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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
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Doeding Offline




Beiträge: 2.612

13.04.2016 09:39
#176 RE: Zitat des Tages: Böhmermanns Spiel Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #173
Zitat von Doeding im Beitrag #170
Daß man juristisch anders argumentieren kann, ist doch unstrittig, aber inzwischen betrachtet das selbst ein Ex-NRW-Verfassungsrichter primär in der bilateral-politischen und innenpolitischen Dimension. Natürlich ist auch seine Meinung nicht sakrosankt, sie macht aber deutlich, daß man diesen Fall nicht mehr sinnvoll nur als "Beleidigung" diskutieren und entscheiden kann; jedenfalls nicht aus Sicht der Bundesregierung.

Übrigens würde ich, wenn ich Journalist wäre und eine Meinung contra Erdogan bräuchte, mich auch als erstes an Herrn Bertrams wenden.

Zitat
Der frühere Präsident des NRW-Verfassungsgerichtshofs, Michael Bertrams, hat die generelle Zulassung des islamischen Kopftuchs für Lehrerinnen an staatlichen Schulen als Schritt zur „Unterwerfung unter die aggressiven Ansprüche der islamischen Verbände und ihrer Wortführer“ kritisiert. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erinnere ihn „fatal an das Szenario in Michel Houellebecqs Roman ‚Unterwerfung‘“, schreibt Bertrams in dieser Zeitung.
http://www.ksta.de/politik/ex-verfassung...-scharf-1246632

Er ist ein klassischer Vertreter einer politisch motivierten Justiz.

Gruß Petz



Du meinst die Entscheidung des BVerfG? Politisch motiviert kann man immer unterstellen. Man kann es auch als Ausdruck eines dezidiert-freiheitlichen Rechtsverständnisses begreifen. Übrigens cheap shot ist es auch, wenn man Argumente v. a. dadurch zu entkräften versucht, indem man dem Argumentierenden irgendwelche Gesinnungen, Haltungen oder unterliegende Motive unterstellt und daraus eine allgemeine Diskreditierung ableitet. Eine Methode, die ich in einem sachlichen Diskurs eher kritisch sehe.

Edit: überflüssige Spitze gegenüber Petz gelöscht.

Herzliche Grüße,
Andreas

"Man kann einen gesellschaftlichen Diskurs darüber haben, was Meinungsfreiheit darf. Oder man hat Meinungsfreiheit." (Christian Zulliger)

dari Offline




Beiträge: 189

13.04.2016 09:40
#177 RE: Zitat des Tages: Böhmermanns Spiel Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #170
Zitat von Meister Petz im Beitrag #168
Zitat von Doeding im Beitrag #167
Umgekehrt gilt: ne bis in idem. Er kann nicht zweimal wegen der gleichen Sache angeklagt/ verurteilt werden. Ob das hier so gilt, ist juristisch wohl nicht ganz unumstritten, aber politisch ist es auf jeden Fall ein Ausweg für Merkel. Ein Ausweg, den Ergogan selbst ihr durch seine Privatklage geliefert hat. Da hat sich der Sultan möglicherweise verkalkuliert. Finde ich gut .

Aber das bedeutet doch nur, dass man nach einem rechtskräftigen Urteil nicht mehr wegen desselben Tatbestands angeklagt werden kann. Hier ist doch schon klar, dass die Ermittlungen zusammengefasst werden. Außerdem liegt eine Tateinheit bzgl. 103 und 185 vor, was kaum bestritten werden kann, immerhin bezieht sich Böhmermann sowohl auf die Person Erdogan als auch auf den Präsidenten.

Das ist hier auch relevant, weil die Rechtsfolgen unterschiedlich sind. Es besteht ein unterschiedliches Strafmaß, und im Gegensatz zum 103er besteht beim 185er im Falle einer Verurteilung auch ein Schmerzensgeldanspruch seitens Erdogan als Privatperson.

Gruß Petz


Im Kanzleramt scheint man das, zumindest teilweise, anders zu sehen:

Zitat von http://www.faz.net/aktuell/politik/strei...html#/elections
Nun, nach Eingang der Klage Erdogans, leuchtete ein Licht am Ende des Tunnels. Die Fachleute operierten mit der juristischen Formel „ne bis in idem“ – zu Deutsch: „nicht zweimal in derselben (Sache)“. Es stellte sich die Frage: Wenn Erdogan klagt, muss die Bundesregierung dann noch selbst zur Strafverfolgung ermächtigen? Rechtliche Abwägungen wurden gemacht. Könnte der vorliegende Sachverhalt unter das Verbot der Doppelbestrafung fallen? Oder ist die Ermächtigung der Bundesregierung ein separater Akt und alles andere durch die unabhängige Justiz zu klären?


Ich meine, wir sind uns doch einig, daß von unserer Regierung, nie, nie, aber wirklich niemals ein Rechtsbruch irgendeiner Art ausgehen würde!? Oh, wait...

Ich meinte ja den politischen Ausweg für Merkel, indem sie sich halt dieser Rechtsauffassung anschlösse (und nochmal: sie muß ein "nein" zu 103 rechtlich überhaupt nicht begründen), indem sie sagt, der Gerechtigkeit würde ja bereits durch die Privatklage Genüge getan. Als politsche Aussage und Entscheidung. Daß man juristisch anders argumentieren kann, ist doch unstrittig, aber inzwischen betrachtet das selbst ein Ex-NRW-Verfassungsrichter primär in der bilateral-politischen und innenpolitischen Dimension. Natürlich ist auch seine Meinung nicht sakrosankt, sie macht aber deutlich, daß man diesen Fall nicht mehr sinnvoll nur als "Beleidigung" diskutieren und entscheiden kann; jedenfalls nicht aus Sicht der Bundesregierung.

Herzliche Grüße,
Andreas





Liebe Mitdiskutanten,

um es ganz klar zu sagen: Die Hoffnung, über ne bis in idem aus der Sache herauszukommen, ist juristisch gesehen nur eines: Größter anzunehmender Schmarn!
Soviel ist aus meinem Jura-Studium dann doch hängen geblieben...

Der Grundsatz des Strafklageverbrauchs (ne bis in idem) ist nämlich keinesfalls so zu verstehen, dass, wenn bei einer Tat zwei Straftatbestände in Frage kommen, der Geschädigte sich einen von beiden aussuchen müsste.
Das macht ein ganz simples Beispiel klar: Wenn bei einem Raub das Opfer nicht nur ausgeraubt, sondern zugleich auch ermordet wird, muss sich die Staatsanwaltschaft ja auch nicht entscheiden, ob sie lieber den Mord oder Raub verfolgt. Nein, ganz klar: Beides wird verfolgt und angeklagt. Etwaige Überschneidungen, werden allenfalls im Wege der sog. Konkurrenzen beseitigt. Z.B. wenn ein Straftatbestand notwendigerweise in dem anderen enthalten ist, dann wird natürlich nur wegen des schwereren verurteilt.

Im Fall Erdogan ergibt sich daraus: Tatbestandlich könnte das Gedicht ein Beleidigung (§ 185 StBG) sein und zugleich auch den Tatbestand des § 103 StGB erfüllen. Beides ist parallel verfolgbar. Wonach verurteilt wird, hängt dann lediglich davon ab, bei welchem Delikt auch alle weiteren Voraussetzungen der Strafbarkeit vorliegen. Bei § 185 ist insoweit ein Antrag des Geschädigten nötig (liegt vor), bei § 103 zudem noch eine Ermächtigung der Bundesregierung (wird noch entschieden). Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist das jeweilige Delikt nicht verfolgbar, das andere aber gleichwohl und ohne Abstriche. Und das alles hat nun rein gar nichts mit Ne bis idem zu tun, sondern ist juristisches 1x1.

Es lässt also schon tief blicken, wenn seitens der Bundesregierung nun diese Nebelkerze bemüht wird. Oder kam das etwa gar nicht von Regierungsseite, sondern ist freie Interpretation der berichtenden Journalisten? Das ließ sich leider so nicht aus den Berichten herauslesen...


Edit: Noch ein Nachtrag: Ne bis in idem könnte nur in einem Szenario eine Rolle spielen. Nehmen wir an, die Bundesregierung würde erst einmal das Verfahren in Sachen Beleidigung abwarten und nach einem rechtskräftigen Urteil über die Ermächtigung für § 103 entscheiden. Dann könnte durch das Urteil eine weitere Verfolgung gehemmt sein. Dass die Regierung das aber will bzw. überhaupt politisch durchhalten könnte, sehe ich aktuell nicht.

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

13.04.2016 09:49
#178 RE: Zitat des Tages: Böhmermanns Spiel Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #175

Zitat
Die Justiz ist m. W. noch überhaupt nicht beteiligt

Auch wenn man es in Zeiten eines Heiko Maas nicht für möglich halten Möchte, aber die Staatsanwaltschaft ist tatsächlich Teil der Justiz. Und die wird nach dem Antrag der türkischen Botschaft sicher mit dem AA in Kontakt stehen.

Gruß Petz



Ich wollte dieses Thema eigentlich nicht mehr so kleinteilig diskutieren. Ein Mann, ein Wort, Andreas Ach, ejal.

Du sagst es doch selbst: Türkische Regierung-AA-Bundesregierung ist der bisherige Status. Daß es bereits Kontakte von seiten des AA zur Staatsanwaltschaft gibt ist denkbar, jedoch nicht zwingend. Aber dieser Weg schließt eben bis zur Entscheidung der Regierung aus, daß es bereits eine (zumal offizielle) Anfrage seitens der Staatsanwaltschaft an das AA gibt. Was sollen die denn anfragen? Trivialerweise ob sie nun ermitteln sollen oder nicht? Die Justiz ist, soweit ich das verstanden habe, gegenwärtig noch gehalten, Zeitung zu lesen und sich in Geduld zu üben, so wie wir auch Offiziell liegt der Staatsanwaltschaft doch noch überhaupt nichts vor, da das AA, wie Du richtig sagst, dazwischengeschaltet ist.

Herzliche Grüße,
Andreas

"Man kann einen gesellschaftlichen Diskurs darüber haben, was Meinungsfreiheit darf. Oder man hat Meinungsfreiheit." (Christian Zulliger)

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

13.04.2016 10:19
#179 RE: Zitat des Tages: Böhmermanns Spiel Antworten

Zitat von dari im Beitrag #177
Der Grundsatz des Strafklageverbrauchs (ne bis in idem) ist nämlich keinesfalls so zu verstehen, dass, wenn bei einer Tat zwei Straftatbestände in Frage kommen, der Geschädigte sich einen von beiden aussuchen müsste.
Das macht ein ganz simples Beispiel klar: Wenn bei einem Raub das Opfer nicht nur ausgeraubt, sondern zugleich auch ermordet wird, muss sich die Staatsanwaltschaft ja auch nicht entscheiden, ob sie lieber den Mord oder Raub verfolgt. Nein, ganz klar: Beides wird verfolgt und angeklagt. Etwaige Überschneidungen, werden allenfalls im Wege der sog. Konkurrenzen beseitigt. Z.B. wenn ein Straftatbestand notwendigerweise in dem anderen enthalten ist, dann wird natürlich nur wegen des schwereren verurteilt.

Im Fall Erdogan ergibt sich daraus: Tatbestandlich könnte das Gedicht ein Beleidigung (§ 185 StBG) sein und zugleich auch den Tatbestand des § 103 StGB erfüllen. Beides ist parallel verfolgbar. Wonach verurteilt wird, hängt dann lediglich davon ab, bei welchem Delikt auch alle weiteren Voraussetzungen der Strafbarkeit vorliegen. Bei § 185 ist insoweit ein Antrag des Geschädigten nötig (liegt vor), bei § 103 zudem noch eine Ermächtigung der Bundesregierung (wird noch entschieden). Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist das jeweilige Delikt nicht verfolgbar, das andere aber gleichwohl und ohne Abstriche. Und das alles hat nun rein gar nichts mit Ne bis idem zu tun, sondern ist juristisches 1x1.


Vielen Dank für die sachkundige Erläuterung, liebe/r dari.

Nachtrag: Was mich aber schon wundert, ist daß ein und dieselbe Handlung als zwei verschiedene Delikte verhandelt werden kann. Wenn ich die Steuern hinterziehe, kann ich ja auch nicht zugleich wegen Betrugs angeklagt werden? Mir ist schon klar, daß es hier um zwei verschiedene Tatbestände geht (aber eben zur selben fraglichen Handlung Böhmermanns). Aber daß man parallel zu beiden ermitteln (und auch beide in getrennten Strafverfahren verhandeln?) kann, wundert mich schon; hier hinkt möglicherweise auch Ihr Beispiel mit Raub UND Mord? Wenn ich Frau Merkel die Geldbörse klaue, dann kann ich zwar straf- und zivilrechtlich belangt werden, aber doch nur einmal strafrechtlich, selbst wenn es ein spezielles Delikt namens "Kanzlerinnendiebstahl" gäbe, könnte ich doch nicht auch noch wegen "normalen" Diebstahls gleichzeitig strafrechtlich belangt werden?

Herzliche Grüße,
Andreas

"Man kann einen gesellschaftlichen Diskurs darüber haben, was Meinungsfreiheit darf. Oder man hat Meinungsfreiheit." (Christian Zulliger)

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.392

13.04.2016 11:17
#180 RE: Zitat des Tages: Böhmermanns Spiel Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #179
Wenn ich Frau Merkel die Geldbörse klaue, dann kann ich zwar straf- und zivilrechtlich belangt werden, aber doch nur einmal strafrechtlich, selbst wenn es ein spezielles Delikt namens "Kanzlerinnendiebstahl" gäbe, könnte ich doch nicht auch noch wegen "normalen" Diebstahls gleichzeitig strafrechtlich belangt werden?


Wahrscheinlich Fortsetzung der Zwei Körper des Königs nach Klibansky: zum einen die Privatperson, zum andern der Amtsträger, über den der Staat selbst beleidigt wird.



Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

13.04.2016 12:07
#181 RE: Zitat des Tages: Böhmermanns Spiel Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #180
Wahrscheinlich Fortsetzung der Zwei Körper des Königs nach Klibansky: zum einen die Privatperson, zum andern der Amtsträger, über den der Staat selbst beleidigt wird.

Das halte ich sogar für evident, sonst hätte es ja gar keinen Sinn, zwei verschiedene Paragraphen zu haben. Die Türkei gehört übrigens (wie Deutschland, aber im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern) zu den beleidigbaren Staaten; ist zwar nicht direkt der hier vorliegende Fall, aber vielleicht ist diese Karte in diesem Zusammenhang dennoch interessant.

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

13.04.2016 12:53
#182 RE: Zitat des Tages: Böhmermanns Spiel Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #176
Du meinst die Entscheidung des BVerfG? Politisch motiviert kann man immer unterstellen.

Nein, ich meine das Rechtsverständnis von Herrn Bertrams, der sich über die Entscheidung beschwert. Er unterstellt dem Bundesverfassungsgericht ein politisches Motiv, nämlich „Gesellschaftspolitik im Gerichtssaal zu machen und den Wulff-Merkelschen Programmsatz ‚Der Islam gehört zu Deutschland‘ verfassungsrechtlich abzusichern". Gleichzeitig wünscht er sich selber ein Urteil, das den Einfluss der Islamverbände zurückdrängt. Das ist ebenfalls ein politisches Ziel. Ich finde, das lässt durchaus Schlüsse auf sein Rechtsverständnis zu: Rechtsprechung als legitimes Mittel zum Erreichen politischer Ziele.

Zitat
Übrigens cheap shot ist es auch, wenn man Argumente v. a. dadurch zu entkräften versucht, indem man dem Argumentierenden irgendwelche Gesinnungen, Haltungen oder unterliegende Motive unterstellt und daraus eine allgemeine Diskreditierung ableitet.


Da habe ich mich ungenau ausgedrückt, lieber Andreas. Mir geht es nicht um eine Diskreditierung von Bertrams Person aufgrund seiner Haltung gegenüber dem Islam. Ich entkräfte sein Argument mit dem Hinweis auf sein Rechtsverständnis, und das wird sich vermutlich innerhalb eines Jahres nicht grundlegend geändert haben.

Zitat
Eine Methode, die ich in einem sachlichen Diskurs eher kritisch sehe.


Wie gesagt, es ging mir nicht um Diskreditierung seiner Weltanschauung, sondern um einen Beleg, dass es kein Zufall ist, dass er zu dieser Einschätzung kommt.

Gruß Petz

Free speech is so last century. (Brendan O'Neill)

Emulgator Offline



Beiträge: 2.875

13.04.2016 13:33
#183 RE: Zitat des Tages: Böhmermanns Spiel Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #179
Wenn ich Frau Merkel die Geldbörse klaue, dann kann ich zwar straf- und zivilrechtlich belangt werden, aber doch nur einmal strafrechtlich, selbst wenn es ein spezielles Delikt namens "Kanzlerinnendiebstahl" gäbe, könnte ich doch nicht auch noch wegen "normalen" Diebstahls gleichzeitig strafrechtlich belangt werden?
Richtig. Es kommt ja ihre Tat vor Gericht, also daß Sie aus dem Verfügungsbereich von Frau M einen Gegestand genommen haben. Die Staatsanwaltschaft wird sich zwar erstmal einen Straftatbestand überlegen und Sie so anklagen, aber selbst daran ist das Gericht nicht gebunden: Es kommen durchaus Fälle vor, wo z.B. die Staatsanwaltschaft wegen Totschlages angeklagt hat, das Gericht aber wegen Mordes verurteilt hat.
Laut der StPO verhandelt man nämlich nach der Inquisitionsmaxime, d.h. Gericht und Staatsanwaltschaft sollen eigenständig die Wahrheit erforschen (auch zur Entlastung des Angeklagten), und dazu gehört auch die Frage nach dem anzuwendenden StGB-§. Im Unterschied dazu werden Zivilverfahren (und Strafverfahren im angelsächsischen Rechtskreis) nach der Dispositionsmaxime verhandelt: Der Richter fordert keine Beweise ein, sondern beobachtet nur, was beide Seiten an Beweisen bringen. Insbesondere kann man darüber frei disponieren, welche Behauptungen der Gegenseite man ohne Beweis gelten läßt. Ein Richter wird das auch gelten lassen. Er entscheidet auch nur entsprechend der Anträge der Parteien.

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

13.04.2016 13:48
#184 RE: Zitat des Tages: Böhmermanns Spiel Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #178
Daß es bereits Kontakte von seiten des AA zur Staatsanwaltschaft gibt ist denkbar, jedoch nicht zwingend. Aber dieser Weg schließt eben bis zur Entscheidung der Regierung aus, daß es bereits eine (zumal offizielle) Anfrage seitens der Staatsanwaltschaft an das AA gibt. Die Justiz ist, soweit ich das verstanden habe, gegenwärtig noch gehalten, Zeitung zu lesen und sich in Geduld zu üben, so wie wir auch Offiziell liegt der Staatsanwaltschaft doch noch überhaupt nichts vor, da das AA, wie Du richtig sagst, dazwischengeschaltet ist.

Aber überhaupt nicht. Ermitteln tut sie seit einer Woche.

http://www.spiegel.de/politik/deutschlan...-a-1085795.html
Der Dienstweg geht umgekehrt, die StA fragt an:

Zitat
FRAGE: Herr Seibert, hat die Bundesregierung eigentlich schon das entsprechende Ersuchen der Staatsanwaltschaft ‑ ich glaube, es ist die Staatsanwaltschaft Mainz ‑ zur möglichen Eröffnung eines Verfahrens erhalten? Wann rechnet die Bundesregierung mit dem Eintreffen des Schreibens?
(...)[Seibert:]Zu dem ersten Teil der Frage sollte, glaube ich, der Kollege aus dem Justizministerium sprechen.
SCHOLZ (Bundesjustizministerium): Ich möchte nur ganz kurz sagen: Ein Bericht der Staatsanwaltschaft Mainz liegt noch nicht vor, ist noch nicht eingegangen. Der wird auf dem Dienstweg verschickt, und das kann deshalb noch ein paar Tage dauern.



Gruß Petz

Free speech is so last century. (Brendan O'Neill)

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

13.04.2016 15:05
#185 RE: Zitat des Tages: Böhmermanns Spiel Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #179
Zitat von dari im Beitrag #177
Der Grundsatz des Strafklageverbrauchs (ne bis in idem) ist nämlich keinesfalls so zu verstehen, dass, wenn bei einer Tat zwei Straftatbestände in Frage kommen, der Geschädigte sich einen von beiden aussuchen müsste.
Das macht ein ganz simples Beispiel klar: Wenn bei einem Raub das Opfer nicht nur ausgeraubt, sondern zugleich auch ermordet wird, muss sich die Staatsanwaltschaft ja auch nicht entscheiden, ob sie lieber den Mord oder Raub verfolgt. Nein, ganz klar: Beides wird verfolgt und angeklagt. Etwaige Überschneidungen, werden allenfalls im Wege der sog. Konkurrenzen beseitigt. Z.B. wenn ein Straftatbestand notwendigerweise in dem anderen enthalten ist, dann wird natürlich nur wegen des schwereren verurteilt.

Im Fall Erdogan ergibt sich daraus: Tatbestandlich könnte das Gedicht ein Beleidigung (§ 185 StBG) sein und zugleich auch den Tatbestand des § 103 StGB erfüllen. Beides ist parallel verfolgbar. Wonach verurteilt wird, hängt dann lediglich davon ab, bei welchem Delikt auch alle weiteren Voraussetzungen der Strafbarkeit vorliegen. Bei § 185 ist insoweit ein Antrag des Geschädigten nötig (liegt vor), bei § 103 zudem noch eine Ermächtigung der Bundesregierung (wird noch entschieden). Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist das jeweilige Delikt nicht verfolgbar, das andere aber gleichwohl und ohne Abstriche. Und das alles hat nun rein gar nichts mit Ne bis idem zu tun, sondern ist juristisches 1x1.


Vielen Dank für die sachkundige Erläuterung, liebe/r dari.

Nachtrag: Was mich aber schon wundert, ist daß ein und dieselbe Handlung als zwei verschiedene Delikte verhandelt werden kann. Wenn ich die Steuern hinterziehe, kann ich ja auch nicht zugleich wegen Betrugs angeklagt werden? Mir ist schon klar, daß es hier um zwei verschiedene Tatbestände geht (aber eben zur selben fraglichen Handlung Böhmermanns). Aber daß man parallel zu beiden ermitteln (und auch beide in getrennten Strafverfahren verhandeln?) kann, wundert mich schon; hier hinkt möglicherweise auch Ihr Beispiel mit Raub UND Mord? Wenn ich Frau Merkel die Geldbörse klaue, dann kann ich zwar straf- und zivilrechtlich belangt werden, aber doch nur einmal strafrechtlich, selbst wenn es ein spezielles Delikt namens "Kanzlerinnendiebstahl" gäbe, könnte ich doch nicht auch noch wegen "normalen" Diebstahls gleichzeitig strafrechtlich belangt werden?

Herzliche Grüße,
Andreas

Lieber Andreas, ich habe doch schon mal geschrieben, dass Paragraph 103 Paragraph 185 verdrängt. Wegen 185 wird ermittelt, wegen 103 nicht. Wenn wegen Paragraph 103 ermittelt werden würde, würden die gegen 185 eingestellt. Weil Paragraph 103 Paragraph 185 verdrängt.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Emulgator Offline



Beiträge: 2.875

13.04.2016 15:35
#186 RE: Zitat des Tages: Böhmermanns Spiel Antworten

Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #185
Lieber Andreas, ich habe doch schon mal geschrieben, dass Paragraph 103 Paragraph 185 verdrängt. Wegen 185 wird ermittelt, wegen 103 nicht. Wenn wegen Paragraph 103 ermittelt werden würde, würden die gegen 185 eingestellt. Weil Paragraph 103 Paragraph 185 verdrängt.
Tut nichts zur Sache. Wenn das Gericht meint, es reiche nicht zum 103er Tatbestand (z.B. weil die Bundesregierung mauert), dann kann es noch wegen §185 verurteilen. Das ist alles dasselbe Verfahren und es gibt keine Extraakte bei der Staatsanwaltschaft. Wegen der Inquisitionsmaxime ist das nicht nötig.

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

13.04.2016 16:06
#187 RE: Zitat des Tages: Böhmermanns Spiel Antworten

Zitat von Emulgator im Beitrag #186
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #185
Lieber Andreas, ich habe doch schon mal geschrieben, dass Paragraph 103 Paragraph 185 verdrängt. Wegen 185 wird ermittelt, wegen 103 nicht. Wenn wegen Paragraph 103 ermittelt werden würde, würden die gegen 185 eingestellt. Weil Paragraph 103 Paragraph 185 verdrängt.
Tut nichts zur Sache. Wenn das Gericht meint, es reiche nicht zum 103er Tatbestand (z.B. weil die Bundesregierung mauert), dann kann es noch wegen §185 verurteilen. Das ist alles dasselbe Verfahren und es gibt keine Extraakte bei der Staatsanwaltschaft. Wegen der Inquisitionsmaxime ist das nicht nötig.

Ja klar, aber entweder oder.

Viele Grüße, Erling Plaethe

dari Offline




Beiträge: 189

13.04.2016 17:35
#188 RE: Zitat des Tages: Böhmermanns Spiel Antworten

Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #187
Zitat von Emulgator im Beitrag #186
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #185
Lieber Andreas, ich habe doch schon mal geschrieben, dass Paragraph 103 Paragraph 185 verdrängt. Wegen 185 wird ermittelt, wegen 103 nicht. Wenn wegen Paragraph 103 ermittelt werden würde, würden die gegen 185 eingestellt. Weil Paragraph 103 Paragraph 185 verdrängt.
Tut nichts zur Sache. Wenn das Gericht meint, es reiche nicht zum 103er Tatbestand (z.B. weil die Bundesregierung mauert), dann kann es noch wegen §185 verurteilen. Das ist alles dasselbe Verfahren und es gibt keine Extraakte bei der Staatsanwaltschaft. Wegen der Inquisitionsmaxime ist das nicht nötig.

Ja klar, aber entweder oder.


Hui, das wächst sich ja langsam zu einem juristischen Seminar aus hier.
Also mal ein Versuch, die Diskussion in ein paar Thesen zusammenzufassen (und dabei hoffentlich ein paar Missverständnisse zu bereinigen).

1) § 103 verdrängt § 158 weil jede Beleidigung eines Staatschefs notwendigerweise zugleich eine allgemeine Beleidung eines Menschen ist. Verurteilt wird dann allen wegen § 103, weil dies der speziellere Tatbestand ist.

2) Das gilt aber nur, wenn auch alle übrigen Voraussetzungen der Strafbarkeit vorliegen, d.h. Antrag bzw. Ermächtigung durch die Bundesregierung. An letzterer fehlt es hier (bisher), so § 103 nicht zum Zuge kommen kann. Solange die Ermächtigung fehlt, ist also § 158 einschlägig - ohne wenn und aber. Dass auch noch ein anderer Tatbestand in Frage käme (wenn nur eine Ermächtigung vorläge), hindert keine Verfolgung nach § 158.

3) Natürlich werden beide Tatbestände in einem Verfahren ausermittelt. Schließlich geht es um die strafrechtliche Beurteilung einer einzigen Handlung (Vortragen eines Gedichts). Und nur die Handlung ist Anknüpfungspunkt der Strafbarkeit, d.h.: Eine Handlung = eine Straftat.

4) Das ändert aber nicht daran, dass eine Handlung zugleich zwei Straftatbestände erfüllen kann. Zugegeben, mein Beispiel Raub und Mord war da vielleicht nicht optimal. Klarer wird's vielleicht bei Totschlag und Mord: Wenn eine Handlung zugleich zwei Tatbestände erfüllt (jeder Mord ist zugleich ein Totschlag), dann kommen auch beide Delikte für die Strafbarkeit in Betracht. Wie gesagt: Gelöst wird das dann dadurch, dass das speziellere Delikt (Mord) das Allgemeinere (Totschlag) im Ergebnis verdrängt. Beide sind aber erstmal erfüllt, was zu der Konsequenz führt, die ich unter 2) dargestellt habe.

5) Und nun die eigentliche Feststellung, auf die ursprünglich hinauswollte: Mit "ne bis in idem" hat das alles rein Garnichts zu tun. Dazu bräuchte es zuerst eine rechtkräftige Verurteilung (bzw. einer Einstellung oder eines Freispruchs), die die fragliche Handlung (Gedicht vortragen) zum Gegenstand hat. Ist hier ersichtlich nicht der Fall. Ne bis in idem ist also im Moment allenfalls eine Nebelkerze. Vielleicht wollte auch nur jemand aus dem AA besonders schlau sein, weiß ich nicht...

Ups, ich hoffe, das trägt zur Klärung bei und verwirrt nicht noch weiter.

Gruß

dari


PS: Ach und noch etwas. Bei dem Namen Klibansky brauche ich Nachhilfe. Bei den zwei Körpern des Königs hatte ich bisher immer nur an Ernst Kantorowicz gedacht.

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

13.04.2016 18:24
#189 RE: Zitat des Tages: Böhmermanns Spiel Antworten

Danke für diese Klärungen, lieber dari. Ich sehe aber noch eine Frage offen, und zwar die des Schmerzensgeldes. Der Privatmann Erdogan hat in seiner Klage nach §185 im Falle einer Verurteilung Anspruch auf Schmerzensgeld, die Republik Türkei nach §103 aber nicht. Wenn nun beide Tatbestände verhandelt würden und es zu einem Urteil nach §103 kommt, kann Erdogan dann trotzdem Schmerzensgeld nach §185 verlangen?

Gruß Petz

Free speech is so last century. (Brendan O'Neill)

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

13.04.2016 18:28
#190 RE: Zitat des Tages: Böhmermanns Spiel Antworten

Danke

Zitat von Meister Petz im Beitrag #189
Danke für diese Klärungen, lieber dari. Ich sehe aber noch eine Frage offen, und zwar die des Schmerzensgeldes. Der Privatmann Erdogan hat in seiner Klage nach §185 im Falle einer Verurteilung Anspruch auf Schmerzensgeld, die Republik Türkei nach §103 aber nicht. Wenn nun beide Tatbestände verhandelt würden und es zu einem Urteil nach §103 kommt, kann Erdogan dann trotzdem Schmerzensgeld nach §185 verlangen?

Gruß Petz

Ich schließe meine Frage gleich mit an:
Was ist mit den Paragraphen 186 und 187? Könnten die nicht auch zum Tragen kommen?

Viele Grüße, Erling Plaethe

dari Offline




Beiträge: 189

14.04.2016 09:57
#191 RE: Zitat des Tages: Böhmermanns Spiel Antworten

Lieber Petz,
lieber Erling,

oh je, nun schwimme ich doch ein wenig. Strafrecht war nie mein Schwerpunkt. Nach allem was ich noch weiß, dürfte der Fall aber wie folgt liegen:

- Grundsätzlich zu unterscheiden ist zwischen zivilrechtlichem Schadensersatzanspruch (Schmerzensgeld = Ausgleich des immateriellen Schadens, den der Beleidigte hatte) und der strafrechtlichen Sanktion (Geldstrafe bzw. Freiheitsstrafe = Durchsetzung des öffentlichen Interesses an einer Bestrafung, Gewaltmonopol). Erstes gehört vor die Zivilgerichte, letzteres vor die Strafgerichte.

- Mein Stand ist: Es geht im Fall Erdo vs. Böhmi bis jetzt allein um die strafrechtliche Seite. Von einer Zivilklage habe ich noch nichts gehört. Leider gehen hier aber auch in den Qualitätsmedien die Begrifflichkeiten munter durcheinander. Denn oft liest man etwas von einer "Zivilklage", obwohl eigentlich eine sog. "Privatklage" gemeint sein muss. Auch wenn es anders klingt, ist die Privatklage aber keine Zivilklage, sondern eine spezielle Klageart des Strafrechts. Da bei den Beleidigungsdelikten das öffentliche Interesse an einer Verfolgung meist sehr gering ist, muss die Staatsanwalt nicht anklagen. Wenn der Beleidigte trotzdem eine strafrechtliche Sanktion erzwingen will, kann er strafrechtliche Privatklage erheben. Er setzt damit quasi stellvertretend für die Staatsanwaltschaft das öffentliche Strafinteresse durch. Das alles ist aber Strafrecht und hat erstmals nichts mit Schmerzensgeld zu tun, das rein dem Zivilrecht zugeordnet ist.

- Nun zum Schmerzensgeld: Hier könnte Erdo vs. Böhmi klagen - vor den Zivilgerichten, nicht im Strafverfahren. Das sind absolut zwei paar Schuhe. Im Zivilverfahren (Schmerzensgeld) will der Geschädigte selbst "Cash" sehen. Im Strafverfahren ginge eine eventuelle Geldstrafe ja nicht an den Geschädigten, sondern regelmäßig an irgendwelche sozialen Projekte. Problematisch nur: Wenn schon eine strafrechtliche Verurteilung vorliegt, wird das Schmerzensgeld regelmäßig eher gering ausfallen, da mit der Strafurteil ja schon ein gewisses Maß an Sühne geleistet wurde.

- Zu §186 (Üble Nachrede) und §187 (Verleumdung): Ja, an die kann man auch denken. Beide setzen aber voraus, dass jemand den Ruf eines anderen durch eine bewusst unwahre Tatsachenbehauptung schädigen will - z.B. indem er ein Gerücht in die Welt setzt ("Pst, ich habe gehört, der Erdogan macht..."). Bei dem Gedicht von Herrn Böhmermann scheint mir aber eher ein Werturteil über den türkischen Staatspräsidenten im Vordergrund zu stehen. Auch Herr Böhmermann meint ja nicht wirklich, dass sein Counterpart die Dinge wirklich tut, die er ihm vorwirft.

Soweit meine Wortmeldung ohne Anspruch auf Richtigkeit und Gültigkeit.

Gruß

dari

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

14.04.2016 10:31
#192 RE: Zitat des Tages: Böhmermanns Spiel Antworten

Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #111
Zitat von R.A. im Beitrag #108
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #104
ich hatte einen anderen Bezug. Den zum Wortlaut des § 103 StGB.

Ähm, genau das war doch mein Bezug bzw. die Frage: Entspricht der wirklich noch internationalen Gepflogenheiten?

Ok, ich habs. Grundlage ist das Wiener Übereinkommen vom 18. April über diplomatische Beziehungen.
https://www.admin.ch/opc/de/classified-c.../index.html#a29
Darin steht unter Artikel 29:

Zitat
Die Person des diplomatischen Vertreters ist unverletzlich. Er unterliegt keiner Festnahme oder Haft irgendwelcher Art. Der Empfangsstaat behandelt ihn mit gebührender Achtung und trifft alle geeigneten Massnahmen, um jeden Angriff auf seine Person, seine Freiheit oder seine Würde zu verhindern.

Sollen wir den Vertrag kündigen?


Es besteht doch auch eine gewisse Analogie zum §90 StGB, der dem Bundespräsidenten einen besonderen Schutz vor Verunglimpfung gewährt. Das gleiche Prinzip wird hier höflicher- & diplomatischerweise auch auf Präsidenten u. ä. anderer Länder erweitert.

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

14.04.2016 14:48
#193 RE: Zitat des Tages: Böhmermanns Spiel Antworten

Zitat von Fluminist im Beitrag #192
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #111
Zitat von R.A. im Beitrag #108
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #104
ich hatte einen anderen Bezug. Den zum Wortlaut des § 103 StGB.

Ähm, genau das war doch mein Bezug bzw. die Frage: Entspricht der wirklich noch internationalen Gepflogenheiten?

Ok, ich habs. Grundlage ist das Wiener Übereinkommen vom 18. April über diplomatische Beziehungen.
https://www.admin.ch/opc/de/classified-c.../index.html#a29
Darin steht unter Artikel 29:

Zitat
Die Person des diplomatischen Vertreters ist unverletzlich. Er unterliegt keiner Festnahme oder Haft irgendwelcher Art. Der Empfangsstaat behandelt ihn mit gebührender Achtung und trifft alle geeigneten Massnahmen, um jeden Angriff auf seine Person, seine Freiheit oder seine Würde zu verhindern.

Sollen wir den Vertrag kündigen?

Es besteht doch auch eine gewisse Analogie zum §90 StGB, der dem Bundespräsidenten einen besonderen Schutz vor Verunglimpfung gewährt. Das gleiche Prinzip wird hier höflicher- & diplomatischerweise auch auf Präsidenten u. ä. anderer Länder erweitert.


Sehe ich genau so.

Viele Grüße, Erling Plaethe

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

15.04.2016 12:02
#194 RE: Zitat des Tages: Böhmermanns Spiel Antworten

Eine Verurteilung nach §103 ist zwar extrem selten, kommt aber doch vor:
http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/stan.../story/16716749

Und ähnliche Verfahren werden auch in anderen Ländern durchgeführt, hier die Beispiele aus der Schweiz.

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.392

15.04.2016 13:21
#195 RE: Zitat des Tages: Böhmermanns Spiel Antworten

Ende Qualifikation, Beginn Hauptrunde.

Bundesregierung lässt Strafverfahren gegen Böhmermann zu

Zitat von SPON, 15.04., 13:04
Laut Kanzlerin Merkel hat die Bundesregierung dem Verlangen Ankaras entsprochen. Der entscheidende Paragraf 103 soll jedoch bis 2018 abgeschafft werden.



Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire

Reisender ( gelöscht )
Beiträge:

15.04.2016 13:22
#196 Es ist soweit! Antworten

http://www.faz.net/aktuell/politik/inlan...u-14180116.html

" Affäre um Schmähgedicht Bundesregierung lässt gesondertes Strafverfahren gegen Böhmermann zu

Die Bundesregierung ermöglicht die Strafverfolgung gegen den ZDF-Moderator Jan Böhmermann. Das erklärte Kanzlerin Merkel in Berlin. Die Türkei hatte wegen Böhmermanns Schmähgedichts gegen Präsident Erdogan einen entsprechenden Wunsch geäußert. "

"Böhmermann hatte Erdogan in dem umstrittenen Gedicht am 31. März in seiner Sendung „Neo Magazin Royale“ unter anderem als „sackdoof, feige und verklemmt*“ bezeichnet."

*Das ist in der Tat übel. Es wird Zeit, Baukräne umzuwidmen.

dirk Offline



Beiträge: 1.538

15.04.2016 13:26
#197 RE: Zitat des Tages: Böhmermanns Spiel Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #195
Ende Qualifikation, Beginn Hauptrunde.

Bundesregierung lässt Strafverfahren gegen Böhmermann zu

Zitat von SPON, 15.04., 13:04
Laut Kanzlerin Merkel hat die Bundesregierung dem Verlangen Ankaras entsprochen. Der entscheidende Paragraf 103 soll jedoch bis 2018 abgeschafft werden.




Warum ist das eigentlich eion Fall fuer die Bundesregierung und nicht bloss der Justizbeherden? Warum muss sie einem Antrag entsprechen? Ich habe das Theater nicht im Dauerbetrieb verfolgt. Deswegen waere ich dankbar, wenn mich jemand aufklaeren koennte.

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

15.04.2016 15:28
#198 RE: Zitat des Tages: Böhmermanns Spiel Antworten

Paragraph 104a behandelt Voraussetzungen damit z.B. Paragraph 103 verfolgt werden kann. Da stehts drin.

Viele Grüße, Erling Plaethe

dirk Offline



Beiträge: 1.538

15.04.2016 18:08
#199 RE: Zitat des Tages: Böhmermanns Spiel Antworten

Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #198
Paragraph 104a behandelt Voraussetzungen damit z.B. Paragraph 103 verfolgt werden kann. Da stehts drin.


Danke sehr.

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

15.04.2016 18:08
#200 RE: Zitat des Tages: Böhmermanns Spiel Antworten

Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #116
Zitat von Noricus im Beitrag #115
Ich möchte den folgenden Gedanken in die Runde werfe.

§ 104a StGB, der die Voraussetzungen der Strafverfolgung u.a. hinsichtlich § 103 StGB regelt, lautet (Hervorhebungen von mir):

Zitat
Straftaten nach diesem Abschnitt werden nur verfolgt, wenn die Bundesrepublik Deutschland zu dem anderen Staat diplomatische Beziehungen unterhält, die Gegenseitigkeit verbürgt ist und auch zur Zeit der Tat verbürgt war, ein Strafverlangen der ausländischen Regierung vorliegt und die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt.


Die Strafbarkeit eines Angriffs gegen die Menschenwürde oder die Ehre des ausländischen Staatsoberhauptes kann doch nicht davon abhängen, dass es in dem betreffenden Land eine deutsche Botschaft gibt und auch dieses Land Schmähliches gegen Herrn Gauck ahndet (ich drücke mich bewusst plakativ aus), denn sonst wäre die Menschenwürde ja von diesen Bedingungen abhängig und somit antastbar.

Um die Menschenwürde und Ehre des ausländischen Staatsoberhauptes kann es in dieser Norm also nicht gehen. Dafür spricht auch ein systematisches Argument: § 103 StGB rangiert unter den Delikten gegen Allgemeinrechtsgüter und ist somit anders als § 185 StGB keine Straftat gegen ein Individualrechtsgut (Notiz für Rechtsvergleichende: Der besondere Teil des deutschen StGB beginnt mit Delikten gegen Allgemeinrechtsgüter, jener des österreichischen StGB mit Delikten gegen Individualrechtsgüter. Honni soit qui mal y pense.) Beim 103er geht es einzig und allein um den Schutz der diplomatischen Beziehungen der Bundesrepublik.

Dies spielt meines Erachtens für die Abwägung gegen B.s Kunst- und Meinungsfreiheit eine entscheidende Rolle. Vom 103er geschützt sind nicht E.s Individualrechtsgüter, sondern das freundliche Gesicht der Bundesrepublik Deutschland gegenüber diplomatisch verbundenen Staaten, die derlei Unbotmäßigkeiten ebenfalls bestrafen. Und wenn man dies B.s Metadiskurs gegenüberstellt, dessen Niveau man sicher beanstanden kann, der aber zweifelsfrei Kunst darstellt, dann würde ich, wenn ich entscheiden müsste, ich eher pro B. tendieren.

EDIT: Kaufe im ersten Satz ein n und gebe dafür im letzten Satz ein "ich" ab.


Lieber Noricus, ich zitiere aus dem von mir verlinkten Urteil um zu verdeutlichen, dass ich Deinen Gedanken, insbesondere dem, dass es nicht um die Würde der Person gehen kann, nicht nachvollziehen kann (im wörtlichen Sinne):

[...]

Auch die etwa fehlende Gegenseitigkeit, das Fehlen des Strafverlangens der ausländischen Regierung oder das Fehlen der zur Strafverfolgung erforderlichen Ermächtigung der Bundesregierung (vgl. § 104 a StGB) rechtfertigen nicht den Schluß, daß die durch § 103 StGB mittels des Ehrenschutzes seiner amtlichen Repräsentanten geschützte Würde des fremden Staates deswegen kein polizeiliches Schutzgut mehr wäre: Die genannten Voraussetzungen sind nur für die konkrete Strafbarkeit der Täter des § 103 StGB, nicht dagegen für die polizeiliche Schutzwürdigkeit der durch § 103 StGB geschützten Güter bedeutsam.

[...]



Lieber Erling,

Du zitierst eine Entscheidung des BVerwG, in der es darum geht, ob Polizisten ein Spruchband mit einer anstößigen Bemerkung, die ein Botschafter eines anderen Landes auf sich bezieht, kassieren dürfen. Dabei kommt das BVerwG zu dem Ergebnis, dass die Polizei das darf, wenn der objektive Tatbestand des § 103 StGB erfüllt ist. Ob im konkreten Fall auch tatsächlich Strafbarkeit nach § 103 StGB gegeben ist, insbesondere ob die Voraussetzungen des § 104a StGB erfüllt sind, braucht die Polizei nicht zu kümmern. Das polizeiliche Schutzgut, von dem die Rede ist, sind nicht Ehre und Menschenwürde des chilenischen Botschafters, sondern die öffentliche Sicherheit (siehe den Leitsatz).

§ 104a StGB setzt ein Strafverlangen der ausländischen Regierung voraus. Die Tatobjekte des § 103 StGB werden also in klassischer Völkerrechtsmanier durch ihre Regierung mediatisiert. § 103 StGB macht das, was bei Nichterfüllung seiner im Vergleich zu § 185 StGB hinzutretenden Tatbestandsmerkmale und/oder der in § 104a StGB genannten objektiven Bedingungen der Strafbarkeit nach § 185 StGB strafbar wäre, zu einem politischen Delikt, also zu etwas, das in früheren Zeiten ein casus belli zwischen Staaten gewesen wäre.

Anders formuliert: § 185 StGB schützt die Ehre und dadurch einen Aspekt der Menschenwürde des Beleidigten. § 103 StGB schützt die diplomatischen Beziehungen der Bundesrepublik, weshalb § 104a StGB die Strafbarkeit des 103ers an mehrere Bedingungen unverkennbar völkerrechtlicher Provenienz knüpft. Das Argument, § 103 StGB schütze die Ehre bestimmter Repräsentanten ausländischer Staaten, wobei aber dieser Ehrschutz von mehreren Bedingungen abhängig ist, die eindeutig einem politischen bzw. diplomatischen Kalkül und nicht der Sorge um Individualrechtsgüter wie Ehre oder Menschenwürde entspringen, ist nun für mich nicht nachvollziehbar.

Was das ästhetische Urteil über Böhmermanns Gedicht betrifft – wobei man ja mit solchen Urteilen vorsichtig sein sollte, wenn man das Werk nicht im Volltext kennt –, liegen wir vermutlich nicht allzu weit auseinander. Was mich besonders stört, ist dieser wohl aus dem Geiste des politischen Kabaretts entspringende präzeptorale Gestus (leider ist die deutsche Komik viel zu sehr von dieser Kunstgattung inspiriert, Böhmermanns Lehrmeister Schmidt bildete eine löbliche Ausnahme), der meines Erachtens auch hinter Böhmermanns Beitrag steht. Erdogan benötigt kein Privatissimum über die Grenzen der Kunstfreiheit. Diese sind ihm sehr wohl bewusst. Dass er sie offenbar gerne enger gezogen sähe, ist ein anderes Thema.

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