Zitat von R.A. im Beitrag #372 Das ist vorsichtig gesagt eine sehr eigenwillige Interpretation des Abkommens. Die Frage ist auf Seite 3 geregelt, und da steht überhaupt nichts vom Staatssekretär für Nordirland, aber sehr oft etwas über die Mehrheit der Bevölkerung in Nordirland.
Du hättest weiterlesen sollen. Das entscheidende kommt auf Seite 5: [ZITAT] 2. Subject to paragraph 3, the Secretary of State shall exercise the power under paragraph 1 if at any time it appears likely to him that a majority of those voting would express a wish that Northern Ireland should cease to be part of the United Kingdom and form part of a united Ireland. [TATIZ] Das ist keine eigenwillige Interpretation, das steht dort recht eindeutig. Man muss übrigens diesen "Geschäftsordnungstrick" nicht gut finden (ich bin ja eher ein Anhänger dessen, was man mal beabsichtigt hat), aber das gerade Dir aufs Brot zu schmieren bereitet mir hier eine kleine Freude: Denn alles was der Staatssekretär tun muss, ist zu verweigern, dass es ihm wahrscheinlich erscheint, dass eine Mehrheit GB verlassen will. Ungefähr genauso wie die Darstellerin eines Bundestagsvize keine Lust hat das Offensichtliche nachzählen zu lassen. Und wer hat da noch so betont, wie korrekt das ist?
Zitat Und diese Mehrheit wird bestimmt nicht von einem Regierungsmitglied in London festgelegt und selbstverständlich hätte Irland diesen Vertrag nicht unterschrieben, wenn die britische Regierung diesen ganzen Vertragspassus nach Belieben ignorieren dürfte.
Natürlich haben sie das. Weil sie ja effektiv nix zu fordern hatten. Es sei denn man betrachtet Terrorismus als legitimes Mittel zur politischen Auseinandersetzung. Das Good-Friday-Abkommen war für Irland ein sehr bequemer Weg einen Fuß in die Tür zu bekommen, denn als Teil der EU hätte GB den Übertritt kaum lange behindern können, wenn die Mehrheit nur deutlich genug wäre. Das ganze lebt aber vom Wohlverhalten (erzwungen oder nicht) des Gegenübers. Und genau deshalb sieht Irland derzeit auch die Felle davon schwimmen und genau deshalb ist der Backstop an der Stelle so entscheidend für die Iren.
Zitat In dem Moment wo eine Mehrheit im Stormont ein Referendum ansetzt und sich dabei eine Mehrheit ergibt, kann der Vertrag umgesetzt werden.
Dummerweise fällt diese Entscheidung aber einzig dem Staatssekretär zu. Das ist übrigens nicht meine "abwegige" Rechtsmeinung, das kannst Du gerne auch anderweitig nachlesen: https://en.wikipedia.org/wiki/United_Ireland
Zitat Da gibt es kein Vetorecht für einen Staatssekretär.
Genauso sehr wie ein Vetorecht für Bundestagsvizepräsidenten.
Und was die "Bomben für die EU" angeht, so habe ich mir das zwar tatsächlich ausgedacht, ich halte es nur nicht für allzu abwegig. Die EU unternimmt derzeit alles, damit GB auf maximale Konfrontation zum Kontinent geht und Irland nutzt seine vermeintliche Chance altes Gebiet zurück zu erlangen. Wenn GB dem eine deutlich Absage erteilt, dann ist es nicht so vollkommen absurd zu meinen, dass die IRA wieder zu den Waffen greifen wird. Und das wären dann tatsächlich "Bomben für Europa". Und wenn ich mir eine Prognose erlauben darf: Sollte dem so kommen werden wir zwar viele Lippenbekenntnisse gegen Gewalt erleben, aber wir werden jede Menge(!) klammheimliche Freude und Rechtfertigung durch EU Granden (gerade aus Deutschland) erleben, die bezeugen, dass die armen Teufel ja gar nicht anders können.
Ich sags ja immer wieder: Die EU ist DAS Friedensprojekt.
Zitat von Llarian im Beitrag #376Dummerweise fällt diese Entscheidung aber einzig dem Staatssekretär zu. Das ist übrigens nicht meine "abwegige" Rechtsmeinung, das kannst Du gerne auch anderweitig nachlesen:
Naja, das Agreement definiert zwar nicht, wie der Secretary of State zu der Überzeugung gelangen muss. Aber das Abkommen besteht ja nicht im luftleeren Raum. Das ist eben keine Willkürgewalt. Er hat das letzte Wort. Als Teil einer Regierung. Unter der Königin. Für einen Vertragspartner. Die Vorstellung, dass der einfach "Nö" sagen kann, ist zwar nicht falsch. Aber absurd weit weg von der Realität.
Anders gesagt, wenn das Parlament und der PM und die Nordiren und die Iren und die Irische Regierung nach einer Border Poll fragen, dann kann der SOS nicht nein sagen. Es sei denn, er will eine Verfassungskrise in GB anzetteln, an deren Ende eine andere Regierung steht.
Anders formuliert: Sollten 879 Dinge dafür sprechen, dass es in Irland und Nordirland eine Mehrheit für ein Referendum gibt, dann gibt es kein realistisches Szenario, in dem der Secretary of State sich dem einfach verweigert. Das ist ein Unterschied zu einer Geschäftsordnung eines Verfassungsorgans. Das Agreement ist ein Vertrag zwischen zwei Nationen. Da sind die Regeln etwas, sagen wir, weicher.
Zitat von Llarian im Beitrag #376Sollte dem so kommen werden wir zwar viele Lippenbekenntnisse gegen Gewalt erleben, aber wir werden jede Menge(!) klammheimliche Freude und Rechtfertigung durch EU Granden (gerade aus Deutschland) erleben, die bezeugen, dass die armen Teufel ja gar nicht anders können.
Das ist natürlich keine Prognose, sondern nur die Entsprechung des aktuellen Gedankens: die EU verhandelt als böser Nachbar mit den armen Briten ...
Tatsächlich verhandelt die EU einfach als Gemeinschaft mit einem zukünftigen Nachbarn und im Sinne des Mitglieds Irland. Das mag den UK-Briten nicht passen, dass die Iren nciht alleine stehen, aber das ist eben der Benefit der EU. Und den spielen die EU und die Iren gerade aus. Und weder überraschend noch moralisch fragwürdig. Während Boris' London so tut, als wäre die Irlandfrage keine, weil ja das UK eine starke große Nation ist. Ist halt nicht so.
Long Story Short: Ja, der SOS hat diese Macht aber die wird von ungefähr 986 anderen Richtlinien eingeschränkt, denen er auch folgen muss. Die höchste Hürde einer Border Poll ist es, dass man die nur alle sieben Jahre haben darf. Sollte Boris weiter so tun, als sei Nordirland nur eine lästige Quasi-Kolonie, wird er den Backstop nicht brauchen, weil die Nordiren inzwischen lieber in der EU als im UK sind. Und mit schön viel Glück ist Boris dann Wuschelkönig in einem UK, bei dem die Mehrheit der Midland-Wähler über ein London regieren, dass sich nach 20016 sehnt. Aber Hauptsache Boris ist PM, das hat der Mann sich einfach verdient ...
R.A. hat schon recht. Die EU verhandelt mit einem Nachbarn, den man fair behandeln will. Boris verhandelt für Boris.
Zitat von Llarian im Beitrag #376Denn alles was der Staatssekretär tun muss, ist zu verweigern, ...
Siehe Antwort von vielleichtinlinker - so funktioniert Völkerrecht eben nicht.
Zitat Das Good-Friday-Abkommen war für Irland ein sehr bequemer Weg einen Fuß in die Tür zu bekommen ...
Das Good-Friday-Abkommen ist keine private Idee der Iren, sondern eine gemeinsame Vereinbarung. An die sich eben auch GB zu halten hat. Insofern ist es auch völlig unseriös von Johnson gegen den backstop zu polemisieren, das schafft die vertraglichen Verpflichtungen des UK nicht aus der Welt.
Zitat Und genau deshalb sieht Irland derzeit auch die Felle davon schwimmen und genau deshalb ist der Backstop an der Stelle so entscheidend für die Iren.
Korrekt. Die Iren sehen, daß sich Johnson nicht mehr an die bestehenden Vereinbarungen halten will (siehe die von Fluminist gebrachten Belege) und bestehen deswegen auf dem backstop. Das ist völlig legitim und sinnvoll und wird zu Recht von der EU unterstützt.
Zitat Die EU unternimmt derzeit alles, damit GB auf maximale Konfrontation zum Kontinent geht ...
Die EU besteht darauf, daß sich das UK an die Abmachungen hält. Wenn man das schon als Provokation sieht ...
Nach wie vor: Der Deal ist ein völlig faires Angebot, es hat bisher auch niemand Punkte nennen können (außer Backstop), die irgendwie unzumutbar oder unfair sein sollen. Die angebliche harte Linie der EU ist reine Propaganda-Erfindung der Brexiteers.
Zitat von R.A. im Beitrag #378Das Good-Friday-Abkommen ist keine private Idee der Iren, sondern eine gemeinsame Vereinbarung. An die sich eben auch GB zu halten hat. Insofern ist es auch völlig unseriös von Johnson gegen den backstop zu polemisieren, das schafft die vertraglichen Verpflichtungen des UK nicht aus der Welt.
Jetzt muss nur noch geklärt werden, warum das Good-Friday-Abkommen ohne Backstop nicht eingehalten werden könnte, oder warum es alternativ dringend genau diese Ausgestaltung des Backstops aus dem May-Deal benötigt. Dass die Iren das gerne wollen - geschenkt. Dass es die Briten nicht akzeptieren können - klar. Aber inwiefern ist das irgendwie zringend? Selbst die deutsche Wikipedia erklärt, dass sowas wie eine Zollunion im Good-Friday-Abkommen selbstverständlich in keinster Weise erwähnt wird. Was meiner Interpretation entspricht.
Im Verlauf dieser Diskussion hatte ich diese Frage schon einmal an Sie gerichtet, vermutlich haben Sie das übersehen. Oder ich die Antwort. Ist ja schon eine sehr längliche Diskussion.
Zitat von R.A. im Beitrag #378 Nach wie vor: Der Deal ist ein völlig faires Angebot, es hat bisher auch niemand Punkte nennen können (außer Backstop), die irgendwie unzumutbar oder unfair sein sollen. Die angebliche harte Linie der EU ist reine Propaganda-Erfindung der Brexiteers.
Sie scheinen die unangenehmen Fragen in dieser Diskussion konsequent zu überlesen. Hier hatte ich einen der vielen anderen Punkte genannt: Insel im Nebel (13)
Vermutlich ist das aus Ihrer Sicht aber auch ultrafair und selbstverständlich zumutbar. So wie der Backstop auch angeblich die einzige Lösung für die Nordirland-Frage ist.
Man muss doch nur den EU-Granden zuhören, wie die über den Brexit reden, um zu sehen, dass die keinen fairen Brexit wollen, was sich u.a. an aggressiven Aussagen gegenüber Brexit-Politikern äußert.
Neben der Aufgabe eines Landesteils und landesinternen Zollgrenzen nach EU-Gnaden, ein weiterer zentraler Punkt ist weiterhin an die EU gefesselt zu sein, ohne Mitbestimmungsrecht. Darunter leidet auch die Schweiz und etwas abgeschwächt Norwegen. Das meinen Briten, wenn sie sagen, der Deal "is Brexit in name only".
Mal aus der englischen Presse: - lange Bindung an EU-Regulierung zumindest in Übergangszeit, die den Brexitwunsch nach politischer Entscheidungsfreiheit einschränken. Es besteht die Angst, quasi weiterhin von der EU bestimmt zu werden. - Der Deal betont enge Bindung. - Dies beinhaltet u.a. Reisefreiheit gegenüber EU-Bürgern und während Übergangszeit Niederlassungsfreiheit und Verpflichtung EU-Bürgern weiterhin Sozialhilfe zu zahlen - In Übergangszeit weiterhin Zollunion mit EU und nicht in der Lage, Handelsverträge zu schließen, was aktuell ihnen verboten ist. Dabei wäre gerade jetzt mit Trump die Zeit gut, um einen guten Deal mit der USA zu machen. - hohe Scheidungskosten, die die Briten nicht zahlen wollen - Weiterhin (auch nach Übergang) im EU-kontrollierte Europäischen Gerichtshof, der politisch nicht nach britischem Geschmack urteilt - der irische Backstop - Hoheit über britische Fischereibereiche nicht gesichert - Labour findet den Deal zu vage - ....
Zitat von Llarian im Beitrag #376Denn alles was der Staatssekretär tun muss, ist zu verweigern, ...
Siehe Antwort von vielleichtinlinker - so funktioniert Völkerrecht eben nicht.
Es funktioniert sogar genau so. Und das Fußaufstampfen von Dir und deinem Mitstreiter (faszinierende Allianz btw.) ändert daran genau gar nichts. Ihr kommt einfach damit nicht weiter das ein Vertrag eben genau so ausgelegt werden kann, wie er wortwörtlich dort steht. Dem ist aber leider so. Wie es ja im Bundestag auch funktioniert hat. Da hats Dir allerdings noch gepasst.
Zitat Das Good-Friday-Abkommen ist keine private Idee der Iren, sondern eine gemeinsame Vereinbarung. An die sich eben auch GB zu halten hat.
Tun die ja. Und nicht ein bischen mehr und da liegt der Hund begraben. Das Good-Friday-Abkommen schränkt den Staatssekretär nicht in seiner Handlungsfreiheit ein. Deswegen kannst Du ja auch genau GAR NICHTS belegen, warum dem anders sein könnte.
Zitat Insofern ist es auch völlig unseriös von Johnson gegen den backstop zu polemisieren, das schafft die vertraglichen Verpflichtungen des UK nicht aus der Welt.
Der Schuh wird natürlich genau umgekehrt draus. GB hält sich an seine Verpflichtungen, und genau deshalb wird eine bis dato nicht existierende Verpflichtung wie der Backstop zugesetzt, damit man sein Ziel erreicht, was man ohne diesen eben nicht durchsetzen kann.
Zitat Nach wie vor: Der Deal ist ein völlig faires Angebot, es hat bisher auch niemand Punkte nennen können (außer Backstop), die irgendwie unzumutbar oder unfair sein sollen. Die angebliche harte Linie der EU ist reine Propaganda-Erfindung der Brexiteers.
Nach wir vor: Der Deal ist ein rotzfrecher Affront, deshalb hast Du auch kein Argument nennen können, dass den Backstop in irgendeiner Form zumutbar oder fair machen könnte. Die angeblich faire Linie der EU ist eine reine Propaganda-Erfindung der EU-Fraktion.
Zitat von Llarian im Beitrag #376Denn alles was der Staatssekretär tun muss, ist zu verweigern, ...
Siehe Antwort von vielleichtinlinker - so funktioniert Völkerrecht eben nicht.
Es funktioniert sogar genau so. Und das Fußaufstampfen von Dir und deinem Mitstreiter (faszinierende Allianz btw.) ändert daran genau gar nichts. Ihr kommt einfach damit nicht weiter das ein Vertrag eben genau so ausgelegt werden kann, wie er wortwörtlich dort steht. Dem ist aber leider so. Wie es ja im Bundestag auch funktioniert hat. Da hats Dir allerdings noch gepasst.
Insbesondere die permanenten persönlichen Angriffe und Verunglimpfungen gegenüber Johnson und Co. sind vom Stil her eigentlich eher typisch für Vertreter der Linksfront, die oft große Schwierigkeiten haben, eine eine politische Diskussion ohne Herabwürdigung ihrer Kontrahenten zu führen.
Mich bestätigt das eher in meiner Einschätzung zum Brexit, als dass mich diese Art und Weise der Auseinandersetzung in irgendeiner Form vom Gegenteil überzeugen könnte.
Zitat von hubersn im Beitrag #379Jetzt muss nur noch geklärt werden, warum das Good-Friday-Abkommen ohne Backstop nicht eingehalten werden könnte, oder warum es alternativ dringend genau diese Ausgestaltung des Backstops aus dem May-Deal benötigt.
Um zuerst auf den zweiten Aspekt einzugehen: Es wären bestimmt noch diverse Varianten möglich gewesen (ist aber keine konkret vorgeschlagen worden), im Kern hätten die aber wohl ähnlich ausgehen.
Die wesentliche Frage wird hier ganz gut dargestellt. Der Artikel zeigt auch ganz gut, daß in der englischen Rechtstradition Texte anders interpretiert werden als in der deutschen und zusätzliche Äußerungen und Festlegungen eine wesentliche Rolle bei der Interpretation schließen.
Der Knackpunkt ist letztendlich, daß GB im Good-Friday-Abkommen ein Stück Souveränität über Nordirland aufgegeben hat und Nordiren sowohl die Rechte von Iren wie auch von Briten haben können. Das ist eigentlich nicht wieder auseinander zu dividieren.
Wenn die Brexiteers in der Parlamentsdiskussion darüber jammern, daß wegen Backstop in Nordirland andere Regeln gelten würden als auf der britischen Insel, dann ist das nicht ernst zu nehmen. Es ist eben bereits jetzt Faktum, daß dort andere Regeln gelten. Und vor allem: Wenn es überhaupt einen Staat auf der Welt gibt, der mit unterschiedlichen Regeln in verschiedenen Teilen des Staatsgebiets umgehen kann, dann ist das das UK. Die Idee eines einheitlich durchstrukturierten Staatsgebiets à la Frankreich war dem UK immer fremd, auf die Insel Man und die Kanalinseln oder Gibraltar haben ja jeweils einen sehr eigentümlichen Rechtsstatus - den die Briten auch immer gerne genutzt haben, um sich gegenüber den EU-Partner ein paar Sondervorteile zu sichern. Wenn nun Nord-Irland als Teil des UK nach dem Brexit etwas anders ticken würde als England wäre das nach britischer Tradition ziemlich einfach und normal.
Zitat von zwerg im Beitrag #381Man muss doch nur den EU-Granden zuhören, wie die über den Brexit reden ...
Liebe Güte, dicke Sprüche werden auf beiden Seiten gemacht (siehe Johnsons aktuelle Hitler-Vergleiche). Entscheidend ist auf dem Platz, d.h. am Verhandlungstisch. Und da ist genau bekannt was die EU an Verhandlungspositionen vertreten hat und was sie am Ende als Kompromiß akzeptiert hat. Und da finden sich nichts von irgendwelchen starken Sprüchen vorher.
Zitat Darunter leidet auch die Schweiz und etwas abgeschwächt Norwegen.
So schön muß man erst einmal leiden können - es gibt wohl kaum zwei Staaten auf der Welt denen es besser geht.
Auf jeden Fall scheint hier ein Mißverständnis vorzuliegen. Das Norwegen- (oder Schweiz-) Modell hat seine speziellen Vor- und Nachteile. Man kann deswegen als Brexiteer andere Modelle bevorzugen. Aber wenn sich die britische Regierung nun in Richtung Norwegen-Modell entschieden hat (was vor dem Referendum auch die meisten Brexiteers gefordert haben), dann ist das keine spezielle Gemeinheit der EU. GB hätte sich auch für andere Modelle entscheiden können, von Nordkorea über Indien bis Vatikanstaat gibt es sehr viele Varianten. Aber die haben natürlich auch ihre jeweiligen Vor- und Nachteile.
Die EU hat GB ziemlich freie Wahl gelassen, und das ist schon extrem fair. Aber was halt nicht geht ist die Vorstellung gewisser Brexiteers, die Vorteile aus diversen Modellen zu kombinieren ohne die dazu gehörigen Verpflichtungen zu akzeptieren. Z. B. ist jetzt die Reisefreiheit für EU-Bürger in GB im Paket. Aber vor allem deshalb, weil die britische Regierung auch die Reisefreiheit der Briten in Europa behalten wollte.
Zitat Mal aus der englischen Presse:
Da muß man aber auseinanderhalten: Es ging bei unserer Diskussion darum, ob die EU unfair verhandelt und den Briten fiese Bedingungen aufgedrückt hat. Das hat nichts damit zu tun, daß Teile der britischen Presse jeweils andere Brexit-Modelle favorisieren.
Genz generell ist es eine zentrale Schwäche des Brexit-Prozesses, daß es innerhalb des Brexit-Lagers keinen Konsens darüber gibt, was man eigentlich will. Das ist aber nicht Schuld der EU.
Zitat - lange Bindung an EU-Regulierung zumindest in Übergangszeit
Alles was mit Übergangszeit zu tun hat kann ich nicht wirklich als "unfair" akzeptieren. Es liegt im beiderseitigem Interesse, den Prozess über einige Jahre zu verteilen um die Anpassung zu erleichtern. Und das bedeutet unvermeidlich, daß einige Regeln noch etwas gelten.
Zitat - In Übergangszeit weiterhin Zollunion mit EU
Auf Wunsch der britischen Regierung!
Zitat und nicht in der Lage, Handelsverträge zu schließen
Aber selbstverständlich darf das UK Handelsverträge schließen. Die werden halt erst in Kraft treten, wenn die entsprechenden Übergangsregelungen es ermöglichen. Das ist vertragstechnisch kein Problem. Das UK durfte schon bisher Handelsverträge schließen und hat das auch gemacht. Daß das aber nur in seltenen und eher unwichtigen Fällen gelungen ist ist nicht Schuld der EU, zeigt aber, daß die Vorstellungen der Brexiteers über die künftigen handelspolitischen Möglichkeiten eines singulär auftretenden UK völlig irreal sind.
Zitat - hohe Scheidungskosten, die die Briten nicht zahlen wollen
Das war der Punkt, den ich bei hubersn tatsächlich übersehen hatte. Daß es "Scheidungskosten" gibt ist eigentlich unbestritten. Die Briten sind während ihrer Mitgliedschaft finanzielle Verpflichtungen eingegangen, und die müssen natürlich zu Ende bedient werden. Bestes Beispiel sind die Pensionszahlungen für die britischen EU-Beamten - natürlich ist das UK da in der Pflicht. Die meisten dieser Zahlungen sind auch ziemlich gut abgrenzbar und waren in den Details nicht strittig. Die Endsumme von 39 Milliarden (inzwischen sind es durch Zeitablauf nur noch etwas über 30 Milliarden) ist in Relation zu den betroffenen öffentlichen Haushalten eher nebensächlich, insbesondere weil sie über viele Jahre gestreckt wird.
Zitat - Weiterhin (auch nach Übergang) im EU-kontrollierte Europäischen Gerichtshof, der politisch nicht nach britischem Geschmack urteilt
M. W. gilt das (wieder wegen Good-Friday) für Nordirland - aber da kenne ich mich nicht so aus.
Zitat - der irische Backstop
Siehe getrennte Diskussion.
Zitat - Hoheit über britische Fischereibereiche nicht gesichert
Weil die Briten auch weiterhin in EU-Gewässern fischen wollen. Könnte man natürlich auch anders regeln - die Fische sind Peanuts.
Zitat - Labour findet den Deal zu vage
Pöse, pöse EU, den armen Corbyn so zu verwirren.
Mal im Ernst - das sind doch alles keine fetten Punkte. Insbesondere ist da nichts dabei, das irgendeinen anderen EU-Staat von einem Austrittswunsch abschrecken würde (das war ja immer das, was der EU unterstellt wurde). Eine backstop-Problematik gibt es anderswo nicht, irgendeine Restzeche gibt es immer zu zahlen - ansonsten könnte jeder austrittswillige EU-Staat diesen Deal kopieren und unterschreiben und müßte sich nicht fürchten.
Zitat von Frankenstein im Beitrag #383Insbesondere die permanenten persönlichen Angriffe und Verunglimpfungen gegenüber Johnson und Co. ...
Das ist so ein typisches Beispiel von "wie man in den Wald hineinruft". Die Brexiteers waren von Anfang an sehr aggressiv und beleidigend gegenüber den EU-Vertretern - da können sie sich nicht über entsprechende Reaktionen beschweren.
Ich persönlich habe übrigens wenig Probleme mit "und Co.". Ein Farage hat eine politische Position, die ich für falsch halte, einige seiner Verhaltensweisen sind merkwürdig - aber ich habe noch nie Grund gesehen ihn persönlich anzugehen. Bei Johnson ist das anders. Das ist ein notorischer Lügner und charakterloser Karrierist, es ist völlig legitim das auch so zu sagen.
Zitat Mich bestätigt das eher in meiner Einschätzung zum Brexit
Das heißt, Sie lehnen den Brexit ab?
"Ukip MEP Nigel Farage told Herman Van Rompuy, the president of the EU, he had "all the charisma of a damp rag and the appearance of a low-grade bank clerk" in the European parliament yesterday. Farage, the former leader of the UK Independence party, also dismissed Van Rompuy's homeland, Belgium, as a "non-country"."
Oder ein Außenminister Johnson, der die Franzosen als "Scheißhaufen" bezeichnet. Und es gibt gerade für Johnson so viele Beispiele von persönlichen Angriffen und Verunglimpfungen - in dieser Liga spielt kein EU-Politiker.
Zitat von R.A. im Beitrag #384 Wenn nun Nord-Irland als Teil des UK nach dem Brexit etwas anders ticken würde als England wäre das nach britischer Tradition ziemlich einfach und normal.
Letzten Endes gibt es eben ein bei der ganzen Backstop-Debatte ein unlösbares Dilemma:
Nordirland kann entweder (a) Teil des britischen Zollgebiets bleiben. Oder es kann (b) in einem gemeinsamen Zollgebiet mit der Republik Irland bleiben. Oder es kann (c) in einem gemeinsamen Zollgebiet mit dem restlichen UK UND mit Irland bleiben.
Fall (c) ist für die Brexiteers natürlich nicht akzeptabel. Denn dies würde faktisch bedeuten, dass auch das gesamte UK in einem gemeinsamen Zollgebiet mit der EU bleiben würde. Der propagierte Vorteil des Brexit ist aber ja gerade, dass man meint, als ungebundenes UK mit der ganzen Welt bessere Handelsabkommen schließen zu können als die EU. Andere Abkommen können andere Zölle bedeuten. Fall (c) würde all das unmöglich machen.
Fall (b) führt zu dem Problem, dass es dann eine innerbritische Zollgrenze gäbe. Das wäre aufgrund der Insel-Situation zwar administrativ sicher darstellbar, ist aber deutlich problematischer als nur "etwas anders ticken". Jedes Produkt, für das in Zukunft in UK andere Regeln oder Zollbestimmungen gelten als in der EU, würde dann im innerbritischen Verkehr Zölle und Bürokratie auslösen.
Daher wäre aus Brexit-Sicht natürlich Fall (a) zu bevorzugen. Die Folge wäre dann aber ein härteres Grenzregime zwischen Irland und Nordirland. Jetzt einmal ganz unabhängig davon, ob solch ein härteres Grenzregime nun dem Buchstaben des Good Friday Abkommens entsprechen würde: Es wäre eben für die Katholiken in Nordirland kaum zu schlucken. Dass die nun den bewaffneten Kampf eingestellt haben liegt faktisch daran, dass man die Grenze in Irland weniger wichtig gemacht hat. Wenn es dort nun wieder Schlagbäume gibt, dann würde das den Bürgerkrieg faktisch wieder wahrscheinlicher machen. Und die Folge wäre in mittlerer Frist etwas, was auch keinem gefallen würde. Entweder Bürgerkrieg. Oder Abspaltung Nordirlands vom UK und Angliederung an Rest-Irland (mit der Folge, dass dann auf einmal die Protestanten in der Minderheit wären und dann ggf. von dieser Seite der Bürgerkrieg aufflammen könnte).
Das britische Problem ist nun, dass dieses Dilemma nicht von Anfang an klar benannt und diskutiert wurde. Entsprechend gab es bei den Verhandlungen mit der EU hier auch keine klare britische Position. (a) mag für die Hard-Brexiteers vordergründig die kleinste zu schluckende Kröte sein. Für die Regierung May war das aber anders. Und entsprechend hat May auch nicht mit dem Ziel (a) verhandelt. Und es ist auch überhaupt nicht klar, dass dies nun anders wäre. Die 1-Stimmen-Mehrheit der Regierung Johnson hängt eben stark an ihrem nordirischen Bündnispartner. Das sind zwar Protestanten. Aber auch denen wird die Vorstellung einer harten Grenze in Irland nicht geheuer sein. Bis heute habe ich auf jeden Fall auch von Johnson nicht gehört, dass (a) sein Ziel wäre.
Das Dilemma bleibt also. Und dass dieses Dilemma existiert ist NICHT die Schuld der bösen EU. Es ist auch nicht Schuld der bösen Brexiteers. Es ist einfach Realität. Und es wird nicht lösbar sein, ohne gewisse gravierende Nachteile in Kauf zu nehmen. Denn jede mögliche Lösung hat nun mal gravierende Nachteile.
Zitat von Llarian im Beitrag #382Das Good-Friday-Abkommen schränkt den Staatssekretär nicht in seiner Handlungsfreiheit ein.
Wenn diese Deine Privatinterpretation stimmen würde, hätten sich die Iren ja die ganze Passage schenken können. Wenn doch GB völlig beliebig entscheiden kann und die Iren keine Rechte haben ... Wie schon bei der GO-Diskussion gehst Du ziemlich Ingenieur-mäßig an diese Texte ran, die gehören aber in einen juristischen Kontext.
Und deswegen machen sich jetzt in London die Leute einen Kopf, wie der weitere Fortgang in Nordirland sein wird und unter welchen Konditionen ein Referendum zu machen ist. Die glauben nämlich alle nicht an Deine Version vom britischen Vetorecht. Bestimmt alles Geisterfahrer.
Zitat Der Deal ist ein rotzfrecher Affront ...
Siehe dazu meine Antwort an zwerg. Bis auf den backstop hast Du bisher jedenfalls keinen Beleg für angeblichen Unfairheiten der EU nennen können.
Zitat von Llarian im Beitrag #376Die EU unternimmt derzeit alles, damit GB auf maximale Konfrontation zum Kontinent geht und Irland nutzt seine vermeintliche Chance altes Gebiet zurück zu erlangen. Wenn GB dem eine deutlich Absage erteilt, dann ist es nicht so vollkommen absurd zu meinen, dass die IRA wieder zu den Waffen greifen wird. Und das wären dann tatsächlich "Bomben für Europa". Und wenn ich mir eine Prognose erlauben darf: Sollte dem so kommen werden wir zwar viele Lippenbekenntnisse gegen Gewalt erleben, aber wir werden jede Menge(!) klammheimliche Freude und Rechtfertigung durch EU Granden (gerade aus Deutschland) erleben, die bezeugen, dass die armen Teufel ja gar nicht anders können.
Ich sags ja immer wieder: Die EU ist DAS Friedensprojekt.
Welche fiesen Machenschaften der EU habe ich denn jetzt wieder verpaßt?
Wenn ich als auf dem «precious stone set in the silver sea» Sitzender und die Höllenfahrt direkt und an der eigenen Haut mitzuerleben Privilegierter eine kleine Anamnese anbieten darf: Die «Verhandlungen», von denen britische Politiker und auch Journalisten mitunter faseln, sind längst beendet, die (damalige) britische Regierung und die EU haben sich vor Ablauf der Zweijahresfrist auf ein Withdrawal Agreement (WA) geeinigt und damit ist der Fall EU-seitig erstmal beendet und der Verhandlungsprozeß abgeschlossen. Daß das WA Murks ist und vom Unterhaus nicht akzeptiert wurde, steht auf einem anderen Blatt - ein Blatt, das hauptsächlich von Mängeln der May-Regierung handelt. Mays Verhältnis zum Unterhaus war zu diesem Zeitpunkt massiv gestört; sie hatte schon seit Juni 2017 keine Mehrheit mehr (bis auf das wenig belastbare DUP-Pflästerchen) und ihr Verhalten dem demokratischen Organ gegenüber erzielte gerade letzten Winter die Auszeichnung «contempt of parliament»; auf Sympathie konnte sie also kaum rechnen. Daß im WA sehr ungünstige Klauseln stehen, ergab sich aus der fatalen Kombination von Mays ziemlich willkürlichen «roten Linien» und der Davisschen «Verhandlungsstrategie» des (wie war das Adjektiv gleich? «rotzfrechen») Mauerns, die zusammen zu einem Ergebnis führten, in dem die Mitsprache des UK zu kurz kam - weil das UK keine kompromißfähigen Wünsche vorbrachte, mußte sich die EU-Seite das WA selbst aus den Fingern saugen.
Daß es überhaupt so weit kam, wurde nur durch den berühmten Backstop ermöglicht. Da die britische Regierung in Gestalt von David Davis sich schlicht weigerte, sich mit den wirklich kniffligen Fragen vernünftig auseinanderzusetzen (und dazu gehört das Nordirlandproblem - dazu sage ich gleich noch was), konnten die Verhandlungen etwa zur Halbzeit nur deshalb fortgesetzt werden, weil sie stattdessen ein Versprechen anbot, diese Fragen irgendwann in der Zukunft zu lösen (wieder ein Symptom der für den ganzen Prozeß charakteristischen Prokrastination oder «can-kicking») - und so war der Backstop geboren. Seine Funktion ist die einer Versicherung für den Fall, daß die göttliche Eingebung später der britischen Regierung die geniale Lösung doch nicht einhauchen sollte; in diesem Fall schreibt er eine den allgemeinen EU-Regeln konforme Regelung fort. Diese ist für das UK sehr ungünstig, weil sie es langfristig an die EU bindet, ohne daß es die Rechte der Mitgliedschaft genießt.
Wenn sich die Brexiteure jetzt auf den Backstop einschießen, dann zeigt das in erster Linie ihre Unehrlichkeit; denn wären sie wirklich davon überzeugt, die entsprechenden Probleme anders («technologisch» oder politisch) lösen zu können, dann könnten sie davon ausgehen, daß der Backstop überhaupt nie zur Anwendung kommt. Ohne Backstop und ohne andere Lösung ergäbe sich aber das, was diplomatische Kooperation in Europa (wozu die EU auch sehr gehört) zu vermeiden sucht: eine Konfliktlinie zwischen Ländern ohne gemeinsam akzeptiertes Verfahren der gewaltfreien Konfliktlösung.
Selbst wenn es hier von manchen als bloße Erfindung abgetan wird, das Nordirland-Problem ist real. Wenn Irland in der EU ist und das UK (in seiner heutigen Form mit Nordirland) nicht einmal in der EEA o.ä., dann ist die Grenze zwischen der Republik Irland und dem Nordteil eine EU-Außengrenze und muß daher entsprechend gesichert werden, sowohl im Güter- wie im Personenverkehr, damit Irland seine EU-Verpflichtungen erfüllt. Andererseits leben im Bereich dieser Grenze viele Menschen, die meinen, daß da keine Grenze sein sollte, und die auch, wie historisch belegt, gern bereit sind diese Meinung mit Waffengewalt zum Ausdruck zu bringen. Der äußere Rahmen der EU bietet beiden Ländern die Möglichkeit der derzeitigen Diffuslösung, bei der sich jeder plausibel die Grenze hin- oder wegdenken kann, wie es seinem Naturell entspricht. Fällt dieser Rahmen weg, dann erzwingt das eine reale Entscheidung.
Daß Johnsons Regierung «auf maximale Konfrontation zum Kontinent geht» und die Propagandamaschine aus allen Rohren «no-deal»-, Kriegs- und «lieber tot als rot ähh blau-gelb»-Propaganda feuert, ist zwar richtig beobachtet, ist aber plausibler dadurch zu erklären, daß Johnson, der zwar weniger robotisch rüberkommt als May, aber im Grunde mit demselben dürftigen Material arbeiten muß wie diese, nach dem Debakel der Europawahl rasch die Farage-Wähler wieder für die «konservative» Partei zurückgewinnen will und deshalb jenen auf der Außenseite zu überholen versucht als gäbe es kein morgen.
Zitat von Florian im Beitrag #387Fall (c) ist für die Brexiteers natürlich nicht akzeptabel.
Nur für die Hardliner. Ein Norwegen-Modell würde problemlos funktionieren, Und das war ja lange Zeit die bevorzugte Brexit-Variante und wird immer noch von vielen vertreten.
Zitat Das wäre aufgrund der Insel-Situation zwar administrativ sicher darstellbar, ist aber deutlich problematischer als nur "etwas anders ticken".
Es ist vielleicht etwas komplexer als nur "etwas anders ticken", muß aber nicht problematisch sein. Ich habe keine Zahlen dazu gefunden, aber der Warenaustausch zwischen Nordirland und der Hauptinsel ist so groß nicht. Insbesondere gibt es da m. E. keine empfindlichen Just-in-Time-Lieferketten.
Zitat Es wäre eben für die Katholiken in Nordirland kaum zu schlucken.
Damit könnte London leben - die sind ja nur Minderheit. Aber das wäre eben auch für eine große Anzahl Protestanten (und die immer größer werdende Gruppe der Anders- und Nicht-Gläubigen) nicht leicht zu schlucken. Sieht man schon am sehr hohen Remain-Votum in Nordirland, das geht weit über die katholischen Bereiche hinaus.
Nordirland und eben auch die Protestanten hat in den letzten beiden Jahrzehnten sehr stark von der wirtschaftlichen Verflechtung mit der Republik profitiert. Das ist nicht mal eben mit ein paar Subventionen zu reparieren, wie das Johnson mit den Waliser Bauern versucht.
Zitat Und die Folge wäre in mittlerer Frist etwas, was auch keinem gefallen würde. Entweder Bürgerkrieg. Oder Abspaltung Nordirlands vom UK und Angliederung an Rest-Irland (mit der Folge, dass dann auf einmal die Protestanten in der Minderheit wären und dann ggf. von dieser Seite der Bürgerkrieg aufflammen könnte).
Ich sehe derzeit noch keine Bürgerkriegsgefahr - weder für die eine noch die andere Variante. Damals ging es ja ganz schlicht darum, daß die Katholiken krass benachteiligt waren, das müßten sie jetzt nicht mehr unbedingt befürchten. Und die Protestanten in einem vereinigten Irland schon gar nicht. Die Republik Irland ist inzwischen so konsequent entkirchlicht worden, daß man auch als Protestant dort bequem leben kann. Zumindestens die jüngeren Nordiren dürften damit wenig Probleme haben. Problematisch ist eher die ältere Generation (auf beiden Seiten), die nur mühsam aus den Schützengräber gefunden hat und reflexartig darin wieder verschwinden könnte. Nur sind das halt nicht die Leute die in den Untergrund gehen und Bomben basteln.
Zitat Entsprechend gab es bei den Verhandlungen mit der EU hier auch keine klare britische Position.
Nicht nur in dieser Frage. Die interne Uneinigkeit der Brexiteers ist das zentrale Problem.
Zitat Und dass dieses Dilemma existiert ist NICHT die Schuld der bösen EU.
Richtig.
Zitat Es ist auch nicht Schuld der bösen Brexiteers.
Siehe oben: Es gibt auch Brexit-Varianten ohne Dilemma. Und "böse" paßt für mich durchaus für das arrogante Verhalten der Oberschicht-Schnösel, die den Brexit betreiben weil sie mit ihren privat ererbten Millionen nichts zu befürchten haben und weil sie in alter britischer Tradition die Iren grundsätzlich nicht ernst nehmen und sich nicht die Mühe machen wollten, sich über die den Kopf zu zerbrechen.
Wenn ich als auf dem «precious stone set in the silver sea» Sitzender und die Höllenfahrt direkt und an der eigenen Haut mitzuerleben Privilegierter eine kleine Anamnese anbieten darf: (...)
Kurze Zusammenfassung: Wenn Johnson einen Hard Brexit will, wird er kaum noch zu stoppen sein.
Lange Zusammenfassung: Es ist mal wieder kompliziert. Denn es gibt in Großbritannien Verfahrensregeln, die das Parlament hier ziemlich beschränken. Zum Beispiel darf das Parlament nicht einfach seine eigene Tagesordnung bestimmen. Über was debattiert wird, das bestimmt i.d.R. die Regierung. Davon gibt es zwar Ausnahmen, aber die Regierung kann es womöglich so steuern, dass das Parlament vor November gar keine Chance mehr bekommt, über Brexit-Themen abzustimmen. Und das würde bedeuten, dass die Regierung, wenn sie will, am 31.10. einen Hard Brexit machen kann, ohne dass dies vom Parlament noch verhindert werden könnte.
Selbst wenn es ein Misstrauensvotum geben sollte (und selbst wenn Johnson dieses verliert), würde dies zwar zu Neuwahlen führen. (Nota bene, ein erfolgreiches Misstrauensvotum hält der Economist für schwer zu orchestrieren und daher für sehr unwahrscheinlich.) Aber selbst falls dies zu einer neuen Hard-Brexit-skeptischen Regierung führen würde: der Zeitplan ist mittlerweile so eng, dass dies alles wahrscheinlich zu spät käme.
Ein Misstrauensvotum kann es erst im September geben. Dann kann Johnson noch ein bißchen verzögern und taktieren. Neuwahlen gäbe es wahrscheinlich erst im November. Und selbst wenn Johnson schon vorher zurücktritt (und es ist unklar, ob er dazu verpflichtet wäre): eine Interim-Regierung hätte kein Mandat für drastische Kurswechsel.
Zitat von Florian im Beitrag #391Der Economist erklärt, ...
Leider nicht frei zugänglich.
Zitat Es ist mal wieder kompliziert.
Ja. Ich hatte ja schon mal versucht das darzustellen.
Ja, Johnson kann verhindern, daß das Parlament vor dem Exitdatum eingreift - aber dazu muß er sich auf Neuwahlen einlassen. Es gäbe dann erst nach dem Exitdatum einen neue Regierung.
Es ist allerdings nicht zwingend, daß ein Erreichen des Datums den Brexit unumkehrbar in Kraft setzt. Die EU könnte eine weitere Terminverlängerung anbieten und bis zum Ergebnis der Neuwahlen bzw. der Handlungsfähigkeit einer neuen britischen Regierung den Vollzug des Brexits aussetzen. Dann hätte die neue britische Regierung die Wahl die Verlängerung anzunehmen oder aber auf den Brexit-Vollzug zu bestehen. Dann würde der halt mit Finanzwirkung zum 31. Oktober abgewickelt.
Im übrigen gibt es immer noch die Queen-Option. Die britische Polit-Tradition hat sich so entwickelt, daß der Monarch de facto nichts mehr zu sagen hat und alle Macht bei den gewählten Volksvertretern liegt.
Wenn nun aber der von der Queen ernannte Premierminister (der NICHT gewählt wurde!) sich weigert, das demokratisch legitimierte Parlament einzuberufen - dann wäre es durchaus zu rechtfertigen, daß die Queen ihren PM wieder entläßt, das Parlament einberuft und ihm die weiteren Entscheidungen überläßt.
Oder anders gesagt: Wir haben derzeit den historisch einmaligen Fall, daß es einen Konflikt zwischen dem Parlament und dem PM gibt. Jedenfalls einmalig für die Neuzeit, als der PM noch die Position des Königs vertrat war das natürlich normal. Bei einem Konflikt zwischen PM und Parlament hat das Parlament die bessere demokratische Legitimation (der PM hat nämlich keine). Und in diesem Fall würde es sogar der demokratischen Tradition entsprechen, wenn sich die Queen aufs Parlament beruft.
Das ist natürlich bisher alles nur Schattenboxen und Taktieren über die Medien. Bisher hat sich Johnson m. E. nie da zu geäußert, ob er wirklich das Parlament nach den Sommerferien hindern will Sitzungen abzuhalten - es gibt Gerüchte daß Cummings das hinter den Kulissen vorbereitet und die Möglichkeiten dafür werden diskutiert. Vorstöße wie hier der von Bercow sollen solche Ideen natürlich im Keim ersticken. Ob sich Johnson davon abschrecken läßt ist offen.
Kann aber auch gut sein, daß das Parlament sich ganz normal trifft. Und es ist offen, ob es dann eine klare Mehrheit für oder gegen hard-brexit geben würde.
Zitat von R.A. im Beitrag #347Die Sache mit den Lebensmitteln wird in GB ja heiß diskutiert, aber die halte ich für vergleichsweise harmlos. Das sind ja eher schlichte Güter, es gibt viele Länder die liefern können und wenn die britische Regierung die Importe ohne Kontrolle einfach ins Land läßt, wird es auch keine Versorgungslücken geben (die Handelsketten bauen ja derzeit auch enorme Vorräte auf).
Und selbst für den Fall, daß es mit der Versorgung eng werden könnte, bringt das Volksaufklärungsorgan Daily Mail hilfreich informativen Denkstoff:
Zitat von Daily Mail, 22.8.2019Is it time to drop the cannibalism taboo? Psychologists say eating members of the same species is natural and we could 'adapt to human flesh if need be'
Das fällt für mich in die Kategorie "Britischer Humor". Nur, weil in Deutschland bei bestimmten Themen Sprachregelungen, Sprechverbote und politische Korrektheit existieren und mittels staatlicher Repression und "Zivilgesellschaft" (= linke SS) durchgesetzt wird, muss das in anderen Ländern nicht auch der Fall sein.
Ich halte es für fast schon volksverhetzend den Briten zu unterstellen, dass da mehr als eine handvoll psychische gestörter Irrer tatsächlich ein Interesse an oder auch nur Wohlwollen für Kanibalismus haben.
Und wenn ich da grad mal drüber nachdenke: schon eher würde ich den deutschen Klimakriegern unterstellen, dass die Kanibalismus gern hoffähig machen würden. Würde man so doch die "klimaschädliche Fleischproduktion" verringern.
___________________ Jeder, der Merkel stützt, schützt oder wählt, macht sich mitschuldig.
Zitat von Frank2000 im Beitrag #395Das fällt für mich in die Kategorie "Britischer Humor". ... Ich halte es für fast schon volksverhetzend den Briten zu unterstellen, ...
Tja, das mit dem Humor ist halt so eine Sache...
Nachtrag: Daß Sie hinter meinem Versuch, etwas Galgenhumor zu entwickeln, Verunglimpfung vermuten und ihn stattdessen dem objektiv humorlosen Artikel in Britanniens Hetz- und Desinformationsblatt Nr. 1 zugute halten, ist betrüblich, aber das satirische Potential des Kannibalismus zu erarbeiten hat hierzulande lange Geschichte, von Swifts Modest Proposal bis hier.
Zitat von R.A. im Beitrag #393Bisher hat sich Johnson m. E. nie da zu geäußert, ob er wirklich das Parlament nach den Sommerferien hindern will Sitzungen abzuhalten...
Hmm...
Zitat von BBC 28. 8. 2019Government asks Queen to suspend Parliament
Der waschechte Demokrat zeigt seine Federn. Das Parlament muß abgeschaltet werden, damit es der demokratischen Verwirklichung der Demokratie nicht im Wege steht.
Der "Brexit" ist eine stete Folge politischer Bankrotterklärungen.
Zitat Die Regeln verhindern es nicht. Nach dem Fixed-term Parliaments Act 2011 wird das Parlament automatisch 25 Tage vor einer allgemeinen Parlamentswahl aufgelöst, und eine solche Wahl wird angesetzt, wenn entweder 2/3 des Parlaments dafür stimmen oder der Premierminister die Abstimmung über einen Mißtrauensantrag verliert.
OK. Heißt das jetzt, dass BJ sich den No Deal Brexit geschickt gesichert hat? Stolpern kann er ja nur noch über ein Mistrauensvotum und das setzt das Parlament für 25 Tage aus.
Zitat von R.A. im Beitrag #393Bisher hat sich Johnson m. E. nie da zu geäußert, ob er wirklich das Parlament nach den Sommerferien hindern will Sitzungen abzuhalten...
Hmm...
Zitat von BBC 28. 8. 2019Government asks Queen to suspend Parliament
Der waschechte Demokrat zeigt seine Federn. Das Parlament muß abgeschaltet werden, damit es der demokratischen Verwirklichung der Demokratie nicht im Wege steht.
Der "Brexit" ist eine stete Folge politischer Bankrotterklärungen.
Wenn ich aber das Schreiben von Johnson richtig lese ist dieser Brauch der Parlamentspause 400 Jahre alt. Eine politische Bankrotterklärung wie die Feststellung Claudia Roths, dass entgegen Augenschein ausreichend Abgeordnete im Parlament sitzen, um eine Gesetz zu verabschieden?
Zitat von Martin im Beitrag #399Eine politische Bankrotterklärung wie die Feststellung Claudia Roths, dass entgegen Augenschein ausreichend Abgeordnete im Parlament sitzen, um eine Gesetz zu verabschieden?
Nein, die Bankrotterklärung hier besteht darin, daß sich diese Regierung (die keine wirkliche Abgeordnetenmehrheit hat) offenkundig außerstande sieht, sich mit der geringsten demokratischen Debatte auseinanderzusetzen. Das ist in etwa das Niveau von jemandem, der beim Schachspielen das Brett vom Tisch schubst und behauptet er habe gewonnen.
Die Prorogation des Parlaments als solche ist nichts Unerhörtes, aber die Umstände machen sie dazu.
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