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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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R.A. Offline



Beiträge: 8.171

06.09.2019 13:11
#426 RE: Insel im Nebel Antworten

Das war ja vorgestern eine wirklich bemerkenswerte Unterhaussitzung.
Eine recht amüsante Darstellung findet sich im Guardian. Die englische Neigung zu Wortspielen und Anspielungen (hier zu Star Wars) auch bei toternsten politischen Kommentaren finde ich immer wieder schön.

Weniger schön und nach heutigem Verständnis eher problematisch finde ich die britische Tradition, daß PM oder Parteichefs als eine Art "gewählte Diktatur" angelegt sind. Das funktioniert, solange sich die Gewählten an Sitte und Anstand halten - also bei Johnson eher nicht.
Als PM hat er viel mehr Macht als bei uns ein Kanzler, kann fast im Alleingang ganz wesentliche Entscheidungen durchziehen - und das fast ohne echte Legitimation. Er hat seinen Posten ja de facto nur durch eine parteiinterne Abstimmung bekommen, er ist weder vom britischen Volk noch vom Parlament je gewählt worden.
Und daß er als Parteivorsitzender Mitglieder, auch prominente und langjährig verdiente, im Handstreich und ohne Gremien/Schiedsgericht/Fristen aus der Partei ausschließen kann, ist weder demokratisch noch rechtsstaatlich, sondern eher ein Relikt aus Feudalzeiten. AKK würde von solchen Möglichkeiten träumen.

Sieht aber so aus, als würde ihm auch das nichts mehr nützen. Denn im Gegenzug gibt es halt in GB eine viel stärkere Tradition, daß Abgeordnete ihrem Gewissen folgend selbst entscheiden und sich nicht von einem PM einschüchtern lassen.

vielleichteinlinker Offline



Beiträge: 504

06.09.2019 14:17
#427 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #426
Sieht aber so aus, als würde ihm auch das nichts mehr nützen. Denn im Gegenzug gibt es halt in GB eine viel stärkere Tradition, daß Abgeordnete ihrem Gewissen folgend selbst entscheiden und sich nicht von einem PM einschüchtern lassen.


Was mich wundert: Hat sich Johnson wirklich verzockt oder was ist seine Strategie. Für mich sah es so aus, als wollte er die EU entweder ohne Deal verlassen – und diesen Umstand May in die Schuhe schieben. Oder doch noch kleine Korrekturen am Deal aus Brüssel bekommen, die er zuhause dann als den großen Wurf verkauft. Je nachdem, was passiert, kann er bei Neuwahlen entweder als Deal-Maker oder als "mit mir wäre alles anders gekommen ..." punkten.

Aber jetzt? Steht er da wie May. Soll etwas liefern, was er nicht liefern kann und kriegt für nichts eine Mehrheit im Parlament zusammen – die er aber braucht.

Glaubt er wirklich, dass er nach Neuwahlen für einen No Deal Brexit eine Mehrheit hätte? Oder was ist das Kalkül?

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

06.09.2019 16:20
#428 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von vielleichteinlinker im Beitrag #427
Hat sich Johnson wirklich verzockt oder was ist seine Strategie.

Inzwischen: Verzockt.

Seine Strategie war, durch maximale Eskalation das Land so zu spalten, daß er nach dem hard brexit (damit Erledigung der Konkurrenz von rechts) eine Mehrheit gegen die zersplitterte Opposition schaffen würde.
Er wollte nie einen Deal (weil er keine besseren Konditionen und für keine Variante eine Parlamentsmehrheit bekommen hätte), sondern Suspendierung des parlamentarischen Prozesses um durchgängig Wahlkampf führen zu können.

Aber er hat sich verzockt, weil ihm dafür die Machtbasis fehlt. Auch wenn die Kompetenzen eines PM erstaunlich groß sind, hat als Gegengewicht das Parlament ein viel größeres Selbstbewußtsein als in Deutschland, die Abgeordneten sehen sich nicht nur als Erfüllungsgehilfen von Partei und Regierung.
Deswegen hat er ALLE seine Abstimmungen so klar verloren, deswegen ist ihm auch die strukturelle Mehrheit verloren gegangen. Er hat in letzter Sekunde versucht, die Tories zu disziplinieren, indem er 21 Abgeordnete aus der Partei warf, weil sie ihm widersprochen hatten. Das wird ihm jetzt wohl den Kopf kosten. Entweder innerparteilich oder später bei den Wahlen.

hubersn Offline



Beiträge: 1.342

06.09.2019 16:43
#429 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #424

Insbesondere: Egal wie man die Folgen eines hard brexit erwartet - es ist klar, daß GB viel stärker betroffen sein wird als die EU.



Nein, das ist überhaupt nicht klar. Deutschland exportiert mehr nach GB als GB in die gesamte EU. Würde mich interessieren, auf welche Fakten Sie Ihr Urteil stützen.

Und es hängt natürlich hauptsächlich davon ab, wie GB nach dem hard brexit agiert und wie sich die Weltwirtschaft entwickelt und und und. Sie scheinen da eine außerordentlich gut polierte Glaskugel zu haben. Ich sehe die Zukunft da völlig offen. Viele Chancen, viele Risiken. Verbleib in der EU hingegen: keine Chancen, immer noch viele Risiken.

Gruß
hubersn

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Emulgator Offline



Beiträge: 2.875

06.09.2019 17:55
#430 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von hubersn im Beitrag #429
Zitat von R.A. im Beitrag #424

Insbesondere: Egal wie man die Folgen eines hard brexit erwartet - es ist klar, daß GB viel stärker betroffen sein wird als die EU.



Nein, das ist überhaupt nicht klar. Deutschland exportiert mehr nach GB als GB in die gesamte EU.
Was ist damit gezeigt? Aus Deutschland wird ja deswegen exportiert, weil es den Importeuren nutzt.

Zitat von hubersn im Beitrag #429
Würde mich interessieren, auf welche Fakten Sie Ihr Urteil stützen.
Die schiere Größe hilft. Wenn der Handel zwischen EU und UK ausfällt, findet sich für Wirtschaftssubjekte in der EU viel eher eine Handelsalternative als für die im UK. Das relative Handelsvolumen, das durch den Brexit betroffen wird, ist bei der EU natürlich viel kleiner als beim UK.


Zitat von hubersn im Beitrag #429
Und es hängt natürlich hauptsächlich davon ab, wie GB nach dem hard brexit agiert und wie sich die Weltwirtschaft entwickelt und und und.
Da benutzt man in der VWL die ceteris paribus-Klausel. Es geht ja nicht um einen vorher-nachher-Vergleich, sondern einen Vergleich, wie sich eine bestimmte Maßnahme (hier: Brexit) auswirkt. Nebenbei wurde schon vor der Volksbefragung von den Brexit-Befürwortern eingeräumt, daß man mit zumindest kurzfristigen wirtschaftlichen Einbußen durchaus rechnen müsse.

Frankenstein Offline




Beiträge: 891

06.09.2019 19:25
#431 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #425
Zitat von Martin im Beitrag #415
Johnson ist angetreten das Ergebnis des Referendums durchzusetzen.

Nein.
Wenn Johnson das Referendum umsetzen wollte, hätte er im Frühjahr Mays Deal zustimmen müssen. Den kann man mögen oder nicht oder man kann sich bessere Deals vorstellen - aber der Deal ist eindeutig ein Austritt aus der EU und erfüllt 100% die Vorgaben des Referendums.

Im Prinzip hat Johnson die ganze Zeit GEGEN den Brexit gestimmt, um May zu sabotieren und selber PM zu werden. Der Brexit war ihm inhaltlich immer egal, er hat ihn immer nur als Vehikel für seine persönliche Karriere genutzt und er würde auch jetzt locker darauf verzichten, wenn ihm das den Verbleib im Amt sichern könnte.

Das ist ein deutlicher Unterschied zu Leuten wie Farage, die wirklich inhaltlich vom Brexit überzeugt sind und das schon zu einer Zeit vertreten haben, als man damit noch isolierte Minderheit war.

Lieber R. A:,

das ist eine m. E. völlig substanzlose, auf nichts als Voreingenommenheit beruhende Analyse.

Nicht nur Johnson, sondern auch die ihm nahestehende liberal-konservative Presse und Parteifreunde hatten sich nach ausführlicher Erwägung für den Brexit entschieden, weil Cameron in Brüssel eiskalt abserviert worden ist. Der einfache Weg zum PM wäre für Johnson er gewesen, den Brexit von vornherein abzulehnen und Cameron zu beerben.

Dass Sie - als meines Wissens Liberaler - zudem als einen Ihrer Kronzeugen ernsthaft die sozialistische Kampfpresse (also den Guardian) bemühen - da kann man sich wirklich nur noch an den Kopf fassen, zeigt aber auch, wie weit sie sich in Ihrer EUrophilie verrannt haben (bzw. wie sehr Ihr Standpunkt von Ihren persönlichen Interessen dominiert zu sein scheint).

Auf jeden Fall ist für mich eindeutig klar, dass Sie in dieser Frage alles sind - aber ganz sicher nicht objektiv.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

07.09.2019 12:09
#432 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von hubersn im Beitrag #429
Deutschland exportiert mehr nach GB als GB in die gesamte EU.

Das ist falsch. Deutschland exportiert jährlich für 80 Milliarden ins UK, das UK in die EU für 190 Milliarden.

Das ist auch keine relevante Vergleichsgröße. Wichtig ist, wie groß der Anteil des vom Brexit betroffenen Handelsvolumen an der Gesamtwirtschaft jeweils ist - und da ist GB als der deutlich kleinere Partner logischerweise viel stärker betroffen als die EU.

Man muß auch differenzieren, um welche Wirtschaftsbereiche es geht. Auch ein hard brexit heißt ja nicht, daß niemand und nichts mehr über den Kanal darf. Sondern daß viele Regeln wegfallen, die derzeit den Handelsaustausch erleichtern, ohne Deal fällt das UK auf die GATT-Regeln zurück. Und die konzentrieren sich auf den klassischen Warenaustausch und Zölle.

D.h. daß manche Bereiche (z. B. Tourismus) fast überhaupt nicht betroffen sind.
Betroffen, aber nicht wesentlich behindert, ist der Handel mit Produkten für den Endverbraucher. Da müssen vielleicht ein paar Zertifikate beschafft werden, ein paar Prozent Zoll bezahlt werden und der Grenzübergang kann ein paar Tage dauern. Im wesentlichen wird man aber weiterhin schottischen Whisky in Deutschland und 5er BMWs in GB verkaufen können, für diesen Handel ist auch ein hard brexit nur lästig.

Anders sieht es bei Zwischenprodukten aus, insbesondere bei Just-In-Time-Lieferketten. Da wird es erheblich schwerer, bei einigen Produkten fast unmöglich. Und das trifft die britischen Hersteller um Größenordnungen härter als die kontinentalen, weil auf der Insel so viel weniger Ausweichhandelspartner verfügbar sind.
So als Beispiel: Wenn Ford in Köln bisher Bremsbeläge oder Heckleuchten aus Manchester bezieht, lassen sich dafür andere Lieferanten in der EU finden, die ihre Produktion ausweiten und die englischen Lieferungen ersetzen können. Aber der englische Fabrikant in Manchester wird in GB keinen Autohersteller finden, der seine Teile kaufen wird.

Und am krassesten wird der hard brexit im Bereich Finanzen/Dienstleistungen, mit denen GB bisher das meiste Geld verdient. London ist de facto die Finanzzentrale der EU. Bisher.
Für die City wäre schon der normale brexit ein hartes Problem (weswegen London ja ganz überwiegend Remain gestimmt hat), aber ein hard brexit wird eine Katastrophe.
Ich war in den letzten drei Jahren bei diversen Finanzinstituten in London unterwegs und kenne auch die Brexit-Vorbereitungen in Frankfurt. Bisher haben alle mit einem soft brexit gerechnet und das würde eine leichte Verlagerung gewisser Handelsaktivitäten auf den Kontinent bedeuten (und Paris, Amsterdam, Dublin und Frankfurt konkurrieren heftig um diesen Zugewinn). Aber mit einem hard brexit werden die Aktivitäten einer für mehrere hundert Millionen ausgebauten Finanzinfrastruktur in London auf das Geschäft auf der Insel reduziert. Das ist dramatisch. Und die Kollegen in Frankfurt etc. denken inzwischen nicht mehr über Kundenabwerbung von Londoner Geschäften nach, sondern über Notfallschichtpläne, um die anfallende Arbeit irgendwie bewältigen zu können, wenn London ausfällt.

Zitat
Und es hängt natürlich hauptsächlich davon ab, wie GB nach dem hard brexit agiert ...


Und das Kernproblem dabei ist, daß die Brexiteers dafür Null Konzept haben.
Die wesentliche Brexit-Vorbereitung war bisher, ALLE EU-Gesetze 1:1 ins UK-Recht zu übernehmen. Also genau die Regelungen, die angeblich so schlimm sind und die Briten so einengen. In keinem Punkt wurde die Chance genutzt, unnötige Vorschriften zu streichen oder zu reformieren.
Ansonsten ist es in den letzten drei Jahren fast nicht gelungen, Handelsabkommen für die Nach-Brexit-Phase abzuschließen. Letzter Stand war m. W. um die 20 Staaten, die meisten davon ziemlich unbedeutend. Es ist nach wie vor völlig unklar, mit welchen Produkten, in welchen Märkten und mit welchen Handelsbeziehungen das Nach-Brexit-UK eigentlich mehr Chancen haben kann als bisher.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

07.09.2019 12:22
#433 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von Frankenstein im Beitrag #431
das ist eine m. E. völlig substanzlose, auf nichts als Voreingenommenheit beruhende Analyse.

Lieber Frankenstein - sie mögen die Analyse nicht teilen, aber sie ist durch Fakten belegt. Insbesondere Johnsons Frontwechsel ins Brexiteer-Lager und sein Abstimmungsverhalten GEGEN den Brexit sind gut dokumentiert.

Zitat
... weil Cameron in Brüssel eiskalt abserviert worden ist.


Das ist eine dünne Ausrede. Fast alle Brexiteers (innerhalb und außerhalb der Tories) waren schon vor Camerons Vorstoß für den Brexit, und Johnson ist erst umgeschwenkt, als die Brexit-Kampagne schon in Fahrt war - also lange nach Camerons Auftritt in Brüssel.

Zitat
Der einfache Weg zum PM wäre für Johnson er gewesen, den Brexit von vornherein abzulehnen und Cameron zu beerben.


Das war auch lange Zeit sein Plan, deswegen war er ja auch lange Zeit gegen den Brexit. Und hat dann erst gewechselt, als die Brexit-Seite vielversprechender aussah.

Zitat
die sozialistische Kampfpresse (also den Guardian)


Liebe Güte, der Guardian ist harmlose linke Mitte, "Kampfpresse" sieht wirklich anders aus. Den Artikel habe ich verlinkt, weil er amüsant formuliert war. Und durchaus auch mit Abstand zu Labour, siehe die Passagen zu Corbyn.
Und was halt gut beschrieben wird - wer die Parlamentssitzung gesehen hat, kann das nur bestätigen - ist die zunehmende Erosion innerhalb der Tory-Fraktion.
Die sich fortsetzen wird, nachdem Johnson mit seinem Obstruktionsversuch im Oberhaus gescheitert ist und die Oppositionsführer (die mit den Ex-Tories inzwischen eine deutliche Mehrheit haben) sich auf ein Vorgehen gegen Johnson und die Modalitäten der Neuwahl geeinigt haben.
Ich glaube auch nicht, daß Johnson den Parteiausschluß der 21 durchhalten kann, zuviele Parteimitglieder wollen das nicht mittragen.

Zitat
bzw. wie sehr Ihr Standpunkt von Ihren persönlichen Interessen dominiert zu sein scheint


Ich weiß nicht, wie das gemeint ist. Selbstverständlich hat jeder hier im Forum seine persönliche Sichtweise (Sie ja auch), das ist legitim.
"Persönliche Interessen" habe ich in der Brexit-Frage nicht, für meine Lebensverhältnisse wird es völlig irrelevant sein, wie das am Ende ausgeht.

Ich gebe aber gerne zu, daß ich bei Typen wie Johnson und seiner anti-demokratischen Haltung emotional anders berührt bin als bei üblichen politischen Diskussionen. Ich kann sehr gut damit leben, wenn jemand andere politische Ansichten hat als ich. Ich habe Freundschaften mit Leuten von ganz links und ganz rechts, könnte mit Wagenknecht, Farage, Gauland oder Özdemir ein Bier trinken und politisch kontrovers diskutieren.
Johnson ist intelligent, gebildet und witzig - aber ein völlig charakterloser Karrierist und Lügner. So etwas verachte ich zutiefst. Gerade von einem Konservativen erwarte ich ein patriotische Grundeinstellung und Verantwortungsübernahme. So wie das Bruder Jo Johnson gerade demonstriert hat.

Frankenstein Offline




Beiträge: 891

07.09.2019 15:14
#434 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #433
Johnson ist intelligent, gebildet und witzig - aber ein völlig charakterloser Karrierist und Lügner.

Ach wirklich?

Why am I backing Boris? Because he's a real feminist

Ihre Pöbeleien und beleidigenden Ausfälle gegenüber Johnson sind weit unterhalb Ihres normalen Niveaus und unter dem dieses Forums. Der geeignete Platz für derartige S.H.-Parolen ist inhaltlich und stilistisch das SPIEGEL ONLINE-Forum.

hubersn Offline



Beiträge: 1.342

07.09.2019 17:01
#435 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #425

Wenn Johnson das Referendum umsetzen wollte, hätte er im Frühjahr Mays Deal zustimmen müssen.



Müssen? Nein, er bevorzugte den "hard brexit", nachdem der Deal auf dem Tisch lag. Mays Deal ist ja nur dem Namen nach ein Brexit, aber nicht das, für was Johnson vor dem Referendum geworben und gekämpft hat. Johnsons Linie ist da wirklich sehr stringent und logisch. Ihm das abzusprechen widerspricht allen bekannten Fakten.

Zitat

Den kann man mögen oder nicht oder man kann sich bessere Deals vorstellen - aber der Deal ist eindeutig ein Austritt aus der EU und erfüllt 100% die Vorgaben des Referendums.



Dem Namen nach vielleicht, dem Geist nach aber auf keinen Fall - Backstop, weiterhin Bezahlen an die EU, keine Mitbestimmung mehr in der EU. Das alles widerspricht dem, was die Brexiteers wollten und für was die Wahlbevölkerung mutmaßlich gestimmt hat. Der Deal ist jedenfalls auf keinen Fall vereinbar mit "Take back control" oder "Wir zahlen nix mehr an die EU sondern wollen das Geld selbst verwenden".

Zitat

Das ist ein deutlicher Unterschied zu Leuten wie Farage, die wirklich inhaltlich vom Brexit überzeugt sind und das schon zu einer Zeit vertreten haben, als man damit noch isolierte Minderheit war.



Der einzige wirkliche Unterschied zu Farage ist, dass Johnson verhältnismäßig spät Gefallen am Brexit gefunden hat. Und ehrlich gesagt kann ich verstehen, dass man im Falle des Brexits durchaus über die Zeit seine Meinung ändern kann. Die EU vor der Osterweiterung, vor der Schuldenkrise und vor der Migrationskrise ist ja überhaupt nicht vergleichbar mit der heutigen EU.

Gruß
hubersn

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R.A. Offline



Beiträge: 8.171

07.09.2019 18:22
#436 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von hubersn im Beitrag #435
Müssen?

Wenn er das Referendum respektiert hätte: Müssen.

Nur mal zur Erinnerung -der Text des Referendums lautete:

Zitat
Should the United Kingdom remain a member of the European Union or leave the European Union?

with the responses to the question to be (to be marked with a single (X)):

Remain a member of the European Union
Leave the European Union


Und da hat die Mehrheit "Leave the European Union" angekreuzt. Und genau das hat May Deal zu 100% umgesetzt.

Der Referendumstext lautete NICHT: "Should the United Kingdom leave the EU strictly according to the conditions Boris Johnson will invent two years later?"

Zitat
Mays Deal ist ja nur dem Namen nach ein Brexit ...


Brexit ist der Austritt GBs aus der EU. Genau hätte der Deal umgesetzt.

Zitat
... aber nicht das, für was Johnson vor dem Referendum geworben und gekämpft hat.


Johnson hat sich nie auf eine Brexit-Variante festgelegt, alle seine Kritikpunkte am Deal sind nachträglich erfunden, von denen war vorher nie die Rede.

Zitat
Backstop, weiterhin Bezahlen an die EU, keine Mitbestimmung mehr in der EU.


Backstop und die Erfüllung der noch laufenden Finanzverpflichtungen sind Übergangsregelungen. Und eine Mitbestimmung als Nicht-EU-Mitglied ist eine absurde Idee - Brexit bedeutet selbstverständlich, daß GB auch keine Mitwirkungsrechte mehr behält.

Zitat
Das alles widerspricht dem, was die Brexiteers wollten ...


Mir wäre neu, daß sie eine Mitbestimmung nach Austritt gefordert hätten. Damit hätten sie sich ziemlich lächerlich gemacht. Übergangsregelungen waren nie Thema in der Kampagne. Und gestimmt haben die Wahlberechtigten für den Austritt, nicht für ominöse und nie explizit formulierte Brexiteer-Ideen. Auf jeden Fall war in der Kampagne und im Wahlkampf 2017 der hard brexit explizit NICHT das Ziel. Dafür haben die Tories kein Mandat und Johnson sowieso nicht.

Zitat
"Wir zahlen nix mehr an die EU sondern wollen das Geld selbst verwenden".


Wenn die Brexiteers mit "keine Zahlungen" wirklich auch die schon zugesagten Zahlungsverpflichtungen gemeint hätten, wäre das völlig unseriös gewesen. Es ging zentral um die normalen Mitgliedsverpflichtungen, und die laufen nach Brexit selbstverständlich aus.

Zitat
Der einzige wirkliche Unterschied zu Farage ist, dass Johnson verhältnismäßig spät Gefallen am Brexit gefunden hat.


Verrat ist eine Frage des Zeitpunkts ...

Zitat
Die EU vor der Osterweiterung, vor der Schuldenkrise und vor der Migrationskrise ist ja überhaupt nicht vergleichbar mit der heutigen EU.


Kann man so sehen. Nur hat Johnson nicht anläßlich der Osterweiterung, der Schuldenkrise oder der Migrationskrise die Seiten gewechselt. Sondern das hat er erst 2016 einige Monate vor dem Referendum gemacht.
Aber Glaubwürdigkeit ist ohnehin sein zentrales Defizit.

ffreiberger Offline




Beiträge: 130

08.09.2019 10:11
#437 RE: Insel im Nebel Antworten

Hallo miteinander,
scheinbar ist das Ganze mit dem Brexit ja nicht so einfach. An dem Thema scheiden sich ja bekanntlich die Geister. Ich habe hier heute morgen aber ein tolles Schaubild gefunden, dass den weiteren Verlauf Voraussagen will. Vllt. kennt ihr es noch nicht.

https://jonworth.eu/brexit-what-next/


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R.A. Offline



Beiträge: 8.171

08.09.2019 12:44
#438 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von ffreiberger im Beitrag #437
Ich habe hier heute morgen aber ein tolles Schaubild gefunden, dass den weiteren Verlauf Voraussagen will.

Vielen Dank - das ist sehr interessant. Aber inzwischen schon einige Tage alt, also angesichts der vielen schnellen Änderungen schon massiv veraltet.

Und es geht noch sehr von klassischen Entscheidungsbäumen aus - was macht Johnson, was macht die Opposition. Die Entwicklung ist aber zunehmend chaotischer geworden, da sind solche Diagramme nur noch bedingt geeignet.

Insbesondere haben die internen Entwicklungen bei den Tories eine Dynamik erreicht, die kaum prognostizierbar ist.
Johnsons Rauswurf von 21 MPs ist für die Partei ein ziemlicher Schock gewesen. Das gab es so noch nie, es sind einige sehr prominente und in der Partei angesehen Leute dabei. Als Reaktion haben zwei Minister das Kabinett verlassen, darunter auch Johnsons Bruder. Die "one nation"-Gruppe innerhalb der Tory-Fraktion hat gegen den Rauswurf protestiert und die Rücknahme gefordert (ich habe keine aktuellen Zahlen gefunden, wie groß diese Gruppe ist - die Angaben schwanken zwischen 50 und 100).

Bei der Parteibasis der Tories vermute ich grundsätzlich immer noch eine klare Mehrheit für den Brexit und Johnson. Aber viele Parteimitglieder werden nicht bereit sein, dafür eine Parteispaltung in Kauf zu nehmen und die Tories zu einer reinen UKIP-light-Partei zu machen. Insbesondere kommt natürlich bei soliden gutbürgerlichen Tory-Mitgliedern Johnsons Politikstil nicht unbedingt gut an. Die erwarten Respekt vor Traditionen und etablierten Autoritäten.
Da kommt es nicht gut, wenn Johnson sich ausgerechnet mit der Polizei anlegt , wenn Rees-Moog im Parlament demonstrativ Mittagsschläfchen macht oder wenn die neue Tory-Führung ankündigt, entgegen uralter Tradition den Speaker des Unterhauses absägen zu wollen.
Auch der Versuch, das Anti-No-Deal-Brexit-Gesetz durch Obstruktion im Oberhaus zu verhindern kommt bei bürgerlichen Wählern nur begrenzt gut an - die vernichtend hohe Ablehnung (80-90%) für Johnson im Oberhaus ist für Konservative ein wichtiges Statement.

Man kann davon ausgehen, daß jetzt am Wochenende die Funktionäre in den Wahlkreisen beständig am Telephon hängen und versuchen, die Situation zu verstehen und Lösungen zu suchen. Und was da rauskommt, ist von außen extrem schwer zu prognostizieren (und von innen bzw. von der Parteiführung auch ...).

So nebenbei: Auch die internen Entwicklungen bei Labour sind derzeit nicht uninteressant. Das große Hindernis heißt ja Jeremy Corbyn. Bisher haben er und seine Clique alle Versuche abgeblockt, irgendeinen Kompromißkandidaten als Übergangspremier bis zu Neuwahlen zu installieren - für einen solchen gäbe es wohl eine deutliche Mehrheit im Haus. Aber Corbyn selber ist für alle anderen Oppositionsparteien (und die jetzt parteilosen Ex-Tories) inakzeptabel. Eigentlich hält nur noch Corbyns Beharren auf die PM-Kandidatur Johnson im Amt ...


Es bleibt spannend.

ffreiberger Offline




Beiträge: 130

08.09.2019 18:20
#439 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #438
Vielen Dank - das ist sehr interessant. Aber inzwischen schon einige Tage alt, also angesichts der vielen schnellen Änderungen schon massiv veraltet.


Wie es der Zufall so will, wurde das Schaubild heute um 14:00 Uhr aktualisiert.

Sie mögen Recht haben, dass solche Diagramme schnell veralten und das die aktuelle Situation wirklich absolut Verworren ist und deshalb schwer abbildbar. Mir hilft es aber mich überhaupt im Wirrwarr der Optionen zu Recht zu finden.

Da ich mich selbst weder dem Brexit noch denn Remain-Lager als zugehörig fühle, lehne ich mich zurück und erfreue mich an dem abgelieferten Schauspiel. 🍿


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R.A. Offline



Beiträge: 8.171

09.09.2019 09:56
#440 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von ffreiberger im Beitrag #439
Wie es der Zufall so will, wurde das Schaubild heute um 14:00 Uhr aktualisiert.

Respekt, der Mann ist gut!
Und im wesentlichen kann ich den angegebenen Wahrscheinlichkeiten auch folgen. Es scheint extrem unwahrscheinlich, daß Johnson jetzt den Kurs ändert und sich bzw. auf einen Deal einläßt. Derzeit scheint er sich darauf zu konzentrieren, wie er das No-No-Deal-Brexit-Gesetz umgehen kann. Seine Chancen dafür können wir wohl überhaupt nicht beurteilen. Da sind auf beiden Seiten erstklassige Juristen am Werk - und am Ende bleibt eben die Grauzone der englischen Verfassungsrealität. Da ist halt schlicht nicht klar was passiert, wenn sich ein PM nicht an Gesetze oder Parlamentsbeschlüsse hält.

Nach wie vor nicht im Diagramm (weil dort nicht vernünftig abbildbar) sind die parteiinternen Vorgänge, insbesondere bei den Tories. Da scheint mir immer wahrscheinlicher, daß genug Leute das "die in the ditch" auf Johnson beschränken wollen und nicht bereit sind, ihre eigene Karriere und die Partei dafür zu opfern.

Emulgator Offline



Beiträge: 2.875

09.09.2019 10:57
#441 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von hubersn im Beitrag #435
Mays Deal ist ja nur dem Namen nach ein Brexit,
Das also bedeutet Mays Wort "Brexit means Brexit"!

Zitat von hubersn im Beitrag #435
keine Mitbestimmung mehr in der EU.
Die Johnson-Regierung hat eigenständig darauf verzichtet, einen Kommissar für die neue EU-Kommission zu entsenden. Prinzipiell wäre das noch möglich gewesen.

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

09.09.2019 12:25
#442 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von hubersn im Beitrag #435
Mays Deal ist ja nur dem Namen nach ein Brexit,...

Das kann man, glaube ich, so klar und eindeutig nicht sagen. An sich ist Mays Withdrawal Agreement das, was ursprünglich (bevor kürzlich der sprachliche Torpfosten über die Klippe hinaus verschoben wurde) 'hard Brexit' hieß - keine Teilnahme am Binnenmarkt, nicht in der EEA, keine Anerkennung des ECJ etc., also so ziemlich die extremste Interpretation dessen, was im Referendum unter 'leave the EU' lief. Sollte also die Brexiteure im Prinzip glücklich machen, wäre da nicht die fatale Doppeldenkqualität des «Backstops». Der «Backstop» ist ja bloß eine Sicherungsklausel für den Fall, daß das Versprechen der britischen Regierung, gewisse Hauptprobleme, die nach wie vor offen sind und für die keine Lösung in Sicht ist (etwa die Sache mit der Landgrenze auf der irischen Insel), innerhalb der vereinbarten Übergangsperiode irgendwie zu lösen, sich als leeres Versprechen herausstellen sollte. Angesichts des allgemeinen Gebahrens der UK-Regierung im Laufe der letzten 3 Jahre muß man mit dieser Möglichkeit durchaus rechnen. Und wenn der Backstop greift, dann hängt das UK auf absehbare Zeit an der EU fest ohne Mitspracherechte und all die anderen Vorteile zu genießen. Das wäre wirklich kein gutes Ergebnis.

Der Widersinn besteht hier darin, daß die Brexiteure gleichzeitig behaupten, die Probleme, für die der Backstop ein Sicherheitsnetz darstellt, ohne weiteres lösen zu können (so daß der Backstop gar nicht greift), und auch, daß das vereinbarte WA wegen des Backstops kein richtiger Brexit wäre. Die ganze Brexit-Geschichte ist voll von solchen logischen Widersprüchen. Es fängt schon mit dem Referendum an, das gesetzlich keineswegs bindend war, aber als «politisch» bindend interpretiert wird. Dabei besteht hier eine klare Alternative: ist das Referendum bindend?
Falls ja: dann ist das Ergebnis mangels qualifizierter Mehrheit (die auch in UK bei als bindend definierten Referenden gefordert wird) kein Mandat für den Brexit, und (per Gerichtsbeschluß gesichert) es müßte wegen der Regelwidrigkeiten, die stattgefunden haben, ohnehin annulliert werden.
Falls nein: dann ist der ganze Schmus vom «Volkswillen» nichts als leeres Gerede.

Zitat von hubersn im Beitrag #435
...aber nicht das, für was Johnson vor dem Referendum geworben und gekämpft hat. Johnsons Linie ist da wirklich sehr stringent und logisch. Ihm das abzusprechen widerspricht allen bekannten Fakten.

Faktum ist aber, daß keiner der Brexiteure, auch Johnson nicht, vor dem Referendum für den wahnsinnigen 'no deal' geworben hat, ganz im Gegenteil. Alle haben behauptet, im Falle eines 'Leave'-Ausgangs des Referendums werde sorgfältig ein neuer Vertrag ausgehandelt und es entstünden keinerlei Nachteile für die britischen Bürger. Wenn jemand darauf hinwies, daß dies kaum möglich sei, wurde das sofort als «Project Fear» niedergeschrien.
Das, was im Moment stattfindet, ist keineswegs etwas, für das «Johnson vor dem Referendum geworben und gekämpft hat».

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

09.09.2019 12:39
#443 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von Frankenstein im Beitrag #434
Zitat von R.A. im Beitrag #433
Johnson ist intelligent, gebildet und witzig - aber ein völlig charakterloser Karrierist und Lügner.

Ach wirklich?

Why am I backing Boris? Because he's a real feminist

Ihre Pöbeleien und beleidigenden Ausfälle gegenüber Johnson sind weit unterhalb Ihres normalen Niveaus und unter dem dieses Forums. Der geeignete Platz für derartige S.H.-Parolen ist inhaltlich und stilistisch das SPIEGEL ONLINE-Forum.

Wie nennen Sie es denn, wenn ein Premierminister im Parlament von guten Fortschritten bei Verhandlungen berichtet, die de facto gar nicht stattfinden? Lügen im Parlament war übrigens ein ganz großes No-No mit obligatem Rücktritt, bevor May es zur Methode gemacht hat.

Zum Telegraph-Artikel: Der so rührend um FGM besorgte Feminist Johnson ist identisch mit dem Johnson, der schon mal flapsig verschleierte Muslimfrauen als «Briefkasten» bezeichnet und damit pöbelnden Übergriffen ein Plazet aus dem Rang der sogenannten «politischen Elite» verleiht.
Statt des dümmlichen und zum Brexit-Propagandablatt für den Mittelstand verkommenen Telegraphen empfehle ich etwa folgende Lektüre zu den jüngsten Ereignissen:

Zitat von Ian Dunt in politics.co.uk
Week in Review: Clinging to reality under a post-truth government

vielleichteinlinker Offline



Beiträge: 504

09.09.2019 14:20
#444 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von Fluminist im Beitrag #443
Wie nennen Sie es denn, wenn ein Premierminister im Parlament von guten Fortschritten bei Verhandlungen berichtet, die de facto gar nicht stattfinden? Lügen im Parlament war übrigens ein ganz großes No-No mit obligatem Rücktritt, bevor May es zur Methode gemacht hat.


Oh, Johnson hat für genau die Art von Politik aber das einzige Mandat.

Die Fisch-Geschichte vom Parteitag war so offensichtlich falsch, dass er nur sehen wollte, wie weit seine Partei ihm folgt. Die Antwort hat er gekriegt, jetzt liefert er.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

09.09.2019 14:35
#445 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von vielleichteinlinker im Beitrag #444
Die Fisch-Geschichte vom Parteitag war so offensichtlich falsch ...

Was war da? Ist irgendwie an mir vorbeigegangen.

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

09.09.2019 14:45
#446 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #445
Zitat von vielleichteinlinker im Beitrag #444
Die Fisch-Geschichte vom Parteitag war so offensichtlich falsch ...

Was war da? Ist irgendwie an mir vorbeigegangen.


Wohl das hier - ist aber nur eine von vielen Johnsonschen Ungereimtheiten. Siehe auch weiter unten «A history of untruths» im selben Artikel.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

09.09.2019 15:47
#447 RE: Insel im Nebel Antworten

Liebe Güte. Gerade ein Tory sollte über die Besonderheiten der britischen Gebiete informiert sein, z. B. über den Status der Isle of Man.

Aber auch bei deutschen EU-Gegnern werden ja regelmäßig Fake News über angebliche EU-Schikanen rumgereicht. Da wird jeder Schrott aus jeder obskuren Quelle jederzeit blind geglaubt.

Ich finde es ja auch nach wie vor entlarvend, daß die Brexiteers seit Jahren die pöse Eu-Regulation beschimpfen und wie sie angeblich die Briten bevormunden würde. Aber dann haben sie in den letzten beiden Jahren die komplette EU-Gesetzgebung 1:1 übernommen und als UK-Recht beschlossen. Was in manchen Teilen wegen Rechtssicherheit ja auch sinnvoll war - aber das wäre genau die Gelegenheit gewesen, alles angebliche Überflüssige und Falsche zu streichen.
Aber da hätte man sich halt mit fachlichen Details beschäftigen müssen, das ist nicht die Stärke der Brexiteers.

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

09.09.2019 15:59
#448 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #447
Aber dann haben sie in den letzten beiden Jahren die komplette EU-Gesetzgebung 1:1 übernommen und als UK-Recht beschlossen. Was in manchen Teilen wegen Rechtssicherheit ja auch sinnvoll war - aber das wäre genau die Gelegenheit gewesen, alles angebliche Überflüssige und Falsche zu streichen.
Aber da hätte man sich halt mit fachlichen Details beschäftigen müssen, das ist nicht die Stärke der Brexiteers.

Soweit ich weiß, tritt das Gesetz, das die EU-Gesetze zunächst als UK-Gesetze übernimmt, erst im Moment des Austritts aus der EU in Kraft; im Moment gelten die EU-Gesetze ja noch als solche im UK. Daß dann der UK-Regierung nicht alles in den Kram passen wird, haben sie natürlich schon vorhergesehen und, weil es ja dann auch schnell und unbürokratisch gehen muß, in das genannte Gesetz auch ein Ermächtigungsgesetz eingebaut, nach dem dann Minister die Gesetze («soweit erforderlich») ohne parlamentarische Prüfung an die dann gegebenen Erfordernisse anpassen dürfen. Das ist sozusagen das Zuckerl für einen Premierminister, der vor der Rechenschaft der Volksvertretung gegenüber zurückscheut (worin in seine desaströsen Auftritte im Unterhaus letzte Woche wohl eher bestärkt haben werden) und deshalb heute abend das (gerade erst aus den Ferien zurückgekehrte) Parlament für über einen Monat aussetzt.

dirk Offline



Beiträge: 1.538

10.09.2019 14:07
#449 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von Fluminist im Beitrag #442

Der Widersinn besteht hier darin, daß die Brexiteure gleichzeitig behaupten, die Probleme, für die der Backstop ein Sicherheitsnetz darstellt, ohne weiteres lösen zu können (so daß der Backstop gar nicht greift)


Ist es doch. Die Briten treten aus der EU aus, es gibt Freihandel mit der EU und keine Grenze in Nordirland.
Das will nur die EU nicht, denn erstens will sie die Briten bestrafen und zweitens fuerchten sie, dass auf diese Weise Gluehlampen ins EU-Gebiet geschmuggelt werden koennten*.

Die Moeglichkeit des No Deal, und womoeglich sogar den No Deal an sich, muss es geben, um die Verhandlungsposition der Briten zu staerken. Im anderen Falle kann die EU fordern, was sie will; und tut es ja auch**. Bisher haben die Briten mit sich selbst verhandelt. Johnson ist klar, dass er alle Macht bei sich konzentrieren muss, damit endlich mit der EU verhandelt werden kann.

Mein Idealbrexit saehe ja so aus, dass die Briten im Innenverhaeltnis den Brexit praktizieren, etwa indem sie beschliessen, dass keine EU Vorschriften und Gerichhte mehr anerkannt werden. Aber im Aussenverhaeltnis alles so lassen wie ist (Artikel 50 nicht ziehen bzw dessen Aktivierung rueckgaengig machen). Sprich sich einfach nicht mehr an EU Vorschriften zu halten. Macht ja ohnehin jeder nur wenn es ihm passt. Dann liegt der Spielball bei der EU. Wollen die Zoelle einfuehren? Eine Grenze zu Nordirland? Das loest das ganze juristische Nichtproblem*** in Nullkommanix auf.



*Auf einmal sind EU-Regularien heilig und als Paket genommen unumstoesslich. Anders als Maastricht, Schengen, Dublin,...
** Freihandel, der sonst immer als Argument pro EU verwendet wird, und erklaertermassen in gegenseitigem Vorteil ist, ist auf einmal "Rosinenpickerei" und ohne Uebernahme von Plastiktueten und Strohhalmverbot nicht zu haben.
*** Durch Ruecknahme der Soueveraenitaet aendert sich am Status quo exakt null. Es ist ein stetiger Prozess, kein abruptes Ereignis.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

10.09.2019 16:24
#450 RE: Insel im Nebel Antworten

Zitat von dirk im Beitrag #449
Ist es doch. Die Briten treten aus der EU aus, es gibt Freihandel mit der EU und keine Grenze in Nordirland.

Jo klar - völig offene Grenzen sind ja genau das, wovon die "take control back"-Brexiteers jede Nacht träumen.

Es mag sich jeder hier im Forum seine private Lösungsidee ausdenken. Das ist aber recht irrelevant.
Relevant ist, daß die Brexiteers und die neue britische Regierung bisher keinen konkreten Vorschlag vorlegen konnten, wie sie ihre vertraglichen Verpflichtungen in Irland nach dem Brexit erfüllen werden. Und solange da nicht mehr kommt als vages Geblubber der Art "wir schaffen das", bleibt der Backstop nötig.

Zitat
denn erstens will sie die Briten bestrafen


Dieses Märchen kann man endlich mal abräumen. Der Backstop hat einen speziellen Hintergrund, den es bei keinem anderen EU-Staat gibt. Und ansonsten kann man an Details des Deals mäkeln - aber er ist eindeutig keine "Strafe" und vor allem keine Abschreckung, wie das auch gerne vorher behauptet wurde.
Jeder andere austrittswillige EU-Staat könnte sich getrost zu den Bedingungen des Deals nach draußen begeben, da ist nichts abschreckendes oder unfaires.

Zitat
Die Moeglichkeit des No Deal, und womoeglich sogar den No Deal an sich, muss es geben, um die Verhandlungsposition der Briten zu staerken.


Das ist schlicht falsch. Eine Verhandlungsposition wird nur dann stärker, wenn man mit Maßnahmen drohen kann. Man kann aber nicht mit Maßnahmen drohen, die einen selber schwerer treffen als den Bedrohten.
Wenn GB neue Verhandlungen mit der EU will, dann muß es neue Vorschläge auf den Tisch legen. Und diese Vorschläge können nicht der Art sein: "Wir wollen zusätzliche Vorteile für, werden aber keine Gegenleistungen anbieten".
Solange Johnson weiter keine Idee bringt, wie ein neuer Deal aussehen sollte, nützt zusätzliches Drohpotential ohnehin nichts. Schon gar nicht mit haltlosen "Drohungen", die bei der Gegenseite keinen Eindruck machen können.

Zitat
Johnson ist klar, dass er alle Macht bei sich konzentrieren muss


Dann hätte er erst einmal Neuwahlen in Gang setzen müssen. Weil er kein Mandat und keine Mehrheit hat - von "Macht konzentrieren" kann angesichts seiner fehlenden Legitimation keine Rede sein.
Aber Neuwahlen hat er die ganze Zeit strikt abgelehnt, erst in den letzten Tagen eine Kehrtwende gemacht, um mit Neuwahlen die Parlamentsarbeit zu sabotieren. Was ihm nicht gelungen ist.

Zitat
Mein Idealbrexit saehe ja so aus ...


Gerne. Aber auch der würde keine Mehrheit kriegen. Weil die Brexiteers unfähig sind, sich auf eine Brexit-Variante zu einigen.

Zitat
etwa indem sie beschliessen, dass keine EU Vorschriften und Gerichhte mehr anerkannt werden.


Die Brexiteers haben das Gegenteil gemacht. Sie haben als Gesetz beschlossen, daß ALLE EU-Vorschriften nach dem Brexit als UK-Recht gültig bleiben.

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