Zitat von R.A. im Beitrag #450 Die Brexiteers haben das Gegenteil gemacht. Sie haben als Gesetz beschlossen, daß ALLE EU-Vorschriften nach dem Brexit als UK-Recht gültig bleiben.
Nein. Sie haben die Vorschriften inhaltlich uebernommen, was ja auch fuer einen stetigen Uebergang sinnvoll ist. Sie koennten aber beschliessen, dass fortan nur noch von UK beschlossene Gesetze und Verordnungen und nur noch von UK Gerichten erlassene Urteile Gueltigkeit haben. Ersteres macht dann zunaecht keinen Unterschied, weil die EU Vorschriften in nationales Recht uebernommen wurden. Laengerfristig, im Laufe neu beschlossener Gesetze weichen die Rechtsordnungen dann aber von einander ab und ers ergibt sich das "regulatorische disalignment", welches die EU so sehr fuerchtet. (warum eigentlich? die Praxis der EU befindet sich in andauerndem "disalignment" mit den selbst auferlegten Regeln.)
Zitat Jo klar - völig offene Grenzen sind ja genau das, wovon die "take control back"-Brexiteers jede Nacht träumen.
Worin liegt der Unterschied zu jetzt? Die Briten sind auch jetzt nicht im Schengenraum. Achja, es koennte sein, dass man Gluehlampen und Plastikstrohhalme schmuggeln kann. Das muss natuerlich unbedingt verhindert werden sonst droht das Armageddon.
Zitat von R.A. im Beitrag #450 Relevant ist, daß die Brexiteers und die neue britische Regierung bisher keinen konkreten Vorschlag vorlegen konnten, wie sie ihre vertraglichen Verpflichtungen in Irland nach dem Brexit erfüllen werden.
Das müssen sie auch gar nicht, denn das ist vertraglich unabhängig von der EU geregelt.
Zitat Der Backstop hat einen speziellen Hintergrund, den es bei keinem anderen EU-Staat gibt. Und ansonsten kann man an Details des Deals mäkeln - aber er ist eindeutig keine "Strafe" und vor allem keine Abschreckung, wie das auch gerne vorher behauptet wurde.
Natürlich ist es das. Es ist der Eingriff in Souveränität eines Staates und kein Staat kann sich das ernsthaft gefallen lassen (mal ab von den Deutschen, die kriegen unter Merkel inzwischen alles fertig). Das ist ja auch Sinn und Zweck der Übung. Der Witz ist ja der: Es geht sehr wohl(!) ohne Backstop. Wenn nämlich der hard brexit kommt. Und da hat die EU auch keine Alternative. Sie kann drohen (der Himmel wird ihnen allen auf den Kopf fallen), aber sie kann den Backstop am Ende nicht erzwingen.
Zitat Das ist schlicht falsch. Eine Verhandlungsposition wird nur dann stärker, wenn man mit Maßnahmen drohen kann. Man kann aber nicht mit Maßnahmen drohen, die einen selber schwerer treffen als den Bedrohten.
Das kann nur jemand sagen, der noch nie einen Raum voller Gangster gesehen hat, die auf einen Thermaldetonator starren. :) Ernsthaft: Natürlich geht das. Ist nicht einmal besonders ungewöhnlich. Wer öfter mal etwas komplexere Strategiespiele gespielt hat kennt das aus dem Effeff: "Ja, Du kannst mir furchtbar weh tun. Aber dafür wirst Du bluten." Ist, wie gesagt, Standard. Und in vielen Situationen sogar das einzige was man tun kann.
Zitat Wenn GB neue Verhandlungen mit der EU will, dann muß es neue Vorschläge auf den Tisch legen. Und diese Vorschläge können nicht der Art sein: "Wir wollen zusätzliche Vorteile für, werden aber keine Gegenleistungen anbieten". Solange Johnson weiter keine Idee bringt, wie ein neuer Deal aussehen sollte, nützt zusätzliches Drohpotential ohnehin nichts. Schon gar nicht mit haltlosen "Drohungen", die bei der Gegenseite keinen Eindruck machen können.
Das würde bei einem Gegenüber ohne weitere Interessen durchaus funktionieren. Wenn die EU nicht das Problem hätte, sich einen weichen und "angenehmen" Brexit nicht leisten zu können, dann wäre der weicheste Deal ohne Backstop immer noch ein deutlich Gewinn (für die EU und gerade für Deutschland!) gegenüber dem hard brexit. Das ist Johnsons Kalkül (und es ist falsch). Aber das liegt nicht an der falschen Strategie: Man kann durchaus Drohkulisse aufbauen, und die kann auch durchaus einschließen, dass man selber dabei noch massiveren Schaden nimmt, aber eben nur, wenn der Gegenüber ein Gewinninteresse hat, dass nicht von anderen Faktoren überlagert wird.
In diesem Zusammenhang zeigt sich auch vergleichsweise offensichtlich die Unehrlichkeit der EU Position. Die EU will den Backstop nicht verhandeln. Aber genau dieser Backstop würde im Rahmen eines hard Brexit so oder so eintreten. Wenn man so auftritt dann bestehen am Ende genau zwei Möglichkeiten: Der Backstop ist das zentrale Argument das man überhaupt verhandelt oder man ist schlicht gar nicht an einer Verhandlung interessiert. Beides stinkt natürlich, denn wenn Ersteres der Fall wäre, dann müsste man alles tun, um den Briten noch irgendwie entgegen zu kommen (weil bei einem Scheitern der Verhandlungen man ja genau das, was man unbedingt will, gerade nicht bekommt), oder man ist von vorneherein unehrlich gewesen.
Zitat Dann hätte er erst einmal Neuwahlen in Gang setzen müssen. Weil er kein Mandat und keine Mehrheit hat
Seitdem er die nicht mehr hat, hat er genau das versucht. Und wurde, unter großem Jubel der deutschen Presse nebenbei, daran gehindert. Es ist erstaunlich wie flexibel man mit dieser Argumentation umgeht. Einerseits gesehen unlegitimiert, wenn man dagegen Legitimation sucht, ist es auch wieder falsch. Wir sind wieder am Anfang: Alles was Boris Johnson macht ist per definition falsch. Ich muss da immer an den unnachahmlichen Berti Vogts denken, der mal so treffend anmerkte, dass, wenn er über das Wasser wandeln würde, seine Kritiker nur sagen würden: Seht mal, nicht mal schwimmen kann er.
Zitat Weil die Brexiteers unfähig sind, sich auf eine Brexit-Variante zu einigen.
Der Vorwurf geht nun endgültig ins Leere. Die Brexiteers haben durchaus einiges dazu gesagt (läuft im Wesentlichen rein auf den Backstop hinaus). Nur ist das für die EU nicht akzeptabel. Das ist nicht die Schuld der Brexiteers sondern die Unmöglichkeit den Kreis zu quadrieren. Ich verstehe durchaus warum die EU tut was sie tut (nur nicht so recht deine Unwilligkeit das Offensichtliche zu betrachten). Und auch die Brexiteers bei dem was sie wollen. Und ich denke das Problem ist inhärent nicht lösbar. Deswegen den Beteiligten characterliche Schwächen an die Backe zu pinnen ist nicht nur "nicht hilfreich", es ist auch neben der Spur. Und vor allem ist es eine Garantie voll vor die Wand zu fahren. Und ich bleibe dabei: Es nützt "den Deutschen" einen feuchten Schmiss, dass die Briten vielleicht noch härter vor die Wand knallen. Die Rezession kommt. Mir allen Folgen die dazu gehören. Und es nützt dem dann ehemaligen Mitarbeiter von VW in Wolfsburg überhaupt nichts, dass für ihn drei Briten mehr stempeln gehen. Gar nichts. Diese Überheblichkeit der "deutschen Position", so man diese so nennen kann, finde ich frappierend absurd. Es ist allerdings wohl typisch deutsch. Es geht schließlich ums Prinzip.
Zitat von dirk im Beitrag #451Sie koennten aber beschliessen, ...
Könnten sie, haben sie aber nicht. Es spricht ja nichts dagegen (ist sogar sehr sinnvoll), die bestehenden Regelungen als Grundlage für die nach Brexit gültige Gesetzeslage zu nehmen. Aber wenn man schon mal jede einzelne Vorschrift in die Hand nimmt und neu beschließt, dann hätte man ja schon mal alles streichen können, was stört. Aber die Brexiteers tönen zwar immer groß rum über die angeblich zu einengenden EU-Regulierungen - aber in der Praxis wissen sie offenbar nicht, worin die eigentlich bestehen sollen. Der ganze Brexit beruht im wesentlichen auf Desinformation und gefühlter Realität.
Zitat von Llarian im Beitrag #452Es ist der Eingriff in Souveränität eines Staates ...
Jeder Staat akzeptiert das. Jedes internationale Abkommen beschränkt die Souveränität der Teilnehmer. Die Briten haben einen Haufen alter Verpflichtungen (wie jeder Staat) und können nicht per Brexit bei Null anfangen. Das haben die Brexieers von Anfang an ignoriert und speziell die irischen Themen waren ihnen (in klassischer Eton-Kolonialherrenmanier) völlig egal.
Zitat Wenn nämlich der hard brexit kommt. Und da hat die EU auch keine Alternative.
Erst einmal: Wir reden nicht mehr über den hard brexit. Der hard brexit war Mays Deal. Wir reden inzwischen über einen No-Deal-Brexit. Der alleine schon ein massiver einseitiger Bruch von völkerrechtlichen Verpflichtungen wäre - denn die EU-Verträge, zu denen sich GB verpflichtet hat, sehen zwar einen Austritt vor, aber keinen ohne entsprechende vertragliche Regelungen. Was Johnson hier vorhat ist ein beispielloser Crashkurs quer zu Völkerrecht und Diplomatie. Und in der Tat bedeutet das, daß weder die EU noch andere Staaten sich künftig auf britische Zusagen verlassen können.
Das kann jetzt aber nicht heißen daß wir sagen: Ist eh alles egal, also können wir auch beliebige Zugeständnisse machen.
Denn der Unterschied zur Situation mit dem Thermaldetonator ist, daß die EU mit ihrem Verhalten ja auch Signale an ihre übrigen bestehenden und künftigen Vertragspartner sendet. Bisher war das Signal vor allem auch an mögliche Beitrittskandidaten (und die haben das durchaus aufmerksam beobachtet): Man kann der EU beitreten und kann hinterher auch wieder austreten. Man bekommt dann einen fairen Deal, muß nur die ohnehin aufgelaufenen Finanzpflichten abzahlen und kann sich hinterher unter diversen Varianten aussuchen, wie man weitermachen will. Aber umgekehrt: Die EU ist auch nicht erpreßbar und wird keine unverhältnismäßigen Zugeständnisse machen. Das Signal geht vor allem an Staaten außerhalb Europas, z. B. China. Wenn sich die EU von den Hanswurst-Manövern Johnsons einschüchtern ließe wäre die nächste Verhandlungsrunde in Asien schon verloren.
Zitat Wenn die EU nicht das Problem hätte, sich einen weichen und "angenehmen" Brexit nicht leisten zu können
Der weiche Brexit ist (auf britischen Wunsch) längst vom Tisch. Den gewünschten hard brexit haben die Briten zu fairen Konditionen bekommen, den hat Johnson dann verhindert. Generell ist die EU im wesentlichen Zuschauer, solange es bei den Briten keine Mehrheit für irgendeine Vorgehensweise gibt. Was eigentlich soll sie denn mit Johnson verhandeln, wenn das Ergebnis mit Garantie im Unterhaus durchfällt.
Zitat ... aber eben nur, wenn der Gegenüber ein Gewinninteresse hat, dass nicht von anderen Faktoren überlagert wird.
Richtig. Aber diese anderen Faktoren sind nicht die mythischen Strafgelüste der EU, sondern das ganz normale Interesse jeden Staats, sich nicht internationa und bei weiteren Verhandlungen als schwach und erpreßbar zu präsentieren.
Zitat Seitdem er die nicht mehr hat, hat er genau das versucht.
Eben: Erst seitdem. Johnson hat sich mit Händen und Füßen gegen Neuwahlen gewehrt, obwohl er selber keine echte demokratische Legitimation hat und obwohl klar war, daß es im Unterhaus nicht weitergeht. Erst als das Anti-No-Deal-Gesetz auf dem Weg war, hat er die 180-Wende gemacht und "gedroht": Wenn Ihr das Gesetz beschließt, mache ich Neuwahlen. Was genau so eine Hanswurst-Drohung war wie gegenüber der EU. Und entsprechend auch nicht funktioniert hat, das Gesetz ist trotz aller taktischen Abwehrmanöver Johnsons durchgegangen.
Zitat Und wurde, ..., daran gehindert.
Aber NUR wegen des Termins. Johnsons Neuwahlen waren nur ein weiterer Versuch, das Parlament an der Arbeit zu hindern. Es war immer klar, daß die Opposition (inzwischen: die Unterhaus-Mehrheit) nach wie vor Neuwahlen will, aber erst wenn der No-Deal-Brexit verhindert ist und damit die Wähler die freie Wahl zwischen allen Möglichkeiten haben. Die Neuwahl zu einem anderen Termin wird aber von Johnson blockiert, nach Ende der Prorogation wird man weitersehen.
Zitat Die Brexiteers haben durchaus einiges dazu gesagt
Ja, gesagt haben sie einiges. Milch und Honig werden fließen, die Briten können künftig alles alleine bestimmen, die großartigen Traditionen bleiben gewahrt (wenn sie nicht von den Johnsonistas mit Füßen getreten werden) und Geld wird beliebig fließen. Aber ein konkretes Konzept für den Brexit gab es nie und gibt es immer noch nicht. Hat seinen Grund.
Zitat Es nützt "den Deutschen" einen feuchten Schmiss, dass die Briten vielleicht noch härter vor die Wand knallen.
Richtig. Aber wenn die Briten sich schon für Kamikaze entscheiden, dann müssen wir wenigstens schauen, daß die Rest-EU möglichst gut weitermachen kann. Im übrigen sind die meisten deutschen Probleme hausgemacht. Wenn Arbeitsplätze verloren gehen, dann ist Berlin schuld, nicht Brüssel.
Zitat von Llarian im Beitrag #452Der Witz ist ja der: Es geht sehr wohl(!) ohne Backstop. Wenn nämlich der hard brexit kommt. Und da hat die EU auch keine Alternative.
Das verstehe ich nicht. Wie soll das aussehen? Es geht ja darum, daß es im Interesse des UK und Irlands keine sichtbaren (Waren- und Kapitalverkehrs-)Kontrollen zwischen Nordirland und der Republik geben soll und auch keine zwischen Nordirland und Großbritannien. Solche Kontrollen muß ein Land aber durchführen, wenn es abweichende Zoll- und Handelsregeln durchsetzen will. Will das UK einfach nicht kontrollieren, dann würde faktisch im UK alles erlaubt sein, was in der EU erlaubt ist, man braucht nur einen Umweg über Irland machen. Beispielsweise würden alle Außenzölle, die das UK erheben wollen würde, in die EU-Säckel fließen, da die Geschäfte über die grüne Grenze auf der ebensogrünen Insel abgewickelt werden würden.
Großbritannien und jedes andere EU-Land könnte sehr viel einfacher austreten, weil es nicht das Problem einer EU-Außengrenze gäbe, die nicht sichtbar sein darf. Nirgends wie in Nordirland ist es so wahr und so deutlich erkennbar, daß die EU ein Friedensprojekt ist. Wollte nur Großbritannien austreten oder irgendein anderes EU-Land (außer der Republik Irland...), dann wäre all das viel einfacher.
Zitat von R.A. im Beitrag #454Jeder Staat akzeptiert das.
KEIN einziger tut das. Kein Staat der Welt tritt freiwillig Staatsgebiet ab. Ich weiß nicht wie Du auf so eine absurde Idee kommst.
Zitat Die Briten haben einen Haufen alter Verpflichtungen (wie jeder Staat) und können nicht per Brexit bei Null anfangen.
Darum gehts doch überhaupt nicht. Brüssel will eine NEUE Verpflichtung, das ist etwas gänzlich anderes. Und diese NEUE Verpflichtung würde kein Staat der Welt akzeptieren. Das ist ja auch Sinn und Zweck der Übung.
Zitat Der alleine schon ein massiver einseitiger Bruch von völkerrechtlichen Verpflichtungen wäre - denn die EU-Verträge, zu denen sich GB verpflichtet hat, sehen zwar einen Austritt vor, aber keinen ohne entsprechende vertragliche Regelungen.
Hier erfindest Du neues Recht. Denn hier liegt genau die Schwäche des EU Vertrages, der einen Austritt vorsieht, aber eben nicht darlegt, was passiert, wenn keine Einigung erzielt wird. Das ist kein Bruch, das ist ein Regelungsloch (nicht das einzige Problem mit EU Verträgen). Und es ist (wieder mal, nicht das erste Beispiel) reichlich daneben das den Brexiteers in die Schuhe kippen zu wollen.
Zitat Das kann jetzt aber nicht heißen daß wir sagen: Ist eh alles egal, also können wir auch beliebige Zugeständnisse machen.
Das entspricht ungefähr dem, wie die EU mit ihren Aussagen umgeht. Maastricht, Dublin, EZB, die Liste ist alles andere als kurz.
Zitat Denn der Unterschied zur Situation mit dem Thermaldetonator ist, daß die EU mit ihrem Verhalten ja auch Signale an ihre übrigen bestehenden und künftigen Vertragspartner sendet.
Und hier kommen wir der Sache näher: GENAU das ist der Punkt. Die EU will um Himmels willen das Signal vermeiden, dass man aus dem Club austreten kann, und das gut geht. Dann ist die EU schlicht am Ende.
Zitat Aber umgekehrt: Die EU ist auch nicht erpreßbar und wird keine unverhältnismäßigen Zugeständnisse machen. Das Signal geht vor allem an Staaten außerhalb Europas, z. B. China. Wenn sich die EU von den Hanswurst-Manövern Johnsons einschüchtern ließe wäre die nächste Verhandlungsrunde in Asien schon verloren.
China pfeift auf die internen Verhandlungen der EU. China macht schlicht was es will und woran es niemand hindern kann. Wie stark die EU gegenüber China auftreten kann, kann man derzeit in jeder Zeitung lesen. Und wie die EU mit ihren internen Verträgen umgeht, ist auch in Asien kein Geheimnis.
Zitat Den gewünschten hard brexit haben die Briten zu fairen Konditionen bekommen, den hat Johnson dann verhindert.
Du kannst den Kram tausendmal als fair bezeichnen, dadurch wird er es aber auch nicht.
Zitat Was eigentlich soll sie denn mit Johnson verhandeln, wenn das Ergebnis mit Garantie im Unterhaus durchfällt.
Die EU könnte durchaus den Quatsch mit dem Backstop lassen, dann würde den Hardlinern ganz schnell der Sprit ausgehen (die ja durchaus auf wackeligem Boden stehen). Durchaus möglich, dass es dann immer noch durchfallen würde. Nur: Es besteht dann am Ende die Gefahr, dass die Briten das annehmen. Und genau deswegen wird die EU das auch nicht tun.
Zitat Eben: Erst seitdem. Johnson hat sich mit Händen und Füßen gegen Neuwahlen gewehrt, obwohl er selber keine echte demokratische Legitimation hat und obwohl klar war, daß es im Unterhaus nicht weitergeht.
Natürlich hat er die Legitimation: Er ist der gewählte Premier, herrschaftszeiten. Er hat sie zu diesem Zeitpunkt durchaus gehabt. Jetzt hat er sie tatsächlich nicht mehr und jetzt bemüht er sich um eben diese. Das ist exakt sauberes Verhalten. Und es zeugt schon von gewaltiger Chuzpe jemandem genau das korrekte Verhalten noch zum Vorwurf machen zu wollen.
Zitat Was genau so eine Hanswurst-Drohung war wie gegenüber der EU. Und entsprechend auch nicht funktioniert hat, das Gesetz ist trotz aller taktischen Abwehrmanöver Johnsons durchgegangen.
Das ist das Risiko eines jeden politischen Manövers. Aber deswegen nicht illegitim (nur eben gescheitert). Und so Hans-Wurst ist das ganz und gar nicht. Die Briten kriegen schon mit, was da so läuft (und das nicht von der deutschen Presse) und es ist durchaus denkbar (denkbar, nicht sicher), dass die meisten Briten eher Johnsons Verhalten goutieren werden als das der Abweichler. Denn was hat Johnson denn bis jetzt verloren? Er muss keinen weichen Deal unterschreiben (was er ja nicht will), maximal muss er aufgrund des Gesetzes den Austritt noch einmal 3 Monate hinauszögern. Selbst da ist nicht gesagt, dass die EU da überhaupt mitspielt (Macron wäre mit Sicherheit nicht allzu glücklich, wenn der Brexit am Ende platzt). Aber selbst wenn es noch einmal drei Monate Gehampel gibt, ist noch lange nicht klar, wie sich der britische Wähler dann entscheiden wird. Johnson hat noch lange nicht verloren.
Zitat Aber ein konkretes Konzept für den Brexit gab es nie und gibt es immer noch nicht. Hat seinen Grund.
Das ist auch wieder nur Ablenkung. Man muss nicht jedes Details öffentlich verhandeln, wenn bereits eine Prämisse nicht zu ordnen ist. Die Brexiteers haben klar gesagt, dass der Backstop nicht geht. Das ist reichlich konkret. Und die EU hat, nicht zuletzt durch den irischen Regierungschef, eindeutig klar gemacht, dass sie darauf nie verzichten wird. Da ist nix zu lösen, nur ist das eben, da sind wir im Kreis rum, nicht die Schuld der Brexiteers sondern schlicht die Unmöglichkeit die beiden Ziele zu erfüllen.
Zitat Aber wenn die Briten sich schon für Kamikaze entscheiden, dann müssen wir wenigstens schauen, daß die Rest-EU möglichst gut weitermachen kann.
Das ist schon wieder ein Nebenkriegsschauplatz. Natürlich muss die EU zusehen, wie sie weitermachen kann. Das hat aber nichts mit den Brexit Verhandlungen zu tun. Es sei denn, sie betrachtet die Bestrafung der Briten als notwendig und wichtig, um weiterzumachen. Aber dann sind wir auch wieder nur am Anfang. Die Anfangsüberlegung bleibt: Wenn ich wertfrei verhandele, dann gehe ich bei einem Kamikaze des Gegenübers nicht auf Gegenkurs. Und ich tue das dann und nur dann, wenn ich gänzlich andere Ziele habe als den Crash zu verhindern.
Zitat Im übrigen sind die meisten deutschen Probleme hausgemacht. Wenn Arbeitsplätze verloren gehen, dann ist Berlin schuld, nicht Brüssel.
Wenn deutsche Autos und Maschinen mit einem Male nicht mehr exportiert werden können, weil die EU, um ihre Knute zu erhalten, lieber Zollschranken hochzieht, dann ist das nicht Berlin (mal ab von der indirekten Wirkung, dass vieles in Brüssel unter Berliner Mithilfe und Anstiftung passiert). Den deutschen Arbeitnehmern geht ein Backstop in Nordirland gelinde gesagt am Allerwertesten vorbei. Umgekehrt gehen allerdings die deutschen Arbeitsplätze Brüssel an eben jenem vorbei und das ist das Problem dabei.
Ich muss glaube ich in dieser Diskussion nicht auch noch voll einsteigen. (Die Kurzform lautet: ich stimme im wesentlichen der Argumentation von R.A. zu).
Zitat Eben: Erst seitdem. Johnson hat sich mit Händen und Füßen gegen Neuwahlen gewehrt, obwohl er selber keine echte demokratische Legitimation hat und obwohl klar war, daß es im Unterhaus nicht weitergeht.
Natürlich hat er die Legitimation: Er ist der gewählte Premier, herrschaftszeiten.
Nein, er ist nicht der gewählte Premier. Allein schon deswegen nicht, weil in GB der Premier nie gewählt wird. Er wird ernannt von der Königin. Weder vor noch nach dieser Ernennung gibt es irgendeine formale Bestätigung durch einen Parlamentsbeschluss. Die Königin ernennt jeweils den Anführer derjenigen Partei, die die absolute Mehrheit im Parlament hat. Aktuell hat keine Partei eine absolute Mehrheit, was das Auswahlverfahren der Königin durchaus erschwert.
Johnson ist auf jeden Fall weder der Parteiführer der Tories bei der letzten Unterhauswahl gewesen (was ihm ein gewisses Maß an direkter demokratischer Legitimation geben würde). Noch hat er eine Mehrheit des Parlaments hinter sich. Noch hat das Parlament jemals in der Vergangenheit mit Mehrheit führ Johnson als Premier votiert. Weder in einer offiziellen Abstimmung (die in GB ohnehin nicht vorgesehen ist), noch in einer informellen Willensbekundung einer Parlamentsmehrheit. (Konkret wurde auch sein "Koalitionspartner" DUP nie gefragt, ob sie Johnson als Premier unterstützen würden). Die einzige Legitimation die Johnson hat, ist ein Parteitagsbeschluss der Tories (die aber wie gesagt keine Parlamentsmehrheit haben).
Die Formulierung von R.A., dass Johnson keine "echte demokratische Legitimation" hat, ist also absolut richtig.
Das bedeutet natürlich nicht, dass er per Staatsstreich an die Macht gekommen wäre. Die (ungeschriebenen) britischen Regeln wurden bei seiner Ernennung durchaus eingehalten. Und Großbritannien kann mit einer solchen verfassungsrechtlichen Grauzone ja auch immer ganz pragmatisch umgehen. Aber das ändert nichts daran, dass Johnson ein demokratisch schwächer fundiertes Mandat hat als frühere Premierminister.
Bomben für Europa. Aber keine Sorge: Boris Johnson ist schuld daran.
Das sind nicht «Bomben für Europa», sondern das ist eben das, was passiert, wenn die UK-Regierung so tut als sei das Problem mit der Nordirlandgrenze bloß imaginär und löse sich bei konsequentem Ignorieren in nichts auf. Oder meint, wie Rees-Mogg, man müsse ggf. nur wieder ein Regime wie damals bei den Troubles einführen und der Fall ist geritzt. Da fühlen sich diejenigen, die davon überzeugt sind, daß da keine Grenze hingehört, bemüßigt wieder einmal auf sich aufmerksam zu machen. Europa und die EU sind der IRA piepegal, denen geht es um Irland. Das Good Friday Agreement haben sie als brauchbaren Kompromiß akzeptiert, aber wenn die UK-Regierung dieses ohne mit der Wimper zu zucken wieder aufkündigt, dann zeigen sie, daß sie auch anders können.
Zitat von Florian im Beitrag #458Johnson ist auf jeden Fall weder der Parteiführer der Tories bei der letzten Unterhauswahl gewesen (was ihm ein gewisses Maß an direkter demokratischer Legitimation geben würde).
So wie Theresa May. Naja, aber Boris will ja PM sein. Da kann man mit den Legitimationsideen schon mal großzügig umgehen.
Zitat von Florian im Beitrag #458Aber das ändert nichts daran, dass Johnson ein demokratisch schwächer fundiertes Mandat hat als frühere Premierminister.
Das ist übrigens die Stärke. Denn Johnson kann etwas machen, was der Traum jedes Populisten ist: Oppositionspolitik von der Regierungsbank. Er kann die wildesten Versprechen geben, wie golden die Zukunft des Großartigsten Britannien sein wird. Und braucht sich keine Sorgen machen, Irgendwas umsetzen zu müssen.
Aktuell verhandelt er ja den großartigsten Brexit-Deal in Morley, Leeds
Zitat von Llarian im Beitrag #452Der Witz ist ja der: Es geht sehr wohl(!) ohne Backstop. Wenn nämlich der hard brexit kommt. Und da hat die EU auch keine Alternative.
Das verstehe ich nicht. Wie soll das aussehen? Es geht ja darum, daß es im Interesse des UK und Irlands keine sichtbaren (Waren- und Kapitalverkehrs-)Kontrollen zwischen Nordirland und der Republik geben soll und auch keine zwischen Nordirland und Großbritannien. Solche Kontrollen muß ein Land aber durchführen, wenn es abweichende Zoll- und Handelsregeln durchsetzen will. Will das UK einfach nicht kontrollieren, dann würde faktisch im UK alles erlaubt sein, was in der EU erlaubt ist, man braucht nur einen Umweg über Irland machen. Beispielsweise würden alle Außenzölle, die das UK erheben wollen würde, in die EU-Säckel fließen, da die Geschäfte über die grüne Grenze auf der ebensogrünen Insel abgewickelt werden würden.
Richtig. Und wenn das UK der EU gegenüber keine Beschränkungen auflegen will, dann muß es entweder alle WTO-Länder ebenso behandeln oder auch aus der WTO austreten. (Man könnte zwar argumentieren, daß die Mühlen der WTO noch langsamer mahlen als die anderen und eine Bestrafung für Regelbruch daher auf sich warten lassen würde, aber dummerweise wird sich das UK nach dem «no deal» in der Lage befinden rasch neue Handelspartner zu suchen, und diese werden vermutlich schon die Frage nach der Gleichbehandlung stellen.) Wenn das UK einfach auf alle Auflagen beim Import verzichtet (was unter Brexiteuren etwas ungenau unter dem Titel «Freihandel» läuft), dann ist das zunächst schlecht für die Binnenindustrie, lenkt aber auch wieder die Aufmerksamkeit auf die nordirische Grenze. Die EU kann nicht akzeptieren, daß Waren, die ihren Qualitätsstandards nicht entsprechen, ohne weiteres importiert werden; das hat nichts mit Ranküne, Bestrafung oder Übergriffen aus Brüssel zu tun, sondern ist originäre und definierende Funktion des europäischen Binnenmarkts. Irland wird dann also wohl oder übel seine EU-Außengrenze sichern müssen, mit den offensichtlichen Konsequenzen. Der irischen Regierung diesen Schwarzen Peter zuzuschieben ist Teil des «no deal»-Plans, und es ist klar, daß diese hiervon nicht begeistert ist. «Es geht sehr wohl(!) ohne Backstop.» Klar, es geht - aber wohin?
Zitat von Emulgator im Beitrag #455Großbritannien und jedes andere EU-Land könnte sehr viel einfacher austreten, weil es nicht das Problem einer EU-Außengrenze gäbe, die nicht sichtbar sein darf. Nirgends wie in Nordirland ist es so wahr und so deutlich erkennbar, daß die EU ein Friedensprojekt ist. Wollte nur Großbritannien austreten oder irgendein anderes EU-Land (außer der Republik Irland...), dann wäre all das viel einfacher.
Die ganz hartgesottenen Brexit-Patrioten würden Nordirland auch aufgeben, wenn sie nur ihren Brexit kriegen. Aber wenn die Integrität des Vereinigten Königreichs erst einmal aufgegeben ist, dann wird auch Schottland, das bekanntlich mehrheitlich nichts vom Brexit hält und von einem «no deal» a fortiori gar nichts, nicht in der Union zu halten sein.
Zitat von Llarian im Beitrag #456Kein Staat der Welt tritt freiwillig Staatsgebiet ab.
Abgesehen davon, daß auch das schon oft vorgekommen ist: Es geht überhaupt nicht darum, daß GB irgendeinen Quadratmeter abgibt. Sondern daß es gewisse Einschränkungen akzeptiert, was es auf seinen Staatsgebiet bzw. an seinen Grenzen machen kann. Und DAS ist ganz normaler Bestandteil der meisten internationalen Verträge.
Zitat Denn hier liegt genau die Schwäche des EU Vertrages, der einen Austritt vorsieht, aber eben nicht darlegt, was passiert, wenn keine Einigung erzielt wird.
Es wurde eine Einigung erzielt. Die ist beschlossen und unterschrieben und der vertragsgemäße Austritt wird NICHT an der EU scheitern. Wenn interne Streitigkeiten in einem Land dazu führen, daß dieses Land seine völkerrechtlich eingegangenen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen kann, dann bleibt das ein Probleme dieses Landes. Und so werden das auch alle Drittstaaten sehen, die das Prozedere ja mit Interesse beobachten.
Zitat Maastricht, Dublin, EZB, die Liste ist alles andere als kurz.
Da kann man viel Kritik an irgendwelchen Maßnahmen üben, aber nirgends wurde internationales Recht gebrochen.
Zitat Die EU will um Himmels willen das Signal vermeiden, dass man aus dem Club austreten kann, und das gut geht.
Das ist nachgewiesen falsch. Denn mit dem Deal hat die EU das klare Signal gegeben, daß ein Austritt problemlos funktionieren kann. Im übrigen habe ich ganz klar davon gesprochen, daß es um Signale an Länder außerhalb der EU geht.
Zitat China pfeift auf die internen Verhandlungen der EU. China macht schlicht was es will und woran es niemand hindern kann.
Das ist falsch. China ist auf den Handel mit der EU angewiesen und hat entsprechend auch bei Abkommen etc. sehr wohl auf die EU-Positionen eingehen müssen. Nicht reinreden lassen sich die Chinesen bei internen Sachen oder wenn sie in Afrika loslegen - aber das hat nichts mit Verträgen mit der EU zu tun.
Zitat Du kannst den Kram tausendmal als fair bezeichnen, dadurch wird er es aber auch nicht.
Du kannst es tausendmal bestreiten, hast aber (außer dem backstop) noch nie sagen können, was eigentlich unfair am Deal sein soll. Und der backstop ist eben ein speziell britisches Problem, alle übrigen EU-Staaten könnten mit dem übrigen Deal problemlos einen Austritt machen.
Zitat Natürlich hat er die Legitimation: Er ist der gewählte Premier
Siehe Ausführungen von Florian. Johnson ist nur als Verlegenheitslösung ins Amt gekommen, weil die britische Tradition eine Situation wie jetzt nicht vorsieht. Normalerweise hätte er gleich nach Amtsantritt Neuwahlen machen müssen, weil ihm jede Basis im Parlament fehlt.
Zitat Jetzt hat er sie tatsächlich nicht mehr und jetzt bemüht er sich um eben diese.
Aber NUR zum 15. Oktober. Weil er damit den no-deal-brexit durchdrücken möchte. Ansonsten wollte er vorher keine Neuwahlen und will auch nach dem Oktober keine Neuwahlen.
Und eines ist auch klar: Angesichts der unklaren Lage, der vielen Veränderungen und neu aufgetauchten Fragen wäre es für einen Demokraten selbstverständlich, den Wählern bei diesen Neuwahlen die volle Wahlfreiheit zu lassen. D.h. daß sie sich frei zwischen allen Varianten von Remain bis No-Deal-Brexit entscheiden können. Was Johnson mit seinen antidemokratischen Intrigen will ist den Wählern diese Möglichkeit zu nehmen und seine spezielle Variante durchzusetzen, für die es nie eine demokratische Legitimation gab.
Zitat Aber selbst wenn es noch einmal drei Monate Gehampel gibt, ist noch lange nicht klar, wie sich der britische Wähler dann entscheiden wird.
Eben. Das ist völlig offen. Und deswegen fürchtet Johnson diese Wählerentscheidung und versucht sie zu verhindern.
Zitat Man muss nicht jedes Details öffentlich verhandeln
Es geht nicht um "jedes Detail", sondern um die grundsätzliche Brexit-Variante. Und die Brexiteers haben da nie etwas konkretes vorgelegt. Dito haben sie zur irischen Frage nie gesagt, wie sie das lösen wollen. Der Backstop kam doch erst (und zwar als britischer Vorschlag, NICHT von der EU!) weil die Briten sagen mußten: Wir wissen noch nicht, wie wie damit umgehen können - also brauchen wir eine Verlängerung. Nichts anderes ist der Backstop. Eine Übergangslösung, bis die Briten sich entschieden haben.
Zitat Und die EU hat, nicht zuletzt durch den irischen Regierungschef, eindeutig klar gemacht, dass sie darauf nie verzichten wird.
Sie wird nicht auf das Karfreitagsabkommen und die anderen britisch-irischen Vereinbarungen verzichten. Wie die nach Brexit erfüllt werden sollen, müssen erst einmal die Briten sagen. Die EU besteht auf dem backstop nur solange da keine Lösung in Sicht ist.
Und Johnson hat sich auch nie bemüht, irgendeine Lösung für die irische Frage zu finden. Nicht in den Jahren, wo er als Außenminister zuständig war. Und nicht seit er PM ist. Sondern er hat im Gegenteil den irischen Premier massiv brüskiert, indem er den seit Gründung Irlands übliche Erstgespräch eines neuen Premiers mit dem Kollegen auf der jeweils anderen Insel verweigert hat.
Johnson will keine Lösung und er braucht den backstop, weil er nur so seinen Chaos-Kurs begründen kann.
Zitat Wenn deutsche Autos und Maschinen mit einem Male nicht mehr exportiert werden können ...
Natürlich können sie. Ganz normale GATT-Regeln. Siehe mein Beitrag weiter oben - Autos und andere Konsumgüter gehören zu den vom Brexit am wenigsten betroffenen Branchen.
Zitat von Martin im Beitrag #413Die Prorogation ist ansonsten Business as usual.
Das sieht, wie soeben berichtet, auch der Oberste Gerichtshof (der hier die Rolle eines Verfassungsgerichts spielen mußte) nicht so. Die Prorogation war ungesetzlich, da sie das Parlament an der Ausübung seiner verfassungsgerechten Funktion hindert, und wurde für nichtig erklärt - einstimmige Entscheidung des Gerichts. Das heißt insbesondere, daß die vorige Parlamentsperiode weitergeht und die im Betratungsstadium befindlichen Gesetzesvorlagen, die die Prorogation ins Nirvana befördert hätte, doch noch aktiv sind und zu Gesetzen werden können.
Zitat von Martin im Beitrag #413Die Prorogation ist ansonsten Business as usual.
Das sieht, wie soeben berichtet, auch der Oberste Gerichtshof (der hier die Rolle eines Verfassungsgerichts spielen mußte) nicht so. Die Prorogation war ungesetzlich, da sie das Parlament an der Ausübung seiner verfassungsgerechten Funktion hindert, und wurde für nichtig erklärt - einstimmige Entscheidung des Gerichts. Das heißt insbesondere, daß die vorige Parlamentsperiode weitergeht und die im Betratungsstadium befindlichen Gesetzesvorlagen, die die Prorogation ins Nirvana befördert hätte, doch noch aktiv sind und zu Gesetzen werden können.
Nun, die Prorogation war zumindest bisher business as usual, und ich habe nicht den Eindruck, dass das Gericht das anders sah. Vielleicht löst das auch eine grundsätzliche Debatte darüber aus, wo die Grenzen des Gerichtes sind. Ich kann nicht beurteilen, was die Konsequenz für das britische Parlament sein wird. Unser Parlament ist ja auch noch immer zu groß trotz Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.
Zitat von Martin im Beitrag #464Nun, die Prorogation war zumindest bisher business as usual ...
Im allgemeinen Konsens, wenn keine wichtigen Sachen anlagen und die PMs Zeit für Parteitage brauchten.
Die Prorogation war NIE üblich um das Parlament gegen seinen Willen lahm zu legen in einer Situation, in der dringender Diskussions- und Entscheidungsbedarf besteht.
Johnson ist der am schwächsten legitimierte PM der britischen Geschichte und hat sich jetzt die krasseste Gerichtsniederlage eingefangen. Die Wortwahl des Gerichts ist sehr deutlich, alle 11 Richter sind sich einig - eigentlich fehlt nur noch der Haftbefehl
Zitat Vielleicht löst das auch eine grundsätzliche Debatte darüber aus, wo die Grenzen des Gerichtes sind.
Völlig unwahrscheinlich. Die Debatte geht eigentlich nur noch darum, wann der Lügner sein Amt aufgibt.
Zitat von R.A. im Beitrag #465Zitat Vielleicht löst das auch eine grundsätzliche Debatte darüber aus, wo die Grenzen des Gerichtes sind.Völlig unwahrscheinlich. Die Debatte geht eigentlich nur noch darum, wann der Lügner sein Amt aufgibt.
Da bin ich pessimistischer. Ich erinnere mich noch an Enemies of the people. Ich befürchte also auch, dass die Brexiteers jetzt endlich mal am Rechtsstaat rütteln können. Wer braucht schon Gerichte, wenn man den Volkswillen umsetzen will. Und den kennt nur Boris so wirklich.
Zitat von Martin im Beitrag #464Ich kann nicht beurteilen, was die Konsequenz für das britische Parlament sein wird.
Ganz einfach:
Zitat von UK House of CommonsFollowing the Supreme Court's judgment, the 2017-19 parliamentary session will resume on Wednesday 25 September. The House of Commons will sit at 11.30am. There will be no PMQs. Ministerial statements, and applications for urgent questions and emergency debates will be allowed.
Die Johnsonistas sind schon direkt auf dem Weg nach Venezuela. "Das oberste Gericht hat sich gegen das Volk verbündet" hat man bisher nur von den ganz niveaulosen Drittwelt-Diktatoren gehört.
Ich glaube aber nicht, daß die Extremisten noch Chancen haben. Die letzten Wochen haben gezeigt, daß die britischen Institutionen durchaus noch intakt sind und sich wehren können. Und ich gehe davon aus, daß die breite Mehrheit der Briten diesen Institutionen deutlich mehr vertraut als dem lügenden Gesetzesbrecher.
Es wird Johnson auch nicht gelingen, à la Venezuela irgendeinen "Druck der Straße" zu mobilisieren. Innerhalb Londons hat er nicht mehr viel zu melden, und seine Anhänger in der britischen Provinz werden nicht den Rollator auspacken um in die Hauptstadt zu reisen und das Parlamentsgebäude zu blockieren.
Zitat von R.A. im Beitrag #468Ich glaube aber nicht, daß die Extremisten noch Chancen haben. Die letzten Wochen haben gezeigt, daß die britischen Institutionen durchaus noch intakt sind und sich wehren können. Und ich gehe davon aus, daß die breite Mehrheit der Briten diesen Institutionen deutlich mehr vertraut als dem lügenden Gesetzesbrecher.
Ich habe keine Vorstellung davon, wie weit Boris gehen wird, einfach die Realität zu ignorieren. Zum Beispiel was auch immer das Parlament beschließen mag ...
Zitat von vielleichteinlinker im Beitrag #469Ich habe keine Vorstellung davon, wie weit Boris gehen wird, einfach die Realität zu ignorieren. Zum Beispiel was auch immer das Parlament beschließen mag ...
Für einen Putsch fehlt ihm jegliche Machtbasis. Er wird am Ende klein beigeben müssen - er kann sich nicht gegen Parlament und Justiz stellen.
Und auch die politische Unterstützung fängt an zu bröckeln. Während der Telegraph (das ist auch die fanatischste konservative Zeitung auf der Insel) die schon verlinkten Absurditäten bringt, sieht das bei der Daily Mail schon ganz anders aus. Die war ja auch immer stramm konservativ und auf Brexit/Johnson-Kurs. Aber jetzt spricht sie darüber, daß man die Queen nicht anlügen darf und wie Hochverrat bestraft wird: https://www.dailymail.co.uk/news/article...proroguing.html
Zitat von vielleichteinlinker im Beitrag #466Da bin ich pessimistischer. Ich erinnere mich noch an Enemies of the people. Ich befürchte also auch, dass die Brexiteers jetzt endlich mal am Rechtsstaat rütteln können. Wer braucht schon Gerichte, wenn man den Volkswillen umsetzen will.
Ich denke, die in den Demokratien installierte Institution oberster Gerichte wird eh irgendwann unter Beschuss kommen. Wenn ich das politische Tauziehen um die Besetzung der Gerichte in Deutschland, USA, Polen, Türkei, oder EU in den letzten Jahren beobachtet habe, so sind oberste Gerichte letztlich nur undemokratisch zustande gekommene verlängerte Arme der Regierungen. So, wie um die Besetzung dieser Gerichte gestritten und gekämpft wird, impliziert das eben, dass richterliche Urteile von der politischen Einstellung der Richter abhängig sind. Hinzu kommt, dass mit der Einengung auf eine überschaubare Richterzahl die Wahrscheinlichkeit steigen muss, dass durch allerlei Druck (Erpressbarkeit, Korruption, o.a.) mit wenig Aufwand Zünglein an der Waage beeinflusst werden. Bei 98% der Urteile spielt das keine Rolle. Ist der politische Einsatz aber sehr hoch wird mit dem obersten Gericht die Reißleine von denen gezogen, die die Richter mal installieren konnten.
Volksentscheide in Kombination mit einem überschaubaren Grundkorsett an unumstößlichen Regeln sehe ich als überlegen an.
Zitat von Martin im Beitrag #471Ich denke, die in den Demokratien installierte Institution oberster Gerichte wird eh irgendwann unter Beschuss kommen.
Nur von Seiten der Feinde von Demokratie und Rechtsstaat (wie die Kommentatoren im Telegraph).
Ansonsten sind die Verfassungsgerichte in allen mir bekannten Staaten die Institutionen, die am besten funktionieren und am meisten Anerkennung genießen. Die Wahlverfahren sind unterschiedlich, manche mit Schwachpunkten (insbes. in Deutschland), aber nach Bestellung sind die Richter unabhängig und die Erfahrung zeigt, daß sie nicht nach Weisung einer Regierung urteilen.
Speziell im UK ist die Besetzung des Supreme Courts im wesentlichen eine Sache der juristischen Profis mit relativ wenig Einfluß der Politik. Da sitzt die absolute Elite der britischen Richter. Und wenn die einstimmig und so eindeutig urteilen, dann hat das nichts mit irgendwelchen Einflüssen von Dritten zu tun.
Zitat Volksentscheide in Kombination mit einem überschaubaren Grundkorsett an unumstößlichen Regeln sehe ich als überlegen an.
Volksentscheide haben in der Justiz nichts zu suchen.
Zitat von Martin im Beitrag #471Volksentscheide in Kombination mit einem überschaubaren Grundkorsett an unumstößlichen Regeln sehe ich als überlegen an.
Mit Volksentscheiden kann man keine Verhandlungen führen. Dafür braucht es immer Repräsentanten. Und ob die unumstößlichen Regeln eingehalten werden, muß irgendwer beurteilen.
Zitat von R.A. im Beitrag #472Ansonsten sind die Verfassungsgerichte in allen mir bekannten Staaten die Institutionen, die am besten funktionieren und am meisten Anerkennung genießen. Die Wahlverfahren sind unterschiedlich, manche mit Schwachpunkten (insbes. in Deutschland), aber nach Bestellung sind die Richter unabhängig und die Erfahrung zeigt, daß sie nicht nach Weisung einer Regierung urteilen.
Es gibt nun mal keine Unabhängigkeit, und wo Erpressbarkeit oder einfach Kumpanei sind, ist das natürlich von außen nicht erkennbar. Die Berufung auf die Erfahrung geht in dem Moment fehl, in dem man den Routinefall beurteilt. Es gibt in Deutschland Urteile, die gehen an die Substanz. Dazu gehören GEZ-Urteile, EZB-Urteile u.ä.. Das sind die Säuretests. Man zieht nicht bei jedem Spiel die Trumpfkarte.
Es gibt sicher Unterschiede unter den Ländern. Bei der Ernennung, der Amtszeit und anderem. In Deutschland ist nach einer Merkelschen Amtsperiode die Wahrscheinlichkeit groß, dass viele (neue) Verfassungsrichter ihr besonderes Gusto haben. Was das Auswahlverfahren angeht, so hat mit Hadmut Danisch mit Verfassungsrichterin Baer jede Illusion geraubt.
Zitat Speziell im UK ist die Besetzung des Supreme Courts im wesentlichen eine Sache der juristischen Profis mit relativ wenig Einfluß der Politik. Da sitzt die absolute Elite der britischen Richter. Und wenn die einstimmig und so eindeutig urteilen, dann hat das nichts mit irgendwelchen Einflüssen von Dritten zu tun.
Das kann ich heute nicht beurteilen.
Zitat
Zitat Volksentscheide in Kombination mit einem überschaubaren Grundkorsett an unumstößlichen Regeln sehe ich als überlegen an.
Volksentscheide haben in der Justiz nichts zu suchen.
Das verstehen Sie falsch. In einem Schweizer System haben Parlament und Justiz einfach weniger zu tun, weil das Volk entscheidet. Dazu Wiki:
Zitat Es gibt somit keine Verfassungsgerichtsbarkeit für Bundesgesetze. Diese spezielle Regelung ist Ausdruck der stärkeren Gewichtung des Demokratieprinzips gegenüber dem Rechtsstaatsprinzip: Die von der Volksvertretung erlassenen – und allenfalls in einem Referendum vom Stimmvolk angenommenen – Gesetze sollen nicht durch ein Gericht ausser Kraft gesetzt werden können.
Zitat von Martin im Beitrag #471Ich denke, die in den Demokratien installierte Institution oberster Gerichte wird eh irgendwann unter Beschuss kommen.
Nur von Seiten der Feinde von Demokratie und Rechtsstaat (wie die Kommentatoren im Telegraph).
Ansonsten sind die Verfassungsgerichte in allen mir bekannten Staaten die Institutionen, die am besten funktionieren und am meisten Anerkennung genießen. Die Wahlverfahren sind unterschiedlich, manche mit Schwachpunkten (insbes. in Deutschland), aber nach Bestellung sind die Richter unabhängig und die Erfahrung zeigt, daß sie nicht nach Weisung einer Regierung urteilen.
Speziell im UK ist die Besetzung des Supreme Courts im wesentlichen eine Sache der juristischen Profis mit relativ wenig Einfluß der Politik. Da sitzt die absolute Elite der britischen Richter. Und wenn die einstimmig und so eindeutig urteilen, dann hat das nichts mit irgendwelchen Einflüssen von Dritten zu tun.
Zitat Volksentscheide in Kombination mit einem überschaubaren Grundkorsett an unumstößlichen Regeln sehe ich als überlegen an.
Volksentscheide haben in der Justiz nichts zu suchen.
Die Feinde von Demokratie und Rechtsstaat sind nicht die Kommentatoren des liberal-konservativ geerdeten Telegraphs, sondern die selbstherrlichen, korrumpierten Führer der real exisiterenden EU sowie deren lokalen Zuträger - selbst das offene Bekenntnis zum Rechtsbruch ("Wir haben alle Regeln gebrochen", "Vergesst den Vertrag" wird bekanntlich ungeniert mit dem Amt des EZB-Präsidenten belohnt, dort ist Bereitschaft zum antidemokratischen Rechtsbruch (bei gleichzeitig vollständiger Immunität) schließlich eine zentrale Kernkompetenz.
Jacob Mogg-Rees führt in diesem Video recht schlüssig aus, wie und warum die EU demokratische Prinzipien aushöhlt (so ab 35:00).
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