Zitat von R.A. im Beitrag #349Es ist übrigens bezeichnend, daß Johnson keine Hemmungen hatte, solche Methoden einzusetzen.
Ginge das denn? Die Zustimmung des Parlaments nicht einzuholen mit so einem Trick?
Die Regeln verhindern es nicht. Nach dem Fixed-term Parliaments Act 2011 wird das Parlament automatisch 25 Tage vor einer allgemeinen Parlamentswahl aufgelöst, und eine solche Wahl wird angesetzt, wenn entweder 2/3 des Parlaments dafür stimmen oder der Premierminister die Abstimmung über einen Mißtrauensantrag verliert.
Zitat von Fluminist im Beitrag #351Die Regeln verhindern es nicht. Nach dem Fixed-term Parliaments Act 2011 wird das Parlament automatisch 25 Tage vor einer allgemeinen Parlamentswahl aufgelöst, und eine solche Wahl wird angesetzt, wenn entweder 2/3 des Parlaments dafür stimmen oder der Premierminister die Abstimmung über einen Mißtrauensantrag verliert.
Aber gäbe das Johnson die Möglichkeit, den Brexit ohne Parlamentszustimmung zu vollziehen? Oder nur eine Chance einen No-Deal-Brexit passieren zu lassen?
Zitat von vielleichteinlinker im Beitrag #352Aber gäbe das Johnson die Möglichkeit, den Brexit ohne Parlamentszustimmung zu vollziehen? Oder nur eine Chance einen No-Deal-Brexit passieren zu lassen?
GB hat seinen Austrittsantrag gestellt, der Termin steht fest (nach diversen Fristverlängerungen). Ein Austrittsvertrag wurde aber bisher nicht beschlossen. D.h. wenn der Termin kommt, und sonst im Parlament nichts passiert, dann ergibt sich automatisch der von Johnson gewünschte "hard brexit".
Nun gibt es im Parlament aber eine klare Mehrheit gegen den hard brexit. Wenn also das Parlament nach der Sommerpause tagt und Johnson keinen neuen Deal vorlegen kann, dann würde die Parlamentsmehrheit mit großer Wahrscheinlichkeit die Regierung beauftragen, den Austritt erneut zu verschieben (oder abzublasen, das ist aber m. E. derzeit noch unwahrscheinlich).
Betonung dabei auf "WENN das Parlament nach der Sommerpause tagt". Denn es ist im UK eben nicht so, daß das Parlament selbständig tagen könnte wie das bei wohl fast allen anderen Parlamenten der Fall ist. Sondern es ist im Kern immer noch ein Beratungsgremium für den König und tagt, wenn der König (bzw. sein Premierminister) Beratungsbedarf hat. Was üblicherweise der Fall ist, weil die Regierung irgendwelche Gesetze beschlossen haben will.
Wenn Johnson nun aber überhaupt keine Lust auf eine Parlamentssitzung hat - um seinen hard brexit nicht zu gefährden, dann könnte er einfach das Parlament bis zum Austrittstermin nicht einberufen.
Dagegen hat sich die Parlamentsmehrheit nun gesichert, indem sie vor der Sommerpause eine Sitzung nach der Sommerpause beschlossen hat, um ein Gesetz zur Regierungsbildung in Nordirland zu beschließen (da ist derzeit Machtvakuum). Und wenn das Parlament erst einmal tagt, dann kann es seine Tagesordnung beliebig erweitern und z. B. auch Anträge zum Brexit beschließen.
Damit ist derzeit der einfache Ausweg für Johnson versperrt. Die Parlamentssitzung kann er nur durch Neuwahlen verhindern. Ob er das riskiert ist derzeit das spannende Thema. Man müßte sich mal die Wettquoten dafür anschauen ...
Zitat von R.A. im Beitrag #353Damit ist derzeit der einfache Ausweg für Johnson versperrt. Die Parlamentssitzung kann er nur durch Neuwahlen verhindern. Ob er das riskiert ist derzeit das spannende Thema. Man müßte sich mal die Wettquoten dafür anschauen ...
Zitat von R.A. im Beitrag #353Nun gibt es im Parlament aber eine klare Mehrheit gegen den hard brexit.
Das Problem scheint mir zu sein, dass es im Zusammenhang mit Brexit im britischen Parlament (und wahrscheinlich auch in der britischen Öffentlichkeit) klare Mehrheiten GEGEN alles mögliche gibt. Nur leider keine klaren Mehrheiten FÜR irgendetwas.
So etwa Ende März 2019. Nachdem das Parlement den zwischen der Regierung Mey und der EU ausgehandelten Brexit-Vertrag mit Rekord-Mehrheit abgelehnt hatte, ließ der Parlamentspräsident damals sogenannte "indicitative votes" über verschiedene mögliche Brexit-Routen zu. (in etwa "Abstimmungen, um ein Meinungsbild zu bekommen"). Es waren da wirklich alle bisher diskutierten Routen vertreten. Von "Hard Brexit" bis zu "weiter bestehende Zollunion" und alles mögliche dazwischen.
Dies wäre natürlich noch nicht der endgültige Plan gewesen, weil man diesen dann ja immer noch mit der EU hätte aushandeln müssen. Allerdings hatte dann KEINE dieser Varianten eine Mehrheit. Auch nicht in einer zweiten Abstimmung, als es nur noch die Favoriten als Alternativen gab.
Nota bene wäre das ohnehin noch nicht der endgültige Brexit-Plan gewesen. Der hätte dann ja immer noch mit der EU ausgehandelt werden müssen. Aber es wäre zumindest eine Grundlage für die Verhandlungsposition gewesen, mit der das britische Parlament seine Regierung beauftragt hätte.
Nachdem es nun also im britischen Parlament Mehrheit GEGEN alles gibt aber keine Mehrheiten FÜR eine bestimmte Richtung, kann das Endergebnis logischerweise nur in 2 Richtungen gehen:
Entweder es gibt irgendwann einen Hard Brexit mit allen Konsequenzen. Dafür braucht es nämlich keine weiteren Parlamentsabstimmungen oder Verhandlungen mit der EU. Der Austrittsantrag ist gestellt. Es gibt einen Austrittstermin. Wenn bis dahin keine andereweitigen Beschlüsse gefasst oder Abkommen unterschrieben werden, ist Großbritannien zu diesem Termin aus der EU ausgetreten.
Oder der Austritt wird abgesagt. Dies kann die britische Regierung nämlich ganz einfach einseitig gegenüber der EU erklären.
Irgendwelche anderen Lösungen im Graubereich dazwischen sehe ich mittlerweile nicht mehr. Weil eben für keine Lösung eine Parlaments-Mehrheit absehbar ist.
Zitat von R.A. im Beitrag #353 GB hat seinen Austrittsantrag gestellt, der Termin steht fest (nach diversen Fristverlängerungen).
Hindert die EU irgendjemand daran, eine weitere Fristverlängerung zu beschließen? Oder muss die britische Regierung zustimmen? Und/oder das Unterhaus? Ich habe langsam den Überblick verloren, wer was wann wie zusammen mit wem beschließen kann oder wird.
Zitat von Martin im Beitrag #354Die Seite hat bisher über die Brexit-Politik kompetenter berichtet als die deutschen Medien.
Es ist eigentlich nicht schwierig, kompetenter als die deutschen Medien zu berichten, aber "Sciencefiles" schafft das nicht. Eigentlich wird hier nur unkritisch nachgekaut, was irgendwelche Brexiteer-Blätter in die Welt gesetzt haben. Alleine schon: " May, ..., hat wohl zu keinem Zeitpunkt, wie zwischenzeitlich herausgekommen ist, mit einem Hard Brexit gedroht." Selbstverständlich hat sie nit mit einem Hard Brexit gedroht. Einerseits weil sie genau weiß, daß sie sich damit lächerlich gemacht hätte, andererseits weil die Vermeidung des Hard Brexit immer ihre oberste Priorität war. Das hat sie auch oft genug gesagt, von "zwischenzeitlich herausgekommen" kann da keine Rede sein, die Sciencefile-Autoren haben schlicht eine eingeschränkte Wahrnehmung.
Und daß Johnson eine andere Klasse sein soll als May ist auch unfundierter Wunschtraum. Bisher jedenfalls ist er jeden Beweis dafür schuldig geblieben. Seine Bilanz als Außenminister war trübselig und auch im neuen Amt sind keinerlei Erfolge absehbar.
Ansonsten ist klar, daß mögliche Neuwahlen erst nach dem Brexit-Termin kommen können. Was der Autor aber unterschlägt ist die Variante, daß Johnson selber sich in Neuwahlen flüchtet, um einen Brexit-Stop durch das Parlament zu verhindern.
Zitat Hindert die EU irgendjemand daran, eine weitere Fristverlängerung zu beschließen?
Alleine beschließen kann das keine Seite. Eine Vertragsverlängerung geht nur im Konsens beider Parteien. Allerdings könnte die EU eine solche Terminverlängerung anbieten und bis zum Ergebnis der Neuwahlen bzw. der Handlungsfähigkeit einer neuen britischen Regierung den Vollzug des Brexits aussetzen. Dann hätte die neue britische Regierung die Wahl die Verlängerung anzunehmen oder aber auf den Brexit-Vollzug zu bestehen. Dann würde der halt mit Finanzwirkung zum 31. Oktober abgewickelt.
Zitat von Florian im Beitrag #355Nachdem es nun also im britischen Parlament Mehrheit GEGEN alles gibt aber keine Mehrheiten FÜR eine bestimmte Richtung, kann das Endergebnis logischerweise nur in 2 Richtungen gehen
Nicht zwingend. Wenn man nur nach den Abstimmungsergebnissen geht, hätten die Befürworter eines soft brexit sehr wohl eine Mehrheit, wenn sie sich auf eine Variante einigen würden. Das ist nicht grundsätzlich unmöglich, darüber wurde halt nicht wirklich verhandelt vor den Unterhaus-Probe-Abstimmungen.
Ansonsten ist klar, daß eigentlich im aktuellen Parlament die Remainers die klare Mehrheit haben, ein Teil von ihnen aber bisher das Referendum umsetzen wollte. Wenn nur noch hard brexit und Remain zur Wahl stehen, dann könnte sich durchaus eine Mehrheit für Remain bilden, denn es ist ziemlich klar, daß die Mehrheit beim Referendum an einen soft brexit dachte, hard brexit war damals noch gar keine ernsthaft diskutierte Option.
Das Argument von Ihnen, lieber R.A., ignoriert, dass die Brexit-Party bei den EU-Wahlen die klar stärkste Kraft war und eine klare Mehrheit von Wahlkreisen in Tory- wie Labour-Hand klar gewonnen hätte, wenn dort Mehrheitswahlrecht gelten würde wie zum britischen Parlament. Neuwahlen sollten zumindest von den großen Parteien im Parlament und insbesondere den Tories gefürchtet werden. Labour darf sich da aber auch nicht zu viel erhoffen. Die haben aktuell eher viel Sitze im Vergleich zur Stimmung, da May sich ja schon als schlechteste Premierministerin aller Zeiten angedeutet hatte, als sie die letzte Wahl ohne Not veranlasst hat, wo sie massiv verloren hat. Durch diese von May verkorkste Wahl ist es ja erst wieder eng geworden für den Brexit, weil Labour mit Pro-Brexit geworben hat, aber jetzt sich wieder anders positioniert. Natürlich könnte Labour darauf hoffen, dass EU-Wahl und britische Wahl anders genug sind und sie mehr davon profitieren, dass jetzt wieder Stimmen von der Brexit-Party weg zu den anderen Parteien gehen könnten und Tories und Brexit-Party sich gegenseitig schwächen.
Mag sein, dass die EU einen Hard Brexit lächerlich findet und May ausgelacht hätte. So hat sie mangels Verhandlungsdruck und ohne scheinbar auch nur einen starken Willen zu haben ein Vertragswerk verhandelt, das für die Briten inakzeptabel ist und einen Hard Brexit notwendig macht. Wo kommt hier eigentlich immer die Idee her, dass Konsenssucht und schwach wirken zu guten Verhandlungsergebnissen führt? Die Psychologie zu Verhandlungen sagt das Gegenteil.
Zitat von zwerg im Beitrag #359dass die Brexit-Party bei den EU-Wahlen die klar stärkste Kraft war
Das ist völlig irrelevant. Nicht nur daß der Brexit bei dieser Wahl überhaupt nicht zur Entscheidung anstand - die Brexit-Partei hat auch nur 30% geholt. Das ist kein Signal der Wählerschaft, mehrheitlich den Brexit immer noch zu wollen.
Zitat Neuwahlen sollten zumindest von den großen Parteien im Parlament und insbesondere den Tories gefürchtet werden.
Man wird sehen. Derzeit scheinen sie Johnsons einzige Möglichkeit zu sein, einen Brexit-Aufschub durchs Parlament zu verhindern. Wie er die Wahlchancen seiner Tories einschätzt ist völlig offen.
Zitat Mag sein, dass die EU einen Hard Brexit lächerlich findet und May ausgelacht hätte.
Das ist nicht der Punkt. May hätte sich nicht lächerlich gemacht, wenn sie einen Hard Brexit gewollt hätte. Sie hätte sich lächerlich gemacht, wenn sie versucht hätte damit zu drohen. Der Hard Brexit ist in erster Linie ein katastrophaler Knieschuß für GB mit Kollateralschäden in anderen Ländern. Das kann eigentlich keiner lächerlich finden. Aber eine britische Drohung, sich selber zu schädigen, das wäre als taktisches Manöver lächerlich.
Zitat ein Vertragswerk verhandelt, das für die Briten inakzeptabel ist
Das die Brexiteers als inakzeptabel bezeichnen, weil sie May abschießen wollen. Wäre damals Johnson PM geworden und hätte den Deal ausgehandelt, wäre er inzwischen wohl beschlossen.
Ich hatte ja schon mal gefragt, was außer dem Backstop eigentlich so schlecht am Deal wäre. Da kam bisher nichts. Der Deal ist fair und vernünftig und wurde von May und der EU ordentlich verhandelt. Aber er ist unvermeidlich schlechter als die völlig irrealen Versprechen der Brexiteers von wegen "we want to eat the cake and keep it".
Zitat von R.A. im Beitrag #360Das ist völlig irrelevant. Nicht nur daß der Brexit bei dieser Wahl überhaupt nicht zur Entscheidung anstand - die Brexit-Partei hat auch nur 30% geholt. Das ist kein Signal der Wählerschaft, mehrheitlich den Brexit immer noch zu wollen.
Zumal dafür UKIP stark verloren hat. Während die Parteien, die für REMAIN standen – LibDems, Grüne, SNP – alle gewonnen haben. Wenn, wäre das eher ein Votum für "wir haben es uns anders überlegt, Leute".
Zitat von vielleichteinlinker im Beitrag #361Während die Parteien, die für REMAIN standen – LibDems, Grüne, SNP – alle gewonnen haben.
Wobei man aber sehen muß daß das auf Kosten von Parteien ging, die beim Referendum noch für Remain standen.
Im Prinzip haben die Parteien gewonnen, die ein klares JA (Brexit-Partei) oder NEIN (LibDems, Grüne, SNP) abgegeben haben. Verloren haben die Parteien (Labour komplett und Tories zum großen Teil), die eigentlich für Remain waren, aber wg. Referendum den Brexit derzeit befürworten. Es ist daher kaum möglich, aus dem EP-Ergebnis ein echtes Brexit-Votum abzuleiten - in keiner Richtung.
Bei einer Unterhauswahl im Herbst wäre das anders. Und dann wären auch die Alternativen andere. Bei der EP-Wahl waren noch alle drei Optionen im Spiel: Remain, Deal, Hard Brexit. Aber seit Johnson ist klar, daß der Deal tot ist und auch kein anderer Deal mehr kommen wird. Die Wähler müssen sich dann zwischen Hard Brexit und Remain entscheiden. Und da wird der Hard Brexit m. E. deutlich verlieren.
Zitat von R.A. im Beitrag #362Aber seit Johnson ist klar, daß der Deal tot ist und auch kein anderer Deal mehr kommen wird. Die Wähler müssen sich dann zwischen Hard Brexit und Remain entscheiden. Und da wird der Hard Brexit m. E. deutlich verlieren.
Daran glaube ich nicht. Johnson braucht nicht viel um den Deal noch in den besten Deal aller Zeiten zu verwandeln. Vielleicht ein wenig Treten gegen Irland oder ein bisserl Migrantenbashing. Selbst mikroskopische Veränderungen im richtigen Feld reichen ihm da. Trump macht's ja gerne vor. NAFTA hat eigentlich nur den Namen geändert, aber USMCA hat schon im Namen "America First" und außerdem hat es schon tausende Jobs gebracht – obwohl es noch nicht einmal ratifiziert ist.
Zitat von vielleichteinlinker im Beitrag #363Johnson braucht nicht viel um den Deal noch in den besten Deal aller Zeiten zu verwandeln.
Zu spät. Wer nicht verhandelt, kann auch nicht den besten Deal aller Zeiten hinkriegen.
Im übrigen würden ihm kleinere Verbesserungen nicht reichen - er ist ja als Brexiteer nur ein später Konvertit und hat immer die Hardliner im Nacken. Solange z. B. noch der Backstop drin ist (auf den die EU nicht verzichten kann) werden ihm Farage und die SUN da nichts durchgehen lassen.
Es ist im übrigen grotesk, daß die Brexiteers (mangels echter Knackpunkte) ausgerechnet den Backstop zur entscheidenden Frage hochjubeln. Wenn der Hard Brexit kommt, wird GB Nordirland mit hoher Wahrscheinlichkeit sowieso aufgeben müssen - dann kriegen sie genau die Grenze in der irischen See, die angeblicher Grund zur Ablehnung des Deals war.
Zitat von R.A. im Beitrag #364Zu spät. Wer nicht verhandelt, kann auch nicht den besten Deal aller Zeiten hinkriegen.
Ich denke, das ist Johnsons Kalkül. Dass die EU - for the sake of the deal – sich zu Symbolzugeständnissen bereit erklärt. Boris braucht ja keinen viel besseren Deal. Und im Parlament hat er die Hassardeure, die bisher immer "nein" gesagt haben, aus anderen Gründen auf seiner Seite.
Zitat von R.A. im Beitrag #364Wenn der Hard Brexit kommt, wird GB Nordirland mit hoher Wahrscheinlichkeit sowieso aufgeben müssen - dann kriegen sie genau die Grenze in der irischen See, die angeblicher Grund zur Ablehnung des Deals war.
Falls das passiert, werden die Schotten ganz genau schauen, wie ihre Optionen sind. Und Wales zumindest stänkern. Was Johnson mit Zugeständnissen beantworten muss.
Da es dem Mann aber eh nur drum geht, PM zu sein, ist ihm das dann wohl egal.
Dazu müßte er aber erst einmal in Verhandlungen eintreten - das vermeidet er ja bewußt.
Zitat Und im Parlament hat er die Hassardeure, die bisher immer "nein" gesagt haben, aus anderen Gründen auf seiner Seite.
Das glaube ich nicht. Im wesentlichen haben die Brexit-freundlichen Tories Angst vor der Brexit-Partei. Und sie haben Johnson nach vorne geschickt weil sie hoffen, daß er am ehesten den starken Mann markieren und nach rechts Gelände sichern kann. Genau das wird nicht mehr funktionieren, wenn Johnson einen Deal macht, den die Brexit-Partei leicht angreifen kann. Wenn also der Deal genau die zentralen Punkte enthält, die Johnson vorher bei May kritisiert hat. Ein nur leicht kosmetisch veränderter Deal ist daher nicht möglich.
Zitat Falls das passiert, werden die Schotten ganz genau schauen, wie ihre Optionen sind.
Werden sie - aber da ist noch unklar, ob sie so schnell ein neues Referendum machen dürfen. Da ist die Rechtslage (wie so oft in der englischen Verfassungstradition) offen.
Nordirland hat dagegen ein verbrieftes Recht aus dem UK auszuscheiden. Mit Mehrheit und Referendum können die ziemlich schnell die Vereinigung mit der Republik Irland durchführen, London hat da kein Veto und keinen Verhandlungsspielraum. Es ist daher recht absurd wenn jetzt behauptet wird, der Backstop würde die Souveränität GBs über Nordirland beeinträchtigen - diese Souveränität hat GB de facto schon nicht mehr.
Die Mehrheit der Nordiren war deutlich gegen den Brexit. Aber bisher auch für den Verbleib im UK (das sind aber nur Umfragen, es gab dazu nie eine Abstimmung). Mit einem Soft Brexit à la Norwegen-Modell hätten die Nordiren sich arrangieren können. Ein Hard Brexit wäre dagegen eine Katastrophe für die Region und da würden auch nicht ein paar Milliarden Subventionen reichen, wie sie Johnson den Waliser Bauern verspricht. Umgekehrt haben sich Nord- und Südiren in den letzten 20 Jahren überraschend gut angenähert. Insbesondere wurde im Süden der Einfluß der katholischen Kirche massiv zurückgedrängt, der war den nordirischen Protestanten ein besonderer Dorn im Auge. Und psychologisch war es natürlich wieder überaus ärgerlich für die nordirischen Loyalisten, daß ihre Sorgen und Bedürfnisse in London mal wieder überhaupt keine Rolle spielten und sie genauso als unwichtiger Hinterhof behandelt werden wie die Vettern im Süden. Da hätte ein Referendum nach einem Hard Brexit sehr gute Aussichten.
Zitat Da es dem Mann aber eh nur drum geht, PM zu sein, ist ihm das dann wohl egal.
Wahrscheinlich. Der Mann hatte offenbar noch nie langfristige strategische Planungen, sondern hat sich immer darauf verlassen, daß er sich mit Schlagfertigkeit und Chuzpe aus jedem Problem herauswinden kann. Also spielt er in erster Linie auf Zeit und hofft, daß sich irgendwelche unerwarteten Gelegenheiten ergeben.
Zitat von vielleichteinlinker im Beitrag #365Falls das passiert, werden die Schotten ganz genau schauen, wie ihre Optionen sind. Und Wales zumindest stänkern.
Schauen und stänkern werden sie, aber die tatsächlichen Optionen können schnell sehr eng werden. Ist Nordirland erst einmal verloren, ist es nicht unwahrscheinlich, daß die Hardliner, die sich derzeit ohnehin die Verfassung hinbiegen wie es ihnen gerade paßt, den Devolutionsprozeß für gescheitert erklären und im Zuge des nationalen Notstands die lokalen Parlamente und Regierungen Schottlands und Wales' aussetzen oder abschaffen. Von Leuten, die sogar das Good Friday Agreement nur als lächerlich-lästiges Hindernis empfinden, ist da wenig Federlesen zu erwarten.
Zitat von R.A. im Beitrag #366Und psychologisch war es natürlich wieder überaus ärgerlich für die nordirischen Loyalisten, daß ihre Sorgen und Bedürfnisse in London mal wieder überhaupt keine Rolle spielten und sie genauso als unwichtiger Hinterhof behandelt werden wie die Vettern im Süden.
Nur daß die DUP doch gerade der Regierung den Löffel hält und die Suppe mit umrührt? Also doch nicht so ganz Hinterhof - während die First Ministers von Schottland und Wales ziemlich hilflos dastehen wie die Rufer in der Wüste.
Zitat von vielleichteinlinker im Beitrag #365Da es dem Mann aber eh nur drum geht, PM zu sein, ist ihm das dann wohl egal.
Für ein Mitglied des Bullingdon Clubs gilt ja auch schon den Laden maximal ruiniert zurückzulassen als schöner Erfolg.
Zitat von R.A. im Beitrag #366 Nordirland hat dagegen ein verbrieftes Recht aus dem UK auszuscheiden. Mit Mehrheit und Referendum können die ziemlich schnell die Vereinigung mit der Republik Irland durchführen, London hat da kein Veto und keinen Verhandlungsspielraum. Es ist daher recht absurd wenn jetzt behauptet wird, der Backstop würde die Souveränität GBs über Nordirland beeinträchtigen - diese Souveränität hat GB de facto schon nicht mehr.
Da kennt jemand die Rechtslage aber erstaunlich gut. Nicht. So lange der Staatssekretär für Nordirland (Teil der englischen Regierung) nicht der Meinung ist, dass es eine wahrscheinliche Mehrheit für einen Austritt von Nordirland aus GB gibt, passiert da genau gar nichts. Nada. Und dieser Begriff ist verdammt dehnbar. London hat da nicht nur ein Veto, London kann den ganzen Prozess schlicht verhungern lassen. Tun sie ja derzeit auch. Sinn Fein hat ja schon mehrfach versucht jetzt eine Abstimmung zu bekommen und ist damit vor die Wand gelaufen. Real wird das nicht passieren. Allerdings kann es gut sein, dass wir ein Neuaufflammen der IRA erleben. Sozusagen "Bomben für Europa".
Zitat Da hätte ein Referendum nach einem Hard Brexit sehr gute Aussichten.
Solche Prognosen sind ungefähr genauso sinnvoll wie die, dass die Briten ja nie einen harten Brexit durchführen würden. Haben wir in diesem Thread noch.
"Bomben für Europa". Interessant, an so was habe ich noch gar nicht gedacht. Und bei der bekannt "neutralen & sachlichen" Berichterstattung wäre zu erwarten, dass die deutsche Presse aus den pro-Europamördern rehäugige Heilige macht und die Toten auf das Konto der Brexiters rechnet.
___________________ Jeder, der Merkel stützt, schützt oder wählt, macht sich mitschuldig.
Zitat von Fluminist im Beitrag #367Von Leuten, die sogar das Good Friday Agreement nur als lächerlich-lästiges Hindernis empfinden, ist da wenig Federlesen zu erwarten.
Auf wen genau beziehen Sie sich da? Die mir bekannten Wortmeldungen haben bisher das Agreement nicht in Frage gestellt. Soweit ich das überblicke, es ist ja eher unübersichtlich in der Berichterstattung.
Zitat von Fluminist im Beitrag #367Ist Nordirland erst einmal verloren, ist es nicht unwahrscheinlich, daß die Hardliner, die sich derzeit ohnehin die Verfassung hinbiegen wie es ihnen gerade paßt, den Devolutionsprozeß für gescheitert erklären und im Zuge des nationalen Notstands die lokalen Parlamente und Regierungen Schottlands und Wales' aussetzen oder abschaffen.
Das halte ich für unwahrscheinlich. Alleine schon, weil die Hardliner weit entfernt von einer Parlamentsmehrheit sind und es auch nicht wahrscheinlich ist, daß sie die mit Neuwahlen kriegen würden.
Zitat Nur daß die DUP doch gerade der Regierung den Löffel hält
Die DUP ist nicht repräsentativ für die Mehrheit in Nordirland und das Löffelhalten hat nicht dazu geführt, daß die Londoner Politiker Rücksicht auf die DUP oder die Belange Nordirlands genommen hätten. Entsprechend haben ja sowohl die DUP wie ihre beiden Abspaltungen bei der EP-Wahl Federn lassen müssen.
Zitat von Llarian im Beitrag #368So lange der Staatssekretär für Nordirland (Teil der englischen Regierung) nicht der Meinung ist, dass es eine wahrscheinliche Mehrheit für einen Austritt von Nordirland aus GB gibt, passiert da genau gar nichts.
Das ist vorsichtig gesagt eine sehr eigenwillige Interpretation des Abkommens. Die Frage ist auf Seite 3 geregelt, und da steht überhaupt nichts vom Staatssekretär für Nordirland, aber sehr oft etwas über die Mehrheit der Bevölkerung in Nordirland. Und diese Mehrheit wird bestimmt nicht von einem Regierungsmitglied in London festgelegt und selbstverständlich hätte Irland diesen Vertrag nicht unterschrieben, wenn die britische Regierung diesen ganzen Vertragspassus nach Belieben ignorieren dürfte.
In dem Moment wo eine Mehrheit im Stormont ein Referendum ansetzt und sich dabei eine Mehrheit ergibt, kann der Vertrag umgesetzt werden. Da gibt es kein Vetorecht für einen Staatssekretär.
Zitat Sinn Fein hat ja schon mehrfach versucht jetzt eine Abstimmung zu bekommen und ist damit vor die Wand gelaufen.
Das lag aber nicht am Staatssekretär sondern schlicht daran, daß die Mehrheit in Nordirland diesen Sinn-Fein-Vorschlägen nicht gefolgt ist.
Zitat von Frank2000 im Beitrag #369"Bomben für Europa". Interessant, an so was habe ich noch gar nicht gedacht.
An so etwas hat auch auf der Insel noch keiner gedacht - das ist hier von Llarian frei erfunden worden.
Von den ehemals militanten Gruppen in Nordirland hatte sich nur die DUP gegen das Good-Friday-Agreement ausgesprochen (sich aber inzwischen damit arrangiert), die Sinn Fein und alle anderen Parteien waren dafür.
Zitat von hubersn im Beitrag #370Die mir bekannten Wortmeldungen haben bisher das Agreement nicht in Frage gestellt.
Es hat niemand explizit die Abschaffung gefordert. Aber de facto ignorieren die Brexiteers von Anfang an die britischen Verpflichtungen aus dem Abkommen und stellen Forderungen auf, die dem Abkommen widersprechen würden. Die ganze Diskussion um den backstop wäre überflüssig, wenn man sich an das Abkommen halten wollte.
Zitat von hubersn im Beitrag #370Die mir bekannten Wortmeldungen haben bisher das Agreement nicht in Frage gestellt.
Es hat niemand explizit die Abschaffung gefordert. Aber de facto ignorieren die Brexiteers von Anfang an die britischen Verpflichtungen aus dem Abkommen und stellen Forderungen auf, die dem Abkommen widersprechen würden. Die ganze Diskussion um den backstop wäre überflüssig, wenn man sich an das Abkommen halten wollte.
Richtig, und siehe auch dies:
Zitat von FT, 29. 7. 2019Downing Street has refused to exclude the possibility that Boris Johnson will introduce direct rule over Northern Ireland as part of preparations for a no-deal Brexit, raising the pressure for a poll on uniting the island of Ireland. [...] Introducing direct rule would see the UK government rolling back devolution — a key part of the 1998 Good Friday Agreement that ended the Troubles in Northern Ireland — and could increase demands for a “border poll” on uniting the two parts of the island of Ireland.
Im Grunde ist schon die quasi-Koalition mit der DUP grenzwertig, da sie die vom GFA geforderte Unparteilichkeit der britischen Regierung in Nordirland in Frage stellt.
Bitte beachten Sie diese Forumsregeln: Beiträge, die persönliche Angriffe gegen andere Poster, Unhöflichkeiten oder vulgäre Ausdrücke enthalten, sind nicht erlaubt; ebensowenig Beiträge mit rassistischem, fremdenfeindlichem oder obszönem Inhalt und Äußerungen gegen den demokratischen Rechtsstaat sowie Beiträge, die gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen. Hierzu gehört auch das Verbot von Vollzitaten, wie es durch die aktuelle Rechtsprechung festgelegt ist. Erlaubt ist lediglich das Zitieren weniger Sätze oder kurzer Absätze aus einem durch Copyright geschützten Dokument; und dies nur dann, wenn diese Zitate in einen argumentativen Kontext eingebunden sind. Bilder und Texte dürfen nur hochgeladen werden, wenn sie copyrightfrei sind oder das Copyright bei dem Mitglied liegt, das sie hochlädt. Bitte geben Sie das bei dem hochgeladenen Bild oder Text an. Links können zu einzelnen Artikeln, Abbildungen oder Beiträgen gesetzt werden, aber nicht zur Homepage von Foren, Zeitschriften usw. Bei einem Verstoß wird der betreffende Beitrag gelöscht oder redigiert. Bei einem massiven oder bei wiederholtem Verstoß endet die Mitgliedschaft. Eigene Beiträge dürfen nachträglich in Bezug auf Tippfehler oder stilistisch überarbeitet, aber nicht in ihrer Substanz verändert oder gelöscht werden. Nachträgliche Zusätze, die über derartige orthographische oder stilistische Korrekturen hinausgehen, müssen durch "Edit", "Nachtrag" o.ä. gekennzeichnet werden. Ferner gehört das Einverständnis mit der hier dargelegten Datenschutzerklärung zu den Forumsregeln.