroffenen meist zusammenreimen, aus welcher Ecke das kommt.

Zitat
"Unter drei" sind reine Hintergrundinfos, "off the record", also Sachen, von denen der Sagende will, dass der Journalist sie weiß aber nicht, dass er sie weitergibt.


Das "weitergeben" ist ja grundsätzlich der Job eines Journalisten. Wenn man will, daß er gar nichts draus macht, braucht man es ihm auch nicht zu erzählen.
Im konkreten Fall gehe ich davon aus, daß die Zitierten erreichen wollten, daß der Journalist auf die Probleme mit der Energiewende aufmerksam wird, dazu Recherchen anstellt und irgendwann dazu auch etwas schreibt. Und wenn er dann in ihrem (Energiewende-kritischem) Sinne schreibt, und das irgendwann ohne Namensnennung erscheint - dann werden sie mit der Zitierung kaum Probleme haben.

Zitat
Denn es würde eine Quelle verbrennen ...


Genau das ist hier nicht der Fall. Beim üblichen "unter zwei"-Zitat wird sofort gefragt: Wer konnte davon überhaupt wissen? Wem nützt die Veröffentlichung dieser Sache? Und da kann die Quelle auch ohne Nahmensnennung schon leicht ins Visier kommen.
Aber eine anonyme Veröffentlichung viel später, ohne Kontext einer aktuellen Diskussion - da kann doch keiner die Quelle erkennen, sie bleibt intakt.

Zitat
Und dass das "Gabriel-Zitat" (Ich sehe keinen Grund anzunehmen, es sei ein Zitat. Da hat sich ein Kleinstschreiber einfach wichtig machen wollen) war nicht "unter drei", wird aber vom Autor so verkauft.


Nein, wird es nicht!
Er bringt es nach den "unter drei"-Beispielen und sagt explizit, wie es zustande kam. Ich sehe auch keinen Anhaltspunkt für die Vermutung, das hätte Gabriel nie gesagt und das wäre ihm untergeschoben worden. Ich kann mich noch daran erinnern, als das durch die Presse lief. Sorgte schon für ein gewisses Erstaunen, wurde aber nie dementiert. Und Gabriel ist ja auch jemand, dem mal eine unbeherrschte Bemerkung rausrutscht.

Zitat
Mich stört aber, dass er dieses Stimmungsbild zum Beweis nimmt, dass die Stimmungen stimmen.


Das leitet er so nicht ab. Er setzt voraus, daß die Energiewende nicht klappen kann (belegt dies ja auch mit Beispielen) - und seine eigentliche Frage kommt erst danach: Wieso erzählen Politiker öffentlich wider besseres Wissen etwas Anderes.
Und damit hat er durchaus einen interessanten Punkt - der zieht auch, wenn es sich nur um Einzelmeinungen handelt und nicht wie von ihm dargestellt um die ganze politische Elite. Der Vergleich mit der DDR-Endzeit ist da nicht schlecht.

Übrigend kenne ich das Phänomen ähnlich aus der Wirtschaft: Da weiß ziemlich jeder im Projekt, daß es heftige Probleme gibt und der Endtermin nicht zu halten ist. Und trotzdem tun in den Meetings alle so, als wäre das Projekt grundsätzlich ok und die Probleme beherrschbar.
Weil man sich extrem unbeliebt macht, so etwas grundsätzlich in Frage zu stellen. Davor schrecken die meisten Leute zurück.

nachdenken_schmerzt_nicht Offline




Beiträge: 1.994

19.07.2017 15:12
#197 RE: Moments bloguicaux: Der Mehltau schwindet - Hamburg als ein Köln der anderen Art Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #196
Ich sehe auch keinen Anhaltspunkt für die Vermutung, das hätte Gabriel nie gesagt

Da das, was ich weiter oben verlinkt habe, scheint abseits der Wahrnehmung zu liegen: Gabriel hat das gesagt. Der oben gepostete Link ist eine Fernsehaufzeichnung der Sat1 Nachrichten mit der entsprechenden Rede des Ministers.
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #190
hier in bewegtem und vertontem Bild (ab 0:40).

"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu

vielleichteinlinker Offline



Beiträge: 504

19.07.2017 15:28
#198 RE: Moments bloguicaux: Der Mehltau schwindet - Hamburg als ein Köln der anderen Art Antworten

Zitat
Das "weitergeben" ist ja grundsätzlich der Job eines Journalisten. Wenn man will, daß er gar nichts draus macht, braucht man es ihm auch nicht zu erzählen.


Oh doch.

Eines, selbst erlebt: Redaktionsgespräch mit einem Minister. Der vertritt die Parteilinie, kommt aber gegen Fragen, dass diese Unsinn sei, nicht an. Er hat einfach keine Antworten. Also "unterbricht" er das Interview und sagt: "In meiner Partei sind die Ansichten dazu noch viel krasser. Dagegen komme ich nicht an, selbst wenn ich weiß, dass es unpopulär ist." Wir wussten damit: Nachfragen hat keinen Sinn, macht das Gespräch nur schwieriger.

Vielleicht wird es an einem komstruierten Beispiel klarer:

Sigmar Gabriel ist schwanger.

"Unter eins" wäre:

BILD
Gabriel: Ja, ich bin schwanger.

"Unter zwei" wäre:
Insider bestätigt: Gabriel ist schwanger.

"Unter drei" könnte sein.

Sie führen ein Gespräch mit der Frau von Gabriel. Die sagt Ihnen. "Off the record, mein Mann ist Schwanger. Er hat sich von einem schwedischen Spezialisten ein Kind einsetzen lassen, um im Wahlkampf familienfreundlicher zu wirken. Aber das bleibt unter uns."

Als Journalist profitieren Sie aus drei Gründen.

Sie wissen nun, dass Gabriel schwanger ist.

Sie haben eine Quelle für diese Nachricht. Um sie zu veröffentlichen, bräuchten Sie ohnehin noch eine Quelle. Wenn Sie also mal einige Schwedische Spezialisten abklappern und Ihnen einer sagt, er habe Siggi ein Kind eingepflanzt, dann können Sie mit der Geschichte raus. Und zwar mit der Schlagzeile "GABRIEL IST SCHWANGER" und nicht nur "Gabriel: Ich bin schwanger".

Sie wissen, dass es wahrscheinlich wahr ist. "Off the record" ist ein Weg, Klartext zu reden.

Zitat
Und wenn er dann in ihrem (Energiewende-kritischem) Sinne schreibt, und das irgendwann ohne Namensnennung erscheint - dann werden sie mit der Zitierung kaum Probleme haben.



Mein Problem ist, dass Wendt etwas anderes sagt. Er sagt, er habe die Zitate "unter drei" bekommen. Und das heißt eben: Nicht zitieren, nicht veröffentlichen, nur für Sie. Damit können die Leute natürlich (k)ein Problem haben oder nicht. Aber so wie er es beschreibt, bricht er damit die Vereinbarung mit seinen Gesprächspartner. Er macht aus "unter drei" ein "unter zwei".

Und im Falle Gabriels ist es nochmal etwas anderes. nachdenken_schmerzt_nicht* hat ja schon geschrieben, dass Gabriel das wirklich gesagt hat. Allerdings in anderem Zusammenhang. Und auch nicht so (der Teil mit den Bekloppten) und auch nicht "unter drei". Mich stört, dass Wendt es in die Liste aufnimmt (er nummeriert es ja als 5.) und die Quelle zuerst offensichtlich macht ("schwergewichtig" ... hihihi) und dann mit der Wahrheit rauskommt. Schlechter Stil.

Zitat
Das leitet er so nicht ab. Er setzt voraus, daß die Energiewende nicht klappen kann (belegt dies ja auch mit Beispielen) - und seine eigentliche Frage kommt erst danach: Wieso erzählen Politiker öffentlich wider besseres Wissen etwas Anderes.



Das stimmt. Er kritisiert die Doppelzüngigkeit.

*Sorry, hatte hier "nds" geschrieben. Und geändert.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

19.07.2017 15:55
#199 RE: Moments bloguicaux: Der Mehltau schwindet - Hamburg als ein Köln der anderen Art Antworten

Zitat von vielleichteinlinker im Beitrag #198
Wir wussten damit: Nachfragen hat keinen Sinn, macht das Gespräch nur schwieriger.

Schönes Beispiel, aber wohl eher untypisch.

Zitat
Vielleicht wird es an einem komstruierten Beispiel klarer:
"Unter drei" könnte sein.
Sie führen ein Gespräch mit der Frau von Gabriel. Die sagt Ihnen. "Off the record, mein Mann ist Schwanger. Er hat sich von einem schwedischen Spezialisten ein Kind einsetzen lassen, um im Wahlkampf familienfreundlicher zu wirken. Aber das bleibt unter uns."


Die Frage ist nun: Warum erzählt die Frau das?
Doch wohl nicht, um die Schwangerschaft geheim zu halten!

Grundsätzlich muß sie nach einer solchen Bemerkung, auch "off the record", damit rechnen, daß die Schwangerschaft nun bekannt wird. Und sei es, weil der informierte Journalist nun bei schwedischen Spezialisten recherchiert.
Das "unter drei" hat hier die Funktion a) die Quelle zu schützen und b) keine direkte Wirkung zu erzeugen. D.h. wenn gerade über Familienpolitik und die Rolle der SPD diskutiert wird, dann würde eine Meldung "Gabriel ist schwanger" sofort als Beitrag im Kontext dieser Diskussion gewertet. Aber dahin will sie die Frau nicht haben.

Wenn dagegen Wochen später ein aus anderen Quellen recherchierter Artikel über Gabriels Schwangerschaft kommt (und der kommt nur, weil sie die Recherchen angestoßen hat!), dann ist das offenbar in ihrem Sinne.

Ich halte die zeitliche Komponente für ziemlich wichtig.
Im hier diskutierten Fall hat der Journalist die Zitate nicht für einen aktuellen Artikel genutzt und die Äußerungen damit zum Instrument der Tagespolitik gemacht. Und damit m. E. das "unter drei" respektiert.
Daß er viel später dann einen allgemeinen Artikel über die interne und öffentliche Bewertung der Energiewende schreibt ist etwas Anderes. Ja, der Buchstabe des Pressecodes achtet nicht auf den zeitlichen Kontext. Aber die Betroffenen werden m. E. gut mit dem Artikel leben können, der Geist von "unter drei" blieb gewahrt und als Quelle bleiben sie geschützt.

OK, ist aber letztlich nur eine Nebenaspekt. Wir sind uns einig, daß der Artikel deutliche Schwächen hat. Trotzdem finde ich das geschilderte Problem interessant und diskussionswürdig, auch ganz unabhängig von der Energiewende.

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

19.07.2017 16:50
#200 RE: Moments bloguicaux: Der Mehltau schwindet - Hamburg als ein Köln der anderen Art Antworten

Zitat
Das "unter drei" hat hier die Funktion a) die Quelle zu schützen und b) keine direkte Wirkung zu erzeugen. D.h. wenn gerade über Familienpolitik und die Rolle der SPD diskutiert wird, dann würde eine Meldung "Gabriel ist schwanger" sofort als Beitrag im Kontext dieser Diskussion gewertet. Aber dahin will sie die Frau nicht haben.

Wenn dagegen Wochen später ein aus anderen Quellen recherchierter Artikel über Gabriels Schwangerschaft kommt (und der kommt nur, weil sie die Recherchen angestoßen hat!), dann ist das offenbar in ihrem Sinne.


Also ich weiß ja nicht wie die Gepflogenheiten in der Öffentlichkeitsarbeit innerhalb der SPD sind, aber ich kenne mich ein wenig damit aus, wie es in Pressestellen von Unternehmen zugeht. Und da ist es keineswegs so, dass #3 das Ziel hat, eine Veröffentlichung anzustoßen (das gilt für #2). Es geht vielmehr darum, zu erwartende Artikel in einen Kontext zu bringen und dabei die eigene Sicht oder auch nur bestimmte nicht zugängliche Fakten einem Journalisten mitzuteilen. Eine Veröffentlichung, wie Wendt sie vornimmt - ein wörtliches Zitat plus einen ziemlich leicht nachvollziehbaren Hinweis auf die Quelle - entspricht vielleicht mit zwei zugedrückten Augen #2, allerdings wäre bei #3 die Quelle, wie vielleichteinlinker zu Recht feststellt, verbrannt.

Gruß Petz

Free speech is so last century. (Brendan O'Neill)

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