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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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dirk Offline



Beiträge: 1.538

08.02.2018 14:28
#301 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #297
Zitat von dirk im Beitrag #294
Target aber ist ein unbesicherter Zwangskredit der Bundesbank an u.a. die griechische Zentralbank.

Aber überhaupt nicht.
Die Bundesbank vergibt keinen solchen Kredit und es wird auch niemand gezwungen. Die Bundesbank ist hier letztlich nur der Buchhalter und addiert auf, was deutsche Kontobesitzer auf der hohen Kante haben. Wie Florian richtig beschrieben hat, können die Bundesbürger jederzeit diese Guthaben verwenden um Konsum oder Investitionen zu finanzieren. Dann wäre der Targetsaldo auf Null, der "Zwangskredit" hätte sich in Luft aufgelöst, und die Griechen würden davon gar nichts mitbekommen.


Aber sicher. Wenn der griechische Bauer den deutschen Traktor kauft und daher seine Griechische Geschaeftsbank Geld zu einer Deutschen Geschaftsnbank des Traktorherstellers ueberweisen muesste, findet diese Ueberweisung nicht statt. Stattdessen druckt die Bundesbank Geld, gibt es der Deutschen Geschaeftsbank und erhaelt dafuer eine Forderung and die Griechische Zentralbank, die weiderum eine (besicherte) Forderung an die Griechische Geschaeftsbank erhaelt. Der Zahlungsabfluss aus Griechenland loest also einen Kredit der Budnesbank an die Griechische Zentralbank aus; vom Target System erzwungen.

Natuerlich, fliesst das Geld in die andere Richtung erfolgt der Kredit in die andere Richtung und kann saldiert werden. Das heisst aber nicht, dass in den fehlenden Importen aus Griechenland die Ursache dieses Target Kredits liegt. Das System koennte auch anders sein. Erster Punkt.

Zweitens finanziert dieser Zwangskredit den Exportueberschuss und damit Mitverursacher desselben. Im von Frankenstein zitierten Zitat sagt Hans Werner Sinn ja exakt dasselbe.

Zusammengefasst: Gegeben das derzeitige Target System (und den anderen Murks), koennte der Deutsche (in seiner Gesamtheit) statt zu jammern in auslaendische Wertpapiere investieren wie Florian beschreibt. Das heisst aber nicht, dass man das Target System hinnehmen sollte. Und schon gar nicht kritikfrei.

Florian Offline



Beiträge: 3.179

24.02.2018 19:04
#302 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von Martin im Beitrag #300
Zitat von R.A. im Beitrag #299
Zitat von Martin im Beitrag #298
Der Konsum hat Null Einfluss auf das Targetsaldo.

Ich hatte auf Florian verwiesen und damit war klar, daß es um den Konsum von Importwaren geht. Oder eben Investition in ausländische Aktien oder Immobilien.
Und das geht alles direkt in die Targetsalden.


Ok, da hatte ich nicht mehr nachgeschaut. Allerdings bringt der Hinweis dann nur etwas, wenn er ergänzt würde durch eine Idee, was denn der deutsche Bürger in Griechenland Sinnvolles erwerben kann, wo doch unsere Exportfirmen, die das Ungleichgewicht mit verursachen und auf deren Konten ein gut Teil des Handels hängen bleibt, selbst keine Idee haben.



Oh, ich habe SEHR viele Ideen, wie ich mein Geld sinnvoll investieren kann.
(Hätte ich nur mehr Geld, das ich investieren könnte...)

Und es muss ja gar nicht in Griechenland sein.
Um den deutschen Target-Saldo abzubauen, würde es reichen, wenn Deutsche irgendwo im Euro-Raum investieren würden.
Oder es würde sogar reichen, wenn sie außerhalb des Euro-Raums investieren.
Jede Aktie, die deutsche Anleger zusätzlich ins Depot nehmen (und die sie einem Ausländer abgekauft haben), reduziert die deutschen Target-Salden.

Und dass deutsche Anleger das nicht tun, ist erst einmal ihre ganz eigene Doofheit die man Herrn Draghi schlecht vorwerfen kann.
Hier dazu ein aktueller Artikel aus der Welt: https://www.welt.de/finanzen/article1738...onsvertrag.html
Mit zwei für unsere Diskussion interessanten Informationen:
1. das deutsche private Finanzvermögen ist im EU-Durchschnitt unterdurchschnittlich
2. ein wichtiger Grund ist die niedrige deutsche Aktienquote. In der Langfrist-Betrachtung (seit 1900) hat eine Anlage in Aktien im Schnitt 3,5% reale Rendite gebracht, eine festverzinsliche Anlage (wie sie von den Deutschen präferiert wird) eine reale Rendite von minus 1,0%.
Über die lange Frist macht das einen riesigen Unterschied: nach 50 Jahren Aktienanlage ist ein Vermögen ungefähr 10 (!) mal so groß wie nach 50 Jahren festverzinslichen Anlagen.

Florian Offline



Beiträge: 3.179

01.10.2018 09:22
#303 RE: Insel im Nebel Antworten

ich bin zufällig über einen bemerkenswerten Artikel in der New York Time gestoßen:

"Is Merkel to blame for Brexit?"
https://www.nytimes.com/2018/09/26/opini...for-brexit.html

Bemerkenswert aus 2 Gründen:

1. Zum einen die Person des Autors:
Geschrieben wurde der Artikel von einem gewissen Jochen Bittner. Im Hauptberuf ist Herr Bittner Polit-Redakteur bei der Zeit.
Die These die er in diesem Artikel vertritt (Details s.u.) ist bemerkenswert Merkel-kritisch. Der Artikel enthält außerdem auch eine fundierte Kritik am deutschen politischen Diskurs. Und konkrete Vorschläge für eine Kurskorrektur der deutschen Politik.
Mit anderen Worten: EIGENTLICH wäre das ein Artikel, der für die deutsche Meinungsbildung interessant sein könnte.
Dass ein Artikel mit einem solchen Inhalt von einem Polit-Redakteur der Zeit nun aber nicht in der Zeit veröffentlicht wird, sondern in der NYT finde ich sehr bedauerlich.
Ich weiß nicht, was der Grund hierfür ist. Aber der naheliegende Grund wäre, dass die Zeit ihren Lesern eine so kontroverse Meinung nicht zumuten wollte. Zumal dieser Artikel Aspekte bringt, die in der innerdeutschen veröffentlichten Meinung kaum je diskutiert worden sind.


1. Zum anderen inhaltlich:
Der Artikel zeigt auf, wie Merkels Ausländer-Politik zum "Brexit" beigetragen hat.
Zum einen die Flüchtlingspolitik (die "Brexiteers" haben wohl sogar Bilder von den Flüchtlingsströmen an den deutschen Grenzen plakatiert).
(In late 2015, the Leave campaign started putting up placards which showed the exodus of refugees from Syria and other countries through the Balkans, and adorned them with slogans like “Breaking Point” and “Take Back Control.” With Ms. Merkel declaring an open-door policy, the message hit home for millions of worried Britons and Europeans. Not coincidentally, it was around this time that support for Brexit began to tick up.)
Zum anderen aber noch ein ganz anderer Aspekt, der in der britischen politischen Diskussion eine große Rolle spielte: der massive Zuzug von Osteuropäern nach Großbritannien.
Und die (mir bisher so nicht bekannte) perfide Rolle, die Merkel dabei spielte:
Als 2004 diverse osteuropäische Staaten der EU beitraten, gab es für die alten EU-Mitglieder die Option, deren freie Migration für bis zu 7 Jahre zu begrenzen.
Deutschland zog damals diese Option. Merkel (damals noch Opposition) kritisierte damals die Bundesregierung dafür, dass die von ihr verhandelte Verzögerungsfrist von 7 Jahren viel zu kurz sei. Sie hätte den Zuzug aus Osteuropa lieber noch länger blockiert.
Die damalige Regierung Blair zog diese Option für Großbritannien NICHT. In der Folge sind in den nächsten 10 Jahren rund 2 Millionen (!) Osteuropäer nach Großbritannien gezogen. 2014 schlug daher die damalige Regierung Cameron Maßnahmen vor, um diesen Zuzug in Zukunft wieder zu begrenzen. Dieses Ansinnen wurde von Merkel brüsk zurück gewiesen: Strangely opposed to her own, earlier demands, she now insisted that “no compromise” could be made on the principle of free movement of workers.
Was erstens heuchlerisch war. Und zweitens keinerlei Rücksicht nahm auf die Brexit-Stimmung im Lande, für die gerade dieser Aspekt sehr wichtig war.

Man fragt sich schon, warum eine solche Aufklärung über die Folgen von Merkels Zuwanderungspolitik (und übe deren heuchlerischen Charakter) in der Zeit m.W. noch nie zu lesen war.
Eher im Gegenteil: Als es im Sommer zum Streit zwischen Seehofer und Merkel kam, konnte Merkel allen Ernstes das Narrativ etablieren, sie strebe eine "europäische" Lösung an, während Seehofers Pläne als deutsch-egoistisch und anti-europäisch portraitiert wurden. Ein einziger Hohn, wenn man bedenkt, dass Merkels Politik ganz konkret den größten Bruch in der Geschichte der EU verursacht hat. Aber unglaublich: Dieses Narrativ wurde von allen Medien -inclusive der Zeit - geschluckt.

Neben diesen politischen Fehlleistungen Merkels kritisiert der Artikel außerdem die fehlende außenpolitische Strategie in Deutschland (und das Fehlen einer Diskussionskultur über diese Strategie). Auch dies m.E. absolut zu Recht: "There is, in other words, a near total lack of strategic thinking in the face of the most severe blow the European Union has ever suffered. "

Martin Offline



Beiträge: 4.129

01.10.2018 10:34
#304 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von Florian im Beitrag #303
ich bin zufällig über einen bemerkenswerten Artikel in der New York Time gestoßen:

"Is Merkel to blame for Brexit?"
https://www.nytimes.com/2018/09/26/opini...for-brexit.html


Danke, ein interessantes Beispiel für den deutschen Journalismus, da ist keine kognitive Dissonanz, sondern klarer Opportunismus - die Wahrheit hängt davon ab, wann man wo was schreibt. Es mag auch ein Abgesang an Merkel sein, über die USA schon mal vorbereitet.

Merkels politisches Taktieren in Sachen Diesel-Skandal hätte mich im Detail auch mal interessiert. Ich hatte unter "Weitere Themen" ja bereits geschrieben, dass Cameron um 2009 wohl einen Vorstoß unternommen hatte, den EU-Zeitplan für die Luftreinhaltepläne zu strecken. Damals war bereits klar, dass der Zeitplan nie einzuhalten war, ohne dass Diesel-Pkw schlicht aus den Metropolen ausgesperrt würden. Cameron stand bereits damals unter Druck der aggressiven ClientEarth. Hätte Merkel sich auf seine Seite geschlagen hätte die EU Camerons Vorstoß mit ziemlicher Sicherheit nachgegeben. Warum hat sie das nicht getan und so die heutige nahezu ausweglose Situation mit heraufbeschworen?

Gruß, Martin

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

01.10.2018 11:20
#305 RE: Insel im Nebel Antworten

Ein interessanter Artikel, insbesondere tatsächlich wegen des Mediums, in dem er erschienen ist.
Aber inhaltlich teile ich die Einschätzung nicht.
Die Auswirkungen Merkel'scher Entscheidungen auf den Brexit sind so indirekt und diffus, daß man die eigentlich nicht wirklich als Ursachen bezeichnen kann. Es wäre auch ziemlich absurd gewesen wenn die deutsche Regierung das, was sie für wichtige deutsche Interessen hält, zurückhält und inhaltlich aus ihrer Sicht falsch entscheidet, nur um vielleicht in GB einige Abstimmungsberechtigte zu beeindrucken.

Konkret die beiden Beispiele zeigen eher, wie zutiefst unseriös die Brexiteers Propaganda betrieben haben. Denn GB ist ja KEIN Schengen-Mitglied, die Wanderungen auf dem Balkan können den Briten ziemlich egal sein, das "take back control" war hier völlig sinnfreies Gewäsch, weil GB immer Grenzkontrollen hatte und hat und die auch nicht in Frage standen.
Was es dagegen gab war die Einwanderungsmöglichkeit von EU-Bürgern, insbesondere Polen. Und da zeigt sich, daß die Brexiteers tatsächlich so borniert und fremdenfeindlich sind wie man es der AfD hierzulande unterstellt. Wobei es gerade hier eben einen fundamentalen Unterschied gibt: Die Einwanderung von so integrationsbereiten, hoch produktiven und gesetzestreuen (und christlichen!) Leuten wie den Osteuropäern in GB würde genau den AfD-Forderungen entsprechen.

Es gibt viel, woram Merkel schuld ist, der Brexit gehört nicht dazu. Der ist im wesentlichen von Cameron und Co. versemmelt worden, sowohl taktisch wie argumentativ.

Florian Offline



Beiträge: 3.179

01.10.2018 18:51
#306 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #305
Ein interessanter Artikel, insbesondere tatsächlich wegen des Mediums, in dem er erschienen ist.
Aber inhaltlich teile ich die Einschätzung nicht.
Die Auswirkungen Merkel'scher Entscheidungen auf den Brexit sind so indirekt und diffus, daß man die eigentlich nicht wirklich als Ursachen bezeichnen kann. Es wäre auch ziemlich absurd gewesen wenn die deutsche Regierung das, was sie für wichtige deutsche Interessen hält, zurückhält und inhaltlich aus ihrer Sicht falsch entscheidet, nur um vielleicht in GB einige Abstimmungsberechtigte zu beeindrucken.



Soweit d'accord.
Allerdings stellt der Artikel eben schön dar, dass Merkel vor 10 Jahren die deutschen Interessen noch ganz anders formuliert hat. Damals hat sie nämlich die Abschottung gegenüber Osteuropa gefordert.
Ich würde es ja auch so sehen, dass Merkels damalige Haltung rückschrittlich war und ihren Sinneswandel in der Frage grundsätzlich positiv sehen.
Aber es ist eben ein Sinneswandel. Und zwar einer, der in deutschen Medien bislang nicht thematisiert wurde. Der aber - und da gebe ich dem Artikel recht - zumindest im Rückblick für das Brexit-Votum mitverantwortlich war.
Dass Merkel "Schuld" am Brexit ist, ist natürlich eine Überinterpretation. Dass sie Großbritannien hat auflaufen lassen, ist aber wohl auch richtig. Und es passt halt so wunderbar zu Merkels Vorgehen in vielen Fragen: dem politischen Partner wird kein noch so kleiner Vorteil gegönnt. Das musste schon die FDP erfahren. Und die CSU. Und eben auch die Briten.

Llarian Offline



Beiträge: 7.120

01.10.2018 19:55
#307 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von Florian im Beitrag #306
Dass Merkel "Schuld" am Brexit ist, ist natürlich eine Überinterpretation.

Schuld wäre übertrieben, aber sie hat einen deutlichen Anteil. Vielen Brexiteers ist ja nicht zuletzt die deutsche Arroganz aufgestossen und die Flüchtlingskrise ist ja ein ziemlich gutes Beispiel dafür. Ob dabei GB innerhalb von Schengen ist, ist völlig nebensächlich, den meisten Briten wie auch so ziemlich den meisten anderen (mal ab von den Deutschen) dürfte durchaus klar gewesen sein, dass die "Flüchtlinge" in Mehrheit nie und nimmer gehen werden und dadurch Schengen zur Makulatur wird.
Das Verhalten in der Finanzkrise tat ein Übriges: Deutsche Hybris wo man hinsieht. Und dafür ist Merkel ein ziemlich perfektes Gesicht. Zurecht.

Zitat
Dass sie Großbritannien hat auflaufen lassen, ist aber wohl auch richtig. Und es passt halt so wunderbar zu Merkels Vorgehen in vielen Fragen: dem politischen Partner wird kein noch so kleiner Vorteil gegönnt. Das musste schon die FDP erfahren. Und die CSU. Und eben auch die Briten.


Kleine Randnotiz dazu: Und auch im Nachhinein ist ihr Vorgehen absolut typisch. Sie ist NIE an irgendetwas schuld.

Frankenstein Offline




Beiträge: 891

25.07.2019 18:40
#308 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #1
Unabhängig von der allgemeinen Wetterlage - die britische Regierung steuert ohne klare Sicht.


Sieht so aus, als hätte nun ein fähiger Kapitän das Ruder übernommen, um die Insel durch den Sturm zu manövrieren.

So sehen es jedenfalls die Autoren des Telegraphs und auch Toby Youngs Quillette-Artikel "Cometh the Hour, Cometh the Man: A Profile of Boris Johnson" gibt doch durchaus berechtigten Anlass zur Hoffnung, dass der westliche Kulturmarxismus möglicherweise einen längst überfälligen Backlash erfahren wird.

Wenn er es schafft, sich gegen alle Widerstände durchzusetzen, wird Boris Johnson sich wohl weniger als Widergänger Trumps, sondern eher als britischer Reagan entpuppen - was das BDS (Boris Derangement Syndrome) der Linken nur noch verschlimmern dürfte

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

26.07.2019 10:53
#309 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von Frankenstein im Beitrag #308
Sieht so aus, als hätte nun ein fähiger Kapitän das Ruder übernommen, ...

Das haben manche in Rom bei Neros Amtsantritt auch gesagt

Zitat
So sehen es jedenfalls die Autoren des Telegraphs und auch Toby Youngs Quillette-Artikel


Die würde ich nur begrenzt ernst nehmen. Das sind bekennende Brexiteers und Young gehört zur Johnson-Clique.
Aber Youngs Artikel zeigt einige interessante Aspekte auf. Johnsons wesentliche Qualität ist seine Chuzpe, mit der er sich geschickt rauswindet wenn er wieder mal Mist gebaut hat. Das nützt ihm vor allem als Wahlkämpfer, und im wesentlichen sehen die Tories ihn als potentiellen Vorkämpfer gegen Farage. Könnte vielleicht klappen.
Aber was in diesem Weltbild so überhaupt nicht vorkommt ist das Wohl des Landes. Um endlich PM zu werden hat Johnson überhaupt keine Rücksichten genommen und die Verhandlungsposition der eigenen Regierung systematisch sabotiert.
Natürlich ist so ein persönlicher Ehrgeiz häufig in der Politik und viele stellen die eigene Karriere oder die Wahlaussichten der eigenen Partei an oberste Stelle. Aber selten so konsequent und rücksichtslos wie Johnson. Da ist jeder Vergleich mit Churchill absurd.

Zitat
Wenn er es schafft, sich gegen alle Widerstände durchzusetzen ...


Ja wenn ...
Nur ist halt keine Variante in Sicht, mit der er irgendeines seiner Versprechen erfüllen könnte. Erfolge in Nachverhandlungen wird es nicht geben. Und zwar unabhängig davon, ob man nun der EU bösartige Absichten unterstellt oder nicht. Johnsons Verhandlungsposition "ich will massive Zugeständnisse ohne irgendwelche Gegenleistungen" ist absurd und wird auch mit sehr gutartigen Verhandlungspartnern nicht funktionieren.
Und auch er hat überhaupt keine Lösungsidee für das irische Dilemma, also wird auch der Backstop bleiben.

Es gibt eigentlich nur zwei mögliche Varianten: Johnson hält sich im Amt und führt GB in den hard brexit. Und selbst er wird es m. E. nicht schaffen, die anschließenden Probleme als alleinige Schuld der EU in die Schuhe zu schieben.
Oder aber er wird vor dem Termin gestürzt und der Brexit abgeblasen.
Alle Lösungen dazwischen, also irgendein Brexit mit Vertrag, sind kaputt gemacht worden, in erster Linie von ihm selber.

hubersn Offline



Beiträge: 1.342

26.07.2019 17:35
#310 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #309
Nur ist halt keine Variante in Sicht, mit der er irgendeines seiner Versprechen erfüllen könnte. Erfolge in Nachverhandlungen wird es nicht geben. Und zwar unabhängig davon, ob man nun der EU bösartige Absichten unterstellt oder nicht. Johnsons Verhandlungsposition "ich will massive Zugeständnisse ohne irgendwelche Gegenleistungen" ist absurd und wird auch mit sehr gutartigen Verhandlungspartnern nicht funktionieren.
Und auch er hat überhaupt keine Lösungsidee für das irische Dilemma, also wird auch der Backstop bleiben.



Sein Versprechen ist doch "wenn keine Verhandlungslösung, dann ein harter Brexit zum 31.10.2019". Wenn die EU nicht wieder in die Verlängerung geht, geht dieses Versprechen doch automatisch in Erfüllung. Oder übersehe ich irgendwas?

Da die EU auf dem Backstop zu beharren scheint, wird es keinen "soft Brexit" geben können. Mit einem "hard Brexit" gibt es gar kein irisches Dilemma, darauf haben sich die entscheidenden Seiten - nämlich die Briten und die Iren - ja schon verständigt. Bin gespannt, ob die EU dann eigene Soldaten an die innerirische Grenze schickt, um den Binnenmarkt zu schützen.

Gruß
hubersn

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Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.544

26.07.2019 23:06
#311 RE: Insel im Nebel Antworten

Allein schon die dezisionistische Tatsache, DASS der Brexit jetzt, genau terminiert, ansteht, no matter what, ändert das Spiel. Bislang gab es auf Seiten der EU wie auch auf der der May-Regierung starkes Interesse, nichts geschehen zu lassen, d.h. auf Zeit zu spielen, weil jedes Jahr Ergebnislosigkeit der Beibehaltung des Status und dem schließlichen Abblasen des Unterfangens förderlich war. Es gab also genau kein Interesse an der Klärung der Irland-Frage. Spieltheoretisch war das tausendtägige Rotieren im Nichts somit genau keine Überraschung. Das ist der Grund, warum in allen solchen neuralgischen Fragen wie dem EU-Austritt vollendete Tatsachen geschaffen werden müssen, egal ob irgendeine daran angehängte Sachfrage geklärt worden ist. Das dann nötige Ausklamüsern der Modalitäten erdet beide Seiten mit Zugzwang. Das führt auch dazu, daß der Modus vivendi, der hier heiß gestrickt werden muß, eben nicht in Erz gegossen, sondern flexibel und den sich ergebenden Resultaten entsprechend angepaßt werden muß. London hat seine Position als Verhandlungspartner erheblich gestärkt. Brüssel ist in der Defensive, wird aber natürlich maximale Obstruktion betreiben; nur schlägt die der EU zum Nachteil aus. Zu erwarten ist, daß Brüssel alle Mitglieder aufs Geleitzugsprinzip vergattern wird: wer mit den Blauen spielt, wird geschaßt. Die EU-Strategie, den Brexit als Warnung vor Nachahmern zu handhaben, läßt nichts anderes erwarten. Letztendlich wird diese Sturheit die EU weiter beschädigen. Was natürlich aus meiner Sicht zu begrüßen ist.



"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

27.07.2019 19:10
#312 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von hubersn im Beitrag #310
Sein Versprechen ist doch "wenn keine Verhandlungslösung, dann ein harter Brexit zum 31.10.2019".

Das ist kein Versprechen, das meint er als Drohung. Auch wenn sie nicht funktioniert.
Sein Versprechen ist, daß entweder die EU substanziell nachgibt, weil jetzt er als der kompetente Verhandler auftritt - oder aber daß der harte Brexit eine ganz problemlose Nummer wird, weil GB ja auf die normalen Welthandelsregeln zurückgreifen könnte. Beides ist ziemlich realitätsferner Unsinn. Und weil Johnson ziemlich intelligent ist, weiß er das auch.

Zitat
Da die EU auf dem Backstop zu beharren scheint ...


Selbstverständlich wird sie das, sie kann ja nicht ihr Mitglied Irland im Stich lassen nur um Johnson einseitige Vorleistungen zu geben.

Der Backstop ist die logische Folge des Versagens der Brexiteers, eine Lösung für die irische Frage zu bieten. Im Prinzip heißt der Backstop ja, daß man solange an den alten Regeln festhält, bis man sich auf neue Regeln geeinigt hat. Und die Einigung auf neue Regeln scheiterte schlicht daran, daß von Seiten des UK keine Vorschläge kamen.
Insofern ist auch der aktuelle Theaterdonner Johnsons ziemlich abstrus. Wenn er wirklich einen Vertrag ohne backstop will, dann muß er einen Lösungsvorschlag für Irland bringen, den man überhaupt verhandeln könnte. Einfach nur "backstop weg" zu fordern ohne Lösungsvorschlag bedeutet de facto, daß er keinen Vertrag will.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

27.07.2019 19:19
#313 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #311
Allein schon die dezisionistische Tatsache, DASS der Brexit jetzt, genau terminiert, ansteht, no matter what, ändert das Spiel.

Nicht sehr stark. Der hard brexit ist schon länger als Variante in der Planung, angesichts des Chaos im Unterhaus bleibt der EU ja gar nichts anderes übrig.

Zitat
London hat seine Position als Verhandlungspartner erheblich gestärkt.


Ganz im Gegenteil. Der hard brexit schadet - wie jede Form der Kappung von bestehenden Wirtschaftsverbindungen - beiden Seiten. Aber er schadet GB natürlich massiv mehr als dem Kontinent. GB hat als deutlich kleinerer Partner einen viel größeren Anteil seiner Wirtschaftsleistung in Relation mit der EU als umgekehrt. Wenn der hard brexit droht, dann droht er in erster Linie dem UK. Deswegen hat das Unterhaus ja diese Option immer wieder ganz deutlich abgelehnt.

Johnson versucht derzeit auf Full House zu pokern - mit einem großen Spiegel hinter sich und der ganze Saal sieht, daß er nur Luschen auf der Hand hat. Das kann er nicht mit schneidigem Auftreten kompensieren.

Zitat
Brüssel ist in der Defensive, wird aber natürlich maximale Obstruktion betreiben ...


Brüssel kann gelassen abwarten. Der Deal liegt auf dem Tisch, die EU ist zu einer Lösung bereit. Wenn Johnson eine andere Lösung will, muß er mit entsprechenden Vorschlägen kommen. Das hat er bisher nicht getan und das ist auch nicht zu erwarten. Es ist bestimmt keine "Obstruktion", nicht vorhandenen Vorschlägen nicht zuzustimmen.

Die entscheidende Frage ist, ob Johnsons innenpolitisch mit seinem Bluff "Ich oder das Chaos" durchkommt. Bei den Tories hat er das geschafft, weil die Angst vor Farage haben. Im Gesamtunterhaus oder gar bei den Wählern wird das m. E. nicht funktionieren.

Llarian Offline



Beiträge: 7.120

27.07.2019 20:25
#314 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #312
Das ist kein Versprechen, das meint er als Drohung.

Weder das eine noch das andere ist richtig. Denn drohen kann er mit nix, die EU hat klar gemacht, dass sie bereit ist den Schaden hinzunehmen, so lange der Schaden in GB nur groß genug ist, damit niemand auf die Idee kommt, nochmal von der Linie abzuweichen (was das Wichtigste und zentrale Ziel der EU war und ist). Den Schaden haben ohnehin am Ende im Wesentlichen die Deutschen, das ist für die EU nicht so sensationell relevant.

Ich denke Johnson hat nur schlicht keine Lust sich auf das bisherige Spielchen einzulassen das Ganze möglichst lange zu verzögern um die Schaden in GB zu maximieren. Das ist sicher sinnvoll.

Zitat
Selbstverständlich wird sie das, sie kann ja nicht ihr Mitglied Irland im Stich lassen nur um Johnson einseitige Vorleistungen zu geben.


Es ist keine(!) Vorleistung eine tolldreiste Forderung zu erheben und diese dann fallen zu lassen. Der Backstop war für GB nie akzeptabel, das ist ja auch der Grund warum die EU darauf beharrt.

Zitat
Der Backstop ist die logische Folge des Versagens der Brexiteers, eine Lösung für die irische Frage zu bieten.


Es gibt keine irische Frage. Genau sowenig wie eine Jerusalem-Frage oder eine Golan-Frage (oder eine Preussen Frage, um mal in Deutschland zu bleiben). Alliierte, so sie denn welche sein wollen (bei den Deutschen und Franzosen kann man sich da nicht so sicher sein) stellen nicht die nationale Souveränität von verbündeten Staaten in Frage. Die "Lösung" ist eindeutig. Staatsgebiet eines Staates bleibt Staatsgebiet eines Staates.

Zitat
Im Prinzip heißt der Backstop ja, daß man solange an den alten Regeln festhält, bis man sich auf neue Regeln geeinigt hat.


Ach, iwo, der Backstop bedeutet das GB plötzlich Verhandlungen über seine souveränen Gebiete zulässt, respektive diese von Irland gerne erzwungen werden möchten. Der Backstop alleine ist eine Infragestellung nationaler Souveränität, und das mit wirtschaftlichem Druck. Da ist auch nichts vorzuschlagen, die britische Position ist trivial nachvollziehbar.

Llarian Offline



Beiträge: 7.120

27.07.2019 20:41
#315 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #313
Der hard brexit schadet - wie jede Form der Kappung von bestehenden Wirtschaftsverbindungen - beiden Seiten. Aber er schadet GB natürlich massiv mehr als dem Kontinent.

Na dann ist ja alles gut. Erinnert mich so ein bissel an die Logik der Atomkrieger: Ja sicher, wir sind dann im Eimer. Aber die anderen sind noch zehnmal mehr im Eimer.

Zitat
Johnson versucht derzeit auf Full House zu pokern - mit einem großen Spiegel hinter sich und der ganze Saal sieht, daß er nur Luschen auf der Hand hat. Das kann er nicht mit schneidigem Auftreten kompensieren.


Ich denke Johnson ist vor allem eins: Ehrlich. Da ist nix zu pokern und das ist ihm auch klar. Aber man kann durchaus deutlich machen wie es dazu kam und warum. Der Hard Brexit war eigentlich nie wirklich zu verhindern, das ist ihm auch (im Unterschied zu May) wohl bewusst gewesen. Jetzt ist es an der Zeit sich eben tatsächlich damit abzufinden. Damit ist wenigstens die Unsicherheit vorbei. Wenn das Pferd tot ist sollte man absteigen.

Zitat
Brüssel kann gelassen abwarten.


So wie Brüssel alles gelassen abwartet, die Flüchtlingskatastrophe, die Schuldenunion, jetzt eben den Brexit. So inkompetet wie Brüssel seit einigen Jahren agiert würde ich nicht darauf wetten wer schneller vor die Wand fährt. Wir sind uns absolut einig, dass GB harten Zeiten entgegen geht, aber mit mit Lagarde an den Finanzen und Panzer-Uschi an der Spitze, finde ich die Wette auf die EU nicht unbedingt besser. Die deutsche Kohle wird in wenigen Jahren alle sein (und mit Langstreckenlouisa und anderen Racketen sind wir noch ein bischen schneller) und dann wird man sehen wie toll DAS europäische Friedensprojekt dann noch läuft.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

27.07.2019 21:43
#316 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #314
... die EU hat klar gemacht, dass sie bereit ist den Schaden hinzunehmen, so lange der Schaden in GB nur groß genug ist

Nein, hat sie nicht. Diese ganze Verschwörungstheorie von der pösen rachsüchtigen EU ist völlig abstrus und deckt sich nicht dem, was real passiert ist. Denn die EU war und ist ja bereit einen fairen Deal zu machen, der liegt vor, dem hat die britische Regierung zugestimmt - und der würde eben verhindern, daß größerer Schaden entsteht.
Wie fair der Deal ist sieht man alleine schon daran, daß den Brexiteers außer der Backstop-Frage bisher nichts an wesentlicher Kritik eingefallen ist. Alle übrigen Angelegenheit sind sauber aufgedröselt und geklärt worden. Könnte das Unterhaus morgen beschließen, dann wäre auch kein Schaden.

Was die EU klargemacht hat ist, daß sie selbstverständlich nicht auf den Backstop verzichten kann. Und daß es auch keine Nachverhandlungen geben wird, solange Johnson außer diesem Punkt keine substanzvollen Neuvorschläge macht.

Zitat
Ich denke Johnson hat nur schlicht keine Lust sich auf das bisherige Spielchen einzulassen das Ganze möglichst lange zu verzögern um die Schaden in GB zu maximieren.


Jede Verzögerung sorgt erst einmal dafür, daß der Schaden kleiner wird. GB war jämmerlich schlecht vorbereitet und die Nachfristen haben überhaupt erst ermöglicht, daß ein paar Bereiche aufgearbeitet wurden. Und natürlich ist Johnsons Verhandlungsbereitschaft gelogen. Er hat "sie hat schlecht verhandelt" benutzt, um May zu demontieren. Er weiß aber genau, daß er es auch nicht besser kann. Also wird er es gleich vor die Wand fahren - wenn das Unterhaus ihn läßt.

Zitat
Es gibt keine irische Frage.


Das ist etwa auf dem Niveau "Das Netz ist der Stromspeicher".
Die irische Frage ist seit drei Jahren zentrales Thema der politischen Diskussion in GB, wird auch in der Presse reichlichst kommentiert. Und jetzt behauptest Du einfach, da gäbe es nichts. Finde ich jetzt nicht so überzeugend.

Zitat
Der Backstop alleine ist eine Infragestellung nationaler Souveränität


JEDER internationale Vertrag bedeutet, daß ein Staat sich zu etwas verpflichtet und damit seine nationale Souveränität einschränkt.
GB hat ein spezielles Verhältnis zu Irland, es gibt Zusagen und Verpflichtungen - und die kann Johnson jetzt nicht einfach wg. "nationaler Souveränität" über Bord kippen.

Zitat

Zitat
Aber er schadet GB natürlich massiv mehr als dem Kontinent.


Na dann ist ja alles gut.



Hat niemand behauptet. Natürlich ist der vom Brexit verursachte Schaden NICHT gut. Natürlich ist es nicht gut, wenn sich dieser Schaden durch den hard brexit vergrößert.
Es ging in der Diskussion aber darum, ob Johnson durch seine Ankündigung des hard brexits seine Verhandlungspostion verbessert hat. Und das hat er natürlich nicht.

Zitat
Ich denke Johnson ist vor allem eins: Ehrlich.


Auch hier hast Du ein absolutes Alleinstellungsmerkmal.
Johnson ist intelligent, er ist witzig, er ist trickreich, er ist originell - aber niemand hat ihn bisher als "ehrlich" bezeichnet. Sondern er ist im Gegenteil deutlich verlogener als sonst schon in der Politik üblich. Verlogen hier vor allem seine beständigen Ankündigungen, er würde nachverhandeln und da mehr erreichen als May - Du hast ja selber eingeräumt, daß das nicht zu erwarten ist.

Zitat
Der Hard Brexit war eigentlich nie wirklich zu verhindern ...


Er ist immer noch zu verhindern - der Deal liegt auf dem Tisch. Wenn die Brexiteers den nicht wollen, weil sie den Iren ungehindert vors Schienbein treten wollen (wie das der von ihnen so geschätzten englischen Tradition entspricht), dann werden sie halt den hard brexit machen. Aber der ist dann kein unvermeidliches Schicksal, der war zu verhindern - aber sie wollten es halt nicht.

Llarian Offline



Beiträge: 7.120

27.07.2019 23:13
#317 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #316
Diese ganze Verschwörungstheorie von der pösen rachsüchtigen EU ist völlig abstrus und deckt sich nicht dem, was real passiert ist.

Das ist keine Verschwörungstheorie sondern jedem klar ersichtlich, der nicht von vorneherein, sagen wir eine "etwas bestimmte" Meinung hat. Allerdings entspricht die Argumentation "das ist ja alles Verschwörungstheorie" genau dem Niveau dieser bestimmten Meinungshaltung.

Zitat
Denn die EU war und ist ja bereit einen fairen Deal zu machen, der liegt vor, dem hat die britische Regierung zugestimmt


May hat dem zugestimmt, das Unterhaus nicht. Weil es den Deal vielleicht nicht so fair fand. Was ich nachvollziehen kann, hier hättest Du dort eine Alleinvertretungssicht. Aber vielleicht sind das auch nur alles Idioten und Verschwörungstheoretiker.

Zitat
Wie fair der Deal ist sieht man alleine schon daran, daß den Brexiteers außer der Backstop-Frage bisher nichts an wesentlicher Kritik eingefallen ist.


Wenn das so "unwesentlich" ist, wieso betonst Du die Wichtigkeit dessen dann selber mehrfach? Ist so ein bissel widerprüchlich. Ich fand den Deal persönlich auch ohne den Backstop nicht übermäßig fair, aber auch die Briten haben schon realisiert, dass es weniger um Fairniss geht, sondern das ihr Hebel ziemlich kurz ist. Was es aber deswegen nicht fair macht. Nur real. Der Backstop war am Ende nur der Garant für die EU, dass der Brexit entweder möglichst hart kommt oder GB wenigstens so gedemütigt heraus kommt, dass es der Wirkung gleich käme.

Zitat
Was die EU klargemacht hat ist, daß sie selbstverständlich nicht auf den Backstop verzichten kann.


Und das wo das doch das einzige ist, was die anderen vorgebracht haben..... Erstaunlich.

Zitat
Das ist etwa auf dem Niveau "Das Netz ist der Stromspeicher".


Und deine Argumentationsschiene hier noch ein Niveau darunter. Ich habe Dir ziemlich klar (und in mehreren Sätzen) dargelegt, dass es für einen souveränen Staat keine Basis ist über sein Staatsgebiet zu verhandeln. Das tut Israel nicht über Ostjerusalem, das tut Spanien nicht über Gibraltar und das tut eben GB nicht über Nordirland. Das ist einfach keine Basis. Das jetzt zu baerbocken ist tatsächlich niveaulos.

Zitat
JEDER internationale Vertrag bedeutet, daß ein Staat sich zu etwas verpflichtet und damit seine nationale Souveränität einschränkt.


Aber nicht bezüglich seines Staatsgebietes. Ich wüsste jedenfalls nicht, dass Deutschland bereit wäre (obwohl, bei der deutschen Politik muss man mit allem rechnen) beispielsweise das Saarland jetzt an Frankreich abzutreten, weil die EU das so wollte.

Zitat
Hat niemand behauptet. Natürlich ist der vom Brexit verursachte Schaden NICHT gut. Natürlich ist es nicht gut, wenn sich dieser Schaden durch den hard brexit vergrößert.


So lange es den Briten mehr schadet ist das doch okay. Oder doch nicht? Weil ganz ernsthaft: So verstehe ich deine Argumentation. DAS ist es, wie Du zumindest bei mir rüberkommst.

Ich kanns mal ganz anders sagen: Der Brexit ist eine Katastrophe. Und zwar auf ganzer Linie, sowohl für die EU, als auch speziell für Deutschland. Nicht nur verlieren wir auf einen Schlag einen zentralen Nettozahler mit einem (im Unterschied zum deutschen) funktionierenden Militär, wir velieren auch einen gewaltigen Exportmarkt und einen zentralen, wenn nicht den bedeutendsten Verbündeten, wenn es um eine vernünftige Wirtschaftspolitik geht. Aus deutscher Sicht müsste eigentlich alles getan werden um einen Brexit entweder zu verhindern oder zumindest so butterweich wie nur möglich zu gestalten. Was juckt es den "den Deutschen" das es den Briten danach noch schlechter geht? Was hat er denn davon, außer einer Rezession und noch mehr Geldern, die er exportieren muss? Es gibt nur einen einzigen Gewinner eines harten Brexits und das sind einzig und alleine die Vertreter des "Mehr und mehr EU bitte". Die Broks, die Junckers, Schulzes, das sind die EINZIGEN Gewinner der ganzen Nummer.

Und wenn ich mich schon halb OT bewege: Der Brexit und das Verhalten der EU (und damit meine ich auch durchaus deine Argumentation von Fairness und Verhalten, die ja durchaus viel zu finden ist) sagt ungeheuer viel über den Begriff des angeblichen Friedensprojektes aus. Die offen ausgetragene Feindschaft, weil einer nicht mehr im Verein mitmachen will, ist ein offenes Bekenntnis dazu, was die EU wirklich ist. Jedenfalls kein Friedensprojekt. Ich glaube nicht, dass die Briten mit einem EU Land in Zukunft einen Krieg führen werden. Aber ich kann mir zunehmend weniger vorstellen, dass die Briten noch ein großes Interesse daran haben einen solchen Nachbarn zu verteidigen.

Zitat
Er ist immer noch zu verhindern - der Deal liegt auf dem Tisch.


Der Deal ist Schrott. Und das weißt Du auch selber. Die Briten sind auch nicht blöde. Sie lassen sich nur nicht veralbern.

Zitat
Wenn die Brexiteers den nicht wollen, weil sie den Iren ungehindert vors Schienbein treten wollen (wie das der von ihnen so geschätzten englischen Tradition entspricht), dann werden sie halt den hard brexit machen. Aber der ist dann kein unvermeidliches Schicksal, der war zu verhindern - aber sie wollten es halt nicht.


Deine Formulierung ist nur zur Hälfte richtig: Was die Brexiterrs nicht wollen, ist sich von den Iren (respektive der EU, denn die Iren sind hier nur der nützliche Vorwand) vor das Schienbein treten lassen. Das wollen sie in der Tat nicht.

hubersn Offline



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28.07.2019 01:42
#318 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #312

Der Backstop ist die logische Folge des Versagens der Brexiteers, eine Lösung für die irische Frage zu bieten.



Warum ist "kein Backstop, normale Grenze zwischen befreundeten Staaten" - sagen wir mal wie zwischen der Schweiz und Deutschland - keine valide Lösung der irischen Frage? Gegen welches Abkommen verstößt das?

Zitat von R.A. im Beitrag #312

Im Prinzip heißt der Backstop ja, daß man solange an den alten Regeln festhält, bis man sich auf neue Regeln geeinigt hat.



Nein, das ist ziemlich weit vom Prinzip des Backstops entfernt. Backstop bedeutet: Grenze zwischen Nordirland und Rest-GB, GB hat keine substanzielle Kontrolle über NI mehr. Das sind NICHT die alten Regeln. Ganz und gar nicht. Und die EU könnte durch Nichteinigung diesen Zustand für die Ewigkeit festschreiben.

Gruß
hubersn

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hubersn Offline



Beiträge: 1.342

28.07.2019 02:09
#319 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #316
Wie fair der Deal ist sieht man alleine schon daran, daß den Brexiteers außer der Backstop-Frage bisher nichts an wesentlicher Kritik eingefallen ist. Alle übrigen Angelegenheit sind sauber aufgedröselt und geklärt worden. Könnte das Unterhaus morgen beschließen, dann wäre auch kein Schaden.



Keine Ahnung, warum Sie die ganzen Diskussionen in GB über alle Details des Vertragswerk verpasst haben. Ich sage nur mal "Divorce Bill". Ihre Darstellung zum Deal ist ungefähr so ausgewogen wie die Berichterstattung der SZ.

Gruß
hubersn

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Yago Offline



Beiträge: 471

28.07.2019 08:50
#320 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #317
Und wenn ich mich schon halb OT bewege: Der Brexit und das Verhalten der EU (und damit meine ich auch durchaus deine Argumentation von Fairness und Verhalten, die ja durchaus viel zu finden ist) sagt ungeheuer viel über den Begriff des angeblichen Friedensprojektes aus. Die offen ausgetragene Feindschaft, weil einer nicht mehr im Verein mitmachen will, ist ein offenes Bekenntnis dazu, was die EU wirklich ist.


Das ist der wesentliche Punkt!

Frankenstein Offline




Beiträge: 891

28.07.2019 10:22
#321 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #316

Zitat
Ich denke Johnson ist vor allem eins: Ehrlich.

Auch hier hast Du ein absolutes Alleinstellungsmerkmal.
Johnson ist intelligent, er ist witzig, er ist trickreich, er ist originell - aber niemand hat ihn bisher als "ehrlich" bezeichnet. Sondern er ist im Gegenteil deutlich verlogener als sonst schon in der Politik üblich. Verlogen hier vor allem seine beständigen Ankündigungen, er würde nachverhandeln und da mehr erreichen als May - Du hast ja selber eingeräumt, daß das nicht zu erwarten ist.


Werter R. A.,

seien Sie mir bitte nicht böse, aber ich denke, dass Ihre politischen Sinne durch Ihre persönliche Verbundenheit mit der EU ein Stück weit vernebelt sind.

Kein britisches Kabinett war seit Thatcher auch nur annähernd so liberal und marktwirtschaftlich aufgestellt, wie Johnsons - wir sind Zeitzeugen einer Renaissance des klassischen Liberalismus.

Zitat von iea
“Overnight, classical liberalism has been put back on the agenda. The Johnson administration is directly challenging the common narrative, with a cabinet that is made up of the most liberal, free-market representatives we’ve seen in decades.

“Yes, jobs have been filled by Leave supporters and those who are willing to entertain a no-deal Brexit – but the common thread that ties many of them together is not the single issue of Brexit, but a wider ideological commitment to more freedom from the state, including tax cuts, support for free enterprise and the sense that the best decision-maker is the individual themselves.”


[Edit:]

FEG [Free Enterprise Group] alumni now make up three of the four great offices of state, including Chancellor of the Exchequer Sajid Javid, Foreign Secretary Dominic Raab, and Home Secretary Priti Patel.

Other FEG alumni include:

Robert Buckland, Justice Secretary

Alun Cairns, Welsh Secretary

James Cleverly, Party Chairman

Matt Hancock, Health and Social Care Secretary

Alister Jack, Scottish Secretary

Andrea Leadsom, Business, Energy and Industrial Strategy Secretary

Brandon Lewis, Minister of State for the Home Office

Kwasi Kwarteng, Minister of State for Business, Energy and Industrial Strategy

Jacob Rees-Mogg, Leader of the House of Commons

Julian Smith, Northern Ireland Secretary

Liz Truss, International Trade Secretary

Llarian Offline



Beiträge: 7.120

28.07.2019 10:58
#322 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von hubersn im Beitrag #318
Warum ist "kein Backstop, normale Grenze zwischen befreundeten Staaten" - sagen wir mal wie zwischen der Schweiz und Deutschland - keine valide Lösung der irischen Frage? Gegen welches Abkommen verstößt das?

Das verstösst gegen das Abkommen: "Wer immer es wagt die EU zu verlassen ist dabei so maximal zu beschädigen, dass niemand anders auch nur noch einmal auf die Idee kommt, darüber nachzudenken."

Ein zunehmend wichtiges Abkommen, denn sollte ein Austritt am Ende ohne große Blessuren ablaufen ist die EU in ihrer heutigen Form (und besonders(!) in ihrer visionierten, zukünftigen Form) mittelfristig am Ende. Ist eigentlich noch keinem aufgefallen, dass diese Eigenschaft in der Vergangenheit auf so manchen "Staatenbund" zugetroffen hat?

Frankenstein Offline




Beiträge: 891

28.07.2019 11:20
#323 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #322
Zitat von hubersn im Beitrag #318
Warum ist "kein Backstop, normale Grenze zwischen befreundeten Staaten" - sagen wir mal wie zwischen der Schweiz und Deutschland - keine valide Lösung der irischen Frage? Gegen welches Abkommen verstößt das?

Das verstösst gegen das Abkommen: "Wer immer es wagt die EU zu verlassen ist dabei so maximal zu beschädigen, dass niemand anders auch nur noch einmal auf die Idee kommt, darüber nachzudenken."


Hierzu ein paar Zitate aus Sherelle Jacobs Kommentar im Telegraph:

To call the EU's bluff, Boris Johnson must grasp he is dealing with a bureaucratic psychopath

"[...] Let us deal, firstly, with the EU’s psychopathy. [...] Rule-breakers thus pose an existential threat and are ruthlessly crushed.

[...] Secondly, bureaucracies are idiotic. Brussels calculates the impact of no deal based on a farcical average [...] Of course, the raw reality of the situation – with countries like Ireland facing economic meltdown – will test the demented concept of a collective European economy to breaking point.

[...] Britain should seize on the third characteristic of bureaucracies: they are dysfunctionally, selfishly bent. [...] the EU bureaucracy is both born out of, and chronically weakened by, the personal ambitions of its nation states.
"

Nobster Offline




Beiträge: 291

28.07.2019 14:08
#324 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von hubersn im Beitrag #318
Nein, das ist ziemlich weit vom Prinzip des Backstops entfernt. Backstop bedeutet: Grenze zwischen Nordirland und Rest-GB, GB hat keine substanzielle Kontrolle über NI mehr. Das sind NICHT die alten Regeln. Ganz und gar nicht. Und die EU könnte durch Nichteinigung diesen Zustand für die Ewigkeit festschreiben.

Ich finde es jetzt gerade nicht im Internet: Wird dann von der EU ein Gouverneur eingesetzt? Gelten die britischen Gesetze nich mehr in Nordirland? Dürfen die Nordiren noch bei der nächsten Unterhauswahl mitwählen? Muss die Queen ein Visum beantragen, wenn sie Belfast besuchen will?

Eierkopp Offline



Beiträge: 226

28.07.2019 17:42
#325 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #322
Das verstösst gegen das Abkommen: "Wer immer es wagt die EU zu verlassen ist dabei so maximal zu beschädigen, dass niemand anders auch nur noch einmal auf die Idee kommt, darüber nachzudenken."


Mal abwarten, ob nicht doch noch Bewegung in die Verhandlungen kommt. Martin Selmayr wird gerade umweltgerecht nach Wien entsorgt.

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